Gott spricht Jiddisch - Tuvia Tenenbom - E-Book

Gott spricht Jiddisch E-Book

Tuvia Tenenbom

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Beschreibung

Mea Schearim, die Stadt der 100 Tore, ist ein Viertel von Jerusalem, das fast ausschließlich von ultraorthodoxen Juden bewohnt wird. Um diese unfassbar aufregende und fremde Welt und ihre Spiritualität erfassen und verständlich machen zu können, muss man dort gelebt haben – so wie Tuvia Tenenbom, der in Mea Schearim aufgewachsen ist und nach vielen Jahren in New York hierher zurückgekehrt ist, um sich seiner Vergangenheit zu stellen: Denn Tenenbom entstammt selber einer ultraorthodoxen Familie, lernte in einer Jeschiwa, und ihm wurde eine Zukunft als einer der ganz großen Rabbis prophezeit. Dies machte seinen Aufenthalt auch zu einer Reise in die eigene Kindheit.

Tenenbom wollte wissen, wie sich die orthodoxe Kultur und Lebensweise verändert und wie sich eine restriktive Welt in einer immer restriktiver werdenden Welt entwickelt hat. Um diese Frage zu beantworten, wird er für lange Monate wieder einer von ihnen und tut das, was sie tun: in die Synagogen und in die Jeschiwas gehen, zum Rebbe, zum Rabbi, auch zu den Extremisten unter ihnen, mit ihnen zu essen und stundenlang zu singen, zum Schabbat mit den Familien zusammenzusitzen und Jiddisch mit ihnen zu sprechen, und er gewinnt so ihr Vertrauen, dass sich ihm die Menschen öffnen und dass ihre Welt des Glaubens in ihrer ganzen Faszination und in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit offenbar wird.

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Seitenzahl: 728

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Cover

1suhrkamp nova

Titel

3Tuvia Tenenbom

Gott spricht Jiddisch

Mein Jahr unter Ultraorthodoxen

Fotos, Organisation und Beratung: Isi Tenenbom

Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Adrian

Suhrkamp

Impressum

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Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5335.

Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin 2023Copyright © 2023 by Tuvia Tenenbom

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

Umschlagfoto: Isi Tenenbom

eISBN 978-3-518-77595-0

www.suhrkamp.de

Widmung

6Mein innigster Dank gilt der Verzauberin meines Lebens, Isi, die nie müde wurde, jede Person und jedes Ereignis in diesem Buch mit ihren allgegenwärtigen Linsen festzuhalten, die all unsere Gäste überreichlich mit Essen und Trinken verköstigt hat und die mir immer mit Worten des Trosts und der Weisheit zur Seite stand.

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Inhalt

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17Kündigen Sie meine Beerdigung an?

Raus hier, Ungläubiger!

In letzter Zeit ist er öfter um mich herumgetanzt, ein reizender Knabe von zwölf, dann 13, zuletzt 14 Jahren. Er trägt ein weißes Hemd, schwarze Hosen, schwarze Schuhe, eine schwarze Kippa, und er hat zwei schöne Schläfenlocken. Seine Lehrer bewundern ihn und lassen ihn die eine oder andere Klasse überspringen. Als er 14 wird, versucht er es seinen Klassenkameraden gleichzutun, die 18 und 19 sind, und fängt an zu rauchen.

Eines Tages bekam er mit 14 eine Lungenentzündung oder etwas in der Art. Er war im Schlafsaal seiner Jeschiwa (Rabbinerseminar) ans Bett gefesselt und konnte seiner Lieblingsbeschäftigung nicht nachgehen, dem Lernen. Ein Klassenkamerad, 19 Jahre, lieh ihm ein Buch aus, einen Roman über John und Patricia, Namen, die ihm unvertraut waren. Welcher Jude, der noch bei Trost ist, würde sich John nennen, wenn er auch Moische heißen könnte? Welche Jüdin, die noch bei Verstand ist, würde mit dem Namen Patricia die Straße entlanglaufen, wenn sie auch Zisale heißen könnte? Noch interessanter und echt merkwürdig war allerdings, was dieser John und diese Patricia taten. Sie lern18ten sich, so las er, bei einem romantischen Candlelight-Dinner kennen, ein Abendessen, zu dem John Patricia einlud, oder war es umgekehrt, und Patricia lud John ein. Wie absurd, dachte er, denn welcher Mann, der noch bei Verstand ist, würde eine Frau zu sich einladen, eine Frau, die er noch nicht einmal kennt, und welche Frau, die noch bei Trost ist, würde einen Mann zu sich einladen, einen Mann, den sie noch nicht einmal kennt? Wie unzüchtig.

Aber wie merkwürdig auch immer, so war es.

Sie aßen ein wenig und tranken ein wenig, aßen noch ein wenig und tranken noch ein wenig, als John plötzlich begann, Patricia auszuziehen, und sie lächelnd Gleiches mit Gleichem vergalt.

Wie entsetzlich!

Der reizende Knabe von 14 Jahren war schockiert. Nie zuvor war ihm der Gedanke gekommen, eine Person könnte eine andere ausziehen, geschweige denn ein Mann eine Frau. Tun die Leute so etwas?, fragte er sich. In seiner Gemeinschaft, dort, wo er aufwuchs, gilt es bereits als große Sünde, wenn ein Mann eine Frau ansieht; warum also zog dieser komisch klingende Name von einem Mann diesen komisch klingenden Namen von einer Frau aus?

Als er ein bisschen mehr über die Sache nachgedacht und versucht hatte, sie zu analysieren, fand er, dass eine Frau auszuziehen – oder von einer Frau ausgezogen zu werden – letztlich ein interessantes Konzept war und weiter erforscht werden musste.

Aber wie es erforschen? Das wusste er nicht.

Noch nicht.

Krank, wie er war, erhob er sich vom Bett und trat ans Fenster, um einen Blick auf die Straße zu werfen. Er sah Männer und Frauen vorübergehen, und zum ersten Mal in seinem Leben wandte er seine Augen beim Anblick einer Frau nicht ab. Ja, normalerweise machte er das so. Wenn ihm eine Frau begegnete, dann senkte er stets den Blick und schaute in die andere Rich19tung, sodass seine Augen die Frau nicht sehen konnten, weil sich, wie seine Rabbiner ihm immer erklärten, Satan unter der Kleidung der Frauen verbarg. Ja. Und wenn, was der Himmel verhüten möge, vielleicht ein Windstoß unter das Kleid einer Frau fahren und er einen Blick auf Satan erhaschen würde, dann würde er von ihm geschnappt und zu seinem Sklaven auf Lebenszeit gemacht werden. Dennoch schaute er sich jetzt die Frauen an. Sie waren schön anzusehen, sagte er sich, und so gar nicht satanisch. Frauen, schoss es ihm durch den Kopf, sind viel schöner als Männer. Wie hießen sie wohl alle?, fragte er sich. Waren sie alle Patricias? Ob auch er sie zu einem Candlelight-Dinner einladen und ausziehen könnte?

Nein, sagte er sich, könnte er nicht. Er ist kein John.

Könnte er aber John werden?

Gute Frage.

Er stand am Fenster, blickte in den Himmel und dankte Gott, dessen Name Der Name ist, dass er solche schönen Wesen erschaffen hatte.

Von neuer Energie erfüllt, zog er sich an und ging auf die Straße, um Frauen aus der Nähe zu betrachten.

Was er sah, gefiel ihm so gut, dass er nicht mehr ein noch aus wusste und zu seinen Rabbis rannte.

Er wandte sich an einen Rabbi nach dem anderen und wollte von ihnen wissen, warum er Frauen nicht anschauen durfte. Durfte er das nicht, weil sie schön waren und er sich aller Freuden enthalten sollte, fragte er sie, oder weil die Rabbis sie hässlich fanden und ihn vor der Hässlichkeit der Welt bewahren wollten? Und übrigens, fragte er sie: Wo steht geschrieben, dass Männer keine Frauen anschauen dürfen? War es Der Name, der am Berge Sinai zu Moses gesagt hatte: Du sollst keine Frauen anschauen? Wenn ja, wo genau steht es, dass Er das gesagt hat? Und davon abgesehen, von wem stammt die Vorstellung, dass sich Satan unter den Frauenkleidern verbirgt, und wo steht das?

Diese Fragen, antworteten die Rabbis, sind kfire, ketzerisch, daher sollte man sich auch nie mit solchen Fragen beschäftigen. 20Nur Ungläubige, sagten sie, schauten Frauen an, und nur Ungläubige würden Fragen zu Glaubensangelegenheiten stellen. War er etwa, fragten sie, ein Ungläubiger? War Satan, Gott bewahre, in seinen Körper eingedrungen?

Er hörte sie an, hörte ihnen zu und fragte: Warum soll man keine Fragen stellen? Wann genau hat Der Name bestimmt, dass nur Ungläubige Fragen stellen dürfen? Warum musste ein Satan in ihm wohnen, wenn er eine Frage stellte? Und weil sie schon einmal dabei waren, wer und was war Satan? Und in welcher Frau wohnte Satan eigentlich, bevor er in seinen Körper eindrang? Könnte er diese Frau nicht anschauen, jetzt, wo Satan sie verlassen hatte? Hatte Satan vor, er ließ nicht locker, auch in die Körper seiner Rabbis einzudringen? Und noch eine Frage: Warum ist es ein Akt der Ketzerei, eine Frau anzuschauen? Leugnete er die Existenz Des Namens in dem Moment, in dem er eine Frau betrachtete?

Noch viele andere Fragen kamen ihm über die Lippen, Tag für Tag und Monat für Monat, bis er eines schönen Tages die charedische (ultraorthodoxe) Gemeinschaft und damit die Welt seiner Herkunft verließ. Außerhalb der charedischen Welt, so hoffte er, würde er anschauen können, wen er wollte, sei es einen Mann oder eine Frau, eine Katze oder einen Affen, und alle Fragen stellen können, die er hatte, und alles sagen können, was ihm in den Sinn käme.

Diese Geschichte des reizenden, wissbegierigen, zähen, vor allem aber reizenden Jungen trug sich vor vielen Jahren zu.

Wer ist dieser reizende Junge? Nun, dieser Junge, das bin ich.

Und als ich wegging, verließ ich nicht nur meine Gemeinschaft. Ich verließ auch Jerusalem, verließ Israel, und der reizende Junge in mir versteckte sich von nun an.

Ich ging in die Vereinigten Staaten, wo ich viele Jahre in New York damit verbrachte, an verschiedenen Universitäten zu studieren, und dabei Abschlüsse und halbe Abschlüsse in verschiedenen Fächern sammelte. Im Lauf der Jahre gründete ich ein jüdisches Theater in New York City, wurde darüber hinaus noch 21Journalist, machte Deutschland zu meiner zweiten Heimat und schrieb einige Bestseller.

Parallel zu meinen persönlichen Erfolgen aber veränderte sich allmählich in meinen beiden Wahlheimaten etwas, in einem schleichenden Prozess, der letztlich auf eine Gedankenkontrolle zielte.

Wow. Starke Worte, ich weiß. Aber wahr.

Als ich Amerika zu meiner neuen Heimat machte, dachte ich, dass ich im Land der Freien und der Heimat der Tapferen würde sagen und tun können, was immer ich wollte. Nach und nach aber dämmerte mir, dass ich mich zum zweiten Mal getäuscht hatte.

Während die Jahre ins Land zogen, eins ums andere, musste ich immer vorsichtiger damit sein, wohin ich guckte, was ich sagte und was ich tat. In meinen New Yorker Anfängen konnte ich, wenn ich wollte, konservative und liberale Ansichten in den Kommentaren der führenden Tageszeitungen lesen, aber dann verschwanden die Konservativen, bis irgendwann auch die Liberalen weg waren und beide durch puritanische Extremisten ersetzt wurden. In den alten Tagen konnte ich, wenn ich wollte, Stücke inszenieren, in denen nackte Haut mit beißender Gesellschaftskritik verbunden wurde. Das geht nicht mehr. Solche Theater22aufführungen, die im überaus brillanten Theater des Absurden ausgebrütet wurden, sind heute eine Sache der Vergangenheit. Allmählich, Schritt für Schritt, ist eine neue Religion entstanden, die für Ideen und Ideale steht, wie man sie früher allenfalls an den Rändern der Gesellschaft gefunden hätte: sexuellen Puritanismus, Gendersensibilität, Klimaaktivismus, Veganismus, Cancel Culture, nichtbinäre Sprache, offene Grenzen, Palästina & Marihuana.

Und dann kam Corona. Das Coronavirus, eine Seuche gigantischen Ausmaßes, forderte Millionen Menschenleben und veränderte für immer die westliche Welt, wie ich sie kannte. Der Wandel, der die Gesellschaft bislang nur allmählich erfasst hatte, machte plötzlich einen gewaltigen Sprung. Zum ersten Mal im Leben erkannten Menschen überall auf der Welt die Grenzen ihrer Macht und mussten mit anschauen, wie der Tod um ihr Haus schlich, nachdem er zuvor alle Grenzen und Hürden übersprungen hatte, ohne dass sie irgendetwas dagegen tun konnten. Hatten sie zuvor geglaubt, sie hätten die Welt erobert, die stolzen Angehörigen jener Generation, die das Smartphone erfunden hatte, den handfesten Beweis ihrer Genialität und Intelligenz, so blickten sie nun entsetzt auf die endlose Parade von Särgen, die über den glänzenden Bildschirm ihres neusten Handys zog. Und während der Engel des Todes in ihren Schlafzimmern tanzte und die Menschen, die liberale Ideen hochhielten und immer an die Redefreiheit geglaubt hatten, unter ihren Decken zitterten, marschierten die Puritaner auf den Straßen, skandierten ihre Parolen so laut, wie sie nur konnten, und beschleunigten den Veränderungsprozess ums Hundertfache. Was einmal richtig gewesen war, wurde nun falsch, und Verhaltensweisen, die einmal als normal gegolten hatten, galten nun als sträflich.

Das Thema, das von dem drastischen Wandel am stärksten betroffen wurde, war zumindest für die Menschen in meinem Umfeld das intimste, nämlich das Sexuelle: Wer darf mit 23wem schlafen und wer nicht, wer kann wen berühren und wer nicht, was darf man überhaupt mit seinem Gegenüber machen, und was genau sollen die Menschen überhaupt mit ihren Geschlechtsteilen anfangen.

So sah es im linken politischen Spektrum aus, wo der Puritaner nunmehr als Progressiver gilt. Bei der politischen Rechten trat ein gleichermaßen widersinniges Phänomen in Erscheinung. So fanden sich beispielsweise auf der rechten Seite der amerikanischen Politik besonders viele Impfgegner, die behaupteten, dass mehr Menschen an Corona-Impfstoffen stürben als am Coronavirus selbst. Wenn Leute ihnen glaubten und auf dem Friedhof landeten, sei’s drum; es war ihnen egal. Es war bizarr, total lächerlich, gefährlich und Gift für die Gesellschaft. Sie verfügten nicht über ein Quäntchen Verstand oder wissenschaftliche Erkenntnisse, um ihre Behauptungen zu stützen, galten aber als redliche, wahrhaftige Weltretter. Sie lebten in einer Lügenblase und ließen sich von keiner Kraft auf der Welt aufhalten.

Dieses Schisma zwischen links und rechts spitzte sich zu, während die Seuche weiter wütete und immer neue Todesopfer forderte, doch Leute wie ich, die in New York City leben, einer Hochburg der Linken, waren vor allem vom linken Lager der Politik betroffen. Unsere alte Welt brach vor unseren Augen zusammen. Und wenn Sie heute in New York City ein Mann sind und Ihren guten Namen behalten wollen, dann vermeiden Sie am besten jeden Kontakt mit den Ladys der Stadt. Wenn meine charedischen Rabbis von einst jetzt nach New York kämen, würden sie sich bei den glühendsten Atheisten der Stadt wie zuhause fühlen.

Komische Welt.

Einem Jahr folgt ein weiteres, die Zahl der Toten und Sterbenden steigt, inzwischen aber langsamer, und der Junge, die reizende Wenigkeit, die ich einmal war, starrt mich in letzter Zeit zunehmend häufiger an. Was wäre geschehen, frage ich mich immer 24wieder, wenn ich Kurs gehalten hätte, in der charedischen Welt geblieben wäre und eine neue Patricia – oder vielleicht Madonna – heute meinen Weg kreuzen würde, würde ich die Charedim dann jetzt noch verlassen und mich, beispielsweise, den Impfgegnern anschließen?

Inzwischen ist der reizende Junge ganz aus seinem Versteck gekommen, fixiert mich immer ungenierter und fragt: Nachdem die Welt ein einziges Chaos ist, solltest du da nicht umkehren und zu der Welt zurückkehren, die du hinter dir gelassen hast?

Die Wahrheit ist, dass ich nicht viel über die Welt weiß, die ich hinter mir gelassen habe. Ich war zu jung, als ich sie verließ, um sie wirklich zu verstehen. Und heute, wo ich erwachsen bin, könnte sie auch schon eine andere geworden sein, so wie die Welt um sie herum.

Ist sie das?

Ich habe die Jahre meiner Kindheit und Jugend geliebt, und ohne die Rabbis und die ständig zunehmenden Verbote wäre ich dort geblieben. Ich habe Jerusalem geliebt, eine Stadt der antiken Geschichte und aktuellen Intrigen, und nie aufgehört, sie zu lieben.

Sodass ich jetzt, wo ich von der Welt um mich herum enttäuscht bin, manchmal davon träume, eine Reise in meine Vergangenheit zu machen, der spirituellen Welt, aus der ich weggelaufen bin, einen Besuch abzustatten, einer Welt, die ich geliebt und verraten habe.

Wenn ich diese Reise unternehme und nach Jerusalem gehe, wo sollte ich meine Zelte aufschlagen?

In Mea Schearim, meine Lieben, wo denn sonst?

Mea Schearim ist eines der authentischsten charedischen Viertel in Israel und das schillerndste sowieso, und obwohl ich eine Weile dort gelebt habe, habe ich es in zu jungen Jahren verlassen, um es »wirklich« zu kennen. Doch eines weiß ich ganz genau: Sollte Gott gelegentlich auf Erden wandeln, dann sicher in Mea Schearim.

25Ich selbst stamme aus einer hochreligiösen Familie, die gottesfürchtiger als der Herr und tief in Osteuropa verwurzelt ist. Auf väterlicher Seite bin ich ein Nachkomme des Radzyńer Rebbes, des Vorstehers der chassidischen Gemeinschaft von Radzyń, Polen, die von Nazideutschland praktisch ausgerottet worden ist. Nur sehr wenige Chassidim überlebten die Nazis, darunter mein Großvater, der Glanz der Dynastie aber ist unter Asche begraben. Mütterlicherseits bin ich der Enkel eines rumänischen Rabbiners, dessen Leben, wie das des Großteils seiner Familie, durch eine Kugel verkürzt wurde, weil er ein Jude war.

Doch sie sind leider nicht die einzigen Toten, an die ich denken muss.

Während ich diese Zeilen schreibe, in just dieser Woche, jährt sich der Tod meines Vaters; vor über einem Jahrzehnt gab er seine Seele dem Himmel zurück, und seine körperlichen Überreste wurden in der Heiligen Stadt Jerusalem begraben.

»Seine Seele zurückgeben«, so nannten wir das in unserer Gemeinschaft, wenn jemand verstarb.

Ich sitze in einem Café, starre ins Leere und sehe das Bild meines Vaters, der zurückstarrt. Er war ein Mann von scharfem Verstand und immensem Wissen und konnte ihm völlig unbekannte Menschen mustern und anschließend bis ins letzte De26tail zutreffend analysieren. Er war ein rabbinischer Gelehrter, ein talmudisches Genie und ein liebender Vater, der mich zeit seines Lebens mit Geld überschüttet hat. Und ich sehe meine Mutter, eine großartige Gastgeberin, eine gute Geschichtenerzählerin, eine Frau, die mich dafür bezahlte, wenn ich Huhn aß (was ich wirklich nicht mochte), und die ein ausgezeichnetes Auge für Kunst hatte; die Nazis hat sie wie durch ein Wunder überlebt. Auch sie gab ihre Seele vor einigen Jahren dem Himmel zurück, und ihre Überreste sind ebenfalls in der Heiligen Stadt Jerusalem beerdigt.

Wo bin ich jetzt? Ich bin in Prenzlauer Berg, einem Berliner Kiez, der mir im Lauf der Jahre ans Herz gewachsen ist, und schlürfe einen heißen italienischen Kaffee.

Ich verbringe den Sommer oft in Prenzlauer Berg, wenn ich nichts Besseres zu tun habe. Jeden Morgen suche ich mir ein anderes Straßencafé, bestelle einen Kaffee, oft auch ein Omelett, zünde mir eine Zigarette an und beobachte die Leute. Ja, ich bin ein leidenschaftlicher Leute-Beobachter. Ich bin der Sohn toter Juden, der Enkel verbrannter Juden und sehe gerne lebendige Leute. Gibt es daran etwas auszusetzen?

Ich werde das nie öffentlich zugeben, aber es stimmt, dass die Leute, die ich am häufigsten betrachte, die Ladys sind, die jungen deutschen Ladys, die an meinem Tisch vorbeidefilieren.

Manchmal vermischen sich die Bilder in meinem Kopf: meine toten jüdischen Eltern auf der einen Seite und die lebendigen deutschen Ladys auf der anderen. Manchmal vermischen sich die Bilder sogar noch mehr: oben die Gesichter meiner Eltern und unten die Beine der Ladys.

Ich zünde mir eine Zigarette an, blicke den Rauchkringeln hinterher, wie sie vom leichten Wind in den Himmel getragen werden, und stelle mir vor, dass ich nach Israel fliege, wo meine beiden Eltern zu Erde wurden.

Soll ich den Winden und dem Rauch folgen?

Nun, warum nicht?

27Nachdem ich fertig geraucht habe, buche ich ein Hotelzimmer in Jerusalem, nehme ein Taxi zum Flughafen, besteige eine EasyJet-Maschine und fliege ins Heilige Land.

Ja, man muss zackig sein im Leben: Idee haben. Umsetzen. Abhaken.

Lustig, sage ich mir, als ich im Flugzeug sitze: Dasselbe Feuer, das ich in mir hatte, als ich die charedische Welt hinter mir ließ, habe ich jetzt, da ich die westliche Welt hinter mir lasse.

Ich glaube, aber verraten Sie es niemand, dass ich eine Weile in Israel bleiben werde, zumindest für ein paar Monate.

Zum Teufel, warum auch nicht?

Nach der Landung nur wenige Stunden später nehme ich ein Taxi nach Jerusalem, eine Stadt, deren Tote aus ihren Gräbern auferstehen wie Jesus Christus, deren Propheten Direktflüge in den Himmel durchführen wie Mohammed und deren Könige 999 Frauen und Konkubinen haben, die darauf warten, ihren Herrn und Meister zu unterhalten, wie König Salomon. Kurzum, die Stadt Gottes.

Der Taxifahrer setzt mich an meiner künftigen Unterkunft ab, dem Tzefania Hotel, einem Boutique-Hotel in der Tsfanya-Straße im Viertel Mea Schearim. Von innen sieht das Tzefania eher wie 28ein österreichisches Heim vor hundert Jahren als wie ein israelisches Hotel der Gegenwart aus, und für einen Augenblick frage ich mich, wo ich eigentlich gelandet bin.

Nun, in Mea Schearim.

Oder, um germanisch präzise zu sein, liegt mein Hotel einen Block unterhalb des berühmten Sabbat-Platzes (Kikar Haschabat) in Kerem Abraham. Im echten Leben aber und wenn man kein Deutscher ist, gehören die Gegenden, die unmittelbar an Mea Schearim grenzen, wie Geula, Kerem Abraham, Batei Ungarin, Beth Israel und so weiter zum gefühlten Mea Schearim.

Mea Schearim. Schon mal gehört?

Mea Schearim bedeutet wörtlich Hundert Tore, hat aber viele Konnotationen, je nachdem, wer man ist. Für manche ist es der heiligste Ort auf Erden; für andere der schmutzigste. Wieder andere, die unabhängigen Denker, sagen, es sei eine Mischung aus beidem.

Ich war schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der Tsfanya-Straße. Ich weiß noch, dass es an beiden Enden der Straße häufig zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und charedischen Demonstranten kam, die verlangten, dass der Stadtteil am Sabbat für den Verkehr abgeriegelt werde.

Bevor ich das Flugzeug nach Israel bestieg, rieten mir jüdische Bekannte entschieden davon ab, als ich ihnen sagte, dass ich eine Weile in Mea Schearim leben wolle. »Das hältst du keine Nacht lang aus«, sagte mir ein gläubiger Jude. »20 Charedim werden sich um dein Hotel versammeln, sobald du es bezogen hast, Steine nach deinem Fenster werfen und brüllen: ›Raus hier, Ungläubiger!‹«

Inzwischen sind viele Jahre vergangen, seitdem mir erstmals »Ungläubiger« entgegengeschleudert wurde, und ich hoffe, dass ich diesmal besser damit umgehen kann.

Aber wie dem auch sei, ich möchte mich zunächst mit meiner Umgebung vertraut machen.

Nachdem ich meine Koffer im Hotel deponiert habe, spaziere ich durch die engen Straßen von Mea Schearim.

29Wenn ich Glück habe und es stimmt, dass Gott gelegentlich Spaziergänge in diesem Viertel unternimmt, werde ich Ihm von Angesicht zu Angesicht begegnen. Man weiß ja nie, vielleicht sind wir eines Tages Hand in Hand unterwegs. Das wäre mal was, oder?

Anders als Gegenden wie etwa Prenzlauer Berg, die mit Cafés und Restaurants gesäumt sind, sind die Straßen von Mea Schearim mit Hinweisschildern gesäumt, auf denen die Frauen aufgefordert werden, sich züchtig zu kleiden. Was ist züchtig? »Züchtige Kleidung umfasst: Geschlossene, langärmelige Bluse, langer Rock. Keine enganliegende Kleidung«, so eines der Schilder. Ich bin mir nicht sicher, warum sie hier solche Schilder aufstellen. Wenn ein Mann eine Frau nicht ansehen darf, ist es dann nicht gleichgültig, wie sie gekleidet ist?

Neben den Schildern fällt mein Blick auf zahllose Plakate an den Mauern dieses Viertels. Über ihnen befinden sich seltsam anmutende Balkone, Anbauten, die scheinbar nicht von Architekten, sondern von Mülltonnenherstellern entworfen wurden.

Die Plakate, die auf Tafeln geklebt sind, auch Paschkewil genannt, ziehen sich ganze Häuserreihen entlang und enthalten Nachrufe auf Menschen, die »ihre Seelen zurückgegeben« haben, sowie diverse Ankündigungen.

30Wenn ich mich recht erinnere, hat man die Balkone für das jährliche Sukkot-(Laubhütten-)Fest gebaut, bei dem die charedischen Juden sieben Tage lang in einer Sukka, einer Laubhütte, leben und die Befreiung ihrer Vorfahren aus ägyptischer Knechtschaft feiern, die sich ihrem Glauben zufolge vor Tausenden von Jahren zugetragen hat.

Die Großeltern der hier lebenden charedischen Juden waren, wie man ihren Familiennamen entnehmen kann, Europäer, Belorussen, Ukrainer und Russen, und sie sprachen Jiddisch, eine vom Deutschen abgeleitete Sprache ohne die Spur eines ägyptischen Akzents. Wann genau sie aufhörten, Ägyptisch zu sprechen, und anfingen, Jiddisch zu sprechen, ist ein Geheimnis, um das nur der jüdische Gott weiß, Der Name.

Was ich jedoch weiß, ist, dass ich gerne in ein Café gehen würde.

Alte Gewohnheiten legt man nicht so leicht ab, und ich spiele mit dem Gedanken, einen italienischen Kaffee in einem Straßencafé zu schlürfen und mir hübsche Deutsche anzugucken. Aber es soll nicht sein: Ich sehe weder eine einzige deutsche Seele um mich herum noch ein einziges Straßencafé.

Wir sind hier nicht in Prenzlauer Berg, sondern in Mea Schearim.

31Es gibt hier ein paar Restaurants, aber zumeist hinter verschlossenen Türen oder in Kellern – keine Orte, um deutsche Beine zu studieren.

Statt einer Reihe von Cafés sehe ich eine Reihe von Geschäften, in denen ich koschere Heringe und Mesusas (heilige Türpfosten) kaufen könnte, Silberbecher und Essiggurken, Plastikteller und teuren Schmuck, Perücken und Tichel (Kopftücher) für verheiratete Frauen, »Chassidi-Gel« und »Chassidi-Kids« zur Gestaltung perfekt gerundeter Schläfenlocken für Männer, sowie Modeläden und Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien und Buchhandlungen.

Was für eine andere Welt.

Die engen Gassen, von denen einige für Autos ungeeignet sind, sind nicht besonders sauber. Hoffentlich sind die Wohnungen der Menschen nicht auch so schmutzig. Ich war noch nie in einer Privatwohnung in Mea Schearim, noch nicht einmal, als ich hier als Jeschiwa-Schüler lebte, damals, wäre aber sehr neugierig darauf.

Ich bleibe bei einer Synagoge stehen, einer Schul auf Jiddisch, und lasse mir von einer alten charedischen Dame mit Tichel auf dem Kopf erklären, dass die Mitglieder dieser Schul die größten 32Störenfriede in ganz Mea Schearim sind. »Aber es sind nette Leute«, fügt sie hinzu.

Das ist Jerusalem, sage ich mir, eine Stadt, die seit Tausenden von Jahren mehr Störenfriede erlebt hat als jede andere mir bekannte Stadt, und eine kleine Schul mit Störenfrieden wird da nicht den geringsten Unterschied machen.

Ich frage die Dame, ob sie in der Gegend lebt, was sie bejaht. Wo?, frage ich sie. Sie zeigt auf eine kleine Wohnung auf der anderen Seite der engen Gasse vor der Schul. Als sie sieht, dass meine Neugierde geweckt ist, fragt sie mich, ob ich gerne eintreten würde, und lädt mich zu sich ein.

Und schon sind wir bei ihr.

In diesem Haus, erzählt sie mir, hat sie ihre Kindheit verbracht. Es ist eine kleine Wohnung, mit zwei kleinen Zimmern, jedes so groß wie zwei Doppelbetten, dazu eine kleine Küche und ein kleines Bad. »Als wir Kinder waren, schliefen wir zu neunt hier, und der Rest meiner Geschwister schlief bei meinem Großvater.« Ich habe keine Vorstellung, wie neun Seelen in einen solchen Raum passen sollen. »Damals«, erzählt sie mir, »war ich so glücklich wie niemals wieder.«

Im Haus ist alles makellos, kein Fleck zu sehen.

33Und weiter geht’s.

Auf der Mea-Schearim-Straße fährt ein Auto mit Lautsprecher auf dem Dach vorbei und verkündet: »Der Trauerzug für den rechtschaffenen Rabbiner Reb Dovid Schloime Birnhak von den wichtigen Toldos-Aharon-Chassidim, Schwiegersohn des gottesfürchtigen Reb Eliohu Steinberger seligen Angedenkens, wird um 18 Uhr von Toldos Aharon zum Ölberg aufbrechen.« Das ist ein Aufruf an die Menschen im Viertel, mit ihrer Teilnahme an der bevorstehenden Beisetzung Reb Dovid ihre letzte Ehre zu erweisen. Der Wagen rollt ganz langsam, damit alle über das Begräbnis informiert sind und sie alles stehen und liegen lassen, um ihm beizuwohnen.

Die Teilnahme an einer Beerdigung, so will es die Tradition, ist eine der entscheidenden Mitzwot (Gottesgebote), die ein Mensch befolgen kann, und wer es tut, dem wird es der Himmel reichlich lohnen.

Worin die Belohnung bestehen wird? Das weiß ich nicht recht.

Wenn ich in dieser charedischen Welt bleiben und hier sterben würde, dann würden sie eines Tages für alle, die Ohren haben, auch mein Begräbnis ankündigen: »Der Trauerzug für den gottesfürchtigen Rabbiner Reb Tuvia Tenenbom seligen Angedenkens wird um 18 Uhr von Toldos Aharon zum Ölberg aufbrechen.«

Und einen Moment lang höre ich in meinem geistigen Ohr, wie sie meine Beerdigung ankündigen.

Eine Vorstellung, bei der mir fröstelt.

Ich blicke dem vorbeifahrenden Auto hinterher, und für den Bruchteil einer Sekunde scheint mir, als ob hinten etwas drin wäre, das ich nicht erkennen kann. Ist das Gott?

34Fliegt man besser in einem Flugzeug oder auf einem Adler?

Weiße Esel, Maultiere, ein Prophet und ein Messias auf der Suche nach einer Mauer

Ich kenne einige der Regeln und Traditionen der Charedim, aber es ist viele Jahre her, dass ich selber einer war, und ich bin mir nicht sicher, ob die Regeln von heute noch die alten sind. Die Welt außerhalb Mea Schearims hat sich verändert und vielleicht ja auch Mea Schearim selbst.

Der Beerdigungsankündiger wiederholt seinen Aufruf mehrere Male und drängt die Leute, ihre letzte Ehre zu erweisen. Ein Mann liegt im Sarg, und das ist die letzte Gelegenheit, ihn zu würdigen.

Kenne ich diesen Mann? Habe ich ihn in meiner Jugend gesehen?

Es spielt keine Rolle. Jetzt zählt nur noch, dass er auf dem Ölberg beigesetzt werden wird, Gottes Lieblingsfriedhof.

Der Ölberg ist, soweit ich weiß, die Begräbnisstätte für die Rechtschaffenen und die Reichen. Eine Grabparzelle kostet hier mehr als ein durchschnittliches Café in Prenzlauer Berg.

Warum ist sie so teuer? Weil der jüdische Messias, bekannt als Messias ben David, am Ende der Tage auf dem weißen Esel von Patriarch Abraham in Jerusalem ankommen wird, und zwar zuerst auf dem Ölberg, wo er alle im Bauch des Bergs beigesetzten Toten wieder zum Leben erwecken wird. Er wird durch die Reihen der Gräber wandeln, ein Grab nach dem anderen aufsuchen, die Namen derjenigen aufrufen, die dort tief im Boden ruhen, und sie werden lebendig aus ihren Gräbern steigen, mit glänzenden Augen und holdem Atem. Einer nach dem anderen werden ihre Körper sich erheben, als wären sie nie tot gewesen.

Woher wissen wir, fragen Sie sich vielleicht, dass Messias ben David auf Abrahams weißem Esel angeritten kommt?

35Die Antwort ist lang, aber ich werde sie Ihnen nicht vorenthalten.

Wie Sie bestimmt wissen, steht im biblischen Buch Sacharja geschrieben:

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Wer ist der König? Der Messias.

Und woher wissen wir, dass der Esel der Esel des Patriarchen Abraham ist?

Wie es bekanntlich im 2. Buch Mose heißt:

So nahm denn Mose seine Frau und seine Söhne und setzte sie auf einen Esel und zog wieder nach Ägyptenland […].

Und die Weisen (talmudischen Rabbiner) sagen, wie es der wichtigste Bibelkommentator Raschi aufgeschrieben hat, dass Moses der Gesetzgeber denselben Esel nutzte wie schon der Patriarch Abraham.

Und da dieser Esel der Esel des Patriarchen Abraham ist, wissen wir, dass immer, wenn die Bibel einen Esel erwähnt, von Patriarch Abrahams Esel die Rede ist, dem weißen Esel.

Woher genau kommt dieser Esel? Laut manchen Kabbalisten wurde dieser Esel am Ende der sechs Schöpfungstage erschaffen, unmittelbar vor Beginn des Sabbats. Punkt.

Woher wissen wir, möchten Sie vielleicht fragen, dass mit Sacharjas »König« Messias ben David gemeint ist? Von den vielen Antworten auf diese Frage lautet die beste: Es steht der Zunge nicht an, zu viele Fragen zu stellen.

Man kann sich freilich immer noch diese Frage stellen: Was wird der Esel machen, während der Messias die Toten erweckt?

Nehmen wir die Klage- oder westliche Mauer, wie Juden sie nennen. Die Juden sagen, dass die Westmauer Teil ihres alten Heiligen Tempels ist, die israelischen Muslime aber sagen, im Leben nicht! Wie heißt die Mauer?, fragen sie. Al-Buraq-Mauer, antworten sie. Nichts mit Tempel, ob heilig oder nicht. Und nichts mit westlich. Al-Buraq! Warum Al-Buraq?

36Nun, da steckt eine Geschichte dahinter; haben Sie Geduld und hören Sie zu.

Als der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm, aus dem heutigen Saudi-Arabien nach Jerusalem kam, besorgte ihm Gott ein himmlisches Tier, Al-Buraq, für den Ritt. Was ist der Al-Buraq? Dem Hadith zufolge »ein weißes Tier, das kleiner ist als ein Maultier und größer als ein Esel«. Also eine Art weißer Esel plus. Unmittelbar bevor der Prophet, Friede sei mit ihm, zusammen mit dem Engel Dschibril in den Himmel flog, baute Allah jedenfalls eine spezielle Mauer, um Al-Buraq daran festzubinden, während der Prophet, Friede sei mit ihm, oben im Himmel war. Da nun eine Ähnlichkeit zwischen dem weißen Esel und dem Al-Buraq besteht, stellt sich die Frage: Wird Gott eine Mauer für den weißen Esel des Messias errichten, während dieser die Toten erweckt?

Die Antwort lautet: Wir werden es einfach abwarten müssen.

Was wir bereits wissen, ist Folgendes: Kurz vor der Ankunft des Messias, vielleicht drei Tage davor, wird der biblische Prophet Elias in die Stadt einreiten. Worauf wird er reiten? Es könnte sein, und hier bin ich mir nicht sicher, dass er auf irgendeinem anderen antiken Tier reitet, vielleicht einer Kuh oder einem Kamel, idealerweise weiß.

Während all das stattfindet, so wurde mir vor vielen Jahren erzählt, werden viele Adler in die Stadt fliegen und Diaspora-Juden aus Orten wie New York und London im Heiligen Land abwerfen.

Ich hätte auf einem Adler hierherfliegen sollen; das ist allemal besser als EasyJet.

Jedenfalls wird der Messias, sobald alle Toten auf dem Ölberg auferstanden sind, auch die anderen Friedhöfe im Heiligen Land Israel aufsuchen und die dort begrabenen Toten erwecken. Deshalb sind, wie wir uns erinnern wollen, die Grabstätten auf dem Ölberg so teuer. Würden Sie nicht auch, wenn Sie das Geld hätten, zu den ersten Erweckten gehören wollen? Ich schon. Kein langes Warten: Messias kommt, ich bin am Leben.

37Der Bibel zufolge starb der Patriarch Abraham vor ewig langer Zeit, sein Esel aber überlebte ihn. Wie das? Niemand weiß es. Eigentlich weiß niemand irgendetwas. Manche Leute, die man als Wissenschaftler bezeichnet, glauben, sie wüssten alles. Tun sie aber nicht. Als ich ein kleiner Junge in der Heider (Grundschule) war, erzählte mein Rebbe uns eine Geschichte. Ein paar sogenannte Wissenschaftler machten vor einiger Zeit ein berühmtes wissenschaftliches Experiment. Sie fingen eine Fliege mit ihren Händen, schnitten ihr die Flügel ab und sagten zu ihr: Flieg, Fliege! Aber die Fliege flog nicht. Warum nicht? Weil, so schlossen die sogenannten Wissenschaftler, eine Fliege taub wird, wenn man ihr die Flügel abschneidet.

Hübsch, oder?

So habe ich, ein kleiner charedischer Jude, mein Leben als Charedi begonnen; mit Sprüchen wie diesem.

Wissen Sie, was ein »Charedi« ist?

Das Wort Chared hat im Hebräischen mehr als eine Bedeutung. Es kann beispielsweise ängstlich, ehrfürchtig oder furchtsam bedeuten. Ein Mann ist ein Charedi, eine Frau ist eine Charedit oder Charedis, und der Plural lautet in der männlichen Form Charedim. (Die Schreibweise des achten Buchstabens des hebräischen Alphabets variiert von Ort zu Ort und Sprache zu Sprache. Manche schreiben h oder H, andere ch oder kh. Auf diesen Seiten wird er ch geschrieben. Ist doch ganz einfach.) In Amerika, wo es manchen Leuten schwerfällt, das H von Haredi auszusprechen, sagen sie lieber »ultraorthodox« statt »Haredi«.

Nun gibt es mehr als eine Sorte von Charedim oder Gottesfürchtigen. Die verbreitetste, zumindest visuell gesprochen, sind die charedischen Chassidim.

Um ein echter und reiner charedischer Chassid zu werden, braucht man einen Rebbe, dem man folgen kann.

Chassid bedeutet übrigens wörtlich eine fromme Person und in der Umgangssprache Anhänger.

Das Wort Rebbe, jiddisch für Rabbi, hat mehr als eine Bedeutung. Es kann sich auf einen Rabbiner beziehen, der eine chassi38dische Gruppierung (oder einen Hof oder eine Dynastie) leitet, oder auf einen Grundschullehrer. »Rabbi« hingegen kann sich auf einen nichtchassidischen Rabbiner beziehen, mitunter aber auch auf chassidische Rebbes und gelegentlich sogar auf jeden dicken Mann mit einem Bart und einer Jarmulke (Schädelkappe oder Kippa). »Reb«, eine weitere Ableitung von Rabbi, ist ein Titel, der jedem Mann mit Bart verliehen wird, wenn er charedisch und, sagen wir, älter als 31 ist.

Ein Rebbe für die Kleinen unterrichtet in einer Heider. In einer Heider lernt man alles, was man fürs Leben braucht, vom hebräischen Alphabet bis zum Talmud. Jawohl: Alphabet und Talmud. In meiner Heider unterwies man uns in den fünf Büchern Mose und dem Talmud, einer Reihe von Traktaten, die nach der Zerstörung des Zweiten Tempels von jüdischen Weisen geschrieben wurden. Diese Weisen entwickelten das rabbinische Judentum, also das Judentum, wie wir es heute kennen.

Wenn Sie an diesem Punkt, was Gott verhüten möge, bereits einige der soeben gegebenen Definitionen vergessen haben, werden Sie immer noch ein gesundes und glückliches Leben führen können, so Gott will.

Was mich angeht, so laufe ich noch ein paar Schritte, bis ich eine Steintreppe sehe, auf die ich mich setzen kann.

Die Stimme des Beerdigungsankündigers geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie ist leiser jetzt, die Worte aber sind dieselben: »Der Trauerzug für den rechtschaffenen Rabbiner Reb Dovid Schloime Birnhak von den wichtigen Toldos-Aharon-Chassidim, Schwiegersohn des gottesfürchtigen Reb Eliohu Steinberger seligen Angedenkens, wird um 18 Uhr von Toldos Aharon zum Ölberg aufbrechen.«

Ich zünde mir eine Zigarette an und fange an zu grübeln: über meine unmittelbare Umgebung, über die Gebiete drumherum und über die Geschichte, die hier alles umgibt.

Der Zweite Tempel, dessen Zerstörung die charedischen Juden bis heute betrauern, stand dort, wo sich heute die Al-Aqsa-39Moschee in der Jerusalemer Altstadt befindet. Das Einzige, was sich von der alten jüdischen Anlage erhalten hat, ist die westliche Mauer oder Klagemauer, die heiligste Stätte der Juden, wo sie klagen, beten und tanzen gehen. Die Palästinenser, die dieselbe Mauer als Al-Buraq bezeichnen, behaupten, hier habe nie ein jüdischer Tempel gestanden. Punkt. Viele Palästinenser und zahllose Muslime auf der ganzen Welt behaupten auch, dass es nirgends auf der Welt Juden gibt. Punkt.

Haben sie recht? Einigen linken Wissenschaftlern zufolge sind die Juden, die auch als Hebräer und Israeliten bekannt sind, die Vorväter der heutigen Palästinenser. Oder anders gesagt, die Palästinenser sind die wahren Juden. Und Fliegen ohne Flügel sind taub.

Ja, echt.

Die Christen, Anhänger einer vom Judentum abgeleiteten Religion, glauben, dass es Juden gibt, behaupten aber, dass sich die Juden in ihrem Messias geirrt haben, da der echte Messias Jesus Christus ist. Die Christen glauben auch, dass Jesus Gottes Sohn ist, von einer Jungfrau geboren, während die Juden glauben, dass jeder Einzelne von ihnen ein Gottessohn ist, und manche von ihnen darüber hinaus glauben, dass ihre Mutter eine Jungfrau ist, nicht aber die von Jesus.

Der Islam, der sich ebenfalls vom Judentum ableitet, lehnt die Jungfrauengeburt ab. Der Islam glaubt an andere Jungfrauen, die Paradiesjungfrauen, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Die brennende Frage für den Moment ist diese: Was passiert mit den Toten, bevor irgendein Messias sie wiedererweckt? Existieren sie irgendwo? Und wenn ja, tun sie irgendetwas? Und wenn ja, was genau tun sie?

Anders als die Muslime, die glauben, dass die Toten da oben im Himmel Paradiesjungfrauen zum ewigen Genusse bekommen, stehen Juden und Christen nicht so sehr auf Sex im Himmel. Traurig.

40Durchgang für Hunde und Zionisten absolut verboten

Ebenfalls verboten: Schöne Königinnen, Vögel und Süße angucken

Ich stehe wieder auf, um meine melancholischen Gedanken abzuschütteln und weiter durch die Straßen von Mea Schearim zu spazieren, als ein weiteres Auto vorbeifährt, das ebenfalls mit einem Lautsprecher ausgestattet ist. Ein weiterer Mann, unzweifelhaft so reich oder rechtschaffen wie der erste, ist gestorben. Auch er ist bald auf dem Weg zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Ölberg.

Wollen wir hoffen, dass bald alle Toten und Sterbenden auferweckt werden.

Es wird mir eine Freude sein, meinen Vater wiederzusehen, mit seinem langen Bart und seinen Schläfenlocken, seinem stechenden Blick und seinen Zigarren. Ja, mein Vater liebte Zigarren und Pfeifen. Er war ein Kettenraucher, der nie inhalierte, aber stets etwas paffte. Ich frage mich allerdings, wie er aussehen wird, so als Auferstandener. Wird er so alt sein, wie ich ihn das letzte Mal gesehen habe? Und was wird mit mir sein, wenn ich noch viele Jahre lebe, werde ich dann älter sein als mein Vater, wenn er aus dem Grab steigt?

Wer weiß.

Die Mauern zu meiner Rechten, an denen ich gerade vorbeikomme, sind mit Todesanzeigen von Männern und Frauen beklebt, die gerade das Zeitliche gesegnet haben. Kein Deutscher stirbt in Prenzlauer Berg, hier aber stirbt jeder Jude. Wie das?

Ein Schwarm Mädchen, die auf Jiddisch schwatzen und wie Prinzessinnen gekleidet sind, überholt mich, eine schöner als die andere. Ich gucke sie mir genau an, und jede von ihnen ist viel attraktiver als Patricia.

Wie kann das sein?

41Ich hätte nie gedacht, dass Jüdinnen oder Juden schöner aussehen könnten als Deutsche. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich sie vermutlich alle zum Candlelight-Dinner eingeladen. Wie kann ich sie bloß übersehen haben?

Was würde wohl passieren, wenn der Messias all die jüdischen Ladys der Vergangenheit erweckte? Würde diese heilige Stadt vor jüdischen Schönheiten explodieren, all den Millionen, die ich all die Jahre übersehen habe?

Nur kommt der Messias heute leider nicht. Ja, jeder gute Charedi verkündet täglich, dass ich jeden Tag auf ihn warten soll, aber heute wird das nichts. Warum nicht? Weil heute Donnerstag ist, der Tag vor Freitag, an dem Jüdinnen, die berühmtesten Köchinnen der Welt, keine Zeit haben, um Abrahams Esel zu begrüßen. Sorry. Wie man weiß, beginnen jüdische Ehefrauen und Mütter am Donnerstagabend mit der Zubereitung ihres Tscholents, eines Gerichts, das man nicht mit Worten beschreiben, sondern nur mit der Zunge schmecken kann, und kein Messias wird bei diesem Vorgang stören.

Der Messias, fällt mir plötzlich ein, hat eine entscheidende Eigenschaft mit Dem Namen gemeinsam: Er hat keinen Namen. Er ist als Messias ben David bekannt, was Messias Nachkomme König Davids heißt, aber was bedeutet das? Messias ist kein Eigenname, es bedeutet einfach nur Gesalbter. Könnte ich das vielleicht sein?

Der Name.

Wie in jedem anderen charedischen Viertel wird Gott auch in diesem nicht Gott genannt, sondern »Der Name«. Gelegentlich bezeichnen die Charedim Ihn auch als Baschefer, was Schöpfer heißt, während fantasievollere Leute Ihn auch als Herrn des Universums, den Heiligen, Gesegnet Sei Er, und Den Ort bezeichnen. Aber kein spezifischer Name.

Kurzum: Der Gesalbte wird von Dem Namen gesandt, um die Juden zu retten.

Wenigstens haben die Juden einen Namen.

Messias ben David könnte in der Tat der Messias sein, wie 42auch immer sein richtiger Name lautet. Leider taucht hier ein kleines Problem auf: Das Judentum kennt noch einen Messias, nämlich Messias ben Josef, Messias Nachkomme Josefs. Stellt sich also die Frage, wer der wahre Messias ist, oder haben wir zwei?

Tja.

Auch Messias ben Josef hat keinen Eigennamen.

Warum nicht?

Tja.

Jedenfalls, Name hin oder her, wird Der Ort dafür sorgen, dass der Messias heute nicht kommt.

Genauso wenig wie am Samstag. Warum da nicht? Weil am Sabbat, hängen wir’s nicht an die große Glocke, charedische Männer »Bettdienst leisten«, vulgo Sex mit ihren Gattinnen haben sollen, und kein Messias ist groß und stark genug, um einen Juden im Bett aufzuhalten. Wie könnte irgendjemand erwarten, jüdische Kinder zu kriegen, wenn ein Messias und ein Esel mitten während des »Dienstes« in die Schlafzimmer jüdischer Paare reiten könnten? Geht gar nicht!

Am Sabbat, dem jüdischen Ruhetag, dient man nun einmal am besten. Der Name brauchte sechs Tage, um die Welt zu erschaffen, wie im 1. Buch Mose festgehalten, während er am siebten Tage, dem Sabbat, ruhte. Und deshalb wurde uns, dem Volk hier, auch als auserwähltes Volk bekannt, von Dem Namen, auch als Der Raum bekannt, gesagt, dass wir am Sabbat ruhen und dabei »dienen« sollen. Wir sind schon im Bett, also warum nicht dienen? So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.

Wie wurde die Welt mit all ihren Planeten, Galaxien, Sternen und Lebewesen in nur sechs Tagen erschaffen? Ich weiß es nicht; ich kann nicht alles wissen. Und wenn mir jemand sagte, dass es eine Fantastilliarde Jahre dauerte, die Welt so hinzukriegen, wie sie ist, könnte ich mir genauso wenig vorstellen, wie das vor sich gegangen sein soll.

43Die Zeit verstreicht, und ich laufe weiter. Hin und zurück, hin und her, immer und immer wieder. Gelegentlich lege ich einen Stopp im Hotel ein, werfe einen Blick auf dessen interessante Sammlung von Menoras und anderen Judaica und mache ein Nickerchen. Dann gehe ich wieder hinaus und atme die Luft meiner Jugend ein.