Gott wohnt in einem Lichte ... - Herbert Koch - E-Book

Gott wohnt in einem Lichte ... E-Book

Herbert Koch

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Beschreibung

Hört das Bewusstsein nicht auf?

Gibt es ein »Leben nach dem Tod«? Menschen, die sogenannte Nahtoderfahrungen gemacht haben, sind davon überzeugt. Ihre Berichte finden zunehmend auch die Aufmerksamkeit seriöser wissenschaftlicher Forschung. Die These: Nahtoderfahrungen weisen auf eine Wirklichkeit hin, die nicht an Materie gebunden ist.

Herbert Koch beschreibt das Phänomen Nahtoderfahrungen und skizziert den Stand der Forschung. Er zeigt, dass schon in der Bibel von ähnlichen Phänomenen die Rede ist, und macht schließlich deutlich, auf welche Fragen die Theologie eine Antwort geben muss, wenn das Bewusstsein mit dem Tod nicht endet. Ein hoch spannendes und theologisch berührendes Buch.

  • Nahtoderfahrungen und Theologie – erstmals im Gespräch
  • Verständlich, berührend, spannend und herausfordernd

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Seitenzahl: 159

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Herbert Koch

Gott wohnt

in einem

Lichte ...

Nahtoderfahrungen als

Herausforderung für die Theologie

Gütersloher Verlagshaus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2015 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Coverfoto: © Topic Photo Agency / Corbis

ISBN 978-3-641-17922-9V001

www.gtvh.de

»... Gott, der alle Dinge lebendig macht ..., der allein Selige und Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, der wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann, dem sei Ehre und ewige Macht.«

1. Timotheusbrief 5,15-16

Inhalt

Vorwort

TEIL I:

Das Phänomen

Unbeschreiblich – Elemente von Nahtoderlebnissen

Nachwirkungen von Nahtoderlebnissen

Nahtoderlebnisse bei Kindern

Nahtoderfahrungen und individuelle religiöse Einstellungen

TEIL II:

Erklärungen

Braucht das menschliche Bewusstsein einen lebendigen Körper?

Ein neuer Ansatz

Wankende Grundfesten

Quantenphysik

TEIL III:

Nahtoderfahrungen in biblischen Offenbarungstexten und kirchlicher Tradition

Paulus als Offenbarungsträger

Das göttliche Licht

Der »Lebensfilm« als Purgatorium

TEIL IV:

Nahtoderfahrungen als Herausforderung von Theologie und Kirche

Wachsende Lebenszeit – immer mehr Fragen

Dogmatik und Erfahrung – ein Spannungsfeld

Offene Rückfragen

Begründete Abweisungen?

Gericht oder Ewiges Leben?

Anmerkungen

Bibelstellenregister

Vorwort

Zahlreich und glaubwürdig dokumentiert wurden in den letzten Jahrzehnten Phänomene, die üblicherweise als Nahtoderfahrungen bezeichnet werden. Im Bereich von Theologie und Kirche finden sie nur selten Kenntnisnahme und kaum konstruktive Beachtung. Mitunter aber kommt es vor, dass Menschen mit der Erfahrung eines Nahtoderlebnisses zu dessen Verarbeitung das Gespräch mit einem Seelsorger suchen. Dabei treffen sie nicht selten auf ein Unverständnis, das sie als Zurückweisung erleben. Was sie berichten und sie zutiefst bewegt, wird nur zu leicht dem aus kirchlicher Sicht suspekten Bereich des Esoterischen zugeordnet. Wenn etwa von Begegnung mit Verstorbenen die Rede ist, so bietet sich der Begriff »Okkultismus« als naheliegend an.

Der nachfolgenden Untersuchung sei deshalb die Klarstellung vorausgeschickt, dass es zwischen Nahtoderfahrungen und allem, was sich unter »Esoterik« subsumieren lässt, eine grundlegende Verschiedenheit gibt. Sie besteht darin, dass als esoterisch qualifizierten Erfahrungen stets ein darauf abzielendes Verhalten vorausgeht. Es wird etwas Bestimmtes praktiziert, das bei Erfolg eine bestimmte Erfahrung mit sich bringt.

Dieses Grundmerkmal des Esoterischen trifft dagegen auf Nahtoderfahrungen in keiner Weise zu. Sie werden nicht herbeigeführt, sondern sie ereignen sich. Und sie ereignen sich unvorhersehbar, auch wenn zutrifft, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen auftreten. Dass aber solche Voraussetzungen gegeben sind, lässt gleichwohl nicht mit einer bestimmten Gesetzmäßigkeit Nahtoderlebnisse erwarten.

Die Fehldeutung als esoterisch ist jedoch nicht der alleinige Grund dafür, wenn Nahtoderfahrungen im kirchlichen Raum vorurteilsbehaftet begegnet wird. Vielmehr tritt in diesem Zusammenhang auch ein theologisches Problem von Gewicht hervor. Denn im gottesdienstlichen Glaubensbekenntnis wiederholen sich an jedem Sonntag wie auch in jeder Begräbnisagende fundamentale Aussagen der kirchlichen Überlieferung zu Sterben und Tod, Auferstehung und jüngstem Gericht, ewigem Leben und ewiger Verdammnis. Daraus ergibt sich eine dogmatische Verriegelung gegenüber einer unbefangenen Kenntnisnahme von Berichten über Nahtoderfahrungen. Und eine Öffnung dieser Verriegelung von innen her ist nicht zu erwarten.

Umso wichtiger ist die Entwicklung eines Selbstverständnisses von wissenschaftlicher Theologie, das deren herkömmlich zumeist praktizierte Selbsteingrenzung als Interpretin dogmatischer Traditionen verlässt. Stattdessen wird sie wirkliches Neuland betreten und wirklich Neues zu formulieren in der Lage sein, indem sie Einsichten anderer Wissenschaften in deren nachhaltiger Relevanz für die Theologie zur Kenntnis nimmt. Beim Thema Nahtoderfahrungen stößt sie dabei auf einen analogen Vorgang im Bereich der Naturwissenschaften. Die Parallele besteht darin, dass dort die herkömmlich dominante Sicht des Verhältnisses von »Geist und Materie« – allgemeiner: von materieller und immaterieller Wirklichkeit – eine umwälzende Neubestimmung erfährt. Auch um die Bedeutung dieser dogmenkritischen Analogie soll es im Folgenden gehen.

Garbsen, im September 2015

Dr. Herbert Koch

TEIL I:

Das Phänomen

Unbeschreiblich – Elemente von Nahtoderlebnissen

»Früher habe ich vieles aus Pflichtgefühl getan oder weil ich glaubte, nur so hätte man mich lieb. Heute dagegen tue ich nur noch, was ich von Herzen will. Mein Mann sagt, ich sei viel fassbarer und authentischer geworden.« Diese Beschreibung einer dauerhaften realen Lebensveränderung war zu lesen in der Zeitschrift Publik-Forum (Nr. 5/09) im Bericht einer 64-jährigen Frau über ein real erlebtes und doch ganz außergewöhnliches Ereignis. Vergleichbares hatte es noch nie zuvor in ihrem Leben gegeben.

Es handelt sich um ein Erlebnis, das von der wissenschaftliche Sterbeforschung, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, als »Nahtoderfahrung« bezeichnet wird. NTE lautet die in Publikationen dafür üblich gewordene Abkürzung. Zu dem Ereignis war es gekommen, als die Frau während einer Skitour in den Schweizer Alpen von einer Lawine erfasst und unter Schneemassen begraben wurde. Nicht ahnend, dass sie nach einer halben Stunde ausgegraben sein würde, rechnete die Verschüttete mit ihrem unmittelbar bevorstehenden Tod. »Was ich unter dem Schnee während eines Nahtod-Erlebnisses erfuhr, ist das größte Geschenk meines Lebens. Ich geriet in einen Zustand von Frieden und Geborgenheit, wie ich ihn nie zuvor verspürt hatte. Seither habe ich keine Angst mehr vor dem Tod«, berichtet sie. Was auch immer in ihrem Leben noch geschehe, sie sei sich gewiss, dass es in dem Zustand, den sie unter dem Schnee erlebt habe, enden werde. »Das gibt mir eine wunderbare Gelassenheit, die ich heute im Alltag auch anderen Menschen zu vermitteln suche.«

Die große Emotionalität, mit der hier von der gemachten Erfahrung berichtet wird, ist für viele NTE-Berichte charakteristisch, wie noch deutlicher zu sehen sein wird. Fasst man »Nahtoderfahrung« dagegen in eine nüchterne Definition, so könnte diese in etwa lauten: Eine Nahtoderfahrung ist das Erlebnis eines in der Regel noch nie zuvor wahrgenommenen Bewusstseinszustands während einer Krise, die lebensbedrohlich ist oder als lebensbedrohlich wahrgenommen wird. Der Bewusstseinszustand, in dem sich der oder die Betroffene wiederfindet, wird in aller Regel als außergewöhnlich positiv wahrgenommen, so dass man ihn nicht wieder verlassen möchte.

Dass über eine solche Erfahrung überhaupt berichtet werden kann, setzt natürlich voraus, dass Menschen lebensbedrohliche Krisen überleben. Tatsächlich ist dies angesichts der medizinisch-technischen Möglichkeiten heute viel häufiger der Fall als noch vor wenigen Jahrzehnten. Moderne Reanimations- und Behandlungsmöglichkeiten verbessern die Überlebenschancen von Schwerverletzten oder bei hochriskanten Operationen beträchtlich. Entsprechend hat sich auch die Zahl der dokumentierten NTE deutlich erhöht. Die dadurch angeregte und intensivierte Forschung kommt zu dem Schluss, dass in den letzten 50 Jahren in den USA und in Deutschland ungefähr 4,2 Prozent der Bevölkerung eine Nahtoderfahrung gemacht haben. Für Deutschland ergibt das eine Zahl von ca. 3,4 Millionen Menschen.1

Dass eine NTE als eine unüberbietbar positive, »nie zuvor« gemachte Erfahrung, als »das größte Geschenk meines Lebens« beschrieben wird, ist ein charakteristisches Merkmal zwar nicht aller, aber doch der ganz überwiegenden Zahl der Berichte über NTE. Und davon gibt es mittlerweile unzählige, seit im Jahr 1975 eine größere Öffentlichkeit das Thema erstmals diskutierte. Damals veröffentlichte der amerikanische Forscher Raymond Moody unter dem Titel »Leben nach dem Tod« 150 Aufzeichnungen über Nahtoderfahrungen. Moody legte als Erster eine systematische Sichtung und Klassifizierung von übereinstimmenden Merkmalen in dem von ihm gesammelten Berichtsmaterial vor.

Bestimmend ist darin zunächst, dass das extrem Ungewöhnliche einer NTE zum Ausdruck gebracht wird, indem die Menschen, die eine solche Erfahrung machten, diese als eigentlich unbeschreiblich bezeichnen. Immer wieder wird diese Unbeschreiblichkeit des Erlebten betont:

• »Es gibt einfach für so viel Schönes und Friedliches keine Worte.«2• »Es ist fast unmöglich, diesen Zustand zu beschreiben, denn es gibt keine vergleichbaren Gefühle in dieser Welt. Nie in meinem ganzen Leben hatte es je auch nur einen winzigen Augenblick gegeben, in dem ich so durchdrungen gewesen wäre von Ruhe und Frieden wie im Tod, eingehüllt in eine alles umfassende Liebe, die so unendlich wohltuend war und mir als Belohnung erschien für alle bisher erlittenen Schmerzen und allen Unbill.«3• »Es war zu viel! Einfach zu viel, um es in menschliche Worte zu fassen ... Die Verlogenheit, in der wir in unserer Dimension leben, tritt klar hervor und doch ist sie mit unseren dürftigen Worten nicht zu beschreiben. Alles, was ich sah, war von einer unbeschreiblichen Liebe durchdrungen.«4• »Ich muss eingestehen, dass die menschliche Sprache überhaupt nicht dazu taugt, den vollen Umfang und die Tiefe der Erfahrung dieser anderen Dimension ... zu vermitteln. Letztlich lässt sich auf keine Weise beschreiben, was ich erlebt habe.«5• »Die einzigen Worte, die mir dazu einfallen, sind: ›nicht von dieser Welt‹.«6• »So vieles lässt sich mit den Begriffen unserer Sprache nicht ausdrücken; Bilder, Metaphern, Analogien können das Empfundene nur annäherungsweise wiedergeben.«7

Das ganz Besondere einer Nahtoderfahrung wird so mit dem Wort »unbeschreiblich« zwar benannt, aber eben nicht beschrieben. Dabei betrifft dieses so unbeschreiblich Außergewöhnliche vor allem das gefühlsmäßige Erleben der Menschen, die eine NTE machen. Relativ genau dagegen können andere Wahrnehmungen erinnert und wiedergegeben werden, die mit dem gefühlsmäßigen Erleben verbunden waren. Dauerhaft und sehr klar haften sie im Gedächtnis. Auch dabei zeigt sich trotz der Vielzahl der Berichte ein relativ hohes Maß an Übereinstimmungen.

Körperlosigkeit

Etwa 30 bis 40 Prozent der Betroffenen berichten von einer Trennung vomeigenen Körper. Ort des Ereignisses kann eine Unfallstelle sein, an der man zum schwer verletzten Opfer wurde, oder der Operationssaal eines Krankenhauses, in dem es während einer Operation zu einem Herz- und Atmungsstillstand kommt. Beschrieben wird in der Regel eine Bewegung vom Körper weg nach oben, wobei unklar und mit geläufigen Begriffen nicht benennbar ist, was sich dabei vom Körper trennt. Der verlassene Körper wird von außerhalb wahrgenommen: »Der Körper dort unten war nur eine Hülle, die mit mir genauso viel zu tun hatte wie ein alter, mir durch das Tragen vertrauter Mantel. Mein wirkliches Ich, die Essenz meiner Person, der wichtige Teil von mir: meine Seele, mein Geist, meine Persönlichkeit – wie auch immer Sie es nennen möchten – befand sich unter der Zimmerdecke.«8 Die Entbehrlichkeit des Körpers als Merkmal für das Personsein ist hier ganz unverkennbar.

Der Vergleich des Körpers mit einem Mantel, den man abgelegt hat, weil man ihn nicht mehr benötigt, begegnet auch im Bericht eines 29-jährigen Unfallopfers: »Plötzlich stand ich hinter den Ärzten und sah auf meinen Körper. Ich trieb dann von ihnen weg auf ein helles Licht zu und schwebte plötzlich doch über mir und jener weißen Menschengruppe, die sich da über den Menschen beugte, von dem ich wusste, dass ich etwas mit ihm gemeinsam hatte: Jener Körper war mein Mantel, den ich aber nicht brauchte.«9

Vergleichbares wird im Zusammenhang mit einem schweren Sportunfall in einer Turnhalle wiedergegeben: »Ich schaukelte an den Ringen so heftig und übermütig, dass ich mich plötzlich in großer Höhe nicht mehr mit den Händen halten konnte und abrutschte. Die Landung war entsprechend hart ... Durch den Aufprall ging mir buchstäblich die Luft aus, und meine Seele verließ meinen Körper mit diesem letzten Atemzug. Ganz, ganz langsam stieg sie nach oben unter die hohe Decke der Turnhalle. Was ich heute noch sehr eigenartig finde, ist die Tatsache, dass ich nun alles aus dieser Position sehen konnte – kann man mit der Seele denn sehen? Aber genau so war es. Ich sah mich dort unten liegen, meine Mitschüler kamen herbeigelaufen und schauten auf meinen Körper herunter, riefen aufgeregt nach der Lehrerin.«10

Nur selten berichten Betroffene von Sorge oder Angst um den eigenen Körper oder vor der Trennung von ihm. Auch die Schülerin, die beim Turnen abstürzte, ist frei von Furcht: »Ich fühlte mich nur als Beobachterin, die über den Dingen stand. Es war ein Gefühl des höchsten Glückes, das ich empfand.« Dem zurückgelassenen Körper gegenüber besteht eine entsprechende Gleichgültigkeit. Was man als so unvergleichlich positiv erlebt, kommt ja ohne ihn zustande.

Dass die Berichterstatterin in diesem Falle davon spricht, ihre »Seele« habe ihren Körper verlassen, ist nicht unproblematisch. Sie empfindet das offenkundig auch selbst, wenn sie fragt: »... kann man mit der Seele denn sehen?« Die Unterteilung des Menschen nach Leib und Seele ist ja sprachlich sehr geläufig. Wir finden sie zum Beispiel in der Redensart, dass Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhalte. Auch die medizinische Disziplin der »Psychosomatik« legt diese Unterteilung in gewisser Weise nahe. Und in bestimmten Traditionen der religiösen Vorstellungswelt ist die Teilung des Menschen in Leib und Seele selbstverständlich. Im hier betrachteten Zusammenhang scheint der Begriff »Seele« aber nicht unproblematisch zu sein. Man erlebt sich ja nicht so, als bestünde man nur noch aus einem Teil seiner selbst, der Seele heißt, sondern ist nach wie vor eine Ganzheit. Die erstaunte Frage nach der Sehfähigkeit der Seele bringt das zum Ausdruck wie die zuvor zitierte Wahrnehmung dessen, was sich vom Körper gelöst hat, als »mein wirkliches Ich, die Essenz meiner Person, der wichtige Teil von mir«.

Es erscheint darum sinnvoll, wenn der niederländische Forscher Pim van Lommel von »Bewusstsein« statt von »Seele« und sogar von einer neuen Art von Körperlichkeit spricht: »Man empfindet den neuen, schwerelosen Körper als einen spirituellen, beziehungsweise immateriellen Körper, der ohne jeden Widerstand durch Mauern oder Türen hindurchgehen kann.«11 Die Wahrnehmungen während der Befreiung des Bewusstseins vom sterbenden Körper, über die immer wieder berichtet wird, sind für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Nahtoderfahrungen von besonderer Bedeutung. Denn die Angaben, die in diesen Fällen gemacht werden, sind ja überprüfbar. Die in der jeweiligen Situation anwesenden Personen – zumeist Ärzte und/oder Pflegepersonal – kann man ja befragen hinsichtlich des objektiven Realitätsgehalts dessen, was Menschen, die »zurückgeholt« werden konnten, als außerkörperliche Erlebnisse und Beobachtungen berichten.

Verblüffendes kommt dabei vor. Zum Beispiel erinnert sich ein wiederbelebter Patient besser als das Pflegepersonal daran, wohin man sein Gebiss gelegt hat, das man ihm während seiner Bewusstlosigkeit, also zu einem Zeitpunkt, als er nichts wahrnehmen konnte, aus dem Mund genommen hatte.12 Auch ist immer wieder bestätigt, dass Betroffene exakte Angaben zu Vorgängen machen können, von denen sie auch dann nichts hätten wissen können, wenn sie nicht bewusstlos gewesen wären. Weil sich diese Vorgänge beispielsweise hinter ihrem Rücken bzw. am Kopfende von Bett oder Bahre abspielten. Wie viele Personen sich dort befanden und was sie taten, kann aber genau wiedergegeben werden. Manche Menschen mit einer Nahtoderfahrung können exakt angeben, welche Angehörigen sich in einem Nebenraum aufgehalten haben, und dies selbst dann, wenn die Angehörigen dort erst eintrafen, nachdem der oder die Sterbende bereits bewusstlos war. Weil diese Phänomene immer wieder bestätigt sind, kann man einen bestimmten Erklärungsversuch für Nahtoderlebnisse bereits ausschließen, nämlich die Annahme, dass es sich dabei um Halluzinationen handeln könnte. »Denn Halluzinationen sind sinnliche Wahrnehmungen, die zwar subjektiv als real erlebt werden, die jedoch objektiv mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen.«13

Im außerkörperlichen Zustand kann es sogar vorkommen, dass Vorgänge im Bewusstsein anderer anwesender Personen erfasst werden: »Ein junger Mann wurde von einem Arzt nach einem Herzstillstand wiederbelebt. Dieser hatte auf der Fahrt zur Klinik gerade einen Auffahrunfall verursacht und quälte sich mit der Frage, ob er bei größerer Achtsamkeit den Unfall nicht hätte vermeiden können. Am nächsten Tag berichtete der junge Mann dem Arzt anlässlich der ersten Visite von seiner NTE. Er schilderte ihm alle Vorgänge während des Wiederbelebens ... Erstaunt hörte der Arzt der Erzählung zu, die darin endete, dass der Wiederbelebte ihm tröstlich versicherte, er solle sich nicht wegen seines Unfalls sorgen, da er doch seinerseits so viel Gutes für andere täte. Geradezu schockiert musste der Arzt zur Kenntnis nehmen, dass sein mit Herzstillstand wiederbelebter Patient währenddessen sich mit dem Bewusstseinszustand und den darin anzutreffenden Sorgen seines ihn behandelnden Arztes befasst hatte.«14

Für die wissenschaftliche Klärung außerordentlich herausfordernd ist darüber hinaus die Tatsache, dass auch der Wahrheitsgehalt von NTE-Berichten Blinder bestätigt werden konnte, die sehen konnten, nachdem sie ihren Körper verlassen hatten. Besonders spektakulär ist dabei der Fall einer Engländerin, die zu früh geboren worden war und infolge einer ungenügenden Versorgung nach der Geburt noch nie hatte sehen können. 1973 berichtete diese Blindgeborene in einer Fernsehsendung der BBC eindrucksvoll davon, wie sie nach einem Unfall infolge einer Schädelfraktur ins Koma fiel. Sie erlebte eine NTE mit der Erfahrung, ihren Körper zu verlassen, und konnte in diesem Zustand, was sie bisher nicht konnte: In der Notaufnahme des Krankenhauses sich oberhalb ihres Körpers befindend, konnte sie die anwesenden Personen nicht nur hören, sondern auch sehen. Dieses nie zuvor Erlebte löste zunächst eine gewisse Ängstlichkeit aus, dann aber eher Verzückung: »Es war unglaublich, wirklich fantastisch, ich war überwältigt von dieser Erfahrung, denn schließlich hatte ich nie eine Vorstellung davon gehabt, was Licht eigentlich ist.«

Auch Farbenblindheit kann während einer Nahtoderfahrung aufgehoben sein: »Ich sah wirklich die leuchtendsten Farben – was besonders erstaunlich war, da ich farbenblind bin. Die Primärfarben kann ich zwar auseinanderhalten, aber Pastelltöne sehen für mich alle gleich aus. Damals konnte ich sie plötzlich doch unterscheiden, sogar in vielfältigen Nuancen. Fragen Sie mich nicht nach den Namen, denn die kenne ich nicht.«15 Das Überwältigende dieser Erfahrungen ist für normal sehende Menschen wohl kaum nachzuvollziehen. Denn die blind geborene Frau versicherte ja, dass sie als Blindgeborene auch niemals die Farbe Schwarz gesehen habe, sondern immer nur nichts.

Lichttunnel

Eher nachvollziehbar dürften demgegenüber die Tunnel- und Lichterlebnisse sein, von denen Menschen mit einer NTE berichten: »Dann sah ich einen Tunnel, dessen Eingang an der Schlafzimmerwand über dem Bett lag und der sich anscheinend unendlich weit ausdehnte ... Er sah wie der Schlauch eines Staubsaugers aus. Am Ende dieses Tunnels sah ich ein Licht und ich spürte, dass es sehr weit von mir entfernt war. Es war sehr hell, doch es schmerzte nicht in den Augen.«16

Wenn eine NTE mit der Wahrnehmung eines Tunnels, durch den man sich zumeist mit sehr hoher Geschwindigkeit hindurchbewegt, verbunden ist, dann wird in nahezu allen diesen Fällen auch ein Licht wahrgenommen, auf das man sich zubewegt: »Die Reise durch den Tunnel ist offenbar der Übergang von unserer physischen Welt in eine andere Dimension, in der Zeit und Distanz keine Rolle mehr spielen. Das Erlebnis, sich durch einen Tunnel auf ein Licht zuzubewegen, ist zu einem Synonym für eine Nahtoderfahrung geworden.«17 Das hat insofern auch ein gewisses Recht, als das Tunnelerlebnis immer die Trennung vom Körper zur Voraussetzung hat. Es tritt also nur in Verbindung mit eben dieser Trennung auf, während andere Wahrnehmungen während eines Nahtoderlebnisses nicht unbedingt die Trennung vom Körper zur Voraussetzung haben. Die weiter unten beschriebene Erfahrung, einen »Lebensfilm« zu sehen, ist dafür ein Beispiel.

Auch im Hinblick auf die Tunnel- und Lichterfahrungen heben alle Menschen, die darüber berichten, die absolute Außergewöhnlichkeit des Erlebten hervor. Durchweg betonen sie, niemals zuvor Vergleichbares gekannt zu haben. Man könne die Art dieses Lichts gar nicht wirklich beschreiben: »Das Licht, dem ich mich jetzt näherte, war anders als jedes Licht, das ich je zuvor gesehen hatte; es war nicht mit einem Licht wie dem Sonnenlicht zu vergleichen. Es war ein kräftiges, gleißendes Licht, in das man dennoch mühelos hineinschauen konnte.«18