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Julian Kappler

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Beschreibung

Zusammen mit dem weisen Magier Derio und der Kriegerin Esme hat Gero es hinter die prunkvollen Mauern der legendären Magierstadt Talunis geschafft. Hier gilt es, weitere mysteriöse Artefakte zu finden, die sogenannten Steine der Götter. Doch die Stadtmauern bieten wenig Schutz vor Schwarzmagiern und Dämonen, die ebenfalls hinter diesen Edelsteinen her sind, denen man göttliche Macht zuschreibt. Planen die Diener des dunklen Gottes S’zaroz vielleicht sogar einen Angriff auf die Stadt? Werden sich die geheimnisvollen Prophezeiungen der zehn Kirchen bewahrheiten und die Anhänger der zehn Götter siegen oder werden Orks und die Mächte des Bösen im aufziehenden Krieg die Oberhand behalten? Auch die dritte Macht, der geheime Rat der Grauen, beginnt sich in das Schachspiel zwischen Gut und Böse einzumischen ... »Wenn du nicht versuchst, nach den Sternen zu greifen, wirst du sie auch niemals in der Hand halten können.« Gero in Götterfeuer

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Götterfeuer

 

Die Steine der Götter 2

 

JULIAN KAPPLER

Inhaltsverzeichnis

WAS BISHER GESCHAH

KAPITEL I

KAPITEL II

KAPITEL III

KAPITEL IV

KAPITEL V

KAPITEL VI

KAPITEL VII

KAPITEL VIII

KAPITEL IX

KAPITEL X

KAPITEL XI

APPENDIX A: DIE GÖTTER SOLANDIENS

APPENDIX B: DIE PROTAGONISTEN

APPENDIX C: BESTIARIUM

DANKE

IMPRESSUM

 

 

 

 

WAS BISHER GESCHAH

 

 

In einer Taverne im rauen Norden des Kaiserreichs der Menschen hatte der junge Krieger Gero Grünfels bei einer Schlägerei neben Derio Blitz, einem leibhaftigen Magier, auch die bildschöne Kriegerin Esme von Lendaya kennen und schätzen gelernt.

Ebenso schnell wie unerwartet fanden sich die Drei in einem mysteriösen Abenteuer wieder. Nur wenige Tage nach ihrem Zusammentreffen entdeckten die drei Gefährten nach dem Aufwachen Zettel mit »freundlichen« Warnungen in ihrem Gepäck. Die sogenannten Dreizehn rieten Gero, Esme und Derio, sich besser aus der Umgebung fernzuhalten. Außerdem sollten sie nicht versuchen, den Würfel des Wiesels zu finden.

Keiner der drei Gefährten dachte daran, sich einschüchtern zu lassen, so dass sie sich sofort auf die Suche nach diesem geheimnisvollen Artefakt machten.

Diese Suche führte die Drei zu einem kleinen Tempel der Juania, der Göttin der Wahrheit und des Lichts. Dort hörten Gero und seine Gefährten die Legende vom Krummsäbel der zehn Götter.

 

Etwa vor einem halben Jahrhundert, als die Heere der Orks und ihre Verbündeten einen gewaltigen Angriff auf das Kaiserreich planten, war die kaiserliche Armee durch glückliche Umstände gut vorbereitet. Alle vier dem Kaiser unterstellten Königreiche der Menschen boten ihre besten Krieger und Magier auf.

Doch auch die Orks hatten ihre Bündnisse und Pläne geschmiedet. Das Böse wusste Schwarzmagier aus den finsteren Landen im Norden auf seiner Seite. Es kam also zu einer fürchterlichen Schlacht.

Zunächst sah es noch gut aus für die Kaiserlichen. Die Reihen der kaiserlichen Fußsoldaten standen felsenfest, genau wie von den Offizieren des Kaisers geplant.

Doch dann sollte sich das Blatt unerwartet zum Schlechten wenden, als ein Stoßtrupp des Feindes die kaiserlichen Formationen durchbrach. Eine Truppe von einhundert Orks wütete in den Reihen des Guten. Unter ihnen war der oberste Heeresführer der Orks, der fürchterlichste und grausamste von allen. Über drei Schritt groß und von einer Panzerrüstung aus schwarzem Stahl geschützt, streckte er mit jedem Hieb mindestens einen kaiserlichen Soldaten nieder.

Schnell begannen die meisten Soldaten, planlos zu flüchten. Doch ein kleiner Trupp von zehn kaiserlichen Infanteristen näherte sich furchtlos dem Anführer der Orks. Die zehn Tapferen wurden von Bernhelm Ehrwald angeführt. Bald wurde klar, dass es auf einen Zweikampf hinauslaufen würde.

Auf der einen Seite ein über drei Schritt großer Ork mit einem schier gewaltigen Schwert in einer Rüstung aus pechschwarzen Stahlplatten. Auf der anderen Seite ein eher kleinwüchsiger Krieger, bewaffnet mit einem Krummsäbel.

Tapfer wehrte Bernhelm die ersten Schläge des riesigen Orks ab, aber er spürte, dass sein Säbel sehr bald unter der widernatürlichen Kraft der Orkhiebe zerbersten würde. In diesem Moment betete er zu allen zehn Göttern. Er betete, dass die Zehn ihm die Kraft und das Geschick verleihen mögen, mit seinem Säbel durch den Panzer des Orks zu dringen.

Und tatsächlich war sein Hieb von solch einer Wucht, dass das ganze Schlachtfeld erbebte. So war auch die unheilige schwarze Magie der Rüstung nicht stark genug und der Panzer des Orks zersprang in tausende Teile, was auch das Ende des orkischen Heerführers bedeutete.

Ob dieser übermenschlichen Kraft zersplitterte jedoch auch der Krummsäbel des Kriegers in genau zehn Teile. Dies wird als Beweis dafür gewertet, dass die zehn Götter ihm diese Kraft verliehen hatten.

Als Andenken an diese Heldentat sammelten Geweihte der zehn Götter die zehn Bruchstücke des Säbels und trugen sie zum nächsten Tempel des obersten Gottes der Schmiedekunst Bogrosch. Denn nur dort herrschen in der Feuersglut Temperaturen, die sogar Steine zum Schmelzen bringen können. In diesem Tempel wurden zehn wertvolle Edelsteine geschmolzen, auf dass diese Steine die Bruchstücke des Schwertes so lange bewahren, bis die Mächte des Bösen wieder das Gute bedrohen. Der oberste Hohepriester einer jeden Kirche nahm jeweils einen dieser Steine, um ihn an einem geheimen Ort zu verwahren.

 

Einer dieser zehn Edelsteine, Steine der Götter genannt, war der Würfel des Wiesels. Dieser war Surlaks, dem Gott des Glücks und der List, geweiht und befand sich angeblich in einem Versteck in nicht allzu weiter Entfernung.

Der Hohepriester gab den Gefährten Hinweise, mit denen sie den Weg zur Höhle finden sollten, in welcher dieser Stein verborgen war.

In diesem Höhlenlabyrinth benötigten sie Geros Mut, Derios Weisheit und Esmes Göttervertrauen, um zahlreiche Prüfungen zu bestehen, gefährliche Fallen zu überwinden und komplizierte Rätsel zu lösen.

Schlussendlich gelangte der Würfel des Wiesels, ein würfelförmiger Edelstein, in welchem tatsächlich das Bruchstück eines Säbels eingeschlossen war, in die Hände der drei Helden. Als die drei Gefährten die Höhle wieder mit dem Kleinod verließen, wartete eine unangenehme Überraschung in Form der Dreizehn auf sie: zwölf schwerbewaffnete Kämpfer und ein Magier.

Die einzige Chance, dieser Bande zu entkommen, war ein magisches Portal im Höhlenlabyrinth, welches den Gefährten schon zuvor aufgefallen war. Das bläulich schimmernde Tor bot eine Fluchtmöglichkeit in die Große Wüste.

Dorthin geflohen, schleppten die drei Gefährten sich durch die Hitze des endlosen Sandmeers. Schließlich fanden sie sich in der Wüstenstadt Xemal wieder.

In einer der folgenden Nächte hatte Derio eine Art Eingebung. Nachdem sie mit dem ersten der Steine der Götter in der Wüste gelandet waren, war es offensichtlich der Wille der Götter, dass sie das Artefakt des Vurunus, des Gottes des Übergangs zwischen den Welten, bergen sollten. Diesen nächsten Edelstein vermutete Derio in einer Höhle, die kürzlich vom Wüstenwind freigeweht worden war und in der angeblich lebende Tote ihr Unwesen trieben.

Schnell organisierten die Drei eine Expedition zur besagten Höhle. In diesem Labyrinth galt es zahlreiche untote Kreaturen, Todesängste, tiefe Schluchten und einen See voll schwarzem, giftigem Wasser zu überwinden.

Schlussendlich gipfelte der steile Pfad der Herausforderungen in dem Duell mit einem mächtigen Skelettkönig, welcher aus reinem Schatten bestand. Der zweite Stein der Götter, welcher Vurunus geweiht war, belohnte die Gefährten für ihre Mühen.

Trotz dieses Erfolges war Gero, Esme und Derio noch keine Rückkehr in das Kaiserreich vergönnt. Der Stein der Liebe, ein der Göttin Chandoria geweihter Rubin, war vor knapp fünfzig Jahren geraubt worden. Nun befand sich dieses Kleinod bestens bewacht in einer der Schatzkammern des Sultans des Wüstenvolks.

Weder Derio noch die beiden Krieger sahen sich in der Lage, einen Einbruch in den Palast des Sultans zu planen und durchzuführen. Daher suchten die Drei sich Hilfe und fanden diese schließlich in einem Meisterdieb, der sich Sandfuchs nannte und nach eigener Aussage der Beste war.

Nach einigen Tagen waren eine Replik des Steins der Liebe angefertigt und detaillierte Karten des Palasts besorgt. Außerdem waren Gero, Esme und Derio vom Sandfuchs im Schleichen und Klettern trainiert worden.

Als der Tag des Coups gekommen war, galt es diese neuen Fertigkeiten anzuwenden und Palastwachen lautlos außer Gefecht zu setzen. Auch mussten zahlreiche verschlossene Türen und sogar magische Fallen überwunden werden. Dank des Geschicks des Meisterdiebs und einer gehörigen Portion Glück gelang es schließlich Esme, ungesehen in die Schatzkammer zu gelangen und dort den Stein der Liebe gegen eine Replik auszutauschen.

Um nun, mit drei Steinen der Götter im Gepäck, ins Kaiserreich zur Magierstadt Talunis zu gelangen, hatten Gero, Esme und Derio sich einer Handelskarawane als Söldner angeschlossen. Sehr zur Überraschung der Gefährten tauchte der Sandfuchs am Morgen, an dem die Karawane beladen wurde, doch noch auf und überreichte jedem der Drei eine Art Abschiedsgeschenk.

Nach tagelanger, eintöniger Reise durch die endlosen Sanddünen kam endlich das Graue Gebirge in Sichtweite. Während der letzten Nacht in der Wüste hatten Gero, Esme und Derio seltsame Träume, die wie ein schwacher Windhauch eine kaum merkliche Saat der Zwietracht im Unterbewusstsein der Gefährten zurückließen.

Als sie den ersten Gasthof am Fuße des Grauen Gebirges erreicht hatten, verkündete der Karawanenführer, dass sich die Karawane nun von den drei Gefährten trennen würde. Angeblich würden sie das Böse anziehen. In der Tat hatten Gero, Esme und Derio, die von nun an ihren Weg zu Fuß fortsetzten, das seltsame Gefühl, irgendwie beobachtet oder verfolgt zu werden.

Erstes sicheres Indiz dafür waren fünf pechschwarze Hengste, die vor einem Gasthof nördlich des Grauen Gebirges angebunden waren. Die magischen Präsenzen, die Derio dort fühlte, ließen den Magier vermuten, dass fünf mächtige Meister der schwarzen Magie ihnen auf den Fersen waren. Eine Befürchtung, die sich als nicht unbegründet erweisen sollte.

Letztendlich gelangten die drei Gefährten trotz Allem hinter die schützenden Mauern der berühmten Magierstadt Talunis. Mittelpunkt der Stadt war der überaus beeindruckende, zwölfhundert Schritt hohe Turm der Academia der Hohen Magicae Taluniasis. Die Bewohner der Stadt nannten diese Magierakademie meist einfach nur das Institut.

In besagtem Institut erwartete man sie, um über eine gut fünfzig Jahre alte Prophezeiung zu sprechen. Es wurden drei Helden beschrieben und nur diese Drei wären in der Lage, den Stein der Taluna aus seinem Versteck zu bergen. Dieser Edelstein, auch Stein der Weisheit genannt, war von dem damaligen Leiter der Fakultät für Hellsicht sicher eingelagert worden.

Der Besuch in der Fakultät für Hellsicht am nächsten Morgen verlief ganz anders als erwartet. Der Fakultätsleiter bestand darauf, dass Derio und seine Gefährten vier Steine der Götter auf seinen Tisch legen sollten. Als die Drei ihm deutlich machten, dass nur drei der Edelsteine in ihrem Besitz waren, verjagte er sie unter wüsten Beschimpfungen aus seinem Labor. Sie hätten noch fünf Tage Zeit, um mit genau vier Steinen zurückzukehren, sonst würde die Dunkelheit über das Licht siegen.

 

Währenddessen ahnten die Drei noch nichts von der geheimnisvollen dritten Macht, die begann, ihr Netz der Intrigen im Hintergrund zu spinnen. Der Rat der Grauen war eine der mächtigsten und gewiss die ungewöhnlichste derer Gruppen, welche das Schicksal der Welt zu beeinflussen suchten. Aber im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen trachteten die Grauen nicht nach dem ultimativen Sieg oder nach unermesslicher Macht. Sie hatten sich einzig und allein dem Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit verschrieben.

Die Grauen hatten erkannt, dass sowohl die Strippenzieher auf Seiten des Lichts, die weißen Schachspieler, als auch der Gegenpart, der dunkle Schachspieler, dasselbe Ziel hatten. Beide Machtblöcke trachteten nach zehn bestimmten Artefakten voller göttlicher Macht.

Aus Sicht der Grauen galt es dies zu verhindern, um das Gleichgewicht nicht zu gefährden. Da der Rat der Grauen stets im Verborgenen operierte, wurden zunächst Pläne geschmiedet und Spione in alle Ecken des Kontinents Solandien geschickt.

 

 

 

KAPITEL I

 

 

Jahr des Kaisers (J.d.K.) 987, neunzehnter Tag im achten Mondzyklus, Wüstenstadt Xemal

 

Ein ohrenbetäubendes Knallen und Zischen sowie laute, zornige Stimmen ließen den Sandfuchs abrupt aus seinem wohlverdienten Schlaf hochschrecken.

»Bei Xor und Xar! Das ist Widerstand gegen die Beamten des Sultans!«

Die Menschen des Wüstenvolkes verehrten Xor und Xar als die angeblich einzigen zwei wahren Götter. Ein eklatanter Widerspruch zu dem Glauben an die Zehn, der im Kaiserreich der Menschen vorherrschte. Der Sandfuchs selbst war da eher ein Pragmatiker und hatte seine Gebete sicherheitshalber stets an alle ihm bekannten Gottheiten gerichtet.

»Der Magiegelehrte soll sofort den ganzen Rauch im Eingangsbereich beseitigen«, bellte eine der wütenden Stimmen. »Trupp eins umstellt das Haus und Trupp zwei stürmt rein, sobald der Rauch abgezogen ist.«

Das zeigte einerseits, dass seine Maßnahmen gegen unerwünschte Eindringlinge in seine kleine Villa von Erfolg gekrönt waren. Einfache Alchemie und einige Pülverchen, die der Sandfuchs bei einem befreundeten Apotheker erstanden hatte. Andererseits bedeutete das aber auch, dass der dreiste Diebstahl im Palast des Sultans doch irgendwie aufgeflogen sein musste. Wäre nur einer seiner kleineren, harmlosen Beutezüge aufgedeckt worden, hätte man nicht gleich zwei Trupps Soldaten und dazu noch einen Magier geschickt.

Da der Meisterdieb es vermutlich mit mindestens siebzehn Gegnern zu tun hatte, blieb ihm nur die Flucht – obwohl er sein luxuriöses Domizil nur äußerst ungern aufgab.

Der Sandfuchs hatte sich in Sekundenschnelle seine Armbrust, ein Kurzschwert und den Beutel mit seinen wichtigsten Wertgegenständen geschnappt und eilte in das untere Stockwerk seines Hauses.

Nur wenige Augenblicke, nachdem der Sandfuchs sein Trainingszimmer mit der Kletterwand betreten hatte, stürmte bereits der erste Trupp von acht Wachen aus der Garde des Sultans in den Raum.

Der Anführer der mit Kettenhemden und Zweihandsäbeln schwer gerüsteten Soldaten lachte siegesgewiss auf, da er den Sandfuchs in der Falle wähnte.

Genau wie mehrmals im Geiste geplant, schwang sich der Sandfuchs mit geübten Handgriffen die mit Haken bestückte Kletterwand hinauf, während er die schwer bewaffneten Soldaten einfach ignorierte.

Zwei besonders optimistische Palastwachen versuchten, ihm in voller Montur auf der Klettertour zu folgen. Ein Vorhaben, welches dank der schweren Kettenrüstungen natürlich zum Scheitern verurteilt war.

»Ihr hirnlosen Söhne einer Goblinhure«, brüllte der Hauptmann zornig. »Lasst ihn doch nicht einfach klettern, wie es ihm gefällt. Bei Xor und Xar! Fünfzig Sultanstaler für den, der ihn mit der Armbrust da runterholt.«

Als die ersten Soldaten ihre Armbrüste herausgeholt und gespannt hatten, hangelte sich der Sandfuchs bereits an der Decke entlang in Richtung der kleinen Ausstiegsluke zum Dach. Da das Licht der wenigen Fackeln des Trupps kaum bis zur Decke reichte, mussten sich die Schützen mehr auf ihr Gehör und das schiere Glück verlassen, um einen Treffer zu landen.

Surlaks, der Gott der Listigen und Flinken, war allerdings mit dem Sandfuchs, so dass dieser unbehelligt durch die kleine Dachluke klettern konnte, um diese sogleich mit einem hämischen Spruch zu schließen. »Niemand holt den Sandfuchs so leicht von der Decke, ihr Hirnlosen. Ich bin der Beste.«

Auf dem Dach angekommen zögerte der Sandfuchs keinen Wimpernschlag, um sogleich einen vorsorglich versteckten Beutel mit Ausrüstung für eine übereilte Flucht unter einem losen Dachziegel hervorzuholen.

Aufgrund der engen Bebauung in der Wüstenstadt Xemal war es durchaus möglich – wenn man gut geübt war –, vom Dach einer Villa auf die Gartenmauer und von dort auf das Dach der Nachbarvilla zu springen. Erst in dem Moment, als der Sandfuchs behände auf der Mauer landete, erkannten die Männer des Sultans ihre Fehlplanung.

»Ihr Idioten«, brüllte der wild gestikulierende Hauptmann des zweiten Trupps, der das Haus umstellt hatte. »Ladet die Armbrüste! Blast sofort die Signalhörner. Ich will, dass das ganze Viertel abgesperrt wird.«

Während die Soldaten relativ hilflos wirkten und versuchten, den im fahlen Mondschein kaum noch zu erkennenden Meisterdieb mit ihren Armbrüsten anzuvisieren, wusste einzig und allein der Magiegelehrte des Sultans sich zu helfen. Der Magier murmelte eine sehr kompliziert wirkende Formel und schleuderte im Anschluss mit seinem Stab einen zischenden Feuerblitz auf den Flüchtenden.

Der Sandfuchs unterdrückte einen Schmerzensschrei und biss die Zähne zusammen, um seine Flucht über die Dächer Xemals in unvermindertem Tempo fortzusetzen. Seine Schulter war vermutlich verbrannt, aber das konnte und musste warten. Zum Glück waren die Fähigkeiten der Magiegelehrten des Sultans weit von denen eines richtigen Magiers entfernt. Ein Meister oder Adept aus der Akademie in Nordwacht beispielsweise hätte dafür sorgen können, dass nur noch gegrillter Fuchs zu Boden gefallen wäre.

Trotz der Tatsache, dass der Sandfuchs der Beste seiner Profession war, hatte der schwerste Teil seiner Flucht gerade erst begonnen. Er würde die schwer gesicherte Stadt Xemal verlassen müssen und anschließend die Große Wüste durchqueren, um ins Kaiserreich zu gelangen. Die Götter des Wüstenvolkes Xor und Xar waren nicht mehr mit ihm. Die zehn Götter hingegen, insbesondere Surlaks, schienen den Sandfuchs zu beschützen, so dass es für ihn nur naheliegend war, sich unter die Anhänger der Zehn zu gesellen.

Jahr des Kaisers (J.d.K.) 987, vierter Tag im neunten Mondzyklus, Magierstadt Talunis

 

Seine beiden Gefährten, die blonde Kriegerin Esme und der Magier Derio mit seinem langen, braunen Bart, schauten nur ratlos in der Gegend herum. Gero hingegen biss hungrig in das köstlich duftende Brot, welches mindestens genauso gut schmeckte, wie es auch schon gerochen hatte.

Links von Gero saß Esme auf den Marmortreppen des magischen Instituts der Stadt Talunis. Esme hatte erst vor kurzer Zeit ihre wahre Herkunft erfahren. Ihr Vater war ein uneheliches Kind des Bruders von Bernhelm Ehrwald. Somit gab es also doch noch eine Erbin des berühmten Helden und Krummsäbelkämpfers. Seine Gefährtin war also die Großnichte und letzte lebende Blutsverwandte des legendären Kriegers, dessen Säbel einst in zehn Teile zersprang. Offenbar trachtete eine geheimnisvolle Macht des Bösen danach, alle Verwandten von Bernhelm Ehrwald zu töten. Auch der Mord an Esmes Familie durch eine Orkhorde vor vielen Jahren – damals war sie noch ein Kind – erschien mittlerweile in neuem Licht. Kein Wunder, dass Esme häufig so griesgrämig aus der Wäsche schaut, dachte Gero sich.

Zur Rechten von Gero hockte sein Freund und Gefährte Derio auf den marmornen Treppenstufen und starrte nachdenklich in die Ferne. Der Magier hatte vor Kurzem seine Ausbildung zum Adepten an der Akademie im fernen Nordwacht abgeschlossen. Weil alleine die Ausbildung zum magischen Adepten schon gut zwanzig Sommer und Winter in Anspruch nahm, war Derio rund zehn Lebensjahre älter als seine beiden Gefährten. Der lange Bart betonte diese Lebenserfahrung zusätzlich.

»Wisst ihr was?«, brachte Gero schmatzend zwischen zwei Bissen Brot hervor. »Vielleicht sollten wir unsere Suche nach dem fehlenden Stein einfach im Ahlontempel beginnen und bei dieser Gelegenheit dann gleich noch den ein oder anderen Laib von dem leckeren heiligen Brot kaufen …«

Derio gab ein überraschtes Lachen von sich und klopfte Gero anerkennend auf die Schulter. »Gero, manchmal bist du einfach genial. Wir besuchen nicht nur den Ahlontempel, sondern alle Kirchen hier in Talunis, die uns möglicherweise mit einem Stein der Götter weiterhelfen können«, schlug der Magier sogleich vor.

Auch in den blauen Augen der sonst so ernsten Kriegerin Esme meinte Gero, ein freudiges Funkeln zu erkennen. »Abzüglich der drei Steine in unserem Besitz und dem Stein der Weisheit, der sich im Turm des magischen Instituts befinden soll, bleiben also noch sechs Steine beziehungsweise Kirchen«, stellte Esme fest.

»Ahlon, der Gott der Ernte und Gastfreundschaft. Der Kriegsgott Marlox. Juania, die Göttin der Wahrheit und des Lichts«, begann Derio die Aufzählung der Götter, deren örtliche Tempel sie besuchen würden.

»Bogrosch, der Gott der Handwerker und Beschützer der Zwerge. Valiana, die Herrin über Wind und Wasser. Und Ysdariah, die geheimnisvolle Beschützerin der Trolle und Riesen sowie Göttin des Ewigen Eises und der Standhaftigkeit«, vollendete Esme Derios Auflistung.

Gero hatte den Brotlaib inzwischen gänzlich vertilgt und meinte fröhlich: »Also besucht heute jeder von uns zwei Tempel. Das schaffen wir dann an einem Tag. Ich nehme auf jeden Fall den Ahlontempel.« Nach kurzem Nachdenken ergänzte er: »Meinetwegen auch Bogrosch, da ich ja angeblich der Schmied aus der Prophezeiung bin.«

Nachdem auch Esme und Derio sich für je zwei Tempel entschieden hatten, wollten die drei Gefährten gerade aufstehen, als Derio doch noch etwas einfiel. »Ach, zwei Dinge«, brummte er in seinen Bart. »Zum Mittag können wir in der Mensa Academica des Instituts speisen. Meister Garon, einer meiner alten Lehrmeister, weilt, wie ihr wisst, auch in der Stadt. Er ist so freundlich und zahlt unsere Zeche für Speis und Trank. Außerdem bietet das Institut von Talunis an, unsere drei Steine der Götter sicher zu verwahren, während wir in der Stadt unterwegs sind. Die Kammer der verbotenen Formeln sollte wohl einen besseren Schutz vor Taschendieben und anderem Gesindel bieten als unsere Beutel.«

Mit einem Nicken signalisierten Gero und Esme, dass sie mit den beiden Vorschlägen ihres weisen Freundes einverstanden waren. Die Gefährten hatten wieder einen Plan.

J.d.K. 987, vierter Tag im neunten Mondzyklus, Grafschaft Blauensee im Nordwesten des Königreichs Lugarland

 

Nachdenklich betrachtete Shylandra das Schreiben mit ihren Befehlen, welches sie unter normalen Umständen bereits in das hungrige Kaminfeuer ihres kleinen angemieteten Zimmers geworfen hätte. Die Unterschrift ihres vorgesetzten Offiziers war korrekt. Zusätzlich hatte ein hoher Priester der Juania unterschrieben, um die Wichtigkeit des Auftrags für den Kaiser und die zehn Kirchen zu betonen. Auch das aus speziellem Wachs gefertigte Siegel des kaiserlichen Geheimdienstes war vorhanden. In das Pergamentpapier waren feinste Fäden aus Silber und Gold eingewoben, wie es nur die Alchemisten in der kaiserlichen Druckerei mit großem Aufwand zu vollbringen vermochten.

Da ihr der Auftrag an sich einfach zu ungewöhnlich erschien, machte Shylandra noch eine letzte Probe, bevor sie das Pergament ins Feuer warf. Normalerweise verzichtete die junge Frau aus Bequemlichkeit auf diese Überprüfung. Die Codewörter in der Kopfzeile des Schreibens stimmten mit den in ihrem kleinen geheimen Codebuch hinterlegten Wörtern für den ersten Befehl im aktuellen Mondzyklus überein. Die geheimen Wörter in der Fußzeile bestätigten den Zielort Talunis. Bereits der Name der vielgerühmten Magierstadt machte jedermann klar, dass sich schon die Gründungsväter der Göttin Taluna besonders nahe gefühlt hatten.

Shylandras Irritation rührte allerdings daher, dass es bisher immer ihr Auftrag gewesen war, mit den Klingen ihrer Messer einem oder mehreren Feinden des Reiches den Tod zu bringen. Zumeist machten wohl die Umstände einen Gerichtsprozess oder einen regulären Militäreinsatz unmöglich, so dass der kaiserliche Geheimdienst tätig werden musste. Die junge Auftragsmörderin hinterfragte jedoch niemals die Gründe ihrer Aufträge, sondern erledigte einfach gewissenhaft ihre Arbeit, welche ihr durchaus Freude bereitete.

Fast hätte ihr Leben vor vier Jahren eine ganz andere Wendung genommen. Damals, sie war ein fünfzehnjähriges Mädchen und ebenso blond, klein und dünn wie jetzt auch noch, hatten drei betrunkene Söldner in einer Taverne versucht, sie mehr als nur unsittlich zu berühren. Am Ende dieser Geschichte gab es drei mit insgesamt über hundert Messerstichen getötete Söldner und ein fünfzehnjähriges Mädchen namens Shylandra, welches über und über mit Blut bedeckt war.

Liebend gerne hätte die zuständige Richterin damals auf Notwehr plädiert, jedoch waren die Gesetze des Kaisers so eindeutig, dass bei mehr als zehn Messerstichen pro Leiche bestenfalls Totschlag als Urteil in Frage kam. Das junge Mädchen wurde daraufhin zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt.

Nach wenigen Wochen war ein Hohepriester der Juania hinzugezogen worden, um über die geistige Gesundheit der Verurteilten zu richten. Shylandra selbst war damals der Meinung gewesen, verrückt beziehungsweise geisteskrank zu sein, da ihr das Töten der Söldner nicht nur leichtgefallen war, sondern auch ungeheure Freude bereitet hatte.

Der hohe Priester hatte Shylandra auf eine gänzlich andere Sichtweise der Dinge gebracht. Ihr Talent und ihre Freude bei dessen Ausübung waren ein Geschenk der zehn Götter. Genau wie bei einem Magier oder einem geschickten Handwerker kam es darauf an, seine Begabung – auch die Fähigkeit mit Messern schnell wie der Wind zu töten – in den Dienst der richtigen Seite zu stellen. So konnte man den Göttern Dankbarkeit zeigen.

Zusammen mit dieser Weisheit hatte der Priester ihr eine Begnadigung im Austausch gegen eine lebenslange Verpflichtung als Auftragsmörderin im Dienste des kaiserlichen Geheimdienstes angeboten. Eine sehr einfache Entscheidung für das junge Mädchen.

Shylandra schüttelte die Gedanken an längst Vergangenes ab und warf das Schreiben mit ihren Befehlen ins Feuer. Dieser Auftrag versprach zum ersten Mal, seit sie dem kaiserlichen Geheimdienst diente, nicht die Freude des Tötens. Sie sollte unverzüglich in die Magierstadt Talunis reisen, um dort drei Personen unauffällig zu beschatten und gleichzeitig vor allen denkbaren Gefahren zu beschützen. Nicht ermorden, tatsächlich beschützen.

Ebenso wie die völlig ungewohnte Natur ihres Auftrags irritierte das Wort »unverzüglich« Shylandra ungemein. Normalerweise waren die Operationen von ihren Vorgesetzten so sorgfältig im Voraus geplant, dass exakte Tage und häufig auch Uhrzeiten für Ab- und Anreise genannt wurden.

Aber Befehl war Befehl. Daher holte sie die Dokumente, die sie als Leila Stolzenthal, Hohe Beamtin der Kaiserlichen Post, auswiesen, aus einem Geheimfach ihres Beutels.

Auf dem Weg zur nächsten Pferdewechselstation überschlug sie die Entfernung nach Talunis und die schnellstmögliche Reisezeit im Kopf. Unverzüglich. Sechsunddreißig Stunden Reiten, kein Schlaf, keine Pausen, sechs der schnellsten Postpferde jeweils bis zur Erschöpfung gequält. Shylandra kannte mit sich selbst fast genauso wenig Mitleid wie mit den Opfern ihrer stets blutdürstigen Messer.

J.d.K. 987, vierter Tag im neunten Mondzyklus, Magierstadt Talunis

 

Derio hatte sich weit mehr von seinem Besuch im Tempel des Marlox versprochen. Im Königreich Noweiten und insbesondere in seiner Heimatstadt Nordwacht waren die dem Kriegsgott geweihten Häuser eindrucksvolle Bauten, stets in bester Lage und jederzeit gut besucht. Die Kirche des Marlox in Talunis hingegen residierte in einem schlichten zweistöckigen Zweckbau zwischen den Stallungen der Kaiserlichen Armee und dem Hauptquartier der örtlichen Stadtwache.

Auch der Informationsgewinn durch den Besuch war sehr mager. Der Tempelvorsteher hatte Derio nur berichten können, dass sich die »Spitze des Schwertes«, so nannte man den Stein des Marlox, auf jeden Fall unzählige Meilen entfernt im Norden befinden müsste. Ob nun möglicherweise in Zehnbergen, in Borburg oder gar in einem Tempel in Nordwacht konnte der Priester jedoch nicht sagen.

Immerhin hatte Derio so noch etwas Zeit vor dem Treffen zur Mittagsstunde gewonnen, die er für einen Bummel über den alchemistischen Markt nutzte. Das Angebot an Pulvern, Tinkturen, Salben, Kräutern und verschiedensten Reagenzien war so reichhaltig, dass Derio beschloss, den Besuch auf dem Markt bei nächster Gelegenheit zu wiederholen. Dann würde er sich allerdings mit den entsprechenden Büchern bewaffnen. Schließlich war Derio kein Theoretiker, der sämtliches Wissen der Alchemie und Pflanzenkunde in seinem Kopf hatte.

 

Als Derio einige Minuten vor der Mittagsstunde die Mensa des Instituts betrat, saß sein alter Meister Garon vom Grauen Tal bereits an einem der Tische und winkte seinen ehemaligen Schüler herbei. Ganz im Gegensatz zu den streng getakteten Tagesabläufen in ihrer Heimat Nordwacht hatte der alte Magier auf seiner Studienreise in Talunis offensichtlich ausreichend freie Zeit.

Während man sich in der Akademie des flammenden Schwertes in Nordwacht in lange Schlangen stellen musste, um von unfreundlichem Personal einen Teller mit etwas halbwegs Essbarem zu erhalten, wurde man in der Mensa der Academia der Hohen Magicae Taluniasis direkt an seinem Tisch bedient. An diesem Tage standen Wachteleier und gepökelter Schweinespeck aus den Seelanden auf dem Speiseplan.

Als sich auch Gero und Esme zu den beiden Magiern setzten, standen bereits vier köstlich duftende Teller und eine Karaffe frischen Quellwassers auf dem Tisch. Das war ein Luxus, wie ihn bisher weder Derio noch seine Gefährten erlebt hatten.

Schnell hatten die Drei sich über die Ereignisse des Vormittags ausgetauscht: Geros Besuch im Bogroschtempel und auch Esmes Visite in der Kirche der Juania hatten ebenso wenig Hilfreiches ergeben wie Derios vormittägliche Erkundigungen.

Während sich die drei Gefährten und der alte Meister nun hungrig über die exotischen Köstlichkeiten hermachten, waren am Nebentisch aufgeregte Gespräche einiger junger Schüler zu hören.

»Habt ihr schon gehört?«

»Nee, was denn?«

»Ein Befehl vom obersten Heerführer des halbgöttlichen Kaisers persönlich unterzeichnet. Eine ganz große Sache läuft da.«

»Ach, deswegen sind die Soldaten alle so in Hektik. Jetzt spann uns nicht länger auf die Folter, worum geht es in dem Befehl?«

»Die Truppen werden Richtung Norden verlegt, an die Grenze zum Orkgebiet. Aber nicht nur die kaiserliche Armee, sogar die Truppen des Königs wurden abkommandiert. Naja, nominell unterstehen alle vier Königshäuser natürlich dem Kaiser.«

»Allerdings würde ich das Vorgehen des Kaisers trotzdem zumindest als äußerst unüblich bezeichnen.«

»In der Tat – das wird dem Hause Lugar wohl gar nicht schmecken.«

Die Stimmen der jungen Magierschüler überschlugen sich vor Aufregung. So etwas hatten sie offenbar noch nicht erlebt. »Und wann ziehen die Soldaten los? Übermorgen oder morgen schon?«

»Heute zur sechsten Abendstunde ist die große Auszugsparade am Nordtor«, verkündete der gut informierte Junge am Nachbartisch.

»Heute schon? Nein, oder?«, fragte ein anderer Schüler mit erstaunter Stimme.

»Doch!«

»Und wer beschützt dann Talunis vor diesen Schwarzmagiern?«

»Naja, die örtliche Stadtwache. Und die persönliche Leibgarde des Königs bleibt wohl auch in der Stadt.«

»Hmm, die kaiserlichen und königlichen Regimenter wären mir aber deutlich lieber …«

Einer der jungen Schüler lachte. »Ach, du Hasenfuß. Immerhin haben wir einen Lehrstuhl für die Theorien der Kampfmagie im Institut.«

»Ich glaube, es heißt Lehrstuhl für theoretische Kampfmagie.«

»Jedenfalls muss unser Jahrgang nur noch zwölf Semester abwarten und dann erfahren wir – laut Lehrplan – endlich Genaueres über Kampfmagie«, meinte eine Magierschülerin kicherend, die ebenfalls am Nachbartisch saß.

»In jedem Falle sind unsere Meister und die Adepten fähig genug, um fünf hässliche Schwarzmagier aufzuhalten.«

»Und woher willst du wissen, dass die Schwarzmagier hässlich sind?«

Da das Gespräch am Nebentisch keine neuen Informationen mehr brachte und alle Wachteleier vertilgt waren, wandten Derio und seine Gefährten sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu.

»Nun, nach dem Essen auf zu den letzten drei Tempeln. Ich hoffe, dass man uns dort weiterhelfen kann. Wenn wir fertig sind, treffen wir uns doch am Nordtor und sehen uns diese Parade an«, entschied Derio. »So etwas sieht man nicht alle Tage.«

Nachdem das geklärt war, ließ der Adept sich von seinem alten Meister nur zu gerne in eine Debatte über die praktischen Implikationen der neuesten Erkenntnisse im Bereich der Metamagie verwickeln. Das Gespräch war so anregend, dass Derio gar nicht merkte, wie die beiden Krieger sich verabschiedeten und die Mensa verließen.

 

***

 

Gero hatte das langweilige Gerede der beiden Magier nur wenige Minuten ausgehalten. Seine Laune verbesserte sich jedoch mit jedem Schritt, den er sich dem »Tempel der silbernen Ähre« näherte.

Der Tempel des Ahlon war ein einstöckiger, aber dennoch recht großer Bau aus Holz und inmitten eines belebten Marktplatzes gelegen. Trotz einer gewissen Bescheidenheit und Schlichtheit hatte sich jemand die Mühe gemacht, die Außenwände mit zahlreichen Schnitzereien zu verzieren: Fröhliche Menschen bei der Getreideernte. Eine glückliche Familie versammelt bei einem Kessel Eintopf. Ein gut gelaunter Bierbrauer bei seiner Arbeit. Ein Winzer beim Verladen von Fässern auf eine Kutsche. Ein wärmendes Kaminfeuer. Ein Bäcker, der gerade frisches Brot aus dem Ofen holt.

Auch das Innere der Kirche war dem Gott der Gastfreundschaft würdig. Der ganze Tempel bestand aus einem einzigen Raum. Nur hier und dort sorgten ein paar aufgespannte Leinentücher für etwas Privatsphäre. Soweit Gero es erahnen konnte, befanden sich in diesen abgetrennten Bereichen einige einfache Schlafstätten, winzige Schreibstuben, Lagerräume oder Plätze für vertrauliche Gespräche zwischen Priestern und Gläubigen.

In der Mitte flackerten die wärmenden Flammen einer großen Feuerstelle. Rings um das zentrale Feuer waren diverse Kochstellen und gemütliche Sitzgelegenheiten errichtet worden. Die handwerklich geschickte Konstruktion des Daches sorgte dafür, dass der Rauch abziehen konnte, ohne dass unangenehme Kälte oder Zug entstand.

Den Weg zum kleinen Backofen hätte Gero auch mit geschlossenen Augen gefunden, so herzhaft und frisch duftete das so genannte heilige Brot. Die Brotlaibe wurden offensichtlich nicht nur im Tempel gesegnet, sondern auch direkt vor Ort gebacken.

Mit einem vorfreudigen Lächeln im Gesicht reichte Gero dem neben dem kleinen Backofen stehenden Priester sieben Silbermünzen. »Sechs für das Brot und eine Münze zusätzlich für Eure Armenspeisung.«

»Ahlon wird Euch Eure Großzügigkeit vergelten, junger Krieger«, erwiderte der Priester. »Ich bin übrigens Arvius Barnbach, geweihter Priester des Gottes der Gastfreundschaft. Wenn ich sonst noch irgendetwas für Euch tun kann, sprecht frei heraus.«

»Sehr erfreut. Gero Grünfels ist mein Name. Und … nun, da ist wirklich eine Sache.« Gero räusperte sich und kratzte sich nachdenklich an den Bartstoppeln seines Kinns. »Es wird aber eine längere Geschichte. Vielleicht setzen wir uns besser …«

 

Nach etwa einer Stunde, als Gero mit seiner Erzählung geendet hatte, herrschte zunächst geruhsames Schweigen. Nachdem die beiden einige Minuten dem Knistern des Feuers gelauscht und den Duft des Brotes genossen hatten, erhob der Ahlonpriester seine Stimme. »Auch über den Stein des Ahlon gibt es eine Legende, die allerdings nur innerhalb der Priesterschaft bekannt ist. Da der Stein sich in Talunis befinden soll und ich die Dringlichkeit Eures Anliegens sehe, teile ich dieses Geheimnis nun mit Euch, Gero Grünfels.«

»Habt Dank für Euer Vertrauen, Priester Arvius Barnbach«, sagte Gero, während er sich zum alten Mann vorbeugte, um den leise redenden Priester besser verstehen zu können.

»Der Stein des Ahlon wurde ganz anders verwahrt als die übrigen neun Steine der Götter. Er befindet sich schlicht und einfach in der gastlichsten Wirtsstube dieser Stadt. In welcher Gaststube und wo dort, kann ich Euch nicht sagen. Ich weiß es selber nicht genauer«, flüsterte der Priester geheimnisvoll. »Es ist wohl eine Art Rätsel vom damaligen Tempelvorsteher ersonnen, damit der Stein des Ahlon nicht in falsche Hände gerät.«

»Habt Dank«, meinte Gero mit einem Lächeln auf den Lippen. »Ihr habt uns sehr geholfen. Gibt es vielleicht noch ein paar mehr Hinweise? Wir haben nur wenige Tage Zeit und Talunis hat doch bestimmt über hundert Wirtshäuser.«

»Leider nicht«, erwiderte der Priester mit einem bedauernden Schulterzucken. »Die Mutter des Tempels ist auf Reisen in Zehnbergen und frühestens in einigen Wochen zurück. Aber ihre Stellvertreterin, Thea Ahlenburg, kommt in den späten Abendstunden wieder in den Tempel. Schwester Thea macht im Moment noch ein paar Besorgungen auf dem Markt. Sie ist ebenfalls Hohepriesterin und kann Euch vielleicht mehr sagen.« Arvius lächelte aufmunternd. »Wärmt Euch doch solange am knisternden Feuer und genießt die meditative Ruhe.«

»Leider nicht.« Gero schüttelte den Kopf, um das freundliche Angebot abzulehnen. »In einer halben Stunde muss ich mich mit meinen beiden Gefährten am Nordtor treffen. Aber ich bin mir sicher, dass wir zur späten Stunde noch einmal zu dritt wiederkommen werden. Die Zehn mögen mit Euch sein.«

»Ahlon behüte seine Kinder!«

 

Als Gero pünktlich zur verabredeten Stunde am Nordtor eintraf, warteten seine beiden Gefährten bereits auf ihn. An ihren Gesichtern war direkt zu erkennen, dass weder Derio noch Esme einen Erfolg vorzuweisen hatten. Nachdem Gero in kurzen Worten von seinen Erkenntnissen berichtet hatte, konnten die Drei ihre Aufmerksamkeit der Militärparade zuwenden.

Eine derartige Menge an Soldaten auf einmal hatte Gero in seinen knapp zwanzig Lebensjahren bisher noch nicht erblickt. Zusätzlich zu den Regimentern des Königreichs waren auch die in der Region stationierten Truppen des Kaisers zusammengezogen worden. Den fröhlich im Wind flatternden Bannern des Kaiserreichs und des Königshauses Lugar folgte zunächst die stolze Reiterei von gut hundert Männern und Frauen. Bannerträger und Reiter wurden unter frenetischem Jubel von der örtlichen Bevölkerung verabschiedet. Im Anschluss marschierten einige hundert Fußsoldaten zusammen mit Kutschen und Planwagen, welche Ausrüstung und Vorräte transportierten.

»Wenn der halbgöttliche Kaiser diese Mengen an Truppen Richtung Norden abzieht, muss wirklich etwas sehr Besorgniserregendes jenseits der Grenze vorgehen«, meinte Esme nachdenklich, während die letzten Soldaten das Tor passierten.

»In der Tat«, pflichtete ihr Derio bei. »Unser Beitrag zur Abwehr dieser ominösen Gefahr kann nur sein, schnellstmöglich erst den Stein des Ahlon und danach den Stein der Weisheit zu finden. Dann könnten wir mit fünf Steinen der Götter im Gepäck Richtung Borburg reisen. Dort lodert bekanntlich das von Bogrosch gesegnete Feuer, welches selbst Stein zu schmelzen vermag. Hoffentlich fügen sich alle Teile dieses Puzzles noch rechtzeitig zusammen.«

Gero war da deutlich optimistischer als seine sorgenvollen Gefährten. »Ach, wir haben gerade mal Anfang Herbst und wenn ich alles richtig verstanden habe, wollen die Orks und Schwarzmagier im Winter angreifen. Wenn wir es schon schaffen werden, fünf Steine in den Tempel Zum Brennenden Stahl zu bringen, dann wird es den zehn Kirchen sicher auch gelingen, gleichzeitig die übrigen fünf Steine nach Borburg zu bringen.«

»Dein Wort in den Ohren der Götter«, meinte Esme, während die Drei sich auf den Weg zum Ahlontempel machten.

 

Als Gero und seine Gefährten den gastlichen Holzbau betraten, war die stellvertretende Mutter des Tempels, Hohepriesterin Thea Ahlenburg, bereits in ein angeregtes Gespräch mit Priester Arvius vertieft. Offensichtlich berichtete Arvius der stellvertretenden Tempelvorsteherin bereits von der Suche der Drei nach den Steinen der Götter. Die Hohepriesterin war eine schlanke, alte Frau mit langen, grauen Haaren, welche zu zwei altmodischen Bauernzöpfen geflochten waren.

»Ahlon zum Gruße. Ihr müsst Esme von Lendaya, Derio Blitz und Gero Grünfels sein. Ich freue mich, Euch in unserem bescheidenen Tempel begrüßen zu dürfen«, wurden die Drei sogleich willkommen geheißen. »Ich bin Thea Ahlenburg, Hohepriesterin des Beschützers der Menschen. Aber sagt einfach Thea zu mir. Das Leben ist zu kurz, um seine Zeit mit langen Namen und Titeln zu verschwenden.«

Bereits der Nachname der warmherzigen Frau wies darauf hin, dass ihre Familie vermutlich schon seit Dutzenden Generationen Ahlon, dem Gott der Gastfreundschaft, eng verbunden war.

Die freundliche Begrüßung durch die Hohepriesterin schaffte es zusammen mit der angenehmen Atmosphäre im Tempel sogar, einen entspannten Zug auf Esmes sonst so ernstes Gesicht zu zaubern. »Habt Dank für Eure Gastfreundschaft.«

Während Derio noch einmal in aller Kürze das Anliegen der drei Gefährten erläuterte, knurrte Geros hungriger Magen so deutlich hörbar, dass die Hohepriesterin laut und herzlich lachen musste.

»Setzen wir uns doch an die Kochstelle dort«, lud Thea Gero und seine beiden Gefährten ein. »Dort ist gerade ein leckerer Eintopf fertig geworden. Erbsen, Möhren, Kartoffeln und feinste Rauchwurst. Bei einem guten Essen unterhält man sich gleich viel angenehmer.«

Nachdem die eine oder andere Schüssel des würzig schmeckenden Eintopfes vertilgt war und die Hohepriesterin umfänglich über die Suche der Drei informiert war, herrschte zunächst nachdenkliches Schweigen. Gero genoss das Gefühl eines angenehm vollen Magens und das fröhliche Knistern des großen Feuers.

Nach einer Weile räusperte sich die alte Frau und teilte ihre Überlegungen: »Die Legende über das Versteck des Steines kenne ich ebenso gut wie Arvius, aber auch nicht besser. Das gastlichste Gasthaus zu finden, ist ein nettes Rätsel. Die meisten Gasthäuser liegen in der Westgasse oder rund um den Alten Marktplatz, aber ich kenne auch einige Perlen, die etwas abseits liegen.«

Auf ein Handzeichen der Hohepriesterin brachten zwei junge Novizinnen fünf Gläser und eine Flasche Wein. »Vielleicht sollten Arvius und ich Euch etwas über die Wirtsstuben in der Stadt erzählen. Ein wenig plaudern, Wein trinken, vielleicht schenkt Ahlon Euch dabei eine Erleuchtung.«

 

Viele Stunden und einige Flaschen Wein später hatten Gero und seine Gefährten zwar eine ganze Menge über die Wirtshäuser der Stadt Talunis erfahren, waren aber bezüglich des Steins des Ahlon immer noch nicht schlauer. Es war so späte Abendstunde, dass sich die meisten der Priester, Novizen und Besucher des Tempels bereits zur Nachtruhe begeben hatten.

Gerade als auch Gero und seine Gefährten gehen wollten, hatte die grauhaarige Hohepriesterin noch eine Idee. »Wartet«, murmelte die alte Frau. »Es ist keine Gaststätte, die ich Euch nennen kann. Aber ich kenne da einen Wirt, der äußert großzügig und gottesfürchtig ist. Ein wahres Kind des Ahlon.«

Gespannt lauschten die drei Gefährten den weiteren Ausführungen der hohen Priesterin. »Soweit ich zurückdenken kann, spendete der alte Gastwirt einmal im Monat die Hälfte seiner Einnahmen unserem Tempel. Und seit zwanzig Jahren ist es der Sohn, der jeden Monat die Spende bringt. Nun, ich fragte nie nach seinem Namen oder dem seiner Wirtschaft. So nenne ich ihn einfach Bruder Gastwirt. Vielleicht ist er ja der Wirt des Gasthauses, welches ihr sucht?«

»Habt Ihr vielleicht ein paar Hinweise, wie wir diesen Wirt und seine Gaststätte unter der Vielzahl der Gaststuben finden können?«, fragte Gero die alte Frau.

»Er muss eine eher kleine Gaststätte besitzen«, sagte die Priesterin nachdenklich. »In Summe sind es eher wenig Einnahmen. Aber es reicht gut für die Pacht, zum Leben und für die monatliche Spende. Manchmal bringt er auch Münzen aus fernen Ländern. Manchmal aus Valianta, den Seelanden oder gar aus den fernen Reichen der Zwerge und Elfen. Vielleicht hilft Euch das weiter.«

Obwohl der weise Magier Derio sonst der Wortführer der Gruppe war, fühlte sich Gero an diesem Tag in diesem Tempel ganz in seinem Element. »Könntet Ihr eine Liste aller Gaststätten in Talunis für uns erstellen?«, fragte Gero mit einem charmanten Lächeln. »Am besten mit Namen, genauer Adresse, ungefährer Anzahl an Sitzplätzen und etwaigen Besonderheiten. Meine beiden Gefährten und ich wären Euch zu tiefstem Dank verpflichtet.«

Die alte Priesterin erwiderte Geros freundliches Lächeln. »So sei es. Bruder Arvius wird morgen direkt nach dem ersten Gebet mit der gewünschten Liste beginnen. Wie ich die flinken Finger und den wachen Verstand meines geschätzten Priesters kenne, wird er morgen zur dritten Nachmittagsstunde die Arbeit abgeschlossen haben.«

Mit dem guten Gefühl, auf der Suche nach dem Stein des Ahlon endlich ein Stück vorangekommen zu sein, verließen Gero, Esme und Derio zur späten Abendstunde den Tempel des Gottes der Gastfreundschaft. Da bereits ein kalter Nachtwind durch die Gassen der Magierstadt pfiff, beschleunigten sie ihre Schritte in Richtung des Gästehauses des Instituts.

Obwohl Geros Gedanken hauptsächlich um das gemütliche, gut geheizte Zimmer in ihrer Unterkunft kreisten, wanderte sein Blick häufig zu Esme. Irgendwie schaffte es das Mondlicht über Talunis zusammen mit dem Schein der Straßenlaternen, die auffällige Schönheit in Esmes Gesichtszügen noch einmal auf eine ganz besondere Art und Weise zu betonen.

 

 

 

KAPITEL II

 

 

J.d.K. 987, fünfter Tag im neunten Mondzyklus, Magierstadt Talunis

 

Esme spürte bereits, dass irgendetwas nicht stimmte, als sie und ihre beiden Gefährten sich kurz vor der vereinbarten Zeit dem Ahlontempel näherten. Mit der Tatsache, dass zwei gestandene Krieger und ein mächtiger Magier sich auf der Suche nach einer bestimmten Kneipe befanden, hatte sie sich bereits abgefunden. Das nannte man wohl Ironie des Schicksals. Da war aber noch etwas Anderes. Zusammen mit einem ungewöhnlich kalten Wind aus dem Norden hing ein düsteres Gefühl der Bedrohung über der Stadt Talunis.

Das Signal, welches durch ein hektisches Läuten der Glocken am südlichen Tor der Stadt verkündet wurde, übertraf sogar Esmes Befürchtungen. Eigentlich konnte sie dank der Ausbildung, welche sie in ihrer Jugend genossen hatte, militärisches Glockengeläut sicher deuten. Trotzdem konnte das, was sie hier hörte, einfach nicht stimmen. Daher kräuselte sie die Stirn und blickte fragend zu Derio, der immerhin den Rang eines Vizeleutnants in der kaiserlichen Armee bekleidete.

»Entweder sind die Turmwachen betrunken wie eine Horde zechender Goblins und erlauben sich einen schlechten Scherz«, brummte Derio in seinen Bart. »Oder aber Talunis hat ein mehr als ernstes Problem. Eine feindliche Armee greift das Südtor an. Wie ist das überhaupt möglich?«

»Goblinkot!«, fluchte Gero. »Ausgerechnet jetzt, wo doch die kaiserlichen und königlichen Truppen nach Norden geschickt worden sind.«

»Los, schnell zum Südtor«, kommandierte Esme ihre beiden Gefährten. »Ich befürchte, die brauchen da jetzt jede Frau und jeden Mann.« Bereits im Laufen fügte sie hinzu: »Diese Liste mit den Kneipen läuft uns sicherlich nicht weg. Für Marlox!«

Auch Gero hatte bereits sein Schwert gezogen und lief ohne Zögern mit entschlossenem Gesichtsausdruck an Esmes Seite Richtung Süden. Der gut zehn Jahre ältere Derio hielt sich einige Meter hinter den beiden Kriegern und musste schwer atmen, um deren Tempo halten zu können.

Als die drei Gefährten am Südtor eintrafen, bot sich ihnen ein Bild der schieren Verwüstung. Eine Baracke der kaiserlichen Armee direkt hinter der Mauer war von einem zentnerschweren Felsbrocken vollständig zertrümmert worden. An einem der beiden großen Türme und an verschiedenen Stellen auf dem Wehrgang brannten größere und kleine Feuer, während die Löscharbeiten nur langsam anliefen.

Soldaten der Stadtwache und einige Reservisten wuselten scheinbar unkoordiniert hin und her. Ein Magier aus dem Institut und ein Heilkundiger versorgten zahlreiche Verwundete. Was auf den Wehrgängen oder gar auf der anderen Seite der Mauer vor sich ging, konnte Esme leider nicht erkennen.

Ein laut brüllender Mann in goldenem Brustpanzer thronte auf einem braunen Hengst und versuchte dieses Chaos zu strukturieren. »Alle Offiziere zu mir! Es kann doch nicht sein, dass alle Offiziere der Stadtwache von diesem einen Felsen erschlagen wurden.«

Der wütend schreiende Kommandant war für Esme kein Unbekannter. Es war General von Schwertwalde, der versuchte seine Truppen zu ordnen.

»Nein! Ein Unterstabsgefreiter ist kein Offizier«, knurrte der General auf seinem Ross. »Ich brauche Offiziere mit Kampferfahrung. Meinetwegen ein pensionierter Leutnant.«

Nicht ohne sich vorher ein wenig Staub von seiner Magierrobe zu klopfen trat Derio mit forschen Schritten an den General heran. »Vizeleutnant Blitz meldet sich zum Einsatz, Herr General!«

Mit einem kurzen Blick musterte von Schwertwalde Esme und ihre beiden Gefährten. »Wir kennen uns. Das ist gut. Herr Grünfels, Frau von Lendaya, nach den Notstandsgesetzen des Kaisers ziehe ich Euch mit sofortiger Wirkung in die Armee ein und erhebe Euch in den Rang von Gefreiten. Vizeleutnant Blitz, Ihr müsst das Kommando über das Tor übernehmen. Solange, bis sich endlich ein ranghöherer Offizier bequemt hier aufzutauchen.« Noch während der General sein Pferd wendete, um ihm anschließend die Sporen zu geben, bellte er weitere Befehle. »Auf keinen Fall lassen wir irgendjemanden ungeordnet in die Stadt. Das Tor bleibt zu! Verstanden?! Das größte Problem sind die drei Schwarzmagier. Eigentlich der Dämon. Er wirft Felsbrocken und Feuer ...«

Esme merkte, dass Derio etwas Zeit brauchte, um sich an diese neue Verantwortung zu gewöhnen. Erst nachdem einige wertvolle Sekunden verstrichen waren, kamen die ersten Befehle über seine Lippen. »Ich vermute, dass sich zwei Schwarzmagier unter die wartenden Händler gemischt haben. Die drei anderen kontrollieren den Dämon, der wohl das Tor zerstören soll«, brummelte Derio in seinen Bart. »Esme, schnapp dir alle Fußsoldaten der Wache. Weißt du, wie man einen Speerwall bildet?«

»Natürlich«, erwiderte Esme mit einem tatkräftigen Nicken. »Nach dem kaiserlichen Militärhandbuch oder die Variante aus Noweiten?«

»Nach deinem Ermessen«, rief Derio, der bereits seinen hastigen Aufstieg auf die Wehranlagen des Südtores begonnen hatte. »Gero, komm mit nach oben. Wir verschaffen uns erstmal einen Überblick und sehen dann weiter.«

»Soldaten! Wir bilden eine U-Formation rund um das Tor«, ließ Esme ihre Stimme so laut sie konnte über den Platz donnern. »Alle Männer und Frauen mit Kampferfahrung in die erste Reihe. Die zweite Reihe unerfahrene Kämpfer. Reihe drei und vier füllen wir mit Reservisten und Zivilisten.«

Trotz des unheimlichen Grollens der dämonischen Kreatur in der Ferne begannen die Soldaten, sich wie befohlen zu rühren. Manche wirkten dabei allerdings noch ein wenig unentschlossen.

»Bei Marlox, mehr Bewegung«, trieb Esme die Stadtwachen zur Eile an. »Wer noch keinen Speer und kein Schild hat, geht sofort in die Waffenkammer. Ausgenommen ist nur, wer beim Feuerlöschen benötigt wird.«

Zufrieden stellte Esme fest, wie ihre Befehle etwas Ordnung in das Chaos diesseits des Tors brachten. Die Soldaten fingen an, sich korrekt zu formieren und die Panik in den Gesichtern wich mehr und mehr grimmiger Entschlossenheit, die Stadt zu verteidigen.

 

***

 

Derio blickte mit Entsetzen auf die riesige Kreatur, die in einigen hundert Schritt Entfernung vor dem Stadttor wütete. Es war ein gut fünf Schritt hoher, pechschwarzer Dämon. In jeder seiner beiden klauenartigen Hände loderte ein hungriges Feuer. Scheinbar je nach Lust und Laune schleuderte der laut grollende Dämon mal herumliegende Felsbrocken und mal glutheiße Feuerbälle in Richtung Stadttor. Der plötzlich zum Kommandanten des Südtores beförderte Adept war sich nicht sicher, ob diese Kreatur aus den Tiefen der sieben Höllen die Wartenden vor dem Tor oder die Wehranlagen der Stadt Talunis zum Ziel auserkoren hatte.

Weit hinter dem Dämon, aber immer noch in Sichtweite, waren drei Reiter auf pechschwarzen Pferden zu erkennen. Mit fünf von diesen sogenannten Sklaventreiberhengsten hatten Derio und seine Gefährten bereits eine beängstigende Begegnung hinter sich. Genauso hatten sie das Aufeinandertreffen mit dem Besitzer eines dieser Pferde nur äußerst knapp überlebt. Es musste sich also um drei der fünf Schwarzmagier handeln, welche hinter den Steinen der Götter herjagten. Wo die anderen beiden dunklen Magier sich herumtrieben, wussten nur der Gott des Bösen selbst, S’zaroz, und seine Diener.

Die im Vergleich mit Dämon und Schwarzmagiern geringere Bedrohung stellte eine Truppe von fünf Dutzend Söldnern dar. Der zusammengewürfelte Haufen von Kämpfern rekrutierte sich aus einigen sogenannten freien Stämmen, die im Grauen Gebirge lebten. Diese Barbaren waren teils mit Äxten, teils mit Schwertern oder Speeren bewaffnet.

Nachdem er sich einen kurzen Überblick verschafft hatte, wandte Derio sich an einen Gefreiten der Stadtwache. »Warum feuern die beiden Katapulte nicht? Der Dämon ist doch wohl in Schussreichweite?«

»Ähm«, stammelte der junge Soldat. »Die beiden Geschützmeister hat es erwischt und niemand sonst kann den richtigen Winkel für die Katapulte berechnen.«

»Verdammt«, knurrte Derio verärgert. »Ihr feuert einfach auf gut Glück. Dann seht Ihr, wo der Treffer landet. Dann nachjustieren. Dann sofort wieder feuern. Und so weiter. Verstanden?«

»Jawohl, Vizeleutnant! Wird gemacht.«

»Ich helfe den Jungs beim Beladen der Katapulte. Mein Schwert wird wohl vorerst nicht gebraucht«, bot Gero an.

Derio nickte seinem Gefährten nur kurz zu und nahm das nächste Problem in Angriff. »Unsere Soldaten vor den Toren sollen die Menschenmenge zweiteilen. Die eine Hälfte sollen sie unverzüglich zum Westtor führen, die andere zum östlichen Tor«, brüllte Derio in Richtung eines Soldaten, der den Befehl sogleich weitergab. Dies würde hoffentlich unschuldige Zivilisten in Sicherheit bringen oder aber zumindest den Feind zwingen, sich aufzuteilen.

»Wie heißt du, Soldatin?«, fragte Derio eine rothaarige Bogenschützin, da die Kerben auf ihrem Langbogen von zahlreichen besiegten Feinden zeugten.

»Gefreite Mara, zu Euren Diensten, Vizeleutnant«, erwiderte die schlanke Frau mit einem diensteifrigen Blitzen in ihren grünen Augen.

»Obergefreite Mara ab sofort«, bestimmte Derio. »Du hast jetzt das Kommando über die Schützen. Sobald diese Barbarenhorde in guter Schussreichweite ist, Feuer frei.«

Nachdem auch das erledigt war, murmelte Derio mehr zu sich selbst: »Jetzt werde ich mich mal um diese vier Witzfiguren auf der Mauer kümmern.«

Während Derio sich bereits den vier Magiern näherte, rief ihm Mara noch hinterher: »Die hat das Institut als Verstärkung an die Mauer geschickt. Vier Adepten mit ausgezeichneten Noten in theoretischer Kampfmagie.«

Derio fiel es schwer, nicht laut loszulachen, als er sich diesem kuriosen Schauspiel näherte. Ein rundlicher alter Magier hatte hinter einer Zinne ein Stehpult aufgebaut und war emsig damit beschäftigt, irgendwelche Berechnungen auf Papier zu bringen. Ein zweiter Magier arbeitete voller Konzentration mit einer Art Rechenschieber. Der dritte Magier, ein hochgewachsener Mann mit langem schwarzem Bart, hantierte scheinbar mit einem Winkelmesser. Was genau er machte, war Derio ein Rätsel. Die vierte im seltsamen Bunde war eine schlanke dunkelhaarige Magierin mittleren Alters, die offenbar Gesten mit ihrem Stab einübte.

»Was, verflucht, bei den Tiefen der Höllen, soll das hier werden?«, schnauzte Derio die vier Komiker ungehalten an. So etwas Peinliches hätten sich Adepten aus seiner Heimatstadt Nordwacht niemals erlaubt.

Die Magierin war offensichtlich die Sprecherin der Gruppe. Sie reckte ihr Kinn forsch nach vorne und blickte Derio aus ihren grünen Augen herausfordernd an. »Was wohl? Wir werden den Dämon mit einem Energieblitz zurück in die Niederhöllen schicken. Wir gehen laut Lehrbuch vor. Zunächst wird auf Basis der Größe der astrale Kraftkoeffizient bestimmt. Mein geschätzter Kollege evaluiert anhand einer Wahrscheinlichkeitsmatrix die mögliche Stärke von Schutzzaubern der Kreatur. Außerdem berücksichtigen wir die Windrichtung sowie den Stand der Sonne und bestimmen so den optimalen Schusswinkel.« Der Redeschwall der schwarzhaarigen Magierin war kaum zu stoppen. »Und ich probe bereits die richtigen Formeln, damit wir die Kraftausbeute aus dem Astralflux heraus optimieren können.«

»Theoretische Kampfmagie«, knurrte Derio ungehalten. »Das ist wie Schwimmen lernen ohne Wasser.« Er räusperte sich und sammelte dabei seine Reste von Geduld mit den vier Adepten des Instituts. »Ich bin Derio Blitz, Vizeleutnant der kaiserlichen Armee. Und außerdem hat General von Schwertwalde mir das Kommando über das Tor übergeben. Das Kommando gilt auch über alle Zivilisten, die das Militär als Hilfstruppen unterstützen. Und jetzt hört mir gut zu.«

Drei der vier Adepten murmelten etwas Zustimmendes und nickten ergeben. Nur die Magierin antwortete ihm mit einem Hauch von Ironie und Widerwillen in der Stimme: »Jawohl, Kommandant Vizeleutnant Blitz. Was sind Eure weisen und durchlauchten Befehle?«

»Seht mir einfach zu und achtet dabei auf den Energiefluss zwischen Dämon und den drei Schwarzmagiern«, erwiderte Derio.

Nach einer kurzen Sekunde der Konzentration richtete Derio die Spitze seines Magierstabs direkt auf die hässliche Ausgeburt des Todes und brüllte die notwendige Formel geradezu in den Wind, welcher heftig an seinem braunen Bart zerrte: »Lux-fulgiz adverx malo!«

In diesem Moment löste sich ein gewaltiger weißer Energieblitz aus Derios Magierstab und flog mit der Geschwindigkeit des Lichts auf den Dämon zu. Wenige Meter vor dem Dämon bremste ein Nebel aus zähflüssiger Dunkelheit den Blitz und schien für einige Lidschläge mit diesem zu ringen. Ein paar rasche Gesten der drei Schwarzmagier verstärkten diesen dunklen Nebel, so dass schon eine Sekunde später nichts mehr von Derios Energieblitz übrig blieb.

Die Antwort des wütend tobenden Dämons bestand darin, einen gewaltigen Felsbrocken gegen die Stadtmauer zu schleudern. Auch wenn die Mauer hielt, war die Erschütterung so gewaltig, dass es außer Derio nur die vorlaute schwarzhaarige Magierin schaffte, auf den Beinen zu bleiben.

»Was ich damit demonstrieren wollte, ist Folgendes«, begann Derio zu dozieren, während die Theoretiker des Instituts noch dabei waren aufzustehen oder ihre Garderobe zu richten. »Die drei Schwarzmagier sind so stark, dass Ihr auch zu viert nicht mit einem einfachen Kampfzauber ihren Dämon vernichten könnt. Auch nicht mit meiner Hilfe.«

Da der Magier mit dem Schreibpult scheinbar etwas Wichtiges sagen wollte, erteilte Derio ihm mit einer knappen Geste das Wort. »Nun, also, ähm«, murmelte der rundliche alte Magier verlegen. »Auf Basis Eurer Demonstration halte ich Eure Hypothese für relativ plausibel. Mit Verlaub, wenn Ihr gestattet, Vizeleutnant, würde ich die neuen Erkenntnisse gerne in meine Matrizen einfließen lassen, um die Hypothese zu verifizieren oder gegebenenfalls zu falsifizieren.«

Wütend versetzte Derio dem Schreibpult einen Tritt, um dieses über die Stadtmauer zu befördern. »Merkt Ihr Komiker eigentlich, dass hier Krieg herrscht und es um Leben und Tod geht? Wir befinden uns nicht in einer götterverdammten Vorlesung! Nichts wird mehr berechnet.«

Alle, sogar die sonst so vorlaute Schwarzhaarige, schwiegen betreten, so dass Derio die volle Aufmerksamkeit der vier Theoretiker hatte. »Ihr seid hier auf der Mauer fehl am Platze, dennoch könnt Ihr helfen, die Stadt zu retten. Folgendes ist mein Befehl: Eilt so schnell wie möglich zu den Stallungen hier am Tor und lasst euch vier gutmütige Pferde geben, die schnell sind und trotzdem ungeübte Reiter tragen. Dann reitet zum Turm des Instituts«, kommandierte er die vier Magier. »Dort schnappt euch jeden, der mehr als nur ein wenig von Kampfmagie oder auch Illusionsmagie versteht. Sammelt euch auf dem Balkon des Stockwerks in Höhe von eintausend Schritt über dem Boden. Dann schickt uns von dort aus eine mit Magie belebte Illusion. Vielleicht einen weißen Drachen? Dieses magische Geschöpf sollte den Dämon und die Schwarzmagier zumindest eine Weile beschäftigen. Aber beeilt euch!«

Offenbar war es Derio gelungen, den vier Magiern aus dem Institut etwas Vernunft einzubläuen. Sie salutierten kurz ungelenk und eilten dann die steinernen Treppen der Wehranlagen hinunter in Richtung Stallungen.

Als Derio seine Aufmerksamkeit wieder den Ausgeburten des Bösen zuwandte, sah er, dass Gero und die Bedienmannschaft des Katapults gute Arbeit geleistet hatten. Einer der gewaltigen Felsbrocken wurde genau auf den großen schwarzen Dämon geschleudert. Erst in allerletzter Sekunde wurde der Fels von dem Zauberspruch eines Schwarzmagiers in kleinere Einzelteile gesprengt, von denen die meisten neben der Kreatur zu Boden gingen.

Die Antwort ließ leider nicht lange auf sich warten. Obwohl der Dämon aus mehreren kleineren Wunden blutete, sprang er mit einem Satz gut zwanzig Schritt nach vorne. Dort schnappte er sich einen Felsbrocken und schleuderte diesen in einem gut gezielten Wurf Richtung Südtor von Talunis. In diesem Moment wurde Derio klar, dass dieser Wurf ein Volltreffer werden würde – höchstwahrscheinlich auf das Katapult, an dem sein Gefährte Gero die Bedienmannschaft unterstützte.

Derio fixierte das Wurfgeschoss mit seinen Augen und konzentrierte sich. Es war zu wenig Zeit. »Gravitor amplifixant!« Er zischte die Worte mehr in seinen Bart, als dass er die Formel aussprach.

Taluna, die Göttin der Magie, und der Kriegsgott Marlox mussten mit ihm gewesen sein. Der Spruch verstärkte die auf den Felsbrocken wirkende Gravitation gerade noch rechtzeitig, so dass dieser gegen den Fuß der Stadtmauer krachte, ohne dort relevanten Schaden anzurichten.

 

Einige Minuten später – eine Zeitspanne, die Derio jedoch wie Stunden vorkam – wischte sich der Adept kalte Schweißtropfen von der Stirn. Insgesamt dreimal hatte er jetzt schon Attacken mit Feuerbällen oder gut gezielten Felsbrocken abgewehrt und für viel mehr würden seine magischen Kräfte nicht reichen. Die Diener S’zarozs auf ihren schwarzen Pferden hingegen schienen noch frisch und ausgeruht. Es war fast so, als ob sie nur ein Spiel mit den Verteidigern der Stadt Talunis spielen würden. Immerhin war die Verlegung der Menschenmenge Richtung Osttor und Westtor und somit aus der Reichweite des wütenden Dämons heraus ein Erfolg gewesen. Die Barbarenhorde hatte nur zweimal einen Kundschafter ausgeschickt, wohl um die Reichweite der Bögen der Stadtwache auszutesten. Jetzt fehlten den Barbaren zwei Krieger, genau wie die Obergefreite Mara, die Kommandantin der Schützen, zwei Pfeile in ihrem Köcher vermisste. Aber wo blieb eigentlich der General?

Als könnte dieser Derios Gedanken lesen, hallte nur wenige Momente später ein lautes Hufgetrappel durch die Straßen.

Schon von weitem brüllte General von Schwertwalde mit einer Stimme, deren Lautstärke Derio durchaus bewunderte, seine Befehle. »Speerwall und Tor öffnen! Zwei Schritt breit! Sofort wieder schließen, wenn Panzerreiter passiert sind!«

Derio bestätigte mit einem Handzeichen die Befehle für Esme und die zuständigen Torwachen. »Panzerreiter, was soll das sein?«, murmelte er halblaut in seinen Bart.

Unerwarteterweise beantwortete eine Stimme schräg hinter ihm seine Frage. »Die sogenannten Panzerreiter sind ein wichtiger Teil der Leibgarde des Königs aus dem Hause Lugar. Nicht nur die Männer, sondern auch die Pferde sind durch dicke Stahlplatten geschützt. Das macht die legendäre Reitertruppe gewissermaßen unverwundbar gegen Pfeile oder Armbrustbolzen. Auch ein Schwertstreich oder Axthieb kann diesen Rittern schwerlich etwas anhaben.« Es war die Stimme der Bogenschützin Mara, welche Derio über diese lokale Legende aufklärte. »Sogar gegen einige Kampfzauber sollen die zehn Reiter geschützt sein, da ein Hohepriester des Marlox die Rüstungen während des Schmiedens mit Weihwasser gesegnet hat. Allerdings braucht dieser Zehnertrupp alleine sechzig Knappen, um Mann und Pferd zügig in diese Panzer zu kleiden.«

»Keine Frauen in der Truppe?«, fragte Derio rein aus Neugier.

Die Bogenschützin antwortete mit einem Lächeln auf den Lippen. »Nein, rein vom Körperbau wäre keine Frau in der Lage, in diesen schweren Panzern zu reiten und zu kämpfen. Selbst von den männlichen Soldaten des Königreichs bringt nur einer von vierhundert die notwendige Konstitution für diese Elitetruppe mit und selbst dann ist noch jahrelanges Krafttraining erforderlich.«

»Ich bin gespannt.« Derio musste mittlerweile brüllen, um das Donnern der Hufe zu übertönen. »Gleich erleben wir die Kämpfer in Aktion. Imponierend zu sehen, in welchem Tempo sie durch das Stadttor galoppieren.«

Da nur wenige graue Wolken am Himmel über Talunis hingen, spiegelte sich die Sonne in den beeindruckenden Plattenpanzern der zehn Reiter. Diese stürmten in einem Tempo, das man bei solch schweren Rüstungen für unmöglich halten würde, auf die Horde der fünfzig Barbarenkämpfer zu.

Nach einigen Sekunden der offenkundigen Verwirrung stürmte die von den drei Schwarzmagiern rekrutierte Söldnertruppe todesmutig und waffenschwingend den zehn Panzerreitern entgegen. Offensichtlich kannten die Barbaren entweder keine Furcht oder sie waren schlicht und einfach dämlich.

Das Zusammentreffen der ungleichen Gruppen war ein Donnern von Stahl auf Stahl, trampelnden Hufen, brechenden Knochen, begleitet von Todesschreien. Die königlichen Reiter waren auf eine geradezu brutale Weise effektiv.

Genauso schnell wie er begonnen hatte, war dieser kurze Kampf auch schon wieder vorbei. Die gepanzerten Reiter galoppierten gänzlich unbeeindruckt zu ihrem eigentlichen Ziel – den drei Schwarzmagiern und dem Feuer und Stein schleudernden Dämon. Von ihren fünfzig Gegnern war zumindest die Hälfte tot oder schwer verwundet.

Derio spürte, wie ihm plötzlich jemand von hinten auf die Schulter klopfte. »Gute Arbeit, Vizeleutnant«, lobte der General von Schwertwalde seinen Untergebenen. »Ab jetzt habe ich hier wieder das Kommando am Tor.«

»Jawohl, Herr General«, ächzte Derio dankbar, bevor er entkräftet zu Boden sank. Mit Mühe schaffte er es, seine Augen offen zu halten und seinen Wasserschlauch an die Lippen zu führen. Die Verteidiger würden ohne seine magischen Fähigkeiten auskommen müssen, dennoch wollte er den weiteren Verlauf dieser Schlacht, von der die Barden zukünftig singen würden, auf keinen Fall verpassen.

»Beide Katapulte. Noch ein Schuss! Dann Feuer einstellen. Sonst treffen wir unsere Reiter.« Die Befehle, die der General geradezu herausbellte, waren klar und deutlich zu verstehen. »Infanterie ausrücken. Mit Speer und Schild. Esme hat das Kommando. Bringt das zu Ende, was die Reiterei angefangen hat. Kein Barbar darf entkommen.«

Nachdem Derio seinen Wasserschlauch geleert und einige Bissen Hartwurst gegessen hatte, fühlte er sich wieder stark genug, um sich aufzurichten und die Schlacht über die Zinnen blickend weiter zu verfolgen.

Die Panzerreiter hatten ihre Lanzen wie Wurfspeere auf den Dämon geschleudert. Neun von zehn Würfen waren Treffer. Der Dämon quittierte das mit einem widernatürlichen Aufheulen, während die Reiter sich ihrem eigentlichen Ziel zuwandten, den drei Schwarzmagiern. Mit gezückten Schwertern galoppierten die zehn Pferde der Ritter auf die Diener S’zarozs zu. Dabei priesen die mutigen Reiter lautstark den Kriegsgott Marlox. Sollte es wirklich so einfach sein oder unterschätzten die Panzerreiter die Mächte des Bösen?

Wenige Sekunden vor dem Zusammentreffen ließ ein Zauber eines dunklen Magiers eine massive Felswand von drei Schritt Höhe und zehn Schritt Breite aus dem Boden entstehen.

Derio stockte der Atem. Innerlich betete er zu Marlox in der Hoffnung auf ein göttliches Wunder.

Die Reiter mussten über ein unglaubliches Reaktionsvermögen und wirklich die allerbesten Pferde verfügen. Sieben der zehn Rittern gelang es, ihre Rösser rechtzeitig zu wenden. Noch im selben Atemzug formierten sich die sieben Kämpfer bereits wieder neu. Drei Männer und drei Pferde hatten es jedoch nicht geschafft und lagen ähnlich verbeulten Eisenklumpen am Fuß der Felsmauer.

Die sieben Panzerreiter schwärmten aus und galoppierten wieder auf den Dämon zu, um ihn nahezu zeitgleich von mehreren Seiten mit den Schwertern zu attackieren. Sechs Schwerter trafen und eine seltsame schwarze Flüssigkeit spritzte in sechs Fontänen aus der Kreatur. Der siebte Reiter hatte weniger Glück. Der Dämon pflückte den Unglücklichen gewissermaßen mit beiden Händen vom Pferd. Von Wut und Schmerz gequält zerriss der Diener des Bösen den armen Ritter einfach in der Luft – so als ob die Panzerrüstung aus Seide und der Mann aus Butter wäre. Rotes Menschenblut mischte sich auf dem Boden mit schwarzem Dämonenblut.