Götterpfade - Julian Kappler - E-Book
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Julian Kappler

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Beschreibung

In einer Taverne im rauen Norden des Kaiserreichs der Menschen lernt Gero bei einer Schlägerei neben dem Magier Derio auch die bildschöne Kriegerin Esme kennen. Ehe die Drei sich versehen, befinden sie sich auf einer rasanten, abenteuerlichen Mission, um die sogenannten Steine der Götter zu bergen. Allerdings ist noch jemand anders hinter diesen mysteriösen Artefakten her. So hilft den drei Gefährten nur Vertrauen zu den zehn Göttern und die Hoffnung, dass das Gute schneller sein möge als die Mächte des Bösen.Werden Geros Mut und Optimismus, Derios Weisheit oder gar Esmes Göttervertrauen der Schlüssel zum Sieg über die Diener des dunklen Gottes S'zaroz sein? Von der geheimnisvollen dritten Macht, die beginnt, ihre Fäden im Hintergrund zu ziehen, ahnen die Drei noch nichts. So entfaltet sich langsam und zunächst unbemerkt ein komplexes Netz der Intrigen. Genauso wenig wissen die drei Gefährten etwas über die uralte Prophezeiung, in der sie eine zentrale Rolle spielen ... »Die Pfade der Götter sind unergründlich und häufig verschlungen. Kerzengerade und für uns Sterbliche offensichtlich hingegen sind sie nur sehr selten.« Esme in Götterpfade

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Götterpfade

 

Die Steine der Götter 1

 

JULIAN KAPPLER

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL I

KAPITEL II

KAPITEL III

KAPITEL IV

KAPITEL V

KAPITEL VI

KAPITEL VII

KAPITEL VIII

KAPITEL IX

KAPITEL X

KAPITEL XI

KAPITEL XII

KAPITEL XIII

APPENDIX A: DIE GÖTTER SOLANDIENS

APPENDIX B: DIE PROTAGONISTEN

APPENDIX C: BESTIARIUM

DANKE

IMPRESSUM

 

 

 

 

KAPITEL I

 

 

Jahr des Kaisers (J.d.K.) 987, zehnter Tag im siebten Mondzyklus, im Norden des Königreichs Noweiten

 

Der Geruch von deftigem Wildschweinbraten mit Biersoße und Kaiserkartoffeln zog durch die gemütlich eingerichtete Taverne. Gero lächelte zufrieden, während er die rötliche Spiegelung des Kaminfeuers in seinem Schwert betrachtete.

Der Tag hatte sehr gut angefangen für den jungen Krieger. Da er im Moment durch das nördliche Grenzgebiet des Kaiserreichs reiste, hatte er am Morgen einen gutbezahlten Auftrag von einem Bierkutscher bekommen. Gero war angeheuert worden, um dessen Gefährt vor Räubern, Goblins oder gar Schlimmerem zu beschützen. Als tatsächlich eine Gruppe von fünf mit rostigen Kurzschwertern bewaffneten Goblins einen Baum umgestürzt und die Kutsche bedroht hatte, war Geros Moment gekommen. Sofort waren der Kutscher und sein Geselle auf die Bierfässer geklettert, um sich außer Reichweite der Feinde zu bringen. Aber Gero hatte seinen Mut zusammengenommen, war von der Kutsche gesprungen und hatte mit einem kräftigen Schlag den hässlichen Kopf des Anführers vom Rumpf getrennt.

Beweis seines Sieges war das grünliche Goblinblut, das noch immer an seinem Zweihänder klebte. Außerdem zeugten ein kleines Fass Zwergenbier sowie einige Silbermünzen in Geros Geldbeutel von der Dankbarkeit des Kutschers. Natürlich wusste Gero, dass er den Kampf nur aufgrund der Feigheit seiner Feinde gewonnen hatte, da diese ohne ihren Anführer sofort geflüchtet waren. Mit seiner Lederrüstung und nur mäßiger Erfahrung im Schwertkampf wäre es ihm trotz seiner beachtlichen Kräfte nicht möglich gewesen, alleine gegen die vier verbliebenen Feinde gleichzeitig zu bestehen. Aber das sollte seinen Stolz über den Sieg nicht schmälern.

Gerade als der Wirt ein frisch gezapftes Bier auf Geros Tisch stellte und der junge Krieger dachte, dass dieser Tag nicht mehr perfekter werden könnte, wurde der Tag noch viel besser. Sie steuerte auf Geros Tisch zu, obwohl noch einige Plätze am Tresen und an Tischen mit Bauern oder Händlern frei waren. Sie war eine Kriegerin, was am schimmernden Kettenhemd, den kräftigen Armen und ihrer Waffe sofort zu erkennen war. Sie hatte einen Krummsäbel am Gürtel hängen, wie er ihn bisher nur von den Kriegern des Wüstenvolkes oder von Orks kannte. Ganz offensichtlich musste sie Gero als echten Krieger erkannt haben – daher die Wahl des Tisches.

Sie setzte sich ohne Umschweife auf einen freien Stuhl neben Gero. »Die zehn Götter zum Gruße.«

»Die Zehn zum Gruße«, erwiderte Gero ihre Begrüßung mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.

Gero war bemüht, ihr Gesicht zu betrachten, ohne sie anzustarren. Ihre langen blonden Haare hatte sie zu einem praktischen Zopf gebunden, was ihr edles Antlitz jedoch umso mehr betonte. Er hatte zwar schon einige Kriegerinnen oder Soldatinnen getroffen, aber die meisten hatten zahlreiche Narben im Gesicht oder zumindest kantige und wettergegerbte Züge und ganz sicher war keine so schön und anmutig wie die Frau an seinem Tisch. Ihre blauen Augen erinnerten ihn an den kristallklaren Bergsee in der Nähe seines Heimatdorfes. Die gutaussehende Kriegerin wirkte noch recht jung – vielleicht mochte sie genau wie Gero zwanzig Sommer und Winter erlebt haben.

Während er überlegte, ob ihre ebenmäßigen Gesichtszüge sogar die Tochter des Grafen in der Nähe seines Heimatdorfes an Schönheit übertrafen, stellte die Kriegerin sich bereits in knappen Worten vor. »Esme von Lendaya. Sagt einfach Esme.« Die Kriegerin namens Esme nickte Gero kurz zu, während sie sprach.

»Höchst erfreut, werte Esme. Mein Name ist Gero Grünfels, Sohn eines ehrbaren Schmiedes. Aber ich reise als Krieger im Kampf gegen das Böse durch die Landen. Ich hatte einen sehr erfolgreichen Tag, also lade ich Euch herzlich gerne zu Bier und Braten ein.«

Da Esme seine Einladung nur mit der Andeutung eines Lächelns und einem kurzen Danke erwiderte, stellte Gero fest, dass sie entweder keine Frau der vielen Worte war oder aber einen besonders anstrengenden Tag hinter sich hatte. In jedem Fall war er froh, als der Wirt nach einiger Zeit zwei großzügige Portionen duftenden Bratens zusammen mit dem Bier für die Kriegerin auf den Tisch stellte.

Unerwartet war es Esme, die das Gespräch gerade in dem Moment wieder begann, als Gero sein letztes Bratenstück auf die Gabel spießte. »Seht mal, hinter Euch, direkt am Tresen!«

Neugierig drehte Gero sich um und legte seine Gabel auf den Teller. In der Mitte des Tresens saß ein Mann mittleren Alters mit langem braunem Bart bei einem großen Krug Bier. Trotz des Schwertes an seinem Waffengurt war es sogar für die beiden Krieger offensichtlich, dass es sich um einen Magier handeln musste. Auf seiner langen weißen Robe waren mehrere mythische Runen eingestickt und außerdem ein Blitz, der silbern leuchtete. Der bärtige Magier war umzingelt von drei schrankbreiten Söldnern, die vermutlich aufgrund ihrer übertriebenen Zecherei bereits aus der anderen Taverne des kleinen Dorfes geworfen worden waren.

Der Anführer lallte so laut, dass die beiden Krieger ihn problemlos verstehen konnten. »Das hier ist mein Stammplatz, Freundchen! Wenn du wirklich Magier bist, dann zauber den Verschwindibus! Wenn du nur ein verkleideter Betrüger bist, dann nimm die Beine in die Hand!«

Der Magier zischte eine wütende Erwiderung, die im Lärm der Taverne leider nicht zu verstehen war. An seiner veränderten Körperhaltung erkannte Gero jedoch, dass der Bärtige sich kampfbereit machte.

»Wie sonst? Bei allen Göttern … Sonst hauen meine Freunde und ich dich zu Brei, oder so?«, grölte der Wortführer, woraufhin seine beiden Saufkumpane ein zustimmendes Gejohle anstimmten.

Gero schaute Esme fragend an. »Meint Ihr, der Magier braucht Hilfe? Ich verstehe ja nicht viel von Magie, aber kann er die drei Söldner nicht einfach mit einem Feuerball oder Ähnlichem vernichten?«

Esme lächelte – sehr bezaubernd, wie Gero nebenbei feststellte. »Nun, Gero, Feuerbälle und Vernichtung hier in der schönen Taverne? Nein, das gefällt mir nicht!«

Noch im Aufstehen leerte Gero seinen Bierkrug und stopfte sich den letzten Bissen Braten in den Mund. »Esme, Ihr habt Recht. Wir werden dem Magier beistehen und diesen Trunkenbolden eine gehörige Abreibung verpassen.«

Während die beiden Krieger sich Seite an Seite dem Magier und den drei Söldnern näherten, nahm Gero sich fest vor, am nächsten Tag Tinte und Papier zu erstehen, um seinen Eltern in einem Brief von diesem unglaublichen Tag zu berichten. Er kannte niemanden in seinem Heimatdorf oder der näheren Umgebung, der von sich sagen konnte, je einem waschechten Magier geholfen zu haben.

 

***

 

Derio versuchte, seine Chancen im Faustkampf gegen die drei Erbsenhirne einzuschätzen. Der Anführer alleine wäre kein Problem, aber eine Prügelei mit drei von diesen Schränken würde schlecht für den Magier ausgehen. Zum ersten Mal bedauerte Derio, wenn auch nur ein klein wenig, dass an seiner Akademie nur handfeste Magie für Kampfeszwecke gelehrt wurde. Daher konnte er nicht auf Illusionen oder ähnlichen Firlefanz zurückgreifen, um die Trunkenbolde schnell und einfach loszuwerden.

Als die meisten Gespräche in der Taverne bereits verstummt waren, da eine spannende Schlägerei in der Luft lag, traten ein junger Krieger und eine Kriegerin an Derios Seite. Ersterer war mit einer Lederrüstung gewappnet, sie trug ein silbernes Kettenhemd und beide strahlten eine Aura der Rechtschaffenheit aus.

Die kräftige Stimme der blonden Kriegerin brachte auch das letzte Gespräch in der Taverne zum Verstummen. »Ihr, lasst den Mann in Frieden! Setzt Euch woanders hin und trinkt in Ruhe ein Bier oder verlasst diesen Ort der Gastfreundschaft!«

Derio konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken, als die Frau des Wirts der Kriegerin mit zittriger Stimme zustimmte. Gasthäuser waren nun mal ein Ort des Friedens und nicht des Streits. So war es auch der Wille des Gottes Ahlon, welcher als Beschützer der Menschen seinen treuen Anhängern stets gute Ernten und köstlichen Wein garantierte.

Der Anführer der drei betrunkenen Erbsenhirne war offensichtlich anderer Meinung. »Ich bin hier schon zum dritten Mal auf ein Bier, also ist das mein Stammplatz an der Theke! Jungs, lasst euch vom Kettenhemd der feinen Dame nicht täuschen. Machen wir die drei Witzfiguren fertig.«

Derio konnte den schwerfälligen Schlag seines Gegners, der direkt auf sein Kinn zielte, schon mehrere Lidschläge im Voraus erkennen, so dass er im perfekten Moment auswich und dem Söldner seine Faust in den Magen rammte. Wie geplant krümmte dieser sich nach dem Treffer zusammen, woraufhin Derio ihm mit einem Schlag in den Nacken den Rest geben konnte.

Derio hätte sich gar nicht nach den anderen beiden Söldnern umdrehen müssen, da der Applaus der übrigen Gäste klarmachte, dass die zwei Krieger ebenso erfolgreich gewesen waren wie er. Die Auseinandersetzung war schon zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte.

Nachdem der Magier sich mit einem Blick auf alle drei am Boden liegenden Söldner vergewissert hatte, dass es bei der kurzen Schlägerei keine ernsten Verletzungen gegeben hatte, stellte er sich seinen beiden Helfern vor. »Danke für Eure Hilfe! Derio Blitz mein Name, Adeptus Ars Magicae. Sagt einfach Derio.«

»Sehr erfreut, Derio, ich bin Gero und die bezaubernde Kriegerin an meiner Seite ist Esme«, stellte der breitschultrige Krieger sich und seine blonde Mitstreiterin vor.

Geros Händedruck war fest, was gut zu seinem entschlossenen Blick passte. Die wachen grünen Augen des Kriegers bildeten einen bemerkenswerten Kontrast zu seinen kurzen schwarzen Haaren. Zahlreiche dunkle Bartstoppeln am Kinn zeugten davon, dass Gero sich vor einigen Tagen das letzte Mal rasiert haben musste. Allerdings verweilten Derios Gedanken doch deutlich länger bei den himmelblauen Augen der liebreizenden Esme als bei der Rasur des Kriegers.

Nachdem nun alle Höflichkeiten ausgetauscht worden waren und sich die geschlagenen Söldner mehr kriechend als gehend aus dem Staub gemacht hatten, nahm Derio die Einladung der beiden, sich an ihren Tisch zu setzen, dankbar an.

Die Kriegerin namens Esme hatte Gesichtszüge, die Derio an Zeichnungen von den hohen Königinnen der Elfen erinnerten. Nach dem Bruchteil einer Sekunde verwarf Derio den Gedanken, ihr den Hof zu machen. Sie war offensichtlich ohne magische Begabung und das wäre seinem Stande nicht angemessen und irgendwie auch unfair seinen potenziellen zukünftigen Nachkommen gegenüber. Denn was gäbe es Schöneres, als seinen Kindern das Geschenk der astralen Kräfte von beiden Seiten in die Wiege zu legen?

Einen fröhlichen Abend bei Bier und Braten wollte Derio mit Esme und Gero auf jeden Fall verbringen. »Wisst Ihr was? Ich habe die Kammer unter dem Dach als Schlafgemach gemietet. Dort sind vier Betten und die Tür ist abschließbar – viel besser als der Schlafsaal. Und ich denke, ich schulde Euch auch ein Frühstück, nachdem Ihr mir geholfen habt, diese drei Erbsenhirne zu erledigen.«

Esme nickte knapp.

Gero hingegen lächelte erfreut und gab Derio die Hand. »Wir nehmen Euer Angebot sehr gerne an, wenn Ihr mir eine neugierige Frage zum Thema Magie erlaubt.«

»Gerne auch zwei Fragen, aber dann zum Frühstück. Magie ist ein komplexes Thema und nach meiner langen Wanderung sind mein Krug Bier und der duftende Braten alles, womit ich mich heute noch beschäftigen möchte.«

Auch Esme lachte zustimmend. »Vergesst die feine Soße und die leckeren Kartoffeln nicht, sonst entgeht Euch etwas.«

J.d.K. 987, elfter Tag im siebten Mondzyklus, im Norden des Königreichs Noweiten

 

Das Mahl am nächsten Morgen war so reichhaltig, dass Esme sich nicht erinnern konnte, wann sie zuletzt so opulent gefrühstückt hatte.

Der Wirt und sein Sohn stellten immer wieder neue Platten mit kalten und warmen Speisen auf den Tisch. Wurst, Käse, Brot und saisonales Obst aus der Region stapelten sich geradezu vor Esme, Gero und Derio.

Unterdessen hatte Esme im Gespräch mit Gero erfahren, dass der junge Krieger nach Ruhm, Ehre und Abenteuern im unruhigen Grenzgebiet suchte. Dies stand im Gegensatz zu den Hoffnungen von Geros Vater, der ihn eigentlich als Nachfolger in der Schmiede fest eingeplant hatte.

Esmes Gründe für ihren Aufenthalt im rauen Norden des Reiches waren ungleich ernster und weniger naiv. Sie war auf der Suche nach Rache und Gerechtigkeit für das, was die Orks ihrer Familie vor vielen Jahren angetan hatten. Bestimmt würde sie in den nächsten Tagen eine Gelegenheit finden – vielleicht könnte sie sich der Armee des Kaiserreichs anschließen.

Aber an diesem Morgen hatte keiner der drei Abenteurer unaufschiebbare Pläne, so dass alle das kleine Festmahl genießen konnten. Ganz langsam wurden die Stapel an köstlichen Speisen auf dem Frühstückstisch etwas kleiner.

Der junge Magier namens Derio war in Bezug auf seine Vergangenheit nicht so verschlossen wie Esme und erläuterte zwischen zwei Bissen Krustenbraten seine Lehrzeit als Adept. »Nun, es verhält sich so, dass die Ausbildung zum Adeptus an der Akademie in Nordwacht mindestens zwanzig Jahre dauert. Dafür lernen wir neben den Grundlagen der Kampfmagie auch den Umgang mit dem Schwert. Mit zehn Jahren wurde mein Talent entdeckt und seitdem habe ich meine Familie nicht mehr gesehen. Das wäre einfach unüblich und die Ausbildung lässt auch keine Zeit für Heimatbesuche. Meine Mitschüler und Lehrer waren mir in dieser Zeit meine Familie.«

Esme hörte Derio interessiert zu, bis jemand anders die Aufmerksamkeit in der Schankstube auf sich zog.

Ein Mann in einer dunkelbraunen Robe, unter der ein Kettenhemd schimmerte, betrat den Raum, räusperte sich und erhob seine tiefe durchdringende Stimme. »Die Götter zum Gruße, liebe Reisende und Abenteurer! Ich suche eine Gruppe von tapferen Recken, die vertrauenswürdig ist und mit einem kleinen Auftrag ihre Reisekasse um einige Goldmünzen aufbessern möchte.«

Während Esme ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, sprang Gero schon auf und meldete sich. »Werter Herr, wir übernehmen Euren Auftrag. Wer könnte vertrauenswürdiger sein als zwei Krieger und ein ehrenwerter Magier.«

Esme und Derio steckten die Köpfe zusammen, um sich leise zu besprechen.

»Hätte Gero uns nicht vorher fragen können und habt Ihr als Adept der magischen Künste nichts Wichtigeres zu tun?«, fragte Esme skeptisch.

Derio hob eine Augenbraue. »Nun, meine Reisekasse leert sich leider schneller, als mir lieb ist. Da ich keine Luft in Gold verwandeln kann und außerdem neugierig bin, lassen wir den Mann doch von seinem ominösen Auftrag erzählen.«

Esme winkte schließlich den Mann, der das Getuschel bereits bemerkt hatte, an ihren Tisch. Nachdem ihnen vom Auftrag berichtet worden war, überlegte Esme, wo der Haken war. Dinge, die zu schön schienen, um wahr zu sein, waren meistens auch nicht wahr. Diesen nützlichen Hinweis beherzigte Esme schon seit Längerem in ähnlichen Situationen.

Während Esme noch nachdachte, fasste Gero den Auftrag mit einem breiten Grinsen im Gesicht zusammen. »Wir bringen also diesen Brief in ein Dorf, welches fünf Tagesreisen im Osten liegt, und bekommen jeder vier ganze Goldmünzen. Also umgerechnet in Silber vierzig Münzen. Das ist doch fast zu schön …«

Der Auftraggeber knurrte als Antwort: »Ja, ja, sicher. Vierzig Silbermünzen oder auch vierhundert Kupferlinge pro Nase, wenn Ihr Kleingeld besonders schätzt. Der Haken ist, dass meine Auftraggeber auf absoluter Vertraulichkeit bestehen. Ihr müsst bei Eurem Leben schwören, dass Ihr den Brief nicht öffnet und bis zuletzt um ihn kämpft. Egal, ob Euch der Kaiser persönlich oder einer der zehn Götter um etwas Anderes bitten sollte.«

Jetzt war es Derio, der fröhlich lachte. »Nun, gegen Götter würden unsere drei Schwerter und meine Magie wenig nützen, aber gegen grünhäutige Orks, Goblins oder gar gegen Räuber werden wir Euren Brief erfolgreich verteidigen können. Ich schwöre es also!«

J.d.K. 987, sechzehnter Tag im siebten Mondzyklus, im Norden des Königreichs Noweiten

 

Nach fünf langen Tagen Fußmarsch mit nur wenigen Ruhepausen hatte Derio das Gefühl, vor lauter Blasen an den Füßen kaum noch laufen zu können, als sich endlich der ersehnte Zielort im Nebel des nächsten Tals auftat.

»Wenn ich gewusst hätte, dass zwischen diesen Dörfern keine Kutschen verkehren, hätte ich den Auftrag sicherlich abgelehnt«, scherzte Derio in Anbetracht seiner schmerzenden Füße.

Gero musterte ihn mit einem leicht amüsierten Blick. »Ich durfte einiges über die Feinheiten des Schwertkampfes von dir und Esme lernen und außerdem staunte ich bei deinen Erzählungen über astrale Kräfte und magische Welten. Aber jetzt kommt der erste Punkt auf die Liste der Dinge, die du nicht an deiner Magierakademie gelernt hast, aber von mir lernen kannst.«

Derio strich sich mit seiner rechten Hand durch den langen braunen Bart und wartete gespannt auf Geros weitere Ausführungen. Dieser junge Krieger namens Gero war stark wie ein Bär, im Kampf standhaft wie ein Baum. Und obwohl er der Sohn eines einfachen Schmieds war, konnte er recht sicher lesen und schreiben, lernte schnell und drückte sich halbwegs gewählt aus. Aber was sollte ein ausgebildeter Adept von einem Krieger lernen, der gut zehn Sommer und Winter weniger an Lebenserfahrung vorzuweisen hatte?

Nach einer Pause von zwei oder drei Sekunden fuhr eben dieser mit einem Lächeln auf den Lippen fort: »Dein Schuhwerk ist das Problem. Das sind Kriegsstiefel aus dem harten Leder der Blutwölfe, die dazu noch mit Silber verstärkt sind. Das trägt man auf dem Rücken eines Pferdes, auf Reisen in einer Kutsche, auf dem Schlachtfeld sicherlich, aber besser nicht auf Wanderungen.«

»Ah, bei den Göttern, da wird mir einiges klar«, meinte Derio und betrachtete kritisch seine Stiefel.

Während beide Krieger über Derios Probleme mit dem Schuhwerk schmunzelten, fiel sein Blick auch auf die Schuhe von Esme, die ebenso mit Metall verstärkt, ja fast schon gepanzert waren.

»Ganz einfach«, erklärte Esme, die Derios Blick bemerkt hatte, »irgendwann passt sich der Fuß an die Schuhe an. Das kann aber Monate dauern und ist eher schmerzhaft. Und was würden mir schon Kettenhemd und Kettenhose nützen, wenn meine Füße in leichten Wanderstiefeln steckten? Aber dir empfehle ich genau solche Wanderstiefel, mein lieber Magier.«

 

Derio war dankbar für den Rat seiner beiden Gefährten und auch um einige Kupferlinge reicher, nachdem er diesen Ratschlag in die Tat umgesetzt hatte. Er hatte beim Dorfschuster ein Paar bequeme Wanderstiefel erstanden, die perfekt passten, und seine alten Stiefel in Zahlung gegeben. Dies hatte zu seiner Überraschung zu diesem kleinen finanziellen Gewinn geführt. Jetzt klimperten die zusätzlichen Kupfermünzen fröhlich in Derios Geldbeutel, als sie den Zielort ihres Auftrags betraten.

Die Kneipe, in die sie den Brief bringen sollten, hieß »Zum toten Ork« und tatsächlich hatte der Besitzer einen konservierten Orkschädel über den Tresen gehängt. Dies war vielleicht der Grund für den leicht fauligen Duft, der ab und zu zwischen den Bierschwaden zu riechen war. Für Derio war es kein Ort, an dem er lange verweilen wollte, also schritt er direkt auf den Wirt zu.

»Wir möchten ins Hinterzimmer. Man erwartet uns dort. Die Losung lautet: Divis Parto Tre«, wiederholte Derio den vom Auftraggeber genannten Geheimcode. Währenddessen bemühte er sich, den unangenehmen Geruch zu ignorieren.

Das Hinterzimmer war für Derios Geschmack noch ungastlicher, aber als ausgebildeter Adept und mit zwei Kriegern an seiner Seite war er weit davon entfernt, Furcht zu spüren. Der Raum war fensterlos und nur von dem Schein einer alten Öllampe erhellt, welche auf einem schäbigen Eichentisch stand. An dem Tisch konnte er zwei Gestalten erkennen, die in ihren Pfeifen süßlich riechendes Kraut pafften, so dass der ganze Raum von Dunstschwaden erfüllt war. Undeutlich waren noch ein paar Truhen und kleinere Regale zu sehen.

»Ich habe hier einen Brief für einen Mann, der sich der Bär nennen lässt«, sagte Derio knapp.

Der versiegelte Brief sowie die versprochene Bezahlung wechselten ohne unnötige Worte die Besitzer.

Der Mann, an den der Brief adressiert war, hustete nach einem etwas zu tiefen Zug an seiner Pfeife. »Ihr seid echte Glückspilze. Für die doppelte Bezahlung winkt Euch ein ebenso leichter Folgeauftrag. Eine Kiste, eine halbe Tagesreise nördlich versteckt, muss zwei Tagesreisen in den Süden gebracht werden.«

Derio sah Esme an, dass sie im Kopf die Entfernung abschätzte, bevor sie erwiderte: »Ich verstehe richtig, dass Eure geheimnisvolle Kiste nördlich der Reichsgrenze lagert?«

Ihr potenzieller Auftraggeber entblößte mit einem breiten Grinsen seine gelblichen Zähne. »Ihr seht mir nicht nach Angsthasen aus. Oder? Größere Trupps von Orks wagen sich nicht so nah an die Grenze und mit einem Kundschafter solltet Ihr doch wohl fertig werden.«

Das konnte Gero offensichtlich nicht auf sich sitzen lassen. »Ich habe keine Angst! Esme und Derio sicher auch nicht.« Geros grüne Augen funkelten zornig und voller Trotz.

Esme flüsterte, so dass Derio sie nur mit Mühe und Not verstehen konnte. »Ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl. Diese Männer sind nicht … rechtschaffen.«

Da es ihm ähnlich ging, räusperte Derio sich und erhob seine Stimme: »Werte Herren, wir danken für den freundlichen Empfang, aber wir lehnen Euren Folgeauftrag ab. Es sind andere Dinge, welche in der nächsten Zeit unsere Aufmerksamkeit verlangen.«

Beim Verlassen des verrauchten Zimmers und der schmierigen Taverne hatte Derio das Gefühl, dass sich eiskalte Blicke wie Dolche in seinen Rücken bohrten. Trotzdem dachte er nicht einmal im Traum daran, sich umzudrehen, und schenkte den zwielichtigen Gestalten einfach keine weitere Aufmerksamkeit.

J.d.K. 987, siebzehnter Tag im siebten Mondzyklus, im Norden des Königreichs Noweiten

 

Ihre beiden Begleiter waren Esmes Vorschlag gefolgt, der Grenze nach Nordosten zu folgen, um zur Norderburg zu gelangen. Diese Festung war die nördlichste Bastion des Kaiserreichs. Dort hoffte sie, eine bessere Gelegenheit für ehrbare Streiter zu finden, etwas Gold zu verdienen.

Die ersten Tage dieser Reise verliefen zunächst sehr ruhig. Am zweiten Tag entdeckten sie zu Esmes Freude einen kleinen Tempel, einen schlichten, fast zweckmäßigen Bau aus weißem Marmor. Das einstöckige Gebäude lag etwas abseits auf einer Waldlichtung, so dass man die Gelegenheit für ein ruhiges Gebet an die zehn Götter nutzen konnte. In diesem abgeschiedenen Tempel, welcher Juania, der Göttin der Wahrheit, geweiht war, lebten ein Hohepriester und eine junge Novizin. Den alten Priester bekamen Esme und ihre Gefährten während ihres kurzen Aufenthalts gar nicht zu Gesicht. Auch die Novizin des Tempels war ebenso freundlich wie zurückhaltend, so dass keine unnötigen Unterhaltungen Esmes Zeit für Gebet und Meditation verkürzten.

Das eine oder andere Gebet war scheinbar erhört worden. Die Wälder schenkten ihnen die folgenden Tage einige unvorsichtige Hasen und sogar Rotwild, welches sich mit geschickten Messerwürfen niederstrecken ließ. Auf dieser Basis konnten Esme und Gero den Magier überzeugen, dass frisch im Wald erlegtes und selbst zubereitetes Wild weit besser schmeckt als das, was die meisten Gasthäuser im Angebot haben.

 

Es war später Abend geworden und am Himmel zogen sich dicke Gewitterwolken zusammen, während das nächste Dorf nur undeutlich in der Ferne zu erkennen war. Da keiner der drei Wanderer nass werden wollte, erhöhten sie die Geschwindigkeit ihres Fußmarsches nochmals.

Doch die Götter schienen an diesem Abend nicht mit Esme und ihren Gefährten zu sein. Esme hatte gerade eine Fackel entzündet, um die Dunkelheit aus der hügeligen Waldlandschaft um sie herum zu vertreiben, als sich ein heftiger Regenschauer über sie ergoss, der die Fackel mit einem lauten Zischen zum Erlöschen brachte.

Gero, der bisher vorangegangen war, verlangsamte das Tempo seiner Schritte. »Könnt ihr den Weg noch erkennen?«

»Nein. Verfluchter Regen. Hast du vielleicht einen Zauber gegen den Regen, Derio?«, fragte Esme halb im Scherz.

Derio lachte kurz auf und fing zu Esmes Erstaunen tatsächlich an, eine Formel in seinen Bart zu murmeln. »Lux accent adverx tenbro!«

Er besaß zwar scheinbar nicht die Macht, den Regen zu vertreiben, aber einen magischen Ersatz für die erloschene Fackel brachte Derio offensichtlich problemlos zu Stande.

Esme konnte den Blick kaum von der leuchtenden Kugel abwenden, die fröhlich über der Hand des Magiers hin und her tanzte. Der Schein war so hell wie von mehreren Fackeln, aber diese Lichtkugel verströmte weder Hitze noch Ruß, sondern nur eine angenehme Wärme.

Esmes Augen folgten immer noch den Bewegungen der Lichtkugel, während Gero sich neugierig an Derio wandte: »Beeindruckend und auch ein schöner Anblick, aber hast du nicht erzählt, dass du nur Kampfmagie erlernt hast?«

»So einfach ist es nicht. Das, was ihr seht, ist der erste Zauber, den jeder Schüler zunächst lernt. Eine simple Art, die Energie seines Geistes in einer anderen Form, Licht, zu manifestieren und zu kontrollieren. Somit eine gute Übung als Basis für komplexere arkane Künste«, erläuterte Derio langatmig.

Esmes Atem beschleunigte sich plötzlich, als sie fünf rot leuchtende Augenpaare im Regen erkannte. Die hässlichen Fratzen kamen nur allzu rasch von allen Seiten näher. Derios magisches Licht spiegelte sich bereits in Äxten und Schwertern der Angreifer, als Esme nur einige Sekundenbruchteile später ihren Säbel hochriss und laut brüllte: »Orks!«

Orks waren allgemein bekannt als blutrünstige, entfernt menschenähnliche Bestien. Jedoch überragten die meisten Orks einen durchschnittlich großen Menschen um etwa einen Kopf – so auch die nächtlichen Angreifer. Die grünlichen Gesichter der Orks wurden von knochigen Stirnwülsten und raubtiergleichen Zähnen dominiert.

Der Hass auf diese schwarzblütigen Kreaturen des Bösen ließ Esme noch schneller und präziser reagieren, als sie es im Übungskampf vermocht hätte. Die ersten beiden Orks beschäftigte Esme mit einem angetäuschten Hieb auf Brusthöhe. Während ihre beiden Gegner die schweren Äxte zur Parade hoben, nutzte sie ihren Schwung und das nasse Laub, um zwischen ihren beiden Feinden hindurch zu rutschen.

In einer fließenden Bewegung kam Esme wieder auf die Beine und schnitt zugleich mit ihrem Säbel tief in die Rücken der Orks. Die mit Metallringen verstärkten Lederrüstungen boten dem scharfen Stahl und ihrer Kraft nicht genügend Widerstand, so dass ihr schwarzes Blut entgegen spritzte.

Auch wenn die Treffer nicht ausreichten, um zwei kräftige Orks zu Fall zu bringen, sorgten doch Schmerz und Überraschung dafür, dass die beiden Äxte ihrer Gegner auf den regennassen Boden fielen. Diesen Moment nutzte Esme, um einem der Orks mit einem präzisen Schlag den Kopf vom Schädel zu trennen.

Ihrem verbliebenen grüngesichtigen Kontrahenten, der bereits einen Dolch vom Gürtel gezogen hatte, versetzte Esme einen so kräftigen Tritt gegen den Brustkorb, dass der Ork zu Boden fiel. Mit einem Sprung stand Esme auf ihm und bohrte den Säbel in seinen Hals, bevor er seinen Dolch zum Einsatz bringen konnte.

Noch auf dem toten Ork stehend schaute Esme sich um, ob Gero und Derio Hilfe brauchten. Der Kampf gegen ihre beiden Gegner hatte schließlich nur wenige Sekunden gedauert. Das magisch erzeugte Licht war verschwunden, aber zum Glück funkelten einige Sterne durch eine kleine Lücke in den Wolken, so dass Esme die Umgebung schemenhaft erkennen konnte. Vor Gero lagen zwei erschlagene Orks, während vor dem Magier nur eine schwere Streitaxt in einer Pfütze lag.

»Ist eine der Bestien entkommen?« Gero sah sich hastig im nächtlichen Halbdunkel um.

Derio lächelte stolz, obwohl Blut aus einer Schnittwunde an seinem rechten Arm tropfte. »Nein, schaut genau auf den Boden. Asche. Das ist alles, was vom Anführer der Horde übrig ist. Ein guter Kämpfer übrigens.«

Esmes besorgter Blick fiel auf Gero, in dessen Seite ein schwerer Orkdolch steckte. »Was ist passiert?«

Gero kniff die Zähne zusammen und versuchte ein Lächeln. »Ich dachte, die Bestie wäre tot. Mein Schwert ging genau durch das Herz. Als ich mit dem zweiten Ork beschäftigt war, schleuderte er seinen Dolch.«

Esme sah, dass Gero kaum noch stehen konnte und sich bereits auf seinen Zweihänder stützte. »Derio, kannst du ihm mit deiner Magie helfen?«

»Ich habe nicht unbegrenzt astrale Kraft, aber für seine Wunde im Bauch muss es heute einfach reichen. Er verliert viel Blut und es könnte Organe zerrissen haben«, murmelte Derio in seinen Bart. »Gero, leg dich flach auf den Boden und beiß am besten auf ein Stück Holz. Und Esme, zieh auf mein Zeichen den Dolch aus der Wunde.«

Mit einer gewissen Faszination betrachtete Esme das magische Ritual. Nachdem sie den Dolch aus der Wunde gezogen hatte, legte Derio sofort seine Hände auf die Verletzung und fing an, unablässig eine Formel in der alten Sprache der Magier zu wiederholen. Seine eigene, etwas kleinere Schnittverletzung am Arm ignorierte der Magier dabei tapfer.

Nachdem etwa eine Minute nicht besonders viel passiert war, begann Esme, sich Sorgen zu machen. Derios Augen verdrehten sich seltsam und aus seiner Nase liefen Blutstropfen.

Gerade als Esme überlegte einzugreifen, legte sich ein bläulicher Schimmer über Derios Hände und Geros Wunde schloss sich im Verlauf von Sekunden. Es war mehr als faszinierend zu sehen, wie die Kräfte der Magie innerhalb von kurzen Augenblicken Dinge vollbrachten, für die sonst Tage oder Wochen notwendig gewesen wären.

Derio löste seine Hände von Gero, wischte sich das Blut von der Nase und keuchte: »Mir geht es gut. Alles in Ordnung!« Nach einigen Sekunden Verschnaufpause fügte Derio dann hinzu: »Wenn der rote Lebenssaft einen Magier ohne offensichtlichen Grund verlässt – beispielsweise durch heftiges Nasenbluten – verzehrt der Geist gerade die letzten im Körper wohnenden astralen Kraftreserven. Das heißt für den Moment, ein wenig Ruhe und ein bequemes Nachtlager wären vortrefflich für mich.«

Da Gero sich nach dem Ritual fast wie neugeboren fühlte und Esme keine Verletzungen davongetragen hatte, entschied man, dass die beiden Krieger den Magier bis zum nahen Dorf stützen und notfalls tragen würden. Dort würde hoffentlich ein Heiler Derios Schnittwunde am rechten Arm behandeln können. Derios magische Kräfte, so schien es Esme, waren im Moment mehr oder weniger vollständig erschöpft.

Der unablässige Regen zusammen mit dem Leuchten der Lichter des Dorfes sowie der Aussicht auf ein bequemes Bett beschleunigte die Schritte der drei müden Wanderer.

J.d.K. 987, zweiundzwanzigster Tag im siebten Mondzyklus, im Norden des Königreichs Noweiten

 

Esme wachte am nächsten Morgen früh auf, ohne sich wirklich erholt zu fühlen. Am bequemen Bett des Dorfgasthauses lag es sicher nicht. Immer noch spukten ihr die Bilder eines seltsamen Traums im Kopf herum.

 

Grelles Licht umgab sie und eine Stimme schien von überall zu kommen. »Juania, die Göttin der Wahrheit, liebt die Gerechtigkeit und auch du liebst die Gerechtigkeit. Alleine das ist Grund genug, den Tempel erneut aufzusuchen. Aber hüte dich vor den Dreizehn. Doch sehr viel wichtiger ist es, dass du nach den zehn Teilen des Krummsäbels suchst.«

Nur noch Licht und Stille umgaben sie.

 

Als letzter der drei Gefährten wurde auch Gero wach und machte sich mit einem lauten Gähnen bemerkbar. »Guten Morgen zusammen! Wisst ihr, was seltsam ist? Ich dachte in der Nacht, ich hätte eine Gestalt aus unserem Zimmer huschen sehen. Aber mal ehrlich, wer sollte sich das trauen, wo zwei Krieger und ein Magier hier schlafen? Und noch dazu in so einem beschaulichen Gasthof! Sicher nur eine Täuschung der Sinne. Oder ein Traum?«

Derio, der ebenfalls bereits wach war, prüfte seinen Rucksack und räusperte sich. »In meinem Gepäck liegt ein Zettel, der dort ganz bestimmt nicht hingehört. Prüft schnell eure Beutel und besonders die Geldbörsen, auf dass nichts gestohlen wurde.«

Jeder der drei Gefährten fand solch ein Schriftstück. Gero zog es aus seiner Geldbörse und Esme fand das Papier neben sich auf dem Boden. Noch während Esme versuchte, ihren Traum und das Auftauchen der ominösen Zettel in einen Zusammenhang zu bringen, las Derio die Botschaft aus seinem Rucksack laut vor.

 

Erlaubt guten Freunden, euch eine Warnung zukommen zu lassen: Im Dorf Norderdorf und im Umkreis von drei Tagesreisen seid ihr nicht mehr willkommen. Ihr habt euch Feinde gemacht! Flieht, so schnell ihr könnt ...

Eure dreizehn Freunde,

Der Fuchs

Der Luchs

Die Löwin

Der Adler

Der Bär

Die Armbrust

Das Schwert

Die Keule

Das Wiesel

Der Magier

Die Schlange

Der Falke

Der Alchemist

 

»Frechheit, uns zu drohen!«, fluchte Gero, der seine Stirn runzelte und auch seine Nachricht vorlas.

 

Versucht nicht, den Würfel des Wiesels zu finden. Oder ihr findet euch sehr schnell im Reich der Toten wieder.

 

Esme murmelte halb für sich selbst und halb zu ihren beiden Gefährten: »Gestern Abend wollte ich den Würfel des Wiesels – was soll das überhaupt sein? – noch nicht finden, aber heute reizt mich die ganze Geschichte. Naja, auch für mich gab es einen Brief.«

Sie gab sich Mühe, beim Lesen ihrer Zeilen mit einer möglichst tiefen und bedrohlichen Stimme zu sprechen, um sich so ein wenig über die Verfasser lustig zu machen.

 

Ganz egal, was der verrückte Priester der Juania euch erzählt hat. Seid schlau, flieht aus der Gegend und lebt lange oder seid dumme Narren! Die Götter bestrafen Dummheit!

 

Da Gero und Derio sich in ein ungewohntes Schweigen hüllten, teilte Esme ihre Gedanken zu den Briefen mit ihren beiden Gefährten. »Nun, jemand möchte uns Angst einjagen, damit wir verschwinden und nicht nach dem Würfel des Wiesels suchen. Scheinbar befürchten diese Dreizehn, unsere angeblichen ›Freunde‹ aus den Briefen, dass wir von einem Priester der Juania Hinweise bekommen haben. Nun, ich hatte diese Nacht noch einen sehr seltsamen Traum …«

Nachdem Esme von dem Traum berichtet hatte und obwohl die Drei sich etwas unschlüssig waren, was wohl für ein Abenteuer auf sie warten würde, herrschte jedenfalls Einigkeit, dass man der Sache nachgehen sollte. Nachdem sie am Tag zuvor fünf Orks besiegt hatten, fürchteten sie sich an diesem Tage auch nicht vor dreizehn dahergelaufenen, unverschämten Banditen.

Zuversichtlich streifte Esmes Blick über ihre beiden Begleiter. Geros magische Gesundung war nicht zu übersehen. Aber sie war überrascht, wie gut die Kräuter und Verbände des Heilers über Nacht bei Derios Verletzung angeschlagen hatten. Auch der Blick seiner braunen Augen war wieder klar und energiegeladen, so dass Esme hoffte, dass sich sein magisches Kraftreservoir gewissermaßen im Schlaf wieder gefüllt hatte. Somit war offensichtlich, dass das Ziel, zu dem man noch am selben Morgen aufbrechen wollte, der alte Tempel sein würde, den sie vor knapp vier Tagen für ein kurzes Gebet besucht hatten.

 

 

 

 

KAPITEL II

 

 

J.d.K. 987, fünfundzwanzigster Tag im siebten Mondzyklus, im Norden des Königreichs Noweiten

 

Gero dankte den Göttern dafür, dass sie ihn zusammen mit dem Magier Derio und der bildhübschen Kriegerin Esme auf diese Mission geschickt hatten.

Esme war zwar manchmal etwas schweigsam und Derios Ausführungen zum Thema Magie konnte er kaum folgen. Aber dafür hatte er in den letzten Tagen während der Ruhepausen auf ihrem Weg mehr über die Feinheiten des Schwertkampfes gelernt als in den letzten zwei Jahren.

Gero war Derio mittlerweile deutlich überlegen, wie die Übungskämpfe mit aus Holz geschnitzten Schwertern gezeigt hatten. Das galt natürlich nur, solange Derio auf den Einsatz seines magischen Talents verzichtete. Auch gegen Esme waren Siege im Training fast so häufig wie Niederlagen geworden. Zwar war sie ihm an Eleganz, Taktik und Geschwindigkeit überlegen, dafür konnte sie mit seiner Kraft und Ausdauer nicht mithalten.

Als der Tempel der Göttin der Wahrheit im Lichte der warmen Abendsonne in Sichtweite kam, wunderte Gero sich, wie schnell die letzten Tage doch verflogen waren. Während sie sich dem Tempel zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage näherten, richteten sich die Augen der drei Gefährten auf das sogenannte Feuer der Wahrheit, das in zwei Feuerschalen neben dem Eingang loderte.

Gero erinnerte sich noch sehr gut an das, was die reisenden Geschichtenerzähler in seinem Heimatdorf über dieses Feuer berichtet hatten. All jene, die ihr ganzes Leben lang die reine Wahrheit und Aufrichtigkeit im Herzen trugen, so sagte man, können das Feuer berühren, ohne Schmerzen oder Verbrennungen zu erleiden. Die Göttin Juania selbst hatte der Legende nach dieses Feuer an ihre Priesterschaft gesandt, damit es unter den Gläubigen die Spreu vom Weizen trennen möge. So wurde das weiß bis bläulich schimmernde Feuer eingesetzt, um die Bewerber auf das Amt eines Novizen der Juaniapriesterschaft zu prüfen. Jeder, der die Priesterlaufbahn in der Kirche der Juania anstrebte, musste als erste Prüfung für genau zehn Sekunden seine rechte Hand ins Feuer halten und durfte dabei keinerlei Verletzung erleiden. Tatsächlich zeigten diese Prüfungen, dass Wahrheit und Gerechtigkeit nicht mit Gnade zu verwechseln waren. Sehr viele der Anwärter scheiterten und zogen sich leichte bis mittelschwere Verbrennungen ihrer Hand zu.

Auch hatte Gero einst einen alten Säufer getroffen, dem der Arm ab dem Ellenbogen fehlte. Dieser hatte eine Wette mit seinen Freunden verloren und musste sich so der Prüfung stellen. Angeblich wurde sein halber Arm binnen einer Sekunde verbrannt. Vor diesem Hintergrund klang auch die Geschichte über den Schwarzmagier glaubwürdig, welcher die Priesterschaft infiltrieren und das Feuer mit Magie täuschen wollte. Das göttliche Feuer hatte den Betrüger sofort entlarvt und innerhalb der Zeitspanne eines Wimpernschlages in einen Haufen Asche verwandelt.

Gero vermutete, dass er aufgrund kleinerer Sünden in seiner Vergangenheit eine schmerzhafte Verbrennung erleiden müsste, sollte er seine Hand ausstrecken, um das Feuer anzufassen. Er fragte sich, wie es sich wohl bei seinen Begleitern, dem weisen Magier und der schönen Kriegerin, verhalten würde.

Während Gero seinen Gedanken nachhing und ins Feuer starrte, da seine Gefährten ebenso stehen geblieben waren, öffneten sich die Eisentüren des kleinen Tempels. Eine junge Frau im dunkelblauen Gewand der Juania-Novizen trat heraus und lächelte freundlich. Die langen blonden Haare der Novizin waren zu einem schlichten Zopf geflochten und als einzigen Schmuck trug sie ein kleines silbernes Amulett, auf dem die drei Symbole ihrer Kirche mit Gold eingraviert waren. Fasziniert betrachtete Gero die filigrane Handwerksarbeit des Goldschmiedes, welche Sonne, Mond und Sterne zeigte.

»Die Göttin zum Gruße! Tretet ein in unsere bescheidene Stätte der Andacht«, hieß die junge Frau Gero und seine Gefährten willkommen.

Die Novizin führte sie in eine Art Vorraum. Es gab außer drei Türen nur einen schmucklosen Tisch aus Stein und sechs hölzerne Stühle. Da keine Fenster im Raum vorhanden waren, sorgten nur die Kerzen eines silbernen Tischleuchters für etwas Licht.

Mit einem sanften Nicken bedeutete die Juanianovizin Gero, Esme und Derio, Platz zu nehmen. »Ich sehe drei bekannte Gesichter. Vor einigen Tagen seid Ihr für ein kurzes Gebet hier gewesen. Was führt Euch jetzt in diesen bescheidenen kleinen Tempel? «

Während Gero noch über eine angemessene Wortwahl nachdachte, erhob Derio bereits mit einem Räuspern seine Stimme. »Wir suchen … die Wahrheit. Zwielichtige Gestalten wollen uns davon abhalten, den Würfel des Wiesels zu suchen. Nun, könnt Ihr uns vielleicht etwas über diesen Würfel erzählen? Wir wissen, ehrlich gesagt, gar nichts darüber.«

Ein mildes Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau. »Es freut mich, Euch zumindest ein wenig helfen zu können. Bei diesem Würfel handelt es sich um einen Stein, einen Edelstein genau genommen. In dieses Kleinod eingeschlossen ist eines von zehn Bruchstücken einer besonderen Waffe. Aber lasst mich Euch noch eine Karaffe mit frischem Quellwasser bringen, bevor Ihr die Legende vom Krummsäbel der zehn Götter von mir vernehmt.«

 

Etwa vor einem halben Jahrhundert, als die Heere der Orks und ihre Verbündeten einen gewaltigen Angriff auf das Kaiserreich planten, war die kaiserliche Armee durch glückliche Umstände gewarnt worden und somit sehr gut vorbereitet. Alle vier dem Kaiser unterstellten Königreiche der Menschen boten ihre besten Krieger und Magier auf. Sogar einige Regimenter aus dem freien Reich der Seelande und den König der Elfen mit seinen meisterhaften Bogenschützen hatte der Kaiser für die Abwehr dieser Invasion gewinnen können.

Doch auch die Orks hatten ihre Bündnisse und Pläne geschmiedet. Das Böse wusste Schwarzmagier aus den finsteren Landen im Norden und einige Söldner aus den Reihen der Menschenvölker auf seiner Seite. Es kam also zu einer fürchterlichen Schlacht.

Zunächst sah es noch gut aus für die Kaiserlichen. Die Soldaten kämpften tapfer, während sie immerzu den Kriegsgott Marlox in lauten Schlachtrufen priesen. Die Formationen der kaiserlichen Fußsoldaten standen felsenfest, genau wie von den Offizieren des Kaisers geplant. Auch die elfischen Schützen taten ihr Werk, indem sie dem Feind mit einem wahren Hagel aus Pfeilen beachtliche Verluste zufügten.

Doch dann sollte sich das Blatt unerwartet zum Schlechten wenden, als ein Stoßtrupp des Feindes die kaiserlichen Formationen durchbrach. Eine Truppe von einhundert besonders schrecklichen Orks, zusammengestellt aus den besten Kriegern vom Stamme der Ka’Tosh, wütete in den Reihen des Guten. Unter ihnen war der oberste Heeresführer der Orks, der fürchterlichste und grausamste von allen. Über drei Schritt groß und von einer Panzerrüstung aus schwarzem Stahl geschützt, streckte er mit jedem Hieb mindestens einen kaiserlichen Soldaten nieder.

Schnell begannen die meisten Soldaten, planlos zu flüchten in der Hoffnung, sich später möglicherweise neu formieren zu können. Doch ein kleiner Trupp von zehn Infanteristen aus dem Süden des Kaiserreichs näherte sich furchtlos dem Anführer der Orks. Die zehn tapferen Männer und Frauen wurden von Bernhelm Ehrwald angeführt. Schnell wurde klar, dass es auf einen Zweikampf hinauslief.

Auf der einen Seite ein über drei Schritt großer Ork mit einem schier gewaltigen Schwert in einer Rüstung aus pechschwarzen Stahlplatten. Auf der anderen Seite ein eher kleinwüchsiger Krieger, beschützt von einem silbernen Kettenhemd und bewaffnet mit einem vortrefflich geschmiedeten Krummsäbel. Solche Waffen sind im fernen Süden des Königreichs Lugarland recht weit verbreitet.

Tapfer wehrte der Krieger die ersten Schläge des riesigen Orks ab, aber er spürte, dass sein Säbel sehr bald unter der widernatürlichen Kraft der Orkhiebe zerbersten würde. Bernhelm wusste, dass ihm nur ein einziger Schlag bleiben würde, um den Orkkrieger zu besiegen. In diesem Moment betete er zu allen zehn Göttern – nicht nur zu Marlox, dem Gott des Kampfes, sondern wirklich zu jedem einzelnen der Zehn. Juania. Marlox. Bogrosch. Ahlon. Surlaks. Vurunus. Chandoria. Ysdariah. Valiana. Taluna. Er betete, dass die Götter ihm die Kraft und das Geschick verleihen mögen, mit seinem Säbel durch den Panzer des Orks zu dringen.

Und tatsächlich war sein Hieb von einer Wucht, dass das ganze Schlachtfeld erbebte. So war auch die unheilige schwarze Magie der Rüstung nicht stark genug und der Panzer des Orks zersprang in tausende Teile, während das Schwert des orkischen Heerführers auf den blutgetränkten Boden des Schlachtfeldes fiel.

Ob dieser übermenschlichen Kraft zersplitterte jedoch auch der Krummsäbel Bernhelms in genau zehn Teile. Dies wird als Beweis dafür gewertet, dass die zehn Götter ihm diese Kraft verliehen hatten.

Entweder vor Überraschung oder durch die schiere Wucht des Schlages war der riesige Ork für einige Sekunden wie erstarrt. Sekunden, die Bernhelm zu nutzen wusste. Da der Krieger nun ohne Waffe dastand, packte er das bluttriefende Schwert des Orks und schlug ihm damit kurzerhand den Kopf ab. Dass der Tod des Anführers der Orkarmee der Wendepunkt der Schlacht war, braucht wohl nicht weiter erwähnt zu werden.

Als Andenken an diese Heldentat sammelten Geweihte der zehn Götter die zehn Bruchstücke des Säbels und trugen sie zum nächsten Tempel des obersten Gottes der Schmiedekunst Bogrosch. Denn nur dort, wo Menschen und Zwerge gemeinsam zu Bogrosch beten und Seite an Seite am heiligen Schmiedefeuer stehen, herrschen in der Feuersglut Temperaturen, die sogar Steine zum Schmelzen bringen können. In diesem Tempel wurden zehn wertvolle Edelsteine geschmolzen, auf dass diese Steine die Bruchstücke des Schwertes so lange bewahren, bis die Mächte des Bösen wieder das Gute bedrohen und ein neuer Held oder eine neue Heldin bereit ist, den Säbel zu führen. Der oberste Hohepriester einer jeden Kirche nahm einen dieser Steine, um ihn an einem geheimen Ort zu verwahren.

 

Gero merkte, wie die junge Novizin die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer genoss. Auch er hing gebannt an ihren Lippen, obwohl er sich langsam fragte, was genau diese Geschichte mit dem Würfel des Wiesels zu tun haben sollte.

Sie trank einen Schluck Wasser, um ihre Lippen zu befeuchten, und beantwortete dann Geros unausgesprochene Frage, die sich sicherlich auch Esme und Derio stellten. »Natürlich tragen diese zehn Steine, einer für jeden der zehn Götter, auch Namen. Lasst mich nur die vier bekanntesten Steine erwähnen, dann versteht ihr. Der Stein der Juania wird als Gefrorenes Feuer bezeichnet. Das lernte ich bereits im ersten Jahr meiner Ausbildung. Den bekanntesten aller zehn Steine, welcher dem Gott Marlox geweiht ist, nennt man die Spitze des Schwertes. Der Stein der Liebe – ein sehr wertvoller Rubin – wurde vermutlich von einem Nomadenvolk aus der Wüste beim Transport gestohlen. Ein besonderer Frevel, da er der Elfengöttin Chandoria zugehörig ist.«

Die Augen der Novizin huschten neugierig zwischen ihren drei Zuhörern hin und her, um zu erkennen, wer die entscheidende Erläuterung bereits ahnte. »Surlaks, der Gott des Glücks und der List, tritt der Legende nach in der Gestalt eines Wiesels auf, wenn er seine körperliche Form annimmt. Sein Symbol ist der Würfel und ebenso ist einer der Steine geformt: Der Würfel des Wiesels. Gerüchten zufolge wurde er in der Nähe des Schlachtfeldes versteckt. Die exakten Standorte der zehn Steine kennen nur die Höchsten der Priesterschaft. Immerhin sind sie ja geheim.«

»Bei den zehn Göttern!« Es war Derio, der die Stille durchbrach, nachdem die Novizin mit ihren Ausführungen geendet hatte. »Dann ist es wohl unsere Aufgabe, den Würfel des Wiesels zu finden, bevor diese dreizehn Halunken es tun?«

Sie antwortete mit einem sanften Lächeln auf den Lippen: »Ich bin nur eine Dienerin der Juania im niedrigsten Range. Ich kann Euch also sicher nicht sagen, was Eure Aufgabe ist.«

Dieses Mal wollte Gero seinen Gefährten beweisen, dass auch er als Sohn eines einfachen Schmiedes mit dem Wissen um Götter und Kulte vertraut war. Daher antwortete er der jungen Novizin als erstes und ohne lange nachzudenken. »Sicherlich bekleidet der Vorsteher dieses Tempels einen höheren Rang. Vielleicht kann er uns mit unserem … Anliegen weiterhelfen?«

»Ihr habt wahrlich Glück. Auch wenn es die bescheidene Größe und Ausstattung des Gebäudes sowie die eher geringe Anzahl des Personals«, sie räusperte sich verlegen, »nicht erwarten lassen, bekleidet der hiesige Tempelvorsteher den Rang eines Hohepriesters der Juania. Ihr solltet jedoch wissen, dass Hochwürden sehr alt ist. Über einhundert Jahre, soweit ich weiß. Und manch einer würde ihn wohl als ein wenig exzentrisch beschreiben.«

»Bernhelm Ehrwald«, murmelte Gero leise vor sich hin. Er war sich sehr sicher, dass dieser Name nicht nur in der eben gehörten Geschichte rund um die Steine der Götter eine Rolle spielte. Auch in einigen anderen Heldensagen und in so manchem Lied der Barden war der Name Bernhelm Ehrwald bereits häufiger gefallen – soweit Geros Erinnerungsvermögen ihn nicht täuschte.

Die Novizin kräuselte vielsagend die Stirn, während sie eine der Türen öffnete und eine einladende Geste machte. »Juania mit Euch auf dem Weg zur Wahrheit, nach der Ihr strebt!«

Mit bedächtigen Schritten betraten die drei Gefährten den kleinen Nebenraum. Nur eine einzelne flackernde Kerze auf einem Schreibpult sorgte für etwas Licht in der dunklen Kammer. Der Hohepriester saß auf einem alten Sessel und schien auf die Drei gewartet zu haben.

Noch bevor Gero oder einer seiner Gefährten sich vorstellen oder den alten Hohepriester angemessen begrüßen konnte, begann der Alte auf Esme einzureden, während er sie mit einem wirren Blick anstarrte. »Die Kirschbäume blühen. Du musst den Würfel des Wiesels finden. Deine Gefährten müssen dir helfen. Wunderschöne rosa Blüten. Finde ihn schnell, sonst gerät der Stein, einer von zehn Steinen, in die Hände des Bösen. Eine saftige grüne Wiese.«

Eine größere Untertreibung, als diesen Hohepriester ein wenig exzentrisch zu nennen, hatte Gero in seinem Leben noch nicht vernommen. Verrückt war das Wort, das man in seinen Kreisen benutzen würde.

»Handelt ehrenhaft und schnell. Die Kirschbäume stehen auf der grünen Wiese! Ihr müsst den Stein aus der Höhle holen und zu einer Kirche bringen.«

Esme versuchte, den wirren Worten zu folgen, und fragte vorsichtig nach: »Wir holen den Stein des Wiesels aus der Höhle und bringen ihn zu einer Kirche. Sehr gerne. Aber wo ist der Stein? Wo ist die Höhle?«

»Wo der Stein ist? Es ist ein wunderschöner Frühlingstag. Die Luft ist klar und so sind die Götter den Sterblichen näher als an anderen Tagen. Ab dem Wachturm im Norden müsst Ihr eine Tagesreise, zehn Stunden, stramm nach Norden marschieren. Zehn Sonnenstrahlen, von den Göttern selbst geschickt, streicheln die Kirschbaumblüten. Auf der Reichsstraße, vom Wachturm zehn Stunden nördlich.«

Nachdem der seltsame Hohepriester schon wieder verstummt war, fragte Esme zum Glück erneut nach weiteren Details: »Und dann, ist dort die Höhle mit dem Stein?«

Der Blick des alten Priesters flackerte nervös und war starr auf Esme gerichtet. »Einige Vögel haben sich auf den Kirschbäumen niedergelassen und singen ein Lied zur Lobpreisung der zehn Götter. Nach zehn Stunden. Folgt einem kleinen Bach Richtung Westen. Wunderschöne Kirschbäume blühen. Etwa fünftausend Schritte, folge dem Flusslauf!«

In der Hoffnung, dass der Priester nicht völlig vom Verstand verlassen war, versuchte Gero, sich die Wegbeschreibungen zu merken, während er das wirre Gefasel von den Kirschbäumen möglichst ignorierte.

»Hör genau zu! Ein warmer Wind weht von Süden und trägt das Lied der Vögel gen Norden. Dort gibt es sehr viel Farn. Einige Blätter werden gelblich sein. Ja, jetzt sehe ich es. Die Vögel, die Lerchen, sie singen ein Lied über Juania«, murmelte der offenbar verwirrte Hohepriester.

Nach einer kurzen Pause hustete der hohe Priester trocken und setzte seine Beschreibung fort. »Nein, nicht gelblich, fast golden! Folgt den goldenen Farnblättern … Ah, aber die Kirschen sind doch noch nicht reif. Sie blühen nur. Je goldener die Blätter werden, desto näher kommst du der Höhle. Dort. Gold, Magie und der Würfel. Die Sonne scheint. Kirschblütenträume. Finde den Stein!«

»Ist da noch etwas, was wir wissen müssen, Hochwürden?«, fragte Esme vorsichtig.

»Die Kirschbäume, sie wiegen sich im Wind …«, flüsterte der alte Mann noch, bevor er verstummte und seinen Blick ins Leere richtete.

Aus dem Priester war auch durch mehrmalige Nachfragen nichts Sinnvolles mehr herauszubekommen. Daher verabschiedeten die drei Gefährten sich, um das Gotteshaus zu verlassen.

Als sie außer Hörweite des kleinen Tempels waren, konnte Gero sich nicht länger zurückhalten und tippte sich lachend mit dem Finger an die Stirn. »Kirschbäume … Tick! Tack!«

»Was meint ihr, welches Kraut hat der alte Mann geraucht?«, warf Derio fröhlich in die Runde.

Die beiden Männer fingen sich einen wenig amüsierten Blick von Esme ein. »Was meint ihr beiden wohl, welche Dinge der Hohepriester erlebt haben muss, die seinen Verstand derart aus der Bahn werfen konnten? Sicher nichts, was besonders lustig war.«

Gero versuchte es mit einem entschuldigenden Lächeln. »Du hast ja Recht, Esme. Aber du bist wirklich immer bierernst und ziemlich schweigsam. Ich finde, auch auf einer wichtigen und ernsten Mission muss immer Platz für Späße und kleine Geschichten sein. Erzähl doch zum Beispiel mal was von deiner Familie.«

Esmes Gesicht verfinsterte sich merklich, was sie für den Moment einiges von ihrer Schönheit einbüßen ließ. »Ermordet, als ich ein kleines Kind war … Orks ...«

Gero schluckte schwer und wünschte sich, Esme nicht im fröhlichen Plauderton nach ihrer Familiengeschichte gefragt zu haben. »Es tut mir leid um deine Eltern. Das wusste ich nicht.«

»Nicht nur meine Eltern. Alle«, erwiderte Esme mit heiserer Stimme. »Wirklich alle. Nur ich hatte … Glück?«

Nicht nur Gero, sondern auch Derio fehlten die richtigen Worte, um der jungen Kriegerin angemessen Trost zu spenden. So setzten sie schweigend den vom Hohepriester beschriebenen Weg nach Norden fort.

Gero verscheuchte ein lächerliches Gefühl von Eifersucht, als er sah, wie der Magier seine Hand für einige Sekunden tröstend auf Esmes Schulter legte. Lieber ließ er seinen Blick mit doppelter Aufmerksamkeit durch das Dickicht am Wegesrand schweifen. Schließlich gab es ja noch dreizehn gefährliche Halunken, welche ihn, Esme und Derio davon abhalten wollten, den Würfel des Wiesels zu finden.

J.d.K. 987, siebenundzwanzigster Tag im siebten Mondzyklus, im Grenzgebiet zwischen dem Königreich Noweiten und dem Herrschaftsbereich der Orkstämme

 

Derio schloss die Augen und genoss die wärmenden Strahlen der spätsommerlichen Sonne auf seiner Haut. Er und seine Gefährten hatten sich zur Rast begeben, da es laut Wegbeschreibung des seltsamen Hohepriesters noch fünf Stunden Richtung Norden zu marschieren waren.

So ein Abenteuer wie ihre aktuelle Aufgabe war viel mehr nach seinem Geschmack als ein eintöniger Tag an der Akademie in Nordwacht. Jeden Tag acht Stunden Bücherstudium, zwei Stunden Schwertkampf und zwei Stunden praktische Magie bedeuteten, dass nur zwölf Stunden für Schlaf, Essen, Körperpflege und Ähnliches blieben. An Freizeit war kaum zu denken gewesen.

Jetzt konnte Derio sich ganz auf seine Sinneseindrücke konzentrieren. Ein angenehmer Geruch verriet ihm, dass Gero den Hasen, den der Krieger mit einem geschickten Dolchwurf erledigt hatte, über dem Feuer brutzeln ließ. Am metallischen Klirren des Kettenhemdes konnte er erkennen, dass Esme hin und her ging, während sie von ihrem Rastplatz aus die Straße, eigentlich mehr ein Trampelpfad, im Auge behielt.

Auch auf die feinen Schwingungen im astralen Gewebe, die er als Magier gelernt hatte wahrzunehmen, achtete Derio genau. Gerade als er sich fragte, ob die astralen Kraftfäden im Nordwesten ein klein wenig kräftiger waren als gewöhnlich, riss ihn Esmes Stimme aus seinen Gedanken. »Hey, Schlafmütze! Wirf doch mal einen Blick den Weg hinunter Richtung Süden.«

Derio kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Es näherte sich ein Trupp von genau zehn schwer gerüsteten Fußsoldaten mit zwei Packpferden. Ein Blick auf das Wappen, das gut sichtbar auf einem Banner getragen wurde, machte ihm klar, dass es keine gewöhnlichen Soldaten des Kaisers waren.

»Seht ihr den Bären mit dem Breitschwert in der Hand? Das sind geweihte Frauen und Männer der heiligen Kirche des Marlox. Somit Priester des Gottes der Kriegskunst«, erklärte Derio seinen beiden Gefährten das Wappen.

Esme nickte leicht. »Dann sollten wir sie freundlich und offen begrüßen. Nicht, dass sie uns am Ende für Wegelagerer halten.«

Als die Truppe sich näherte, wurde aufgrund der kunstvoll mit dem Bärenwappen verzierten Rüstungen und Waffen schnell klar, dass nur die Anführerin des Trupps sowie eine weitere Frau und drei Männer Priester oder Novizen des Kriegsgottes waren. Die übrigen fünf waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen von einfachen Kriegern.

Derio klopfte sich gerade noch etwas Staub von seiner Magierrobe, als die Anführerin sie schon begrüßte: »Marlox zum Gruße, Reisende! Mein Name ist Marlia von Arikor. Wer seid Ihr und was führt Euch in diesen unruhigen Zeiten so gefährlich nah an die Reiche der Orks?«

Nachdem Derio und seine beiden Begleiter sich vorgestellt hatten, warfen die Drei sich fragende Blicke zu. Da er Vorlesungen in Rhetorik gehört hatte und sich durchaus geschickte Formulierungen zutraute, ergriff Derio das Wort für die kleine Gruppe. »Nun, wir sind auf der Suche nach einem Artefakt. Eine Mission zum Wohlgefallen des Marlox und der anderen neun Götter, wie ich gerne hinzufügen möchte.«

»Wenn das Artefakt warten kann, dann möchte ich Euch für eine Aufgabe gewinnen, die außerordentliche Tapferkeit verlangt. Wir gehen ins Orkgebiet, vernichten einen Wachposten der Grüngesichter und kehren mit deren militärischen Unterlagen zurück, die hoffentlich einen Einblick in die Pläne des Feindes geben.«

Gero runzelte skeptisch die Stirn. »Also, Ihr seid die Vorhut und die Hauptstreitmacht für diesen Plan folgt Euch?«

Marlia antwortete mit einem Lächeln auf den Lippen. »Nein, mein Lieber, wir sind die gesamte Streitmacht. Wenn der Posten normal stark besetzt ist, bedeutet das drei bis vier Orks für jeden. Daher würden wir uns über weitere tapfere Kämpfer an unserer Seite natürlich freuen. Aber mit dem Beistand von Marlox werden wir auch mit zehn Mann Erfolg haben.«

Derio erkannte so etwas wie Bedauern in Esmes Blick, als sie der Priesterin die einzig mögliche Antwort gab: »Ich schwöre bei Marlox, dass wir Euch liebend gerne begleiten würden. Aber die Götter haben andere Pläne mit uns. Dieses Artefakt ist zu wichtig und die Suche danach kann leider nicht warten. Möge Marlox mit Euch und Euren Kämpfern sein.«

Marlia war scheinbar keine Freundin der langen Worte oder von Ruhepausen, denn sie setzte ihre kleine Truppe mit einem Handzeichen wieder in Marsch. »Marlox auch mit Euch, Esme, Derio und Gero.«

Während sie ihr Mittagessen verspeisten, überlegte Derio, ob man das Unterfangen der Geweihten als sehr wagemutig oder besser als reinen Selbstmord bezeichnen sollte. Da er allerdings wusste, dass Esme sich am liebsten dieser mehr als gefahrvollen Mission angeschlossen hätte, schluckte er entsprechende Bemerkungen herunter und aß schweigend sein Stück gebratenen Hasen.

Auch Gero und Esme vertilgten ihren Anteil am Braten ohne große Worte. Offenbar war jeder der drei Gefährten mit seinen eigenen Gedanken hinreichend beschäftigt.

 

Einige Stunden später war die Sonne gerade dabei, hinter den fernen Hügeln im Westen zu verschwinden, als Gero so abrupt stehen blieb, dass Derio beinahe in ihn hineingelaufen wäre.

»Genau fünftausend«, verkündete die Stimme des Kriegers, der offensichtlich die Schritte am kleinen Bachlauf exakt mitgezählt hatte.

Esme hingegen hatte tatsächlich etwas größere Schritte gemacht und war bei nur knapp über viertausendneunhundert angelangt.

»Ich habe mehr auf den Farn geachtet, anstatt die Schritte ganz exakt zu zählen«, murmelte Derio verlegen in seinen Bart. »Aber könnt ihr bei dem Licht erkennen, ob die Blätter ein klein wenig gelber werden? Ich kann es nicht.«

Doch Gero zog bereits eine Fackel aus seinem Rucksack. »Kein Problem. Und du hast doch noch diesen Zauber. Das magische Licht …«

»Nur Ruhe mit den jungen Pferden«, unterbrach Derio den Krieger und lächelte müde. »Ich denke, was auch immer uns in dieser Höhle an Prüfungen erwartet, wird leichter zu meistern sein, wenn wir ausgeruht sind. Und etwas mehr Tageslicht ist nie verkehrt.«

Auch Esme stimmte ihm zu, so dass beschlossen wurde, gleich an Ort und Stelle die Zelte aufzubauen, um hier zu übernachten. Natürlich teilten die Gefährten für die Nacht Wachen ein. Derio meldete sich für die letzte Nachtwache, so dass er sich gleich im Schutz der Zeltplanen in eine gemütliche Decke einwickeln konnte und in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

J.d.K. 987, siebenundzwanzigste Nacht im siebten Mondzyklus, im Grenzgebiet zwischen Noweiten und dem Herrschaftsbereich der Orkstämme

 

»RÄUBER!« Geros lauter Warnruf kam für Derios Geschmack definitiv etwas spät.

In dem Moment, als der Magier die Augen öffnete, sah er bereits im Mondschein, wie die Klinge eines Breitschwerts von rechts oben auf ihn zu sauste. Obwohl er sich mit einer Schnelligkeit, die er selbst nicht von sich erwartet hatte, nach links rollte, verriet ihm das Geräusch von reißendem Stoff, dass der Schwerthieb seine Magierrobe heftig in Mitleidenschaft gezogen hatte.

Trotz der Tatsache, dass der Angreifer gleich zu einem weiteren Schlag ansetzte, gelangte Derio mit einem flinken Sprung auf die Beine, während er dem Schwert geschickt auswich. Allerdings stand der Räuber jetzt genau zwischen ihm und seinem am Boden liegenden Schwert, so dass er keine Wahl hatte, als seinen vergleichsweise lächerlich kleinen Dolch zur Verteidigung zu ziehen.

Ein breites Grinsen zeigte sich auf dem feisten Gesicht von Derios Gegenüber, da auch dieser seine scheinbare Überlegenheit erkannt hatte. »Dolch fallen lassen!« Die Worte spie der Räuber geradezu heraus.

Angeekelt erkannte Derio Essensreste im Schnurrbart seines Kontrahenten. Dieser stinkende Halunke war kein würdiger Gegner für ihn, so dass Derio nur kühl antwortete: »Schwert fallen lassen!«

Wie erwartet, ließ sein Gegenüber das Schwert nicht fallen, sondern setzte zu einer neuerlichen Attacke an. Schon wieder sauste das Breitschwert auf Derio zu.

Mit einem schnellen Schritt zurück wich Derio dem Angriff aus. Noch in der Bewegung murmelte er eine simple Formel in der alten Sprache der Magier: »Ferror calefiero!«

Sofort ließ der Räuber sein Schwert fallen und betrachtete mit vor Schmerz und Wut verzerrtem Gesicht die Brandblasen, die sich auf seinen Händen gebildet hatten. Was Derio jedoch nicht erwartet hatte, war, dass sein Gegner noch in der Lage war, seinen Dolch zu ziehen und diesen auf ihn zu schleudern.

Schmerzen und Wut zogen sich in einer Welle durch Derios Körper, als die Klinge sich tief in seine linke Schulter bohrte.

Mit einem spöttischen Gesichtsausdruck schleuderte Derio nun seinerseits den Dolch, den er in seiner rechten Hand hielt. »Lern besser zielen!«

Derio hatte jedoch so gut getroffen, dass dem Räuber alle zukünftigen Möglichkeiten für weitere Zielübungen genommen waren. Die Dolchklinge hatte sich mitten in den Hals gebohrt, so dass der Bandit röchelnd und Blut hustend zusammenbrach.

Gero hatte sich bereits einen Überblick über den Kampf verschaffen können, so dass er Derio und Esme informierte: »Mit diesem hier, das war vermutlich der Hauptmann, zähle ich zwei tote Angreifer. Zwei sind schwer verwundet und einer konnte leider flüchten. Einer hat Esme mit einem Totschläger an der Hand erwischt, aber deine Schulter sollten wir uns zuerst anschauen, Derio.«

Derio hatte von so einer Waffe noch nie etwas gehört. »Totschläger? Was soll das sein?«

Gero hob eine Waffe, die einem der verwundeten Räuber gehörte, hoch. »Simpel und billig, aber leider auch effektiv und tödlich – manchmal zumindest. Ein stabiles Stück Holz, zwei Dutzend lange Nägel durch ein Ende schlagen und fertig. Nur dein Räuberhauptmann hatte ein Schwert.«

Nachdem zunächst die Wunden von Derio und Esme mit Verbänden und etwas heilsamen Zurzelkraut versorgt worden waren, kümmerte man sich auch um die verwundeten Räuber. Als auch deren Verletzungen bandagiert waren, wurden sie gefesselt und für eine Befragung getrennt.

Esme hatte sich mit einem der Halunken einige Schritte entfernt. Gero behielt unterdessen zum Schutz vor unliebsamen Überraschungen die Umgebung im Auge.

Derio ging vor der zerlumpten Gestalt, die gut verschnürt am Boden lag, in die Hocke. »So, mein Freund. Die Wahrheit und nichts Anderes oder du wirst es bereuen. Warum habt ihr uns überfallen?«

»Okay … alles was ich weiß. Bodo, also unser Hauptmann, hat von einem Mann dreizehn Goldmünzen versprochen bekommen, damit wir drei schlafende Wanderer erschlagen. Sogar wo wir Euch finden, hat man uns gesagt«, stammelte der verängstigte Räuber.

»Und weiter?«, hakte Derio energisch nach.

Der Mann schluchzte fast: »Naja, die eine Hälfte gab es im Voraus und die andere Hälfte hätte Bodo dann später kassiert. Zwei Münzen für jeden von uns und fünf Goldlinge für den Hauptmann waren versprochen. Mehr weiß ich nicht. Nur Bodo kannte den Auftraggeber. Wir sind nur vier einfache Söldner.«

»Keine Söldner. Ihr seid Räuber und Mörder.« Derios Stimme war kalt wie Eis.

Nachdem auch Esmes Befragung das Gleiche ergeben hatte, war Derio sich relativ sicher, dass sie die Wahrheit erfahren hatten. Zu gern hätte er den Hauptmann zum Auftraggeber befragt, aber dem hatte es ja leider endgültig die Sprache verschlagen.