Gracián: Das Handorakel, oder Die Kunst der Weltklugheit - Baltasar Gracián - E-Book

Gracián: Das Handorakel, oder Die Kunst der Weltklugheit E-Book

Gracián Baltasar

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Beschreibung

Baltasar Gracián: Das Handorakel, oder Die Kunst der Weltklugheit | Neu editierte Ausgabe 2020, in aktueller Rechtschreibung und erklärenden Fußnoten | Baltasar Graciáns bemerkenswerte Schrift gehört zu jenen Büchern, von denen Menschen sagen, sie nähmen es als einziges auf eine einsame Insel mit - und das, obwohl es dort eigentlich ganz fehl am Platz wäre. Denn dieser Ratgeber ist etwas für Menschen, die mitten im Leben stehen, die sich behaupten müssen, Intrigen durchschauen, Gelassenheit und Überlegenheit anstreben, anderen hilfreich zur Seite stehen, und doch ihre eigenen Interessen nicht aus den Augen verlieren. Ein intelligentes Brevier zwischen Marc Aurel und Machiavelli, das ganz grundsätzlich klärt, wie wir planen, sprechen und handeln sollten - mit Freunden und Gegnern. In erfrischend schnörkelloser Sprache und kongenialer Übersetzung von Arthur Schopenhauer.

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INHALT

VORBEMERKUNG

VORWORT DES ÜBERSETZERS

GRACIÁNS ORAKEL DER WELTKLUGHEIT

AN DEN LESER

BIBLIOGRAPHISCHER ANHANG

Vorbemerkung

BALTASAR GRACIÁNS bemerkenswerte Schrift gehört zu jenen Büchern, von denen Menschen sagen, sie nähmen es als einziges auf eine einsame Insel mit – und das, obwohl es dort eigentlich fehl am Platz wäre. Denn dieser Ratgeber ist etwas für Menschen, die mitten im Leben stehen, die sich behaupten müssen, Intrigen durchschauen, Gelassenheit und Überlegenheit anstreben, anderen hilfreich zur Seite stehen, und doch ihre eigenen Interessen nicht aus den Augen verlieren. Ein intelligentes Brevier zwischen Marc Aurel und Machiavelli, das ganz grundsätzlich klärt, wie wir planen, sprechen und handeln sollten – mit Freunden und mit Gegnern. Man könnte es auch die ›Kunst der taktisch klugen Lebensführung‹ nennen.

Das Ganze in erfrischend schnörkellos pragmatischer Sprache, nirgends moralisierend, sondern oft genug augenzwinkernd, mit Schalk im Nacken. Lebenspraktisch und anwendbar wie kaum ein anderes Ratgeber-Buch – besser als jedes moderne Management-Seminar.

Ins Deutsche übertragen hat es Arthur Schopenhauer in einer kongenialen Übersetzung, die in Fachkreisen als Paradebeispiel für eine perfekte Buchübersetzung gilt. © Redaktion AuraBooks, 2020

ÜBER DEN AUTOR: Baltasar Gracián y Morales (1601–1658) war ein spanischer Autor und Hochschullehrer und gilt als einer der bedeutendsten philosophischen Schriftsteller der spanischen Literatur. Als Professor für Theologie wirkte er unter anderem am Hof in Madrid, wo er zahlreiche zeitgenössische Schriftsteller und Künstler, die sich gegenseitig inspirierten, kennenlernte. 1647 erschien dieses, sein berühmtestes Werk: ›Oráculo manual y arte de prudencia‹ (›Handorakel und Kunst der Weltklugheit‹), das in der Art eines Ratgebers Handreichungen zur Kunst der klugen Lebensführung versammelt.

Vorwort des Übersetzers

Von dem durch eine sehr alte und unvollkommene, später auch ins Lateinische übertragene, französische Übersetzung unter dem falschen Titel ›L’homme de cour par Gracian‹ weltbekannten spanischen Buch ist dieses die erste und einzige, unmittelbar aus der Ursprache gemachte deutsche Übersetzung. Denn die von Dr. Müller 1717 herausgegebene, abgesehen davon, dass sie heutzutage schlechterdings unlesbar ist, kann nur für eine Paraphrase gelten. Die Gegenwärtige schließt sich dem Text so genau an, als der von Grund aus verschiedene Charakter beider Sprachen es irgend leiden wollte und der Leser kann versichert sein, dass von dem ›Oraculo manual, y arte de prudencia‹ ihm hier nichts verloren gegangen ist, als bloß eine Anzahl Wortspiele, welche wiederzugeben unmöglich war: nur bei einigen ließ die Sprache den Versuch einer annähernden Nachahmung zu, bei welcher auf billigende Nachsicht des Lesers gerechnet ist.

Arthur Schopenhauer

GRACIÁNS ORAKEL DER WELTKLUGHEIT

... aus dessen Werken gezogen von D. Vincencio Juan de Lastanosa, und aus dem Spanischen Original treu und sorgfältig übersetzt von Arthur Schopenhauer

Geh’! gehorche meinen Winken,

Nutze deine jungen Tage,

Lerne zeitig klüger sein:

Auf des Glückes großer Waage

Steht die Zunge selten ein:

Du musst steigen oder sinken.

Du musst herrschen und gewinnen,

Oder dienen und verlieren,

Leiden oder triumphieren,

Amboss oder Hammer sein.

Goethe

1. Alles hat heutzutage seinen Gipfel erreicht,

... aber die Kunst sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu einem Weisen, als in alten Zeiten zu sieben: und mehr ist erfordert, um in diesen Zeiten mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als in vorigen mit einem ganzen Volk.

2. Herz und Kopf

Die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüt ist erfordert. Ein Unglück der Toren ist Verfehlung des Berufs im Stand, Amt, Land, Umgang.

3. Über sein Vorhaben in Ungewissheit lassen

Die Verwunderung über das Neue ist schon eine Wertschätzung seines Gelingens. Mit offenen Karten spielen, ist weder nützlich noch angenehm. Indem man seine Absicht nicht gleich kundgibt, erregt man die Erwartung, zumal wann man durch die Höhe seines Amts Gegenstand derallgemeinen Aufmerksamkeit ist. Bei allem lasse man etwas Geheimnisvolles durchblicken und errege, durch seine Verschlossenheit selbst, Ehrfurcht. Sogar wo man sich herauslässt, vermeide man plan zu sein; eben wie man auch im Umgang sein Inneres nicht jedem aufschließen darf. Behutsames Schweigen ist das Heiligtum der Klugheit. Das ausgesprochene Vorhaben wurde nie hochgeschätzt, vielmehr liegt es dem Tadel bloß: und nimmt es gar einen ungünstigen Ausgang, so wird man doppelt unglücklich sein. Man ahme daher dem göttlichen Walten nach, indem man die Leute in Vermutungen und Unruhe erhält.

4. Wissenschaft und Tapferkeit

... bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich, weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Mut ist das Wissen unfruchtbar.

5. Abhängigkeit begründen

Den Götzen macht nicht der Vergolder, sondern der Anbeter1. Wer klug ist, sieht lieber die Leute seiner bedürftig, als ihm dankbar verbunden, sie am Seile der Hoffnung führen, ist Hofmannsart, sich auf ihre Dankbarkeit verlassen, Bauernart: denn letztere ist so vergesslich, als erstere von gutem Gedächtnis. Man erlangt mehr von der Abhängigkeit als von der verpflichteten Höflichkeit: wer seinen Durst gelöscht hat, kehrt gleich der Quelle den Rücken, und die ausgequetschte Apfelsine fällt von der goldenen Schüssel in den Kot. Hat die Abhängigkeit ein Ende, so wird das gute Vernehmen es auch bald finden und mit diesem die Hochachtung. Es sei also eine Hauptlehre aus der Erfahrung, dass man die Hoffnung zu erhalten, nie aber ganz zu befriedigen hat, vielmehr dafür sorgen soll, immerdar notwendig zu bleiben, sogar dem gekrönten Herrn. Jedoch soll man dies nicht so sehr übertreiben, dass man etwa schweige, damit er Fehler begehe, und soll nicht, des eigenen Vorteils halber, den fremden Schaden unheilbar machen.

6. Seine Vollendung erreichen

Man wird nicht fertig geboren: Mit jedem Tag vervollkommnet man sich in seiner Person und seinem Beruf, bis man den Punkt seiner Vollendung erreicht, wo alle Fähigkeiten vollständig, alle vorzüglichen Eigenschaften entwickelt sind. Dies gibt sich daran zu erkennen, dass der Geschmack erhaben, das Denken geläutert, das Urteil reif, und der Wille rein geworden ist. Manche gelangen nie zur Vollendung, immer fehlt ihnen noch etwas; andere kommen spät zur Reife. Der vollendete Mann, weise in seinen Reden, klug in seinem Tun, wird zum vertrauten Umgang der gescheuten Leute zugelassen, ja gesucht.

7. Sich vor dem Sieg über Vorgesetzte hüten

Alles Übertreffen ist verhasst, aber seinen Herrn zu übertreffen ist entweder ein dummer oder ein Schicksalsstreich. Stets war die Überlegenheit verabscheut; wieviel mehr die über die Überlegenheit selbst. Vorzüge niedriger Gattung wird der Behutsame verhehlen, wie etwa seine persönliche Schönheit durch Nachlässigkeit im Anzüge verleugnen. Es wird sich wohl treffen, dass jemand an Glücksumständen, ja an Gemütseigenschaften uns nachzustehen sich bequemt, aber an Verstand kein Einziger; wieviel weniger ein Fürst. Denn der Verstand ist eben die Königliche Eigenschaft und deshalb jeder Angriff auf ihn ein Majestätsverbrechen. Fürsten sind sie, und wollen es in dem sein, was am meisten auf sich hat. Sie mögen wohl, dass man ihnen hilft, jedoch nicht, dass man sie übertrifft: der ihnen erteilte Rat sehe daher mehr aus wie eine Erinnerung an das was sie vergaßen, als wie ein ihnen aufgestecktes Licht zu dem, was sie nicht finden konnten. Eine glückliche Anleitung zu dieser Feinheit geben uns die Sterne, welche, obwohl hellglänzend und Kinder der Sonne, doch nie so verwegen sind, sich mit den Strahlen dieser zu messen.

8. Leidenschaftslos sehen

Eine Eigenschaft der höchsten Geistesgröße, deren Überlegenheit selbst sie loskauft vom Joch gemeiner äußerer Eindrücke. Keine höhere Herrschaft, als die über sich selbst und über seine Affekten: sie wird zum Triumph des freien Willens. Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person bemächtigen; so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um so weniger, je höher solches ist. Dies ist eine edle Art, sich Verdrießlichkeiten zu ersparen, ja sogar auf dem kürzesten Weg zu Ansehn zu gelangen.

9. Nationalfehler verleugnen

Das Wasser nimmt die guten oder schlechten Eigenschaften der Schichten an, durch welche es läuft, und der Mensch die des Klimas, in welchem er geboren wird. Einige haben ihrem Vaterland mehr zu verdanken als andere, indem ein günstigerer Himmel sie umfing. Er gibt keine Nation, selbst nicht unter den gebildetsten, welche davon frei wäre, irgendeinen ihr eigentümlichen Fehler zu haben, welchen die benachbarten zu tadeln nicht ermangeln, entweder um sich davor zu hüten, oder sich damit zu trösten. Es ist eine rühmliche Geschicklichkeit, solche Makel seiner Nation an sich selbst zu bessern, oder wenigstens zu verbergen. Man erlangt dadurch den beifälligen Ruf, der Einzige unter den Seinigen zu sein: und was am wenigsten erwartet wurde, wird am höchsten geschätzt. Ebenso gibt es Fehler der Familie, des Standes, Amtes und Alters: Treffen alle diese in einem Menschen zusammen, ohne dass die Aufmerksamkeit ihnen entgegenwirkte; so machen sie aus ihm ein unerträgliches Ungeheuer.

10. Glück und Ruhm

So unbeständig jenes, so dauerhaft ist dieser: jenes für das Leben, dieser nachher: jenes gegen den Neid, dieser gegen die Vergessenheit. Glück wird gewünscht, bisweilen befördert; Ruhm wird erworben. Der Wunsch nach Ruhm entspringt dem Wert. Die Fama war und ist noch die Schwester der Giganten: stets folgt sie dem Übermäßigen, den Ungeheuern, oder den Wundern, dem Gegenstand des Abscheues oder des Beifalls.

11. Mit dem umgehen, von dem man lernen kann

Der freundschaftliche Umgang sei eine Schule der Kenntnisse, und die Unterhaltung bildende Belehrung: aus seinen Freunden mache man Lehrer und lasse den Nutzen des Lernens und das Vergnügen der Unterhaltung sich wechselseitig durchdringen. Mit Leuten von Einsicht hat man einen abwechselnden Genuss, indem man, für das was man sagt, Beifall und von dem was man hört, Nutzen einerntet. Was uns zu anderen führt, ist gewöhnlich unser eigenes Interesse: dies ist hier jedoch höherer Art. Der Aufmerksame besucht häufig die Häuser jener großartigen Hofleute, welche mehr Schauplätze der Größe als Paläste der Eitelkeit sind. Es gibt Herren, welche im Ruf der Weltklugheit stehn: nicht nur sind diese selbst, durch ihr Beispiel und ihren Umgang, Orakel aller Größe, sondern auch die sie umgebende Schaar bildet eine höfische Akademie guter und edler Klugheit jeder Art.

12. Natur und Kunst

Der Stoff und das Werk. Keine Schönheit besteht ohne Nachhilfe, und jede Vollkommenheit artet in Barbarei aus, wenn sie nicht von der Kunst erhöht wird: diese hilft dem Schlechten ab und vervollkommnet das Gute. Die Natur verlässt uns gemeinhin beim Besten: nehmen wir unsere Zuflucht zur Kunst. Ohne sie ist die beste natürliche Anlage ungebildet, und den Vollkommenheiten fehlt die Hälfte, wenn ihnen die Bildung fehlt. Jeder Mensch hat, ohne künstliche Bildung, etwas Rohes, und bedarf, in jeder Art von Vollkommenheit, der Politur.

13. Bald aus zweiter, bald aus erster Absicht handeln

Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen. Die Klugheit führt ihn, indem sie sich der Kriegslisten, hinsichtlich ihres Vorhabens, bedient. Nie tut sie das, was sie vorgibt, sondern zielt nur, um zu täuschen. Mit Geschicklichkeit macht sie Luftstreiche; dann aber führt sie in der Wirklichkeit etwas Unerwartetes aus, stets darauf bedacht ihr Spiel zu verbergen. Eine Absicht lässt sie erblicken, um die Aufmerksamkeit des Gegners dahin zu ziehen, kehrt ihr aber gleich wieder den Rücken und siegt durch das, woran keiner gedacht. Jedoch kommt ihr andrerseits ein durchdringender Scharfsinn durch seine Aufmerksamkeit zuvor und belauert sie mit schlauer Überlegung: stets versteht er das Gegenteil von dem, was man ihm zu verstehn gibt, und erkennt sogleich jedes falsche Miene machen.

Die erste Absicht lässt er immer vorüber gehn, wartet auf die zweite, ja auf die dritte. Indem jetzt die Verstellung ihre Künste erkannt sieht, steigert sie sich noch höher und versucht nunmehr durch die Wahrheit selbst zu täuschen: sie ändert ihr Spiel, um ihre List zu ändern, und lässt das nicht Erkünstelte als erkünstelt erscheinen, indem sie so ihren Betrug auf die vollkommenste Aufrichtigkeit gründet. Aber die beobachtende Schlauheit ist auf ihrem Posten, strengt ihren Scharfblick an und entdeckt die in Licht gehüllte Finsternis: sie entziffert jenes Vorhaben, welches je aufrichtiger, desto trügerischer war. Auf solche Weise kämpft die Arglist des Python gegen den Glanz der durchdringenden Strahlen Apollos.

14. Die Sache und die Art

Das Wesentliche in den Dingen ist nicht ausreichend, auch die begleitenden Umstände sind erfordert. Eine schlechte Art verdirbt alles, sogar Recht und Vernunft; die gute Art hingegen kann alles ersetzen, vergoldet das Nein, versüßt die Wahrheit und schminkt das Alter selbst. Das Wie tut gar viel bei den Sachen: die artige Manier ist ein Taschendieb der Herzen. Ein schönes Benehmen ist der Schmuck des Lebens, und jeder angenehme Ausdruck hilft wundervoll von der Stelle.

15. Aushelfende Geister haben

Es ist ein Glück der Mächtigen, dass sie Männer von ausgezeichneter Einsicht sich beigesellen können: diese entreißen sie jeder Gefahr der Unwissenheit, und müssen schwierige Streitfragen für sie erörtern. Es liegt eine besondere Größe darin, die Weisen in seinem Dienst zu haben, und solche übertrifft bei Weitem den barbarischen Geschmack des Tigranes, der etwas darin suchte, gefangene Könige zu Dienern zu haben. Eine ganz neue Herrlichkeit ist es, und zwar im Besten des Lebens, künstlich die zu Dienern zu machen, welche die Natur hoch über uns gestellt hat. Das Wissen ist lang, das Leben kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht. Da ist es denn ungemein geschickt, ohne Müheaufwand zu studieren, und zwar viel durch Viele, um durch sie Alle gelehrt zu seien. Da redet man nachher in der Versammlung für Viele, indem aus Eines Munde so Viele reden, als man vorher zu Rate gezogen hat: so erlangt man, durch fremden Schweiß, den Ruf eines Orakels. Jene aushelfenden Geister suchen zuvörderst die Lektion zusammen und tischen sie uns sodann in Quintessenzen des Wissens auf. Wer nun aber es nicht dahin bringen kann, die Weisen in seinem Dienst zu haben, ziehe Nutzen von ihnen im Umgang.

16. Einsicht mit redlicher Absicht

Zusammen verbürgen sie durchgängiges Gelingen. Ein widernatürliches Ungeheuer war stets ein guter Verstand vereint mit einem bösen Willen. Die böswillige Absicht ist ein Gift aller Vollkommenheiten; vom Wissen unterstützt verdirbt sie auf eine feinere Weise. Unselige Überlegenheit, die zur Verworfenheit verwendet wird! – Wissenschaft ohne Verstand ist doppelte Narrheit.

17. Abwechslung in der Art zu verfahren

Man verfahre nicht immer auf gleiche Weise, damit man die Aufmerksamkeit, zumal die der Widersacher, verwirre: nicht stets aus der ersten Absicht; sonst werden jene diesen einförmigen Gang bald ausgelernt haben, und uns zuvorkommen, oder gar unser Tun vereiteln. Es ist leicht den Vogel im Fluge zu treffen, der ihn in grade fortgesetzter Richtung, nicht aber den, der ihn in gewundener nimmt. Aber auch aus der zweiten Absicht darf man nicht immer handeln: denn schon beim zweiten Mal kennen die Gegner die List. Die Bosheit steht auf der Lauer, und großer Schlauheit bedarf es, sie zu täuschen. Nie spielt der Spieler die Karte aus, welche der Gegner erwartet, noch weniger die, welche er wünscht.

18. Fleiß und Talent

Ohne beide ist man nie ausgezeichnet, jedoch im höchsten Grade, wenn man sie in sich vereint. Mit dem Fleiß bringt ein mittelmäßiger Kopf es weiter, als ein überlegener ohne denselben. Die Arbeit ist der Preis, für den man den Ruhm erkauft: was wenig kostet, ist wenig wert. Sogar für die höchsten Ämter hat es einigen nur an Fleiß gefehlt: nur selten ließ das Talent sie im Stich. Dass man lieber auf einem hohen Posten mittelmäßig, als auf einem niedrigen ausgezeichnet ist, hat die Entschuldigung eines hohen Sinnes für sich; hingegen dass man sich begnügt, auf dem untersten Posten mittelmäßig zu sein, während man auf dem obersten ausgezeichnet sein könnte, hat sie nicht. Also sind Natur und Kunst erfordert, und der Fleiß drückt ihnen das Siegel auf.

19. Nicht unter übermäßigen Erwartungen auftreten

Es ist das gewöhnliche Unglück alles sehr Gerühmten, dass es der übertriebenen Vorstellung, die man sich von ihm machte, nachmals nicht gleichkommen kann. Nie konnte das Wirkliche das Eingebildete erreichen: denn sich Vollkommenheiten denken, ist leicht; sie verwirklichen sehr schwer. Die Einbildungskraft verbindet sich mit dem Wunsch und stellt sich daher stets viel mehr vor, als die Dinge sind. Wie groß nun auch die Vortrefflichkeiten sein mögen, so reichen sie doch nicht hin, den vorgefassten Begriff zu befriedigen: und da sie ihn unter der Täuschung seiner ausschweifenden Erwartung vorfinden; so werden sie eher seinen Irrtum zerstören, als Bewunderung erregen.

Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit: die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, dass der Genuss die Erwartung übertreffe. Dass man beim Auftreten schon einigermaßen die Meinung für sich habe, dient die Aufmerksamkeit zu erregen, ohne dem Gegenstand derselben Verpflichtungen aufzulegen. Viel besser ist es immer, wenn die Wirklichkeit die Erwartung übersteigt und mehr ist als man gedacht hatte. Diese Regel wird falsch beim Schlimmen: denn da diesem die Übertreibung zustattenkommt, so sieht man solche gern widerlegt, und dann gelangt das, was als ganz abscheulich gefürchtet wurde, noch dahin, erträglich zu scheinen.

20. Der Mann seines Jahrhunderts

Die außerordentlich seltenen Menschen hängen von der Zeit ab. Nicht alle haben die gefunden, deren sie würdig waren, und viele fanden sie zwar, konnten aber doch nicht dahin gelangen, sie zu nutzen. Einige waren eines bessern Jahrhunderts wert; denn nicht immer triumphiert jedes Gute. Die Dinge haben ihre Periode und sogar die höchsten Eigenschaften sind der Mode unterworfen. Der Weise hat jedoch einen Vorteil, den, dass er unsterblich ist: ist dieses nicht sein Jahrhundert; so werden viele andre es sein.

21. Die Kunst Glück zu haben

Es gibt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glück nachhelfen. Einige begnügen sich damit, sich wohlgemut an das Tor der Glücksgöttin zu stellen und zu erwarten, dass sie öffne. Andere, schon besser, streben vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Wertes und ihrer Tapferkeit, die Göttin erreichen und ihre Gunst gewinnen mögen. Jedoch richtig philosophiert, gibt es keinen andern Weg als den der Tugend und Umsicht; indem Jeder gerade so viel Glück und so viel Unglück hat, als Klugheit oder Unklugheit.

22. Ein Mann von willkommenen Kenntnissen

Gescheite Leute sind mit einer eleganten und geschmackvollen Belesenheit ausgerüstet, haben ein zeitgemäßes Wissen von allem, was an der Tagesordnung ist, jedoch mehr auf eine gelehrte als auf eine gemeine Weise: sie halten sich einen geistreichen Vorrat witziger Reden und edler Taten, von welchem sie zu rechter Zeit Gebrauch zu machen verstehn. Oft war ein guter Rat besser angebracht in der Form eines Witzwortes, als in der der ernstesten Belehrung; und gangbares Wissen hat manchem mehr geholfen als alle sieben Künste, so frei sie auch sein mögen.

23. Ohne Makel sein

Die unerlässliche Bedingung der Vollkommenheit. Es gibt wenige, die ohne irgendein Gebrechen wären, wie im Physischen, so im Moralischen: und sie lieben solches innig, da sie doch leicht es heilen könnten. Mit Bedauern sieht die fremde Klugheit, wie oft einem ganzen Verein erhabener Fähigkeiten ein kleiner Fehler sich keck angehängt hat; und eineWolke ist hinreichend, die ganze Sonne zu verdunkeln. Dergleichen sind Flecken unsers Ansehens, welche das Misswollen sogleich herausfindet, und immer wieder darauf zurückkommt. Die größte Geschicklichkeit wäre, sie in Zierden zu verwandeln, in der Art, wie Cäsar sein physisches Gebrechen mit dem Lorbeer zu bedecken wusste.

24. Die Einbildungskraft zügeln,

... indem man bald sie zurechtweist, bald ihr nachhilft: denn sie vermag alles über unser Glück, und sogar unser Verstand erhält Berichtigung von ihr. Sie kann eine tyrannische Gewalt erlangen und begnügt sich nicht mit müßiger Beschauung, sondern wird tätig, bemächtigt sich sogar oft unsers ganzen Daseins, welches sie mit Lust oder Traurigkeit erfüllt, je nachdem die Torheit ist, auf die sie verfiel: denn sie macht uns mit uns selbst zufrieden oder unzufrieden, spiegelt Einigen beständige Leiden vor und wird der häusliche Henker dieser Toren: Andern zeigt sie nichts als Seligkeiten und Glücksfälle, unter lustigem Schwindeln des Kopfs. Alles dieses vermag sie, wenn nicht die vernünftige Obhut unsrer selbst ihr den Zaum anlegt.

25. Winke zu verstehen wissen

Einst war es die Kunst aller Künste, reden zu können: jetzt reicht das nicht aus; erraten muss man können, vorzüglich wo es auf Zerstörung unsrer Täuschung abgesehen ist. Der kann nicht sehr verständig sein, der nicht leicht versteht. Es gibt hingegen auch Schatzgräber der Herzen und Luchse der Absichten. Grade die Wahrheiten, an welchen uns am meisten gelegen, werden stets nur halb ausgesprochen; allein der Aufmerksame fasse sie im vollen Verstande auf. Bei allem Erwünschten ziehe er seinen Glauben am Zügel zurück, aber gebe ihm den Sporn bei allem Verhassten.

26. Die Daumschraube eines Jeden finden

Dies ist die Kunst, den Willen andrer in Bewegung zu setzen. Es gehört mehr Geschick als Festigkeit dazu. Man muss wissen, wo einem Jeden beizukommen sei. Es gibt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher nach der Mannigfaltigkeit des Geschmacks verschieden ist. Alle sind Götzendiener, einige der Ehre, andre des Interesses, die meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, dass man diesen Götzen eines Jeden kenne, um mittelst desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für Jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muss nun auf die allererste Springfeder, oder das primum inodils in ihm, zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist: denn es gibt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüter in der Welt. Jetzt muss man zuvörderst sein Gemüt bearbeiten, dann ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt.

27. Das Intensive höher als das Extensive schätzen

Die Vollkommenheit besteht nicht in der Quantität, sondern in der Qualität. Alles Vortreffliche ist stets wenig und selten: die Menge und Masse einer Sache macht sie geringgeschätzt. Sogar unter den Menschen sind die Riesen meistens die eigentlichen Zwerge. Einige schätzen die Bücher nach ihrer Dicke; als ob sie geschrieben wären, die Arme, nicht die Köpfe daran zu üben. Das Extensive allein führt nie über die Mittelmäßigkeit hinaus, und es ist das Leiden der universellen Köpfe, dass sie, um in Allem zu Hause zu sein, es nirgends sind. Hingegen ist es das Intensive, woraus die Vortrefflichkeit entspringt, und zwar eine heroische, wenn in erhabener Gattung.

28. In nichts gemein

Erstlich, nicht im Geschmack. O des großen Weisen, den es niederschlug, dass seine Sache der Menge gefiel!2 Gemeiner Beifall in Fülle gibt dem Verständigen kein Genügen. Dagegen sind manche solche Chamäleons der Popularität, dass sie ihren Genuss nicht in den sanften Anhauch Apollos, sondern in den Atem des großen Haufens setzen. – Zweitens, nicht im Verstande: man finde kein Genügen an den Wundern des Pöbels, dessen Unwissenheit ihn nicht über das Erstaunen hinauskommen lässt: während die allgemeine Dummheit bewundert, deckt der Verstand des Einzelnen den Trug auf.

29. Ein rechtschaffener Mann sein

Stets steht dieser auf der Seite der Wahrheit, mit solcher Festigkeit des Vorsatzes, dass weder die Leidenschaft des großen Haufens, noch die Gewalt des Despoten ihn jemals dahin bringen, die Grenze des Rechts zu übertreten. Allein wer ist dieser Phönix der Gerechtigkeit? Wohl wenige echte Anhänger hat die Rechtschaffenheit. Zwar rühmen sie Viele, jedoch nicht für ihr Haus. Andre folgen ihr bis zum Punkt der Gefahr: dann aber verleugnen sie die Falschen, verhehlen sie die Politischen. Denn sie kennt keine Rücksicht, sei es, dass sie mit der Freundschaft, mit der Macht, oder mit dem eigenen Interesse sich feindlich begegnete: hier nun liegt die Gefahr abtrünnig zu werden. Jetzt abstrahieren, mit scheinbarer Metaphysik, die Schlauen von ihr, um nicht der Absicht der Höheren oder der Staatsräson in den Weg zu treten. Jedoch der beharrliche Mann hält jede Verstellung für eine Art Verrat: er setzt seinen Wert mehr in seine unerschütterliche Festigkeit, als in seine Klugheit. Stets ist er zu finden, wo die Wahrheit zu finden ist: und fällt er von einer Partei ab, so ist es nicht aus Wankelmut von seiner, sondern von ihrer Seite, indem sie zuvor von der Sache der Wahrheit abgefallen war.

30. Sich nicht zu Beschäftigungen bekennen, die in schlechtem Ansehen stehen,

... noch weniger zu Schimären, wodurch man sich eher in Verachtung, als in Ansehen bringt. Es gibt mancherlei grillenhafte Sekten, von welchen allen der kluge Mann sich fernhält. Aber es gibt Leute von wunderlichem Geschmack, welche immer nach dem greifen, was die Weisen verworfen haben, und dann in diesen Seltsamkeiten sich gar sehr gefallen. Dadurch werden sie zwar allgemein bekannt, doch mehr als Gegenstand des Lachens, als des Ruhms. Sogar zur Weisheit wird der umsichtige Mann sich nicht auf eine hervorstechende Weise bekennen, viel weniger zu Dingen, welche ihre Anhänger lächerlich machen. Sie werden hier nicht aufgezählt, weil die allgemeine Verachtung sie genügend bezeichnet hat.

31. Die Glücklichen und Unglücklichen kennen,

... um sich zu jenen zu halten und diese zu fliehen. Das Unglück ist meistenteils Strafe der Torheit, und für die Teilnahme ist keine Krankheit ansteckender. Man darf nie dem kleineren Übel die Tür öffnen: denn hinter ihm werden sich stets viele andere und größere einschleichen. Die feinste Kunst beim Spiel besteht im richtigen Kartenziehen: und die kleinste Karte der Farbe, die jetzt Trumpf ist, ist wichtiger als die größte derjenigen, die es vorher war. Ist man im Zweifel, so ist das Gescheiteste, sich zu den Klugen und Vorsichtigen zu halten, da diese früh oder spät das Glück einholen.

1... Vergolder, sondern der Anbeter: Wortspiel mit dora und adora

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