Grenzerfahrungen - Christuserfahrungen - Siegwart Knijpenga - E-Book

Grenzerfahrungen - Christuserfahrungen E-Book

Siegwart Knijpenga

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Beschreibung

Siegwart Knijpenga hat zahlreiche Gespräche mit Menschen geführt, die ihm von Grenzerfahrungen berichteten. Hierbei wurde ihm deutlich, dass die Trennlinie zwischen Naturerfahrungen und solchen mit religiösem Inhalt oft kaum sichtbar ist. So entstand eine beeindruckende Sammlung variantenreicher, teils vermeintlich alltäglicher, teils außergewöhnlicher Schilderungen.

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Siegwart Knijpenga

Grenzerfahrungen – Christuserfahrungen

Aus dem Niederländischen von Beate Grah

Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Einleitung

Teil IGrenzerfahrungen

1  Erfahrungen in der Natur

2  Begegnung aus dem Verborgenen

3  Endet es hier?

4  Bei sich selbst ankommen

5  Verbindungen herstellen

6  Wenn das Vertraute ins Wanken gerät

7  Hier und dort

8  Himmel und Erde

9  Rund um den Altar

Abrundung

Teil IIChristuserfahrungen

1  Leben und höheres Leben

2  Gegengewicht und Wechselwirkung

3  Krise

4  Er und ich

5  Leid und Liebe

6  Ein jeder hat seinen eigenen Wert

7  Sterben

8  Christus für die Erde

9  Gebet und Sakrament

Zusammenfassende Gedanken

Anmerkungen

Impressum

Vorwort und Einleitung

Warum dieses Buch?

Der Inhalt des Christentums scheint in unserer Zeit zu einer vagen Überlieferung zu verblassen. Sollte sich dieser Trend fortsetzten, wird es seinen stärkenden Beitrag für das menschliche Leben verlieren. Viele traditionelle Kirchen leeren sich, vor allem in unserer Region, den Niederlanden.

Zurzeit ist jedoch auch ein entgegengesetzter Trend festzustellen. Dies wird unter anderem in persönlichen Erfahrungen sichtbar. Es scheint hier ein neuer Zugang zu einer gegenwärtigen, lebendigen Wirklichkeit des Christus zu entstehen. Hierüber erschien 1973 in Schweden eine Publikation1, 2008 auch in den Niederlanden.2 Ich selbst habe in meinem Beruf als Pfarrer in der Christengemeinschaft festgestellt, dass derzeit eine wachsende Anzahl von Menschen solche Erfahrungen macht. Es handelt sich hierbei um Erlebnisse, die wesentlicher sind als die rein sinnlichen Wahrnehmungen und auch tiefer eingreifen. Da ich hiermit unmittelbar zu tun bekam, entwickelte sich das Bedürfnis, mehr Einblick zu gewinnen. Ich suchte nach Wegen, mit diesen Erfahrungen verantwortungsvoll umzugehen.

Mir scheint, dass diese persönlichen Eindrücke in einer Zeit sich wandelnder Glaubensformen Vertrauen in das Wesen des Christentums wecken können. Das Wesentliche ist immer der lebendige Christus selbst gewesen, der sich als höhere Erfahrung im Kleide unserer sinnlichen Erfahrungen offenbart. Dies wird in den folgenden Beiträgen dargestellt. Das hierdurch entstehende Bild kann ein Beitrag zu einem zeitgemäßen Christentum sein.

Wie kam folgender Inhalt zustande und wie wurde er geprüft?

Im Jahr 2011 erschien mein Buch über Grenzerfahrungen mit dem niederländischen Titel Op je wenken bedient.3 Nach der Veröffentlichung ergaben sich zahlreiche Gespräche über den Inhalt des Buches, in denen ich Übergänge zu Christuserfahrungen erkannte, die ich näher untersuchen wollte.

Kollegen boten mir daraufhin die Möglichkeit, in ihren Gemeinden hierüber zu sprechen und in der überregionalen niederländischen Zeitschrift der Christengemeinschaft »In beweging« meine Fragen zu stellen.

Hierauf reagierten rund hundert Menschen – dreißig Männer und siebzig Frauen – die von ihren Erfahrungen berichteten. Der Umfang dieser Berichte überstieg jedoch das Ausmaß einer Publikation. Daher enthält dieses Buch nur eine Auswahl.

Im Übrigen hatte ich mit den meisten Verfassern persönlichen Kontakt, woraus Respekt und Vertrauen hinsichtlich ihrer Erfahrungen erwuchsen. So kann gesagt werden, dass all diese Beiträge nicht allein aus erster Hand sind, sondern auch durch den persönlichen Kontakt zustande kamen. Neben dem Inhalt der Erfahrungen war auch die hierdurch entstehende Vertrauensbasis zu den Verfassern wichtig. Eine zusätzliche Sicherheit, die Realität der Erfahrungen betreffend, ergab sich durch die Art und Weise, wie diese sich gegenseitig im Gesamtbild stützten. Beweise der Echtheit sind auf diesem Gebiet nicht zu erbringen.

Als Prüfstein für diese Erfahrungen dienten lediglich meine Beurteilung des Inhalts, das Vertrauen in die Verfasser sowie der überraschende »Zusammenklang« der betreffenden Beiträge. Darüber hinaus habe ich eine Psychologin um die Beurteilung der Beiträge gebeten. Das schien mir notwendig in einem Gebiet, in dem Phantasie und Illusion von authentischen innerlichen Erfahrungen unterschieden werden müssen.

Formgebung

Inhaltlich ließen sich neun Arten von Erlebnissen unterscheiden. Die Erfahrungen konnten in eine sogenannte »Neunheit« gegliedert werden; danach wurde die Reihenfolge festgelegt. So entstand eine erste Struktur aus neun Kapiteln.

Darüber hinaus gab es noch ein weiteres Anliegen. Ich habe den Eindruck, dass Christuserfahrungen immer das Innerste des Menschen berühren. Das ist eine sehr zentrale Erfahrung, umgeben von einem weiten Feld mehr allgemeiner, höherer Erfahrungen. Es scheint ein guter Weg zu sein, zuerst die allgemeinen und im Folgenden die speziellen Erfahrungen zu betrachten. Aus diesem Grund wurde eine zweiteilige Gliederung gewählt. Beide Teile dieses Buches bestehen jeweils aus den neun Kapiteln. Dass sich die eingebrachten Erfahrungen auf diese Weise ordnen ließen, gab mir das Vertrauen, auf einem guten Weg zu sein.4

Was fängt man damit an?

Höhere Erfahrungen sind Erlebnisse, die gewissermaßen nicht nur »an der Haustür« erscheinen, sondern ganz unvermittelt eintreten. Wie man einem Gast, den man zu Hause empfängt, einen Platz anbietet, so ist es wichtig, mit diesen tiefgreifenden Erlebnissen auf eine Weise umzugehen, dass sie in der eigenen Seele einen Platz bekommen und in die Gesamtheit der eigenen Erfahrungen integriert werden können. Der Gast, wie unerwartet er auch erscheinen mag, darf kein Fremder im eigenen Haus bleiben. Aus diesem Grund habe ich an die erste Erfahrung – in diesem Fall meine persönliche – angefügt, wie ich damit umgegangen bin. Mit dieser Ergänzung wollte ich auf eine mögliche Form des Aufarbeitens hinweisen.

Die Beiträge wurden hier und da mit einem Vor- oder Nachwort versehen, allerdings nicht systematisch: Manchmal schien es, ein Stück könne besser für sich selbst sprechen; oder es ergab sich die Möglichkeit, es durch den Zusammenklang mit einem vorangehenden oder folgenden Stück zu seinem Recht kommen zu lassen. Es waren Versuche, jedem Beitrag seinen Platz zu geben und so seinen Wert für den Leser sichtbar zu machen.

Die Verfasser

Dem persönlichen Charakter der Erfahrungen entsprechend, bleiben die Beiträge anonym. Dies war für einige Verfasser die ausdrückliche Bedingung für die Veröffentlichung und führte zu dem Entschluss, es für alle Beiträge so zu handhaben. Wenn der begleitende Text es verlangte, wählte ich deshalb den Begriff Verfasser (die Beiträge wurden sowohl schriftlich als auch mündlich eingereicht).

Dank

Zweifelsohne sind es die Beiträge der oben genannten Verfasser, die das inhaltliche Rückgrat des Buches bilden. Sie regten mich durch ihr Vertrauen und die Qualität ihrer Beiträge zur Komposition dieses Buches an.

Es handelt sich hierbei um einen persönlichen und sensiblen Inhalt. Ich hoffe, dass die endgültige Formulierung und der Platz, den jeder dieser Beiträge erhielt, den Erwartungen der Verfasser gerecht werden.

Ihnen allen gebührt meine große Anerkennung und mein Dank.

Siegwart Knijpenga, Amsterdam, Oktober 2012

Teil I

Grenzerfahrungen

1

Erfahrungen in der Natur

Dämme bauen in der Maas

Ich wuchs in Rotterdam auf, mit nur zehn Minuten Fußweg zum Fluss, zur Nieuwe Maas. Zwischen meinem neunten und zwölften Lebensjahr übte der Strand an diesem Fluss auf mich eine starke Anziehungskraft aus. Ich spielte dort gern, allein oder mit Freunden. In diesen Jahren (1944 – 1948) konnte man vom Park am Honingerdijk über das sandige, verwilderte Ufer hinunter bis ans Wasser laufen. Der beharrlich von links nach rechts fließende Strom erfasste stets meinen Blick und weitete meinen Atem. Es veränderten sich das Licht, das von den Wellen zurückgeworfen wurde, die Höhe des Wasserstandes und die Art der Wellenbewegungen. Auch glitten die unterschiedlichsten Schiffe stromabwärts oder fuhren mit stampfendem Motor mühsam stromaufwärts. An der gegenüberliegenden Seite lag das unbekannte Ufer, das ich in diesen Jahren nie aus der Nähe sah, mit all seinen schemenhaften Gebäuden, die manchmal geheimnisvoll zur Hälfte oder auch gänzlich im Nebel verschwanden. Dies alles ließ viel Raum für meine Fantasie.

Besonders bei Niedrigwasser gab es am vertrauten Strand viel zu sehen. Runde, faustdicke Maas-Steine, vom Wasser geschliffene Trümmer: Backsteinreste, Stücke von Pflastersteinen oder Dachpfannen (Rotterdam wurde 1940 bombardiert!), leere Dosen, Treibholz und anderer Abfall. Und mittendrin glitzerten kleine, runde, platte Kieselsteine und Tonscherben. Vor allem Letztere waren nicht nur etwas fürs Auge, sie lagen auch gut in der Hand, und man konnte sie so über das Wasser flitschen lassen, dass sie mit ihrer flachen Seite über die Wellen tanzten. Nach einem guten Wurf hüpften sie in stets kleineren Sprüngen weiter, bis sie fortglitten und versanken.

Aber die wirkliche Arbeit bestand aus dem Bauen von Dämmen. Meine Freunde und ich suchten dann einen geeigneten Platz und warfen zunächst gröberes Material von der Flutlinie aus ins Wasser, und nach und nach entstand mithilfe feinerer Materialien eine begehbare Pier.

Am spannendsten war das bei auflaufendem Wasser, denn hier musste richtig zugepackt werden, um dem steigenden Pegel standzuhalten. Gleichzeitig kam der Kopf der Pier nicht nur tiefer, sondern auch weiter draußen zu liegen, wodurch sich die Strömung immer stärker geltend machte. Links vom Damm begann es sich aufzustauen und rechts zu saugen. Zur Freude oder zum Kummer, wie auch immer man das erlebt, begann es an diesen Stellen zu wirbeln, und die äußeren Brocken wurden fortgerissen. Setzte dies einmal ein, gab es kein Halten mehr. Die Erfahrung zeigte, dass wir der waltenden Kraft dann nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Unvergesslich war es, am Ende dieses Kräftemessens auf unserem losbrechenden Fundament die Dynamik der Strömung zu erleben.

Das war unserer Ansicht nach sehr wohl ein paar schmutzige, nasse Füße und Ärmel wert. Danach ließen wir das Bauwerk wie es war zurück und gingen nach Hause.

Im Nachhinein bewundere ich meine Mutter, die zu dieser Zeit noch keine Waschmaschine besaß und die Zufriedenheit ihres völlig verschmutzten Sohnes einfach so hinnehmen konnte.

Kann eine Mutter sehen, dass ein Kind fundamentale Erfahrungen macht? Erfahrungen, in denen es die spätere Wirklichkeit vorfühlt und die es in diese Lebenswirklichkeit begleiten werden?

Nur ein Spiel von damals?

Es ist ein merkwürdiges Geschehen, auf Erfahrungen zurückzublicken, die einen früher gefesselt haben. Sie fanden damals schon einen starken Widerhall in der Seele, der noch stets fortdauert. Nun jedoch weniger als Drang, sondern mehr in Form einer Verwunderung und eines bewussten Erkennens dessen, womit man eigentlich beschäftigt war. Manchmal auch als Appell, sich damit eingehender zu befassen.

Im oben beschriebenen Spiel und der späteren Erinnerung daran ist all dies vollständig vorhanden. Deshalb habe ich über einige Wochen hin intensiver darauf zurückgeschaut und nehme es als Beispiel für ein aktives Bearbeiten der eigenen Erfahrungen.

Ein brauchbarer erster Schritt ist es, die Erinnerung auf ihre Elemente hin zu untersuchen. Das kann gekünstelt wirken, doch kommt auf diese Weise die Gesamtheit des Geschehens zum Vorschein; eben auch die halbbewussten Dinge, die versunken waren und wichtig sein können.

Die Elemente der Erinnerung

Gegebenheit: der Fluss, der stets dort war, mit seinem wechselnden Licht und Wellenschlag, mit dem Wasser, das von links nach rechts strömte, mit seiner niedrigen oder hohen Flutlinie. Der steigende oder fallende Wasserspiegel, die fahrenden Schiffe, das mehr oder weniger erkennbare andere Ufer. Das schmale oder breitere eigene Ufer, sandig, verwildert, mit kleinen runden und flachen Steinchen, den Maas-Steinen, den durch das Wasser abgerundeten Trümmern und dem Abfall mit seiner eigenen mehr oder weniger erkennbaren Vergangenheit.

Aktivitäten: das warming up mit dem Werfen kleiner Steinchen, sodass diese über das Wasser tanzten und versanken. Danach – allein oder mit Freunden – am liebsten bei auflaufendem Wasser, das Bauen einer Pier durch das Anschleppen schwerer Steine, um diese dann im Wasser so aufeinander zu stapeln, dass sie mit Hilfe kleinerer Füllsteine eine Lauffläche formten.

Kritische Phase: eben noch auf der Dammkrone, beinahe im Fluss stehend, die zunehmende Macht des Wassers erlebend, fühlend und zulassend, dass die Strömung die Regie übernimmt.

Zum Schluss: nach Hause kommen, mit dem Gefühl, wirklich gelebt zu haben.

Später: in den Jahren der Berufsausübung der Wunsch, diese Erfahrung als Realität aufsuchen zu wollen. Außerdem noch die Verwunderung darüber, dass eine Jugenderfahrung mehr als sechzig Jahre später wieder auftaucht und bei einem anklopft. Darüber hinaus noch die Frage, was hier so anziehend war, dass es mich über vier Jahre meiner Kinderzeit fesselte.

Die Innenseite der Erinnerung

Im Laufe der Jahre bekam diese Erfahrung eine Innenseite. Es entstand das Gefühl, während der Berufsausübung wieder genau wie früher an Ufern zu stehen und Dämme zu bauen, in Gebieten, in denen es kräftig strömt. Anfänglich fühlten sich hierbei die äußerlich ertastbaren Gegebenheiten an wie das Ufer und die mögliche Entwicklung im Arbeitsfeld wie der Fluss. Der eigene Beitrag war wie das Planen und Bauen des Dammes mit den vorhandenen Mitteln. Das war weniger theoretisch, als es sich anhört. Die Dynamik des früheren Spiels war vollständig präsent, doch nunmehr ausgerichtet auf das Arbeitsfeld.

In einer späteren Phase zeigte diese Jugenderfahrung eine noch stärkere innere Seite. Darin stellte sich der gesamte physische Bestand als das feste Ufer dar und der Umgang mit geistigen Inhalten als das Strömungsgebiet. Hier galt es, im eigenen spirituellen Leben solide Fundamente zu legen, also Dämme im Innern zu bauen. Die Mittel hierzu sind: Gespräche, Meditation, Gebet und Teilnahme am Kultus. Auch hier zeigte sich der große Wert der Nachwirkung dieser Jugenderfahrung.

Die Grundlage dieses Buches

Es soll in diesem Buch eine Vielzahl an Erfahrungen wiedergegeben werden. Diese haben jeweils ihren besonderen Inhalt und ihre eigene Färbung. Jedoch haben sie auch etwas Gemeinsames, wobei ich an die Erlebnisse an der Maas denke.

Das Stehen an einem Ufer und das Erleben eines vorbeiströmenden Flusses kann in der Seele ein Gefühl der Verwandtschaft mit zwei Gebieten hervorrufen: mit der Welt der festen Dinge und mit einem Reich, in dem es strömt.

Diese Verwandtschaft kann man auch näher bezeichnen. Der Mensch ist in seiner Art einerseits physisch festgelegt, andererseits ist er ein sich entwickelndes Wesen. Seine physische Gestalt ist mehr mit dem Raum verwandt und mit dem, was sich darin befindet; sein lebendiges Wesen mehr mit der Zeit und den Prozessen, die sich in ihr abspielen. Das Räumliche ist gut erkennbar, das Geschehen in der Zeit nur teilweise. Doch ist Letzteres von großer Bedeutung, da sich hier die Prozesse von Werden und Vergehen abspielen. Im Umgang mit dem strömenden Wasser kann das Prozesshafte innerlich erlebt werden. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Kind, das noch von Natur aus in Prozessen lebt, diese auch untersuchen will.

Was das Thema dieses Buches betrifft: Der Fluss, in dem ich als Kind spielte, wird im Erwachsenenalter zu einem Bild, in dem die alltägliche physische Welt von einer Welt höheren Lebens durchströmt wird. Auch zeigt es, wie unser Bewusstsein von Zeit zu Zeit Eindrücke, von denen eine bestimmte Wirkung ausgeht, aus diesem höheren Leben empfangen kann. In diesem Buch wurden Erfahrungen mit diesen Qualitäten zusammengetragen.

Ich lade die Leserinnen und Leser ein, sich gemeinsam mit den Verfassern an die Ufer dieser strömenden höheren Welt zu begeben. Und ich ermutige Sie, die Lesenden, Ihre Wahrnehmungen mit denen der Verfasser zu vergleichen. Sie stellen immerhin ihre Beiträge zur Verfügung, aus dem Gefühl heraus, dass die Erlebnisse, die sie erfahren durften, nicht allein für sie selbst bestimmt sind, sondern dazu beitragen können, dass sich auch der Blick anderer Menschen zur Wahrnehmung dieser erweiterten Lebenswirklichkeit entfaltet.

Ausgehend von dieser allgemeinen Erweiterung, können auch Christuserfahrungen reeller gewürdigt werden.

Christus kann als ein Wesen wahrgenommen werden, das aus dem Reich des höheren Lebens heraus wirksam ist, bis hinein in das Gebiet physischen Daseins.

Die Beschreibungen von Christus in den Evangelien sind wertvoll und durch nichts zu ersetzen. Daneben dringen jedoch, unterstützt von Erinnerungen – wie denen an die Maas – Wirkungen höherer Ordnung durch, bis hin zu den eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen. Wirkungen solcher Art sind nicht neu. Sie waren von alters her vorhanden, besonders in den ersten drei Jahrhunderten des Christentums. In unserer Zeit scheinen sie jedoch wieder stärker wahrnehmbar zu werden.

Wichtig ist hierbei zweierlei. Einerseits muss man sich sorgfältig davor hüten, Illusionen zu verfallen. Das ist bei der Wiedergabe der Erlebnisse in diesem Buch auch nach bestem Vermögen geschehen. Andererseits entstand durch diese Erfahrungen ein Verhältnis zum lebendigen Christus selbst und nicht nur zu einer Erinnerung an sein Leben vor zweitausend Jahren. Religion kann dadurch zu wirklicher Verehrung werden, die zu einer konkreten Verbindung mit dem höheren Menschsein des Christus führt.

Wie das Gras

Eine fünfzigjährige Frau

Als kleines Mädchen, vermutlich ungefähr fünf Jahre alt, liege ich an einem schwülen, warmen Tag im hohen Gras. Ich warte auf meine Schwester, die schon zur Schule geht.

Mein Warten ist zeitlos, denn ich bin eins mit dem Gras, der Wärme und den Gerüchen. Dann sehe ich es: das Goldgelb der zarten Stängel mit den Samenkörnern, sacht sich wiegend, umhüllt von dem warmen Licht. Ich sehe das Gras.

Dreizehn Jahre später sitze ich als Heranwachsende und Schwesternschülerin im Religionsunterricht in einem katholischen Krankenhaus. Der Unterrichtsstoff ist für mich nicht selbstverständlich. Alles wird gewichtet und von verschiedenen Seiten aus betrachtet. Was aber denke ich selbst?

Plötzlich höre ich mich in einem ziemlich widerspenstigen Ton die Frage stellen: »Wie kann man denn wissen, dass Gott existiert?«

Der Priester sieht mich mit einem milden Blick an und sagt:

»Weil das Gras wächst.«

Es wird hell in meiner Seele.

Ich denke: »Natürlich!«

Wer mit dem Unterrichten vertraut ist, kennt diese Momente, in denen man zum eigenen Erstaunen plötzlich das rechte Wort findet. Wir sind in der Welt unserer Gedanken nicht so scharf begrenzt wie in der räumlichen Welt. Ich vermute, dass der Lehrer intuitiv das Bild vom Gras aufgriff, das ihm von seiner Schülerin entgegenkam.

Die Farbe Grün

Eine vierzigjährige Frau

Durch einen Umzug verlor ich von meinem zwölften Lebensjahr an den Boden unter den Füßen. Hinzu kam der Wechsel zur Oberschule. Ich hatte in jener Zeit all meine Kräfte nötig, um den Bezug zur Welt nicht zu verlieren, was nur mäßig glückte.

Ich konnte zwar rot und grün an der Ampel unterscheiden, doch machten Farben auf mich keinen Eindruck. Die Welt war für mich beinahe ausdruckslos, grau.

Als ich fünfzehn war, lief ich eines Tages auf dem Schulweg in Richtung Bushaltestelle. Ich ging durch einen Park. Dort sah ich, ungefähr hundert Meter entfernt, durch den schmelzenden Schnee hindurch etwas Gras.

Das Gras war grün. Grün war eine Farbe. Und die Farbe machte auf mich einen tiefen Eindruck, sie bewirkte etwas in mir. Eine Farbe ist etwas.