Griechische Gefahr - Stella Bettermann - E-Book

Griechische Gefahr E-Book

Stella Bettermann

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Beschreibung

Der neue Griechenlandkrimi von Bestsellerautorin Stella Bettermann Nick Zakos hat wieder Kontakt zu seiner griechischen Kollegin Fani – allerdings nur beruflich. Sie bittet ihn in einem besonderen Fall um Hilfe: Drei Frauen sind grausam ermordet worden. Fani ist überzeugt, dass ein Serientäter sein Unwesen treibt. Bloß will ihr das niemand glauben. Die Spur führt auf die Insel Hydra, wo die Reichen und Schönen sich gerade zum Osterfest einfinden. Während Zakos sich wieder mehr zu Fani hingezogen fühlt, als ihm lieb ist, gerät eine weitere Frau, die einer der Ermordeten zum Verwechseln ähnlich sieht, in große Gefahr. Schaffen es Zakos und Fani, dem Täter auf die Spur zu kommen, bevor es zu spät ist?

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Die Autorin

Stella Bettermann ist Halbgriechin und lebt mit ihrer Familie in München, wo sie als Journalistin und Autorin arbeitet. Ihre Griechenlandbücher Ich trink Ouzo, was trinkst du so? und Ich mach Party mit Sirtaki waren Spiegel-Bestseller. Griechischer Abschied war ihr Krimi-Debüt.

Das Buch

Der neue Griechenlandkrimi von Bestsellerautorin Stella Bettermann

Nick Zakos hat wieder Kontakt zu seiner griechischen Kollegin Fani – allerdings nur beruflich. Sie bittet ihn in einem besonderen Fall um Hilfe: Drei Frauen sind grausam ermordet worden. Fani ist überzeugt, dass ein Serientäter sein Unwesen treibt. Bloß will ihr das niemand glauben. Die Spur führt auf die Insel Hydra, wo die Reichen und Schönen sich gerade zum Osterfest einfinden. Während Zakos sich wieder mehr zu Fani hingezogen fühlt, als ihm lieb ist, gerät eine weitere Frau, die einer der Ermordeten zum Verwechseln ähnlich sieht, in große Gefahr. Schaffen es Zakos und Fani, dem Täter auf die Spur zu kommen, bevor es zu spät ist?

Stella Bettermann

Griechische Gefahr

Kommissar Nick Zakos ermittelt

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Mai 2018© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: zero-media.net, München E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-1750-2

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 1

Es war nicht der erste Tatort für Fani Zifou. Trotzdem war der Schock besonders groß, denn sie hatte das Opfer gekannt: Panajota Kolidi. Dr. Panajota Kolidi. Sie war die Ärztin ihres Bruders gewesen. Fani hatte ihn des Öfteren zu ihr begleitet. Alexandros war zwar fast sechzehn, doch er könnte nie alleine einen Arztbesuch absolvieren. Er benötigte dauerhafte Betreuung – zeitlich eine große Belastung für Fani und ihre Mutter. Seit Alexandros eine Tageseinrichtung für Behinderte besuchte, war der Alltag zwar einfacher geworden – auch finanziell, weil ihre Mutter nun eine Stelle in einer Hotelküche hatte annehmen können und nicht länger alles von Fanis Gehalt abhing. Doch es gab immer wieder Dinge, die außer der Reihe erledigt werden mussten. Die regelmäßigen Besuche in Dr. Kolidis orthopädischer Praxis gehörten dazu.

Wie viele andere Patienten mit Downsyndrom litt Alexandros unter Knieproblemen. Dr. Kolidi hatte ihm Rezepte für Physiotherapie ausgestellt und regelmäßig die Erfolge kontrolliert. Sie war nett gewesen, Fani hatte sie gemocht. Wenn Fani mit Alexandros im Wartezimmer saß, hatte Dr. Kolidi ihren Bruder oft vor anderen Patienten in ihr Sprechzimmer hereingebeten, sodass sie nicht zu lange warten mussten. Sie war außerdem ganz normal mit Alexandros umgegangen, was Fani sehr schätzte. Sie hasste es, wenn er wie ein kleines Kind angesprochen wurde, und das taten viele Fremde, wenn sie nett sein wollten. Fani ging es auf die Nerven – Alexandros hatte das Downsyndrom, aber er war doch kein Baby!

Die Orthopädin verhielt sich nüchtern und pragmatisch, dennoch hatte sie es vermocht, Alexandros, der auf Ärzte manchmal übertrieben ängstlich reagierte und deshalb bei Konsultationen zappelig und laut wurde, zu beruhigen – was auch an ihrer warmen, freundlichen Stimme lag. Er schien sich bei ihr zu entspannen. Einmal war er sogar auf dem Stuhl eingenickt, als er auf das Röntgen wartete. Dr. Kolidi hatte Fani angestupst, und sie hatten sich angelächelt, bevor Fani ihren dösenden Bruder vor dem schon etwas betagt wirkenden Röntgengerät weckte. Sie konnte sich noch gut an den Blick der Ärztin an jenem Tag erinnern: ein wenig amüsiert, ein wenig gerührt. In diesem Moment war eine besondere Nähe entstanden, eine freundliche Komplizenschaft zwischen der etwas burschikosen jungen Polizistin und der eleganten älteren Frau.

Als Fani nun Dr. Kolidi tot in ihrem Schlafzimmer liegen sah, schossen ihr sofort Tränen in die Augen. Sie wandte sich ab und presste die Faust vor den Mund. Zum Glück beachteten die Kollegen von der Spurensicherung sie kaum, was sie normalerweise ziemlich ärgerte. Heute jedoch war sie froh darum.

Erst nach einer Weile versiegten ihre Tränen, und Fani schaffte es, näher zu treten und sich der Leiche zuzuwenden. Der Körper der Toten war sonderbar neben ihrem Bett drapiert: der Oberkörper nackt, die Arme auf der weißen, von einem Blumenmuster durchwirkten Decke ausgestreckt. Das Gesicht war nicht zu erkennen – es lag auf der Decke. Fani war froh darüber. Auch so fand sie den Anblick der Toten entwürdigend. Fani sah die welke Haut am nackten Rücken der Frau, die seitlich sichtbaren schlaffen weißen Brüste, das rotblonde lange Haar, verklebt von Blut. Am Hinterkopf konnte man den schwarz-grauen Haaransatz erkennen. Fani schämte sich, die Ärztin so zu sehen, fast als habe sie, die Polizistin, sich unrechtmäßig eingeschlichen wie ein kranker Voyeur. Krampfhaft versuchte sie, sich das Bild der lebendigen Dr. Kolidi vor ihr geistiges Auge zurückzuholen – ihre souveräne Art, die Lachfältchen um die strahlenden Augen, ihre jugendlich wirkende Gestalt, gekleidet in lockere Leinensachen unter dem salopp offen stehenden gestärkten Ärztekittel. Es schien nichts mit der leblosen Frau vor ihr gemein zu haben. Fani kam es vor, als hätte der Täter der Toten mehr geraubt als nur das Leben. Alles, was sie gewesen war, schien plötzlich reduziert auf diesen sonderbar arrangierten schlaffen Körper.

»Sieht aus, als würde sie sich verbeugen. Oder beten!« Das war die Stimme ihres Chefs Tsambis Jannakis, die immer etwas kratzig klang von den unzähligen Zigaretten, die er rauchte. Ein angebrochenes Päckchen davon steckte in seinem himmelblauen Hemd, dessen Knöpfe so weit offen standen, dass der Ansatz dunkler Brusthaare und ein Goldkreuz an einer Kette sichtbar wurde, das so aussah, als hätte es sich in den Brusthaaren verfangen.

Er hatte sich verspätet, eigentlich war das immer der Fall. Wenn er sich herabließ, einen Tatort aufzusuchen, war die Arbeit in der Regel zum großen Teil schon getan. Dann hatte Fani bereits jede Ecke mehrfach abfotografiert und jedes auffällige oder interessante Detail sorgfältig notiert, während der alte Forensiker Ioannis gemeinsam mit seinem Team stumm neben ihr her arbeitete. Ioannis richtete nie das Wort an Fani und besprach sich ausschließlich mit Jannakis.

Auch jetzt steckten die beiden Männer sofort die Köpfe zusammen, als gehörte Fani gar nicht dazu. Sie kannte das schon, aber es ärgerte sie trotzdem. Sie würde Ioannis’ Erkenntnisse später dem Bericht entnehmen müssen.

Schließlich – sie war mit ihrer Bestandsaufnahme noch kaum fertig – beschlossen die beiden Männer, dass es Zeit sei, die Leiche abtransportieren zu lassen.

»Das Leben besteht schließlich nicht nur aus Arbeit, stimmt’s, Ioannis?«, fragte Jannakis. Der andere stieß ein bekräftigendes Lachen aus, als handle es sich bei dieser eher banalen Bemerkung um einen äußerst gelungenen Witz.

»Schleimer!«, dachte Fani. Ioannis’ meckerndes Lachen ging ihr auf die Nerven. Er klang wie ein alter Ziegenbock, dachte sie. Er sah auch so aus, mit seinem eingefallenen Gesicht und dem langen stoppeligen Kinn.

»Natürlich, heute ist ja deine Jubiläumsfeier!«, sagte der Spurenexperte zu Kommissar Jannakis, als er seinen Heiterkeitsanfall beendet hatte. »Ich habe meiner Frau schon gesagt, dass ich heute später komme. Wann geht’s denn los? Und vor allem – was gibt’s zu essen?«

»Mein Sohn hat gestern Abend noch dreihundert Souvlakia mariniert«, antwortete Jannakis stolz und reckte seinen stattlichen Bauch vor, als wollte er seine Liebe zu fettigen Fleischgerichten zusätzlich bekräftigen. »Exakt dreihundert Stück, so hat er sie beim Metzger bestellt. Wenn man dreißig Jahre im Dienst ist, darf man sich nicht lumpen lassen!« Er gluckste selbstgefällig. »Du weißt ja, mein Ältester ist Koch. Seine Marinade ist berühmt. Geheimrezept! Ich sage dir, Ioannis – das sind die besten Souvlakia der Welt!«

Schon beim Gedanken an Grillfleisch drehte sich Fani fast der Magen um, und sie wäre am liebsten nach draußen gegangen, wo die Luft kühl und erfrischend war, trotz des strahlenden Sonnenscheins. Am Morgen hatte es heftig geregnet, und nach wie vor war es windig. Hier aber, im Schlafzimmer der Toten, war die Luft stickig und dumpf.

Dennoch wäre Fani nie hinausgerannt, denn das hätte bedeutet, Schwäche zu zeigen, und das kam nicht infrage. Also rang sie die aufkommende Übelkeit nieder und schlug einen geschäftsmäßigen Ton an.

»Chef«, sagte sie, »bevor wir Schluss machen, wollte ich noch was mit Ihnen besprechen: Ich würde gern noch heute ein paar Eckdaten nach Athen schicken – die Meinung der Kollegen dort wäre sicher aufschlussreich für uns, ich finde …«

»Athen?!«, knurrt Jannakis, deutlich ungehalten. »Wie kommst du denn auf so was? Was geht Athen unser Fall an?«

»Nun ja, genau genommen ist es ja nicht nur ein Fall – es sind zwei«, erwiderte sie. »Anna Maltetsou passt doch ebenfalls ins Muster, das ist offensichtlich, außerdem …«

»Oha – ein Muster! Hört, hört!«, unterbrach Jannakis. »Da geht dir wohl die Fantasie durch – oder was sagt dir, dass es sich um ein, ähem, Muster handelt?«

Ioannis’ Assistent, ein dürrer junger Mann mit randloser Brille und stets etwas fettig wirkendem dünnem Haar, lachte auf – er schien es zu genießen, dass zur Abwechslung mal jemand anderes vorgeführt wurde als er, den Ioannis regelmäßig abkanzelte.

Fani ignorierte ihn und versuchte, möglichst ruhig zu bleiben. Sie hatte dies über die Jahre immer wieder trainiert. Nur nicht herausplatzen mit überstürzten Argumenten, mit Emotionen. Nur keine Angriffsfläche bieten. Gelassenheit zeigen. Trotz Jannakis’ arrogantem, herabsetzendem Tonfall. Trotz Joannis’ abschätzigem Blick, dem unsolidarischen Assistenten mit seinem schadenfrohen Gegrinse. Trotz des Anblicks der toten Frau, die Fani so geschätzt und, ja, bewundert hatte. Bloß ruhig bleiben!

Als sie weitersprach, war ihr ihre Empörung kaum anzumerken. Stattdessen klang ihre Stimme fest und sogar ein wenig von oben herab.

»Dazu braucht man nicht viel Fantasie«, sagte sie. »Die Überschneidungen sind offensichtlich: zwei Frauen, ermordet im Zeitraum von vier Wochen, beide erschossen, beide nackt, beide alleinstehend, beide in sonderbarer Haltung am Bett liegend!«

»Leichen sehen immer sonderbar aus – das lernst auch du noch!«, gab Jannakis zum Besten. Ioannis gab wieder ein meckerndes Kichern von sich, auch der Gehilfe stimmte erneut ein.

Fanis Unwohlsein verstärkte sich, außerdem verspürte sie einen Stich in der Schläfengegend. Wenn sie sich ärgerte oder gestresst war, peinigten sie heftige Kopfschmerzen, die nur durch die Einnahme starker Schmerztabletten nachließen. Heute war sie sowohl gestresst als auch verärgert – der Tag war einfach nicht auszuhalten. Wenn wenigstens Paraskewi anwesend gewesen wäre, Ioannis’ Kollegin und gleichzeitig der einzige sympathische Mensch im ganzen Kommissariat Rhodos. Ioannis war ohne Paraskewi an seiner Seite kaum zu ertragen, er war der Allerschlimmste von allen Kollegen hier, keiner konnte ihn ausstehen – bis auf Jannakis. Vielleicht, weil sie sich irgendwie ähnlich waren. Im Grunde war Jannakis ein fast ebenso schlimmer Kotzbrocken wie Ioannis selbst, dachte Fani.

»Außerdem: Dass alleinstehende Frauen öfter mal nackt ermordet werden, liegt in der Natur der Dinge«, fuhr Jannakis nun fort. »Und das ist KEINE frauenfeindliche Meinung, darauf lege ich gesonderten Wert.«

Fani schnaubte genervt, was Jannakis geflissentlich überhörte.

»Nein, das ist mein Ernst. Ist doch ganz logisch: Wenn ein Ehemann im Bett der Frau gelegen hätte, ein Beschützer, dann wäre sie sicher nicht ermordet worden, schon gar nicht nackt. Nein, dann hätte es vielleicht gar keinen Mord gegeben!«

»Oder zwei!«, konterte Fani kühl. »Sie UND der Ehemann!«

Jannakis lachte leise auf.

»Auch wieder wahr. Kluges Mädchen!«, sagte er anerkennend. Doch Fani freute sich nicht, im Gegenteil. Sie hasste es, wenn Jannakis sich gönnerhaft gab.

»Nackt oder nicht – jedenfalls ist das erste Opfer, Anna Maltetsou, nicht vergewaltigt worden«, wandte sie ein, auch um das Thema zu wechseln »Und diese Tote auch nicht, soweit ich das erkennen kann. Oder?«

Letztere Frage war an Ioannis gerichtet.

»Woher soll ich das wissen? Bin ich Gerichtsmediziner?«, blaffte dieser.

»Komm schon, hilf unserer jungen, ambitionierten Kollegin doch mal weiter!«, kam ihr Chef ihr zu Hilfe.

Ioannis tat, als sei es eine Zumutung, ganz normal seinen Job zu machen und ihr einfach die verlangte Auskunft zu geben. Aber auch dazu blieb Fani ruhig. Vollkommen ruhig. Jedenfalls äußerlich.

»Nein, soweit ich das beurteilen kann – keine Anzeichen von Vergewaltigung!«, brummelte Ioannis schließlich mit schleppender Stimme. »Auch sonst keine Anzeichen von äußerlicher Gewaltanwendung, soweit man das von unserer Warte aus beurteilen kann.« Er klang, als verlange ihm diese Aussage größte Anstrengung ab.

»Sehe ich auch so!«, meine Jannakis.

Fani nickte. »Also haben wir zwei Frauen, die nackt waren, aber nicht vergewaltigt wurden, und die in sonderbarer Haltung aufgefunden wurden …«, fasste sie zusammen.

»Halt, halt – das wissen wir nicht. Wir wissen nicht wirklich, wie diese Maltetsou dalag!«, gab Jannakis zu bedenken. »Die Putzfrau hat die Leiche ja durch das halbe Haus geschleppt!«

Tatsächlich war es eine Art Haushälterin gewesen. Sie hatte sich als Lebensretterin versucht und sich bemüht, der Ermordeten mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu helfen. Dabei hatte sie Spuren zerstört und den Fundort der Toten verändert. Doch am Tag darauf hatte sie ausgesagt, dass die Tote am Bett gekauert habe. Als würde sie beten. Das waren ihre Worte gewesen. Konnte Jannakis sich denn gar nicht mehr daran erinnern? Drehte es sich in seinem Kopf eigentlich nur noch um diese bescheuerte Jubiläumsparty?

Dreißig Jahre Polizeidienst, mein Gott! Als Jannakis als Polizist anfing, war Fani noch nicht einmal geboren. Und wenn es nach ihr gegangen wäre, könnte er mittlerweile auch ruhig in Rente gehen und endlich Platz machen für Leute, die noch nicht die innere Kündigung eingereicht hatten, junge, engagierte Leute – so wie sie.

»Außerdem war diese Maltetsou vollkommen nackt«, fuhr Jannakis nun fort. »Diese hier ist nur oben ohne.«

»Ja aber …«, setzte Fani an.

»Kein Ja aber«, fiel er ihr ins Wort. »Außer an dem Fakt, dass beide allein lebten, sehe ich hier keine Ähnlichkeiten, also nichts, was auf irgendein Muster hinweist. Diese Frauen sind doch vollkommen unterschiedlich, diese heute ist um die fünfzig, dürr und …«, er kniff die Augen zusammen und musterte die Leiche mit kritischem Blick, »… offenbar recht groß, eine Bohnenstange. Die Maltetsou dagegen war fünfzehn Jahre jünger, pummelig …«

»Sie ist auch Ärztin!«, schoss es aus Fani heraus. »Genau wie Anna Maltetsou!«

»Ach was?!«, machte Jannakis, plötzlich ganz ernst.

»Sie hat eine Praxis in der Altstadt. Orthopädie!«

»Ach was!«, wiederholte Jannakis. »Sieh einer an! Und die andere, war die nicht auch Orthopädin?«

»Nein, HNO – also Hals Nasen Ohren«, sprudelte es aus Fani heraus.

»Trotzdem – komisch ist das schon, da gebe ich dir recht!«, stimmte Jannakis zu. »Zwei erschossene Ärztinnen – kann das ein Zufall sein?«

»Kaum«, sagte Ioannis. »Das ist wahrscheinlich eine Folge des maroden Gesundheitssystems. Unsere Ärzte behandeln bereits so mies, dass die Patienten anfangen, sie zu ermorden!« Er stimmte wieder sein meckerndes Lachen an. Doch Jannakis stieg nicht ein, diesmal nicht. Er stand reglos im Raum, die stämmigen, schwarz bewachsenen Arme in die Seite gestemmt, und blickte die Tote an, als sehe er sie nun zum ersten Mal.

»Ioannis, dreh die Leiche mal ein Stück zur Seite«, sagte er schließlich. »Was ist denn da mit dem Reißverschluss?!« Er deutete auf Panajota Kolidis linke Seite.

»Der ist kaputt, das habe ich schon gesehen. Steht nachher alles im Bericht!«

»Kaputt – wie kaputt?«

»Na, eben kaputt!«, meinte Ioannis, angesichts der Anweisung auf einen Schlag wieder mufflig wie eh und je. »Die ersten zwei Zentimeter sind offen, aber dann hat der Stoff sich verklemmt!«

»Also ging er gar nicht auf!«, sprudelte es aus Fani heraus. »Das ist der Grund, warum sie nicht vollständig nackt ist! Der Täter wollte sie ja vielleicht ganz entkleiden. Oder er befahl ihr, sich auszuziehen. Aber es klappte nicht, denn der Reißverschluss war kaputt!«

Jannakis nickte langsam und bedächtig.

»Ja, könnte schon sein«, sagte er. »Na gut, jetzt warten wir erst mal auf das ballistische Gutachten. Ob es sich um ein und dieselbe Waffe handelt. Wenn das der Fall ist, dann hast du ihn ja sowieso, deinen Zusammenhang! Warten wir ab. Jetzt muss ich endlich los, sonst steigt die Party ohne mich!«

Fani nickte und rang sich ein Lächeln ab – das erste Mal, dass ihr das heute gelang.

»Viel Spaß, Chef, ich komme bald nach! Ich sehe mich nur noch eine Weile um«, sagte sie.

»Mach nicht so lang, Mädchen«, sagte Jannakis, und nun klang seine Stimme plötzlich freundlicher, regelrecht ein wenig väterlich. »Du schuftest immer so viel – du fällst noch mal um. Und dürr wirst du auch. Steht dir nicht! Steht dir überhaupt nicht!«

»Ich beeile mich!«, sagte Fani. »Versprochen!« Selbst wenn er nett sein wollte, schaffte Jannakis es, sie zu degradieren. Besonders, wenn er nett sein wollte, dachte Fani ungehalten. Sie war doch kein kleines Kind!

Tatsächlich hatte sie nicht vor, so bald zu gehen – nach Ioannis’ Aufbruch wollte sie alles ganz in Ruhe inspizieren, den Inhalt der Schubladen, die Sachen im Kleiderschrank, in der Küche und im Badezimmer. Sie wollte alles richtig machen, nichts übersehen. Sie hatte das Gefühl, dass sie es Dr. Kolidi schuldig war.

Wenn er es recht bedachte, wirkten die griechischen Kollegen immer etwas mehr auf Zack als die zu Hause in Deutschland, dachte Hauptkommissar Nick Zakos, als er den Trupp Beamter entdeckte, wie sie mit großen Schritten die Abflughalle durchmaßen. Oder kam ihm das als Außenstehendem nur so vor?

Denn ein Außenstehender war er – daran gab es nichts zu rütteln. Zakos war zwar halber Grieche und hatte von daher andere Einblicke in die lokalen Gegebenheiten als ein Tourist. Besonders, seit er auch immer öfter beruflich im Heimatland seines Vaters zum Einsatz kam und hier bereits in so manchem Mordfall ermittelt hatte. Doch da er in München aufgewachsen war und dort nach wie vor lebte, fühlte er sich in Griechenland immer auch gleichzeitig ein wenig wie ein Besucher. Dinge, die hier ganz normal waren, kamen ihm besonders vor.

Erst kurz vorher hatte Zakos schmunzeln müssen, als er beobachtete, wie sich zwei Freunde draußen vor dem Flughafen vor einer der automatischen Türen – da, wo die Raucher standen – zur Begrüßung in die Arme fielen und sich abküssten. Der eine der Männer nahm den Kopf des anderen dazu fest in beide Hände, und dann hörte man es regelrecht schmatzen.

In München nahmen sich Männer auch mal freundschaftlich zur Begrüßung in den Arm, allerdings eher die jüngeren. Aber schmatzende Küsse – nein!

Man sollte meinen, dass die Gepflogenheiten innerhalb Europas sich ähnelten, und in vielen Dingen war das auch so. Die Unterschiede allerdings zeigten sich ganz besonders in den kleinen Details des Alltagslebens, fand Zakos. Woran sein fremder Blick zum Beispiel hier immer wieder Anstoß nahm, war der extrem großzügige Umgang mit Plastiktüten. Er hatte davon gehört, dass diese demnächst bezahlt werden mussten – so wie in Deutschland. Aber noch wurden einem die Dinger im Supermarkt regelrecht hinterhergeworfen. Selbst am Airport wurde man nicht verschont. Sogar das Sandwich, das er gerade erstanden hatte, wurde ihm in einem Tütchen ausgehändigt. Dabei war es in Plastik eingeschweißt.

Zakos hatte das Brötchen wieder aus der Tüte gepackt und diese der Verkäuferin zurückgegeben, was aber keineswegs dazu geführt hatte, dass Müll gespart wurde, denn die Verkäuferin legte die Plastiktüte nicht etwa zurück, sondern warf sie hinter dem Tresen in den Abfalleimer. Klar, Zakos hätte sich das eigentlich denken können. Schließlich hatte er den Plastikbeutel mit seinen Händen berührt, er war also verunreinigt – jedenfalls in griechischen Augen. In solchen Dingen herrschte hier ein viel größeres Hygienebewusstsein als in Deutschland. Noch so ein Unterschied!

Nun saß er da, an seinem Gate, kaute an dem Sandwich und beobachtete die Menschen, als sein Blick auf die blau gekleideten, breitschultrigen griechischen Beamten fiel. Sie sahen absolut ehrfurchterregend aus. Kein Vergleich zu den Münchner Kollegen – auch wenn er dies zu Hause im Kommissariat in der Ettstraße nicht verlauten lassen würde. Aber trotzdem war es so!

Ganz sicher lag’s an der Uniform – die waldgrünen Sachen der Münchner Uniformierten hatten immer so etwas von Verkehrspolizei. Nein, diese Kerle hier wirkten da schon um einiges gefährlicher in ihrer dunklen Kampfmontur mit Cargohosen und schweren Stiefeln. Da wusste man gleich, was Sache war. Ihr Auftauchen hier an seinem Abflugs-Gate fand Zakos allerdings fast etwas beunruhigend – heutzutage fühlte man sich an Flughäfen ja automatisch immer ein wenig besorgt. Wen oder was die Männer wohl suchten?

Sie suchten ihn. Das wurde ihm im nächsten Moment klar. Die Männer marschierten mit großen Schritten direkt auf ihn zu.

»Mitkommen«, tönte der Anführer, ein Hüne mit schwarzen Augenbrauen, so dick und so entschlossen zusammengezogen, dass es einem allein davon schon hätte Angst werden können.

»Ich?«, fragte Zakos und blickte sich im Aufstehen unsicher um, als könnte die Aufforderung an jemand anderen gerichtet sein. Aber er war gemeint, keine Frage.

»Was ist denn passiert?!«

Just in diesem Moment ertönte das gedämpfte Kling, das den Start des Boardings ankündigte, und eine weibliche Stimme gab am Mikrofon im typischen Singsang die Einstiegsmodalitäten bekannt – »Passagiere mit den Sitznummern von …« Zakos nahm das alles nur noch am Rande wahr, ebenso wie die Köpfe der Mitreisenden, die sich nun nach ihm umdrehten und ihn mit ihren Blicken musterten – neugierig, erschrocken, ängstlich, manche auch unverhohlen schadenfroh.

»Das kann nur ein Missverständnis sein«, stammelte Zakos weiter und kam sich komisch vor. »Wollen Sie meinen Pass sehen? Oder meinen Dienstausweis …?«

»Mitkommen!«, wiederholte der Mann lediglich und umschloss Zakos’ Unterarm mit hartem Griff, sodass ihm das halb verzehrte Sandwich aus der Hand und auf den Boden fiel. Zakos verstand, dass jede Form von Protest jetzt gerade unvernünftig war. Zumindest, wenn er nicht im nächsten Moment mit verdrehtem Arm bäuchlings auf dem Boden landen wollte – den Hünen mit den dicken Brauen über sich. Er nickte also stumm, machte eine fragende Bewegung zu seiner Reisetasche hin, die vor ihm auf dem Boden stand, und hob sie auf ein Zeichen des Polizisten schließlich auf. Dann nahmen die vier Zakos in ihre Mitte und geleiteten ihn durch das Spalier der anderen Fluggäste, die vor ihnen zurückwichen, als gelte es, sich vor einer hochinfektiösen Krankheit zu schützen.

So führten die Männer ihn über nicht enden wollende Gänge entlang weiterer Gates, vereinzelter Imbissshops, Cafés und Zeitschriftenläden, dann zurück durch den Security-Check – immer weiter fort von seinem Flug.

Er war beruflich in Griechenland gewesen – mehr oder minder. Vor knapp einem Jahr hatte er in einem Fall ermittelt, in dem es unter anderem um mafiöse Geschäfte einer Reederei ging. Seine Stiefmutter war als Anwältin in die Sache verwickelt gewesen, Dora, die Frau, die Zakos’ Vater Konstantinos nach der Scheidung von Zakos’ deutscher Mutter geheiratet hatte. Dora war fälschlicherweise eines Mordes bezichtigt worden. Zakos hatte Wochen in Griechenland an der Sache gearbeitet. Nun sollte er bei einem Gerichtsverfahren aussagen, denn ein paar Handlanger der besagten Reederei waren des Mordes an einem Staatsanwalt angeklagt. Die Sache verursachte ein großes Medienecho, alle griechischen Zeitungen und TV‑Sender berichteten. Die Verhandlung aber mutierte zur Mühsal, denn Zakos’ Anhörung wurde immer wieder verschoben, darum verbrachte er viel Zeit auf harten Bänken im und vor dem Gerichtsgebäude und war genervt.

Doch auch nach seiner Aussage stellte sich kein Gefühl von Befriedigung ein. Zum einen war noch lange kein endgültiger Abschluss der Angelegenheit in Sicht – so etwas konnte Monate dauern, mindestens. Und zum anderen durfte bezweifelt werden, dass die wirklich Schuldigen jemals zur Rechenschaft gezogen würden. Zum derzeitigen Stand konnte man schon froh sein, wenn wenigstens die gedungenen Mörder überführt würden, denn zur großen Frustration der Anklage waren einige der Beweismittel einem Schwelbrand zum Opfer gefallen. Zakos glaubte nicht, dass es sich dabei um einen Zufall handelte. Aber das machte die Sache erst recht enttäuschend und hoffnungslos.

Normalerweise hätte er die Zeit in Athen für Besuche bei seinem Vater Konstantinos genutzt. Zakos hatte den Vater einige Jahre aus den Augen verloren gehabt, doch in der letzten Zeit hatten sie sich wieder angenähert, und auch das Verhältnis zu Dora war gut. In Zakos’ Jugend hatten sie sich gar nicht verstanden, was damals sicherlich auch an ihm selbst gelegen hatte. Er war auf die neue Frau des Vaters eiferüchtig gewesen, ebenso wie auf die beiden Kinder von Dora und Konstantinos, Vasso und Philippos. Mittlerweile genoss Zakos aber die Zeit mit dem griechischen Teil der Familie, er besuchte sie mehrmals im Jahr. Doch nun waren alle verreist, zu einem Jugendfreund von Konstantinos in die USA. Zakos war also zumeist nichts anderes übrig geblieben, als allein durch die Stadt zu streifen. Wenigstens ab und zu hatte ein griechischer Kollege, Alexis, Zeit auf ein Bier gefunden, die restliche Zeit hatte Zakos sich gelangweilt und die Tage bis zu seiner Rückkehr nach München gezählt. Er hatte regelrechtes Heimweh – nicht so sehr nach seinem Zuhause, diesem winzigen, eher unwohnlichen Apartment, in dem er seit seiner Trennung von seiner Lebensgefährtin Sarah wohnte, aber umso mehr nach seinem dreijährigen Sohn Elias.

Sarah und er waren bereits auseinandergegangen, als Elias noch nicht mal laufen konnte. Es hatte einfach nicht gepasst zwischen ihnen, der dauernde Streit hatte Zakos genervt und ausgelaugt. Er war froh gewesen, als es vorbei war, doch er hing sehr an seinem Sohn. Gleichzeitig hatte er fast ständig ein schlechtes Gewissen Elias gegenüber, weil er grundsätzlich zu wenig Zeit für ihn hatte. Der Kleine lebte bei Sarah und verbrachte jedes zweite Wochenende bei Zakos – manchmal auch Nachmittage unter der Woche und ab und zu auch Urlaube. Normalerweise jedenfalls.

Doch was war im Leben eines Hauptkommissars schon normal? Wenn Zakos intensiv in einem Fall drinsteckte, blieb für Privates kaum Zeit. Und nun war Zakos schon seit bald zwei Wochen hier, dabei sollte er ursprünglich nur ein paar Tage bleiben. Doch jetzt freute er sich auf eine entspannte Zeit zu Hause mit dem Kind. Er hatte in München noch ein paar Tage frei, die wollte er genießen.

Er freute sich überhaupt auf München, auf seine Freunde dort. In ein paar Tagen fand die Geburtstagsfeier seines besten Freundes Mimis in dessen Taverne statt, ein Riesenfest sollte es werden. Und Zakos freute sich sogar auf die Arbeit, besonders auf seinen Kollegen Albrecht, mit dem er sich bestens verstand. Er wollte wirklich endlich heim! Doch nun, während er durch ewige Flughafengänge geleitet wurde, fragte er sich, ob er seinen München-Flug überhaupt noch kriegen würde – und was das alles sollte! Es konnte sich ja wohl nur um ein Missverständnis handeln. Auf Fragen hin schwiegen ihn die griechischen Polizisten allerdings nur an. Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, was überhaupt los war.

Schließlich näherten sie sich einem kleinen Stehcafé im Eingangsbereich des Flughafens, und da sah er sie: Fani. Er traute seinen Augen kaum.

Sie war es tatsächlich. Sie hatte einen bedruckten Kaffeebecher aus Pappe vor sich stehen und trug eine riesige, runde Sonnenbrille, mit der sie ein wenig wie eine Fliege in einem Comic aussah. Als sie an ihren Tisch traten, zog sie die Brille ab und lächelte ihn unsicher an.

»Auftrag erledigt!«, tönte der Riese, der ihn abgeführt hatte, während seine drei Kollegen nun eine entspannte Haltung einnahmen und Zigaretten herumgehen ließen, die sie, vollkommen ungerührt vom allgemein herrschenden Rauchverbot, schließlich auch anzündeten. Schließlich sprach der Anführer – der Riese mit den dicken Brauen – ihn an: »Du hättest mal deinen Gesichtsausdruck sehen sollen – wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank!« Das Lachen des Mannes klang mindestens so einschüchternd wie zuvor sein grimmiger Gesichtsausdruck – es war so dröhnend, dass es regelrecht in den Ohren schmerzte.

»Nichts für ungut!«, tönte er schließlich und schlug Zakos mit einer Riesenpranke auf die Schulter, sodass dieser ein Stück einknickte. »Aber Madame wollte nun mal dringend mit dir sprechen und bat uns, dich abzuholen – und ich war ihr noch einen Gefallen schuldig. Stimmt’s, Fani?«

Sie nickte, dann streckte sie sich, um den Kerl auf beide Wangen zu küssen, während er sich seinerseits ein großes Stück zu ihr hinunterbeugen musste.

»Danke, Michalaki«, sagte sie. »Man sieht sich – spätestens, wenn diese unschöne Sache geklärt ist.«

»Abgemacht« sagte er, und dann waren die vier mit ihren Zigaretten nach draußen an die Luft verschwunden, und Zakos stand da und starrte Fani an.

»Was ist denn passiert?!«, fragte er, und er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Ihr Anblick jagte seinen Puls hoch.

Schmal war sie geworden, das vormals runde Gesicht wirkte nun spitzer; außerdem sah sie müde aus, mit dunklen Schatten unter den Augen und blassen Lippen, die nun ins Zittern gerieten, während die großen schwarzen Augen sich mit Tränen füllten. Er fand sie fast noch schöner als früher. Zakos breitete die Arme aus, und sie sank schluchzend hinein wie ein Kind.

Sie weinte und weinte, es war wie ein Wolkenbruch.

Zwei Jahre lang hatte er sie nicht mehr gesehen, und sie waren nicht im Guten auseinandergegangen: Fani war an einem Morgen im Streit aus seinem Hotelzimmer verschwunden, nachdem sie herausgefunden hatte, dass er zu Hause in München nicht nur eine feste Beziehung, sondern auch noch ein Kind hatte – damals war er noch mit Sarah liiert gewesen. Zakos hatte irgendwie nie den richtigen Moment gefunden, um Fani das zu gestehen – wahrscheinlich war er einfach zu feige gewesen, wie er sich mittlerweile eingestand.

Bis vor Kurzem hatte Funkstille zwischen ihnen geherrscht. Im vergangenen Jahr hatte sie sich dann plötzlich bei ihm gemeldet: eine nüchterne E‑Mail mit einer beruflichen Anfrage, die sie im Auftrag ihres Chefs Tsambis Jannakis an ihn gerichtet hatte. Danach hatte es noch weitere, ebenfalls betont sachliche Mails gegeben.

Und nun, urplötzlich, lag sie schluchzend in seinen Armen! Ganz unvermittelt, nach so langer Zeit. Er konnte es fast nicht glauben, es haute ihn vollkommen um – wie jedes Mal, wenn er ihr begegnete. Diese Wirkung hatte sie auf ihn. Er stand einfach nur da, die Nase in ihr Haar versenkt, und spürte, wie ihre Schultern zitterten und seine weiße Hemdbrust nass wurde von ihren Tränen. Er gab sinnfreie, beruhigende Laute von sich, während in einem anderen Kosmos gerade sein München-Flug zum letzten Mal ausgerufen wurde. Sie roch noch genau so wie damals, ein warmer Geruch wie von Zimt und sonnenbeschienener Haut.

Erst nach einer Ewigkeit wagte er es, sie so sanft wie nur möglich anzusprechen.

»Was ist denn passiert – es wird doch niemand gestorben sein?«

Noch im selben Moment bereute er die Wortwahl. Was, wenn wirklich jemand verstorben war? Hoffentlich kein nahes Familienmitglied …

Sie entwand sich seiner Umarmung, bis sie ihn anblicken konnte, und bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln. Dann seufzte sie tief.

»Natürlich, was dachtest du denn, worum wir uns den ganzen Tag kümmern müssen?«, erwiderte sie. »Etwa um Taschendiebstähle? Nein, um Mord natürlich. Zwei Frauen allein auf Rhodos – und nun ist noch eine auf Kreta dazugekommen, und ich könnte wetten, diese Fälle hängen zusammen!«

Zakos fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen.

»Du willst mir nicht sagen, dass es hier einfach nur um einen Fall geht? Und deswegen brichst du in Tränen aus?!«

»Tut mit leid«, sagte sie und wand sich ein bisschen. »Es ist mir ja selbst total peinlich! Ich war einfach so angespannt. Aber du ahnst ja gar nicht, welchen Widerständen ich ausgesetzt bin! Jannakis will partout nicht einsehen, wie alles zusammenhängt, es ist einfach …«

»Fani, verdammt – bist du eigentlich verrückt geworden?«, brach es aus Zakos heraus. Seine Stimmung war von einer Sekunde auf die andere umgeschlagen. Er war empört. Es ging gar nicht um einen persönlichen Schicksalsschlag oder irgendein schwerwiegendes persönliches Problem. Es ging überhaupt nicht um sie.

Und es ging auch überhaupt nicht um – ihn. Sondern einfach nur um einen Fall. Sekundenschnell schlug sein Glück über ihr Wiedersehen in Enttäuschung und Wut um.

»Du lässt mich hierherbringen, nur weil du einen FALL lösen musst? Ich muss auch Fälle lösen, dauernd! Das gehört zum Beruf dazu, falls dir das nicht aufgefallen sein sollte! Verdammt, ich hab meinen Flug nach Hause wegen dir verpasst!«

»Ja«, sagte sie, etwas blass um die Nase, »Schon. Aber du hättest ja nicht herauskommen müssen!«

»ICH HÄTTE NICHT HERAUSKOMMEN MÜSSEN?!« Nun schrie Zakos regelrecht, sodass Vorbeigehende sich nach ihm umdrehten. »Und wie hätte ich das schaffen sollen?! Ich wurde ja regelrecht abgeführt!«

»Ach, Blödsinn, ich habe Michalaki einfach nur gesagt, er soll dich bitten, ob du …«

»BITTEN?!«, tönte Zakos. »Der Typ und seine drei Kumpane haben mich praktisch vom Sitz gezerrt. Das war eine VERHAFTUNG, keine BITTE, im nächsten Moment hätte der Kerl vielleicht sogar seine Waffe gezogen oder sonst was getan!«

»Michalaki?«, meinte Fani, etwas spöttisch. »Der ist das reinste Riesenbaby – total harmlos!«

»Das sieht man ihm allerdings wirklich nicht an!«, erwiderte Zakos, nun ruhiger. Er musste an Elias denken.

Noch vor einer guten halben Stunde hatte er ihn angerufen und mit ihm besprochen, wie sie den Abend verbringen würden. Beziehungsweise: Elias hatte darüber gesprochen. Elias hatte eine feste Vorstellung davon, wie dieser Abend ablaufen sollte – welches Buch Zakos vorlesen sollte, was sie spielen könnten, was Zakos kochen sollte, nämlich Pfannkuchen. Er hatte stets ganz konkrete Vorstellungen, wenn es um die Treffen mit seinem Vater ging, er wollte mit ihm immer möglichst viel erleben, vielleicht als Ausgleich dafür, dass er ihn zu oft vermisste. Wenn Zakos heute nicht rechtzeitig in München ankam, solange Elias noch wach war, würde es bittere Tränen geben.

Die Sehnsucht nach dem Kind und die Traurigkeit darüber, seinen Sohn wohl wieder einmal enttäuschen zu müssen, breiteten sich als schmerzhaftes Ziehen in ihm aus, stärker, als die Freude über das Wiedersehen mit Fani gewesen war, stärker auch als die Wut.

Doch vielleicht könnte er es noch schaffen! Er blickte auf die Uhr. Wenn er einen Platz auf einem der nächsten Flieger ergattern könnte, würde es klappen. Dann könnte er seinen Sohn wenigstens noch selbst zu Bett bringen, wenigstens das!

Eine gute halbe Stunde später war klar, dass Zakos München heute nicht mehr erreichen würde – und in den nächsten Tagen auch nicht. Das Osterfest stand bevor, diesmal fielen die griechisch-orthodoxen Feiertage auch noch mit denen in Deutschland zusammen. Flüge waren bereits seit Wochen ausgebucht. Die hilfsbereite junge Frau am Schalter hatte alle Möglichkeiten mit ihm durchgespielt, aber es half alles nichts!

Mittlerweile empfand Zakos – gar nichts mehr. Das Wechselbad der Gefühle in der vergangenen Stunde hatte ihn zermürbt. Denn es war nur eine Stunde gewesen, nicht länger. In dieser Zeitspanne war er von seinem Gate abgeführt worden und hatte Fani wiedergesehen. Er hatte erkannt, dass ihr Anblick und ihre Anwesenheit ihm immer noch Herzklopfen verursachten. Gleich darauf war er aber zu der enttäuschenden Erkenntnis gelangt, dass sie ihn nicht um seiner selbst willen, sondern nur wegen eines Kriminalfalles am Abflug gehindert hatte.

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