Große Frauen - Irma Hildebrandt - E-Book

Große Frauen E-Book

Irma Hildebrandt

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Beschreibung

Irma Hildebrandt porträtiert herausragende Frauen aus fünf Jahrhunderten. Die Texte sind ein Parcours durch die europäische Geschichte, von der Barockzeit bis in die Gegenwart. Künstlerinnen, Literatinnen, Kämpferinnen für den Frieden und für wissenschaftlichen Fortschritt – allesamt faszinierende Persönlichkeiten, die schon früh den Wunsch hatten, die Welt zu gestalten.

Mit Porträts von:
Anna Magdalena Bach
Bettina von Arnim
Rosa Luxemburg
Anne Frank
Jil Sander
Christa Wolf
Maria Theresia
und vielen anderen

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Seitenzahl: 536

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Inhaltsverzeichnis
Zur Einstimmung
Gefährlicher als sechs Jesuiten - Maria Ward und die Englischen Fräulein
Eine Getto-Jüdin sprengt Konventionen - Glückel von Hameln
»Von was für Leuten ihr her seid«
Jüdische Familientradition
Eine Witwe im Börsengeschäft
Copyright
Zur Einstimmung
Kann man sich vorstellen, dass die Geschichte Europas im 18. Jahrhundert entscheidend von einer Frau geprägt wurde? Dass eine Frau, Kaiserin Maria Theresia, das weiträumige Habsburgerreich zusammenhielt, Kriege führte und nebenher 16 Kinder zur Welt brachte? Dass ein halbes Jahrhundert später die junge Königin Luise von Preußen dem Erzfeind Napoleon die Stirn bot und er sie achtungsvoll eine »große Feindin« nannte?
Ohne Thron und Staatsamt, nur durch ihre Überzeugungskraft hat Rosa Luxemburg Macht und Einfluss gewonnen - und für ihre revolutionäre Agitation 1919 mit dem Leben bezahlt. Im politischen Geschäft wird mit harten Bandagen gekämpft, das bekam Carla del Ponte als UNO-Chefanklägerin in Den Haag zu spüren. Sie konfrontierte den früheren jugoslawischen Staatschef Milošević mit seinen Verbrechen und Gräueltaten wider die Menschlichkeit und ruht auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht, bis alle für das Srebrenica-Massaker Verantwortlichen gefasst und verurteilt sind. Dass solche Kriegsverbrechen im 21. Jahrhundert noch geschehen können, hätte Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, nie für möglich gehalten. Ihr Buch Die Waffen nieder! ist ein eindrücklicher Friedensappell, wie dies auch die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Plakate und Holzschnitte von Käthe Kollwitz sind.
Im Dritten Reich war Frieden kein Thema mehr. Vergeblich die mutigen Flugblattaktionen von Hans und Sophie Scholl, die Geschwister wurden 1943 »wegen Hochverrats« hingerichtet. Die jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler - nach Gottfried Benn »die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte« - ist nach Zürich geflohen, nachdem SA-Männer sie in Berlin auf offener Straße zusammengeschlagen haben. Die große Schauspielerin Tilla Durieux konnte als Frau eines Juden im »Reich« nicht mehr spielen und bemühte sich von Jugoslawien aus verzweifelt um Pässe für Honduras. Die Wiener Kinderanalytikerin Anna Freud ging mit ihrem Vater Sigmund Freud im letzten Augenblick nach London ins Exil. In einem Amsterdamer Versteck führte Anne Frank, das jüdische Mädchen aus Frankfurt, Tagebuch und ließ so nach ihrem Tod im KZ die Nachwelt teilhaben an ihrem Schicksal. Vom gescheiterten Widerstand gegen das NS-Regime am 20. Juli 1944 berichtet die langjährige ZEIT-Chefin Marion Gräfin Dönhoff, die selbst Kurierdienste zu Widerstandsgruppen im Ausland geleistet hat, in ihren Aufzeichnungen.
Aufbegehren gegen Unrecht, Einsatz für Schwache und Geächtete hat zu allen Zeiten Mut erfordert. Bettine von Arnims Berliner Wohnung ist während der 1848er-Revolution Treffpunkt konspirativer Geister. Ihre Anprangerung sozialer Missstände in Preußen verpackt sie, um der Zensur ein Schnippchen zu schlagen, raffiniert in einer Schrift, die sie »Seiner Königlichen Majestät Friedrich Wilhelm IV.« widmet. Die Schriftstellerin Christa Wolf befasst sich nicht von ungefähr mit Bettine von Arnim. Sie sieht die Parallelen zu ihren eigenen Zensurerfahrungen in der DDR.
Ebenfalls mit einer spektakulären Schrift macht die Pädagogin und Frauenrechtlerin Helene Lange 1889 von sich reden. Die Forderungen in ihrer berüchtigten »Gelben Broschüre« nach besserer Mädchenbildung und Hochschulzugang für Frauen bringen ihr statt Unterstützung nur Schikanen aus der preußischen Verwaltung ein. Auch die Zürcher Stadtschreibersgattin Johanna Spyri löst mit ihrer eigenständigen Schriftstellerei in den Honoratiorenkreisen der Stadt Befremden aus, erst durch den Welterfolg ihrer Heidi-Bücher schlägt die Kritik an der unordentlichen Hausfrau in Bewunderung um. Die Dada-Künstlerin Sophie Taeuber-Arp, tagsüber brave Kunstlehrerin, hält ihre nächtlichen Auftritte im avantgardistischen Zürcher Cabaret Voltaire der Schulbehörde gegenüber vorsichtshalber geheim. Mit kühnen Wortexperimenten, aber nicht so schrill wie die Dadaisten und nicht so spielerisch wie ihr langjähriger Gefährte Ernst Jandl arbeitet die 1924 geborene Wiener Lyrikerin Friederike Mayröcker in ihrer vertrauten »Schreibhöhle«.
Musik hat das Leben zweier Frauen im 19. Jahrhundert bestimmt: Fanny Mendelssohn in Berlin, Clara Schumann in Leipzig. Beide genießen als Pianistinnen hohes Ansehen, tun sich aber mit ihren eigenen Kompositionen schwer, Fanny Mendelssohn im Schatten ihres Bruders Felix, Clara Schumann an der Seite des genialen, aber labilen Ehemannes Robert. Für Bachs zweite Frau Anna Magdalena steht der Verzicht auf eine Karriere als Sängerin von Anfang an fest, sie ist mit dem Kantorenhaushalt und der Erziehung einer großen Kinderschar voll ausgelastet.
Unter mangelnder Zusammenarbeit mit ihrem Kommilitonen und Ehemann Albert Einstein hat die hochbegabte Mathematikerin Mileva Einstein-Marić stets gelitten - bei Alexander und Margarete Mitscherlich klappte die gemeinsame Arbeit besser. Doch die 1917 geborene Psychoanalytikerin legte auch großen Wert auf eigene berufliche Entfaltung, während es ein paar Generationen früher für Goethes Mutter Katharina Elisabeth ganz selbstverständlich war, nur für ihren Sohn da zu sein und ihren Mann, den Kaiserlichen Rat, zu umsorgen. Erstaunliches gelingt im 17. Jahrhundert einer Getto-Jüdin in Hamburg: Glückel von Hameln führt nach dem Tod ihres Mannes dessen Handels- und Börsengeschäfte selbstständig weiter und zieht ohne fremde Hilfe ein Dutzend Kinder groß. Von Leipzig aus geht die Komödiantin Caroline Neuber, die berühmte Neuberin, um 1750 mit einer eigenen Theatertruppe auf Tournee, und von Amsterdam aus bricht 1699 die Kupferstecherin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian mit 52 zu ihrem Traumparadies Surinam auf, um die farbenprächtigen tropischen Schmetterlinge zu erforschen und im Bild festzuhalten … Abenteuerlust, gepaart mit beruflichem Engagement.
Die Kirche bot Frauen von jeher wenig Entfaltungsmöglichkeit, und doch gelang es einzelnen Ordensfrauen seit dem Mittelalter, sich Freiräume zu schaffen. In München gründet Maria Ward 1627 eine Niederlassung der »Englischen Fräulein«, setzt sich selbstbewusst über kirchliche Hierarchien hinweg und landet erstaunlicherweise nicht als Hexe auf dem Scheiterhaufen. In unseren Tagen zeigt das Beispiel der furchtlosen, charismatischen Ärztin und Nonne Ruth Pfau, wie es einer Frau gelungen ist, gegen alle Widerstände ein Hospital für verstoßene Leprakranke in den Elendsvierteln von Pakistan aufzubauen. In Südamerika hat die Theologin Dorothee Sölle mit Energie und Fantasie zahlreiche Hilfsprojekte auf den Weg gebracht. Ihre meditativen, weltoffenen Texte haben vielen Menschen Halt und Hoffnung gegeben.
Dreißig Porträts aus fünf Jahrhunderten: Frauen mit ganz unterschiedlichem Lebenszuschnitt, doch alles eigenwillige, starke Persönlichkeiten, geprägt von Gestaltungskraft, Mut und Durchhaltewillen auch unter schwierigen Umständen.
Irma Hildebrandt
Maria Ward1
Gefährlicher als sechs Jesuiten
Maria Ward und die Englischen Fräulein
(1585-1645)
Nach Maria Ward ist in München eine Straße benannt. Sie führt zum Nymphenburger Schloss. Unter dem Straßenschild am nördlichen Schlossrondell Frage an die Passanten: Kennen Sie Maria Ward? - Kopfschütteln, Achselzucken, Nachdenken. Eine Engländerin war das, eine Nonne, sagt ein älterer Mann. Und eine Frau erinnert sich undeutlich: Hat die nicht etwas mit den Englischen Fräulein zu tun?
Im 17. Jahrhundert kannten die Münchner Maria Ward besser, da wurde sie verehrt oder verabscheut, da sah man sie als gottesfürchtige Ordensfrau oder als Ketzerin. Nicht nur in München. In Kreisen der römischen Kurie galt sie als »Unkraut aus dem Garten der Kirche«. Und im anderen Lager, dem der Anglikaner, warnte der Erzbischof von Canterbury, George Abbot, seine Amtsbrüder: »Diese Frau ist gefährlicher als sechs Jesuiten.«
Was flößt den kirchlichen Würdenträgern solches Misstrauen, solche Angst ein? Ihr Selbstbewusstsein? Ihre Unerschrockenheit? Ihr logischer Verstand? Maria Ward hat es sich in den Kopf gesetzt, bestärkt durch eine »göttliche Vision« in jungen Jahren, einen Frauenorden nach den Regeln des von ihr verehrten Ignatius von Loyola zu gründen. Von heute aus gesehen sind es keine unbilligen Forderungen, die sie an Rom stellt: Sie bittet um kirchliche Anerkennung einer solchen Frauengemeinschaft, die - ähnlich wie die Jesuiten - nicht in Klausur hinter klösterlichen Mauern lebt. Mit ihren Gefährtinnen will sie, wo immer sich Gelegenheit bietet, apostolisch wirken und sich besonders der vernachlässigten Mädchenerziehung annehmen. Dies möchte sie jedoch nicht unter der Obhut eines geistlichen Würdenträgers tun, der ihre Interessen beim Heiligen Stuhl vertritt, wie das bei Frauenorden üblich ist; alle ihre Niederlassungen sollten unter weiblicher Führung einer Generaloberin stehen.
So harmlos und einsichtig diese Bitten klingen - sie bergen Sprengstoff. Beim Klerus sitzt die biblische Prägung vom Weib, das in der Gemeinde zu schweigen hat, tief. Die Vorstellung, eine Frau könne in theologischen Fragen ohnehin nicht mitreden, zieht sich von Thomas von Aquin bis zum Reformator Luther durch die gelehrten Schriften. Die Jesuiten, sonst in Vielem fortschrittlich und weltaufgeschlossen, stellen sich gegen Maria Ward, sie wünschen keinen selbstständigen weiblichen Ordenszweig - und das hat handfeste Gründe. Die Berater in Frauenklöstern und an Fürstenhöfen fürchten Machtverlust über Seelen und Latifundien.
Die selbstbewusste Landadlige aus England reibt sich am Ausspruch eines Priesters: »… alles in allem, sie sind doch nur Frauen«, und sie setzt dagegen: »Es heißt nicht Veritas hominis, die Wahrheit der Männer oder die der Frauen, sondern Veritas Domini, die Wahrheit Gottes, des Herrn, und diese Wahrheit können Frauen ebenso gut besitzen wie die Männer.«
Maria Wards späterer Biograf Jakob Leitner führt Gedanken solcher Art auf »mangelnde Seelenführung« zurück, fromme Frauen sollten sich nur unter »kirchlicher Autorität und Direktion« ihren Studien widmen, meint er und schreibt damit 1869, mehr als 200 Jahre nach dem Tod der unbotmäßig Selbstdenkenden ein klerikales Postulat erneut fest.
Eine Aufrührerin. Als Maria Ward Anfang Januar 1627 nach München kommt, um hier eine Niederlassung der »Englischen Fräulein« zu gründen, ist sie kein unbeschriebenes Blatt mehr, da hat sie schon eine ganze Odyssee und ein halbes Leben in der Verteidigung hinter sich. Viele Erfolge und noch mehr Misserfolge. Im Rückblick lässt sich an ihrem Schicksal ein Kapitel Glaubensgeschichte, auch Frauengeschichte aufblättern:
Es ist eine unruhige, gewaltreiche Zeit, in die Maria Ward - am 23. Januar 1585 in Old Mulwith in Yorkshire geboren - hineinwächst. Glaubenskämpfe überall als Folge von Reformation und Gegenreformation. Hexenprozesse, Fanatismus, Streit um Ländereien. Europa treibt auf den Dreißigjährigen Krieg zu. Die Hexenverfolgungen nehmen sich auf den ersten Blick im Zeitalter des Humanismus und der sich anbahnenden Aufklärung wie ein Rückfall ins Mittelalter aus. Aber der Wahnsinn hat Methode. Denunziert und verurteilt wird, wer sich nicht willig in die von Kirche und Staat vorgegebenen Ordnungen fügt: Außenseiter, Eigendenker, Widerborstige. Und es trifft vornehmlich Frauen. Keine, die aufbegehrt oder ihre eigenen Wege geht, kann sicher sein, nicht auf dem Scheiterhaufen zu enden. Man braucht Sündenböcke, auf die sich der Zorn des Volkes bei Missernten und Misswirtschaft, bei Kriegsgräueln und Unterdrückung entlädt.
Vor diesem Hintergrund ist es kein ungefährliches Unterfangen, wenn die junge englische Katholikin beschließt, auf dem Festland ein Ordenshaus für Engländerinnen zu eröffnen, die aus dem Machtbereich Elisabeths I. und der anglikanischen Kirche geflüchtet sind. Zuvor hatte sie schon Erfahrungen in einem Klarissenkloster gesammelt, aber bald gemerkt, dass die strenge Weltabgeschiedenheit ihren Vorstellungen von Missionierung und pädagogischem Einsatz nicht entsprach.
In St. Omer melden sich so viele englische Novizinnen bei ihr, dass sie weitere Hausgründungen in Lüttich, Köln und Trier in die Wege leitet, bald spricht man im Volksmund respektvoll von den »Englischen Fräulein«. Aber denen mangelt es an Geld, um geplante Schulen ausbauen zu können. Maria fährt deshalb mehrmals unter größten Gefahren - sie steht auf einer schwarzen Liste - nach England, um die Mitgiften der adligen Töchter ihrer Gemeinschaft von den Angehörigen einzufordern. Doch diese verhalten sich abweisend, weigern sich, einen unbekannten Orden zu unterstützen, der vom Papst nicht anerkannt ist. So ist es für Maria Ward nicht die Erfüllung eines innigen religiösen Wunsches oder eines ehrgeizigen Höhenfluges, wenn sie beschließt, Papst Gregor XV. persönlich um die Approbation ihrer Ordensgemeinschaft zu bitten, sondern eine nackte Überlebensfrage. Im Herbst 1621 bricht sie mit einigen Gefährtinnen von Lüttich aus zu dem beschwerlichen Fußmarsch durch die Alpen auf und erreicht wie geplant am Heiligen Abend die heilige Stadt. Papst Gregor empfängt sie in Privataudienz, und auch der Jesuitengeneral findet sich bereit, sie anzuhören. Ihre Zähigkeit und ihre Zivilcourage haben sich ausgezahlt. Wer hätte das einer Frau zugetraut? Frauen genießen zwar hohe Verehrung, können sogar heiliggesprochen werden, aber eigenmächtiges Handeln steht ihnen nicht zu.
Dem Papst imponiert ihre Selbstsicherheit und ihr mit Nüchternheit gepaartes Sendungsbewusstsein. Ihre Bitte um Anerkennung der mitgebrachten Institutsregeln erfüllt er allerdings nicht, ist sie doch ihrerseits nicht bereit, das vom Tridentinischen Konzil geforderte Leben in Klausur für ihre Gemeinschaft anzunehmen. Warum sollte Frauen verwehrt werden, was den Jesuiten zugestanden wurde: in Verbindung mit der Welt zu leben und externe Schulen zu unterhalten? An den überkommenen Ordensgelübden, Gehorsam - Keuschheit - Armut, will sie nicht rütteln. Wichtig sind ihr auch die jesuitischen Erziehungsziele der asketischen Selbstheiligung, der Klarheit des Denkens und der Stärkung des Willens. Zum eigenen Lebensziel hat sie »die Pflege des Glaubens und der christlichen Erziehung bei dem weiblichen Geschlechte« gemacht.
Sie hat ein Tagesschulprojekt für Mädchen aus dem Volke ausgearbeitet und dem Papst unterbreitet. Da es in Rom an Mädchenhäusern, die mehr als Bewahranstalten sind, mangelt, und da die Beschäftigung mit dem gemeinen Volke, Mädchen zumal, ohne Prestigeverlust in weibliche Hände gegeben werden kann, untersagt die mächtige römische Kongregation den Englischen Fräulein die Schulgründung an der Via Monserrato nicht. Sie bespitzelt aber argwöhnisch den Fortgang und Ausbau des Lehrbetriebs. Schon bald sind es mehr als hundert Mädchen, die unentgeltlich in Lesen und Schreiben, sittlicher Unterweisung und Handarbeit unterrichtet werden. 1632 wird eine weitere Schulniederlassung in Neapel eröffnet, ein Jahr darauf eine in Perugia.
Der Erfolg bringt Neider. Eine junge Frau aus dem fernen England, auf sich selbst gestellt, keines männlichen Schutzes und Beraters bedürftig, eine Frau, die hartnäckig eine Audienz beim Papst erzwingt, kann das gut gehen?
Es geht nicht gut. Aus England, genauer, vom englischen Klerus, liegen die ersten Beschwerden vor: Die Englischen Fräulein maßten sich an, überall zu missionieren und auch in Gegenwart von Priestern geistige Belehrungen zu geben. Sie hätten sich Eingang in adlige Familien verschafft, um an die Mitgiften der Töchter zu kommen. Selbst Männer, mit denen sie allein zusammenträfen, würden von ihnen im Katechismus unterrichtet. Die besorgten Geistlichen sehen die Keuschheit der Englischen Fräulein aufs Höchste gefährdet bei dem unsteten Umherschweifen auf dem Kontinent.
Die Anschuldigungen fallen in Rom, wo die Umtriebe und die mangelnde Demut der »Jesuitinnen« längst ein Ärgernis sind, auf fruchtbaren Boden. Misstrauen wird geschürt, Verleumdungen kursieren, gegen die sich die Frauen nicht wehren können, da man ihnen die Denunzianten nicht nennt.
Papst Urban VIII., der Nachfolger Gregors XV., ordnet 1625 die Schließung der Schulen in Rom, Neapel und Perugia an. »Da war es mir, als wäre ich zum Tode verurteilt worden«, schreibt Maria. Sie muss sich nun ein neues Betätigungsfeld suchen. Am 10. November 1625, zwei Wochen vor der Einweihung des Jahrhundertbauwerks Petersdom verlässt sie mit ihrem kleinen Gefolge bei eisig kaltem Wetter Rom in nördlicher Richtung.
Flandern gibt sie als Reiseziel an, aber in ihrer Brusttasche verwahrt sie Empfehlungsbriefe ihr wohlgesonnener Kleriker nach Wien und München. Einer ist an Pater Adam Contzen, den Beichtvater des bayerischen Kurfürsten Maximilian I. adressiert. Darin wird Maximilian gebeten, der Bittstellerin die Einrichtung eines geistlichen Hauses nach dem Orden des heiligen Ignatius zu genehmigen.
Dem Kurfürsten muss der Name Maria Ward geläufig sein. Sein Bruder Ferdinand, Bischof von Lüttich und Erzbischof von Köln, unterstützt seit Langem die dortigen Häuser der Englischen Fräulein. Maria hofft nun, auch am bayerischen Hofe Gehör zu finden, obgleich Maximilian mit Kriegshändeln beschäftigt ist.
Unterwegs, in Parma und Castiglione, kehrt sie bei Frauengemeinschaften ein, die apostolisch tätig sind und wie sie ein Leben in Klausur ablehnen. Das macht ihr Mut, ihren eigenen Weg unbeirrt weiterzugehen. Sie hat, vor allem in Rom, gelernt, mit Anfeindungen und Verleumdungen, mit Intrigen und willkürlichen Sanktionen umzugehen. All diese Widrigkeiten haben sie im Glauben an ihre Mission nur bestärkt. Sie wird sich nicht unterkriegen lassen, komme, was wolle. Schon fünf Jahrhunderte vor ihr ist die Äbtissin Hildegard von Bingen mit demselben Wagemut durch das Land gezogen, um zu predigen, zu heilen und Menschen zu bekehren.
Maria Wards Zuversicht zahlt sich aus. Kurfürst Maximilian und seine Gemahlin Elisabeth Renata nehmen sie freudig auf, die Gründung eines Instituts wird ihr in Aussicht gestellt. Dies ist in doppelter Hinsicht erstaunlich: Zum einen müssen auch dem bayerischen Kurfürsten die Gerüchte über die »Umtriebe« der Englischen Fräulein zu Ohren gekommen sein, zum andern herrscht in München, dem Zentrum der Gegenreformation, kein einladendes Klima für Frauen, die kirchliche Autorität missachten.
Weiß Maria Ward nichts über die Hexenverfolgungen, die hier stattgefunden haben? Über den berüchtigten Prozess gegen die Landfahrerfamilie Pappenheimer? Oder den spektakulären Zauberprozess gegen Magdalena Khepserin, den Dr. Cosmas Vagh 1608 führte? Jener Jurist, der drei Jahre später ein einzigartiges Gesetzeswerk verfasst, das Landtgebott wider die Aberglauben, Zauberey, Hexerey und andere sträffliche Teufelskünste, das von Maximilian I. unterzeichnet und an alle Regierungen und Landgerichte in Bayern geschickt, für Unruhe und Angst sorgte.
Anstifter und Schürer jener Hexenhysterie, die in den Zwanzigerjahren des 17. Jahrhunderts in Süddeutschland herrscht, sind in entscheidendem Maße die Jesuiten, der Orden, den sich Maria Ward zum Vorbild genommen hat, von dem aber auch die schweren Vorbehalte gegen die »Jesuitinnen« ausgegangen sind. Schon im 16. Jahrhundert hatte der wortgewaltige Jesuitenprovinzial Petrus Canisius in seinen Predigten zur Hexenverfolgung aufgerufen und in Bayern aufsehenerregende Teufelsaustreibungen vorgenommen. Später führte der Jesuit Jeremias Drexel, Hofprediger in München, diesen Fanatismus fort: »… brennen sollen die Aufrührer Gottes!« Und am Hofe des Kurfürsten Maximilian wirkte seit 1624 Adam Contzen als politischer Berater, auch er ein Jesuit und Eiferer. Aus seinen Kreisen kam der Anstoß zum Bayerischen Hexenmandat - und ihm ausgerechnet hat Maria Ward ihr Empfehlungsschreiben aus Rom übergeben.
Gibt ihr das nicht zu denken? Sie weiß doch, dass man ihr eine außerordentliche - und damit gefährliche - »Gewalt über die Herzen« zuschreibt, dass ihr Charisma und ihre rhetorische Überzeugungskraft mit Argwohn beobachtet werden. - Möglich, dass gerade dieses Spiel mit dem Feuer sie reizte. Zeitgenossen schildern sie als furchtlos, willensstark und Widerständen trotzend.
Sie bleibt in München und nimmt das Angebot des frommen und weltmächtigen Kurfürsten, der seine Residenz zu einem Angelpunkt katholischer Gesinnung und Staatsmacht ausgebaut hat, dankbar und ohne Zögern an: die Bereitstellung eines Hauses, das genügend Platz für eine Mädchenschule bietet. Es ist ein Pakt in gegenseitigem Interesse. Maria erhofft sich von der Protektion durch Maximilian eine enge Bindung an das Haus Wittelsbach und somit an einflussreiche Fürsten, die ihre Pläne unterstützen könnten. Maximilian will mit der Niederlassung der Englischen Fräulein endlich eine Bildungsstätte für die weibliche Jugend in München schaffen, die längst geplant war - man hatte deswegen schon mit Ursulinen in der Schweiz verhandelt -, nun aber in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges doppelt nötig erscheint.
Er stellt Maria Ward und ihren Gefährtinnen das Paradeiserhaus in der Weinstraße, unweit der nördlichen Stadtgrenze, zur Verfügung. Ein geräumiges, aber baufälliges Anwesen mit mehreren verwinkelten Häusern und einem verwilderten Garten, das sie unentgeltlich bewohnen können. Er sorgt für die rasche Renovierung und Einrichtung des Hauses, sodass schon im April 1627 die Schule eröffnet werden kann. Vierzehn Schülerinnen finden im Hause Unterkunft, die übrigen kommen als »Externe« aus der ganzen Stadt. Maximilian hat zur Bedingung gemacht, dass das Pensions- und Schulgeld niedrig gehalten wird und dass genügend Freiplätze für arme Schülerinnen zur Verfügung stehen. Dafür übernimmt er die Besoldung für zehn Englische Fräulein als Lehrerinnen: Jeweils 200 Gulden jährlich, auf Widerruf. Ein gutes Gehalt. Auch ein Jesuit bekommt für seine Lehrtätigkeit 200 Gulden im Jahr, eine Gleichstellung, die der in Rom nicht anerkannten »Jesuitin« Genugtuung geben muss.
Als Schulpräfektin wird die junge, tüchtige Winefrid Bedingfield eingesetzt, erste Oberin des Hauses wird die erst 23-jährige Maria Poyntz, eine enge Vertraute Maria Wards. Der Schule wird auch ein Noviziat angeschlossen, ein halbes Dutzend Anwärterinnen möchten aufgenommen werden. Anna Röhrlin ist die erste deutsche Novizin - für die Verwurzelung der Englischen Fräulein in Bayern ein wichtiger Schritt.
Der Andrang auf die »Freischule«, die erste Mädchenvolksschule in München, ist groß. Katechismus, Lesen, Schreiben, Rechnen und Handarbeit stehen auf dem Stundenplan, vor allem aber fremde Sprachen: Französisch, Italienisch und das für das kirchliche Leben nötige Latein. Alles scheint in bester Ordnung, Maria sieht zum ersten Mal eine finanziell abgesicherte Zukunft für ihre Gemeinschaft vor sich. Aber sie hat die Macht der Jesuiten in dieser Stadt und deren weitreichende Verbindungen unterschätzt. Ihnen sind die selbstbewussten Damen aus England, die sich ohne Vermittlung gleich an den Kurfürsten oder gar an den Papst wenden, ein Dorn im Auge. Aus Lüttich trifft ein gezielter Brief bei Maximilian ein, der die dortigen Englischen Fräulein der Verschwendungssucht und Habgier bezichtigt.
Maria hat inzwischen - etwas übereilt vielleicht - weitere Niederlassungen in Wien und Pressburg (heute Bratislava) gegründet. In Wien hat ihr Maximilians Empfehlung an seinen Schwager, Kaiser Ferdinand II., den Weg geebnet. Sie nimmt die Anschuldigungen aus Lüttich gelassen hin. Aber in München treffen weitere Warnungen ein, aus Rom diesmal, wegen des »illegalen Treibens« der Damen.
Maximilian reagiert darauf nicht, er hat andere Sorgen. Noch sind die blutigen Glaubenskämpfe nicht zu Ende. Im katholischen Lager gibt es Unstimmigkeiten, der störrische Wallenstein macht ihm zu schaffen. Die Kriegskosten leeren die Staatskasse.
Als Maria Ward hört, dass es um ihre Sache beim Heiligen Stuhl nicht gut steht, macht sich die gesundheitlich schwer Angeschlagene zu Beginn des Jahres 1629 zum zweiten Mal auf den Weg nach Rom, um sich dort zu rechtfertigen. Noch ist sie guten Mutes, noch hat sie Vertrauen in Papst Urban VIII., der ihr eine Audienz gewährt. Sie hat ihre Rechtfertigung und die erneute Bitte um Anerkennung ihrer Ordensgemeinschaft in einem langen Schreiben dargelegt, Urban VIII. reagiert huldvoll zurückhaltend, weist ihr Anliegen nicht schroff zurück - schon das lässt Maria hoffen. Bei einer Befragung durch die Glaubenskommission sieht sie sich vier Kardinälen gegenüber, denen sie eine Dreiviertelstunde lang Rede und Antwort steht. Sie weicht von ihren Grundsätzen nicht ab, sie weiß nicht, dass die Kardinäle zum Inquisitionstribunal gehören. Ein Protokoll dieser Sitzung existiert nicht.
Anfang Mai 1630 trifft sie mit vier ihrer Gefährtinnen wieder in München ein, noch immer zuversichtlich. Doch dann überbringt man ihr die Nachricht von der Auflösung ihrer Häuser in St. Omer, Lüttich und Köln - der lange Arm der römischen Kurie, die Bestrafung einer Störrischen. Noch glaubt sie, dass alles ein Irrtum sein muss, wieder richtet sie ein erklärendes Schreiben an den Papst. Diesmal ist sie sogar bereit, ihre bisherige Lebensweise aufzugeben, wenn Seine Heiligkeit es befehle …
Doch das Inquisitionstribunal hat eine Gefangennahme Maria Wards bereits beschlossen. Die Anklage lautet: Häretikerin, Schismatikerin, Rebellin gegen den Heiligen Stuhl. Papst Urban besiegelt das Dekret im Januar 1631. Kein endgültiges und rechtskräftiges Urteil - ein Prozess hat ja noch nicht stattgefunden -, aber doch eine so schwerwiegende Anschuldigung, dass dies öffentliche Verfemung und Ächtung bedeutet.
Der als unnachsichtig und pflichtversessen bekannte Dekan der Münchner Liebfrauenkirche, Jakob Golla, der auch Präsident im Geistlichen Rat des Kurfürsten Maximilian ist, überbringt das Dokument der bettlägerigen Maria Ward am 7. Februar. Einkerkerung im Klarissenkloster am Anger, lautet der kirchliche Beschluss. Sollte sie sich weigern, müsse der »weltliche Arm« zu Hilfe gerufen werden. Was das bedeutet, weiß die Angeklagte genau: Einzelhaft, Folter, Schuldbekenntnis, Scheiterhaufen oder Galgen.
Mitten im Dreißigjährigen Krieg, als ob des Mordens noch nicht genug wäre, gehören Hexenverbrennungen zur Tagesordnung. Das Volk braucht Schuldige an der ganzen Misere, die Kirche Abschreckung für Dissidenten. Im selben Jahr 1631 beschreibt Graf Friedrich von Spee - anonym verständlicherweise - in einer Broschüre die grausamen Foltermethoden, mit denen man »Hexen« zu Geständnissen zwingt. Er hat als Beichtvater 200 Hexen zum Scheiterhaufen begleitet, alle wurden, davon ist er überzeugt, zu Unrecht verbrannt.
Maria Ward hat die Gefahr unterschätzt. Stolz, Sendungsbewusstsein, Vertrauen auf den Beistand ihrer Gönner mögen sie dazu bewogen haben. Nun nimmt sie das Unabwendbare äußerlich gefasst zur Kenntnis, schmerzlich berührt nur, dass sie sich von den dreißig Schwestern im Paradeiserhaus nicht verabschieden darf. Und betroffen vor allem vom Schweigen Maximilians und seiner Gemahlin, die ihr früher so oft Dienste erwiesen haben. Warum spricht Maximilian kein Machtwort? Ist er so von der Unfehlbarkeit des Inquisitionsgerichts überzeugt? Glaubt er nicht mehr an ihren Auftrag? Oder hat er Angst, sich für eine Ketzerin einzusetzen? Vielleicht halten ihn nur Staatsgeschäfte ab, tröstet sich Maria.
Den Nonnen im Klarissenkloster ist jeder Kontakt mit der Angeklagten untersagt, sie wird streng bewacht: »… zwei kleine Fenster, fast ganz zugemauert und mit Holz vergittert. Die Tür ist mit einem Doppelschloss und einer Kette verriegelt«, so beschreibt die Gefangene ihre Zelle. Aber ihre Gefährtinnen, die ihr das Essen aus dem Paradeiserhaus bringen, verstehen auch Botschaften einzuschmuggeln. Sie haben in ihrer Jugend in England im katholischen Untergrund gelebt, sie wissen, wie man Papier mit Zitronensaft beschreibt und das unsichtbar Geschriebene später über einer Kerzenflamme wieder entziffert. 23 solche Limonenbriefe fertigt Maria Ward in ihrer Zelle an in den unbewachten Stunden, wenn die Klarissen zum Chorgebet in der Kirche zusammenkommen.
Trotz der heimlichen Kontakte zu ihren Gefährtinnen fühlt sie sich verlassen. Papst Urban wird zur Überfigur, auf die sich ihre Gedanken konzentrieren: Er kann von der Bulle der Inquisition, von ihrer Einkerkerung nichts wissen, davon ist sie überzeugt. Sie entwirft Briefe an ihn, die vom Paradeiserhaus aus nach Rom gehen sollen. In all den Limonenbriefen wird mit Decknamen und Verschlüsselungen gearbeitet, falls doch jemand sie abfangen und entziffern sollte.
Maria Ward darf in ihrer Haft, wie alle Gefangenen der Inquisition, weder die Messe hören noch beichten und kommunizieren. Die Englischen Fräulein suchen deshalb Hilfe bei Kurfürst Maximilian, aber der ist nicht bereit, sich in die Angelegenheiten der Inquisition einzumischen. Auch als die Gefangene lebensgefährlich erkrankt und die Schwestern sie ins Paradeiserhaus zurückholen wollen, erklärt er sich als nicht zuständig. Dekan Golla versucht, die Todkranke zu erpressen: Nur wenn sie ein von ihm verfasstes Schuldbekenntnis unterschreibt, erhält sie die Sterbesakramente. Sie verweigert die Unterschrift, verfasst mit schwacher Hand ein eigenes Bekenntnis, das aber keine Schuldanerkennung ist.
Sie übersteht - wider Erwarten - die schwere Krankheit und macht sich nun umso mehr Sorgen um die Zukunft ihrer Gemeinschaft. Die Gefährtinnen haben mit all ihren Briefen und Bittschriften nach Rom tatsächlich die Befreiung ihrer geistigen Mutter erreicht, aber die Freude ist kurz: Am 18. August wird den im Paradeiserhaus versammelten Englischen Fräulein die päpstliche Bulle, die für alle gilt, verlesen. Von ihnen wird gefordert, die Ordenskleidung abzulegen, ihre apostolische Arbeit aufzugeben und unter Androhung von Exkommunikation ihre Wohngemeinschaft aufzulösen. Man wirft ihnen vor, sich »Jesuitinnen« zu nennen, ihre Gelübde bei einer Generaloberin abzulegen und ein Leben in Klausur abzulehnen. Keine neuen Anklagepunkte, Maria hatte sich deswegen ja schon zweimal nach Rom bemüht. Nun reist sie im Spätherbst 1631 zum dritten Mal Richtung Süden, wieder zu Fuß und mit nur wenigen Begleiterinnen.
Von München nimmt sie voller Wehmut Abschied, ahnend, dass sie das Paradeiserhaus nie wieder sehen wird, auch wenn sie sich nach außen zuversichtlich gibt. Sicher ist es eine Genugtuung für sie, dass auch Maximilian und seine Frau Elisabeth Renata vor den Truppen Gustav Adolfs, die München besetzten, nach Salzburg fliehen mussten.
Maria Ward und ihre Gefährtinnen erleben in Rom einen mild gestimmten Papst. Vom Vorwurf der Häresie ist nicht mehr die Rede. Er verspricht die Freilassung der in Lüttich eingekerkerten Engländerin Winefrid Wigmore. Ja, er setzt den Englischen Fräulein sogar eine Rente aus, mit deren Hilfe sie in Rom in weltlicher Gemeinschaft weiter zusammenleben können, allerdings ohne Schulen zu unterhalten und in der Öffentlichkeit tätig zu werden.
Maria wäre am liebsten nach München zurückgekehrt, auch wenn dort die Pest wütet und Hungersnot herrscht, doch ihre schwache Gesundheit lässt eine Reise nicht zu. Außerdem hofft sie noch immer auf die päpstliche Anerkennung ihrer aufgelösten Ordensgemeinschaft.
Im Paradeiserhaus in München lebt, ganz zurückgezogen, nur noch ein kleiner Rest der Englischen Fräulein, unter ihnen jedoch die ungebrochene Winefrid Bedingfield, die im März vom zurückgekehrten Kurfürsten die Wiederaufnahme des Unterrichts erbittet. Zwar bleibt die päpstliche Bulle in Kraft, aber von Unterrichtsverbot ist darin nicht die Rede.
So können die Englischen Fräulein - nun in weltlicher Gemeinschaft - weiter nach den Erziehungszielen ihrer Gründerin unterrichten, und der Kurfürst unterstützt sie wie früher durch Geldzuwendungen.
Anna Röhrlin, die erste Deutsche unter den Englischen Fräulein, kümmert sich um die Kinder, die durch Krieg oder Pest ihre Familie verloren haben, und fügt dem Institut ein »Armenmädchenhaus« an, in dem über vierzig Kinder Aufnahme und schulische Betreuung finden. Viel später, 1861, wird den Englischen Fräulein auch die Leitung des Städtischen Waisenhauses übertragen. Sie wirken dort erfolgreich, bis ihnen 1935 der nationalsozialistische Stadtrat die pädagogische Führung der Kinder entzieht »mit Rücksicht auf das neu angebrochene Zeitalter ausgesprochener Männlichkeit«, wie dem Schriftverkehr mit der Stadtbehörde zu entnehmen ist.
Das Institut selbst erlebt eine wechselvolle Geschichte, Kurfürst Max Emanuel, ein großer Förderer der Englischen Fräulein, ermöglicht 1653 den Bau eines großzügig angelegten Schulgebäudes. Von hier aus entfaltet sich das Institut weit über Bayerns Grenzen hinaus mit Tagesschulen, Pensionaten und Waisenhäusern für Kinder aller Stände. Mit der Säkularisation unter Montgelas hat diese Lehrtätigkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ende. Doch König Ludwig I. leistet Wiedergutmachung. Er überlässt den Enteigneten 1853 den Nordflügel des Nymphenburger Schlosses. Hier wird nun das »Königliche Erziehungsinstitut München Nymphenburg« eingerichtet.
Unter den Nationalsozialisten verlieren die Englischen Fräulein ihre Lehrbefugnis wieder. Sie dürfen keine Mädchen mehr aufnehmen, ihre Häuser werden geschlossen, enteignet oder in Lazarette umgewandelt. Im Krieg fällt vieles den Bomben zum Opfer.
Über den Wiederaufbau nach Kriegsende berichtet eine Zeitzeugin: »Schon im Mai 1945, als die Münchner ihre Kinder aus der Evakuierung zurückholten, kamen Mädchen und Buben in Scharen zu uns und wollten Unterricht haben, Erwachsene kamen, um Englisch zu lernen. So eifrige Schüler wie damals in der Bretterhütte, die die Mannschaft eines Flugabwehrgeschützes im Botanischen Garten auf unserer Spielwiese hinterlassen hatte, habe ich seither nie mehr gefunden.«
Heute sind die Englischen Fräulein aus dem Münchner Leben nicht wegzudenken. Sie unterhalten Schulen und Studentinnenwohnheime und engagieren sich in weltweiten Missionsprojekten. 1978, nach mehr als 350 Jahren, wurde ihnen in Rom endlich erlaubt, nach den Konstitutionen des heiligen Ignatius von Loyola zu leben.
Wenn das die Gründerin erlebt hätte. Sie, die von ihrem Auftrag so erfüllt und vom Sinn ihrer Arbeit so überzeugt war und doch sehen musste, wie ihr immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt wurden.
Sie hat die letzten Jahre - wie die ersten ihres Lebens - wieder in England verbracht. In London hat sie noch einmal versucht, eine Schule zu gründen, zog sich dann aber 1642 wegen der Bürgerkriegswirren mit ihren wenigen Gefährtinnen in ihre Heimat Yorkshire zurück. Hier, in Hewarth, starb sie am 30. Januar 1645 im Alter von sechzig Jahren eines natürlichen Todes.
Man hat Maria Ward, die von der Inquisition so unnachgiebig Verfolgte, nicht als Hexe verbrannt - das ist beinahe ein Wunder. Aber die Kirche hat die unerschrockene Glaubensschwester auch nicht heiliggesprochen - und das ist durchaus kein Wunder.
Bertha Pappenheim in der Tracht der Glückel von Hameln2
Eine Getto-Jüdin sprengt Konventionen
Glückel von Hameln
(1645-1724)
Kinder sollten nur Mütter haben und deren Namen tragen; und die Mütter das Vermögen und die Macht der Familien: so bestellt es die Natur.
Rahel Varnhagen
Kann man sich vorstellen, dass eine Frau im 17. Jahrhundert ganz selbstverständlich praktiziert, was die Frauenbewegung 200 Jahre später einfordert? Kann man sich vorstellen, dass es damals einer Getto-Jüdin gelingt, trotz doppelter Diskriminierung als Frau und als Jüdin erfolgreich Handel und Börsengeschäfte zu treiben? Und kann man sich vorstellen, dass eine Witwe ohne fremde Hilfe ein Dutzend Kinder großzieht?
Glückel von Hameln hat dies alles geschafft. Nach dem Tod ihres Mannes führt sie nicht nur dessen Handelsgeschäfte weiter, sie erledigt auch die umfangreiche Korrespondenz und kontrolliert die Kontenbücher. Nur nachts findet sie für diese Schreibtischarbeit die nötige Ruhe. Im Schein einer flackernden Kerze zieht sie Bilanz über ihre geschäftlichen Erfolge - und immer häufiger auch über ihr Leben, über das Gedeihen ihrer Kinder und deren Einbindung in die jüdische Gemeinde. Diese Aufzeichnungen geben uns heute in ihrer Mischung aus privatem Tagebuch und Chronik der aktuellen Geschehnisse wertvolle Hinweise auf die Lebensbedingungen der Hamburger Juden im ausgehenden 17. Jahrhundert.

»Von was für Leuten ihr her seid«

Mit dem Niederschreiben und Reflektieren ihres Alltags bringt Glückel Ordnung in ihre Gedanken; doch wichtiger noch ist ihr die Weitergabe der eigenen Erlebnisse und Erkenntnisse an die Nachkommen. Sie hält auf Familientradition: »Meine lieben Kinder, ich schreib euch dieses, damit, wenn heut oder morgen eure lieben Kinder und Enkel kommen und sie ihre liebe Familie nicht kennen, ich dieses in Kürze aufgestellt habe, damit ihr wisst, von was für Leuten ihr her seid.«
Insgesamt sieben Bücher hat sie vollgeschrieben. Die ersten Aufzeichnungen entstehen 1691, zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes. Da ist sie 45, für damalige Verhältnisse schon eine ziemlich alte Frau, doch eine Frau von erstaunlicher Vitalität.
Sie hat die Geschäfte und den Haushalt - acht der Kinder sind noch unter ihrer Obhut - voll im Griff, aber sie verschweigt oder beschönigt auch die Schwierigkeiten nicht, mit denen sie zu kämpfen hat, die schweren Sorgen, die sie bedrücken, da sie »eine Herde ohne Hirt« sind, seitdem sie ihren »getreuen Hirten verloren haben«. Unbedingtes Gottvertrauen hilft ihr über manche Klippe hinweg.
So leitet sie das erste Buch mit den Worten ein: »Im Jahre 1691 beginne ich dieses zu schreiben, aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid, wie weiter folgen wird. Gott aber erfreue uns so lange Zeit, als er uns plagte, und schicke unseren Messias und Erlöser bald. Amen.« Und das siebte Buch endet mit der Bitte: »Gott - er sei gelobt - soll geben, dass es zum Guten sein soll. Amen.« Dazwischen liegt ein Stapel eng beschriebener Seiten, liegt ein reiches Frauenleben. Die Berufung auf Gott, sei’s dem inneren Bedürfnis oder den Konventionen der Zeit entsprechend, bedeutet nicht unbedingte Ergebenheit in seinen Willen, Glückel geht als selbstbewusste Frau ihre eigenen Wege.

Jüdische Familientradition

Das Selbstbewusstsein hat Glückel wohl von ihrem Vater geerbt, dem Hamburger Diamantenhändler Löb Pinkerle. Trotz der Einschränkungen, die jüdischen Kaufleuten auferlegt sind, hat er es zu großem Wohlstand gebracht. In der jüdischen Gemeinde versieht er das Amt des Gemeindevorstehers. So wächst die 1645 geborene Tochter früh in jüdische Traditionen und jüdisches Gemeindeleben hinein. Sie sei, schreibt sie, »in allem Wohlbehagen auferzogen, von meinen Eltern sowohl, als von Freunden und Bekannten«.
Dem Vater ist es als einem der ersten Juden gelungen, in Hamburg das Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht zu erwerben - ein teuer erkauftes Privileg in der nicht gerade judenfreundlichen lutherischen Reichsstadt. 1000 Mark »Schutzgeld« hat er dafür jährlich zu bezahlen - das kann sich nur ein wohlhabender Kaufmann wie Löb Pinkerle leisten. Eine Gleichstellung mit den Hamburger Bürgern ist damit allerdings nicht verbunden, die Gettobestimmungen gelten weiter. So sind jüdische Gottesdienste und religiöse Rituale, etwa die Beschneidung, verboten und Bestattungen nur auf dem jüdischen Friedhof in Altona erlaubt.
Glückel gibt in ihren Aufzeichnungen ein anschauliches Beispiel für die Haltung des Rates und der Kirche den Juden gegenüber: »Aber wir haben in Hamburg kein Bethaus gehabt … Doch sind die Juden zusammengekommen in ihren Wohnungen zum Beten, so gut sie nebbich gekonnt haben. Wenn solches die Räte der Stadt vielleicht schon gewusst haben, haben sie doch gern durch die Finger gesehen. Aber als es Geistliche gewahr worden sind, haben sie es nicht leiden wollen und uns nebbich verjagt …«
Als der auf Sondereinnahmen bedachte Rat das jährliche Schutzgeld um ein Vielfaches auf 6000 Mark erhöht, wandert eine Reihe jüdischer Familien nach Amsterdam ab; Zahlungsunfähige werden ausgewiesen. Löb Pinkerle bleibt in der vom Dreißigjährigen Krieg zwar verschonten, aber durch den zusammengebrochenen Fernhandel schwer gebeutelten Stadt. Seine Diamantengeschäfte scheinen weiter zu florieren, denn Edelsteine lassen sich selbst in unsicheren Zeiten unauffällig transportieren und sind ein begehrtes Vermögensobjekt.
Glückel erhält Unterricht in allem, was dem Vater dienlich scheint für ihr späteres Leben. Während im 17. Jahrhundert Mädchenbildung noch kein Thema ist, sind jüdische Familien darin ihrer Zeit voraus: Sie lassen, wenn sie es sich leisten können, auch den Töchtern eine gute Bildung zukommen. Auch passende Ehepartner werden von den Eltern schon frühzeitig ausgesucht. Für eine Eheschließung sind Liebe oder Sympathie weit weniger ausschlaggebend als vorteilhafte Geschäftsverbindungen mit den zukünftigen Schwiegereltern.
Gerade zwölf Jahre alt, ein Kind noch, ist Glückel, als der Vater ihre Verlobung mit dem Kaufmann Chajm Hameln bekannt gibt. Nach ihren Wünschen wird sie nicht gefragt - sie hätte auch gar keine Gelegenheit gehabt, als behütete Tochter junge Männer außerhalb des Familien- und Freundeskreises kennenzulernen.
Zwei Jahre später, die Braut ist nun 14, findet die Hochzeit statt. Sie wird in Hameln gefeiert, dem Wohnsitz des Bräutigams, der den Ortsnamen als Familiennamen trägt. Glückel heißt jetzt nicht mehr Pinkerle, sondern nach dem Ehemann Glückel von Hameln.
Hameln ist zwar als Umschlagplatz für Waren der Hanse nicht abgeschottet von der Welt, aber verglichen mit der Hafenstadt Hamburg empfindet Glückel das überschaubare Weserstädtchen als Provinz. Die dicht aneinander gebauten Fachwerkhäuser engen sie ein, sie vermisst Menschen, mit denen sie reden kann. Im Tagebuch beklagt sie, dass es sie an einen Platz verschlagen hat, an dem es nur zwei jüdische Familien gibt. Für sie steht fest: »Hameln an sich ist ein lumpiger, unlustiger Ort.«
Ihr Schwiegervater hat sich Sabbatai Zewi angeschlossen, einem charismatischen Heilsverkünder aus Smyrna, der sich als Messias ausgibt und von seinen Anhängern als Vorbereitung auf das messianische Zeitalter Askese und die strikte Einhaltung der Gebote verlangt. Der strenggläubige Schwiegervater verkauft sein Haus und seine Besitztümer in Hameln, um nach Palästina auszuwandern und dort den verheißenen Tag der Erlösung zu erwarten.
Glückel hält es auch nicht länger an der Weser, sie ist froh, nach einem Jahr der beengenden Kleinstadtatmosphäre entkommen zu können. Es zieht sie zurück in ihre Heimatstadt Hamburg, die im 17. Jahrhundert immerhin schon über 40 000 Einwohner zählt. Die Juden gehören, wie erwähnt, auch hier zu den Außenseitern, geduldet, nicht geliebt, beneidet um ihre geschäftliche Tüchtigkeit und ihr sich rasch mehrendes Vermögen. Die Gettosituation wirkt sich in der weltläufigen Hafenstadt jedoch weniger bedrückend aus als in kleinen Städten.
Gemeinsam mit ihrem Mann findet Glückel erst einmal bei ihren Eltern Unterschlupf, doch es drängt sie nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Schon bald kann das junge Paar ein eigenes Haus beziehen. Glückel ist schwanger und bringt mit knapp 16 ihr erstes Kind zur Welt. 13 weitere Geburten werden folgen, manche in Zeitabständen von nicht einmal einem Jahr. Offenbar ist Glückel mit einer außergewöhnlich robusten Gesundheit ausgestattet und gefeit gegen das gefürchtete Kindbettfieber, das so viele junge Frauen dahinrafft.
Doch vom Unglück verschont bleibt die junge Familie nicht. Eines der Kinder stirbt mit vier Jahren, ein anderes gleich nach der Geburt. Glückel nimmt die Schicksalsschläge gottergeben hin und lässt sich vom Schmerz nicht niederdrücken. Obwohl sie den Haushalt und eine zwölfköpfige Kinderschar zu versorgen hat, unterstützt sie ihren Mann tatkräftig bei seinen Handelsgeschäften. Chajm ist, wie sein Schwiegervater, ein erfolgreicher Kaufmann. Mit praktischem Sinn bezieht er nicht nur seine Frau, sondern auch die Kinder in seine vielfältigen geschäftlichen Aktionen ein und überträgt ihnen verantwortungsvolle Aufgaben. Er schafft es mit seinen über Hamburg hinaus reichenden Beziehungen, die Ältesten früh und zum Wohle der Familienreputation zu verheiraten.
Acht der Kinder leben noch unversorgt im elterlichen Haus, als er 1689 an den Folgen eines Sturzes ganz unerwartet stirbt. Wieder, wie schon beim Tod der beiden Kinder, trägt Glückel die harte und plötzliche Veränderung in ihrem Leben mit Fassung. Während ihrer Ehe hat sie mit ihrem Mann gemeinsam die Geschäfte geführt, nun aber liegt die ganze Verantwortung auf ihren Schultern, dazu die Sorge für die unmündigen Kinder. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass sie das alleinige Sorgerecht erhält - sie muss darum kämpfen. Da Witwen als hilflose, unmündige Geschöpfe angesehen werden, gibt man sie in die Obhut eines männlichen Vormunds, der alle Entscheidungen für sie trifft. Dass Glückel diese Bevormundung abwehren kann, hat sie der weisen Voraussicht ihres Mannes und ihrer eigenen Energie zu verdanken.
Chajm Hameln hat vor seinem Tod dem zuständigen Rabbi sehr deutlich gemacht, dass er seiner Frau die kundige Weiterführung seiner Geschäfte und die Erziehung der Kinder zutraut. In der Niederschrift heißt es: »Meine Frau, die weiß von allem. Lasst sie tun, wie sie vordem zu tun gepflegt.« Der Rabbi beherzigt den letzten Wunsch Chajms, und so wird die 43-jährige Witwe von einem Tag auf den anderen zur selbstständigen Unternehmerin - ein bemerkenswertes Beispiel weiblicher Emanzipation inmitten einer von Männern geprägten Geschäftswelt und einer von bürgerlichen und religiösen Konventionen bestimmten Gesellschaft.

Eine Witwe im Börsengeschäft

Glückel steigt voll in die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes ein - ja, es gelingt ihr durch ihren Spürsinn, ihre Beharrlichkeit und ihr geschicktes Taktieren, die Handelsbeziehungen auch auf Nichtjuden auszuweiten, was allerdings nie eine Gleichstellung mit den Hamburger Bürgern bedeutet. Für die häuslichen Geschäfte sind die heranwachsenden Kinder verantwortlich: Sie hat ihre Familie wie einen Betrieb organisiert, in dem die älteren Söhne und Töchter die Fürsorge für die jüngeren Geschwister übernehmen.
Alle, auch die Mädchen, haben wie Glückel selbst die Schule besucht. Im Cheder, der von Rabbinern geleiteten jüdischen Elementarschule, haben sie lesen, schreiben und rechnen gelernt. Das bringt ihnen Vorteile im Geschäftsleben und stärkt das Selbstbewusstsein vor allem der Mädchen, die den meisten Hamburger Bürgertöchtern an Wissen und Wendigkeit weit überlegen sind. Das schürt aber auch Neid und das von jeher bestehende Misstrauen gegen die »Familienverbändelung der Gettojuden«.
Gleich in ihrem ersten Buch berichtet Glückel über die unsichere Lage der Hamburger Juden: »Also ist es gewesen, dass wir zeitweilig Ruhe gehabt und zeitweilig wieder verjagt worden sind bis zum heutigen Tag. Ich fürchte, dass solches so währen wird, solange wir in Hamburg sind und solange die Bürgerei in Hamburg regiert.«
Doch auch mit der Hilfsbereitschaft der Glaubensgenossen und der Großfamilie ist es nicht weit her. Glückel vermerkt über die erste Zeit nach dem Tod des Mannes: »Nach den dreißig Trauertagen ist kein Bruder, keine Schwester, kein naher Verwandter zu uns gekommen, der uns gefragt hätte, was macht ihr oder wie kommt ihr zurecht. Sind wir zusammengekommen, bevor die dreißig Trauertage aus gewesen sind, so ist ihr Reden eitel Nichtigkeit gewesen. Es hat mir oder meinen Waisen zu unserm Zweck wenig helfen können.« Hat vielleicht das selbstbewusste Auftreten Glückels Verwandte und Freunde daran gehindert, ihr Hilfe anzubieten?
Trotz der fehlenden Unterstützung durch Angehörige, trotz des minderen Status als Frau und als Jüdin und trotz
In dieser Ausgabe sind Porträts aus den folgenden, bei Diederichs erschienenen Bänden von Irma Hildebrandt zusammengestellt:
Berühmte Münchnerinnen. 18 Frauenporträts (2007) Mutige Schweizerinnen. 18 Porträts von Johanna Spyribis Liselotte Pulver (2006) Immer gegen den Wind. 18 Hamburger Frauenporträts (2003) Zwischen Suppenküche und Salon. 22 Berlinerinnen (2002) Tun wir den nächsten Schritt. 18 Frankfurter Frauenporträts (2000) Provokationen zum Tee. Leipziger Frauenporträts (1998) Die Frauenzimmer kommen. 16 Zürcher Porträts (1997) Hab meine Rolle nie gelernt. 15 Wiener Frauenporträts (1996)
Die Beiträge wurden für diesen Band zum Teil aktualisiert.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2008 Alle Rechte vorbehalten
Satz: EDV-Fototsatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
eISBN : 978-3-641-03972-1
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