Große Mädchen weinen nicht - Patricia Vandenberg - E-Book

Große Mädchen weinen nicht E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Gold Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Wir haben eine Neue in der Klasse!« Mit diesen Worten warf Anneka Norden nachlässig ihren Schulrucksack in die Ecke und ließ sich auf einen Stuhl in der Küche fallen, in der die Haushälterin Lenni gemeinsam mit Fee Norden die Planungen für die kommende Woche besprach. Erstaunt unterbrachen die beiden Frauen ihre Arbeit. »Das ist ja ungewöhnlich während des Schuljahres«, bemerkte Fee, nachdem sie ihre Tochter begrüßt hatte. »Sie sagt, ihr Dad hätte einen neuen Job als Rezensent bei einer Zeitung angenommen«, erklärte Anneka und fischte ein Stück Paprikaschote aus der großen Schüssel Salat, die dort bereits für das Mittagessen bereitstand. »Willst du dir nicht zuerst die Hände waschen gehen?« fragte Lenni tadelnd. Doch ihr Kommentar fand keine Beachtung. Offenbar war die neue Mitschülerin für Anneka wichtiger. »Was ist denn das, ein Rezen-sent?« erkundigte sie sich interessiert. »Das ist jemand, der Zusammenfassungen und Beurteilungen über Bücher, Theatervorstellungen und solche Sachen schreibt. Eine Art Kritiker«, erklärte Felicitas. »Vermutlich ist er bei einem Verlag angestellt und veröffentlicht in Zeitschriften oder Zeitungen seine Beiträge.« »Spannend«, nickte Anneka kauend. »Ich habe gar nicht gewußt, daß man damit Geld verdienen kann.«

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Dr. Norden Gold – 55 –

Große Mädchen weinen nicht

Ramona fühlt sich unverstanden

Patricia Vandenberg

»Wir haben eine Neue in der Klasse!«

Mit diesen Worten warf Anneka Norden nachlässig ihren Schulrucksack in die Ecke und ließ sich auf einen Stuhl in der Küche fallen, in der die Haushälterin Lenni gemeinsam mit Fee Norden die Planungen für die kommende Woche besprach.

Erstaunt unterbrachen die beiden Frauen ihre Arbeit.

»Das ist ja ungewöhnlich während des Schuljahres«, bemerkte Fee, nachdem sie ihre Tochter begrüßt hatte.

»Sie sagt, ihr Dad hätte einen neuen Job als Rezensent bei einer Zeitung angenommen«, erklärte Anneka und fischte ein Stück Paprikaschote aus der großen Schüssel Salat, die dort bereits für das Mittagessen bereitstand.

»Willst du dir nicht zuerst die Hände waschen gehen?« fragte Lenni tadelnd. Doch ihr Kommentar fand keine Beachtung. Offenbar war die neue Mitschülerin für Anneka wichtiger.

»Was ist denn das, ein Rezen-sent?« erkundigte sie sich interessiert.

»Das ist jemand, der Zusammenfassungen und Beurteilungen über Bücher, Theatervorstellungen und solche Sachen schreibt. Eine Art Kritiker«, erklärte Felicitas. »Vermutlich ist er bei einem Verlag angestellt und veröffentlicht in Zeitschriften oder Zeitungen seine Beiträge.«

»Spannend«, nickte Anneka kauend. »Ich habe gar nicht gewußt, daß man damit Geld verdienen kann.«

»Unsere moderne Welt hat die erstaunlichsten Betätigungen hervorgebracht«, bemerkte Lenni leise tadelnd. »Und was haben wir nun davon? Die alten, ehrwürdigen Berufe sterben aus. Niemand will mehr Haushälterin werden und sich um eine Familie kümmern.«

»Das heißt heute ja auch Hauswirtschafterin oder Gesellschafterin«, wußte Anneka grinsend zu erklären. »Und die kümmern sich längst nicht mehr um eine Familie, sondern machen Partyservice oder gehen als Lehrerin in eine Schule.«

»Das fehlte gerade noch, Partyservice!« verdrehte Lenni theatralisch die Augen, und Felicitas und Anneka lachten amüsiert. »Ich bin wirklich froh, daß mir dieses Schicksal erspart bleibt.«

»Wir auch, keine Sorge. Was täten wir denn ohne Sie, unsere gute Lenni?« sprach Felicitas der treuen Seele, die die Familie von Anfang an begleitete und tatkräftig unterstützte, Mut zu. Dann wandte sie sich erneut an ihre Tochter Anneka, um das vorangegangene Thema wieder aufzugreifen.

»Und, wie ist die Neue denn so? Hast du schon einen ersten Eindruck?«

»Ich finde, sie ist irgendwie verrückt. Stell dir vor, sie hatte ein langes Kleid an. Außerdem hat sie keinen Rucksack wie wir alle, sondern trägt eine riesengroße Tasche mit sich herum. Die ist bunt bedruckt mit großen Blumen.«

»Aber das ist doch schön. Besser als immer diese tristen Farben, mit denen ihr euch momentan bevorzugt umgebt«, lächelte Felicitas.

Dem konnte Anneka nur bedingt zustimmen.

»Ja, schon, trotzdem. Ramona sieht so anders aus als alle anderen. Aber das beste kommt erst noch. Stell dir vor, nachdem die Lehrerin ihr einen Platz gezeigt hat, hat sie einen kleinen Blumentopf mit einer Primel aus der Tasche geholt und ihn auf den Tisch gestellt. Du hättest das Gesicht von der Erzherzogin sehen sollen. Zum Totlachen.«

»Das heißt immer noch Frau Herzog«, fühlte sich Lenni be-müßigt, ihren Zögling an seine guten Manieren zu erinnern.

Diesen Kommentar quittierte Anneka mit einem schiefen Lächeln in Richtung Lenni.

»Also gut, Frau Herzog. Obwohl sie ihren Namen echt zu recht trägt, grimmig und streng, wie sie immer ist.«

»Eine Lehrerin möchte ich heutzutage auch nicht sein«, seufzte Lenni ein wenig deprimiert.

Aber Felicitas tröstete sie mit einem fröhlichen Lachen.

»Ich finde, es gibt schlimmere Vergehen, als Blumen auf ein Pult zu stellen. Außerdem beweist eure neue Mitschülerin damit durchaus Individualität. Und es gehört wahrlich eine große Portion Mut dazu, anders zu sein als andere. Das gefällt mir.«

»Wenn das jeder täte, würde es aber bunt zugehen«, wollte sich Lenni nicht aufheitern lassen. Irgendeine Laus war ihr an diesem Tag über die Leber gelaufen, und sie mußte ihrer schlechten Laune Luft verschaffen.

Dafür hatte Anneka jedoch gar kein Verständnis und sprang für die neue Klassenkameradin in die Bresche.

»Ich finde, Mami hat recht. Über die Gewalt an den Schulen redet schon kein Mensch mehr, kleine Prügeleien, Gemeinheiten und Mobbing gehören inzwischen beinahe zum Tagesgeschäft. Da ist es doch schön, wenn jemand mal was Fröhliches macht. Auch wenn’s ungewohnt ist.«

Doch Lenni blieb stur.

»Beides hat an einer Schule nichts verloren«, brummte sie mißmutig und wandte sich ab, um die vorbereiteten Schnitzel in die Pfanne zu legen, in der das Fett inzwischen heiß geworden war. Das Fleisch zischte und fauchte, während Fee ihrer Tochter beschwichtigend die Hand auf den Arm legte.

»Wie heißt denn deine neue Klassenkameradin?« lenkte sie die Sprache behutsam auf ein anderes Thema.

»Ramona Sonnig. Ist das nicht ein lustiger Name?« Anneka ging sofort auf die Frage ein.

»Allerdings. Ich bin gespannt, was du mir noch von ihr berichten wirst.«

Daraufhin nickte Anneka mit leuchtenden Augen.

»Die anderen finden sie ein bißchen eigenartig. Aber ich glaube, sie bringt irgendwie frischen Wind in die Klasse. Sie hat was Besonderes an sich. Mal sehen, ob ich recht habe.« Mit dieser Feststellung stand Anneka vom Stuhl auf und griff nach dem Stapel Teller, den Lenni bereits auf der Theke abgestellt hatte, um den Tisch zu decken. Um die Haushälterin gnädig zu stimmen, übernahm die älteste Tochter der Familie Norden diese Arbeit. Tatsächlich erreichte sie mit dieser einfachen Geste das gewünschte Ziel. Als Anneka und gemeinsam mit Fee die Küche verlassen hatte und nebenan Geschirr und Besteck klapperte, hatte die gute Lenni schon wieder ein zuversichtliches Lächeln auf den Lippen. Sie wußte, daß trotz aller modernen Strömungen im Hause Norden die guten, alten Werte immer noch Bestand hatten und auch weiterhin haben würden. Mochten an den Schulen auch noch so seltsame Verhältnisse herrschen, der Einfluß eines guten Elternhauses war nicht zunichte zu machen.

Gespannt wartete Stephan Sonnig auf die Rückkehr seiner einzigen Tochter. Er hatte an diesem Vormittag genug damit zu tun gehabt, die Umzugskartons auszuräumen. Doch als Ramona an der Tür ihres neuen Domizils klingelte, ließ er die Arbeit liegen.

»Und? Wie ist es gelaufen?« erkundigte sich Stephan liebevoll und nahm Ramona die großgeblümte Tasche ab. »Hattest du einen schönen ersten Tag?«

»Ja, es war lustig«, antwortete das Mädchen mit einem Lachen, das ihrem Nachnamen alle Ehre machte.

Wie so oft konnte Stephan über seine Tochter nur staunen.

»Die ganzen neuen Gesichter machen dir keine Angst?«

»Nein, warum auch? Ich hab’ mich doch selbst dafür entschieden, den Privatunterricht an den Nagel zu hängen und an eine öffentliche Schule zu gehen«, antwortete das Mädchen und warf die langen aschblonden Haare in den Nacken.

»In Deutschland hast du ja keine andere Wahl. Da ist der Unterricht zu Hause mit einem Privatlehrer nicht erlaubt. Und auch wenn du das alles so wolltest, sind die Dinge ja manchmal ganz anders, als man sie sich vorgestellt hat«, wandte Stephan nachdenklich ein und begleitete Ramona hinüber in die Küche, wo bereits eine Suppe auf dem Herd brodelte.

Neugierig hob Ramona den Topfdeckel und schnupperte.

»Hmm, Kartoffelsuppe, lecker«, erklärte sie zufrieden, um gleich darauf auf die Bemerkung ihres Vaters einzugehen. »Deshalb stelle ich mir ja nichts vor und lasse alles auf mich zukommen.«

»Du bist wirklich ein ganz besonderes Mädchen. Ich hoffe, deine Klassenkameraden wissen das zu schätzen«, brachte er seine größte Sorge zum Ausdruck. Obwohl Ramona für Stephan einmalig war, wußte er auch, daß sie mit ihrer Andersartigkeit Schwierigkeiten bekommen konnte.

Ramona hingegen zuckte nur mit den Schultern.

»Freunde findet man nicht von einer Stunde auf die andere. Es wird schon schiefgehen«, erklärte sie dann mit dem ihr eigenen, feinsinnigen Lächeln und ihrem grenzenlosen Optimismus. »Ein Mädchen ist dabei, das gefällt mir ganz besonders gut. Sie heißt Anneka Norden und ist die Tochter eines Arztes.«

»Hast du schon mit ihr gesprochen?«

»Nein, kein Wort.«

»Woher weißt du das dann?« staunte Stephan über die Kenntnisse seiner Tochter.

»Das hab’ ich im Klassenbericht vom letzten Jahr gelesen«, erzählte Ramona unbeschwert und schöpfte Suppe aus dem Topf in zwei Teller, die sie inzwischen geholt hatte.

Stephan stellte Gläser auf den Tisch.

»Alle Achtung, du legst dich ja wirklich mächtig ins Zeug. Kennst du die Daten der anderen auch schon so gut?«

»Noch nicht alle. Aber das krieg ich schon hin.«

»Meinst du nicht, du solltest dich erstmal um den Schulstoff kümmern?« brachte Stephan die Sprache auf ein anderes Thema, das ihn sehr beschäftigte. »Immerhin warst du noch nie auf einer öffentlichen Schule. Ich weiß nicht, ob dich die Privatlehrerin in Österreich vernünftig auf das richtige Leben in einer Schule vorbereitet hat.«

Doch wie nicht anders zu erwarten gewesen war, teilte Ramona die Sorgen ihres Vaters nicht. Über den Rand ihres Tellers hinweg lächelte sie ihn aufmunternd an.

»Mach dir mal keine Sorgen um mich. Ich mach schon alles richtig«, erklärte sie, spitzte den Mund und hauchte ihrem Vater einen Handkuß über den Tisch.

Schon bald drehte sich das Gespräch um andere Dinge als lästige Pflichten, und Vater und Tochter beendeten die Mahlzeit in schönster Eintracht. Als der Tisch abgeräumt war, lief Ramona leichtfüßig und singend und lachend die Stufen der alten Herrenvilla nach oben.

Kopfschüttelnd sah Stephan seiner Tochter nach, ehe er sich wieder an die Arbeit machte und den nächsten Umzugskarton öffnete. Auch er lächelte. Wenn Ramona so zuversichtlich in die Zukunft blickte, wollte er ihr keine sorgenvollen Steine in den Weg legen.

Versonnen schlenderte Vincent Pfaller durch die Straßen der Stadt, aus der er vor Jahren Hals über Kopf geflohen war. Äußerlich hatte sich kaum etwas verändert, wie er selbst auch noch derselbe schien. Aber das täuschte. Innerlich war er ein anderer geworden, seit er den größten Fehler seines Lebens begangen und Frau und Sohn verlassen hatte.

Diesen Schmerz fühlte er mit jedem Schritt, den er auf dem ehemals vertrauten Pflaster machte, als sein Blick in das Schaufenster einer Bank fiel.

»Ferienvilla am Samerberg zu verkaufen«, las er sich selbst laut vor und starrte auf die großformatige Immobilienanzeige. »Aber das ist doch Paulines Haus. Wie kann sie nur so etwas tun?« fragte er sich erschrocken und zögerte nur kurz, ehe er die Bank betrat. »Entschuldigen Sie, ich interessiere mich für eine Immobilie, die bei Ihnen ausgeschrieben ist«, wandte er sich an den ersten Mitarbeiter, der ihm über den Weg lief.

Detlev Mohnstätt blieb verwundert stehen, eine Kaffeetasse in der Hand. Die Situation war ihm sichtlich peinlich, und er lächelte verlegen.

»Da sind Sie bei mir richtig.«

»Die Zeit scheint eine falsche zu sein. Kann ich nach der Kaffeepause wiederkommen?« fragte Vincent süffisant lächelnd.

Aber der Immobilienkaufmann fing sich rasch.

»Wenn Sie wollen, können wir gerne gemeinsam Kaffeepause machen und uns nebenbei über das Objekt unterhalten«, machte er dem Kunden ein schlagfertiges Angebot.

Vincent stimmte wohlgefällig zu.

»Gut pariert«, lachte er, während er in dem bequemen Sessel Platz nahm, den ihm der Bankangestellte nicht lange danach angeboten hatte. Dankend nahm er Kaffee und Gebäck entgegen, ehe er auf das Geschäftliche zu sprechen kam. »Ich interessiere mich für die Villa am Samerberg. Ist sie noch zu haben?«

Detlev Mohnstätts Gesicht leuchtete auf. Er witterte ein gutes Geschäft.

»Sie haben Glück. Es ist noch nicht lange im Angebot, und bisher hat sich noch niemand dafür interessiert«, antwortete er ehrlich.

»Aber wie kann das sein? Es ist ein wunderbares Objekt.«

»Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Aber die Berge liegen einfach zu nah, als daß jemand ein Ferienhaus hier in der Nähe kaufen würde, noch dazu in dieser Preislage«, erklärte der Makler.

Vincent Pfaller wiegte nachdenklich den Kopf.

»Ich sehe das anders. Dieses Haus am Samerberg liegt traumhaft schön. Außerdem ist es alles andere als eine einfache Berghütte. Es hat das gewisse Extra, das jeder Mensch zu schätzen weiß, der sich gerne mit Luxus umgibt.«

»Sie kennen die Villa?« wunderte sich Detlev Mohnstätt ehrlich und musterte den Kunden interessiert. Obwohl er ein guter Bekannter der Besitzerin war, konnte er sich nicht daran erinnern, den Herrn schon einmal gesehen zu haben.

Doch Vincent klärte die Umstände rasch auf.

»Ich war ein guter Freund von Bernhard von Wallberg und kenne das Haus von früheren Besuchen. Und ehrlich gesagt wundert es mich sehr, daß es zum Verkauf steht.«

Der Makler überlegte eine Weile, ehe er zu einer Antwort anhub.

»Frau von Wallberg möchte keine unnötigen Informationen über ihr Privatleben an die Öffentlichkeit bringen. Es ist aber ein offenes Geheimnis, daß das Theaterspiel nicht mehr so gut läuft wie früher. Die Engagements sind selten geworden. Jüngere Kolleginnen haben den Platz von Frau von Wallberg eingenommen. Ich fürchte, die glamourösen Zeiten sind ein für allemal vorbei.«

Vincent hatte schweigend ge-lauscht und nickte verständnisvoll.

»Aber was ist mit Bernhard? Wenn ich mich recht erinnere, ist er ein wohlhabender Mann.«

»Wissen Sie denn nicht, daß Herr von Wallberg seit Jahren verschwunden ist? Hals über Kopf ist er nach Südamerika ausgewandert. Seither steht Frau von Wallberg alleine mit ihrem Sohn da«, erklärte Detlev Mohnstätt, verwundert darüber, daß der angeblich gute Freund der Familie über diese einschneidenden Details nicht informiert war.

Doch auch dafür hatte Vincent eine Erklärung.

»Sicher wundern Sie sich, daß ich über diesen Sachverhalt nicht informiert bin. Ich sollte Ihnen berichten, daß Bernhard und ich seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr haben. Eine Unstimmigkeit…«

Das Ende des Satzes ließ er offen, und der Makler nickte, als wüßte er, wovon der Kunde sprach.

»Wenn das so ist, brauche ich Ihnen über das Haus nicht mehr viel zu erzählen«, kam er schließlich auf das Geschäftliche zurück. »Trotzdem wollen Sie es sicher gerne sehen.«

»Sehr gerne«, bestätigte Vincent und fühlte, wie sein Herz aufgeregt zu schlagen begann. Allein der Gedanke an die Villa, an die wundervollen Stunden, die er dort verbracht und auf immer verloren gewähnt hatte, waren auf wundersame Weise wieder in greifbare Nähe gerückt. Diese Tatsache erfüllte ihn mit tiefer Ehrfurcht. »Aber ich habe eine Bitte. Ist es möglich, daß ich mir das Haus alleine ansehe? Und daß Frau von Wallberg vorläufig noch nichts von meinem Interesse für ihr Anwesen erfährt? Schließlich will ich keine falschen Hoffnungen in ihr schüren, falls ich mich doch dagegen entscheide.«

»Ja, selbstverständlich, Herr…«, hier machte Detlev eine Pause und sah Vincent fragend an. Erst jetzt fiel ihm auf, daß sich der Kunde noch nicht vorgestellt hatte.

»Pfaller. Mein Name ist Vincent Pfaller.« Vincent zog eine Brieftasche aus dem Sakko und entnahm ihr eine Visitenkarte, die er Detlev Mohnstätt über den Tisch schob.

Der nahm sie dankend entgegen und studierte sie interessiert.

»Herr Pfaller. Angenehm. Darf ich fragen, woher Sie stammen? Ich habe diesen Namen nie von Frau Wallberg gehört. Und das, obwohl wir sehr gut befreundet sind.«