Großer Ozean. - Peter Schmidt - E-Book

Großer Ozean. E-Book

Peter Schmidt

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Beschreibung

In 13 Erzählungen thematisiert der Autor prägende Erlebnisse des Erwachsenwerdens in den 1950er-70er Jahren. Der zweite Teil der Erzählsammlung aus dem Zyklus "Gelebte Leben", widmet sich Porträts von Menschen auf der Demenzstation eines Altenheims. Eindrucksvoll und voller Respekt schildert der Autor Menschen, denen er dort begegnet ist. Menschen, die in ihrem Leben viel geleistet haben, mit beiden Beinen im Leben standen, sich nun aber, am Ende ihrer Tage, oftmals sehr verändert haben.

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Seitenzahl: 44

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Großer Ozean

Titel Seite

Peter Schmidt

Großer Ozean

Erzählungen und Menschenbilder

Holzschnitte von Marlis G Schill (nur gedruckte Version)

edition kunstmacher

©Peter Schmidt 70567 Stuttgart Salzäckerstraße 168

edition kunstmacher

www.möma-atelier.de

Alle Rechte vorbehalten

Druck: epubli, Berlin www.epubli.de

Printed in Germany

2017

"Dann sieh, dass Du Mensch bleibst, Mensch sein ist vor allem die Hauptsache. Mensch sein, heißt sein ganzes Leben auf des Schicksals großer Waage freudig hinwerfen, wenn's sein muss, sich zugleich aber an jedem hellen Tag und jeder schönen Wolke freuen."

Rosa Luxemburg (1, 172), Brief an Mathilde Wurm, 28. Dezember 1916

Inhalt

Das Geschenk

Nachkriegsjugend

Nichts wie weg

Sommer ´57

Das Messingstövchen

Ein Freund der Familie

Eine Mark

Großer Ozean

Der Schrank

Eine besondere Nacht

Feige Liebe

Meine Schuhe

Mein Morgen

Aus dem Zyklus" Menschenbilder":

Gelebte Leben

Anneliese

Erich

Lieselotte

Olga

Rudolf

Emanuel

Horst

Das Geschenk

Der ganze Kreißsaal musste nach Weihnachten geduftet haben.

Sein erster Sinneseindruck war folglich nicht allein das Licht der Welt in Gestalt einer grellen Deckenlampe, da war auch noch dieser intensive Lebkuchenduft, den Mutters Kleider verströmten, als Vater sie zur Entbindung brachte.

Lange bevor er begreifen konnte, wie es zu seiner Geburt gekommen sein mochte, verband er den Beginn seines Daseins mit dem Duft von Weihnachten, mit der Wärme der Küche, in der seine Mutter beim Lebkuchenbacken heftige Wehen bekommen und das Trällern von Weihnachtsliedern abrupt eingestellt hatte.

Später erzählte Mutter ihm oft: „Gerade so, wie das Kindlein da in der Krippe liegt, so lagst Du an Deinem ersten Weihnachtsfest unter dem Tannenbaum und warst unser schönstes Geschenk.“

Später dann wurde ihm klar, mit welchen Torturen seine Geburt wohl verbunden gewesen sein musste. Für seine Mutter aber auch für ihn. Und was dabei alles hätte schief laufen können.

Wahrscheinlich war es schon von Vorteil, dass Mutter Kinderkrankenschwester gelernt hatte und sozusagen „vom Fach“ war.

Und noch viel später, als er in der elterlichen Nachttischschublade eine Schachtel mit Präservativen fand und auch schon alt genug war, um zu wissen, was das war und wozu es diente, dämmerte ihm, dass alles auch ganz anders hätte kommen können...

Das war ungefähr auch der Zeitpunkt, zu dem er in der Schule lernte, wie das vor sich geht mit dem Kinderkriegen. Was Männer und Frauen da im Einzelnen tun und all die anderen peinlichen Details, über die zu reden ihm äußerst unangenehm war, obwohl sie ihn gleichzeitig rasend interessierten.

Wenn bei seiner Zeugung und Geburt alles mit rechten Dingen zugegangen sein sollte, woran er immer weniger Zweifel hatte, so musste es doch möglich sein, zu berechnen, wann ungefähr er wohl gezeugt worden sein musste.

Seine Recherchen ergaben: etwa Mitte April.

Vater hatte am 13, Mutter am 15. Geburtstag.

War also schon seine Zeugung ein Geschenk?

Nachkriegsjugend

Als Kind konnte ich das Wort Krieg natürlich überhaupt nicht einordnen. Wie denn auch. 

Lag doch an meinem fünften Geburtstag, das Kriegsende schon doppelt so lange zurück, wie ich alt geworden war. Ich glaube, die erste vage Ahnung von der Bedeutung dieses ominösen WortesKriegbekam ich erst, als Vater einmal erwähnte, dass er die dicke Fellweste, die er abends immer am Esstisch trug, weil es in der Küche keine Heizung gab, dass er genau die schon im Krieg an der Front unter der Uniform getragen habe. In meiner kindlichen Phantasie gehörten seither Krieg und Kälte untrennbar zusammen. Schon Kälte war mir unangenehm und das andere Wort konnte gewiss auch nichts besseres bedeuten. Davon einmal abgesehen, malte ich mir aber auch aus, wie Vater mit den übereinander gezogenen Kleidungsstücken ausgesehen haben musste. Wie eine aufgeplusterte Amsel wahrscheinlich und allein diese Vorstellung fand ich umwerfend komisch.

Wir waren Nachkriegskinder und damals einfach noch zu klein, um konkret mit dem BegriffKriegetwas anfangen, und die Erinnerungen der Eltern noch zu frisch, um darüber reden zu können. Jedenfalls nicht im Beisein der Kinder.

Einige Jahre später war das WortKriegplötzlich zentrales Thema in der Familie, in der Stadt, im ganzen Land. In den Radionachrichten wurde täglich von Kuba gesprochen und ich weiß noch genau, dass ich erschrak, als Vater sagte "jetzt gibt es wieder Krieg!" Er wies meine Mutter an, reichlich Vorräte an Konserven, Mehl, Zucker und Salz einzukaufen, solange es das noch zu kaufen gab. Dazu blätterte er ihr, zusätzlich zum regulären Haushaltsgeld, das sie jede Woche von ihm bekam, einen zusätzlichen Schein auf den Küchentisch. Meine kindliche Furcht, es könne vielleicht bald nichts mehr zu essen geben, erweiterte meine damalige Vorstellung von Krieg um einen weiteren unangenehmen Aspekt: Hunger.

Würde es uns dann, wenn es Krieg gäbe, ähnlich ergehen, wie den Flüchtlingskindern, mit denen wir auf der Strasse spielten und die mit ihren Familien in einem nahen Barackenlager hausten? Dass es ihnen nicht so gut geht, wie uns, verstand ich bereits und es war ja auch nicht zu übersehen. Deshalb brachten wir immer wieder alte Kleidungsstücke oder schon mal ein paar Kartoffeln dort vorbei.

Ungefähr in dieser Zeit muss es gewesen sein, dass mich Vater beim Lesen eines Landser-Heftchens erwischte. Da habe ich den ansonsten sehr zurückhaltenden, emotional eher sparsam agierenden Mann zum ersten Mal in meinem jungen Leben sehr aufgebracht erlebt.

Seine harsche Reaktion konnte ich damals nicht verstehen und er hat sie mir auch nicht erklärt

Mit meinem Freund Micha tauschte und las ich trotzdem weiterhin Landser-Hefte, die wir wesentlich spannender fanden, als Winnetous Abenteuer, Fix und Foxi oder andere Comics, die wir noch vor bis kurzem verschlungen hatten.

Als wir einmal im Garten, in Landsermanier, bis an die Zähne bewaffnet mit Tannenzapfen-Handgranaten aus dem Hinterhalt einen Bollerwagen angriffen, der in unserem Spiel die Rolle eines feindlichen Panzer hatte, kam Michas Vater hinzu. Ein sehr besonnener, ruhig handelnder und sprechender Mann, gleicher Jahrgang wie mein Vater, damals also etwa Mitte vierzig. Doch er hatte, ungewöhnlich für sein Alter, schon schlohweiße Haare.