Großwerden - Jörg Dötsch - E-Book

Großwerden E-Book

Jörg Dötsch

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Beschreibung

Kinder haben heute die besten Chancen, gesund aufzuwachsen. Dennoch scheint es kompliziert wie nie zu sein, sie dabei zu unterstützen. Familien stehen vielfach unter Druck. Mütter und Väter haben hohe Ansprüche an sich selbst. Aber auch die Gesellschaft verlangt ihnen viel ab. Zudem prasseln Unmengen von Ratschlägen aus dem Netz auf sie ein, die oft mehr verunsichern als helfen. Kurz: Das Familienleben fühlt sich herausfordernd an. Da braucht es verlässliche Informationen. Jörg Dötsch und Johanna Schoener klären auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über Ernährung, Schlaf, Infekte und viele andere zentrale Entwicklungsthemen der ersten zehn Lebensjahre auf. Sie zeigen, wie Eltern ihre Kinder so stärken können, dass sie ihren individuellen Weg finden. Wieso sind die ersten 1000 Tage so entscheidend? Wie wirkt sich die Ernährung in der Schwangerschaft aus? Was muss man beim Reisen mit Baby beachten? Kann man Allergien vorbeugen? In welchem Umfang sind kindliche Ängste normal? Was stärkt die Abwehrkräfte? Wann muss man in die Notaufnahme? Woran erkennt man eine Lernstörung?

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Das Standardwerk für alle, die Kinder beim Großwerden begleiten

Kinder haben heute die besten Chancen, gesund aufzuwachsen. Dennoch scheint es kompliziert wie nie zu sein, sie dabei zu unterstützen. Familien stehen vielfach unter Druck. Mütter und Väter haben hohe Ansprüche an sich selbst. Aber auch die Gesellschaft verlangt ihnen viel ab. Zudem prasseln Unmengen von Ratschlägen aus dem Netz auf sie ein, die oft mehr verunsichern als helfen. Kurz: Das Familienleben fühlt sich herausfordernd an. Da braucht es verlässliche Informationen.

Jörg Dötsch und Johanna Schoener klären auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über Ernährung, Schlaf, Infekte und viele andere zentrale Entwicklungsthemen der ersten zehn Lebensjahre auf. Sie zeigen, wie Eltern ihre Kinder so stärken können, dass sie ihren individuellen Weg finden.

© Niklas Berg

Prof. Dr. med. Jörg Dötsch, geboren 1965, arbeitet seit dreißig Jahren als Kinder- und Jugendarzt. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Köln, wo er praktiziert, forscht und lehrt. Jörg Dötsch ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Während der Coronapandemie wurde er zu einem der wichtigsten Fürsprecher der jungen Generation im öffentlichen Diskurs. Als Experte berät er die Bundesregierung. Er ist Vater dreier (fast) erwachsener Kinder und lebt mit seiner Familie in Köln.

Johanna Schoener, geboren 1981, ist Redakteurin im Wissen-Ressort der Wochenzeitung DIE ZEIT. Sie hat Sprachwissenschaften und Philosophie studiert und befasst sich seit vielen Jahren mit Bildungs- und Familienpolitik. Mit ihrem Mann und ihren beiden Grundschulkindern lebt sie in Hamburg.

Prof. Dr. med. Jörg Dötsch Johanna Schoener

GROSSWERDEN

GESUNDHEIT UND ENTWICKLUNG IN TURBULENTEN ZEITEN

DIE ERSTEN 10 LEBENSJAHRE

Hinweis: In diesem Buch werden nicht immer beide Personenbezeichnungen genannt, sondern die männliche und weibliche Form abwechselnd benutzt, um das Lesen zu erleichtern. Häufig verwenden wir zudem offene Formulierungen für jene Menschen, die sich nicht klar einem Geschlecht zuordnen.

E-Book 2024 © 2024 DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln Umschlagabbildung: © New Africa/Adobe Stock Satz: Fagott, Ffm E-Book Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

LOS GEHT’S

Es ist schon verrückt. Ein kleines Kind, das heute in Deutschland geboren wird, hat die besten Chancen auf einen guten und gesunden Start ins Leben.

Die Kindermedizin hat enorme Fortschritte gemacht. Impfungen und Medikamente werden immer zielgenauer, die Behandlungen schonender. Mütter und Väter verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern denn je. Sie begegnen ihnen liebevoll und zugewandt. Autoritär erziehen? Kommt für die meisten nicht mehr infrage. Die Bedürfnisse von Kindern werden so ernst genommen wie von keiner Generation zuvor. In den Kitas dürfen schon die Kleinsten mitbestimmen, welches Buch gelesen und was gespielt wird. Ihre Meinung zählt – von Anfang an.

So viele positive Entwicklungen! Und trotzdem: Es ist viel schwieriger geworden, ein Kind beim GROSSWERDEN zu begleiten. Wie ist das möglich?

Familien sind heute bunt wie nie. Soziologen würden sagen: superdivers.1 Immer mehr Kinder wachsen nicht in der klassischen Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kind auf, sondern bei Alleinerziehenden und Solo-Eltern, in Patchwork- und Regenbogenfamilien. Über 40 Prozent der Kinder in Deutschland haben einen Migrationsbezug, was nichts über Sprachkenntnisse, Bildung und sozialen Status aussagt. Jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen oder bedroht. Doch so verschieden die Konstellationen und ihre Herausforderungen auch sind – eines eint nahezu alle Familien: Sie stehen unter vielfachem Druck.2

Mütter und Väter haben hohe Ansprüche an sich selbst. Sie wollen für die Kinder da sein UND beruflich vorankommen, das restliche Leben aber auch nicht völlig vernachlässigen. Noch vor ein, zwei Generationen bedeutete Aufgabenverteilung meist: Er ging zur Arbeit, sie blieb zu Hause. Klar getrennte Sphären. Heute muss unablässig verhandelt werden – mit dem Partner oder der Partnerin, den Vorgesetzten, getrennten Elternteilen und nicht zuletzt mit dem Kind, das bei allem mitentscheiden soll. Das Spielzimmer ist zugleich Homeoffice. Und wenn das Baby nicht aufhört zu schreien, sucht man nicht bei der Großfamilie Unterstützung, sondern bei Google.

Unmengen von Ratschlägen und Hinweisen prasseln im Netz auf Menschen ein, die Kinder begleiten. Oft verunsichern sie mehr, als sie helfen. Je mehr Entscheidungen man bewusst treffen kann, umso öfter kann man sich schließlich irren – oder nicht?

Der Umgang mit Kindern droht so, immer verkopfter zu werden. Vielen Erwachsenen fehlen praktische Vorbilder im Alltag. Bevor sie Eltern wurden, haben sie kaum selbst ein kleines Kind in ihrem Umfeld erlebt, es getragen, gefüttert oder getröstet. Woran es hingegen überhaupt nicht mangelt, sind schöngefilterte Familienfotos auf Instagram: Dort schnullern Babys im crèmefarbenen Strampler friedlich auf einem Schaffell vor sich hin, während Mütter Zeit finden, den frischen Wildblumenstrauß zurechtzuzupfen.

Solche Bilder stehen nicht nur in Kontrast zum eigenen unvollkommenen Leben (hallo Minderwertigkeitskomplex!), sondern erst recht zur krisengeschüttelten Außenwelt. Gestern Pandemie, heute Kriege, Inflation, Fachkräftemangel, morgen Klimakatastrophe. Die Folgen spüren vor allem Familien im Alltag – sei es durch geschlossene Kitas oder Schulen, finanzielle Sorgen, überlastete Kinderstationen oder düstere Zukunftsaussichten.

Allen modernen Errungenschaften zum Trotz: Das Familienleben fühlt sich heute oft fürchterlich kompliziert an. Man muss schon sehr souverän sein, um in diesem ganzen Wahnsinn Ruhe zu bewahren und ein Kind angemessen in seiner Entwicklung zu begleiten.

Damit das gelingt, braucht man meistens gar nicht mehr tun, sondern weniger. Vieles kann man einfach lassen, nicht mitmachen, nicht kaufen, nicht beachten. Sich auf das Wesentliche konzentrieren! Man spart dadurch nicht nur Zeit und Geld, sondern tut dem Kind sogar den größten Gefallen. Für diese Haltung braucht es allerdings Selbstbewusstsein und eine gesicherte Wissensgrundlage. Man muss unterscheiden können: Was ist wichtig und was nicht, damit ein Kind gesund aufwachsen und seinen eigenen Weg gehen kann? An welchen Stellen kann man locker lassen und sich erst mal selbst helfen? Wann muss schnell Unterstützung organisiert werden?

Diese Fragen waren der Ausgangspunkt für unser Buch und in den kommenden Kapiteln beantworten wir sie aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Unsere Hoffnung ist, dass wir Eltern und allen anderen Menschen, die Kinder begleiten, ein Stück mehr Sicherheit geben können. Damit sie sich selbst und den Kindern mehr zutrauen und der Alltag für alle weniger anstrengend ist.

In 68 Kapiteln befassen wir uns mit den zentralen Themen rund um die Gesundheit und Entwicklung von Kindern. Wir bieten Orientierung – vom ersten Moment im Bauch bis zum Ende der Grundschulzeit. Wie entsteht Fieber? Wann muss man sofort ins Krankenhaus? Warum ist das mit dem Schlafen so kompliziert? Ist es schlimm, wenn das Baby nicht krabbelt? Was ist eine Regulationsstörung, was nur normales Chaos? Wie gelingt ein gesunder Umgang mit den Medien? Welche Empfehlungen sind seriös? Und welchen Trend kann man guten Gewissens ignorieren?

Viele Dinge erklären wir von Grund auf. Denn wenn man besser versteht, was los ist in so einem kleinen Kopf oder Körper, ist allein das oft schon beruhigend und verhilft zu mehr Gelassenheit. Unsere Informationen basieren auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und wurden nicht nur von uns, sondern zusätzlich von einem erfahrenen kinderärztlichen Team sorgfältig geprüft. Dafür herzlichen Dank an Dr. Anne Stockmann-Schulz, Dr. Burkhard Rodeck und Dr. Christian Plank (→ siehe auch).

Wir schreiben hier als Kinderarzt, der forscht, lehrt und täglich mit kleinen Patienten und ihren Eltern zu tun hat; und als Journalistin, die seit vielen Jahren Familien- und Bildungsthemen recherchiert. Wir sind aber auch Vater von drei (fast) erwachsenen Kindern und Mutter von zwei Grundschulkindern. Als Eltern haben wir selbst viele Fehler gemacht und machen sie noch. Wir stoßen auf immer neue Fragen und sind ständig auf der Suche nach Antworten. So manches von dem, was wir in diesem Buch festgehalten haben, hätten wir selbst gern früher gewusst. Doch niemand macht alles richtig. Was zählt, ist die innere Haltung. Oft reicht es zum Glück völlig aus, wenn die Richtung stimmt.

Es braucht dieses bisschen Gelassenheit, um Kinder in ihre Zukunft zu begleiten, gerade heute. Um sie GROSSWERDEN zu lassen.

I WAS PRÄGT: DIE MONATE IM BAUCH

Familiengründung heute – kann man wirklich alles optimieren?

Schwanger?!

War das geplant?

Wisst ihr schon, was es wird?

Machst du einen Pränataltest?

Wolltest du nicht die Probezeit abwarten?

Braucht ihr dann eine größere Wohnung? Und wie macht ihr das mit der Elternzeit?

Fragen über Fragen, die vor allem eins zeigen: Kinderkriegen ist etwas, das gut organisiert sein will. Der richtige Zeitpunkt zählt. Es einfach mal drauf ankommen lassen? Das ist ziemlich aus der Mode gekommen. Soziologische Langzeitstudien zeigen, dass inzwischen gut 70 Prozent der Schwangerschaften vorher geplant und beabsichtigt sind.3 Vorbei die Zeiten, in denen Fortpflanzung eine natürliche und obendrein geheimnisvolle Sache war. Heute spricht man von Reproduktion. Und in die kann der Mensch vielfältig eingreifen: Schwangerschaften werden verhindert, abgebrochen und medizinisch unterstützt. Eizellen werden eingefroren, Spermien analysiert und die Befruchtung künstlich vollbracht.

Es sind unglaubliche Freiheiten, die wir in den vergangenen Jahrzehnten dadurch gewonnen haben. Wer möchte schon zurück in Zeiten ohne Verhütungsmittel und Kinderwunschzentren?

Doch hinter jeder Möglichkeit lauern neue Ungewissheiten. Wird die strapaziöse Hormonbehandlung wirklich Elternglück bringen? Was, wenn der Bluttest auf Trisomien auffällig ist? Ein Mehr an Wahlfreiheit zieht immer ein Mehr an Entscheidungen nach sich, die aktiv getroffen werden müssen. Dabei kann man scheinbar unzählige Fehler machen. Das raubt Kräfte und verunsichert. Vor allem, wenn man von klein auf darauf programmiert ist, bei allem das Beste für sich herauszuholen.

Die eigenen Pläne

Fitter werden, entspannter, erfolgreicher, nachhaltiger, attraktiver – die Gebiete, auf denen man sich verbessern kann, sind schier unendlich in unserer »Multioptionsgesellschaft«4. Das Leben selbst gestalten zu können ist ein Geschenk. Doch es ist auch eine Last. Ständig kann man sich optimieren und weiterentwickeln. Sich davon nicht immerfort unter Druck setzen zu lassen ist eine echte Herausforderung.

In den sozialen Netzwerken springt einen das schönere und makellosere Leben unablässig an. Und während man noch Likes verteilt und auf Follower hofft, kontrollieren im Hintergrund irgendwelche Apps, ob man sich auch gesund ernährt, sich genug bewegt und das Gerät achtsam wieder ausschaltet. Bevor man essen geht, checkt man erst mal, wie der Laden im Netz bewertet worden ist. Und auf der Restauranttoilette liest man Arbeitsmails.

Wer heute in seinen Zwanzigern oder Dreißigern ist, hat früh das Ziel verinnerlicht, möglichst selbstbestimmt und flexibel durchs Leben zu gehen. So wird man beruflich erfolgreich. So erlebt man in seiner Freizeit spannende Dinge. So kommt man weit herum. Kein Wunder also, dass im Zweifel lieber noch etwas abgewartet wird mit der Familiengründung. Alle Konstanten des Alltags werden andauernd hinterfragt. Ob Arbeit, Partnerschaft oder Wohnort – was ist schon endgültig? Geht das nicht irgendwie besser, kann man da noch was pimpen?

Seit vielen Jahren steigt das Durchschnittsalter der Eltern bei der Geburt ihres ersten Kindes. Momentan sind Mütter im Schnitt 30 Jahre alt und Väter 33.5 Nicht nur zeitlich rückt die Familiengründung nach hinten. Immer mehr Paare entscheiden sich bewusst für ein Leben ohne Kinder. »Man kann auch ohne Kinder glücklich sein« – 2012 stimmte dieser Aussage nur ein Drittel der Frauen zu. 2020 waren es bereits mehr als die Hälfte.6

Die äußeren Turbulenzen

Krisen, Kriege, Klimawandel – die Lebensbedingungen verändern sich rapide und einschneidender, als es vor ein, zwei Jahrzehnten denkbar war. Und in diese verrückte Welt soll man nun ein Kind setzen? Das würde ja bedeuten, sich all diesen Ungewissheiten zu stellen …

Wie soll man sich als Paar die Familienaufgaben aufteilen? Ist die Verantwortung auch allein zu stemmen? Woher einen Kita-Platz nehmen? Wird das Leben im Jahr 2050 noch lebenswert sein? Können die Kleinen von heute morgen noch unbeschwert für ein Jahr zum Schüleraustausch nach Kanada gehen oder sich das Wohnen in einer Großstadt leisten? Werden all die Kataststrophen die Menschen irgendwie klüger, solidarischer, stärker machen? Oder muss man das Gegenteil befürchten?

Einmal gestartet, kommt man aus so einem Sorgenkarussell manchmal nur schwer wieder heraus. Die Gedanken drehen sich im Kreis. Doch mal nüchtern betrachtet: Missliche Umstände gab es schon immer. Und trotzdem wurden Kinder geboren. Während man heutzutage am liebsten alles kontrollieren will, pflegten frühere Generationen allerdings ein schicksalhafteres Verhältnis zum Leben. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig. Im Deutschen Kaiserreich etwa erlebte ein Viertel der Kinder den ersten Geburtstag nicht, weitere erreichten nie das Erwachsenenalter. Noch 1938 starben 60 von 1000 Lebendgeborenen, heute sind es nur noch drei!7 Die gesundheitlichen Bedingungen, unter denen die Menschen noch wenige Generationen vor uns aufgewachsen sind, waren also ungleich schlechter. Das gerät leicht in Vergessenheit, wenn man Nachrichten guckt oder durch Schlagzeilen scrollt und das Unglück der Welt über einen hereinbricht.

Loslassen

Elternwerden ist ein Schritt ins Ungewisse. Immer. Trotz aller medizinischen Fortschritte bleibt eine Schwangerschaft ein unberechenbares Wunder. Modernste Methoden können zwar Krankheitsrisiken kalkulieren (→ siehe auch), aber sie vermögen nicht vorherzusagen, ob ein Kind gesund geboren wird oder nicht. Wie es durchs Leben kommt, ob es diese Welt besser macht oder nicht, ist von unzähligen Faktoren abhängig. Völlig unmöglich, sie vollständig im Griff zu haben als Mutter oder Vater. Sicher ist nur eins: Das Kind wird alles durcheinanderbringen – Gewohnheiten, die Wohnung, jegliche Planung, oft auch die Beziehung …

Man kann immer wieder beobachten, wie Eltern ihr eigenes Optimierungsbestreben auf die Kinder ausdehnen, noch bevor sie geboren sind. Alles muss genau nach Plan laufen. Doch so nachvollziehbar das ist – wir kennen es ja selbst –, man sollte sich da wirklich hinterfragen. Möglicherweise ist diese Art von Perfektionismus nämlich genau das Falsche. Auf welche Welt sollen Kinder denn damit vorbereitet werden? Das Leben ist nicht perfekt.

Am besten überlegt man von Anfang an: Was ist wirklich entscheidend, damit das Kind sich gesund entwickeln kann? Wo kann man getrost loslassen? Welche Dinge lässt man vielleicht sogar geschehen, damit das Kind daran wächst?

In unserer westlichen Welt müssen viele Menschen wieder neu lernen, dass Unsicherheit zum Leben dazugehört. Wenn es gelingt, Störungen als normal zu begreifen und damit umzugehen, wird nicht nur das Familienleben entspannter, man vermittelt Kindern auch eine ganz zentrale Zukunftskompetenz.

Die ersten 1000 Tage

Und – was hat dich so geprägt? Die Streifzüge durch den Wald mit Opa, die Trennung der Eltern, das Outing … Reden wir umgangssprachlich von Prägung, denken wir meistens an Menschen oder Ereignisse, denen wir einen bedeutenden Einfluss auf unseren Lebenslauf beimessen. Dass es neben dieser sozialen Prägung auch eine biologische Prägung gibt, die eine ungeheure Auswirkung auf unser ganzes Leben hat, fasziniert bisher eher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Das Forschungsfeld der Epigenetik ist noch jung, doch die Erkenntnisse zur frühkindlichen Prägung sind brisant. Man kann sie auf eine plakative Formel bringen: Die ersten 1000 Tage sind maßgebend für die Gesundheit und Entwicklung eines Kindes. Sie beginnen spätestens in dem Moment, in dem Samen- und Eizelle miteinander verschmelzen und enden mit dem zweiten Geburtstag. Das Leben, so könnte man sagen, geht also gleich zu Beginn im Mutterbauch schon in die entscheidende Phase.8

Doch was genau ist gemeint mit biologischer Prägung?

Zwei Einflussfaktoren bestimmen darüber, wie gesund ein Mensch durchs Leben geht: die Gene und die Umwelt. Beide kommen von Anfang an miteinander in Berührung. Auf der einen Seite sind da die Erbanlagen des Ungeborenen und auf der anderen Seite die Umwelteinflüsse, denen die Mutter ausgesetzt ist und die sich zum Teil auch auf das Kind übertragen.

Es mag überraschend klingen, doch es ist tatsächlich so: Die Umwelt verändert noch mal etwas an der Möglichkeit der Gene, aktiv zu werden – und zwar dauerhaft. Sie wirkt prägend.9

Genau genommen beginnt diese Prägung allerdings lange vor der Zeugung, denn die Eizelle trägt die werdende Mutter schon ihr ganzes Leben lang in sich. Auch die Spermien sind bereits geprägt durch die väterliche Gesundheit, wenngleich sie immer neu produziert werden. Es bleibt also eine gewisse zeitliche Unschärfe in dem griffigen 1000-Tage-Konzept.

Doch das macht nichts. Schließlich geht es vor allem darum zu verinnerlichen, um welch empfindliche Phase es sich handelt. Rund 80 Prozent der biologischen Prägung im Leben findet bis zum zweiten Geburtstag statt. Nie wieder wächst ein Kind so schnell wie in diesem Zeitraum. Das zunächst unorganisierte Gehirn bildet eine Vielzahl von Verbindungen und Synapsen aus. Und bei jedem dieser Schritte können prägende Ereignisse wirksam werden.

Aus dem Biologieunterricht dürfte bei den meisten hängen geblieben sein, dass das Erbgut aus der sogenannten DNA (auf Deutsch: Desoxyribonukleinsäure, DNS) besteht. Wer erinnert sich nicht an die Abbildung der in sich verdrehten Leiter, der Doppelhelix? An diesen kleinen Bausteinchen, aus denen sie sich zusammensetzt, können Umwelteinflüsse Veränderungen vornehmen. Die Ernährung zum Beispiel kann sich positiv auswirken und Krankheitsrisiken senken, sofern sie ausgewogen ist. Sie kann aber auch negative Folgen haben, etwa wenn ein Überangebot an Zucker die Erbanlagen verändert und dadurch das Risiko für Zivilisationskrankheiten steigt (→ siehe auch).

Was also kann man tun, um dem ungeborenen Kind gute Grundbedingungen für den Start ins Leben zu schaffen? Diese Frage folgt unmittelbar aus den jüngsten Erkenntnissen der Forschung. Wie so oft ist mehr Wissen hier Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, wenn dadurch Krankheitsrisiken verringert werden können. Aber auch ein Fluch, wenn es einem jede Leichtigkeit raubt und die ständige Sorge beschert, dass irgendetwas nicht optimal läuft.

Die Lösung, die wir hier und in den folgenden Kapiteln vorschlagen, ist zu differenzieren. Es gibt Dinge, die in dieser sensiblen Lebensphase dauerhaft Schaden anrichten können. Und es gibt Dinge, die zwar einen gewissen Einfluss haben – aber keinen, bei dem es sich lohnt, sich verrückt zu machen. Am Ende schadet das mehr, als es nützt.

Eine Schwangere, die mitten in der Großstadt wohnt, atmet schlechtere Luft ein als eine werdende Mutter auf dem Land. Das ist nun mal so. Wer Vollzeit in einem belastenden Job arbeitet, hat einen anderen Stresspegel als jemand, für den während der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot gilt. Doch mal abgesehen davon, dass der weibliche Körper schlaue Wege dafür gefunden hat, das ungeborene Kind vor Stresshormonen zu schützen (→ siehe auch): Manche Dinge sind schwerlich zu beeinflussen. Und zum Leben gehört von Anfang an auch, eine gewisse Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Letztlich muss sich der Organismus ja an die real existierenden Bedingungen anpassen.

Es klingt grausam, aber ein Kind kann im Mutterleib sogar lernen, dass es nicht genügend Nährstoffe gibt. Das Kind wird dann kleiner und seine Gene werden darauf geprägt, mit weniger Kalorien auszukommen. Dazu gibt es Studien, zum Beispiel aus den Niederlanden und aus Leningrad, wo während des Zweiten Weltkriegs bittere Hungersnöte herrschten. Die Kinder wurden dort pränatal auf die Mangelsituation, in die sie hineingeboren wurden, vorbereitet.10 Ungünstige Umstände können ein Kind so prägen, dass es im weiteren Leben ungünstige Umstände besser meistern kann. Das kann überlebenswichtig sein.

Von solchen Extrembeispielen sind wir hierzulande weit entfernt, doch auch in unserem Alltag herrschen keine Idealbedingungen. Darum ist es nicht ratsam, sie während der Schwangerschaft künstlich herzustellen.

Gut vorbereitet: Folsäure statt Fassbier

Das Wichtigste vorweg: Unter uns befinden sich jede Menge gesunde, lebensfrohe Menschen, die völlig ungeplant auf die Welt gekommen sind. Aus einem Kind kann also durchaus etwas werden, wenn Eltern sich vor der Schwangerschaft und währenddessen nicht streng an jede Empfehlung gehalten haben. Das sei hier einmal betont, denn es kursieren ja epische Listen mit Ratschlägen für werdende Eltern. Da kann man schon mal den Eindruck bekommen: Wie ich’s auch anstelle, ich mach bestimmt etwas falsch. Und das ist eigentlich kein gutes Gefühl, wenn man gerade dabei ist, Verantwortung für einen kleinen Menschen zu übernehmen.

Sich gut auf eine Schwangerschaft vorzubereiten soll Stress vorbeugen, nicht zusätzlichen Stress verursachen. Und vieles kann man auch noch positiv für das Baby beeinflussen ab dem Tag, an dem man weiß, dass man schwanger ist.

Nahrungsergänzung

Allen Frauen mit Kinderwunsch wird empfohlen, Folsäure einzunehmen. Das Vitamin ist wichtig für die Neubildung und Teilung von Zellen. Idealerweise beginnt man mit den Tabletten bereits vier Wochen vor dem Start der Schwangerschaft. Exaktes Timing ist in diesem Fall logischerweise schwierig. Das ist nicht weiter schlimm. Wenn man die Folsäure über einen längeren Zeitraum einnimmt, passiert nämlich gar nichts. Was der Körper zu viel hat, scheidet er über den Urin wieder aus. Beim ungeborenen Kind hilft das Vitamin, die Wirbelsäule besser zu verschließen, sodass die Wahrscheinlichkeit für ein offenes Rückenmark abnimmt. Handelt es sich um eine ungeplante Schwangerschaft, beginnt man mit der Folsäure-Zufuhr eben ab dem Zeitpunkt, zu dem sie bekannt ist.11

Zusätzlich Jod einzunehmen ist häufig ebenfalls sinnvoll. Die Menge hängt allerdings davon ab, wo man wohnt und wie man sich ernährt. Es macht einen großen Unterschied, ob man in einem Jod-Mangelgebiet irgendwo in einem bayerischen Tal lebt oder ob man jeden Tag Seeluft atmet und Fischbrötchen mampft. Eine zu hohe Dosis des Elements ist auf Dauer nicht ganz harmlos, darum sollte man die Menge mit der Frauenärztin oder dem Frauenarzt absprechen.

Es gibt einige weitere Nahrungsergänzungsmittel wie Omega 3 oder Vitamin D, zu denen schwangeren Frauen unter bestimmten Bedingungen geraten wird – etwa wenn sie keinen Fisch essen oder nicht oft genug in die Sonne kommen. Informieren kann man sich dazu etwa auf der Homepage www.gesund-ins-leben.de. Die ärztliche Rücksprache ersetzt das nicht.

Kombi-Präparate, wie sie in Apotheken häufig angeboten werden, sind aus Dosierungsgründen nicht zu empfehlen. Sie gerieren sich als Rundum-sorglos-Pakete, sind es aber nicht.

Suchtmittel

Das Kapitel Alkohol und Zigaretten könnte man sehr kurz abhandeln: Beides schadet dem ungeborenen Kind im Bauch extrem, beides wirkt sich langfristig auf sein Leben aus. Beides beeinflusst die Fruchtbarkeit negativ. Beides kann man oft schwer von einem auf den anderen Tag weglassen. Darum ist es äußerst sinnvoll, mit dem Rauchen und Trinken von dem Moment an aufzuhören, in dem man schwanger werden möchte.

So viel zur Theorie. In der Wirklichkeit ist das oft gar nicht so leicht umzusetzen. Die Gründe haben mit Sucht, Gewohnheiten und einer gelernten Form von Geselligkeit zu tun. Und mal ehrlich: Der Versuch, schwanger zu werden, kann sich über Monate und Jahre hinziehen. Viele Frauen möchten ungern so lange auf all das verzichten. Und wenn das Kind erst mal da ist, wird man ja erst recht nicht mehr so unbeschwert feiern gehen können …

Zum Nikotin ist zu sagen: Der Körper braucht gar nicht so lange zum Entgiften, das geht relativ schnell. Der Rat, möglichst vor der Schwangerschaft damit aufzuhören, resultiert eher daraus, dass der Verzicht auf den Suchtstoff meist schwerfällt. Zudem schränkt Rauchen die Fruchtbarkeit bei Frauen und Männern erheblich ein. Spätestens wenn der Schwangerschaftstest positiv ist, sollte man die Zigaretten weglassen.

Alkohol ist bereits in sehr geringen Mengen ein Gift. Damit stellt er ein großes Problem für das ungeborene Kind dar – vor allem für seine Nervenentwicklung, doch auch für viele andere Körperfunktionen. Hier gilt es, kein Risiko einzugehen: Wer schwanger sein könnte, sollte nichts mehr trinken. Und zwar gar nichts. Erst noch entspannt den positiven Schwangerschaftstest abzuwarten ist keine Option.

Alkohol kann problemlos jede Grenze im Körper überwinden. Die kleinen Mikroteilchen dringen sofort überall ein, in die Gleichgewichtsorgane zum Beispiel, darum wird uns ja schwindelig, wenn wir zu viel getrunken haben. Sie gelangen auch in jede Zelle des Fötus. Unser Körper hat zwar Mechanismen gefunden, den für ihn unnatürlichen Stoff abzubauen, aber zunächst ist er erst mal in uns. Und in den Stunden, in denen der Alkohol sich in einer Körperzelle befindet, richtet er Schäden an. Angenommen er randaliert in einem Mini-Baustein, der sich noch Tausende Male teilen muss, weil da gerade ein neuer Mensch zusammengebaut wird, bedeutet das: Der Schaden wird ebenfalls Tausende Male reproduziert und breitet sich nach dem Schneeballprinzip aus.

Im schlimmsten Fall kommt das Kind mit einem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) zur Welt, das mit Fehlbildungen und einer verzögerten und gestörten Entwicklung einhergeht. Ausschließen lassen sich diese Gefahren nur durch den konsequenten Verzicht auf Alkohol zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft.

Damit ist übrigens nicht gemeint, dass man keine überreife Banane mehr essen darf. Auch der Restbestand in alkoholfreiem Bier ist kein Problem, solange man keinen ganzen Kasten trinkt. Solche wirklich minimalen Alkoholmengen sind gewissermaßen natürlich – darauf ist unser Körper seit Millionen Jahren vorbereitet.

Impfungen

Wer vorhat, seinen Kinderwunsch zu verwirklichen, sollte vorher zur Hausärztin, um den Impfstatus zu checken und zu aktualisieren. Das gilt nicht nur für die Mutter in spe, sondern ausdrücklich auch für die Person, die mit ihr zusammenlebt.

Einige Krankheiten können das Ungeborene im Bauch schwer schädigen, weshalb die Impfungen vor der Schwangerschaft vervollständigt werden sollten. Dazu zählen vor allem die Röteln. Krankheiten wie Masern oder Windpocken können in den ersten Lebenswochen sehr kritisch für einen Säugling werden. Das gilt übrigens auch für Keuchhusten, der – das ist vielen nicht bekannt – wieder auf dem Vormarsch ist. Die heutige Elterngeneration ist in der Kindheit gegen Keuchhusten geimpft worden. Die Impfung erzeugt aber keine lebenslange Immunität, sodass der Schutz im Erwachsenenalter nicht mehr ausreichend ist. Hier ist eine erneute Impfung in der Schwangerschaft sinnvoll, da sie den Nestschutz (→ siehe auch) des Babys verbessert.

Medikamente

Welche Wirkstoffe sind mit einer Schwangerschaft vereinbar und welche nicht? Dazu sollte sich jede Frau, die regelmäßig Medikamente einnimmt, frühzeitig ärztlich beraten lassen. Es gibt Substanzen, die für Erwachsene völlig harmlos sind, für das werdende Leben aber ein riesiges Problem darstellen, weil sie die kleinsten sich teilenden Zellen schädigen können. Informieren kann man sich darüber in großen Datenbanken wie www.embryotox.de. Dort oder in der gleichnamigen App ist für jedes einzelne Medikament exakt nachlesbar, welche Konsequenzen die Einnahme in der Schwangerschaft hat.

Partnerarbeit

Das Kind wächst zwar im Bauch der Frau heran, trotzdem ist weder die Vorbereitung noch die Schwangerschaft selbst allein ihre Sache. Was also kann der Partner oder die Partnerin (neben der Kontrolle des eigenen Impfstatus) konkret Gutes für das Baby tun?

Von Suchtmitteln wie Nikotin, Alkohol und Anabolika würde man Männern mit Kinderwunsch allein schon deshalb abraten, weil sie die Fruchtbarkeit einschränken können. Passivrauchen wirkt sich darüber hinaus negativ auf die werdende Mutter und damit auch auf das Kind aus.

Vieles ist eine Frage der Solidarität: Fällt es der werdenden Mutter leichter, ihre Ernährung umzustellen, wenn die Person, die mit ihr zusammenlebt, mitzieht? Sind die Erfolgsaussichten besser, wenn man sich gemeinsam einschränkt? Diese Dinge muss jedes Paar für sich aushandeln – besser früher als später.

Aus der jüngeren Forschung wissen wir, dass auch die Ernährung des biologischen Vaters vor der Schwangerschaft eine Rolle spielt. Seine Lebensgewohnheiten haben einen Effekt auf die Entwicklung des Fötus, da eine Prägung des Erbgutes in den Spermien stattfindet. Wenn der Vater Übergewicht oder Diabetes hat, wirkt sich das auf sein ungeborenes Kind aus. Ein normales Ausgangsgewicht wäre darum ideal, genau wie bei der Mutter (siehe nächstes Kapitel).

Die Macht der Ernährung

Du bist, was du isst. Dieser Spruch gilt heute mehr denn je. Bist du Veganerin oder Flexitarier? Ernährst du dich glutenfrei oder Low Carb? Isst du noch Fleisch oder jetzt erst recht Fleisch? Kaufst du auf dem Biomarkt oder im Discounter ein? Am Essen hängen jede Menge Identitätsfragen.

Ganz neu ist das Phänomen nicht. Vor bald 200 Jahren prägte der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach jenen Satz, der später sprichwörtlich wurde: »Der Mensch ist, was er isst.« Inzwischen kann man ihm eine epigenetische Dimension hinzufügen, denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen heute, dass die Ernährung die Gene maßgeblich mitbeeinflusst.

Ein Beispiel aus dem Tierreich: Ob eine Bienenlarve mal eine Bienenkönigin oder eine Arbeiterin wird, hängt davon ab, was sie frisst. Die Bienenkönigin hat ein sogenanntes Gelée Royale bekommen, nachdem sie aus dem Ei geschlüpft ist. Diese Nahrung enthält Bestandteile, die das Erbgut so prägen, dass sich das Insekt zur Königin entwickelt. Das zeigt, wie wichtig Ernährung sein kann.

Ganz so plakativ kann man den Zusammenhang zwischen Nahrungszufuhr und Entwicklung bei Babys zwar nicht herstellen, doch Fakt ist: Er besteht. Darum ist eine ausgewogene Ernährung besonders in der Schwangerschaft wichtig. Was das bedeutet, ist vielen aber gar nicht so klar. Den ganzen Tag nur grüne Smoothies zu trinken oder Obst zu snacken ist zum Beispiel nicht gesund. Ein Blick auf die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung lohnt sich.12 Denn frei nach Feuerbach könnte man sagen: Der kleine Mensch wird, was der große Mensch isst.

Das prägt!

Konkret gibt es drei Risikofaktoren für das ungeborene Kind, die mit der Ernährung zusammenhängen:

1. ein zu hohes Ausgangsgewicht der Mutter (und des Vaters → siehe auch) vor der Schwangerschaft

2. eine zu starke Gewichtszunahme während der Schwangerschaft

3. eine Mangelernährung der Mutter

Wie wirken sich diese Faktoren aus?

Zunächst kann es sein, dass der Mutterkuchen, also die Verbindungsstelle zwischen dem Ungeborenen und der Mutter, schlechter ausgebildet wird. Wesentlich häufiger passiert es, dass zu viele Nährstoffe von der Mutter übertragen werden. Der kindliche Organismus registriert dieses hohe Kalorienangebot. Dadurch wird das Erbgut, das ja eigentlich von vornherein festgelegt ist, noch einmal verändert und in Teilen überschrieben. Die Gene werden also geprägt durch die belastende, zu kalorienangereicherte Umgebung. Später kann das zu Erkrankungen wie Bluthochdruck, Adipositas und Diabetes führen. Andersherum kann sich auch eine Mangelernährung langfristig auswirken, wenn dem Ungeborenen wichtige Stoffe fehlen, die es für seine Entwicklung braucht.

Was macht man nun mit diesem Wissen?

Das Ausgangsgewicht ist ein etwas heikles Thema, denn üblicherweise sucht sich niemand sein Übergewicht aus. Es gibt dafür vielfältige Gründe, die nur bedingt beeinflussbar sind – und das erst recht nicht kurzfristig. Sich unmittelbar vor der Schwangerschaft mit strikten Diäten runterzuhungern ist nicht zu empfehlen. Besser wäre es, schon ein, zwei Jahre vorher ein angemessenes Ausgangsgewicht anzustreben. Und zwar nicht nur, weil sich das langfristig positiv auf das Kind auswirkt: Zu viele Kilos auf der Waage mindern auch die Fruchtbarkeit und können die Schwangerschaft und die Geburt erschweren.

Doch um realistisch zu bleiben: Viele Frauen starten leichter oder schwerer in eine Schwangerschaft, als es medizinisch wünschenswert wäre. Das ist kein Grund zur Panik! Während der Schwangerschaft kann man noch vieles positiv beeinflussen.

Ermutigend sind in dieser Hinsicht Erkenntnisse, die man aus Versuchen mit Mäusen gewonnen hat: Wurden Mäusemütter vor und während der Schwangerschaft ungesund mit viel zu viel Fett ernährt, entwickelten die Nachkommen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Stellte man die Mäusemütter jedoch mit Beginn der Schwangerschaft auf eine Standardernährung um, kamen ihre Mäuschen völlig gesund zur Welt. Es deutet viel darauf hin, dass sich beim Menschen vergleichbare Effekte erzielen lassen.

Damit sind wir beim nächsten heiklen Thema, der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft. Fast alle werdenden Mütter kennen die Kommentare zu ihrem Bauch, der in den Augen der Mitmenschen meistens zu groß oder zu klein erscheint – gern auch beides an einem Tag. Es nervt!

Hier ein paar nüchterne Fakten dazu: Zunächst muss man einen völlig überholten Glaubenssatz entsorgen, der immer noch kursiert. Du musst doch jetzt für zwei essen … Das ist (leider) Unsinn. Im ersten Teil der Schwangerschaft braucht eine Frau überhaupt nicht mehr Kalorien, denn es findet fast kein Gewichtsaufbau statt beim Kind. Die extremen Frühchen, die manchmal in der Klinik auf der Neugeborenenstation sind, wiegen 300 bis 400 Gramm, wenn sie in der 22. oder 23. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen. Das entspricht gerade mal dem Gewicht von vier Tafeln Schokolade – nach mehr als der Hälfte der Schwangerschaft. Erst am Ende steigt der zusätzliche Energiebedarf der Frauen um etwa 10 Prozent an. Von den Kalorien her ist auch das nicht mehr als ein großes Glas Milch. Dazu kommen das Fruchtwasser und die Anpassungen, die der weibliche Körper etwa bei der Gebärmutter und beim Becken vornimmt.

In Kilogramm ausgedrückt bedeutet das: Normalgewichtige Frauen sollten in der Schwangerschaft etwa zwischen 10 und 16 Kilogramm zunehmen. Wer übergewichtig ist, visiert am besten die untere Grenze an. Wer mit Untergewicht startet, die obere.

Last but not least das wichtige Thema Mangelernährung: Anders als man annehmen könnte, ist diese nicht nur in den Ländern des globalen Südens ein Problem, sondern auch in unseren Breiten. Verursacht wird sie hierzulande meist durch eine nicht sachgerechte vegane Ernährung. Womit wir wieder bei Feuerbach wären: Du bist, was du isst.

Eine wachsende Zahl von Menschen lebt heute vegan. Es sind vor allem viele junge Frauen, die auf jegliche tierische Produkte verzichten, während Vegetarier nur kein Fleisch essen. Für die vegane Ernährungsform gibt es unterschiedliche Gründe. Häufig ist sie Ausdruck einer ethischen Einstellung. Wer keine Tiere isst, möchte verhindern, dass andere Wesen für die eigene Lebensweise sterben oder ausgebeutet werden. Wer tierische Produkte meidet, legt Wert darauf, sorgsam mit den Ressourcen des Planeten umzugehen. Eine Haltung, die allen Respekt verdient hat. Doch die Ausgangssituation verändert sich, sobald man Verantwortung für einen anderen Menschen übernimmt. Einen kleinen Menschen, der noch im Entstehen ist – und der durch eine vegane Lebensweise extrem belastet werden kann.

Schon vor der Schwangerschaft sollten Veganerinnen sich darum Gedanken machen, wie sie essen möchten in dem (begrenzten) Zeitraum, in dem ihr Körper ein Kind miternähren muss. Das Thema ist zu wichtig, als dass man es einfach auf sich zukommen lassen kann. Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Eine vegane Ernährungsweise der Mutter birgt enorme Risiken für das Ungeborene. Aus kinderärztlicher Perspektive ist davon abzuraten. In den Kliniken kommen seit einigen Jahren immer häufiger Kinder zur Welt, die dadurch irreparable Schäden davongetragen haben.

Für das sich entwickelnde Baby im Mutterleib ist die vegane Kost eine Mangelversorgung, die schwere körperliche und geistige Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann. Dem Kind können dadurch eine Reihe von Substanzen fehlen, die es für eine gesunde Entwicklung braucht: Vitamine, Fettsäuren, Zink, Eisen, Kalzium, Jod und Protein. Das Vitamin B12 zum Beispiel ist notwendig für die Gehirn- und Nervenentwicklung. Und das sind nur jene Substanzen, von denen man überhaupt weiß.

Wer es überhaupt nicht mit sich vereinbaren kann, seine Ernährung für die Zeit der Schwangerschaft und gegebenenfalls für die ersten Monate des Stillens umzustellen, sollte sich der Probleme und Risiken bewusst sein. Außerdem ist eine Beratung von qualifizierter Seite unverzichtbar. Eine vegane Ernährung in der Schwangerschaft ist nicht unmöglich, aber äußerst kompliziert. Man muss eine Unmenge von Ersatzstoffen zu sich nehmen, die im Verlauf der neun Monate permanent variieren. Eine engmaschige ärztliche Überwachung ist erforderlich.

Eine gute Anlaufstelle, um sich weiter zu informieren, ist die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Gemeinsam mit der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung gibt sie als D-A-CH auch abgestimmte Empfehlungen für die deutschsprachigen Länder heraus.

Im internationalen Vergleich – das sei zumindest einmal erwähnt – ist die DGE eher konservativ, was ihre Haltung zur veganen Ernährung in der Schwangerschaft anbelangt. Andere Ernährungsgesellschaften, etwa in den USA, in Kanada und auch in Nordeuropa haben mit einer gut geplanten veganen Ernährung weniger Schwierigkeiten. Die Betonung liegt auf gut geplant.

Solange die Studienlage unklar ist, bleibt unsere Empfehlung: Wer es irgendwie vertreten kann, in den Monaten der Schwangerschaft (und in den ersten Monaten der Stillzeit) nicht vegan, sondern vegetarisch zu essen, sollte das tun. Es muss ja nicht jeden Tag sein. Die vegetarische Ernährungsform ist in der Regel mit der Schwangerschaft gut zu vereinbaren.

Vielen werdenden Müttern ist nicht bewusst, wie sehr ihr Ernährungsverhalten das Kind prägt.13 Dieser aus medizinischer Sicht brisante Zusammenhang spielt zu Unrecht eine Nebenrolle, wenn es ums Essen in der Schwangerschaft geht. Im Vordergrund stehen meistens Listen mit genauen Hinweisen für die Frauen, was sie jetzt noch zu sich nehmen dürfen und welche Lebensmittel zu meiden sind. Nicht selten sagen dann die eigenen Mütter: Ich hab das alles gegessen, bei uns wurde nicht so ein Trara gemacht. Die medizinisch korrekte Entgegnung auf solche Lebensweisheiten wäre: Wir wissen es heute eben besser als damals.

Dennoch kann man die Ernährungsempfehlungen insgesamt vereinfachen, wenn man nicht vom einzelnen Produkt ausgeht, sondern sich einmal klarmacht, vor was es sich eigentlich zu schützen gilt. Ziel ist: nichts zu essen, was Krankheitserreger enthalten könnte. Für Erwachsene sind diese zwar oft unproblematisch, für das Kind im Mutterleib bergen sie jedoch Risiken.

Das ist zu meiden!

Toxoplasmen können dazu führen, dass sich bei der Ausbildung der kindlichen Organe Fehler einschleichen oder es zur Entzündung des Gehirns kommt. Die kleinen Erreger tummeln sich gelegentlich auf ungewaschenem Salat oder Gemüse. Auch rohe, geräucherte oder halbgare Wurst- und Fleischwaren, ungekochtes Ei und Rohmilchkäse sollten Schwangere ihretwegen meiden. Es gilt die Faustregel: Roh macht nicht froh!

Ähnliche Probleme wie die Toxoplasmose verursacht übrigens das Zytomegalie-Virus, das durch Speichel übertragen wird – insbesondere von älteren Geschwisterkindern. Für die Zeit der Schwangerschaft sollte man darum besser auf die üblichen Elternhacks verzichten: nicht den gleichen Breilöffel benutzen, keine runtergefallenen Schnuller ablecken, sprich: keinen Speichel austauschen.14

Zu Beginn der Schwangerschaft testet die Frauenärztin, ob man immun gegen diese beiden Erreger ist. Falls ja, hat man eine Sorge weniger. Das heißt aber trotzdem nicht, dass man munter blutige Steaks oder Rohmilchkäse verzehren darf. Es gibt ja auch noch andere Biester: zum Beispiel Listerien, die insbesondere in ländlichen Gegenden rund um Bauernhöfe vorkommen. Diese Bakterien können nach der Geburt schwere Erkrankungen auslösen.

Zum Abschluss noch zwei Hinweise zur Getränkekarte:

Während Substanzen wie Alkohol und Nikotin tabu sind, ist Koffein kein Problem für die Entwicklung des Babys. Der Kaffee- oder Schwarzteekonsum sollte allerdings im Rahmen bleiben, die Empfehlung lautet: nicht mehr als zwei Tassen täglich. Für Cola gilt Ähnliches, allerdings muss man da zusätzlich den enormen Zuckergehalt im Auge behalten.

Insgesamt bitte nicht zu viel trinken. Für Schwangere sind wie für alle Erwachsenen 1,5 bis 2 Liter täglich vollkommen ausreichend. Gelegentlich liest man anderslautende Empfehlungen, doch zu viel Flüssigkeit kann zu einer echten Gefahr werden. In der Klinik kommen gelegentlich Babys mit Krampfanfällen oder einer Gehirnblutung zur Welt, deren Mütter kurz vor der Geburt solche Unmengen Wasser getrunken haben, dass die Blutsalze verdünnt wurden.

Jenseits dieser klaren Empfehlungen sollte man in der Schwangerschaft mit gesundem Menschenverstand an den Kühlschrank oder die Süßkramschublade gehen. Eine ausgewogene Ernährung ist das Ziel, ein paar Chips oder ein Spaghettieis sind kein Drama. Grundsätzlich gilt bei diesen Dingen: Die Dosis macht die Wirkung.

Sport und seine Grenzen

Der Alltag geht weiter, auch in der Schwangerschaft. Es ist nicht nötig und sogar kontraproduktiv, jede Anstrengung zu vermeiden. Lange lautete die Devise: Schonung! Bloß kein Stress! Heute aber wissen wir, dass mentaler Stress allein – sei es durch die Arbeit oder durch die Schwangerschaft selbst – kein Risiko für das heranwachsende Kind im Bauch darstellt. Wundersamerweise hat der Mutterkuchen eine Art Schranke eingebaut: Das Stresshormon Cortisol wird dort umgewandelt in ein inaktives Hormon und tritt üblicherweise nicht auf das Ungeborene über. Das ist nicht als Aufforderung zu verstehen, lebensumwälzende Ereignisse in die 40 Wochen der Schwangerschaft zu legen, aber durchaus eine Ermutigung zur Normalität: Niemand muss in Watte gepackt werden.

Das gilt auch fürs Thema Sport. Studien belegen, dass sich regelmäßige Bewegung in der Schwangerschaft äußerst positiv auswirkt – auf das Wohlbefinden der Mutter und auf das Ungeborene. Die gesunde Lebensweise überträgt sich: Das Kind hat dadurch ein geringeres Risiko, im späteren Leben an den typischen Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes zu erkranken.15 140 Minuten Sport in der Woche senken das Risiko für Komplikationen wie einem Schwangerschaftsdiabetes (→ siehe auch) im Schnitt um 25 Prozent – das ist nachgewiesen.

Wenn wir von Sport reden, meinen wir hier moderate Bewegung: Fahrradfahren, Joggen, Schwimmen. Es ist keine Empfehlung, sich komplett auszupowern. Auch von Kontaktsportarten, bei denen man starke Stöße abbekommen kann, ist abzuraten.

Mit der Zeit werden Schwangere von Natur aus unbeweglicher und tendieren dann dazu, Aktivitäten entsprechend zu reduzieren. Da geht es Menschen genauso wie Mäusen, bei denen man gut beobachten kann, wie die Bewegungsfreude im Laufe ihrer 21-tägigen Schwangerschaft abnimmt. Am Anfang flitzen sie noch ihre zehn Kilometer am Tag im Laufrad. Aber nach zehn, zwölf Tagen laufen sie immer weniger.16

Menschenmütter dürfen es gern genauso halten. Gut ist: sich weiterhin regelmäßig zu bewegen und entspannt spazieren zu gehen. Schlecht ist: sich unter Druck zu setzen und sich durch die alte Joggingrunde zu quälen.

Eine Sorge, die viele werdende Mütter haben, ist übrigens unbegründet. Das Hin- und Herwackeln im Mutterleib beim Sport erhöht das Risiko einer Frühgeburt nicht, das belegen eine Reihe von Untersuchungen. Im Gegenteil: Wer mit Übergewicht in eine Schwangerschaft geht, kann dieses Risiko durch Bewegung sogar vermindern.

Das gläserne Baby

Kann man heute noch einfach guter Hoffnung sein? Oder ist diese schöne Umschreibung einer Schwangerschaft in Zeiten der Pränataldiagnostik hoffnungslos veraltet?

Selbst in frühen Phasen der Schwangerschaft ist es inzwischen möglich, sehr viel über das entstehende Leben zu erfahren. Ein paar Tropfen Blut der Mutter reichen aus, um genetische Veränderungen des Fötus zu entdecken. Welche Chancen und welche Risiken birgt das für werdende Eltern, für die zukünftigen Kinder, für uns alle? Das sind Fragen, mit denen sich nicht nur der Deutsche Ethikrat regelmäßig befassen muss. Sie stellen auch Paare und Familien vor Herausforderungen, die noch vor Kurzem undenkbar waren, als man schlicht nicht hineingucken konnte in den Bauch.

Heute gibt es im Wesentlichen zwei Wege, um sich ein Bild des Ungeborenen zu machen. Auf der einen Seite sind da die Ultraschalluntersuchungen, die fest in den Mutterschaftsleitlinien verankert sind. Das Verfahren hat in den vergangenen 20, 30 Jahren große Sprünge gemacht. Beispielweise ist nun bereits sehr früh erkennbar, ob da ein Mädchen oder ein Junge heranwächst. Vor Ablauf der 13. Schwangerschaftswoche dürfen Ärzte diese Entdeckung allerdings nicht mitteilen, um zu verhindern, dass Eltern aufgrund des Geschlechts einen Schwangerschaftsabbruch erwägen.

Die Sonografie allein rechtfertigt jedoch nicht den Begriff vom »gläsernen Baby«. Mittels Ultraschall können Herzfehler oder Fehlbildungen der Organe mitnichten exakt erkannt werden. Die Aufnahmen geben also keinen sicheren Aufschluss darüber, welche Probleme nach der Geburt entstehen können. Trotzdem sind sie fixer Bestandteil der Schwangerschaftsvorsorge, denn sie liefern wertvolle Anhaltspunkte. Kommt dabei etwa ein Verdacht auf einen Herzfehler heraus, ist es ratsam, an einem Zentrum zu entbinden, das auf Herzerkrankungen bei Neugeborenen spezialisiert ist.

Auch in anderen Fällen ist der Ultraschall unmittelbar relevant. Etwa wenn er ein Problem offensichtlich macht, das bereits im Mutterbauch behandelt werden kann. Ein Beispiel: In einer Zwillingsschwangerschaft, in der sich zwei heranwachsende Kinder den Mutterkuchen teilen, kann es vorkommen, dass sich eines die gesamte Nährstoffversorgung sichert, während das andere leer ausgeht. Fällt diese Laune der Natur – hier geht es noch nicht um Geschwisterkonkurrenz – im Ultraschall auf, kann der Mutterkuchen mit einem speziellen Laser geteilt werden, sodass das unterversorgte Kind auch zum Zuge kommt.

Neben solchen ernsten Situationen sind die drei großen Ultraschalluntersuchungen für werdende Eltern vor allem deswegen aufregend, weil sie ihnen das abstrakte Wunder nahebringen, das sich im Bauch der Mutter vollzieht. Nicht selten warten Familie, Freundinnen und Kollegen gespannt auf die neuesten Aufnahmen aus dem Babyfernsehen. Sie werden ja auch immer besser. Seit einigen Jahren gibt es 3D- und 4DUltraschalls, die erstaunlich genaue Bilder liefern, an denen sich die Geister jedoch scheiden. Die einen lieben sie, weil dadurch ihre Verbindung zum Baby gestärkt wird. Die anderen empfinden sie als Entzauberung dieser geheimnisvollen Zeit im Mutterbauch. Tatsache ist: Seit 2021 ist der 3D-Ultraschall nur noch zu medizinischen Zwecken erlaubt. Nicht weil von dem bildgebenden Verfahren eine Gefahr für das Baby ausgeht, sondern weil man zunehmend kommerziellen Anbietern einen Riegel vorschieben wollte. Das Babyfernsehen zu Unterhaltungszwecken gibt es also nur noch, wenn die Frauenärztin bereit ist, sich einen triftigen Grund dafür auszudenken.

Der zweite Weg, das Baby im Bauch zu durchleuchten, ist die molekulare Genetik. Die Forschungserfolge auf diesem Feld waren in den vergangenen Jahren gigantisch. Ein paar Tropfen Blut der Mutter, ein Stückchen aus der Plazenta oder eine Fruchtwasseruntersuchung reichen inzwischen aus, um genau bestimmen zu können, ob das Ungeborene einen Gendefekt hat. Trisomie 21 etwa ist durch einen nichtinvasiven Pränataltest (NIPT) feststellbar. Auch viele andere Erkrankungen sind relativ früh im Mutterleib bestimmbar.

Doch so atemberaubend diese Erkenntnismöglichkeiten erscheinen: Die Tests können die schwerwiegende Entscheidung für oder gegen das Leben eines Kindes nach sich ziehen. Oftmals überlegen sich werdende Eltern vorher nicht ausreichend, was für sie aus den Ergebnissen folgen könnte. Dazu kommt, dass bei den Tests auch Erbgutveränderungen festgestellt werden, bei denen völlig unklar ist, ob sie jemals eine Konsequenz haben. Die Gefahr ist groß, dass man sich unnötig sorgt und womöglich die falschen Schlüsse daraus zieht. Muss Plazentagewebe oder Fruchtwasser entnommen werden, birgt das zudem das Risiko, dass es zu einer Fehlgeburt kommt.

Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich also aus gutem Grund immer wieder mit den Pränataltests. Ein Dilemma, auf das er aufmerksam macht, ist: Je breiter untersucht wird, umso mehr Daten werden generiert, die schwer interpretierbar sind und deren klinische Relevanz nicht eingeschätzt werden kann.17 Die Befunde, die aus einem Gentest entstehen, sind heikel, auch weil sie viele Fragen offenlassen.

Unser Rat an werdende Eltern ist, hier nicht zu sehr voranzupreschen und zu fragen: Begrüßen die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte diese Untersuchung überhaupt? Aus welchem Grund?18

Klar zu empfehlen sind alle Vorsorgeuntersuchungen, durch die man positiv etwas für das Baby im Bauch bewirken kann. Bei allen anderen Untersuchungen sollte man sich vorher fragen, welche Konsequenzen man bereit wäre zu ziehen. Obwohl es heute prinzipiell möglich ist, sehr viel über das Baby zu erfahren, gibt es gute Gründe zu sagen: Wir wollen es lieber gar nicht so genau wissen. Wenn ein Schwangerschaftsabbruch ohnehin gar nicht infrage käme, ist es womöglich besser, sich nicht einem irritierenden Ergebnis und einer weiteren Diagnostik auszusetzen, sondern weiterhin guter Hoffnung zu bleiben.

Schwangerschaftskomplikationen

Im eigenen Körper nicht mehr allein zu sein ist für viele Frauen ein unvorstellbares Gefühl. Auf einmal hat man einen kleinen Mitbewohner, der vollkommen von einem abhängt. Auch medizinisch gesehen ist eine Schwangerschaft hoch spannend: Da ist die Mutter, deren Körper sich darauf einstellen muss, ein kleines Wesen rundum zu betreuen. Und da ist das Kind, das ja nicht nur Teil der Mutter ist, sondern auch Teil des biologischen Vaters. In ein und demselben Körper befinden sich zwei Individuen mit unterschiedlichen Immunsystemen, die sich nicht immer vertragen.

Dem mütterlichen Körper muss es einerseits gelingen, das Kind gut zu versorgen, andererseits muss er verhindern, dass es abgestoßen wird oder es der Mutter Schaden zufügt. In diesem komplexen Wechselspiel kommt es gelegentlich zu Schwierigkeiten.

Eine Komplikation kann aufseiten der Versorgung entstehen: Nämlich dann, wenn die Mutter eine Stoffwechselerkrankung entwickelt, einen sogenannten Schwangerschafts- oder Gestationsdiabetes.

Eigentlich wird die Versorgung durch die Plazenta gesichert, die Mutter und Kind gemeinsam ausbilden. Durch dieses wichtige Organ überträgt die Mutter die Nährstoffe auf das Kind und übernimmt Gifte, die im kindlichen Körper entstehen, um diese über ihre Niere oder ihre Leber auszuscheiden. Entscheidend ist, dass die Mutter die richtigen Nährstoffe übergibt – ausgeglichene Zucker, Fette, Vitamine, ausgeglichenes Eiweiß und so weiter. Ausgeglichen heißt in dem Fall: So, wie diese Stoffe bei einem gesunden Menschen normalerweise im Körper vorkommen.

Dieser Prozess geht schief, wenn durch einen Diabetes der Mutter zu viel Zucker an das ungeborene Kind weitergegeben wird. Dann wächst das Kind stärker und produziert mehr Insulin, um den Zucker zu verarbeiten und den Körperzellen zur Verfügung zu stellen (→ siehe auch). In der Folge wird es dicker und trägt mitunter Organschäden davon. Auch nach der Geburt kann es Probleme geben. Bleibt der mütterliche Zucker nämlich dann auf einmal aus, kommt es zu einer Unterzuckerung, die sich zum Beispiel in Krampfanfällen äußern kann.

Um diese Komplikation zu vermeiden, werden die Blutzuckerwerte von Schwangeren regelmäßig kontrolliert. Ein Zuckerbelastungstest hilft zusätzlich, Risiken einzuschätzen. Wenn die Gefahr einer Blutzuckererkankung tatsächlich besteht, kann man rechtzeitig mit diätetischen Maßnahmen oder Insulin gegensteuern, um die Übertragung auf das Kind zu vermeiden. Nach der Schwangerschaft pegelt sich der Blutzucker der Mutter gewöhnlich wieder auf ein Normalmaß ein.

Eine weitere Komplikation ist die Schwangerschaftsvergiftung, Mediziner sprechen von Präeklampsie. Diese Erkrankung hängt damit zusammen, dass das Kind im Bauch in Teilen ein fremdes Wesen ist. Sie zeigt sich in hohem Blutdruck und vermehrter Eiweißausscheidung im Urin der Mutter. Auf beides wird in den Vorsorgeuntersuchungen geachtet, um etwaige Probleme frühzeitig zu erkennen. Auf Dauer können sich sonst die Blutgefäße verändern, vor allem auch jene im Mutterkuchen. Dadurch wird das Ungeborene nicht mehr richtig versorgt, es bleibt zu klein und zu leicht. Wird die Präeklampsie nicht behandelt, endet sie bei der Mutter schlimmstenfalls in Krampfanfällen bis hin zum Koma. Die genauen Ursachen für ihre Entstehung kennt man noch nicht.

Da die Krankheit aus einer fehlgeleiteten Kommunikation zwischen eigenem und fremdem Gewebe resultiert, ist die einzig nachhaltige Behandlung hier, das Kind zur Welt zu bringen. Meistens tritt sie im zweiten oder dritten Trimester der Schwangerschaft auf. Da gilt es sehr genau zu gucken, dass man den richtigen Moment abpasst. Einerseits darf die Frühgeburt dem Kind nicht zu sehr schaden, andererseits muss auch die Mutter entlastet werden, in der sich unterschiedliche Gewebe bekämpfen. Häufig sind die Symptome jedoch gar nicht so stark und es genügt, den erhöhten Blutdruck zu behandeln, bis das Kind reif genug ist.

Hauptsache natürlich? Die Geburt

Fast ein Drittel der Kinder kommen heute in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt. Zwei Drittel werden auf natürlichem Wege geboren.19 In dem Wort »natürlich« schwingt gewissermaßen mit, dass die Entbindung per chirurgischem Eingriff unnatürlich ist, irgendwie schlechter, eine Geburt zweiter Klasse. Umfragen zeigen, dass viele Mütter, die ursprünglich spontan gebären wollten, damit hadern, wenn es doch ein Kaiserschnitt wurde.20 Sie sorgen sich um die Gesundheit des Kindes und empfinden Schuldgefühle. Dabei macht die Statistik es ja deutlich: Beide Geburtsformen sind inzwischen normaler Alltag. Beide sind auf ihre Art ein Wunder – und genau so sollte man sie auch behandeln. Eine Sectio caesarea, wie der Eingriff im Fachjargon genannt wird, kann Leben retten. Sie ist kein Makel, sondern ein Fortschritt.

Neben dem Mythos der natürlichen Geburt gibt es allerdings auch die Legende vom entspannten Wunschkaiserschnitt, der im Gegensatz zur vaginalen Entbindung perfekt planbar, schmerzfrei und unkompliziert sein soll. Dieses Versprechen ist so nicht haltbar, denn es unterschlägt die Nachteile einer Sectio-Geburt. Es ist aber ein Teil der Erklärung dafür, dass sich hierzulande die Zahl der Kaiserschnitte in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt hat. Auch weltweit beobachtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steigende Kaiserschnittraten. In einzelnen Ländern kommen bereits mehr Kinder per Sectio zur Welt als durch eine spontane Geburt. Die WHO sieht das kritisch. Denn wenn es keine medizinische Notwendigkeit für einen Kaiserschnitt gibt, kann er für Frauen und Babys unnötige Gesundheitsprobleme mit sich bringen.21

So weit also der gesellschaftliche Rahmen, in dem sich werdende Eltern heute befinden. Um die Entscheidung für die Geburtsart und den Geburtsort persönlich gut treffen zu können, empfehlen wir, sich von ideologischen Diskussionen möglichst freizumachen und sich auf drei Fragen zu konzentrieren:

– Was spricht für welche Art der Geburt?

– Wo kann das Kind sicher auf die Welt kommen?

– In welchen Fällen wird einem die Entscheidung abgenommen?

Zur Erinnerung: Wir argumentieren auch beim Thema Geburt aus einer kinderärztlichen Perspektive. Nicht immer muss die Entscheidung, die im Sinne des Babys empfehlenswert ist, sich für die werdenden Eltern, in dem Fall vor allem für die Mutter, auch am besten anfühlen. Im Zweifel gilt es, diese Argumente abzuwägen – in Kenntnis der Risiken.

Was spricht für welche Art der Geburt?

Angenommen die Schwangerschaft ist unkompliziert verlaufen, es gab weder große Komplikationen, noch bestehen besondere Risikofaktoren für Mutter und Kind: Dann ist der beste Weg auf die Welt für das Kind durch den Geburtskanal. Warum? Erstens wird dadurch die Entfernung des Fruchtwassers aus der Lunge des Kindes begünstigt, was das eigenständige Atmen nach der Geburt deutlich erleichtert. Zweitens wird die Milchproduktion der Mutter angeregt. Drittens gehen viele Wissenschaftler davon aus, dass das Kind unterwegs die Bakterienflora der Mutter aufnimmt. Das klingt vielleicht nicht so schön, aber die meisten Bakterien sind gute Begleiter. Sie wandern in den Darm des Kindes und vermehren sich dort. Wir alle brauchen die Bakterien, die unseren Darm besiedeln. Sie helfen uns beispielsweise bei der Vitamingewinnung und bei der Zersetzung von Nahrungsmitteln. Wichtig zu erwähnen ist allerdings, dass eine neuere Studie berechtigte Zweifel hegt, ob die spontane Geburt für die Aufnahme der Bakterien wirklich so entscheidend ist. Es bleibt abzuwarten, was sich am Ende als richtig erweist. Doch es gibt auch noch weitere positive Effekte des Geburtsstresses für das Baby.

Es können während der Geburt allerdings auch Situationen entstehen, in denen es überhaupt nicht vorangeht oder in denen Mutter und/oder Kind sehr belastet sind. In diesen Fällen ist es in Absprache mit dem Geburtshelfer möglich, sich für einen Kaiserschnitt zu entscheiden. Damit sich eine solche Planänderung während der Geburt hinterher nicht wie ein Scheitern anfühlt, ist es ratsam, dieses Szenario bereits vorher einmal durchzuspielen.

Manche Mütter wünschen sich von vornherein eine Geburt per Sectio, was prinzipiell möglich ist. Ein Wunschkaiserschnitt sollte aber auf keinen Fall vor der 39. Schwangerschaftswoche gemacht werden. Eine frühere Entbindung ist immer mit einem Erkrankungsrisiko für das Neugeborene verbunden. Das sollte man nicht eingehen, nur damit der Sohn noch Löwe statt Jungfrau wird oder die Tochter an Weiberfastnacht das Licht der Welt erblickt. Hat es alles schon gegeben …

Wo kann das Kind sicher auf die Welt kommen?

Diese Frage kann zum abendfüllenden Programm werden, besonders in Großstädten. Die meisten Kliniken bieten inzwischen Infoabende für werdende Eltern an, bei denen man Kreißsäle besichtigt und das medizinische Personal Rede und Antwort steht. Auch Geburtshäuser öffnen regelmäßig ihre Türen.

Bei solchen Gelegenheiten werden viele Detailfragen zur Zahl der Gebärwannen, dem Einsatz von Lachgas und den Farben an der Wand gestellt. Doch die machen eher für die werdenden Eltern als für das Kind einen Unterschied. Pauschal gilt: Wenn keine besonderen Risiken zu erwarten sind, ist jede Geburtsklinik in der Lage, das Kind unter der Geburt und danach gut zu versorgen und zu begleiten.