Grundlagen der Rechtsmedizin - Wolfgang Huckenbeck - E-Book

Grundlagen der Rechtsmedizin E-Book

Wolfgang Huckenbeck

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Beschreibung

Rechtsmediziner sind "Mittler zwischen Medizin und Recht". Sie werden als Sachverständige vom Gericht bestellt oder führen ihre Untersuchungen im Auftrag der Ermittlungsbehörden durch. Ziel ihrer Arbeit ist es, zu gerichtsfesten Beweisen zu gelangen. Hier benötigen sie die Unterstützung von Kriminalisten und Juristen, denn jene sind dafür verantwortlich, am Tat- bzw. Einsatzort alle vorhandenen Ermittlungshinweise zu erkennen und zu sichern. Für eine erfolgreiche Ermittlungsarbeit und Kriminalitätsbekämpfung sind für diese Ermittler sowohl Grundkenntnisse der Rechtmedizin als auch das Wissen um deren Möglichkeiten und Grenzen unverzichtbar. Dieser Lehr- und Studienbrief gibt dem medizinischen Laien einen verständlichen Einstieg und kompakten Einblick in das Gebiet der Rechtsmedizin. Ausgehend von kriminalistischen Fragestellungen behandelt er im Einzelnen: Die Lehre vom Tod (Thanatologie) Natürlicher oder nichtnatürlicher Tod? (Forensische Pathologie) Untersuchung von Gewaltopfern (Klinische Rechtsmedizin) Vergiftungen (Forensische Toxikologie) Zuordnung von Spuren durch DNA-Analyse (Forensische Molekulargenetik) Identifikation unbekannter Personen (Forensische Anthropologie) Alkohol und seine Wirkungen (Forensische Alkohologie) Medikamente und Drogen im Straßenverkehr (Forensische Verkehrsmedizin) Damit erhält der Nichtmediziner über die wichtigsten Teilgebiete aktuelle, übersichtliche und praxisorientierte Informationen. Die medizinischen und naturwissenschaftlichen Hintergründe werden erläutert und weisen den Weg für eine intensivere Einarbeitung in Teilgebiete.

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Seitenzahl: 169

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Lehr- und StudienbriefeKriminalistik / Kriminologie

Herausgegeben vonHorst Clages, Leitender Kriminaldirektor a.D.Klaus Neidhardt, Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei

Band 6Grundlagen der Rechtsmedizin

VonProf. Dr. med. Wolfgang Huckenbeck

VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBHBuchvertrieb

Forststraße 3a • 40721 Hilden • Telefon 02 11 / 71 04-212 • Fax -270E-Mail: [email protected] • www.VDPolizei.de

2. Auflage 2012© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2012

E-Book© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2013

Alle Rechte vorbehalten.Unbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oderstrafrechtlich verfolgt werden.

Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, HildenISBN 978-3-8011-0678-2 (Buch)ISBN 978-3-8011-0688-1 (E-Book)

Besuchen Sie uns im Internet unter:www.VDPolizei.de

Vorwort

Innerhalb der Medizin wird die Rechtsmedizin eher zu den kleinen Fächern gezählt. Wie kein anderes medizinisches Fach sonst, hat die Rechtsmedizin einen interdisziplinären Charakter und nahezu jedes rechtsmedizinische Teilgebiet hat enge Anknüpfungspunkte zu anderen Wissenschaftsbereichen. Meist liest sich dies schon aus den Bezeichnungen: Forensische Pathologie, forensische Molekulargenetik, forensische Toxikologie und forensische Anthropologie. Aber auch andere Fächer werden tangiert: Die Ballistik (die Lehre vom Schuss) beispielsweise liegt der Physik nahe. Nicht zu vergessen und eigentlich die wichtigsten Anknüpfungspunkte bestehen zu der Rechtswissenschaft und der Kriminalistik und Kriminologie. Die Rechtsmedizin versteht sich – insgesamt gesehen – als Mittlerin zwischen Medizin und Recht.

Dies bringt aber Probleme mit sich. Die ärztliche Sprache ist eine höchst eigene. Diese Eigenschaft, verbunden mit fachspezifischen Erklärungsmodellen macht es dem rechtsmedizinischen Laien schwierig, wenn nicht unmöglich, die rechtsmedizinischen Standardwerke im gewünschten Umfang zu verstehen. Hinzu kommt, dass die in den letzten Jahren herausgegebenen Standardwerke – die im Übrigen hervorragend sind – die rechtsmedizinischen Themen für den Juristen und Polizeibeamten/Kriminalisten viel zu umfassend und detailreich beschreiben. Als Nachschlagewerk und zur Vertiefung eines bestimmten Themas sind sie auch für den medizinischen Laien geeignet, als Einblick und Einführung in das Fach aber eher weniger.

Das letzte auf den Kriminalisten zugeschnittene Werk von Rang war der „Naeve“. Die Gerichtliche Medizin für Polizeibeamte entstammt allerdings den Siebziger Jahren und ist damit von der stürmischen technischen Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte in vielen Bereichen förmlich „überrannt“ worden. Hier ein aktuelles Nachfolgewerk zu schaffen, war das Ziel der Herausgeber der vorliegenden Schriftenreihe.

Ich sehe es als eine ehrenvolle Aufgabe an, den Versuch starten zu dürfen und hoffe, mit dem vorliegenden Band eine allgemeinverständliche Einführung in die wichtigsten Teilbereiche der Rechtsmedizin zu geben, wobei es mir am Herzen lag, insbesondere die kriminalistischen Fragestellungen zu beleuchten. Dabei habe ich versucht, die medizinischen und naturwissenschaftlichen Hintergründe zumindest so weit anzusprechen, dass für den tiefer interessierten Leser der Weg zu den rechtsmedizinischen Standardlehrbüchern gebahnt ist.

Mein besonderer Dank gilt Herrn EKHK Wolfgang Thiel vom LKA NRW für die kritische Durchsicht aus Sicht des Kriminalisten.

Der Verfasser

Düsseldorf, im April 2012

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1

Aufgaben und Begriffe der Rechtsmedizin

2

Die Lehre vom Tod (Thanatologie)

2.1

Sichere Todeszeichen

2.1.1

Totenflecke (Livores)

2.1.2

Totenstarre (Rigor mortis)

2.1.3

Autolyse, Fäulnis, Verwesung

2.1.4

Nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen

2.1.5

Hirntod

2.1.6

Unsichere Todeszeichen

2.2

Späte Leichenerscheinungen

2.3

Leichenschau

2.3.1

Ärztliche Leichenschau

2.3.2

Polizeiliche Leichenschau

2.3.3

Krematoriumsleichenschau

2.3.4

Gerichtliche Leichenöffnung

2.3.5

Weiterführende Untersuchungen

2.3.6

Exhumierung

2.4

Leichenbeseitigung

2.5

Leichenzerstückelung

3

Forensische Pathologie

3.1

Der plötzliche und unerwartete natürliche Tod

3.1.1

Der plötzliche Kindstod (SIDS)

3.2

Körperschäden und Tod durch äußere Gewalteinwirkung

3.2.1

Gewaltsame Erstickung

3.2.1.1

Strangulation

3.2.1.1.1

Erhängen

3.2.1.1.2

Erdrosseln

3.2.1.1.3

Erwürgen

3.2.1.2

Erstickung in besonderen Körperlagen

3.2.1.3

Verlegung der Atemwege

3.2.1.4

Innere Erstickung

3.2.2

Der Tod im Wasser

3.2.2.1

Leichenfundort Wasser

3.2.2.2

Ertrinken

3.2.2.3

Befunde an Wasserleichen

3.2.2.4

Der tödliche Tauchunfall

3.2.3

Thermische Schädigungen/Elektrotaumen/Blitzschlag

3.2.3.1

Unterkühlung

3.2.3.2

Hyperthermie

3.2.3.2.1

Schädigung durch Verbrennung und Verbrühung

3.2.3.2.2

Vitale Zeichen

3.2.3.2.3

Rauchgasinhalation

3.2.3.2.4

Postmortale Veränderungen

3.2.3.3

Elektrotraumen

3.2.3.3.1

Befunde bei Stromeinwirkung

3.2.3.3.2

Verhalten am Fundort

3.2.3.3.3

Elektroschockgeräte

3.2.3.4

Blitzschlag

3.2.4

Stumpfe Gewalt

3.2.4.1

Stumpfe Gewalteinwirkung auf Haut und Weichteile

3.2.4.2

Stumpfe Gewalteinwirkung auf Knochen

3.2.5

Scharfe Gewalt

3.2.5.1

Schnittverletzungen

3.2.5.2

Stichverletzungen

3.2.5.3

Hiebverletzungen

3.2.5.4

Todesursachen bei scharfer Gewalt

3.2.5.5

Rechtsmedizinische Aufklärungsmöglichkeiten

3.2.6

Schuss / Explosionen

3.2.6.1

Ballistik

3.2.6.2

Einschuss und Ausschuss

3.2.6.3

Schusskanal

3.2.6.4

Schussentfernungsbestimmung

3.2.6.5

Schusshand

3.2.6.6

Todesursachen beim Schuss

3.2.6.7

Handlungsunfähigkeit

3.2.6.8

Seltene Schusswerkzeuge

3.2.6.9

Explosionen

3.2.7

Verhungern und Verdursten

3.2.7.1

Verhungern

3.2.7.2

Verdursten

3.2.8

Abtreibung

3.2.8.1

Mittel der klassischen Abtreibung (illegal)

3.2.8.2

Todesursachen bei der illegalen Abtreibung

3.2.8.3

Nachweis des Aborts

3.2.9

Autoerotische Unglücksfälle

3.2.9.1

Todesursachen beim autoerotischen Unfall

3.2.9.2

Ermittlungsarbeit beim autoerotischen Unfall

4

Klinische Rechtsmedizin

4.1

Stumpfe Gewalteinwirkung

4.2

Scharfe Gewalteinwirkung und Schuss

4.3

Kindesmisshandlung

4.3.1

Psychische Misshandlung

4.3.2

Vernachlässigung

4.3.3

Körperliche Gewalt

4.3.4

Sexuelle Gewalt gegen Kinder

4.3.5

Münchhausen-Syndrom by proxi

4.4

Selbstschädigung

4.5

Sexualdelikte bei Erwachsenen

5

Forensische Toxikologie

5.1

Spezielle Vergiftungen

5.1.1

Toxische Gase

5.1.2

Anorganische Gifte

5.1.3

Insektenbekämpfungsmittel (Insektizide)

5.1.4

Tierische Gifte

5.1.5

Bakterien- und Pilzgifte

5.1.6

Arzneimittel

5.1.7

Drogen

5.1.7.1

Canabis

5.1.7.2

Opiate

5.1.7.3

K.o.-Tropfen

5.2

Vergiftungszeichen

6

Forensische Molekulargenetik

6.1

Rechtliche Grundlagen

6.2

Individualisierung von Spuren

6.3

Erbsubstanz DNA

6.3.1

Chromosomensatz

6.3.2

Aufbau des DNA-Moleküls

6.4

Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR)

6.4.1

Ablauf der PCR

6.4.2

Biostatistische Auswertung

6.4.3

Mischspuren / spezielle Probleme

6.5

Spurenasservierung

6.5.1

DNA-haltiges Material

6.6

Mitochondriale DNA

6.7

Abstammungsuntersuchung

7

Identifikation (Forensische Anthropologie)

7.1

Altersschätzung am Lebenden

7.2

Lichtbildvergleichsbegutachtung (Fotoidentifikation)

7.3

Identifikation unbekannter Leichen

8

Forensische Alkohologie

8.1

Alkoholaufnahme, -verteilung und -abbau

8.2

Blutentnahme

8.3

Alkoholrückrechnung

8.4

Alkoholbestimmung am Leichnam

8.5

Atemalkohol

9

Forensische Verkehrsmedizin

9.1

Alkohol im Straßenverkehr

9.2

Drogen und Medikamente im Straßenverkehr

9.3

Nulltoleranz

10

Arztrecht

10.1

Unterlassene Hilfeleistung

10.2

Gesetzliche Grundlagen der Berufspflichten

10.3

Ausübung der Heilkunde

10.4

Legitimation ärztlichen Handelns

10.5

Ärztlicher Eingriff

10.6

Dokumentationspflicht

10.7

Schweigepflicht

Literaturverzeichnis

Zum Autor

1 Aufgaben und Begriffe der Rechtsmedizin

Die Begriffe Rechtsmedizin und Pathologie werden häufig verwechselt bzw. als Bezeichnung für ein und dieselbe Fachrichtung verwendet. Das bedarf der Richtigstellung. Auch wenn die forensische Pathologie eine, und zwar die klassische Säule der Rechtsmedizin darstellt, unterscheiden sich beide Fächer grundlegend; in diesem Zusammenhang ist auch einem weiteren Klischee zu widersprechen: dass man sich nämlich nur mit Leichen beschäftige; dies gilt übrigens sowohl für die Rechtsmedizin als auch für die Pathologie.

Die Pathologie beschäftigt sich, wenn es um Leichen geht, mit dem natürlichen Tod aus krankhafter innerer Ursache. Man versucht Krankheitsverläufe zu erforschen, den Erfolg medizinischer Maßnahmen zu überprüfen, aber auch klinische Diagnosen nach dem Tode (postmortem) zu überprüfen oder abzusichern. Gleichzeitig versucht der Pathologe über das Erkennen von Gewebeveränderungen, mittlerweile auch genetischer Veränderungen, Krankheiten genauer zu differenzieren und ihren Verlauf zu erforschen. Damit steht er dem Arzt im Krankenhaus, im Einzelfall auch dem niedergelassenen Arzt zur Seite. Der Rechtsmediziner hingegen hat den natürlichen Tod vom nicht natürlichen Tod abzugrenzen und Letzteren genau zu begutachten. Er steht den Ermittlungsbehörden und den Gerichten zur Seite, er ist ein Mittler zwischen Medizin und Recht.

Die Geschichte der Rechtsmedizin ist älter, als gemeinhin angenommen wird. Wenn man so will, stellt sie die Urzelle wissenschaftlich betriebener Medizin überhaupt dar. Sie bereitete die Grundlage für einen richterlichen Urteilsspruch vor und war daher stets eng mit der Rechtswissenschaft verknüpft. Im Rahmen dieses Kapitels würde eine ausführliche Abhandlung jeden Rahmen sprengen. Nachfolgende Aufzählung soll einen kleinen geschichtlichen Überblick geben:

Lex Duodecim Tabularum, 449 v. Chr.Medizinische Kenntnisse müssen bei der Todesursachenfestellung berücksichtigt werden.

Leges Barbarorum, 5. - 9. JahrhundertÄrzte werden als Sachverständige beigezogen.

Sächsisches Weichbildrecht/Magdeburger Stadtrecht 13. Jahrhundert Speziell vereidigte Ärzte werden beigezogen, Obduktionen sind erlaubt.

Constitutio Criminalis Carolina, 1532Speziell ausgebildete und vereidigte Ärzte werden beigezogen, Obduktionen werden vorgeschrieben, Medizinische Fakultäten sind für Obergutachten zuständig.

17. JahrhundertAn den Universitäten wird gerichtliche Medizin gelehrt, erste Lehrbücher erscheinen.

18. JahrhundertAn allen Universitäten bestehen Lehrstühle für gerichtliche Medizin.

19. JahrhundertErste Lehrstühle werden zu Instituten für gerichtliche Medizin umgewandelt, die erste Fachzeitschrift erscheint.

20. JahrhundertAbgabe von Teilbereichen der Kriminalistik an die Kriminalämter, Beginn einer gerichtlichen Serologie, später Entwicklung der DNA-Technologie, Weiterentwicklung der gerichtlichen Toxikologie.

Die Begriffe Gerichtliche Medizin und Rechtsmedizin sind historisch zu sehen, sie bezeichnen dasselbe Fach. Im dritten Reich erfolgte eine Umbenennung in Institute für gerichtliche und soziale Medizin. Das Fach wurde stärker staatlich eingebunden und nicht wenige der damaligen Lehrstuhlinhaber waren in die verbrecherischen Geschehnisse gewollt oder ungewollt verstrickt. Heute hat sich der Begriff Rechtsmedizin durchgesetzt. Interessanterweise bestehen auch im angloamerikanischen Sprachraum zwei unterschiedliche Bezeichnungen: Forensic Medicine und Legal Medicine.

Wichtig für das Verständnis ist, dass sich die Rechtsmedizin im Laufe der Zeit größtenteils aus dem staatlichen Gefüge im engeren Sinne herausgelöst hat. Die Ansiedlung der rechtsmedizinischen Institute an den Universitäten hat große Vorteile. Zum einen dient die Rechtsmedizin den angehenden Medizinern und Juristen in der Lehre, bildet also aus. Zum anderen ist der rechtsmedizinische Gutachter frei, er ist nicht in die Ermittlungsbehörde eingebunden und ist so nicht dem Vorwurf ausgesetzt, im Zweifelsfall im Sinne der Behörde zu begutachten. Er ist Erfüllungsgehilfe allein des Richters und damit ebenfalls überparteiisch (Ausnahme: Privatgutachten; Parteiengutachten). Darüber hinaus gewährleistet der universitäre Zwang zu Forschung und Wissenschaft die Berücksichtigung neuester Erkenntnisse und die Weiterentwicklung der Beurteilungsgrundlagen.

Die Ansiedlung der Rechtsmedizin innerhalb der Universitäten hat aber leider auch negative Folgen. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen besinnen sich die Wissenschaftsministerien mit schöner Regelmäßigkeit der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Rechtsmedizin und Exekutivbehörden und fordern eine Eingliederung in den Bereich von Innen- bzw. Justizministerium. Bereits mehrere Institute wurden zu Außenstellen benachbarter Standorte degradiert (beispielsweise Marburg/Giessen) oder gänzlich aufgelöst (Aachen).

Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich eine ganze Reihe von zusätzlichen Gebieten und Spezialgebieten etabliert, so dass die Rechtsmedizin neben der forensischen Pathologie mittlerweile weitere Grundpfeiler aufweist: die forensische Toxikologie (Lehre von den Vergiftungen), die forensische Serologie und heute Molekulargenetik (Abstammungsbegutachtung, Spurenkunde) sowie die forensische Alkohologie (Lehre vom Alkohol), forensische Anthropologie (Identifikation von Menschen) und klinische Rechtsmedizin (Untersuchung von Gewaltopfern und Tätern).

Daneben wurden eine ganze Reihe von kleineren Spezialgebieten aufgebaut, wie beispielsweise die Verkehrsmedizin, die forensische Entomologie (Lehre von der postmortalen Besiedlung durch Insekten), die forensische Bakteriologie (postmortale bakterielle Besiedlung), Thanatochemie (postmortale chemische und biochemische Veränderungen), um nur einige zu nennen. Die forensische Radiologie umfasst Altersbestimmung beim Lebenden, Identifikation durch den genauen Zahnstatus, aber auch die Absicherung von Knochenbrüchen (Kindesmisshandlung), die Projektilsuche in der Leiche sowie neuerdings auch die Befunddokumentation durch postmortale Computertomographie.

2 Die Lehre vom Tod (Thanatologie)

Die Lehre vom Tod umfasst die wissenschaftliche Aufarbeitung aller Todesursachen, aller Geschehnisse und Abläufe um den Sterbevorgang herum. Aus forensischer Sicht sind von besonderem Interesse die sichere Feststellung des Todes, miteinander konkurrierende Todesursachen, die Abgrenzung des nicht natürlichen Todes vom natürlichen Tod, die Ermittlung des Todeszeitpunkts und mögliche Leichenveränderungen.

Der Begriff des Todes wurde durch den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer wie folgt definiert: Der Organismus ist tot, wenn die Einzelfunktionen seiner Organe und Systeme sowie ihre Wechselbeziehungen unwiderruflich nicht mehr zur übergeordneten Einheit des Lebewesens in seiner funktionellen Gesamtheit zusammengefasst und unwiderruflich nicht mehr von ihr gesteuert werden. Die Diskussion ist noch nicht beendet. Während noch vor wenigen Jahrzehnten gemeinsamer Atem- und Kreislaufstillstand als sicherer Todeszeitpunkt angesehen wurden, wird heute der Ausfall der gesamten Hirnfunktion (Hirntod) ebenfalls als Todeskriterium anerkannt.

Der klinische Tod ist als Stillstand von Herz- und Atemtätigkeit definiert, der nicht mehr durch Wiederbelebungsmaßnahmen (Reanimation) rückgängig gemacht werden kann. Unter normalen Bedingungen (Ausnahmen z.B. bei Kälte, Säuglingen und Kleinkindern) tritt der Hirntod nach ca. zehn Minuten ohne Sauerstoffversorgung ein. Gleichwohl kann der Organismus als solcher auch beim klinischen Tod (auch Individualtod genannt) mittels Maschinen für weitere Stunden (Organtransplantation) künstlich „am Leben“ erhalten werden.

Immer wieder berichten die Medien über Scheintodesfälle. Die tatsächliche Fallzahl wird mit etwa zehn Fällen pro Jahr in Deutschland angegeben. Diese Zahl erscheint zu niedrig angesetzt. Ursächlich für dieses Phänomen ist in jedem Fall eine nicht sorgfältig durchgeführte ärztliche Leichenschau. Es wird übersehen, dass bei der betreffenden Person ein Vorstadium des Sterbens vorliegt, in dem die wichtigen Lebensfunktionen (Atmung, Herzschlag) so stark eingeschränkt sind, dass sie ohne spezielle Untersuchungstechnik (Aufzeichnung von Herz- und Hirnströmen) äußerlich nicht mehr wahrgenommen werden können. Dieses Phänomen unterstreicht deutlich die Bedeutung der Feststellung von mindestens einem sicheren Todeszeichen (siehe nächstes Unterkapitel) bei der Leichenschau.

Unter supravitalen Reaktionen versteht man Reaktionen des eigentlich toten Körpers auf äußere Reize. Dies hat nichts mit Lebenszeichen zu tun. Zu nennen sind hier ein Zusammenziehen der Muskulatur (idiomuskulärer Wulst) nach Schlag auf den Muskel oder die Erweiterung oder Verengung der Augenpupille nach Einträufeln von Medikamenten. Ebenso können durch Stromanwendung auch Muskeltätigkeiten ausgelöst werden. Diese Reaktionen funktionieren auch noch mehrere Stunden nach dem Tod und können praktische Bedeutung bei der Feststellung des Todeszeitpunkts haben.

2.1 Sichere Todeszeichen

Für die Feststellung des Todes ist der Nachweis von mindestens einem sicheren Todeszeichen notwendig. Im Zweifelsfall muss der leichenschauende Arzt warten oder aber zur Leiche zurückkehren, wenn sich noch kein sicheres Todeszeichen ausgebildet hat.

2.1.1 Totenflecke (Livores)

Die Entstehung der Totenflecken erfolgt durch die Absenkung des Blutes (Hypostase) beim Kreislaufstillstand. Das Herz schlägt nicht mehr, daher besteht kein Blutdruck mehr in den Blutgefäßen und das Blut sackt gemäß der Schwerkraft in die unteren Körperpartien ab.

In der Regel zeichnen sich die Totenflecken 20-30 Minuten nach dem Kreislaufstillstand ab. Sehen kann man nur die oberflächlichen Hautgefäße (Hautkapillaren). Diese haben aufgrund der Blutfülle eine rote Farbe. Da es sich bei den Kapillaren um sehr kleine Blutgefäße handelt, erscheinen die Totenflecken flächenhaft. Aussparungen entstehen an aufliegenden Körperpartien sowie durch Druck, beispielsweise durch enge Kleidung, da hier die Hautgefäße abgedrückt werden und sich kein Blut in ihnen ansammeln kann. Liegt ein nackter Körper in Rückenlage auf einer glatten Fläche, ergibt sich so eine typische „schmetterlingsförmige“ Ausprägung der Abblassungen (Abb. 1). Bei abnormen Lageverhältnissen der Leiche kann es zu verwirrenden Anordnungen und Verteilungsmustern kommen (Abb. 2). Wichtig ist es daher, zu überprüfen, ob Abblassungsmuster der Totenflecken und Struktur der Auflagefläche kongruent sind, also zu einander passen. Ansonsten wurde die Lage der Leiche verändert, eventuell stimmt der gesamte Leichenfundort nicht.

Abb. 1:„Schmetterlingsförmige“ Ausprägung der Totenflecken bei glatter Auflagefläche.

Abb. 2:Abbildung der Bettwäsche und der eigenen Hand innerhalb der Totenflecken bei Bauchlage.

In den ersten Stunden nach dem Tod füllen sich die kleinen Kapillargebiete der Haut in den abhängigen Körperteilen. Damit erklärt sich die vollständige Umlagerbarkeit innerhalb der ersten Stunden. Da später die Gefäßwände durchlässig werden, fließt auch Blut ins Gewebe ab. Dann ist eine vollständige Umlagerbarkeit der Totenflecken nicht mehr möglich. Ab ca. zwölf Stunden sind die Totenflecken fixiert, d.h. bei Umlagerung der Leiche verbleiben sie an der „falschen“ Seite. Dieses Phänomen ist in Abb. 3 dargestellt. Die Folgerungen draus lauten: Wird die Leiche innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Tode umgedreht, kann man diesen Vorgang im Nachhinein an der Leiche nicht erkennen. Erfolgt das Umdrehen im Zeitraum zwischen sechs und zwölf Stunden, machen die beidseitig sichtbaren Totenflecken auf Manipulationen an der Leiche aufmerksam. Ein Umdrehen der Leiche nach ca. zwölf Stunden sollte den Betrachter misstrauisch machen, da sich die Totenflecken an der „falschen“ Seite befinden. Kriminalistisch relevant ist, dass hier bei bekannter Leichenliegezeit unter Umständen auf Veränderungen der Leichenlage in bestimmten Zeiträumen geschlossen werden kann.

Abb. 3:Die Totenflecken bilden sich in den abhängigen Körperpartien aus (a), sie sind innerhalb der ersten sechs Stunden vollständig umlagerbar (b), innerhalb der nächsten Stunden sind sie nur noch teilweise umlagerbar (c) und ab zwölf Stunden sind sie bei Umlagerung fixiert (d).

Auch auf die Leichenliegezeit, also den Todeszeitpunkt kann grob aus der Wegdrückbarkeit geschlossen werden. So lange das Blut sich in den Gefäßen befindet, können die Totenflecken beispielsweise durch Daumendruck weggedrückt werden (vgl. Abb. 4). Mit steigender Verlagerung ins Gewebe ist dies immer weniger möglich.

Abb. 4:Wegdrückbarkeit der Totenflecken.

Zusammenfassend ergibt sich das folgende grobe Zeitschema:

nach 1 h

kräftiges Inerscheinungtreten

nach 2 h

Beginn des flächenhaften Zusammenfließens

bis max. 36 h

teilweise wegdrückbar mit großem Druck

bis 6 h

vollständige Umlagerbarkeit

bis 12h

unvollständige Umlagerbarkeit

Ein besonderes Augenmerk ist weiterhin auf die Farbe der Totenflecken zu legen. Normale Totenflecken haben eine düster graurot-violette Farbe (livide). Diese Verfärbung kann mehr ins Rote oder mehr ins Violette gehen.

Dem Erkennen der kirschroten CO-Totenflecken (Kohlenmonoxid) kommt eine besondere Bedeutung zu, denn beim Nichterkennen dieser Vergiftungszeichen kann es leicht zu weiteren Todesopfern kommen. An Kohlenmonoxid-Vergiftungen ist stets bei geschlossenen Räumen, offenen Feuerstellen, Gasboilern und Zusammenhang mit Verbrennungsmotoren (Kfz, Garage, Motorboot) zu denken.

Ähnlich aussehen können die sog. Kälte-Totenflecken. Diese entstehen durch eine Sauerstoffaufsättigung des Blutes durch die Haut hindurch bei Kälte. Eine Unterscheidung von den kirschroten Totenflecken ist neben dem hellroten Farbton durch Inspektion des Nagelbetts der Finger möglich. Der Luftsauerstoff kann nicht durch den Nagelfalz eindringen, die Nagelbetten bleiben somit im Gegensatz zu den freiliegenden Körperpartien livide (blassblau) verfärbt. Im Zweifelsfall muss der Verdacht einer Kohlenmonoxidvergiftung ausgesprochen werden, da nur bei einer Untersuchung des Blutes auf Carboxyhämoglobin (Verbindung aus Blutfarbstoff und Kohlenmonoxid) und einer technischen Untersuchung des verursachenden Gerätes die Gefahr sicher erkannt und abgestellt werden kann.

2.1.2 Totenstarre (Rigor mortis)

Das Auftreten der Totenstarre beginnt wenige Stunden nach dem Tod. In aller Regel ist sie zwischen 6 und 12 Stunden nach dem Tod vollständig ausgeprägt. Innerhalb der ersten Stunden kann sie gebrochen werden und bildet sich dann erneut aus. Als Maximum werden hier 6 bis 10 Stunden genannt. Nach ca. 48 bis 60 Stunden beginnt die Starre sich wieder zu lösen. Ursache der Totenstarre ist eine fehlende „Weichmacherwirkung“ in der Muskulatur. Bestimmte Stoffe wie zum Beispiel Adenomintriphosphat (ATP) werden in der Leiche nicht mehr aktiviert.

Zunächst findet man nur leichte Versteifung beim passiven Bewegen der Gelenke (Beginn etwa nach 2 Stunden), dann immer stärker werdende, nach ca. 8 Stunden vollständige Starre. Eine passive Überwindung ist dann nur mit sehr großem Kraftaufwand möglich. Nach ca. 2 - 3 Tagen erfolgt eine spontane Lösung der Starre durch Autolyse (s. u.).

Auftreten, Fortschreiten und Lösung der Totenstarre sind stark temperaturabhängig, da es sich auch hier um einen biochemischen Zerfallsprozess handelt. Bei tiefer Außentemperatur ist das Auftreten verlangsamt, bei hoher Temperatur beschleunigt.

Bei Leichen aus fließenden Gewässern findet man manchmal keine oder kaum Totenstarre, da die Leiche dauernd bewegt wird und sich die Starre nicht ausbilden kann. Bei vermehrter Muskelarbeit vor dem Tod kann die Leichenstarre schwächer ausgeprägt sein, beispielsweise bei verunfallten Radrennfahrern in der Beinmuskulatur.

Ähnlich können sich auch Matratzen mit wechselnder Luftfüllung (Krankenhaus) auswirken.

Nach ca. 12 Stunden ist die Totenstarre im Normalfall voll ausgeprägt. Die Lösung der Starre beginnt nach 48 - 60 Stunden durch Überlagerung von Autolyse und Fäulnis. In der Regel beginnt die Totenstarre im Kiefergelenk und breitet sich dann nach unten aus, die Auflösung erfolgt umgekehrt.

2.1.3 Autolyse, Fäulnis, Verwesung

Unter Autolyse versteht man eine Selbstzerstörung der Zellen und Gewebe. Bei der Fäulnis handelt es sich um eine durch Bakterien bedingte Gewebeauflösung: Verflüssigung der Gewebe und Gasbildung. Im Anschluss daran erfolgt die Verwesung, bei der biochemisch etwas anders gelagerte (oxydative) Prozesse ablaufen.

2.1.4 Nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen

Ein weiteres sicheres Todeszeichen sind Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind. Dies kommt allerdings lediglich in Ausnahmefällen in Betracht: z.B. Abtrennung des Kopfes und Zerstückelung des Körpers. Dieses Kriterium macht aber Sinn, denn in Extremfällen (beispielsweise Zergliederung durch Bahnüberfahrung) sind Totenflecken und Totenstarre oft nicht feststellbar.

2.1.5 Hirntod

Die Feststellung des Hirntods unterliegt besonderen Vorschriften. Sie ist nur in Kliniken nach entsprechenden Beurteilungen unter Hinzuziehung von Diagnosehilfen (festgeschrieben im Transplantationsgesetz) möglich. Daher ist im Regelfall die Feststellung des Hirntodes nur den Klinikärzten vorbehalten.

2.1.6 Unsichere Todeszeichen

Abzugrenzen von den sicheren Zeichen des Todes sind die sog. unsicheren Todeszeichen, die in keinem Fall die Feststellung des Todes erlauben. Ein immer wieder auftretender Fehler liegt in der Überschätzung der Leichenkälte.