Gut gebellt, Katze - Ilona Schmidt - E-Book

Gut gebellt, Katze E-Book

Ilona Schmidt

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Beschreibung

Cody, ein ausgemusterter Polizeihund, fürchtet nichts mehr, als dass seine Futterschüssel leer bleibt und er erneut sein Herrchen verlieren könnte. Cleo, eine Siamkatze, genießt das gute Leben bei ihrem Menschen Anette in vollen Zügen. Ihre Wege kreuzen sich, als Codys Herrchen Dirk einen neuen Fall bekommt. Ausgerechnet Anette soll etwas mit dem Ableben ihres reichen Ehemannes zu tun haben. Cleo könnte Cody helfen, erwartet im Gegenzug aber Unterstützung gegen Cat Capones Katzenbande. Gemeinsame Sache mit einer Katze? Undenkbar für Cody, bis Dirk in Lebensgefahr gerät.

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Kurzbeschreibung:

Cody, ein ausgemusterter Polizeihund, fürchtet nichts mehr, als dass seine Futterschüssel leer bleibt und er erneut sein Herrchen verlieren könnte. Cleo, eine Siamkatze, genießt das gute Leben bei ihrem Menschen Anette in vollen Zügen. Ihre Wege kreuzen sich, als Codys Herrchen Dirk einen neuen Fall bekommt. Ausgerechnet Anette soll etwas mit dem Ableben ihres reichen Ehemannes zu tun haben. Cleo könnte Cody helfen, erwartet im Gegenzug aber Unterstützung gegen Cat Capones Katzenbande.

Gemeinsame Sache mit einer Katze? Undenkbar für Cody, bis Dirk in Lebensgefahr gerät.

Ilona Schmidt

Gut gebellt, Katze

Streife auf acht Pfoten

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Ilona Schmidt

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Lektorat: Kanut Kirches

Korrektorat: Anika Beer

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-157-7

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

1 Cleo

„Gut gebellt, Katze.“ Der große Hund starrte mir mit aufgerichteten Spitzohren direkt in die Augen. Unverschämtheit. Mir missfiel dieser gierige Blick, denn wer wollte schon gern als Beute gelten? Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass er mich gestellt hatte.

„Katzen bellen nicht, sie miauen“, fauchte ich zurück, während ich fieberhaft überlegte, wie ich ihm entkommen könnte.

Meine Chancen standen schlecht. Vor mir breitete sich ein See aus, in den ich nur im äußersten Notfall flüchten würde, und das nahe Bäumchen würde mich kaum tragen. Dazwischen klaffte eine offene Fläche.

Ich saß in der Falle wie ein unerfahrenes Kätzchen.

„Stimmt, denn Bellen kann man euer Gejammer kaum nennen.“ Stocksteif stand er vor mir, den Schwanz steil erhoben, während meiner hin und her peitschte.

„Wer bist du eigentlich, und was hast du hier zu suchen?“, blaffte er. „Du solltest wissen, das hier ist ein Hundepark.“

Das stimmte nicht, denn der Park wurde auch von Menschen und anderem Getier besucht. „Seit wann bin ich einem Hund Rechenschaft schuldig?“

„Das hier ist mein Revier, kapiert?“

„Wer sagt das?“

„Ich sage das.“ Er besaß die Unverschämtheit, seine Lefzen hochzuziehen und mir seine Waffen zu zeigen. „Und zwar mit dem Recht des Stärkeren.“

Zugegeben, sein Gebiss war beeindruckend, vor allem die Fangzähne. Wir Katzen sind da bescheidener, was aber nicht heißt, dass unsere weniger effektiv wären. Aber gegen so etwas …

„Stärker schon, aber nicht schlauer.“ Eigentlich keine gute Idee, ihn zu provozieren, aber manchmal kann ich mein vorlautes Maul nicht halten. Ich machte einen besonders imposanten Katzenbuckel, was ihn aber nicht sonderlich zu beeindrucken schien. Vielleicht sollte ich ihm meine gut geschärften Krallen über den Riechkolben ziehen. Das hatte bei Nachbars Mops bislang immer bestens funktioniert. Leider hatte die Erfahrung gezeigt, dass Schäferhunde wie dieser hier in solchen Situationen im Vorteil waren. Die arme Missy hatte dies am eigenen Leib erfahren müssen. Seit dem Kampf mit zwei Hunden humpelte sie und hatte einen krummen Rücken.

„Ich krieg dich, Katze.“ Der Hund verlagerte sein Gewicht auf die Vorderpfoten. Die Pupillen seiner Augen glühten rot, gleich würde er losspringen.

Ein Feigling war ich noch nie gewesen, aber man musste wissen, wenn die Chancen schlecht standen. Und da wir Katzen sowieso die Klügeren sind, beschloss ich, nachzugeben.

„Ich heiße Cleo von Siam. Und nur, dass du’s weißt: Der Park ist für alle da. Du hast mir nichts zu verbieten.“ Ich spannte meine Hinterbeine an und schnellte mich ab, um an ihm vorbeizuspringen. Blitzschnell warf er seinen Kopf mit weit aufgerissenem Maul herum. Klack! Das war danebengegangen.

Ich landete auf allen Vieren und sauste auf das Bäumchen zu. Im Nu war ich oben. Zum Glück trug der Ast mich, obwohl er sich bedrohlich bog. Jetzt würde der Köter zusehen müssen, wie er an mich herankäme.

Keuchend blickte ich hinunter. Das war verdammt knapp gewesen. „He, du Monster! Kannst wohl nicht klettern?“

„Warte nur, ich pack dich gleich!“ Prompt sprang er laut kläffend am Baumstamm hoch. Donnerwetter, der Kerl hatte wirklich ein beeindruckendes Gebiss, aber erneut zerteilte es nur die Luft. Sein nächster Versuch verfehlte mein hübsches Schwänzchen nur um Haaresbreite.

Nach dem dritten Fehlversuch setzte er sich auf seinen Hintern und grinste frech zu mir hoch. „Irgendwann musst du runterkommen. Ich kann warten.“

Leider wahr. Mir gefiel die jetzige Situation auf dem Baum kaum besser als die vorhergehende. Zwar waren jetzt seine Beißerchen weiter entfernt, aber ich noch lange nicht in Sicherheit, und auf Hilfe konnte ich nicht hoffen, denn weder mein Mensch noch die Katzenbande ahnten etwas von der Misere, in der ich steckte.

Ich legte mich auf den Ast, äugte zu meinem Gegner hinunter und begann, mir die Pfoten zu lecken. Diese Entspannung brauchte ich dringend, denn nur ein freier Kopf kann klar denken. Der Hund legte sich ebenfalls nieder; anscheinend einer von der hartnäckigen Sorte. Ihm zu entkommen würde meine ganze Gewitztheit erfordern. Nur leider fiel mir nichts Gescheiteres ein, als auf die Nacht zu warten, oder zu hoffen, dass ihm die Warterei zu lang werden würde. Aber letztlich war ich in der besseren Position, schließlich bin ich eine Katze und er bloß ein Hund.

„Komm endlich runter, Mieze“, rief er nach einer halben Ewigkeit.

„Ich heiße Cleo, schon vergessen?“

„Du kannst nicht ewig da oben bleiben.“

„Wir Katzen sind geduldig.“ Ich betrachtete ihn genauer. Er trug ein starkes Lederhalsband, also musste er jemandem gehören. „Musst du nicht bald nach Hause?“

„Wieso sollte ich?“

„Weil ihr Hunde die Sklaven der Menschen seid.“

„Unsinn. Wir sind ihre Freunde, Partner und Kollegen.“

Diese Diskussionen kannte ich zur Genüge. Nachbars Mops zum Beispiel gab sich der Illusion hin, für seine Familie wichtig zu sein. Aber warum ließen sie ihn dann den ganzen Tag allein? Und wenn sie abends endlich zu Hause waren, kümmerte sich auch keiner um ihn. Dann musste er ihnen beim Starren auf eine eckige Fläche mit ständig wechselnden Bildern zusehen, während ihre Jungen auf einem Ding, das sie Handy nannten, herumdrückten. „Wenn du meinst. Wo ist denn dein Partner jetzt?“

Der Hund blickte sich um, als fiele ihm die Abwesenheit seines Menschen erst jetzt auf. „Der kommt gleich.“

Hörte ich da eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme? „Bist du dir sicher?“

„Absolut.“

Sein Schlapperlappen hing ihm lang aus dem Maul, was fast so aussah wie die Krawatten der Männer, die bei meinem Menschen namens Anette ein- und ausgingen.

Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Meine Schnelligkeit sollte mir helfen, zumindest auf den nächsten Baum zu gelangen. Von dort aus könnte ich mich möglicherweise über die Mauer in Sicherheit bringen.

„Cody! Hierher!“, ertönte eine Männerstimme vom Weg her, der am See entlangführte. „Wo steckst du Ausreißer denn schon wieder?“

Der Hund sprang auf alle Viere und richtete seine Aufmerksamkeit in die Richtung, aus der die Stimme gerufen hatte. Seine Flanken zuckten, gleich würde er lossausen. Braver Hund.

„Heute hast du Glück gehabt, aber beim nächsten Mal bist du dran“, knurrte er zu mir hoch.

„Dem sehe ich gelassen entgegen, du Menschensklave.“

„Wir werden sehen.“ Als er endlich davongaloppierte, schickte ich ihm ein leises Fauchen hinterher.

Meine Wohnhöhle lag gleich hinter dem Park und war nur durch eine Straße sowie eine weitere Mauer davon getrennt. Sie war weiß, nicht zu hoch und hatte auf dem Sims rote Ziegel. Erst im letzten Herbst waren wir dort eingezogen. Zuvor hatten wir in einem Apartment hoch über der Stadt gewohnt; luxuriös zwar, aber todlangweilig. Wenn der Mensch der einzige Unterhalter wird, und der nichts weiter als sich selbst im Kopf hat, wird das Zusammenleben öde. Wie bei Nachbars Mops. Aber zum Glück wohnten wir jetzt in dieser wunderschönen Villa, die ein vorzügliches Versteck darstellte. Gutes Futter, ein weiches Bett und die Katzenklappe waren die perfekte Ergänzung. Zudem war es darin im Sommer angenehm kühl und im Winter mollig warm.

Schließlich war ich nicht irgendeine dahergelaufene Straßenkatze, sondern eine reinrassige Siamesin – selten, intelligent und teuer, wobei Letzteres für Menschen wie Anette wichtig war.

Die Erfahrung hatte gezeigt, dass die meisten Menschen nichts taugten – und Hunde erst recht nicht. Wie sollte ich Menschen auch lieben? Meine ersten Lebensjahre hatte ich in einem lichtlosen Schuppen verbringen müssen, Babys bekommen, die ich nicht behalten durfte. Nach vielen Jahren und vielen Kindern wurde ich dann selbst an Anette verkauft.

Ich durchquerte den Garten, der dem Park sehr ähnlich war. Mitten aus dem Grün erhob sich ein weißes Haus, davor eine Terrasse sowie ein großes Becken voller Wasser, dessen Funktion ich nicht ganz verstand. So viel Durst konnte einer allein doch gar nicht haben, um es leerzutrinken. Manchmal schwamm Anette darin. Ein sonderbares Vergnügen, das ich nicht nachvollziehen konnte. Sonnenschirme, Liegen, Stühle und Tische – alles nur für Anette und ihren menschlichen Schmusekater. Ihr neuer Mann roch alt – mehr noch als dessen Vorgänger.

Der Neue döste gerade auf einer der Liegen und hielt sein faltiges Gesicht in die Sonne. Eine Hand war in die Decke verkrallt, während die andere zitternd auf seiner Brust ruhte. Seine Haut schien durchsichtig zu sein und war gelblich verfärbt, der Mund stand halb offen. Der Geruch des Todes umwehte ihn bereits, es war nur noch eine Frage der Zeit.

In der weit geöffneten Terrassentür erschien Anette, deren rötliches Haar im Sonnenlicht glänzte, und die ein kleines Tablett vor sich hertrug. Sie stellte es auf dem Tisch ab und betrachtete den Alten mit ihren grünen Augen genauso, wie ich eine gefangene Maus mustern würde.

„Na Pupsi, wie geht’s dir? Du siehst ein bisschen blass um die Nase aus.“

Er hauchte etwas Unverständliches.

„Wie bitte?“ Sie trat näher an ihn heran und beugte sich zu ihm hinunter. „Ins Krankenhaus? Aber nein, du bleibst hübsch hier in der Sonne liegen. Wirst sehen, das tut dir gut.“

Der Mann stöhnte und versuchte, seine Hand auszustrecken.

„Hast du Durst?“ Sie starrte ihn eine Weile an, und wandte sich dann dem Tablett zu, auf dem ein Glas mit Orangensaft und ein braunes Fläschchen standen.

„Mehr brauche ich dieses Mal wohl nicht.“ Anette wirkte unschlüssig. „Umso besser. Ist immer ein gewisses Risiko dabei, weil jeder anders reagiert. Nicht wahr, Cleo?“

Sie redete oft mit mir wie mit einem Menschen. Obwohl nicht alles Sinn ergab, was sie sagte, verstand ich, dass sie mich als ebenbürtig erachtete. Welch ein Irrtum, denn wer kann einer Katze schon das Wasser reichen? Ich spazierte zu ihr hinüber und strich um ihre Beine, den Schwanz steil aufgerichtet.

Der Alte bekam fast nichts mehr zu trinken, aber mir versprach sie mein Fresschen. Gut. Als wir eingezogen waren, hatten wir eine Küchenhilfe, eine Hausdame sowie eine Pflegekraft. Anette hatte sie allesamt entlassen und kümmerte sich seitdem selbst um alles.

Sie entnahm meinem Futterschränkchen eine Dose, die beim Öffnen einen köstlichen Duft verströmte: Lachspastete, serviert in einem goldfarbenen Schüsselchen. Einfach köstlich. Ich schmatzte die Leckerei in mich hinein, ließ nur ein Anstandsbröckchen übrig. Cat Capone, der Anführer der Katzenbande, hätte sich alle Krallen danach geleckt, aber für einen wie ihn war diese Köstlichkeit viel zu schade. Ich sprang auf das weiße Ledersofa, legte mich auf meine geliebte Kaschmir-Decke, schnurrte zufrieden und ließ mir von Anette die Ohren kraulen. Als ich genug davon hatte, schlug ich nach ihrer Hand.

Sie lachte nur. „Genau das ist es, was ich an euch Katzen so liebe.“

Na bitte, alles bestens. Warum sollte sich daran etwas ändern?

2 Cody

Ball oder Kauknochen? Eine schwere Entscheidung, die leichter zu treffen gewesen wäre, wenn es sich um einen frischen Kauknochen gehandelt hätte. Aber nachdem ich ihn gerade erst in der Erde eines Blumentopfs wiedergefunden hatte, roch er eher unappetitlich. Der Gummiball mit dem Loch hingegen machte schmatzende Geräusche, wenn ich hineinbiss. Außer diesem Genuss bot er jedoch nichts weiter, da ihn mir niemand werfen würde. Also doch lieber den Stinkeknochen aus Tierhaut?

In der Küche klapperte es verdächtig. Mein Boss räumte Geschirr mit Essensresten darauf in diesen Zauberkasten, aus dem es – nachdem es darin ordentlich rumort hatte – wie durch ein Wunder blitzeblank wieder herauskommen würde. Schnell erhob ich mich, um ihm stattdessen meine Reinigungsdienste anzubieten. Zu spät, denn er kam mir mit leeren Händen entgegen.

Enttäuscht legte mich wieder hin und entschied mich für den Kauknochen, der kleine Stücke preisgeben würde, wenn ich lange genug darauf herumbiss.

Mein Boss nannte mich übrigens „Cody“, mein Tierarzt „Was-fehlt-uns-denn“, und die im Apartment unter uns wohnende alte Dame „alter Kläffer“. Seit wann hört sich das Melden eines reinrassigen Deutschen Schäferhunds wie das Wäffwäff eines kleinen Möchtegernhunds an? Bellen ist nämlich nicht gleich Bellen. Es sagt nicht nur etwas über unsere Körpergröße, unser Geschlecht oder unsere Gemütsverfassung aus, sondern verkündet auch, was gerade los ist.

Mein linkes Knie schmerzte, weshalb ich den Knochen zu dem von der Sonne beschienenen Teil des Teppichs trug. Dumm nur, dass die Sonne weiterwanderte und ich ihren Strahlen folgen musste. Wir lebten in einer frisch renovierten Altbauwohnung, wie Dirk die riesige Hundehütte nannte. Glatte Parkettböden und Fliesen in der Küche, während mir im Wohnzimmer ein kuscheliger Teppich das Leben versüßte.

Ich war ein Polizeihund, ein sogenannter K-9; ausgesprochen „Key-Nein“. Wobei das „Nein“ angeblich die Zahl „Neun“ bedeuten sollte – oder war es umgekehrt? Egal, jedenfalls war ich nicht neun und außerdem bedeutete „Nein“ selten etwas Gutes.

Mein Vater war schon im Polizeidienst gewesen, mein Großvater ebenfalls und mein Ur-Ur-Urahne war der berühmte Edor von Tresko, der dem tollkühnen Detektiv Erich Zehmke gedient hatte. Edor war ein stattlicher Hund gewesen, und die Anzahl der Waden und Unterarme, in die er im Laufe seiner Karriere gebissen hatte, war mit den Jahren ins Unermessliche gestiegen. Furchtlos und treu hatte er seinem Boss gedient und war deshalb mein großes Vorbild.

Die Menschensprache hatte ich von Papa und Mama gelernt, auch wenn mir viele Ausdrücke und Gepflogenheiten der Zweibeiner ein Rätsel blieben, und ich fragte mich, ob ihnen das mit uns Hunden genauso erging.

Mein Boss hieß Dirk Baumann und war ebenfalls ein K-9 – ein zweibeiniger halt. Allerdings trug er keine Uniform und zu meinem Verdruss durfte ich ihn nur selten zum Dienst begleiten. Das läge daran, dass ich ausgemustert worden wäre, hatte er versucht, mir zu erklären, als ich ihn an der Wohnungstür auf mein altes Polizeihunde-Geschirr aufmerksam machte. So blieb es am Wandhaken hängen, aber dafür trug ich jetzt ein leichteres, wenn wir auf Streife gingen. Eine schlimme Situation, denn ich wollte ebenfalls etwas zu unserem Lebensunterhalt beitragen. Hoffentlich würde sich mein Ausscheiden aus dem Dienst nicht auf die Menge des Futterschüsselinhalts auswirken.

Die Polizeiarbeit vermisste ich sehr. Welch eine Genugtuung, einem Flüchtenden in den Arm, das Bein oder den Po beißen zu dürfen. Das Wort „ausgemustert“ musste etwas ganz Schlimmes bedeuten, da ich seitdem nur noch in Kauknochen und Bälle beißen durfte. Längeres Nachdenken darüber machte mich schläfrig, wie jetzt zum Beispiel. Zudem schmeckte der Kauknochen fade.

Dirk und ich lebten in einer Stadt, deren Name für mich keine Bedeutung hatte. Eher schon die Wälder, die sie umgaben, der Fluss, der durch sie hindurchfloss oder die Seen, in denen ich badete und mit Dirk um die Wette schwamm.

Mein Knieproblem war übrigens keine Alterserscheinung. Ich hatte mich während eines Einsatzes verletzt. Mein ehemaliger Boss hatte wohl geahnt, was kommen würde, denn er hatte „Aus!“ gebrüllt und: „Nein, nicht!“ Ich hätte lieber auf ihn hören sollen.

Trotzdem war das noch lange kein Grund, mich gleich auszumustern.

Manchmal beschlich mich der leise Verdacht, es hätte noch einen anderen Grund dafür gegeben, etwas, das meinen damaligen Partner gestört hatte.

Mein jetziger Boss und ich lebten ohne weibliche Gesellschaft. Wir kamen gut miteinander aus. Dirk hatte gelernt, was mir schmeckte und gab mir stets reichlich zu fressen, obwohl es durchaus mehr hätte sein können. Auch bürstete er mich regelmäßig, pflegte meine Krallen und Zähne und manchmal brachte er mich zum Tierarzt, der mich dann mit einer Nadel piekte.

„Wollen wir in den Park?“, fragte Dirk.

Welche Frage. Ich konnte ihn doch nicht allein gehen lassen. Nicht auszudenken, wenn da etwas ohne mein Beisein passierte. Freudig erregt und hechelnd sprang ich auf ihn zu. Seit ich bei ihm lebte, sah ich es als eine meiner Aufgaben an, den Park von Katzen freizuhalten, denn sie waren meine natürlichen Feinde und nahmen uns Hunden oft den Platz im Herzen eines Menschen weg. Dirk mochte es nicht, wenn ich sie jagte und pfiff mich dann jedes Mal zurück. Warum eigentlich?

Während unseres Spaziergangs ging ich, wie es sich gehörte, brav bei Fuß: keine Spannung auf der Leine, meinen Kopf auf Höhe seiner Knie. Wie immer hoffte ich auf einen Einsatz, aber leider auch heute wieder vergebens: kein Mensch, keine Ente, keine Katze.

Auf meiner Stammwiese ließ er mich endlich von der Leine. Freiheit! Ich rannte los – stoppte. Da war dieser Geruch von dem Hund mit den blauen Augen, der behauptete, ein Schlittenhund zu sein. Als gäbe es hier Schlitten. Tatsächlich, der Kerl hatte seine Duftmarke an meinem Lieblingsbaum hinterlassen. Also sofort den eigenen Strahl auf die Markierung gerichtet und schnell nachgeschnüffelt, ob ich auch richtig getroffen hatte. Naja, könnte besser sein. Also nachgelegt. Jetzt hatte ich besser gezielt und seine Markierung in meiner ertränkt. Zufrieden kehrte ich zu meinem Boss zurück.

Dirk trug ein breites Grinsen im Gesicht, während er in eine seiner Jackentaschen langte. Er würde doch nicht …? Tatsächlich! Der Ball! Endlich etwas zum Reinbeißen und Apportieren. Und schon flog die Kugel durch die Luft. Ich nix wie hinterher, immer schneller, bis sie auf dem Boden aufschlug, dort abprallte und ich sie ihm Flug schnappte. Im Galopp zurück zum Boss und dann begann das Spiel aufs Neue. Wie durch ein Wunder schmerzte mein Knie plötzlich nicht mehr.

Als ich wieder einmal zu ihm zurückkehrte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel unter einem Busch eine Bewegung. Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Katzengeruch stieg mir in die Nase. Und dort sah ich sie auch schon hocken.

„Cody, hierher!“, rief Dirk. „Wo steckst du denn schon wieder?“

Was sollte ich tun? Es war doch meine Pflicht, das Katzenvieh zu verjagen. Ein Hund muss sich seine Futterration verdienen, hatte Papa stets gemahnt. Die Katze sauste davon und rettete sich auf einen Baum. Schade, beinahe hätte ich sie erwischt. Welch ein Spaß.

Schon von Weitem sah ich an Dirks Körperhaltung, dass sich dessen Spaß in Grenzen hielt. Seine nach unten gezogene Mundwinkel verhießen nichts Gutes.

„Du bist mir ein schöner Polizeihund. Kein Wunder, dass sie dich ausgemustert haben. Oder hast du was an den Ohren?“

Meine Ohren funktionierten prima. Ich setzte mich hin und spitzte sie ordentlich.

Dirk legte den Kopf schief, und die Falte über seiner Nase verschwand wieder. „Alter Gauner. Du weißt genau, was los ist.“

Richtig. Hier gab es eine Katzenplage, was die Menschen aber nicht zu kümmern schien. Ich sah ihn lange an, um ihm die Situation zu verdeutlichen, aber Dirk schien heute etwas begriffsstutzig zu sein.

Gemächlich wanderten wir nach Hause zurück, wobei Dirk auf sein kleines, flaches Kästchen schaute und es mit dem Daumen streichelte. Das machte er oft, und manchmal sprach er sogar mit ihm. Plötzlich blieb er stehen. Sofort setzte ich mich hin, denn schließlich war ich ein wohlerzogener Hund.

„Ich hab’s!“, rief er plötzlich. „Wie wär’s mit einem speziellen Training für dich?“

Au ja. Training hörte sich verdammt gut an. Mann suchen, Mann finden, Mann beißen – toll. Vielleicht sogar eine Drogensuche? Die hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht. Am spannendsten war es immer gewesen, wenn nicht mein Boss, sondern ein anderer das Päckchen versteckt hatte. Dann konnte ich nicht seiner Spur folgen, sondern musste mich wirklich anstrengen, um es zu finden. Erwartungsvoll wedelte ich mit meinem Schwanz.

„Schutzhundetraining beim Tuff-K9-Club. Was? Mit Schock-Halsband? Nein danke, das wollen wir nicht.“

Keine Ahnung, wovon er sprach. Moment. Hier war vor Kurzem eine läufige Hündin entlanggegangen. Oh, diese süßen Düfte waren unwiderstehlich. Ich trabte an, bis mich ein Ruck am Geschirr auf den Boden der Tatsachen zurückholte.

„Bei Fuß, Cody! Warte, vielleicht ist das hier etwas: Agility Training. Fördert die Zusammenarbeit zwischen Führer und Hund, und macht beiden Spaß.“

Mir sagte das Wort „Agility“ nichts. Vielleicht eine neue Droge oder gar Sprengstoff? Ein Kollege von mir war darauf spezialisiert. Das Lieblingswort seines Führers war „Such vorsichtig“. Über so viel Unverständnis konnte der Kollege nur lachen, denn schließlich wusste er genau, wo das gesuchte Päckchen versteckt war.

„Hört sich gut an. Mal schauen, ob wir einen Trainer in unserer Nähe finden.“

Wenn er meinte. Dirk war nicht nur mein Boss, sondern auch mein Partner. Um ihm meine Zweifel mitzuteilen, wedelte ich schwach.

Zu Hause angekommen, füllte er meinen Fressnapf mit Trockenfutter, das stark nach Rindfleisch und Kartoffeln roch. Mir lief das Wasser im Maul zusammen. Brav machte ich Sitz. Warum dauerte das so lange?

„Pfote“, forderte Dirk.

Wenn’s sein musste. Ich patschte meine Pfote in seine Handfläche und endlich wanderte der Napf auf den Boden.

Oh diese Wonne! Ich schlang hinein, was das Zeug hielt.

„He, nicht so gierig“, versuchte Dirk mich zu bremsen.

Der Mann hatte keine Ahnung, dass alles sofort verputzt werden musste.

Was? Schon alle? Nein, da rollte noch ein Stückchen davon. Schnell geschnappt und runtergeschluckt und zur Nachreinigung die Schüssel ausgeschleckt.

„Hat’s geschmeckt?“

Natürlich hatte es das. Wie durch ein Wunder erschien in Dirks Hand ein Hundebiskuit. „Zum Zähneputzen“, sagte er grinsend.

Ich packte das Leckerli und verkrümelte mich auf mein Hundebett, wo ich es ungestört vertilgen konnte.

In der Zwischenzeit hörte ich Dirk im Wohnzimmer rumoren. Ich legte mich unter den Tisch und der Boss auf die Couch, die ich nur besetzte, wenn er nicht zu Hause war. Bald schon würde er sich sein Abendessen zubereiten, doch vorläufig rührte er sich nicht, blätterte nur müde durch übereinanderliegende Papierblätter. Endlich legte er sie beiseite und blickte ins Leere.

Menschen mit diesem Blick sprangen oft plötzlich auf und taten dann etwas völlig Unvorhersehbares, weshalb ich es vorzog, mich still zu verhalten. Manchmal schüttelten sie aber auch nur ihren Kopf. Ich war gespannt, was es dieses Mal sein würde.

Nichts dergleichen, denn an der Wohnungstür klingelte es. Dirk stand auf, sprach mit dem Kasten an der Wand und drückte auf einen Knopf. Nach einer Weile hörte ich die schweren Schritte eines Mannes und die leichteren einer Frau. Jetzt wusste ich, warum heute die Küche kalt geblieben war.

Die Frau umarmte Dirk und drückte ihm ihre Lippen auf die Wangen. Menschen tun dies, um zu zeigen, dass sie sich mögen, was ich merkwürdig finde, denn wir Hunde beschnuppern uns zuerst am Hintern.

Da Dirk die beiden herzlich begrüßte, konnte ich sie hereinlassen; vielleicht auch deshalb, weil sie Futter mitgebracht hatten. Es roch verlockend nach Schinken, Tomaten und Käse – alles zusammen nannten sie Pizza. Die würde noch gut in meinen Magen passen.

Dirk öffnete eine Flasche Rotwein und sie begannen die kreisrunde Scheibe zu verzehren. Ich setzte mich vor die drei, wartete, bis sie damit fertig waren und bot dann meine Dienste zur Resteverwertung an.

„Vorwaschgang“, sagte Dirk lachend und hielt mir die Pappschachtel unter die Nase.

Viel war nicht übriggeblieben, aber besser als nichts. Hoffnungsvoll schnüffelte ich auf dem Fußboden nach Runtergefallenem, denn die Wohnung musste sauber bleiben.

„Wenn du mal Zeit hast …“, sagte der Mann, den der Boss Ben nannte.

„Was Dienstliches?“

„Nee, nicht direkt. Oder doch.“ Ben wiegte seinen Kopf hin und her.

„Mach’s nicht so spannend.“

Sie setzten sich auf die Couch zu der Frau. „Ben wundert sich nur“, sagte sie.

Dirk lehnte sich zurück. „Worüber? Ein Versicherungsfall?“

„Wenn’s nur einer wäre.“ Ben kratzte sich an der Stirn. „Für eine Anzeige reicht es noch nicht, aber wir haben einen Anfangsverdacht. Es geht um eine Witwe, der wir eine erhebliche Lebensversicherungssumme auszahlen mussten, weil ihr Mann kurz nach der Heirat verstarb.“

„Das soll vorkommen.“

„Aber nicht zweimal hintereinander.“

„Wie? Der Mann starb zweimal?“