Gut geflunkert ist die halbe Wahrheit - Michael Kirchhoff - E-Book

Gut geflunkert ist die halbe Wahrheit E-Book

Michael Kirchhoff

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Beschreibung

Schluss mit Märchenstunde – werden Sie zum Profi im Lügenerkennen! Fast jeder von uns hat in seinem Leben schon Entscheidungen getroffen, die auf Lügen basierten: "Es gibt keinen anderen Mann!", "Du wirst bald befördert!", "Ich musste länger arbeiten!". Wenn Sie die Lügen erkennen könnten, würden Sie sich wieder wie damals entscheiden? Oder würden Sie sich schützen und einen anderen Weg einschlagen? Nach diesem Buch haben Sie die Wahl. Michael Kirchhoff, Philosoph, Mediator und Business-Profiler, führt uns unterhaltsam in die gesellschaftlichen Hintergründe des Lügens ein und vermittelt unterschiedliche Techniken, die uns das Erkennen von Lügen aber auch von Wahrheit erleichtern. Tauchen Sie ein in die Welt der Trickser und Täuscher. Ob in Geschäftsgesprächen oder privat: Ab jetzt ist Schluss mit Märchenstunde.

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Michael Kirchhoff

Gut geflunkert

ist die halbe Wahrheit

Lügen leicht erkennen

Nicht nur für Profis!

Kreutzfeldt digital

Dieses Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieses Werkes darf – auch nicht auszugsweise – in irgendeiner Form oder durch irgendein Verfahren genutzt, reproduziert oder durch Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, vervielfältigt, übersetzt oder in irgendeiner Form verbreitet werden. Jede Verwertung in den genannten oder in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorhergehenden schriftlichen Einwilligung des Autors sowie des Verlags.

Es wird darauf hingewiesen, dass alle Angaben trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen. Eine Haftung des Autors oder des Verlags ist ausgeschlossen.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.kreutzfeldt-digital.de

ISBN 978-3-86623-591-5

© 2018 Kreutzfeldt digital, Hamburg

Umschlagabbildung: © Elnur / Shutterstock.com

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Buch wäre nicht entstanden, wenn es nicht eine Reihe von Menschen gäbe, die mich recht selbstlos unterstützt haben.

Mein besonderer Dank geht an:

Dr. Burkhard Radtke für die philosophischen Dispute und den Support,

Eike Rappmund und Coco Achinger für ihre Unterstützung,

Fabian Dittmann, der die Grafik Emergency Task Force war,

Malte von Tiesenhausen fürs Brainstormen,

Katrin von Tiesenhausen für die Kurskorrektur,

Prof. Dr. Vasudevi Reddy für ihre freundliche Unterstützung,

Jochen Regelien für die Unterstützung bei den Fotos,

Dr. Wolfgang Hinz, der mich freundschaftlich und kollegial unterstützt hat,

Dr. Julia Peirano für Unterstützung und fachliche Hinweise,

Prof. Dr. Christoph Lumer für die speziellen Literaturtipps,

Senay und Miri, die immer in meinem Herzen sind,

Meike M., immer,

Dr. Katharina Grüter für Unterstützung und Freundschaft,

meine Lieblingsknautschies Fiona, Katharina, Andrea, Maren, Maike und Dirk,

Steffi Woelk für das philosophische Sparring,

die Menschen beim Kreutzfeldt digital Verlag, weil sie diese Reise mit mir machen.

„Was sollte ich in diesem Leben Größeres vollbringen als die Natur meines Geistes zu erkennen.“

Mirjam A. Seele

„Mögen alle Menschen immer freier werden!“

Michael Kirchhoff

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Wolfgang Hinz

Einleitung

Anatomie der (Selbst-)Täuschung

Was ist Wahrheit?

Alles Lüge!

Der Onkel hat Schokolade …

Das Gehirn auf dem Küchentisch

Reziprozität

Sympathie

Soziale Bewährtheit

Autorität

Verknappung

Konsistenz

Zusammengehörigkeit

Abgründe des Menschen

Voll mein Typ

Der Perfektionist

Der Helfer

Der Erfolgsmensch

Der Individualist

Der Denker

Der Traditionalist

Der Lebenskünstler

Der Machtmensch

Der Schiedsrichter

Psychopathen und krankhafte Lügner

Soziopathen und Psychopathen

Narzissten

Die Sache mit der Schlange

Auf einen Tee mit Lucifer

Sherlocked

Den Fallstricken entkommen

Erster Kreis

Zweiter Kreis

Dritter Kreis

Verräterische Worte

Glaubwürdigkeitskriterien

Reality Monitoring

Sprach- und Stimmmuster

Überall Zeichen!

Körpersprache

Embleme, Manipulatoren & Illustratoren

Mimik

Fragen

Spiegeln und Fragen

Behaviour Analysis Interview

Plädoyer für den Gentleman

Der moralische Kompass

Was tun?

Training & Anwendungsfelder

Zu guter Letzt …

Anhang

Über den Autor

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Vorwort von Wolfgang Hinz

Michael Kirchhoff habe ich erstmals getroffen, als er gerade sein Machtspiele-Buch1 veröffentlicht hatte. Seit ich ihn kenne, spricht er von diesem Buch über Lügen. Nun liegt es vor und kann dem Leser helfen, Lug, Betrug und Täuschung zu erkennen und Folgeschäden abzuwehren. Während unserer gemeinsamen Arbeit am Egozentriker-Buch2 habe ich Michael Kirchhoffs scharfen Verstand, seine freundliche Geduld und seine kreativen Ideen kennen und schätzen gelernt.

Jeder Mensch wird irgendwann einmal in seinem Leben belogen, betrogen oder getäuscht. Das gehört unweigerlich zu den Erfahrungen, die uns formen. Sei es der Betrug in der Beziehung, sei es die Mobbing-Attacke im Büro oder der Fehlkauf aufgrund einer falschen Beratung. Niemand ist vor dieser Erfahrung wirklich sicher. Einmal erlebt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf Lügen zu reagieren: Man kann die Erlebnisse umdeuten, so dass sie einem erträglich scheinen, man kann sich in Glaubenssysteme flüchten oder vom Staat verlangen, dass er dieses Verhalten künftig verhindert. Konstruktiver und selbstbestimmter ist es, den Umgang mit derartigen Situationen möglichst gut zu lernen.

Letzteres will dieses Buch initiieren. Menschen werden von verschiedenen Kräften motiviert. Eine, die nahezu allen Menschen gemein ist, ist der Drang zu Selbstwirksamkeit. Die muss man sich in dieser Welt entweder hart erkämpfen oder man hat das Glück, dass man jemanden trifft, der einem weiterhelfen kann. Ein Buch nimmt uns nicht den Weg ab, den wir zu gehen haben, aber es kann uns Türen öffnen und Perspektiven aufzeigen.

Dieses Buch beleuchtet auf Basis von Forschungsergebnissen soziologische Aspekte, psychologische Hintergründe und gängige Techniken des Lügens. Dabei ist es sowohl unterhaltsam wie informativ. Wer schon immer wissen wollte, wie man professionell Informationen sammelt und bewertet, woran man Lügen erkennt oder wie man Glaubwürdigkeit bewertet, der ist mit diesem Werk gut beraten. Es bietet eine solide Einführung und liefert einen gründlichen Überblick über das Thema, auf dem man aufbauen kann. Der Autor unterhält auf informative Art und versetzt uns Leser in die Lage, hinter die Fassade zu schauen.

Mit diesem Buch hat Michael Kirchhoff eine selbstdefinierte Mission erfüllt. Ich wünsche ihm damit den Erfolg, den er sich vorstellt. Dem Buch wünsche ich den Erfolg, den es verdient. Den Lesern wünsche ich viel Kurzweil beim Lesen der Geschichten und Beispiele und dass sie möglichst viele der guten Anregungen mit in ihren eigenen Alltag nehmen.

Wolfgang Hinz

Gründer PbI Institut

Einleitung

„Gut geflunkert ist die halbe Wahrheit“ – ich gebe zu, der Titel ist ein bisschen gemein, denn er soll Ihr Interesse wecken. Doch im Grunde trifft er den Kern der Sache: Wir alle lügen und flunkern und dennoch sind wir umgeben von der Wahrheit. Es geht in diesem Buch um Lügen und darum, wie man sie erkennt. Doch damit nicht genug, denn es geht auch um die Erkennung von Wahrheit. Das eine nützt uns nichts ohne das andere.

Wenn man oft genug über den Tisch gezogen wurde, stellt man sich unweigerlich die Frage, wie man die Gefahr rechtzeitig sehen kann: Wie kann man Lügen erkennen? Und was sind Lügen überhaupt? Kann man ohne Lügen leben? Manche behaupten, man könne das. Einer meiner Bekannten behauptete sogar unlängst, er würde niemals lügen. Hat er da geflunkert? Dies sind die zentralen Fragen, auf die ich eine Antwort geben will (na gut, auf letztere nicht …). Dieses Buch soll Ihnen einen Einstieg in die Kunst der Lügenerkennung bieten.

Im ersten Teil werden wir uns zuerst einmal mit den Themen Wahrheit und Lüge beschäftigen. Denn wie wollen wir Lügen verstehen, wenn wir keine Vorstellung von Wahrheit haben? Wir werden die Anatomie von Lügen untersuchen und die psychologischen Aspekte des Lügens beleuchten.

Im zweiten Teil fokussieren wir uns auf die Denkweise von „normalen” Menschen und von Psychopathen. Wir werden die soziologischen Hintergründe des Lügens beleuchten.

Im dritten Teil wird es um das Erkennen von Täuschungen gehen. Wir werden uns mit dem richtigen Mindset beschäftigen. Wir werden verbale und nonverbale Zeichen kennenlernen und Inkongruenzen entdecken. Kurz: Hier lernen Sie die ersten Schritte auf dem Weg zum menschlichen Lügendetektor.

Im vierten Teil werden wir uns mit unserer inneren Haltung beschäftigen, denn wenn man Lügen erkennt, führt das zu einem Problem: Es kann schnell einsam machen. Kommentiert man die eigene Erkenntnis der Lüge, meiden einen die Leute, schluckt man die Erkenntnis runter, wirkt man kantig und mitunter komisch. Wir werden versuchen, eine Haltung herauszuarbeiten, mit der wir leben können, auch wenn wir wissen, dass unser Gegenüber lügt.

Es gibt kaum ein Buch über Lügen, in dem nicht technische Hilfsmittel angesprochen werden. Reden wir also an dieser Stelle kurz über die Technik. Es lassen sich mit guter Technik durchaus bessere Ergebnisse erzielen. Bislang benötigt man dafür jedoch immer noch Laborbedingungen. Für unseren Alltag sind solche Bedingungen nicht realistisch.

Eine spannende Technik, die gerade unter Federführung von Kang Lee entwickelt wird, ist das Transdermal Optical Imaging (TM). Dabei wird die Reflexion des Lichtes mit einer normalen Kamera aufgezeichnet und analysiert. Die verschiedenen Hautschichten reflektieren das Tageslicht unterschiedlich. Mit der entsprechenden Software können normale Filmaufnahmen aufgrund der Durchblutung daraufhin analysiert werden, welche Emotion gerade erlebt wird. Sollte diese Technik tatsächlich serienreif werden, könnte das die Arbeit der Lügenexperten erleichtern.

Allerdings gibt es auch hier die Lücke zwischen den Reaktionen und den Auslösern. Die Expertise, die Verbindung zu entdecken, welcher Auslöser die Reaktion verursacht hat, ist nach wie vor notwendig. Eigene Fähigkeiten sind immer noch durch nichts zu ersetzen. Wir beschäftigen uns in diesem Buch daher nicht mit technischen Hilfsmitteln, sondern mit den Bordmitteln, die jeder von uns mitbringt.

Man kann im Erkennen von Lügen mit der Zeit besser werden. Aber eine Garantie gibt es nicht. Es bleibt immer ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten. Jeder, der eine sichere Methode verspricht, besitzt entweder mangelndes Fachwissen oder will Sie täuschen. Doch besser werden, unsere Wahrnehmung trainieren, unser Urteilsvermögen optimieren und unser Fachwissen erweitern, das können wir sehr wohl. Wir können die Chancen zu unseren Gunsten verschieben.

Am Ende des Buches werden Sie sich sicherer im Dschungel der Täuschungen bewegen. Sie werden nicht mehr so oft einem Lügner auf dem Leim gehen und Sie werden wissen, was eine Lüge ist und warum Menschen überhaupt lügen. Begleiten Sie mich auf meinem Streifzug durch die Welt der Täuscher, Trickser und Lügner.

Ihr Michael Kirchhoff

Anatomie der (Selbst-)Täuschung

Was ist Wahrheit?

Als der buddhistische Lama Yeshe in den 90-er Jahren nach Europa kam, prallten zwei recht verschiedene Sichtweisen aufeinander. Während wir spätestens seit Galileo3 zu wissen glauben, dass die Erde eine Kugel ist und sich um die Sonne dreht, hatte Yeshe eine komplett andere Auffassung. Er war überzeugt, dass die Erde eine Mischung aus verschiedenen Geisteszuständen ist. Die Diskussion seiner westlichen Schüler mit ihm wollte nicht enden, wobei er mit seiner freundlichen und fröhlichen Art die Herzen aller Diskutierenden gewann. Wer hatte denn nun recht?

Ungeachtet, welche der beiden Antworten ich favorisiere, stellt sich die Frage: Können beide Antworten wahr sein? Wenn wir ein anderes Beispiel nehmen, wird es deutlicher: An einer Kreuzung stehen ein Autofahrer und ein Fußgänger. Beide streiten sich, denn der Fußgänger behauptet, die Ampel sei grün, der Autofahrer hingegen ist sich sicher, dass die Ampel rot ist. Beide sprechen aus einem bestimmten Standpunkt aus die Wahrheit. Wenn wir uns mit Lügen und Täuschung beschäftigen, dann müssen wir auch klären, was Wahrheit ist.

Das ist ein Thema für Philosophen. Diese beschäftigen sich schon seit Jahrtausenden mit dieser Frage. Was ist denn nun Wahrheit? Das ist nicht ganz so einfach zu beantworten, wie man glauben könnte. „Alles, was stimmt“, reicht dabei nicht. Meine Fantasie stimmt schließlich auch. Wenn ich überzeugt wäre, dass die Erde eine Scheibe ist und einen Lügendetektor-Test machte, so käme als Ergebnis heraus, dass ich die Wahrheit sage. Denn aus meiner Sicht hätte ich nicht gelogen. Womit wir auch schon bei einem Kernproblem der Lügenerkennung sind: Die individuelle Sichtweise und das subjektive Wahrheitsverständnis machen uns oft einen Strich durch die Rechnung. Lassen Sie mich das nochmal auf den Punkt bringen: Wenn Onkel Willie dem Wahn verfallen ist, Napoleon zu sein, dann wird er jeden Lügendetektor-Test bestehen, wenn er behauptet: „Ich bin Napoleon.“

Betrachten wir nochmal den Autofahrer und den Fußgänger. Der Autofahrer vertritt die Meinung, dass die Ampel rot ist. Damit sagt er die Wahrheit. Der Fußgänger, dessen Ampel grün ist, wird behaupten, die Ampel sei grün, und liegt damit völlig richtig. Wahrheit kann also auch von der Sichtweise, von dem Standpunkt abhängen. Das aber heißt, dass die Wahrheit subjektiv ist. Ist sie auch. Aber nur zum Teil.

Ich unterscheide zwischen drei Formen der Wahrheit:

▪  Verständnis

▪der subjektiven Wahrheit,

▪der intersubjektiven Wahrheit und

▪der objektiven Wahrheit.

Die subjektive Wahrheit haben wir bereits kennengelernt. Sie bezieht sich auf ein einzelnes Individuum. Sie ist im Grunde ein Geflecht aus persönlichen Überzeugungen und Sichtweisen, die aus der Perspektive des Individuums kongruent mit der Realität sind. Man könnte sie auch die persönliche Wahrheit nennen.

Die intersubjektive Wahrheit funktioniert im Grunde genauso, nur statt einer Person nehmen wir eine Gruppe. Wenn Familie Müller an der Ampel steht, die Straße zu Fuß überqueren will und die Ampel ist rot, dann sind mehrere Individuen (Subjekte) der Meinung, dass die Ampel rot ist. Der Autofahrer sieht das trotzdem anders. Hier haben wir zwei sich widersprechende Auffassungen der Wahrheitszustände. Wer hat denn nun recht? Um das beantworten zu können, müssen wir zuerst eine andere Frage beantworten. Die wirklich spannende Frage ist nämlich: Gibt es eine objektive Wahrheit? Eine Wahrheit, die unabhängig von dem Blickwinkel und dem Subjekt ist? Existiert so etwas wie die ultimative Wahrheit? Wenn es sie gibt, dann wird es für uns doch irgendwie beschränkte Wesen recht schwer, diese zu erkennen.

Was uns Menschen ausmacht, ist gerade die subjektive Sichtweise. Nehmen wir beispielsweise an, dass Peter seinen Onkel Willie für einen bösen Menschen hält (ein Wort in eigener Sache: Mein Onkel heißt nicht wirklich Willie und er ist ein echt netter Kerl …). Das ist eine subjektive Bewertung, denn Onkel Willies Frau, Tante Else, findet ihn ganz freundlich. Die subjektive Wahrheit von Peter ist, dass Onkel Willie böse ist. Es handelt sich um eine intersubjektive Wahrheit, wenn nicht nur Peter, sondern auch seine drei Geschwister Willie für böse halten. Doch da gibt es immer noch Tante Else, die anderer Meinung ist. Die objektive Wahrheit besteht aus meiner Sicht nicht darin, Onkel Willie nun endgültig zu beurteilen, sondern darin, festzustellen: Es gibt einen Onkel Willie. Der hat eine Frau, Tante Else. Es gibt Peter und seine drei Geschwister. Jeder von ihnen hat sein ganz eigenes Bild von Onkel Willie.

Eine objektive Wahrheit hängt nicht von der Sichtweise ab, sondern ist allgemein gültig. Daher kann sie nicht bewertend sein, sondern nur beschreibend. Die Experten aus der Philosophie nennen diese Unterscheidung „normativ” (beurteilend) und „deskriptiv” (beschreibend). Eine Angewohnheit von uns Menschen ist, alles zu bewerten, das nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wir stellen fest, dass wir Willie nicht mögen, dass wir keine Bohnensuppe mögen und dass Menschen, die nicht Veganer sind, Doofnasen sind usw. …

Es ist für uns also sehr schwierig, eine objektive Wahrheit zu finden. Und falls wir sie doch finden, dann muss klar sein, dass sie von jedem möglichen Standpunkt aus wahr sein muss bzw. jede persönliche Sichtweise einschließt. Das führt zu mehreren Problemen:

1. Ich kann niemals sicher sein, alle Standpunkte zu kennen (und insofern weiß ich nie, ob es die objektive Wahrheit ist).

2. Was ist, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern? (Und mal ehrlich: Die ändern sich ständig.)

Selbst wenn wir also in einer Alltagssituation die objektive Wahrheit zu entdecken glauben, können wir uns dessen niemals sicher sein. Denn in dem Moment, in dem wir unsere Einschätzung überprüfen, haben sich die Rahmenbedingungen bereits verändert. Selbst wenn wir darauf achten, dass wir keine Bewertung einfließen lassen, kennen wir dennoch nicht alle Fakten.

Eine mögliche Lösung dieses Dilemmas besteht darin, eine Einschätzung als vorläufig annähernd objektive Wahrheit einzusetzen. Sobald man Widersprüche entdeckt, wird sie angepasst. Klingt aufwändig, ist es auch. Glücklicherweise ist für uns als menschliche Lügendetektoren eher die subjektive Wahrheit interessant, denn uns geht es um die Abweichung der dargestellten Wahrheit von der erlebten Wahrheit. Beide sind subjektiv. Sie hängen immer vom persönlichen Blickwinkel ab.

Wie sieht es nun mit dem Gegenteil der Wahrheit, mit der Täuschung aus? Gibt es da auch die Abstufungen subjektiv, intersubjektiv und objektiv? Es ist schwer zu beantworten, ob es eine objektive Täuschung gibt. Spätestens an diesem Punkt wird jedoch klar: Wir brauchen eine handfeste Definition von Lüge, an der wir uns festhalten können.

Wenn ich lüge, dann bin ich mir bewusst, dass das, was ich äußere, nicht mit dem übereinstimmt, was ich in meinem Inneren erlebe. Ich veräppele mein Gegenüber absichtlich oder nehme billigend in Kauf, dass er einem Irrtum unterliegt. Eine Lüge ist demnach eine Äußerung, die absichtlich in Widerspruch zum inneren Erleben getätigt wird, bzw. ein Verhalten, das ein Missverständnis unseres Gegenübers billigend und absichtlich in Kauf nimmt. Und genau das ist bei einer Äußerung nicht der Fall, die einem (subjektiven) Wahrheitsempfinden entspricht. Hier fehlt der innere Widerspruch.

Was soll uns dieser Gedankensalat nützen? Ganz einfach: Er macht uns klar, dass hier zwei Kräfte wirken: einerseits das tatsächliche Erleben, andererseits ein Interesse und die damit verbundene Absicht, die dem Erleben widersprechen. Beide Kräfte treten gleichzeitig auf und haben Auswirkungen – sie verursachen sozusagen Symptome wie eine Krankheit. Die beiden Kräfte kämpfen gegeneinander. Unser inneres System bekommt quasi Fieber, und das kann man beobachten.

Die hohe Kunst beim Erkennen von Lügen besteht darin, diesen Widerspruch – die Symptome – wahrzunehmen und vor allem deuten zu können. Das ist eine ziemlich wackelige Angelegenheit. Es gibt hier keine Garantie. Jeder, der Ihnen etwas anderes verspricht, erzählt Blödsinn. Dazu ein Beispiel: Wenn Willie von der Polizei verhört wird, weil ihm vorgeworfen wird, bei Juwelier Krause eingebrochen zu sein, dann wird er das abstreiten. Aber er zeigt Nervosität und der Lügendetektor-Test zeigt eine Lüge an. Das Problem, das möglicherweise keiner wahrgenommen hat: Willie wird von einer Polizistin verhört und Willie ist unglaublich nervös, weil er sie so attraktiv findet. Was den Einbruch betrifft, so ist Willie unschuldig. Manchmal beziehen wir Stressreaktionen auf den falschen Reiz. Also können uns Symptome auch täuschen. Es gibt keine Garantie. Alles, was wir lernen können, ist, besser zu verstehen, was eine Lüge ist, warum wir lügen und wie wir Lügen von der Wahrheit vielleicht unterscheiden können.

Sind Täuschung und Lüge identisch? Einer Lüge geht immer eine Absicht voraus, einer Täuschung nicht notwendigerweise. Das bedeutet, dass jede Lüge eine Täuschung ist, jedoch nicht jede Täuschung eine Lüge. Eine Täuschung zu erkennen, ist unter Umständen viel schwieriger als eine Lüge zu erkennen. Denn wenn die Täuschung unbewusst ist, wird es nicht notwendigerweise eine Musterunterbrechung in der äußeren Haltung geben. Genau die benötigen wir aber, um eine Täuschung zu bemerken.

Halten wir fest: Hinter einer Lüge steckt eine Absicht. Die Äußerung des Lügners steht im Widerspruch zu seinem inneren Erleben. Wichtig für diejenigen, die eine Lüge erkennen möchten: Diese Abweichung verursacht eine Unterbrechung zwischen den einzelnen äußeren Zeichen – die einzelnen Signale, Körpersprache, Mimik etc. widersprechen sich und/oder der geäußerten Botschaft. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass es nicht darum geht, was wir selbst für die Wahrheit halten, sondern darum, was der Lügner für wahr hält. Die Deutlichkeit, mit der dies aus den Signalketten herausgelesen werden kann, hängt einerseits von der Schwere der Lüge ab und andererseits von dem Risiko, das der Lügner mit dem Erwischtwerden verbindet. Dazu später mehr. Diese Signalketten gilt es wahrzunehmen und klar zuzuordnen. Aber zuerst beschäftigen wir uns damit, was denn nun genau eine Lüge ist.

Alles Lüge!

„Du sollst nicht lügen!”. Das gebietet das achte Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis von dir geben wider deinem Nächsten.“ Abgesehen davon, dass es bemerkenswert ist, dass man die Menschen dazu extra auffordern muss, scheint dies ein Kriterium zu sein, das den edlen Menschen von dem weniger edlen unterscheidet. Mutter Theresa? Eine Ikone der Rechtschaffenheit. Der Dalai Lama? Über jeden Zweifel erhaben. Und das Ideal, das sie verkörpern, suggeriert uns eine Welt, in der die guten Menschen einander nicht belügen.

Doch das ist kompletter Blödsinn. Lassen Sie mich diese Flausen vertreiben: Ungeachtet der Tatsache, dass ich beide als großartige und wundervolle Menschen betrachte, bin ich mir ziemlich sicher, dass ihr Verhalten nicht ganz so „steril” lügenfrei ist bzw. war, wie man vielleicht glauben möchte. Sowohl Mutter Theresa als auch der Dalai Lama werden hin und wieder gelogen haben. Und ich gehe noch weiter: Sie taten zum Teil gut daran. Der Grund ist einfach: Unsere Gesellschaft funktioniert nicht ohne Lügen.

Robert Feldman, ein Experte auf dem Gebiet menschlicher Täuschungen, fand in einem Versuch heraus, dass die Teilnehmer in der Regel drei Mal innerhalb eines zehnminütigen Gespräches logen.4 Meine letzte Lüge ist gerade mal 12 Stunden her. Ich traf einen Bekannten auf der Straße und der fragte mich, wie es mir gehe. Ich antwortete, mir gehe es gut. Das war glatt gelogen, denn ich hatte gerade eine wichtige Ausschreibung, einen wichtigen Auftrag verloren. Mir ging es alles andere als gut, ich war wütend und ich war ängstlich, weil ich nun ziemlich hart ackern musste, um den sicher geglaubten Auftrag zu ersetzen. Dennoch wird mich kaum jemand dafür richten, denn diese Art der Lüge gilt als höfliches Verhalten. Auch die Frage, wie es mir gehe, ist im Grunde eine Lüge, denn sie suggeriert fälschlicherweise Interesse an der Wahrheit. In Wirklichkeit müsste der Bekannte eigentlich sagen: Jetzt sag’ mir bitte nicht, dass ich mir Sorgen machen muss, ich will mich gut fühlen. Speziell im englischen Sprachraum ist „how are you“ zu einem Synonym für „hallo“ geworden – vielleicht ist dies also auch nur seine Art, mich zu begrüßen.

Es gibt natürlich auch Menschen, die wirklich Anteil nehmen. Hier beziehe ich mich eher auf die Begegnungen im Small-Talk-Bereich. Es ist ein Spiel zwischenmenschlicher Dynamik, sich gegenseitig anzulügen. Höflichkeit und Komplimente sind nicht selten Formen gesellschaftlich akzeptierter Lügen. Nur gibt es Grenzen des guten Geschmacks. In dem Moment, in dem das Leid anderer gegen deren Willen billigend in Kauf genommen wird, ist es kein akzeptiertes Verhalten mehr. Der Unterschied zwischen dem edlen und dem üblen Menschen ist nicht, dass die einen lügen und die anderen nicht, sondern warum sie lügen und wie weit sie dabei gehen. Um sich in diesem Minenfeld von Gut und Böse besser zurechtzufinden, müssen wir uns anschauen, was eigentlich eine Lüge ist.

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Definition Lüge: Eine Lüge ist ein absichtlicher oder gebilligter Widerspruch zwischen äußerer Haltung und innerem Erleben in einem kommunikativen Prozess.

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Nicht selten berichten Menschen, die in einer Abhängigkeitsbeziehung leben und die in der Partnerschaft getäuscht wurden, dass sie die Lügen des Partners bereitwillig geglaubt haben, ja fast schon belogen werden wollten, obwohl sie ahnten, dass es Lügen waren. Handelte es sich dann überhaupt noch um Lügen? Aus meiner Sicht ist dies durchaus der Fall, denn langfristig ist es zum Nachteil des bzw. der Belogenen, selbst wenn dieser in dem Moment bereitwillig dem Partner auf den Leim geht. Immerhin trifft er bzw. sie Entscheidungen auf der Basis fehlerhafter Sichtweisen.

Wie ist es dann mit der Höflichkeit? Ist nach dieser Definition die Frage nach meiner Befindlichkeit eine Lüge? Durchaus! Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zur unerwünschten Lüge. Die „freundliche” Lüge hat für beide Seiten einen Täuschungsgewinn. Der Täuscher kann ein Gespräch aufrechterhalten, einem Konflikt aus dem Weg gehen oder ähnliches. Der Getäuschte fällt ein (meist unbewusstes) Optimalitätsurteil, das dazu führt, dass die Verminderung seines Unwohlseins wichtiger ist als die Erkenntnis, getäuscht worden zu sein. Hier wird ein wesentlicher Aspekt des Lügens deutlich: Zu einer Lüge gehören mindestens zwei Rollen: die Rolle des Lügners und die Rolle des Belogenen.