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Psychologische Impulse für Gelassenheit und Lebensfreude vom Bestsellerautor Prof. Dr. Volker Busch Unser Gehirn nimmt mit in den Schlaf, womit wir es tagsüber füttern. Aber wie sorgen wir dafür, dass aus den ganzen Informationen keine Sorgen und Ängste werden, sondern Kraft, Lust und neuer Lebensschwung entsteht? Inspiriert von seinem Erfolgspodcast Gehirn gehört präsentiert Bestsellerautor Prof. Dr. Volker Busch in seinem neuen Buch gute Gedanken vor dem Einschlafen und liefert praktische Anleitungen, wie wir unser Gehirn am Abend pflegen können – basierend auf den neuesten Erkenntnissen aus Psychologie und Neurowissenschaft. Gute Nacht, Gehirn ist eine Schatzkiste voller wissenschaftlich fundierter, aber leicht umsetzbarer und humorvoller Empfehlungen, die uns helfen, Stille zu genießen, Fantasie zu entwickeln, unsere innere Stimme besser zu hören, kleines Glück zu entdecken, Unveränderliches zu akzeptieren und den stabilsten Frieden zu finden, den es gibt – den in uns selbst. Unverzichtbar, nicht nur für Busch-Fans!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 321
Veröffentlichungsjahr: 2025
Prof. Dr. Volker Busch
Gedanken, um zur Ruhe zu kommen
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Die Augenblicke vor dem Einschlafen sind eine besondere Zeit für unsere Psyche. Aber wie sorgen wir dafür, dass aus den unzähligen tagsüber absorbierten Informationen über Nacht keine Sorgen und Ängste werden, sondern Kraft, Lust und neuer Lebensschwung entstehen? Inspiriert von seinem Erfolgspodcast Gehirn gehört präsentiert Bestsellerautor Prof. Dr. Volker Busch in seinem neuen Buch gute Gedanken vor dem Einschlafen und liefert praktische Anleitungen, wie wir unser Gehirn am Abend pflegen können – basierend auf den neuesten Erkenntnissen aus Psychologie und Neurowissenschaft.
Gute Nacht, Gehirn ist eine Schatzkiste voller wissenschaftlich fundierter, aber leicht umsetzbarer und humorvoller Empfehlungen, die uns helfen, unsere innere Stimme besser zu hören, Fantasie zu entwickeln, Unveränderliches zu akzeptieren, Stille zu genießen und kleines Glück zu entdecken.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Zu diesem Buch
Der Raum zwischen Tag und Nacht
Betthupferl auf Papier
Eine gute Handhabung
Gute Nacht, Gehirn
Fantasie
Zu Beginn
Inneres Sehen
Ein schlechtes Image
Fantastische Kräfte
Ein Blick ins Gehirn
Das Rätsel der Afantasie
Visionen sind Gold wert
Keine Drogen
Füttern Sie Ihr Gehirn
Zeit nehmen
Denken im Konjunktiv
Schlusslicht
Intuition
Die falsche Statue
Innere Betrachtungen
Die Bibliothek im Gehirn
Experten wissen Bescheid
Der Körper hilft dem Kopf
Komplexes wird einfach
Intelligenz auf der Überholspur
Vorsicht Falle(n)
Intuition in Gefahr
Wege zur besseren Intuition
Aus Fehlern lernen
Schlusslicht
Stille
Ständig auf Empfang
Lärm macht krank
Leise war es nie
Oft tönt es von innen
Innere Klarheit
Ein Sturm im Wasserglas
Wachstum im Gehirn
Permanentes Grundrauschen
Stille Momente erlauben
Kurz und oft
Vorsicht bei Depression und Angst
Schlusslicht
Selbstliebe
Der Baum der Liebe
Das Gehirn mag uns
Philautia
Kein Narzissmus
Gestern und heute
Wiederentdeckung nötig
Ein Blick in den Spiegel
Ungeliebte Kinder
Sie sind nicht allein
Gewinnen Sie Distanz
Seien Sie freundlich zu sich
Der Sweet Spot
Schlusslicht
Gewohnheiten
Canasta in der Mitte
Vieles ist Gewohnheit
Im Maschinenraum
Ziemlich billig
Gute Seiten
Stressreduktion
Entscheidungshilfe
Motivationserhalt
Marotten der Milz
Eine gute Balance
Schlusslicht
Kleines Glück
Ein besonderes Geschenk
Die Jagd nach dem Glück
Boten und Lieferdienste
Die Erwartung motiviert
Vorfreuden schaffen
Alles geht vorüber
Vorsicht Welpenfalle
Mögen statt wollen
XS statt XXL
Aufmerksames Entdecken
Offen und neugierig bleiben
Schlusslicht
Ausgleich
Einseitige Belastungen
Unser Urprinzip
Ständige Balance ist unrealistisch
Homöostase macht uns stark
Nicht die Last, sondern ihr fehlender Ausgleich
Vorsicht vor Schablonen
Finden Sie einen guten Ausgleich
Kreative Gegengewichte
Dürfen statt müssen
Etwas Aktivierungsenergie
Schlusslicht
Weniger Vergleiche
Vergleichende Affen
Wahrnehmung ist relativ
Aufwärts, abwärts
Entzündung der Seele
Alles steht im Wettbewerb
Eine gläserne Welt
Werden Sie sich bewusst
Prüfen Sie kritisch
Legen Sie den Fokus auf sich
Schützen Sie sich
Der Lohn der Mühen
Der Wert in sich
Schlusslicht
Akzeptanz
Die Hand vor den Augen
Hadern macht die Seele schwer
Der unruhige Serenus
Im Herzen annehmen
Wenn es nicht zu ändern ist
Falsche Vorannahmen
Ankommen
Neuorientierung
Weitermachen
Schlusslicht
Verzeihen
Ohrfeigen für die Seele
Emotionale Infektion
Eine zerstörerische Kraft
Der Weg in die Verbitterung
Stärkung der Immunabwehr
Verzeihen und vergeben
Die Versöhnung Südafrikas
Das Antibiotikum der Vergebung
Vergeben macht gesund
Fühlen Sie mit
Entscheiden Sie sich
Lassen Sie los
Schlusslicht
Sinn
Die Frage nach allem und dem Rest
Wir wollen etwas bewirken
Vier sinnvolle Zutaten
Wer auf Pfählen sitzt
Purpose ist nicht alles
Finden Sie Sinn
Stark und stabil
Schlusslicht
Zuversicht
Nachts im Museum
Eine Superressource
Zuversicht versus Hoffnung
Ihr Verlust macht depressiv
Muskel statt Tugend
Zimmer mit Aussicht
In Zukunft gesund
Stark im Inneren
Die drei Erinnerungslücken
Ein Blick in den Rückspiegel
Schritt für Schritt
Handeln statt Hoffen
Festina lente
Gute Geschichten erzählen
Schlusslicht
Nachwort
Gewidmet den treuen Hörerinnen und Hörern meines Podcasts »Gehirn gehört«. Es sind ihre offenen Ohren, die diese Gedankensammlung möglich machten.
Die Zeit vor dem Zubettgehen ist eine besondere Zeit. Die hektische Betriebsamkeit des Tages weicht der erholsamen Ruhe der Nacht. An dieser abendlichen Schwelle entsteht ein geistiger Raum, der sich hervorragend zur Besinnung eignet. Es ist einer der wenigen Zeitpunkte, an dem wir uns selbst begegnen können. Der österreichische Lyriker Rainer Maria Rilke thematisierte in seinen Gedichten und Briefen häufig den Übergang zwischen Tag und Nacht, den er gleichzeitig auch als einen Übergang zwischen Außen- und Innenwelt beschrieb. Der Abend sei der Zeitpunkt, an dem sich »das Gesehene in uns verwandelt«.
Wenn wir zur Ruhe kommen und uns besinnen, können sich ganz unterschiedliche Formen einer Verwandlung in uns vollziehen: Wir gewinnen Klarheit, weil wir endlich etwas Zeit finden, unsere Gedanken zu ordnen und Gefühle zu sortieren. Wir treffen eine Entscheidung, weil wir unsere innere Stimme wieder hören können, sobald es etwas stiller wird. Wir lernen, Dinge in Zukunft besser zu machen, weil wir über Fehler nachdenken, die uns am Tag unterlaufen sind. Wir sind dankbar, weil wir uns an Gutes erinnern oder auf Schönes freuen. Und nicht zuletzt versetzen wir uns in eine freudige Aufbruchstimmung, weil wir uns inspirieren lassen und in unserem Kopf Wünsche, Ideen und Pläne entstehen. Kurz gesagt: Gute Gedanken am Abend schenken uns Klarheit im Kopf und Frieden im Herzen.
Die Gedanken vor dem Zubettgehen können Sie sich wie eine Saat vorstellen, die Sie zu später Stunde in Ihr Gehirn pflanzen. Nicht alles, womit wir uns geistig beschäftigen, wächst heran; vieles gerät auch wieder in Vergessenheit. Untersuchungen konnten jedoch zeigen, dass in unserem Gehirn bevorzugt jene Gedanken keimen, deren Saat wir ganz bewusst am Ende des Tages setzen: Wer mit Selbstvorwürfen oder Traurigkeit ins Bett geht, macht deshalb genau diese Gefühle über Nacht stark. Wer sich dagegen vor dem Einschlafen eine gute Geschichte schenkt, lässt etwas Positives heranwachsen, sei es eine kluge Erkenntnis oder eine nützliche Idee. Nicht umsonst heißt es im Volksmund: »Wie man sich bettet, so liegt man.«
Leider nutzen wir den Raum zwischen Tag und Nacht heute immer weniger für Momente der Reflexion. Der Konsum zahlreicher Unterhaltungsangebote und das virtuelle Dauergeplapper im Netz lassen weder Platz noch Zeit, mit sich in einen Kontakt zu kommen. Es scheint fast so, als sei das Innehalten eine weitgehend vergessene Lebenskunst. Dieses Buch möchte Sie deshalb dazu einladen, diese Verbindung zu sich wiederzufinden, um sich am Abend über das eine oder andere bewusst zu werden, wozu in der Geschäftigkeit des Tages kein »Raum« war.
Wie Sie an dieser Stelle vermutlich bereits richtig schlussfolgern, ist diese Textsammlung kein »Schlafratgeber« im engeren Sinn. So werden Sie im Folgenden keine Auflistung ätherischer Öle finden, die Sie auf Ihr Kopfkissen träufeln können, um möglichst schnell einzuschlafen. Indirekt könnten meine Texte natürlich dennoch zu einer ungewollten Einschlafhilfe werden, falls Sie sie als gähnend langweilig empfinden. Vielmehr hoffe ich jedoch, sie »wecken« Ihr Interesse, und sie lassen etwas Gutes in Ihnen entstehen. Die Gedanken in diesem Buch sind aus diesem Grund ganz bewusst »anregend« formuliert. Sie sollen Ihnen dabei helfen, Ungeklärtes klarzumachen, Ungeordnetes zu sortieren und Unbewegliches in Gang zu bringen.
Grundlage der Texte ist mein Podcast Gehirn gehört, in dem ich meinen Hörerinnen und Hörern seit 2020 aus der Welt von Geist und Gehirn erzählen darf. Viele von ihnen baten mich, die Inhalte noch einmal nachlesen zu dürfen oder sie in gebundener Form jemandem schenken zu können. Vor längerer Zeit schrieb mir eine Hörerin, dass es doch »irgendwie unbefriedigend« sei, dass meine Gedanken ausschließlich als »digitale Fragmente« auf einer »Wolke im Äther« oder auf einem »weit entfernten Server« lägen. Sie sollten unbedingt »auf Papier überleben« dürfen. Ich habe mich damals sehr über diese poetische Zuschrift gefreut.
Ich gestehe, dass die schöne Idee zunächst dennoch eine eher unbedeutende Saat in der hintersten Ecke meines Gehirngartens blieb. Sie brauchte lange, um in mir zu keimen. Aber mit der Zeit wuchs sie zu einer echten Herzensangelegenheit heran, die jetzt endlich, nach vielen Monaten intensiver Arbeit, ihre Früchte trägt:
Vor Ihrer Nase beziehungsweise Ihrem Gehirn liegen zwölf Kapitel, für die ich ein paar ausgesuchte Folgen des Podcasts vollständig überarbeitet, korrigiert und erweitert habe. In manchen Fällen habe ich die Episoden nahezu komplett umgeschrieben, oder sie sind sogar gänzlich neu. Jedes Kapitel ist zudem um ein »Betthupferl« ergänzt worden, das einen besonderen Gedankenimpuls für Sie enthält, und endet mit einem »Schlusslicht« in Form einer kurzen Zusammenfassung, bevor Sie das Licht löschen.
Freuen Sie sich auf ein paar kurzweilige Ausflüge ins Gehirn: Unter anderem werde ich Ihnen ein paar spannende Geheimnisse über die Stille verraten und wann Sie auf Ihre innere Stimme hören sollten. Ich zeige Ihnen, wo Sie in Ihrem Leben kleines Glück und tieferen Sinn finden können. Sie erfahren außerdem, was Sie bei Belastung und Anspannung wieder ausgleicht, wie Sie unveränderliche Dinge akzeptieren, auch wenn sie schmerzvoll sind, und wie Sie Mitmenschen verzeihen, die Sie verletzt haben. Ich ermuntere Sie, sich selbst gegenüber mitfühlend zu begegnen, falls Sie das Gefühl haben, nicht zu genügen oder nicht liebenswert zu sein. Schlussendlich möchte ich Ihnen versichern, dass auch in schwierigen Zeiten immer Grund für Zuversicht besteht. Den Grund dafür erfahren Sie im letzten Kapitel.
Die Handhabung dieses Buches obliegt natürlich ganz Ihnen. Ich empfehle jedoch, nicht alle Kapitel an einem Stück, sondern in gehirngerechten Portionsgrößen zu konsumieren. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, ein Kapitel pro Abend oder pro Woche zu lesen. Falls Sie jedem der Gedanken genügend Zeit zum Keimen schenken möchten, wäre vielleicht sogar nur eines pro Monat ratsam (dann wäre mein kleines Buch ein wahres Jahresprojekt). In jedem Fall jedoch sollten Sie sich den Texten vorzugsweise immer dann widmen, wenn am Abend endlich der Stress, das Tempo und der Lärm des Tages von Ihnen abfallen. Dann bereiten Sie Ihrem Gehirn nämlich den besten Nährboden für gute Gedanken über sich und die Welt.
Ein letzter Disclaimer, bevor es losgeht: Die Gedankensammlung, die Sie in Ihren Händen halten, ist kein medizinisches Fachbuch. Es richtet sich auch nicht in erster Linie an psychisch erkrankte Menschen, sondern ist ganz bewusst für die Allgemeinbevölkerung geschrieben, so wie sich mein Podcast Gehirn gehört ebenfalls an ein solches Publikum richtet. Die genannten Empfehlungen können keine Therapie im engeren Sinn ersetzen. Dieses Buch möchte stattdessen über ein paar spannende psychologische Themen aufklären, zum Nachdenken und Ausprobieren anregen und auf eine leichte und lockere Weise unterhalten. Ein humorvoller Tonfall ist mir besonders wichtig. Ich halte mich dabei ganz an den Dichter Christian Morgenstern, dem folgendes Bonmot zugeschrieben wird: »Der Abend ist das Süße der Zeit, nicht ihr Ernst.«
Liebe Leserinnen und Leser, der kühle Frühlingsabend, an dem ich diese Zeilen schreibe, neigt sich seinem Ende zu. Draußen ist es mittlerweile fast dunkel geworden. Damit endet auch die Arbeit an diesem Buch, denn ich pflege meine Einleitung immer am Schluss zu schreiben.
In diesem Augenblick lehne ich mich zufrieden in meinem Stuhl zurück und freue mich darauf, mit Ihnen gemeinsam die nächsten Abende verbringen zu dürfen (falls Sie bislang noch nicht eingeschlafen sind).
Nutzen Sie mit mir gemeinsam den kostbaren Raum zwischen dem Tag und der Nacht, um für einen Augenblick innezuhalten. Blicken Sie ehrlich, neugierig und wohlwollend auf sich selbst und nehmen Sie im Folgenden ein paar gute Gedanken mit in Ihren Schlaf. Falls Sie sich darauf einlassen möchten, werden Ihnen die nächsten Kapitel bestimmt gefallen und hoffentlich guttun. In diesem Fall darf ich Ihnen und Ihrem Gehirn schon jetzt eine gute Nacht wünschen und Ihnen versichern: Mit diesem Buch »liegen« Sie richtig.
Volker Busch
Regensburg, Anfang April 2025
Warum die Vorstellungskraft eine unserer größten geistigen Stärken ist. Wie sie unser Leben verbessert und eine gute Zukunft ermöglicht. Wie wir sie in uns entdecken und entwickeln.
Freuen Sie sich auf einen Spaziergang in einem Wald der Worte, einen kurzen Blick in Ihren Hinterkopf, eine neue Wohnzimmereinrichtung und einen Tauchgang zur »Nautilus« 20000 Meilen unter dem Meer.
Lange bevor ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, bestand bereits in meinem Kopf eine lebhafte Vorstellung davon, wie man durch ein paar gute Gedanken einen aufgewühlten Geist vor dem Zubettgehen zur Ruhe bringen kann. Der kreative Schreibprozess, in dem ich meine Ideen ausformulierte oder bereits vorhandene Gedanken umschrieb, begann erst einige Zeit später – und dauerte länger als erwartet. Das ist typisch für die menschliche Neigung, eine Idee zu haben und diese anschließend umzusetzen: Zu Beginn steht die Fantasie, ungebremst und leidenschaftlich. Die kreative Ausgestaltung schließt sich daran an und ist oft ein arbeitsintensiver Prozess.
Während die Kreativität jedoch in aller Munde ist, wird über die Fantasie deutlich seltener geredet. Sie ist jedoch die eigentliche Schlüsselressource für die Ideenwerkstatt unseres Gehirns. Deswegen möchte ich dieser kraftvollen Ressource hier eine verdiente Bühne schenken. So wie sie zu Beginn fast eines jeden geistigen Prozesses steht, soll sie auch hier unsere Gute-Gedanken-Sammlung eröffnen.
Fantasie ist ein kognitiver Prozess unseres Gehirns und beschreibt die Fähigkeit, in Bildern zu denken und zu fühlen. Diese Vorstellungskraft ist dabei nicht von der aktuellen Sinneswahrnehmung abhängig. Schon Aristoteles beschrieb die Phantasia als innere Vorstellung, die ohne äußere Wahrnehmung auftreten kann. So malt ein Künstler ein Bild, das er sich vorstellt, aber nie gesehen hat. Ein Märchenautor erfindet eine Geschichte über Personen oder Wesen, die es nicht gibt. Und eine Ingenieurin denkt sich eine Apparatur für ein bislang ungelöstes technisches Problem aus.
Selbst in der Forschung hat Fantasie ihren Platz. Wissenschaftliches Arbeiten ohne Vorstellungskraft wäre undenkbar. Albert Einstein sagte einmal: »Logik bringt dich von A nach B. Fantasie bringt dich überallhin.« Natürlich müssen meine Arbeitsgruppe und ich mathematisch exakt arbeiten, wenn wir Daten erheben und sie anschließend auswerten. Aber die Idee für eine Hypothese gewinnen wir durch unsere Vorstellungskraft und die fantastischste aller Fragen: Was wäre, wenn?
In der Welt der Fantasie herrschen keine Naturgesetze oder Regeln der Logik. Genau dieser Punkt unterscheidet sie von der Kreativität. Letztere berücksichtigt in der Regel auch die Angemessenheit oder Nützlichkeit einer Idee. Beim kreativen Denken geht es zudem um die konkrete Ausarbeitung des Einfalls.
Kreativität ist somit etwas »technischer« und vergleichsweise tiefer in der Frage verwurzelt, wie genau man etwas umsetzt. Die Fantasie ist von alldem frei. Sie schert sich nicht um Dinge wie Machbarkeit. Sie spinnt herum und kennt im besten Fall keine Denkverbote.
Notabene: Sogar die Gesetze der Schreibweise werden von ihr außer Kraft gesetzt. Sie können das Wort Fantasie nämlich sowohl mit »F« als auch mit »Ph« schreiben. Der Duden empfiehlt zwar die erstere, aber letztlich sind Sie hier, ganz im Sinne der Sache, völlig frei. Eine schöne Ironie.
Wahrscheinlich hat unsere Spezies die Vorstellungskraft zeitgleich mit der Sprache entwickelt, also vor knapp 100000 Jahren. Mithilfe eines umfangreichen Wortschatzes konnten wir unsere Gedanken und Gefühle nämlich zunehmend besser ausdrücken und einander mitteilen, was wiederum die Introspektion und bildhafte Vorstellung verbessert hat. Adi Shankara, ein großer indischer Heiliger und Philosoph aus dem 8. Jahrhundert, sagte einmal: »Ein Netzwerk von Worten ist wie ein großer Wald, in dem sich die Fantasie herumtreibt.«
Dennoch ist das Image der Fantasie wenig glanzvoll. Sie wird zwar für gut befunden, wenn man ein Bild malen oder Musik komponieren will, aber für den Rest des Lebens erscheint sie wenig zielführend. Wer über eine »blühende Fantasie« verfügt, gilt vielmehr schnell als naiver Spinner.
Kinder ermahnen wir oftmals, »vernünftig« zu sein, wenn ihre Geschichten allzu hanebüchen daherkommen. Eine Zeit lang dachte man sogar, dass Kinder mit viel Fantasie nicht gut rational denken könnten. Ich hatte selbst schon Eltern in meiner Sprechstunde, die sich darüber Sorgen machten, dass ihr Kind häufig verträumt im Kinderzimmer saß und in seiner Spielwelt versunken war, vielleicht sogar mit imaginären Freunden spielte.
Solche Sorgen sind jedoch unbegründet. Mittlerweile wissen wir, dass ein hohes Maß an bildhafter Vorstellungskraft kognitiv flexibler macht und die Fähigkeit erhöht, sich an neue Situationen im Leben besser anpassen zu können. Auch die Fähigkeit, Probleme zu lösen, die einem das Leben in den Weg räumt, steigt dadurch. Diese Vorteile der Fantasie wurden sowohl bei Kindern1 als auch bei Erwachsenen2 experimentell bestätigt.
Das schlechte Image der Fantasie erklärt sich unter anderem kulturgeschichtlich. Schon in der griechischen Antike hielt man Logos, das Vernunftprinzip und das objektive Erkennen von Zusammenhängen, für das höchste Ziel, nicht dagegen die subjektive Vorstellungskraft. Das Rationale galt als das übergeordnete Prinzip eines klaren Geistes, alles andere war eingebildet und unwahr. Ein Erbe, das wir bis heute nicht vollständig überwunden haben. In diesem Fehlverständnis setzen manche Menschen Fantasien heute »Hirngespinsten« gleich.
In der Psychiatrie galt die Fantasie lange Zeit sogar als ausgesprochen ungesund. Aus psychoanalytischer Sichtweise wurden Fantasien nämlich als nicht ausgelebte Triebe betrachtet. Wer von etwas fantasierte, suchte dieser Theorie zufolge nach einem Ventil zu ihrer Befriedigung. Kein Wunder also, dass der Fantasie, zumindest in unserem Kulturkreis, nach wie vor etwas Dunkles und Verbotenes anhaftet. Eine solche Interpretation wird der Fantasie jedoch nicht gerecht, denn sie schenkt uns mehr, als Sie vielleicht ahnen.
Fantasie assoziieren viele mit dem Nachtschlaf, weil sie das geistige Futter unserer Träume sind. Aber sie ist, neben der Grundlage unserer Einfälle und Ideen, auch die Voraussetzung für viele andere geistige Leistungen. Eine gute Vorstellungskraft bringt tatsächlich einige »fantastische« Vorteile mit sich:
Fantasie ist anregend und aktivierend: Denken Sie an die Vorfreude auf ein Konzert, ein Abendessen mit Freunden oder den Sommerurlaub. Bereits eine vage Vorstellung von diesen und ähnlichen Dingen kann Ihr Herz schneller schlagen lassen. Je plastischer wir uns die Ereignisse im Kopf vorstellen, desto stärker ist unsere psychophysiologische Aktivierung. Das gilt leider auch für negative Gefühle, zum Beispiel die Angst. Menschen mit guter Vorstellungskraft steigern sich leichter in bedrohliche Situationen hinein.3 Glücklicherweise finden sie jedoch auch häufig schneller wieder aus ihnen heraus, wenn sie sich entsprechende Lösungen für ihre Alltagssorgen ähnlich gut vorstellen können.
Fantasie hilft uns, Ziele zu erreichen: Wer sich seine Ziele bildhaft vorstellen und detailliert ausmalen kann, erreicht sie eher. In mehreren Untersuchungen konnte belegt werden, dass Menschen, die sich ihre Ziele sowie mögliche Hindernisse und Hürden auf dem Weg dorthin mental gut vorstellen können, in der Regel erfolgreicher sind. Dies ist unter anderem deswegen der Fall, weil sie sich dann sorgfältiger auf alles vorbereiten können.4
Fantasie erleichtert dasLernen: Menschen eignen sich neues Wissen schneller und leichter an, wenn sie sich mithilfe mentaler Bilder Brücken bauen und räumliche Vergleiche konstruieren können.5 Viele Lerntechniken fußen daher auf bildlichen Übersetzungen von Zahlenreihen oder abstrakten Begriffen. Dann merken wir sie uns leichter und können sie später besser abrufen.
Fantasie macht empathisch: Wir können uns dadurch in andere hineinversetzen, weil wir uns vorstellen können, was sie denken und fühlen. Einfühlungsvermögen setzt also ebenfalls Vorstellungskraft voraus. Auch die Perspektive zu wechseln und unsere Mitmenschen dadurch zu verstehen, gelänge nicht ohne Fantasie.6
Fantasie ist also in vielerlei Hinsicht an unserem täglichen Denken und Fühlen beteiligt. Aber wo genau im Gehirn sitzt sie?
Für unsere Vorstellungskraft gibt es keinen alleinigen Ort im Gehirn. Fantasie entspricht vielmehr einer Gemeinschaftsleistung des Gehirns, für die verschiedene Hirnbereiche miteinander kooperieren.
Ganz wesentlich beteiligt ist die Sehrinde im hinteren Teil unseres Gehirns, dem sogenannten Okzipitallappen.7 Es braucht dabei gar keinen sensorischen Input, um Dinge vor unserem geistigen Auge sichtbar zu machen, denn dies geschieht auch, wenn wir die Augen geschlossen halten. Sie können also auch mit einer Schlafmaske fantastisch denken. »Fantasie ist die Gabe, auch unsichtbare Dinge zu sehen«, wie Jonathan Swift, der Autor von Gullivers Reisen, es einmal schön auf den Punkt brachte. Je stärker unsere Vorstellungskraft ist, desto stärker ist auch das Aktivierungsmuster in der Sehrinde. Also schützen Sie Ihren Hinterkopf gut. Falls Sie mit dem Fahrrad stürzen sollten, erinnern Sie sich am besten innerhalb weniger Millisekunden an dieses Kapitel und drehen Sie schnell den Kopf zur Seite.
Am fantasievollen Denken beteiligt ist außerdem der Hippocampus, ein wesentlicher Teil unseres Gedächtnisspeichers. Er versorgt das Gehirn mit Erinnerungen und Erfahrungswerten, wodurch die Vorstellungen so lebendig und bildhaft werden.8 Nicht zuletzt sind auch verschiedene Emotionszentren involviert, denn wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, können innere Bilder starke Gefühle auslösen.9
Bereiche im Vorderlappen des Gehirns, die für rationales Denken zuständig sind, sind deutlich weniger aktiv beim fantasievollen Träumen.10 Durch das Bremsen der Vernunftzentren wird die Fantasie nicht durch zu viel Denkvorschriften und -regeln eingebremst und kann sich besser entfalten. Der Realitätssinn verhält sich nämlich oft wie eine Art »Zwangsjacke« für das freie Denken. Wer fantasievoll sein möchte, zieht sie daher besser aus.
Zusammengefasst entsteht Fantasie im Gehirn also aus bildlichen Vorstellungen, Erinnerungen, vielen Gefühlen – und weniger Vernunft.
Sie können sich sicher denken, dass die Fähigkeit, sich Dinge vorzustellen, bei Menschen ganz unterschiedlich ausgebildet ist. Wie ist es bei Ihnen?
Stellen Sie sich vor, nachts würde Ihnen eine Fee erscheinen. Sie gewährt Ihnen einen freien Wunsch, egal, wie unrealistisch oder absurd er auch sei. Was würden Sie sich wünschen? Können Sie Ihren Wunsch nennen und mit Worten umschreiben? Oder haben Sie vielleicht sogar ein so detailreiches Bild vor Ihrem geistigen Auge, dass Sie ihn auf Papier zeichnen könnten?
Wir nutzen diese und ähnliche Fragen öfter in der Psychotherapie, um die Vorstellungskraft unserer Klienten zu prüfen. Die Fähigkeit der Fantasie kann nämlich wertvolle Hinweise auf Ihre Problemlösefertigkeiten oder Motivation geben.
Tatsächlich gibt es Menschen mit einem bemerkenswerten Unvermögen, sich die einfachsten Dinge ausmalen zu können. Der polnische Satiriker Gabriel Laub schrieb einmal ironisch: »Fantasie ist etwas, was sich manche Menschen gar nicht vorstellen können.«11
Nehmen wir an dieser Stelle meine Frau und mich: Unsere Vorstellungskraft ist gänzlich verschieden. Meine Frau hat eine beneidenswerte Fähigkeit, in ihrem Kopf Farben und Formen zu komponieren, beispielsweise wenn sie handwerkt oder bastelt. Sie sieht die Dinge, die entstehen sollen, bereits bevor sie fertig sind. Danach braucht sie sie nur noch technisch umzusetzen. Dank ihr sind die gemütlich eingerichteten Zimmer in unserem Heim entstanden, ebenso wie ein Garten voller Farbenpracht. Meine Frau muss eine riesige Okzipitalwindung in ihrem Hinterkopf haben (ich habe mich bislang diesbezüglich noch nicht rückversichern können). Ich dagegen sehe die geplante Wandbemalung oder die Balkonbepflanzung im Vorfeld allenfalls schemenhaft. Erst wenn ich es leibhaftig vor mir sehe, springt auch meine Sehrinde an. Trotz dieser eklatanten Differenzen dauert unsere Ehe bislang glücklicherweise an.
Bei Menschen, die überhaupt keine Vorstellungskraft besitzen, spricht man von Afantasie. Immerhin sind ca. 2 Prozent der Bevölkerung in unserem Land hiervon betroffen. Afantasie ist zwar meist angeboren, kann aber auch die Folge von Schlaganfällen oder Schädel-Hirn-Verletzungen sein.
Beeinträchtigt ist dabei nicht das (räumliche) Gedächtnis. So können sich Betroffene, einer Studie der University of Chicago zufolge, an kurz zuvor gezeigte Gegenstände in einem Zimmer durchaus erinnern. Allerdings können sie sich in ihrem Kopf nicht vorstellen, wie der Raum anders eingerichtet aussehen könnte.12 Was da im Gehirn (nicht) vor sich geht, weiß man noch nicht genau. Möglicherweise liegt in solchen Fällen eine Kommunikationsstörung zwischen verschiedenen Hirnbereichen vor, die für das Zustandekommen innerer Bilder kooperieren.
Eine Arbeitsgruppe der University of New South Wales in Sydney fand kürzlich heraus, dass sich Afantasten weniger leicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn sie etwas Schreckliches erzählt bekommen, weil sie es sich schlichtweg nicht vorstellen können. In dem genannten Experiment wurden 46 Betroffene in einen dunklen Raum gesetzt, und es wurden ihnen spannende Horrorgeschichten vorgelesen. Dabei blieben sie psychophysiologisch weitgehend ruhig. Ihre Schweißsekretion stieg nicht an, und auch ihre Herzfrequenz veränderte sich nicht, während sie der Erzählung lauschten. Wenn man ihnen dagegen Bilder von Mord und Totschlag zeigte, zuckten auch sie plötzlich zusammen. Sie waren also im Angesicht von etwas Schrecklichem alles andere als gefühlskalt. Wenn sie sich aber eine gehörte Geschichte bildlich vorstellen sollten, waren sie davon relativ unbeeindruckt.13
Betroffene erzählen häufig, dass ihnen ihr Unvermögen anfangs gar nicht aufgefallen sei, weil sie es für normal gehalten hätten. Das ist vergleichbar mit einem Jugendlichen, der seit Jahren kurzsichtig ist, seine Sehfähigkeit aber nie beklagt, weil er es nicht anders kennt. Oft bringen einen die Mitmenschen darauf, und man erkennt irgendwann, dass man sich hier von anderen unterscheidet.
Wie wir gleich sehen werden, kann man fantasievolles Denken zwar etwas üben, aber Menschen mit Afantasie werden auch mit entsprechendem Training diesbezüglich immer beeinträchtigt bleiben. Aber wie immer sorgt die Natur für einen Ausgleich. Die Fähigkeiten eines Betroffenen liegen höchstwahrscheinlich woanders. Falls Sie also mit einem Afantasten verheiratet sind, lassen Sie besser ihn bei merkwürdigen Geräuschen im dunklen Keller nach dem Rechten sehen. Das kann er gut, denn er lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Das Wohnzimmer sollten Sie dagegen am besten selbst einrichten.
Unser Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt soll einmal gesagt haben: »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!« Ob das Zitat wirklich so gemeint war und ob es überhaupt aus seinem Mund stammt, ist umstritten. Aber falls es so war, handelt es sich um eine falsche Grundannahme. Visionen sind nämlich keine Halluzinationen (das scheint hier verwechselt worden zu sein), sondern meist wertvolle innere Bilder von einer besseren Zukunft. Deshalb brauchen Menschen mit Visionen keinen Psychiater, sondern eine Stimme!
Aus ihren Vorstellungen können nämlich möglicherweise wegweisende Ideen geboren werden. Denken Sie etwa an die frühen Zeichnungen Leonardo da Vincis von Hubschraubern und anderen Fluggeräten. Vieles davon ist Jahrhunderte später in abgewandelter Form wahr geworden. Oder denken Sie an die Nautilus aus Jules Vernes Abenteuerroman 20000 Meilen unter dem Meer aus dem Jahr 1870. Die Idee zu einem gigantischen Unterwasserboot motivierte den Erfinder Simon Lake knapp 30 Jahre später, für die U.S. Navy das erste echte U-Boot zu bauen. Oder denken Sie an den »Trikorder« der Besatzung des Raumschiffes Enterprise (Star Trek), der als Vorläufertyp heutiger Smartphones gilt. Diese und viele andere Erfindungen entstanden zunächst in der Vorstellungskraft ihrer Schöpfer. Dort wurden sie als Bild lebendig, und zwar oft erstaunlich detailreich, bevor sie irgendwann technisch umgesetzt wurden. Die Fantasie von heute wird häufig zur Realität von morgen. (Ob U-Boote und Handys die Welt wirklich besser gemacht haben, ist eine andere Frage.)
Eine alte Redensart lautet: »Geld regiert die Welt.« Meine Lebenserfahrung war seit jeher eine andere: »Ideen regieren die Welt.« Bei guten Ideen, die Menschen Vorteile bringen oder ihr Leben verbessern, kommt das Geld meist ganz von selbst. Ideen sind es, die am Anfang von Entwicklungen stehen, die im besten Fall Fortschritt und Wohlstand bringen.
Ich will Ihnen ein rührendes Beispiel von einem Menschen nennen, der durch seinen Wunsch von einer besseren Welt einen wunderbaren Einfall hatte und seine Idee anschließend erfolgreich umsetzte: Die Rede ist von dem deutsch-thailändischen Architekten Van Bo Le-Mentzel. Er entwirft Kleinstwohnungen und Möbel für bedürftige Menschen, die nur wenig Geld im Leben zur Verfügung haben. Grundlage seiner Idee war kein optimiertes Verkaufskonzept, sondern eine Vorstellung davon, wie es wäre, wenn jeder Mensch ein Zuhause hätte, mit preiswerten, aber schönen Möbeln, die er individuell nach den eigenen Bedürfnissen zuschneiden könnte. Also entwickelte er Stühle, Tische, Sessel und Schlafsofas zum Selbstbauen. Die Anleitungen dafür stellte er ins Netz, wo sie von vielen begeisterten Fans weiterentwickelt und verbessert wurden.14
Utopien und Visionen können eine mutmachende Kraftquelle sein, erst recht in der heutigen Zeit, in der uns medial mit einem apokalyptischen Szenario nach dem anderen gedroht wird. Vorstellungen von einer technisch, gesellschaftlich oder medizinisch besseren Zukunft bewahren uns davor, in defätistischer Stimmung zu versinken. Sie erzeugen Zuversicht, weil sie in Richtungen zeigen, die uns aus einer Krise herausführen.
Natürlich liegt es in der Natur der unbegrenzten Fantasie, dass sich ein Teil der verrückten Einfälle als Sackgasse erweisen wird. Aber die realistische Umsetzung ist streng genommen auch nicht ihre primäre Aufgabe. Der Job der Fantasie ist in erster Linie ein völlig freies Spiel der Gedanken. Der Beginn eines jeden kreativen Prozesses ist eine bildhafte Vorstellung in möglichst verrückten und bunten Farben. Die konkreten Bauanleitungen kommen erst später.
Falls Sie nun Lust verspüren, Ihre Fantasie zu »verbessern«, sollten Sie sich nicht dazu verführen lassen, hierfür irgendwelche Drogen einzunehmen. Zwar können bestimmte Substanzgruppen wie Halluzinogene durchaus ihre Vorstellungskraft kurzfristig steigern. Aber es handelt sich nur um zwischenzeitliche Zustände, die überdies meist nur schwer kontrollierbar sind. Im schlimmsten Fall können sie anhaltende psychedelische Zustände auslösen, in denen es zur vollständigen Entfesselung Ihrer Fantasie kommt. Unter diesen »Trips« leiden Betroffene in der Regel sehr.
Auch ein leichtes Fieber kann fantasievolles Denken kurzfristig beflügeln. Robert Louis Stevenson soll Teile seines berühmten Romans Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde in einem fiebrigen Zustand geschrieben haben. Historikern zufolge soll auch Ludwig van Beethoven während fiebriger Episoden besonders fantasievoll Klavier gespielt haben. Als Arzt kann ich Ihnen natürlich nicht empfehlen, eine fieberhafte Infektion künstlich herbeizuführen. Aber legen Sie dennoch sicherheitshalber Papier und Stift auf den Nachtkasten, falls Sie das Fieber einer Erkältungserkrankung einmal ins Bett zwingen sollte. Vielleicht küsst Sie die Muse.
Stattdessen gibt es nebenwirkungsärmere Möglichkeiten, mit denen Sie Ihre Vorstellungskraft schrittweise entwickeln können. Einige habe ich für Sie nachfolgend zusammengestellt. Anfangs werden Ihnen manche davon vielleicht noch schwerfallen. Aber Sie werden sehen, je öfter Sie das Fantasieren üben, desto leichter fällt es Ihnen im Verlauf. Die gute Nachricht lautet: Wir alle tragen die nötigen Hirnwindungen anatomisch bereits in uns. Klopfen Sie sich stolz auf Ihren Hinterkopf.
Zunächst einmal benötigt Fantasie geistiges »Futter«.Sorgen Sie daher für frischen Wind in Ihrem Leben und durchbrechen Sie gewohnte Alltagsroutinen. Lassen Sie sich inspirieren durch neue Orte, neue Situationen und neue Menschen. Überlegen Sie sich für die nächsten Tage etwas Ungewöhnliches, was Sie noch nie vorher gemacht haben. All das sorgt nicht nur für Glücksmomente und lustige Geschichten, die Sie anderen im Nachhinein erzählen können. Es sorgt auch für frische Erfahrungen und Erinnerungen, die Ihr Gedächtnisspeicher künftig ganz automatisch für Einfallsreichtum und Vorstellungskraft nutzen wird.
Eine andere Nahrungsquelle für Fantasie sind Geschichten. Lesen Sie mehr Romane, denn fantasievolle Erzählungen lassen detailreiche Bilder in Ihrem Kopf entstehen. Ihre Fantasie übersetzt den Text in bunte Bilder. Bei Fachartikeln gelingt das nicht so gut. Je mehr Sie in die erzählte Welt einer Geschichte eintauchen, desto mehr fordern und trainieren Sie dabei Ihre Vorstellungskraft. Falls Sie nicht gern lesen, können Sie auch Hörbücher oder Hörspiele genießen. Die Reduktion auf den akustischen Kanal zwingt Ihr Gehirn, das Gehörte in Bilder zu übersetzen. Fernsehen ist als Fantasietraining dagegen weniger geeignet. Hier sind die Inhalte weitgehend vorgegeben, und das Gehirn muss nichts mehr konstruieren. Kurz gesprochen, wird die Fantasie beim Fernsehen kaum gebraucht.
Eine fantasievolle Erzählung vor dem Schlafengehen wäre übrigens besonders geeignet, denn die inneren Bilder, die kurz vor dem Schlafengehen in unserem Kopf entstehen, bestimmen zum großen Teil den Inhalt unserer Träume während der Nacht.15 Also füttern Sie Ihr Gehirn mit guten Geschichten, bevor Sie das Licht löschen.
Fantasie braucht Zeit, um sich zu entfalten. Solange wir gehetzt unsere alltäglichen Aufgaben abarbeiten, ist für sie kein Platz. In dem Augenblick jedoch, in dem wir unserem Geist etwas Ruhe gönnen, schlägt ihre Stunde. Sobald wir in der Hängematte vor uns hin dösen oder in einem Zug aus dem Fenster blicken, kommen wir ins Tagträumen, und mit etwas Glück fallen uns »fantastische« Ideen ein.
Vorteilhaft ist, wenn unsere Wahrnehmung dabei nicht zu stark durch die Außenwelt gebunden ist, beispielsweise weil wir gerade im Auto sitzen und auf die Straße achten oder im Bus auf unserem Smartphone Nachrichten lesen. Auch dann kann sich Fantasie nicht gut entfalten. Sobald wir aber stattdessen in Phasen der Entspannung auf einer Parkbank sitzen und auf einen Teich blicken, bekommt unsere Fantasie endlich genug Raum. Wir beginnen, in Bildern zu denken und zu träumen. Unsere Gedanken gehen auf Wanderschaft – obwohl unser Körper immer noch auf der Bank sitzt. Die große schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren soll einmal gesagt haben: »Man muss Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.«16
Wir müssen aber nicht zwangsläufig still und passiv dasitzen, sondern können auch herumlaufen. Wissenschaftler der Stanford University fanden nämlich heraus, dass ein simpler Spaziergang die Vorstellungskraft um 60 Prozent steigern kann.17 Der Blick in die Ferne während des Aufenthalts in der Natur trägt möglicherweise dazu bei, dass es uns leichter fällt, unseren »inneren Horizont« zu erweitern. Schauen Sie sicherheitshalber ab und an auf den Boden vor sich.
Wichtig ist bei all dem, nicht ins konkrete Planen zu kommen, also etwa die Einkaufsliste durchzugehen oder die vermutete Steuerrückzahlung am Ende des Jahres auszurechnen. Und ebenso wichtig ist, nicht unentwegt auf einen Bildschirm zu schauen, auch wenn es schwerfällt (Frau Lindgren tat sich diesbezüglich vermutlich leichter, weil sie keinen Instagram-Account hatte). Träumen Sie stattdessen von einem besonderen Urlaub oder von einem Ort, an dem Sie nie waren. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Sie einen anderen Beruf hätten, in einem weit entfernten Land leben würden oder eine besondere Superheldenfähigkeit hätten. Es braucht (und sollte) nicht realistisch sein. Die Fantasie wächst umso mehr, je weniger sie gezügelt wird.
Das Problem eines fantasievollen Gedankens ist häufig, dass er direkt nach seiner Entstehung im Kopf direkt wieder verworfen wird. Nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf oder nie so war. Einer Idee fehlt oft schlicht die Erlaubnis, weitergedacht werden zu dürfen.
Dann helfen sogenannte Was-wäre-wenn-Fragen. Grammatikalisch sind es schnöde Konjunktive, aber im Hinblick auf die Fantasie können sie Geburtshelfer vieler großartiger Ideen sein. Ein paar Beispiele: Stellen Sie sich vor, dass jeder Mensch vier Arme hätte: Was würde sich ändern? Was wäre, wenn Sie als alter Mensch geboren würden und im Laufe Ihres Lebens immer jünger würden, um als Säugling zu sterben (so in dem fantastischen Film Der seltsame Fall desBenjamin Button mit Brad Pitt in der Hauptrolle)? Eine gruselige Variante: Was wäre, wenn jeder die Gedanken des anderen lesen könnte und man praktisch nichts voreinander geheim halten könnte?
Falls Sie jetzt schmunzelnd den Kopf schütteln (ich kann es mir bildhaft ausmalen), lassen Sie mich Ihnen versichern, dass diese Übung durchaus ernst gemeint ist. Spielen Sie die verrückten Ideen mutig durch, während Sie spazieren gehen oder vor sich hin schauen, wie Frau Lindgren es tat. Je detailreicher Ihnen das gelingt, desto effektiver trainieren Sie Ihre mentale Vorstellungskraft.
Lassen Sie Ihren Gedanken dabei unbedingt freien Lauf, egal, wie unrealistisch Ihnen die Gedanken dabei vorkommen. Blockieren Sie sich nicht selbst durch Gesetze der Logik und Wahrscheinlichkeit. Wahre Fantasie kennt nur eine Regel: Alles ist erlaubt! Auch gewohnte Denkschemata dürfen verletzt werden. Wir merken oft im Alltag gar nicht, wie sehr wir unsere Fantasie einschränken, indem wir uns mit leiser Stimme einreden: »Das geht nicht!« Fragen Sie sich also stattdessen: »Warum eigentlich nicht?« Nur wenn Sie eine Idee knallbunt und verrückt ausmalen, wird sie auch groß. Vincent van Gogh drückte es einmal so aus: »Die Normalität ist eine gepflasterte Straße. Man kann gut darauf gehen, doch es wachsen keine Blumen auf ihr.«
Wer weiß, vielleicht entwickeln Sie sogar eine Idee für einen Film oder einen Roman? Alle guten Geschichten haben schließlich mal mit einem Konjunktiv angefangen: Was wäre eigentlich, wenn?
Ein Freund von mir, Dirigent eines Orchesters, erzählte mir einmal, dass es für besonders verrückte und unkonventionelle Musikstücke den Begriff »Capriccio« gäbe. Der Begriff kommt aus dem Italienischen von »Capo« (= Kopf) und »Riccio« (= Seeigel) und bedeutet übersetzt so viel wie »verrückter Wirrkopf mit stacheliger Frisur«. Ein Capriccio ist also eine besonders fantasievolle Laune der Natur.
Mitunter meint man damit aber auch Menschen, die (musikalisch) experimentieren und frei von Konventionen agieren. Ein Capriccio zu sein, heißt also in einem weiteren Sinn, eine Sache über ihre Grenzen hinaus denken und dabei Normen und Regeln überwinden zu können. Dadurch, dass Capriccios ihrer Fantasie freien Lauf lassen, entdecken sie auch am laufenden Band neue Dinge, die ihr Leben möglicherweise bereichern.
Ich möchte Sie einladen, diesen Gedanken mit ins Bett zu nehmen, bevor Sie gleich einschlafen. Überlegen Sie sich, was Sie morgen Verrücktes tun könnten. Bremsen Sie Ihre Fantasie nicht (solange Sie niemandem mit Ihren Ideen schaden). Vielleicht benötigen Sie gar keine Fee, die Ihnen einen Wunsch erfüllt. Sie müssen sich nur trauen, einen kleinen Teil Ihrer Fantasien wahr werden zu lassen.
Fantasie regt uns an und motiviert uns. Sie ist die Grundlage vieler Ideen, und sie ermöglicht uns ein gelingendes soziales Miteinander. Die mentale Vorstellungskraft macht uns also in vielen Bereichen des Lebens kompetent. Sie ist nicht nur die Hauptzutat spannender Filme und Bücher, sondern auch die Grundlage vieler Erfindungen, die das eigene Leben bereichern oder die Welt verbessern können, egal, ob wir als Künstlerin, als Therapeut, als Lehrerin, als Verkäufer oder als Wissenschaftlerin tätig sind. Der menschlichen Fantasie haftet somit weder etwas Kindlich-Naives noch etwas Krankhaft-Triebhaftes an. Sie ist eine kostbare kognitive Fähigkeit und ein gesunder Bestandteil einer intakten Psyche.
Wir sollten uns trauen, im Alltag etwas fantasievoller, vielleicht sogar etwas verrückter zu sein. Wenn Ihnen das ein Psychiater rät, mag das zunächst etwas seltsam erscheinen, ist hier aber ernst gemeint. Um noch mal auf Astrid Lindgren zurückzukommen: Ein bisschen »Pippi Langstrumpf« schadet keinem von uns. Ein fantasievoller Geist findet häufiger kleine Glücksmomente und manchmal Lösungen für große Probleme. Und in einer kompliziert gewordenen Welt mit ihren unzähligen großen Herausforderungen bringen es jene Menschen meist weit(er), die Lust auf Gedankenexperimente haben und anschließend den Mut aufbringen, ein paar von ihnen umzusetzen. Seien Sie also ruhig ab und an ein Capriccio, ein bunter Wirrkopf. Unsere Welt braucht nicht noch mehr Regeln, die das Denken beschränken, sondern ein paar mehr fantasievolle Köpfe mit Visionen. Sie sind es, die uns bereits heute fantastische Ideen schenken, die schon morgen unser aller Rettung sein könnten.
Natürlich, das sei hier noch einmal betont, reicht Fantasie allein nicht aus. Sobald wir unsere Ideen umsetzen möchten, benötigen wir kreativ-technisches Denken (und einiges anderes mehr). Aber das ist eine andere Gute-Nacht-Gehirn-Geschichte. Hier und heute gebührt der Fantasie die Ehre. Sie steht zu Beginn jeder Geschichte, die wir vom Leben schreiben.