Kopf hoch! - Prof. Dr. Volker Busch - E-Book

Kopf hoch! E-Book

Prof. Dr. Volker Busch

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Beschreibung

Was können wir tun, um uns angesichts drohender Erwartungen im Leben sicher zu fühlen und Zuversicht zu gewinnen? Der bekannte Neurologe, Psychiater und Wissenschaftler Prof. Dr. Volker Busch erläutert in seinem neuen SPIEGEL-Bestseller die Funktionsweise unseres mentalen Immunsystems und zeigt, welche Strategien uns stark machen und gesund halten. Permanente Krisen, mangelnde Orientierung, Schwarzmalerei, Überhitzung und Empörung: Ungewisse Zeiten sorgen für Angst, Pessimismus und Mutlosigkeit.Negative Nachrichten und schlechte Zukunftsprognosen infizieren unseren Geist und vergiften unser Denken. Das fordert unser mentales Immunsystem auf ständig neue Weise heraus. Umso mehr kommt es darauf an, zu verstehen, wie die psychischen Schutzmechanismen funktionieren und wie man sie verbessern kann. Wissenschaftlich fundiert, empathisch und humorvoll schildert Volker Busch, wie wir festen Boden unter den Füßen gewinnen in einer Zeit, in der manches ins Wanken gekommen ist. Basierend auf spannenden Forschungsergebnissen und seiner langjährigen Erfahrung als behandelnder Arzt erklärt der Neuromediziner, was mit unserem Gehirn im Krisenmodus passiert, und wie wir es dort wieder herausholen. Zugleich zeigt er Wege auf, das mentale Abwehr- und Verteidigungssystem zu stärken und sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Das Ziel ist, die eigene psychische Gesundheit zu schützen und zu bewahren. Erfahren Sie, wie Sie - Sicherheit finden in einer Welt, in der Gewissheiten verloren gegangen sind - Ansteckung mit Negativem verhindern und echte Positivität entwickeln - Grübeln unterbrechen und Gedanken stoppen, die den Geist vergiften - Heiterkeit und Humor entwickeln gegen Gereiztheit und innere Verkrampftheit - Zuversicht und Mut gewinnen für die Zukunft, statt in Sorgen und Ängsten gefangen zu bleiben »Zum Schutz unserer Psyche haben wir ein mentales Immunsystem. Es rückt die Welt in unserem Kopf gerade, schützt uns vor Negativem, verkleinert Ängste, macht Mut zum Handeln und schafft Freiräume für Lachen und Fröhlichkeit. Aber es ist aktuell stark beansprucht. Daher braucht es Schutz und Pflege, sowie Maßnahmen zur Stärkung, damit es uns in schwierigen Zeiten psychisch gesund und leistungsfähig hält.« Prof. Dr. Volker Busch »Als Komödiant ist mir das Lachen eine Scherzensangelegenheit - aber manchmal kommt der Blues auch zu mir, ohne sich anzumelden - dann nehme ich dieses Buch zur Hand und es ist so, als nähme mir jemand eine schwere Decke von Kopf. Volker Busch liefert hier Wege aus dem Gedankenkarussell, liefert spannende Fakten und Anekdoten, er bringt meine Wellen wieder auf eine Länge und zeigt entwaffnend auf, welche wichtige Rolle Humor in unserem Leben spielt! Genau nach meinem Motto: Albernheit verhindert den Ernst der Lage. Und wenn selbst schon alles geschrieben wäre, aber dieses Buch hat die Welt noch gebraucht!«Willy Astor, Kabarettist und Musiker »Dieses Buch meines geschätzten Freundes Prof. Dr. Volker Busch macht Mut, die Welt, unsere Gegenwart sowie den Ausblick in die Zukunft realistisch-zuversichtlich zu sehen. Volker und ich sind uns oft  begegnet, seine Vorträge und Bücher begeistern mich immer wieder, bringen mich zum Nachdenken und lehren mich, zuversichtlich durchs Leben zu gehen. Wohl wissend, dass dieses Höhen und Tiefen für uns bereithält und ständiger Veränderung unterliegt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leser, viel Freude beim Studieren des Buches und ganz viel Zuversicht im Leben.«Johann Lafer, Starkoch und Autor »Es gibt Tage, da würde ich mich gerne schlafen legen und erst wieder aufwachen, wenn die Probleme unserer Zeit gelöst sind. Der Haken an der Idee: dann ändert sich gar nichts. Volker Busch zeigt uns, dass wir definitiv mehr können als wir denken. Mehr Hirn wagen und dieses Buch lesen.«Sabine Heinrich, TV- und Radiomoderatorin

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Seitenzahl: 465

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Prof. Dr. Volker Busch

Kopf hoch!

Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Was können wir tun, um uns angesichts drohender Erwartungen im Leben sicher zu fühlen und Zuversicht zu gewinnen? Der bekannte Neurologe, Psychiater und Wissenschaftler Prof. Dr. Volker Busch erläutert die Funktionsweise unseres mentalen Immunsystems und zeigt, welche Strategien uns stark machen und gesund halten.

Permanente Krisen, mangelnde Orientierung, Schwarzmalerei, Überhitzung und Empörung: Ungewisse Zeiten sorgen für Angst, Pessimismus und Mutlosigkeit. Negative Nachrichten und schlechte Zukunftsprognosen infizieren unseren Geist und vergiften unser Denken. Das fordert unser mentales Immunsystem auf ständig neue Weise heraus. Umso mehr kommt es darauf an, zu verstehen, wie die psychischen Schutzmechanismen funktionieren und wie man sie verbessern kann.

Wissenschaftlich fundiert, empathisch und humorvoll schildert Volker Busch, wie wir festen Boden unter den Füßen gewinnen in einer Zeit, in der manches ins Wanken gekommen ist. Basierend auf spannenden Forschungsergebnissen und seiner langjährigen Erfahrung als behandelnder Arzt erklärt der Neuromediziner, was mit unserem Gehirn im Krisenmodus passiert, und wie wir es dort wieder herausholen. Zugleich zeigt er Wege auf, das mentale Abwehr- und Verteidigungssystem zu stärken und sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Das Ziel ist, die eigene psychische Gesundheit zu schützen und zu bewahren.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Zu diesem Buch – ein Beipackzettel

Packungsinhalt

Zusammensetzung

Indikation

Kontraindikation

Nebenwirkungen

Zusatzstoffe

Dosierungsempfehlungen

Herstellung

Sprachliche Hinweise

Lassen Sie uns beginnen

Prolog – Belastungen im Umbruch

Die Dame auf dem Sofa

Eine unerklärliche Nervenschwäche

Das Rad dreht sich wieder

Einstieg – das mentale Immunsystem

Überreizt und erschöpft

Krank an der Welt?

Was uns (heute) belastet

Ein Freund an unserer Seite

Mehr als Abprallen

Grundausstattung im Basistarif

Upgrades im Verlauf

Schutz und Stärkung

Eisbad statt Schaumbad

Letzte Vorbereitungen

Kapitel 1: Sicherer werden – wie wir die Ungewissheit besser tolerieren

Das Problem und die Folgen

Plötzlich ist alles ungewiss

Ungewissheit ist nicht Unsicherheit

Die Last des »Vielleicht«

Wie eng sitzt Ihr Gürtel?

Die Ungewissheitsintoleranz

Immer mehr scheinen betroffen

Die ständige Jagd nach Gewissheit

Absurde Versicherungsbemühungen

Das meiste bleibt ungewiss

Die Null ist teuer

Fluchtrucksäcke und Klopapier

Quicktipp: Kostenkontrolle

Das Schwarze Loch

Werden Sie selbst sicher

Neue Freiheiten

Lösungsmöglichkeiten

Keine Angst vor etwas Unsicherheit

Ungeahnte Kraftquellen

Quicktipp: Erinnerungshilfe

Toleranzentwicklung

Unbekanntes Terrain erschließen

Entdeckung und Exposition

Kleine Abenteuer

Reizvolle Freizeit

Quicktipp: Würfelhilfe

Leben mal ohne Plan

Quicktipp: Unerwartete Gewinne

Drauflosentdecken und improvisieren

Der Motor ist die Störung

Quicktipp: So ein Theater!

Feedback am Abend

Ein paar Risiken wagen

Der Tanz des Lebens

Was wir von Snoopy lernen können

Alles Wichtige auf einen Blick

Kapitel 2: Das Gute finden – wie wir uns vor dem Negativen schützen

Das Problem und die Folgen

Überall Nachrichten

Informationen sind wie Viren

Schnelle Ansteckung

Quicktipp: Gewinnen Sie Distanz

Wir infizieren auch andere

Quicktipp: Ausbreitung eindämmen

Der stetige Befall

Vieles ist falsch

Quicktipp: Von hinten nach vorne

Große Schneebälle

Folgen der Infektion

Wenn das Fenster offen steht

Unsere Wahrnehmung ist verzerrt

Die Macht der Mandelkerne

Quicktipp: Tiefe Nasenatmung

Quicktipp: Waschen Sie sich die Hände

Der vordere Filter

Extreme Spiralen

Erschöpfung vom Drama

Der souveräne Umgang mit Bad News und Fake News

Lösungsmöglichkeiten

Das Schlechte wegschlagen

Keimfreie Zonen einrichten

Pull statt Push

Quicktipp: Türsteher für den Kopf

Eine kurze Quarantäne

Die beste aller Impfungen

Quicktipp: Spielen Sie sich stark

Geschichten brauchen ein gutes Ende

Quicktipp: Nach vollständigen Geschichten Ausschau halten

Chrysanthemen in der Oper

Informieren statt schockieren

Positivität statt naivem positivem Denken

Eine Sache der Aufmerksamkeit

Das Gute sehen

Gut und schlecht im richtigen Verhältnis

Eine faire Bilanz ziehen

Quicktipp: Gute Gedanken kreisen lassen

Füttern Sie den richtigen Wolf

Alles Wichtige auf einen Blick

Kapitel 3: Abschalten dürfen – wie wir das Grübeln beenden und zur Ruhe kommen

Das Problem und die Folgen

Wo ist der Abschaltknopf?

Gedachte Welten

Ständiger Denkverkehr

Vorsicht vor Fusionen

Geistiges Wiederkäuen

Die Gefühle sind schuld

Die ständige Selbstprüfung

Quicktipp: Abschaltgeschichten

Denkvergiftung

Gedanken-Detox

Lösungsmöglichkeiten

Die Grenzen des Denkens

Quicktipp: Stellen Sie Ihr Denken infrage

Ablenkungen können entgiften

Erweitern Sie das Sichtfeld

Entdecken Sie Kairos

Lassen Sie es fließen

Angenehme Selbstvergessenheit im Flow

Mal etwas ohne Zweck machen

Bewegung in der Natur

Ozeanische Gefühle entgiften das Denken

Quicktipp: Kommen Sie ins Staunen

Spirituelle Ausflüge entlasten und beruhigen

Bitte verlieren Sie sich nicht!

Quicktipp: Denkorte und Denkzeiten festlegen

Raus aus der Verschmelzung

Quicktipp: Der gerahmte Gedanke

Zoomen Sie heraus

Der Overview-Effekt

Vollständige Distanz – die Königsdisziplin der Entgiftung

Die Fliege an der Wand

Beim Schreiben Distanz gewinnen

Ein Betthupferl zur Nacht

Alles Wichtige auf einen Blick

Kapitel 4: Heiter bleiben – wie wir Humor und Leichtigkeit entwickeln

Das Problem und die Folgen

Gar nicht lustig

Deutsche Heiterkeitsstörung?

Kollektive Dauerempörung

Gereizte Bläschen

Eine wirksame Entzündungshemmung

Lösungsmöglichkeiten

Lachen macht gesund

Quicktipp: Leider kein Diätersatz

Wer lächelt, stirbt zuletzt

Booster für das Immunsystem

Nur wirksam, wenn es echt ist

Quicktipp: Der Stift im Mund

Zwei Flüsse im Gehirn

Quicktipp: Achten Sie auf Ihren Ringmuskel

Komik verdreht ins Lustige

Gesunder Kontrollverlust

Deeskalierende Wirkung

In Krisen hilft Satire

Wenn Terror Angst bekommt

Lachen über andere…

… oder besser über sich selbst

Quicktipp: Lachen Sie zuerst

Selbstironie gewinnt!

Die Kraft des Humors

Humor als spielerische Lebenskunst

Widersprüche auflösen und erzeugen

Der Stress fällt aus

Quicktipp: Das »Heitere Herbarium«

Echtes Teamwork im Gehirn

Ein paar Entwicklungstipps

Humor – viel zu streng beobachtet

Lockern wir den Gürtel

Am Ende wird alles lustig

Das berühmteste Lächeln der Welt

Alles Wichtige auf einen Blick

Kapitel 5: Zuversicht wagen – wie wir unsere Ängste bewältigen, um die Zukunft zu gestalten

Das Problem und die Folgen

Das Wachstum der Ängste

Eine neue Zukunft?

Bedrohungserwartungen stressen

Der Putsch des Hirnstamms

Schnelle, aber falsche Instinkte

Quicktipp: Verlangsamen Sie Ihr Denken

Vorsicht vor Dihydrogenmonoxid

Quicktipp: Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen

Der Wahnsinn mit den Rindern

Unkenrufe in seichtem Gewässer

(Ironischer) Quicktipp: Die goldene Prophetenregel

Nicht alle Prognosen sind richtig

Quicktipp: Wetten, dass …?

Das Drama motiviert nicht

Etwas Unsicherheit macht nichts

Lösungsmöglichkeiten

Die Waffe des Verstands

Quicktipp: Der erste April

Ran an die Angst

Die Konfrontation verkleinert

Quicktipp: Neutrale Orte machen kreativ

Mut zum Denken

Quicktipp: Ängste aufschreiben

Aus Milch wird Butter

Die Kraft des Möglichen

Quicktipp: Denken Sie in Möglichkeiten

Handeln schlägt Hadern

Fokus auf das Machbare

Quicktipp: Einflusssphären klarmachen

Zuversicht entsteht im Hier und Jetzt

Große Ziele und kleine Etappen

Vieles kommt besser

Der ermutigende Blick zurück

Erwartungen täuschen

Alles kommt und geht

Alles Wichtige auf einen Blick

Ausblick – in Zukunft stark und stabil

Pause vor dem Endspurt

Stark zusammengefasst

Übungen machen Meister

An bitteren Erfahrungen wachsen

Mit Maß und Mitte

Lassen Sie den Kopf nicht hängen

Epilog – Mut zum Aufbruch

Die Irritation legt sich

Die Zukunft liegt an uns

Verschnupftes Deutschland?

Aufbruchstimmung

Kopf hoch, Deutschland!

Dank

Meiner geliebten Frau Stefanie.

Unsere gemeinsame Zuversicht macht uns unverwundbar!

Zu diesem Buch – ein Beipackzettel

Liebe Leserin und lieber Leser,

 

ich heiße Sie zu diesem Buch ganz ärztlich willkommen!

Ein gewissenhafter Arzt bespricht mit seinen Klienten vor Verabreichung heilsamer Medikamente den sogenannten Beipackzettel. Der versprüht zwar keinen literarischen Charme, sein dramaturgischer Spannungsbogen lässt zu wünschen übrig und nicht immer macht er »Appetit« auf die anschließende Therapie; dafür gibt er kurz und knackig ein paar wesentliche Antworten auf drängende Fragen. Im besten Fall ist ein Beipackzettel also keine lästige Pflichtübung, sondern schafft wertvolle Klarheit über das, was bevorsteht.

Aus diesem Grund möchte ich Ihnen zu Beginn einige hilfreiche Informationen über dieses Buch in Form eines solchen Beipackzettels geben. Dann wissen Sie, was Sie erwartet, und mein Buch erzeugt (hoffentlich) keine Missverständnisse.

Packungsinhalt

Sie halten kein medizinisches Fachbuch in den Händen. Ich werde Ihnen weder detaillierte mikroskopisch-histologische Zellstudien unterbreiten, noch werde ich mich seitenweise in Genanalysen verlieren. Sie werden auch keine Medikamentendosierungen oder pharmakologische Wirksamkeitsstudien finden.

Kopf hoch! ist ein Sachbuch mit Ratgeberfunktion, in dem ich versuche, ausgehend von einer knappen gesellschaftlichen »Zeitdiagnose« Möglichkeiten für einen besseren Umgang mit den psychischen Belastungen unseres Alltags zu beschreiben. Dabei konzentriere ich mich auf die mentale Stärkung und die Stabilisierung. Salopp gesagt, enthält das Buch viel vom Guten und Gesunden und weniger vom Schlechten und Kranken.

Zusammensetzung

Hauptbestandteile dieses Buches sind Geist und Gehirn. Kopf hoch! umfasst einfach aufbereitete neurowissenschaftliche Fakten, therapeutisches Erfahrungswissen, spannende und humorvolle Geschichten, Gedanken kluger Frauen und Männer, nützliche Reflexionsübungen und eine Vielzahl praktischer Handlungsempfehlungen. Es kann geringe Spuren von Texten enthalten, die ich bereits für einen Podcast oder einen Blog verwendet habe. In der niedrigen Konzentration sind allergische Bekanntheitsreaktionen jedoch nicht zu befürchten.

Nicht enthalten sind anmaßende Lösungsentwürfe für die komplizierten gegenwärtigen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Ich bin Wissenschaftler und Arzt und werde bei meinen Fachkenntnissen und Erfahrungen bleiben. Im Mittelpunkt stehen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, und der Schutz Ihrer psychischen Gesundheit. Mit diesem Buch folge ich keiner politischen Agenda. Auch bei gesellschaftlichen Querverweisen argumentiere ich grundsätzlich aus der Psychologie des Menschen und der Funktionsweise des Gehirns.

Sie werden mit Sicherheit schon viel über mentale Gesundheit oder psychische Widerstandsfähigkeit gelesen haben und bereits zahlreiche kluge Empfehlungen beherzigen. In diesem Fall wird es mir eine Freude sein, Sie an Bekanntes und Bewährtes zu erinnern. Aber ich darf Ihnen schon jetzt versichern, dass Sie auch viele neue Perspektiven gewinnen werden. Ich werde mich nämlich weniger auf jene Aspekte konzentrieren, die bereits vielfach beschrieben wurden, wie zum Beispiel Bewegung, Ernährung, Yoga und Achtsamkeitsübungen (wenngleich dies zweifelsohne sehr wertvolle Strategien sind!). Stattdessen möchte ich mich mehr auf die Behandlung unseres »infizierten Geistes« konzentrieren und darauf, was ihn wieder genesen lässt.

Indikation

Dieses Buch habe ich für Leserinnen und Leser geschrieben, die angesichts ihrer aktuellen Lebensumstände in irgendeiner Weise belastet sind, ohne psychisch manifest krank zu sein. Ich spreche diejenigen an, die im Laufe der letzten Zeit empfindsamer und weniger belastbar geworden sind, am Abend angespannt und gestresst sind, dünnhäutiger und reizbarer reagieren und schneller aus der Haut fahren als früher, nachdenklicher geworden sind und viel grübeln oder ihre Leichtigkeit und Lockerheit im Leben vermissen. Auch wenn Sie sich angesichts der unruhigen aktuellen Entwicklungen in der Welt unsicher fühlen, vielleicht ängstlich und besorgt in die Zukunft schauen und Ihnen Ihre Zuversicht abhandengekommen ist, kann Ihnen dieses Buch eine große Hilfe sein.

Achtung: Dieses Buch ersetzt keine professionelle Therapie bei schweren Angststörungen oder Depressionen. Betroffene benötigen in diesen Fällen über dieses Buch hinausgehende Therapieempfehlungen und konkrete Unterstützung durch Fachärzte und Therapeuten. Ich hoffe jedoch, dass ihnen dennoch der eine oder andere Gedanke eine wertvolle Hilfe sein wird.

Kontraindikation

Dieses Buch ist weniger gut für Menschen geeignet, die glauben, bereits alles zu wissen, die keine Lust mitbringen, die Perspektive zu wechseln oder neue Dinge auszuprobieren, und die keine Ironie verstehen – denn davon gibt es in diesem Buch eine Menge. Lesen Sie dieses Buch also bitte nicht, falls einer dieser Faktoren auf Sie zutrifft. Es könnte Sie ansonsten zu stark aufwühlen (suchen Sie bitte gegebenenfalls zunächst meine Beratung auf).

Nebenwirkungen

Einzelne Abschnitte innerhalb der Kapitel könnten Ihr Nervenkostüm etwas »reizen«. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine harmlose Befindlichkeitsstörung. Die ist auch so gewollt aus einem Grund, den Sie später noch erfahren werden. Nur ausnahmsweise werden einzelne Sichtweisen ein leichtes Unwohlsein auslösen, weil sie ein wenig auf den Magen schlagen. Aber diese Symptome gehen rasch vorüber. Insgesamt sind alle Inhalte gut bekömmlich, wie mir einige Testleserinnen und Testleser versicherten. Sollte es dennoch wider Erwarten zu kurzfristigen geistigen Verdauungsstörungen kommen, empfehle ich, das Buch kurz beiseitezulegen, eine Nacht darüber zu schlafen und erst anschließend weitere Textabschnitte zu konsumieren. Ein Abführmittel wird darüber hinaus nicht notwendig sein.

Zusatzstoffe

Ein wichtiger Hilfsstoff in diesem Buch ist eine leicht verständliche und bildhafte Sprache, auf die ich ganz bewusst zurückgreife. Mir ist wichtig, Erinnerungen zu schaffen, die im Kopf hängen bleiben und Sie zum Nachdenken anregen.

Ein weiterer Hilfsstoff ist Humor, der den Geschmack versüßen soll, wenn die Botschaft etwas bitter ist. Das Thema ist schwer genug, die Beschäftigung damit soll leicht bleiben. Ich möchte, dass Sie dieses Buch gerne lesen.

Dosierungsempfehlungen

Bitte konsumieren Sie das Buch nicht am Stück. Möglicherweise besteht die Gefahr einer Überdosierung. Kleine Einzeldosen über die Woche verteilt sind leichter verdaulich und halten den therapeutischen Effekt länger aufrecht. Das Buch ist so aufgebaut, dass es auch kapitelweise zu sich genommen werden kann. Zu viel Gehirn auf nüchternen Magen kann unbekömmlich sein. Essen Sie währenddessen also ein paar Kekse und trinken Sie einen Kakao. Machen Sie es sich gemütlich, mein Buch ist eine Medizin, die schmecken darf.

Herstellung

Die Texte entstanden ausnahmslos ohne ChatGPT oder verwandte Programme. Sosehr man als Autor mit digitalen Assistenzsystemen liebäugeln mag, die einem zeitraubende Formulierungsarbeit abnehmen, so sehr lehne ich sie dennoch für mich persönlich ab. Ein Sachbuch lebt von wissenschaftlich gut recherchierten Fakten (ohne »Halluzinationen«), innovativen Gedanken, ein paar unbequemen Thesen, verrückten Ideen, fantasievollen Sprachbildern und persönlichen Geschichten, die den Text mit Leben füllen, vorzugsweise gekleidet in einen Sprachstil, an dem der Autor erkennbar ist. In Summe wäre dies mit einem Chatbot kaum gelungen. Ob mir dies geglückt ist, dürfen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, entscheiden. Aber zu welchem Urteil Sie auch gelangen, ich garantiere Ihnen: Meine Texte entstanden nirgends »künstlich intelligent«. Es ist ein persönliches Buch. Von mir – für Sie.

Sprachliche Hinweise

Ich bevorzuge es, die Menschen, die meine Beratung in Regensburg aufsuchen, Klienten (statt Patienten) zu nennen. So möchte ich es auch in diesem Buch halten. Anders als auf einer geschlossenen Station kommen Klienten nämlich freiwillig zu mir, und sie können zu jedem Zeitpunkt die Beratung oder Behandlung unterbrechen oder beenden. Sie »erdulden« keine medizinische Diagnostik oder Therapie, wie es der lateinische Begriff »patientia« (zu Deutsch »Geduld«) nahelegt. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, und sie entscheiden mündig für sich, welchen Weg sie gehen, und wenn sie mögen, mit mir an ihrer Seite. Und genauso möchte ich es auch hier halten.

Darüber hinaus habe ich mich entschieden, in diesem Buch nicht zu gendern, sondern bei sprachlichen Formulierungen, bei denen das Geschlecht keine Rolle spielt, die übliche generische Umschreibung zu verwenden. Auf die Gleichberechtigung beider Geschlechter habe ich stattdessen auf eine inhaltliche Weise geachtet, indem ich Zitate kluger Frauen und Männer erwähne, indem ich Geschichten von Klientinnen und Klienten erzähle und indem ich Beispiele wähle, mit denen sich mal die Leserinnen und mal mehr die Leser identifizieren können.

Lassen Sie uns beginnen

Freuen Sie sich auf dieses Buch! Wenn Sie gut darauf ansprechen, wird es Stress und Anspannung lösen, Leichtigkeit fördern und Zuversicht erzeugen. Sie werden spannende neue Dinge über den Menschen erfahren, über Ihr Gehirn staunen und ein kleines bisschen über sich selbst lachen. Sind Sie bereit für die erste Dosis? Dann blättern Sie um, und lassen Sie uns beginnen.

Prolog – Belastungen im Umbruch

Die Dame auf dem Sofa

»Wie geht es uns denn heute so?«, fragt der Arzt und notiert in einem kleinen Büchlein auf seinem Schoß das aktuelle Datum. Vor ihm sitzt eine gut gekleidete Dame, Ende dreißig. Sie wirkt nervös und unruhig. »Ich habe immer noch den Druck im Kopf, von dem ich Ihnen das letzte Mal schon erzählte. Wie ein Band, das ihn zuschnürt. Ich verspüre ständig den Drang, mich hinlegen zu müssen, weil ich so erschöpft bin. Aber gleichzeitig bin ich innerlich auch irgendwie aufgewühlt. Mir ist nach Ruhe. Aber ich komme nicht wirklich dazu.« Der Arzt blickt sie über den Rand seiner Nickelbrille an: »Gibt es etwas Bestimmtes, an das Sie immerzu denken?« Sie lässt den Kopf hängen. »Ich weiß es nicht. Da ist so viel. Die Welt kommt mir so nervös vor. Der Lärm in der Stadt und die vielen Menschen, die alle so betriebsam umherlaufen, machen mich verrückt. Viele sind so gereizt. Ihr Frohmut scheint verschwunden. Meiner auch.« »Finden Sie bei Ihrem Mann zur Ruhe?«, erkundigt sich der Arzt. »Der ist mit seinen Unternehmungen beschäftigt und kehrt erst spätabends nach Hause zurück«, antwortet die Dame. »Er schimpft auf die Politik und ist überzeugt, die Welt stünde vor dem Abgrund. Er macht sich viele Sorgen um alles. Wenn ich ihn so reden höre, habe ich selbst ein Drücken im Bauch, wenn ich an die nächsten Jahre denke.« »Was tun Sie dann, damit es Ihnen besser geht?«, fragt sie der Arzt. Die Dame lehnt sich zurück und atmet tief aus. »Am liebsten bin ich allein im Park. Da muss ich mich nicht konzentrieren, da ist alles weniger anstrengend, da kann ich einfach sein …«

Eine unerklärliche Nervenschwäche

Möglicherweise denken Sie jetzt, Sie hätten soeben als stiller und heimlicher Beobachter einem meiner Klientengespräche beigewohnt. Dem ist jedoch nicht so. Die Wahrheit ist: Ich habe Sie gerade 150 Jahre in die Vergangenheit geführt. Sie waren zu Besuch in der Praxis des Neurologen George Miller Beard in New York.

Das Datum, welches mein Kollege in sein Büchlein notierte, liegt an einem Herbsttag des Jahres 1874. Menschen aus der ganzen Stadt suchen Beard seit mehreren Jahren wegen verschiedener unspezifischer Beschwerden auf: Unwohlsein, Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, sorgenvolle Gedanken, Gefühle der Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit, Dünnhäutigkeit, Lärmempfindlichkeit, Schlaflosigkeit, Unruhe, Nervosität, Konzentrationsstörungen, körperliche Schwäche, Mattigkeit und Erschöpfung. »Sofafälle« nennt Beard die Patienten, die ihn wegen dieser und ähnlicher unspezifischer Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen um Rat fragen; anfangs scheinen überwiegend Frauen, später auch mehr und mehr Männer betroffen zu sein.

Fünf Jahre zuvor, im Jahr 1869, hatte Beard basierend auf seinen Beobachtungen ein neues Krankheitskonzept begründet, das er American Nervousness(Amerikanische Nervosität) nannte.1 Das Nervöse »ergreift« den ganzen Menschen »vom Scheitel bis zur Zehe«, wie er in seinen Veröffentlichungen schreibt.2 Da es damals in den USA noch keine Zeitschriften für psychiatrische Erkrankungen gibt, muss er seine Beobachtungen zunächst in einem chirurgischen Fachjournal veröffentlichen. Aber die Bekanntheit der Erkrankung verbreitet sich schnell. Sie wird als Neurasthenie international bekannt und bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts an sämtlichen medizinischen Universitäten in den USA und in Europa gelehrt.

Als Ursache für die unerklärliche Nervenschwäche werden damals moderne technologische Errungenschaften vermutet, wie Dampfmaschine, Eisenbahn, Telegrafie und Elektrizität, sowie die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen zu jener Zeit. Auch »zu viel geistige Aktivität« wird für die Beschwerden verantwortlich gemacht. Den Betroffenen wird Ruhe verordnet, denn das Nervenkostüm soll sich erholen. Die Neurasthenie ist ein wesentlicher Grund, warum in dieser Zeit die ersten Sanatorien und Kurhäuser entstehen, vor allem in Deutschland. Menschen suchen Rückzugsorte vor der kompliziert und laut gewordenen Welt, die sie nicht mehr verstehen und die außer Kontrolle geraten zu sein scheint. Elektrotherapeuten versuchen das Gehirn und die erschöpften Nerven elektrisch wieder »aufzuladen«, mit elektrischen Haarbürsten oder Elektrokraftgürteln. Männern wird empfohlen, Muiracithin einzunehmen, ein Nerventonikum bestehend aus Lecithin und dem Potenzmittel Muira Puama. Wirksam ist das alles jedoch kaum. Da man die Ursache für die Beschwerden zu dieser Zeit nicht versteht, laufen die meisten »Therapien« ins Leere.

Das Rad dreht sich wieder

Es dauert noch einige Jahre, bis die ursprünglich neurologische Erkrankung zu einem psychiatrischen Störungsbild erklärt wird. Die Beschwerden entstehen nämlich in einem bio-psycho-sozialen Zusammenhang, wie man heute sagen würde. Das bedeutet, dass neben körperlichen Faktoren auch psychische und vor allem umweltbezogene Aspekte zur Entstehung des Symptomenkomplexes beitragen. Die steigende Zahl der an Neurasthenie Erkrankten lässt sich zu einem nicht unerheblichen Teil mit den tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen jener Zeit erklären: Die Industrialisierung bedeutet zwar einen enormen Fortschritt und bietet vielen Menschen neue Möglichkeiten, aber sie ist auch eine Epoche, die gekennzeichnet ist von zunehmender Schnelllebigkeit und Volatilität, einem erhöhten Anspruch an Verfügbarkeit und Flexibilität und einer verschärften wirtschaftlichen Konkurrenzsituation. Die wachsende Komplexität der Welt wird als bedrohlich empfunden, der Kampf des Einzelnen um seinen Platz in der neuen Welt als erschöpfend. Gleichzeitig ist es eine Zeit, die von einem hohen Maß an politischer Instabilität geprägt ist und in der es zur Auflösung von religiösen Bindungen und traditionellen Werten kommt, was Menschen damals vielfach den Halt nimmt.3 Die Welt verändert sich im späten 19. Jahrhundert in nahezu allen Lebensbereichen rasant – und die Zukunft erscheint überall ungewiss.

Die Neurasthenie wird zum Prototyp zivilisatorischer Neurosen. Bis heute können sie Psychiater übrigens als Diagnose verschlüsseln,4 auch wenn sie nur noch selten gestellt wird. Aber viele moderne Krankheitskonzepte, wie etwa die Hypochondrie, die Erschöpfungsdepression, aber auch das »Burn-out-Syndrom«, stehen der Neurasthenie sehr nahe. Es sind moderne Varianten jenes ersten berühmten Störungsbildes, die gemeinhin durch das Leiden an Kultur, Zivilisation und dem eigenen Lebenswandel gekennzeichnet sind.

Vieles davon erleben wir zurzeit erneut. Das Rad der nervösen Überreizung und Erschöpfung dreht sich wieder.

Einstieg – das mentale Immunsystem

Überreizt und erschöpft

Springen wir in die Gegenwart und stellen uns die gleiche Frage wie Dr. Beard seiner Patientin: »Wie geht es uns denn heute so?«

In meiner Sprechstunde klagen derzeit viele Klienten über innere Anspannung, Nervosität und ein Gefühl von Unruhe und Getriebenheit. Den Lärm der Welt können sie kaum noch ertragen, und sie möchten sich am liebsten zurückziehen. Der ständige Streit in Politik, Medien und sozialen Netzwerken regt sie auf, genauso wie die unablässige Flut negativer Nachrichten. Sie erleben sich als reizbar und fahren schneller aus der Haut. Manche haben das Gefühl, dünnhäutiger geworden zu sein. Alles spannt maximal an und »nervt«. Oft können sie abends den Kopf nicht ausschalten und grübeln über das, was war, oder sie zerbrechen sich den Kopf darüber, was kommen könnte. Die Zukunft bereitet ihnen Sorgen. Gleichzeitig berichten sie mir von einer verringerten Belastbarkeit. Sie fühlen sich schnell matt, häufig lustlos und erschöpft. Es fehlt an Kraft und Motivation.

Die Beschwerden, die mir meine Klienten schildern, könnte man zusammenfassend als »psychophysiologischen Spannungszustand« beschreiben. Das klingt etwas technisch, aber tatsächlich stammen viele Begriffe der Stressforschung ursprünglich aus der Bauphysik (wie auch »Traglast« oder »Widerstand«). Bei manchen meiner Klienten zeigen die Beschwerden in der Summe frappierende Ähnlichkeiten zur Neurasthenie, von der einleitend die Rede war. Sie entsprechen meist keinem psychischen Störungsbild im engeren Sinn, sind aber trotz alledem nicht »nichts«. Die Betroffenen können im Alltag weiterhin einigermaßen gut »funktionieren«; als entspannt, ausgeglichen, zufrieden und voller Tatendrang empfinden sie sich aber nicht. Salopp gesagt: Sie sind nicht wirklich krank, aber auch nicht richtig gesund. Ihre Beschwerden könnte man mit einer Klaviersaite vergleichen: Sie ist nicht gerissen, aber überspannt. Sie schwingt also noch, wenn man sie anschlägt, ist dabei aber so überdehnt, dass sich ihre Töne schief und falsch anhören.

Zurzeit sind überspannte Klaviersaiten häufig: Im aktuellen Mental Health Report 2023 der AXA-Gruppe, in dem 2000 Menschen aller Altersklassen zu ihrer Gesundheit befragt wurden, empfinden sich 32 Prozent psychisch als nicht gesund (im europäischen Vergleich liegt Deutschland zusammen mit Großbritannien übrigens an der Spitze). Als Gründe für die Belastung werden Inflation, Krieg, wirtschaftliche Ungewissheit, aber auch zu hohe Erwartungen und digitaler Stress durch soziale Netzwerke und Medieneinflüsse angegeben.5

Krank an der Welt?

Die Antworten der Befragten suggerieren einen Zusammenhang zwischen den subjektiven psychischen Beschwerden und den aktuellen gesellschaftspolitischen Umständen. Können uns die gegenwärtigen unruhigen Weltverhältnisse tatsächlich psychisch krank machen?

Zunächst muss man festhalten, dass psychische Beschwerden und Erkrankungen prinzipiell etwas sehr Häufiges sind, auch außerhalb von Krisen. Basierend auf epidemiologischen Studien ist in Deutschland mehr als jeder vierte Erwachsene innerhalb der Betrachtung von zwölf Monaten von irgendeiner psychischen Störung betroffen.6 Am häufigsten sind dabei Ängste und Depressionen, gefolgt von Schlafstörungen, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch und somatoformen Störungen (Beschwerden ohne organische plausible Ursachen). Bis heute ist die Mehrheit der Betroffenen wegen ihrer Beschwerden übrigens nicht in Behandlung.7

Die Häufigkeit manifester psychischer Erkrankungen bleibt großen epidemiologischen Studien zufolge in Krisenzeiten in der Regel zwar relativ konstant; dennoch können die subjektiven Belastungen von Menschen währenddessen stark ansteigen.8 Das ist kein Widerspruch! Psychische Störungen sind nämlich nicht zwangsläufig durch biologisch definierte Krankheiten des Gehirns oder des zentralen Nervensystems definiert. Sie können auch sehr häufig Ausdruck belastender Lebensumstände sein, ohne dass sie gleich eine Krankheitsdiagnose nach sich ziehen. Sie sind insofern »normal«, als sie zum Leben dazugehören, können jedoch dennoch erhebliches psychisches Leid verursachen. Viele Beschwerden sind zudem nicht im engeren Sinn »klinisch«, das heißt, Betroffene brauchen weder einen Krankenhausaufenthalt noch hoch dosierte Medikamente. Aber sie benötigen unter Umständen eine wohlwollende Unterstützung und profitieren von einer Begleitung durch eine schwierige Phase ihres Lebens. In Krisen liegt der Bedarf diesbezüglich eindeutig höher, wie zuletzt die signifikant gestiegene Inanspruchnahme psychischer Hilfeleistungen während der Corona-Pandemie gezeigt hat.9

Was uns (heute) belastet

Wie wir alle aus der Erfahrung wissen, kann die menschliche Psyche durch verschiedene Faktoren belastet werden. Die üblichen Verdächtigen sind herausfordernde Umstände in unserem beruflichen und privaten Alltag, wie zu viele gleichzeitige Aufgaben auf dem Schreibtisch, ein schlechtes Betriebsklima im Büro, ein finanzieller Engpass im eigenen Haushalt, eine schwere Erkrankung in der Familie, zwischenmenschliche Verletzungen in der Partnerschaft oder soziale Verlusterlebnisse in jedweder Form. Es handelt sich weitgehend um Faktoren, die mit uns als Individuum zu tun haben.

Bekanntlich ist der Mensch jedoch sozial immer eingebettet in seine Umwelt, und so beeinflussen auch soziologische Umstände unser psychisches Empfinden und Erleben. Wie wir bereits sahen, war auch die Neurasthenie höchstwahrscheinlich Ausdruck einer kollektiv bedingten Belastung großer Teile der Bevölkerung, die durch den gesellschaftlichen Umbruch im 19. Jahrhundert gekennzeichnet war. Die gestiegene Komplexität, die Beschleunigung von Lebensabläufen und der wirtschaftliche »Kampf ums Dasein« verursachten Stress und endeten für viele in Erschöpfung.10 Auch die aktuellen Beschwerden vieler Menschen sind geprägt von den unruhigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die zum Teil ein tiefes Gefühl der Verunsicherung und Zukunftsangst auslösen. In den jährlich durchgeführten Interviews des R+V Infocenters mit circa 2400 Frauen und Männern ab 14 Jahren aus Deutschland gaben die Befragten im Oktober 2023 Inflation, Krieg, Klimawandel und Migration als ihre größten Ängste an.11 Das Handelsblatt nannte im Sommer 2023 zudem die künstliche Intelligenz und die mit ihr verbundene Veränderung der Arbeitswelt als relevante Sorge der Deutschen.12 Im Gegensatz zu den oben genannten Ursachen sind dies Faktoren, die über uns als Individuum hinausweisen. Sie liegen praktisch wie theoretisch weitgehend außerhalb unseres Einflussbereichs, und daher fühlen wir uns ihnen weitgehend ausgeliefert.

Alle genannten Belastungsfaktoren wirken sich auf uns unterschiedlich schwer aus, denn wir besitzen Eigenschaften und Verhaltensweisen, mit denen wir unserer Welt und unseren Mitmenschen gegenübertreten: So können manche besser und andere schlechter mit Ungewissheiten im Leben umgehen, lassen sich durch negative Nachrichten mehr oder weniger leicht herunterziehen und sorgen sich entweder ängstlich um ihre Zukunft oder blicken eher zuversichtlich nach vorn. Je nachdem, wie günstig oder ungünstig unsere Strategien sind, können wir die Belastungen mental also verstärken oder abschwächen. Schauen wir uns das beispielhaft an:

Mögliche Verstärkung: Stellen Sie sich jemanden vor, der überhöhte Ansprüche an sich hat und sich um alles »einen Kopf macht«. Sie dürfen davon ausgehen, dass diese Person von einer komplizierten, zeitraubenden, möglicherweise sogar unlösbaren Aufgabe eher überfordert sein wird. Oder stellen Sie sich einen Menschen vor, der absolut keinen Spaß versteht. In diesem Fall wird ihn ein Witz auf seine Kosten vermutlich sehr leicht kränken und in emotionalen Stress versetzen (Humorlose seien in diesem Zusammenhang vor Kapitel 4 gewarnt!).

Mögliche Abschwächung: Stellen Sie sich eine Kollegin vor, die Abwechslungen liebt, gerne etwas Neues kennenlernt und gut improvisieren kann. Sie wird eine anstrengende Veränderung im Job vermutlich leichter wegstecken, selbst wenn die nächsten Monate ungewiss sind. Oder stellen Sie sich einen Bekannten vor, der sachlich und klar denken kann und sich nicht von jeder Hysterie anstecken lässt. Er wird negativen Nachrichten und schlechten Zukunftsprognosen in der Zeitung wahrscheinlich weniger Bedeutung beimessen und sich durch sie nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Kurzum: Das Risiko einer psychischen Belastung entsteht meist in Kombination von äußeren Einflüssen und einer inneren Auseinandersetzung. Je stärker und stabiler Ihr »inneres System« ist, je flexibler Sie reagieren und je vielfältiger Ihr Repertoire an Lösungsmöglichkeiten ist, desto weniger kann Ihnen eine belastende Welt etwas anhaben. Es ist vergleichbar mit einer Erkältung: Schnupfenviren im Winter können Ihnen weniger zusetzen, wenn Sie über gute Abwehrkräfte verfügen, etwa weil Sie sich vitamin- und mineralstoffreich ernähren und warm kleiden. Wenn Sie diese Verteidigungsmaßnahmen jedoch vernachlässigen, können Sie sich bei entsprechender Exposition leichter mit Schnupfenviren anstecken. Mit unserer Psyche verhält es sich im Grunde genommen genauso: Äußere Belastungsfaktoren sind ständig um uns herum, und die Welt hustet sie uns ständig ins Gesicht. Aber ob wir uns von ihnen »anstecken« lassen, hängt zum großen Teil davon ab, wie gut wir unsere Psyche gegen sie verteidigen und die Krankmacher abwehren können.

Zu diesem Schutz tragen wir alle ein mächtiges System in unserem Kopf, das uns im täglichen psychischen Abwehrkampf wie ein guter Freund zur Seite steht. Es macht uns mental stark und hält uns stabil. Dieses System möchte ich Ihnen im Folgenden vorstellen – ziehen Sie sich warm an!

Ein Freund an unserer Seite

Gute Freunde im Leben machen uns stark. Sie stehen hinter uns, um uns aufzufangen, wenn wir den Halt verlieren und kippen. Sie stehen vor uns, um Bedrohungen abzuwehren und für uns zu kämpfen, wenn wir es nicht allein schaffen. Und sie stehen neben uns, um unser Leid zu teilen oder Tipps zu geben, wenn wir ratlos sind. Einen solchen Freund hat jeder von uns, auch Sie: Ihr mentalesImmunsystem.

Bei dem Konzept handelt es sich um ein Sprachbild, das die psychische Abwehr einer Belastung, die Heilung nach einer Verletzung sowie die Reifung an einer Herausforderung vorstellbar machen soll. Seit vielen Jahren wird es von Psychiatern und Psychologen in diesem Zusammenhang als anschauliches Modell genutzt (mitunter wird es auch als psychisches Immunsystem bezeichnet). Der ungarische Psychologie Attila Oláh beschrieb es einmal als adaptives (anpassungsfähiges) geistiges System unserer Spezies, mit dem wir unter Zuhilfenahme verschiedener Strategien tagtäglich Belastungen, Stress und negative Emotionen abwehren.13 Die Idee hierfür geht im Ursprung auf die Theorie zurück, dass der Mensch verschiedene Strategien nutzt, um das Ich gegen schädliche Einflüsse aus der Umwelt zu schützen und zu verteidigen.14 Im Rahmen der Corona-Pandemie ist das Konzept in der Literatur wieder vermehrt verwendet worden, um neben den physischen auch die psychischen Belastungen während einer persönlichen Krisensituation stärker bewusst zu machen. Während der Corona-Pandemie haben uns schließlich nicht nur Lungenviren befallen, sondern auch »psychische Viren«, wie Angst, Frustration, Wut, Traurigkeit, Verzweiflung und Ohnmacht.15

Schauen wir uns an, was das mentale Immunsystem jeden Tag für uns leistet. Es übernimmt kurz gesagt drei wesentliche Aufgaben:16

Abwehr/Verteidigung, indem es Ängste reduziert, negative Gedanken befriedet und unsere Wahrnehmung auf positive Aspekte, neue Perspektiven, eigene Stärken und alternative Handlungsmöglichkeiten lenkt.

Erholung/Heilung, indem es die psychisch bedingten Wunden versorgt und den Schmerz lindert, der zum Beispiel durch Liebeskummer, Misserfolge, finanzielle Nöte, Kränkungen, schwere Krankheiten oder den Verlust eines geliebten Menschen auftritt.

Reifung/Wachstum, indem es durch erfolgreiche Bewältigungserlebnisse und positive Lebenserfahrungen im Verlauf der Jahre stabiler und zuverlässiger auf schwierige Lebensumstände reagiert und Belastungen schneller abwehrt, die bereits aus früheren Situationen bekannt sind.

Die Aufgaben des mentalen Immunsystems sind also recht vielgestaltig. Im besten Fall sorgt es wie ein guter Freund hinter, vor und neben uns für einen psychischen 360°-Rundumschutz. In Zeiten allgemeiner Verunsicherung, großer Sorgen und hoher Stresslevels, wie wir sie heute erleben, ist das mentale Immunsystem besonders gefordert und kämpft anhaltend und verlässlich für unseren psychischen Schutz. Der römische Politiker und Philosoph Marcus Tullius Cicero formulierte einmal treffend: »Einen sicheren Freund erkennt man in unsicheren Zeiten.«

Mehr als Abprallen

Jetzt werden Sie denken: Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Beschreibt die Resilienz nicht auch die psychische Abwehr und Widerstandsfähigkeit? Sie haben recht. Hier gibt es Überschneidungen, jedoch auch eklatante Unterschiede. Aber der Reihe nach: Für die außerordentlich beeindruckende menschliche Fähigkeit, trotz psychischer Belastungen stark und stabil zu bleiben (oder wieder zu werden), hat man in der Vergangenheit verschiedene Modelle diskutiert und genutzt. Die nachfolgenden Konzepte haben recht technische Namen und sind zum Teil relativ komplizierte Konstrukte, weswegen ich Ihnen hier einen Schnelldurchlauf anbiete (bitte kommen Sie mental unbeschadet durch die folgenden Zeilen).

Die bekanntesten dieser Modelle sind:

Kohärenz (Verstehbarkeit und Beeinflussbarkeit)17

Resourcefulness (Einfallsreichtum)18

Hardiness (Widerstandsfähigkeit)19

posttraumatische Reifung (Wachstum nach Belastung)20.

Die Konzepte beschreiben einander verwandte Aspekte, die mit der Förderung und Erhaltung psychischer Gesundheit zu tun haben. Allerdings betrachten sie jeweils fast immer nur einen Aspekt psychischer Belastungsbewältigung, andere werden außen vor gelassen: So geht es bei der Hardiness ausschließlich um das sachliche strukturierte Vorgehen bei Problemen, aber es berücksichtigt keine Gefühle. Die Resourcefulness wiederum betont überwiegend die kreativen Problemlösungsfertigkeiten im Alltag, umfasst aber keine Techniken, wie man besser mit seinen negativen Gedanken umgehen kann.

Deutlich umfassender und therapeutisch um ein Vielfaches geeigneter ist das Konzept der Resilienz (Widerstandsfähigkeit)21. Es ist Ihnen mit großer Sicherheit schon des Öfteren in beruflichen Weiterbildungsseminaren oder Zeitschriftenartikeln begegnet. Die Resilienz ist in den letzten Jahren zum Superstar unter den sogenannten Salutogenese-Konzepten avanciert (das sind Konzepte, die die Entstehung und Aufrechterhaltung von Gesundheit beschreiben).

Der Begriff stammt aus der Materialphysik und meint, dass ein physikalischer Körper nach äußerer Druckentlastung wieder seine ursprüngliche Form annimmt; ähnlich einem Gummiball, der in diesem Zusammenhang gerne zitiert wird. Das Resilienz-Konzept ist wissenschaftlich gut abgesichert und im Coaching sowie in der Therapiepraxis sehr nützlich. Problematisch an dem Begriff der Resilienz ist, dass er Menschen fälschlicherweise suggeriert, »unkaputtbar« zu sein.22 Einem Gummiball kann schließlich so schnell nichts anhaben. Aber als Menschen gehorchen wir nicht zwangsläufig den Gesetzen der Physik. Wir können sehr wohl unter äußerer Krafteinwirkung zerbrechen oder unsere Form für immer verändern. Nicht alles im Leben prallt an uns ab. Und das sollte es auch gar nicht, denn erst durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt werden wir innerlich geformt und fortwährend verändert; dadurch wachsen und reifen wir. Damit kommen wir zu einem weiteren Begriffsproblem: Das Bestreben der Resilienz ist, immer wieder die ursprüngliche Form anzunehmen, also quasi das Altbewährte wiederherzustellen. Es geht folglich nicht primär um Entwicklung oder Verbesserung, sondern mehr um die Erhaltung dessen, was vorher war. Resiliente Körper sind dadurch zwar kurzfristig flexibel, aber langfristig statisch (oder haben Sie schon mal einen Gummiball gesehen, der sich weiterentwickelt?) Darin liegt die Krux: Wer dem Leben nur »resilient« begegnet, verpasst Veränderungen, die für ein gelingendes Leben wichtig sind. Es ist nicht das Abprallen, das uns stark macht, sondern die Transformation, die durch eine Belastung in uns ausgelöst wird.

Das Sprachbild des mentalen Immunsystems soll kein Gegenentwurf zu den gängigen Modellen sein. Es vereint und verbindet die verschiedenen Denk- und Therapieschulen vielmehr miteinander (ohne sie infrage zu stellen) und ergänzt sie um ein paar wichtige Aspekte, die den anderen Konzepten zum Teil fehlen. So wird es dem Phänomen psychischer Verteidigung unter anderem deswegen ein Stück weit gerechter, weil es neben der Abwehr und dem Schutz auch die Reifung und das Wachstum berücksichtigt. Aus diesem Grund möchte ich Ihnen das Konzept gerne ans Herz und Hirn legen. Unser mentales Immunsystem wird uns als guter Freund auf dem Weg durch schwere Zeiten (und durch dieses Buch) begleiten.

Grundausstattung im Basistarif

Nachdem ich so viel Werbung für unser mentales Immunsystem gemacht habe, fragen Sie sich an dieser Stelle möglicherweise, wo Sie ein so leistungsfähiges Ding herkriegen. Die gute Nachricht ist: Sie haben es schon! Einen kleinen Teil haben Sie bei Ihrer Geburt mitbekommen, den großen Rest entwickeln Sie im Verlauf Ihres Lebens. Man spricht von einem angeborenen und einem erworbenen Teil des Immunsystems.

Lassen Sie mich zur Verdeutlichung eine Parallele zum körperlichen Immunsystem ziehen, denn dort verhält es sich recht ähnlich: Als Säugling besitzen wir bereits früh eine saure Hautoberfläche sowie Tränenflüssigkeit und Magensäure als noch unspezifische, aber bereits hocheffektive Verteidigung gegen frühe unliebsame Erreger. Bald kommen zusätzliche Abwehrkräfte hinzu, wie die Bakterienflora in Dünn- und Dickdarm und die natürlichen Killerzellen im Blut, die alles fressen, was fremd ist oder verdächtig erscheint. Die Abwehrkräfte-Grundausstattung ist im Baby-Basistarif enthalten; wir brauchen sie also nicht zu »erwerben«.

Auch in Bezug auf unser mentales Immunsystem verfügen wir recht bald über eine mächtige Waffe im Kampf um das eigene Seelenheil. Und wir nutzen sie seit dem Tag, an dem wir im Kreißsaal in die Welt plumpsen: ohrenbetäubendes Schreien! Mit ihm können wir zwar selbst kein Problem lösen, aber es ist eine höfliche Aufforderung an Mama oder Papa, sich bitte darum zu kümmern. Schreien ist durchaus effektiv. Erinnern wir uns: Im besten Fall bekamen wir alles, was wir psychisch brauchten, um wieder in Balance zu kommen – menschliche Zuwendung, körperliche Wärme (wenn es gut für uns lief, auch etwas Milch), darüber hinaus die Chance auf eine frische Windel oder ein weiches Bett. Rückwirkend betrachtet, war das Plärren auf kommunikativer Ebene vielleicht noch etwas grob, aber dafür fast immer erfolgreich. Deswegen haben wir uns diese Technik auch viele Jahre lang bewahrt. Never change a running system.

Upgrades im Verlauf

Beide Immunsysteme, das körperliche und das mentale, sind äußerst lernfähig. Durch wiederholte Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickeln wir sie weiter. Sie erhalten Upgrades, die sie im Laufe der Jahre immer leistungsfähiger, spezifischer und individueller machen. Dadurch entwickeln wir das, was wir Immunkompetenz nennen.23 Jedes Immunsystem schreibt dabei seine eigene Geschichte.

Auch hier schauen wir zunächst auf die körperliche Verteidigung: Schon in den ersten Lebensjahren entwickeln wir sogenannte T-Zellen, die für die Abwehr von Viren und entarteten Zellen Sorge tragen, sowie sogenannte B-Zellen, die Antikörper produzieren, die sich gegen krank machende Bakterien richten. Auch unser mentales Immunsystem entwickelt eine Reihe von beeindruckenden Abwehrmaßnahmen zur Verteidigung psychischer Belastungen, die über das Schreien hinausgehen.

Der Spracherwerb gilt als erster wesentlicher Meilenstein in dieser Entwicklung, denn hierdurch können wir unsere Gedanken und Gefühle in Worte fassen und damit Belastungen differenziert wahrnehmen und ausdrücken. Ab diesem Zeitpunkt wird lautes Schreien gesellschaftlich auch nicht mehr akzeptiert, wenn wir Hunger haben oder die Hose nass ist (probieren Sie es aus!).

Ein weiterer Meilenstein ist die Entwicklung des Verstandes, der ab der frühen Pubertät einen riesigen Sprung macht. Mit ihm können wir plötzlich die Perspektive wechseln, Gefühle einordnen und Bedürfnisse kontrollieren. Der Verstand hilft uns, Probleme zu lösen und hilfreiche Ideen zu finden. Und nicht zuletzt können wir dank seiner Hilfe Verständnis für bestimmte Alltagssituationen aufbringen, Ängsten entgegentreten, bei Bedarf Abstand von grüblerischen Gedanken gewinnen oder durch eine humorvolle Perspektive innere Anspannungen lösen.

Ein dritter Meilenstein sind unsere Lebenserfahrungen. Wir entwickeln im Verlauf des Lebens Fähigkeiten und Talente, die wir einsetzen, um Herausforderungen zu bewältigen. Manches glückt, manches misslingt. Aber mit jedem neuen Handlungsschritt und jeder neuen Erfahrung reift das Vertrauen, sich in schwierigen und ungewissen Lebenslagen selbst helfen zu können. Das reduziert Unsicherheitsgefühle und erzeugt Mut und Zuversicht. Im besten Fall entwickelt sich bis zum Ende der Adoleszenz eine reife Persönlichkeit, die auf psychische Belastungen adäquat reagiert. Diese können uns weiterhin schmerzvoll treffen, aber wir erholen uns besser von ihnen, wenn wir wissen, wie wir mit ihnen umzugehen haben. Wir können zudem schicksalhafte Ereignisse in unsere Lebensgeschichte integrieren, und zwar nicht dadurch, dass wir sie an uns abprallen lassen, sondern verändert aus ihnen hervorgehen.

Normalerweise entwickeln wir ein starkes mentales Immunsystem im Laufe vieler Jahre, und seine Fähigkeiten verbessern sich Schritt für Schritt. Im besten Fall hat das zur Folge, dass uns Schicksalsschläge in höherem Alter weniger hart treffen. Christin Ogle untersuchte mit ihrem Team an der Duke University in Durham vor einigen Jahren das Leben von 3575 älteren Erwachsenen. Im Schnitt hatten ihre Probanden fünf Krisen im Leben. Aber je später sie sich im Leben ereigneten, desto weniger wurden sie als belastend wahrgenommen.24 Unsere Immunabwehr ist also ein physiologischer und psychischer Lernprozess, durch den wir bei einer gesunden Entwicklung im Verlauf des Lebens immer kompetenter werden. Das kann uns zwar nicht vor sämtlichen Belastungen bewahren oder vollständig vor ihren Folgen schützen, aber es reduziert die Wahrscheinlichkeit, unter ihnen zusammenzubrechen.

Einschränkend muss man sagen, dass sich manche dieser Entwicklungsschritte verzögern oder gänzlich ausbleiben können. Ein schwaches psychisches Verteidigungssystem kann zwar auch konstitutionell bedingt sein; viel häufiger ist es jedoch die Folge wiederholter und starker Schicksalsschläge. Mitunter hinterlassen schwere Traumata nämlich solche tiefen Narben, dass Betroffene auf lange Zeit beeinträchtigt bleiben. Sie leiden künftig vergleichsweise stärker unter Belastungen oder sind anfälliger für psychische Erkrankungen. Auch wenn sich dieses Buch nicht explizit an diese Menschen richtet, möchte ich allen meinen Leserinnen und Lesern Mut machen: Unser mentales Immunsystem bleibt zeit unseres Lebens lern- und entwicklungsfähig, und ich werde Ihnen Möglichkeiten vorstellen, mit denen Sie es stärken können.

Schutz und Stärkung

Unser mentales Immunsystem kämpft heutzutage gegen eine Reihe verschiedener schädlicher Umwelteinflüsse und Krankmacher, die es fortwährend herausfordern: Schlechte Nachrichtenund fake news befallen uns wie virale Erreger. Sie stecken uns mit negativen Gefühlen an und infizieren unsere Gedanken. Manche Ängste breiten sich wie Infektionen aus und machen uns krank. Die Reiz- und Informationsflut entzündet uns, macht uns dünnhäutig und überempfindlich. Wir reagieren verunsichert und angespannt. Viele dieser Einflüsse wirken deswegen besonders stark, weil die Auseinandersetzung mit diesen Krankmachern erstmalig erfolgt oder in der Intensität und Frequenz neu ist. So reagiert unser mentales Immunsystem auf viele der derzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen gleichsam allergisch, weil wir oft kaum gelernt haben, mit Ungewissheit und Unsicherheit umzugehen.

In den folgenden Kapiteln werden Sie deshalb erfahren, was unser mentales Immunsystem in der aktuellen Zeit bedroht und wie wir es in seinem täglichen Dienst für uns wirkungsvoll unterstützen können. Dabei werden wir eine Doppelstrategie nutzen, die wir auch einsetzen, um unser körperliches Immunsystem zu unterstützen: Schutz und Stärkung! Eine drohende Erkältung wehren wir schließlich auf die gleiche Weise ab. Wir waschen uns regelmäßig unsere Hände, um uns vor potenziellen Krankheitserregern zu schützen; ferner essen wir eine Orange, trinken einen heißen Tee und gehen früh ins Bett, um die körpereigenen Abwehrkräfte zu stärken.

Deshalb freue ich mich darauf, Ihnen in den nächsten Kapiteln ein paar hilfreiche Maßnahmen vorzustellen, mit denen Sie auch Ihr mentales Immunsystem einerseits schützen können, etwa indem Sie Ihren Geist in dieser verrückten Zeit wieder beruhigen, sich von anstrengendem Denken erholen, Abstand gewinnen und zu innerer Ruhe kommen. Außerdem möchte ich Ihnen verraten, wie Sie Ihr mentales Immunsystem stärken können, indem Sie zum Beispiel üben, mit Ungewissheit besser umzugehen, Ängste in Schach zu halten, Zuversicht zu entwickeln, in ein mutiges Handeln zu kommen und über alle Belastungen hinweg eine humorvolle und heitere Perspektive einzunehmen.

Nichts in diesem Buch kann Sie vollständig immun machen gegen die Belastungen um Sie herum, so wie auch kein Antibiotikum und keine Hygienemaßnahme sämtliche pathologischen Keime dieser Welt zum Verschwinden bringt. Stress, Krisen und Zeiten der Unsicherheit gehören zum Leben, und unsere psychische Gesundheit kann immer wieder neu bedroht werden. Aber wir können unser mentales Immunsystem sinnvoll dabei unterstützen, um die genannten Krankheitsfaktoren abzuwehren oder ihren Einfluss zu minimieren. Wir können Allergien abschwächen, die Ansteckung mit Viren in vielen Fällen vermeiden oder deren Ausbreitung verhindern, giftige Gedanken neutralisieren und unsere psychisch entzündeten Wunden heilen. Mit meinem Buch möchte ich Sie dazu anleiten, Ihr mentales Abwehr- und Verteidigungssystem zu schützen und zu stärken, damit es umgekehrt Sie besser schützen und stärken kann (gute Freunde helfen sich schließlich gegenseitig).

Eisbad statt Schaumbad

Eine kleine Warnung vorweg: Viele psychologische Ratgeber erinnern heute an ein warmes Schaumbad, das man sich nach einem anstrengenden Tag gönnt. Sie betonen den Wellness-Aspekt der Psyche. Ihre Prämisse lautet: Mental gesund macht, was sich gut »anfühlt«. Sie seifen den Geist mit schaumigen Worten ein, wie »Du bist etwas ganz Besonderes«, oder empfehlen andere beweihräuchernde Mantras. Diese Form der Seelenpflege mag wohltuend sein, und sie sei hier ausdrücklich von ganzem Herzen (und mit ganzem Hirn) gegönnt. Möglicherweise können süßliche Botschaften in einer psychischen Ausnahmesituation sogar wirklich hilfreich sein, eine angespannte Situation zu deeskalieren und das Nervenkostüm kurzfristig zu beruhigen. Aber sie allein machen Menschen nicht stärker!

Den meisten Entwicklungsprozessen in der Biologie liegt stattdessen das folgende physikalische Grundprinzip zugrunde: Es braucht einen stimulierenden Reiz, der uns »irritiert« und aus dem Gleichgewicht bringt. Erst dadurch kommt es zu einer Anpassungsreaktion. Bei einem richtigen Reiz in richtiger Dosis führt das langfristig zu Wachstum im Sinne einer Stärkung oder Reifung, zu der es bei einer Entspannung allein nicht gekommen wäre. So können wir unsere Knochen nicht allein dadurch stärken, dass wir einen schmackhaften Shake mit viel Calcium trinken. Stattdessen werden sie widerstandsfähiger, wenn Muskeln an den Knochen ziehen, etwa durch ein adäquates Krafttraining mit knackigen Wiederholungssätzen an der Hantelbank. Auch das mentale Immunsystem entwickeln wir nicht dadurch, dass wir es in Watte packen. Pflege und Schutz sind ohne jeden Zweifel unverzichtbar für hochkomplexe Systeme und machen einen wesentlichen Aspekt dieses Buches aus. Aber trainiert und gestärkt wird unser mentales Immunsystem am besten, wenn wir es gelegentlich etwas fordern. In der Verhaltenstherapie spricht man auch von Exposition, bei der Menschen zum Beispiel mit Ängsten oder Zwängen bewusst in die eine für sie irritierende und »reizvolle« Situation hineingeführt werden (natürlich unter fachkundiger Anleitung und fürsorglicher Begleitung). So lernen sie, die Spannung auszuhalten und langfristig stärker und stabiler zu werden.

Vor meiner Haustür am Donauufer sehe ich in den Wintermonaten immer wieder mutige Menschen, die ihren Körper kurz in das eiskalte Flusswasser tauchen. Es mag etwas Überwindung kosten, aber bei intaktem Herz-Kreislauf-System »härtet« das Baden in eiskaltem Wasser das Immunsystem ab und kann die Infekthäufigkeit reduzieren.25 In der Medizin spricht man von Hormesis, wenn ein solcher äußerer Reiz eine Anpassungsreaktion anstößt, hier im Sinne einer immunologischen Stärkung. In die eiskalte Donau zu springen bedeutet, seine Komfortzone zu verlassen, belohnt aber mit einer anschließenden Stärkung des Immunsystems (vom Spaß einmal abgesehen, den man dabei hat).

Wenn Sie psychisch stabiler werden möchten, ist das Eiswasserbaden also geeigneter als das Schaumbad. Genau diesen Ansatz möchte ich in meinem Buch verfolgen. Manches wird Sie bewusst etwas »reizen«, einerseits, weil die eine oder andere Sichtweise ungewohnt sein wird, vielleicht mitunter sogar etwas provokant; andererseits, weil es manche der Übungen notwendig machen, etwas Neues auszuprobieren, und somit sprichwörtlich bedeuten, in kaltes (oder zumindest kühles) Wasser zu springen. Falls Sie stattdessen ein gemütliches Schaumbad bevorzugen, das Ihre Seele mit wohltuenden Aromabotschaften streichelt, brauchen Sie ein anderes Buch. Sie werden hier schnell fündig werden, der Markt quillt über von solchen Ratgebern.

Sie brauchen aber den Stöpsel nicht aus der Wanne zu ziehen, sondern können dann durchaus zwischen Schaumbad und Eiswasser abwechseln. Auf diese Weise nutzen Sie die Vorteile beider Herangehensweisen und müssen auf nichts verzichten, weder auf die Reizung noch auf die Erholung danach (der berühmte Hydrotherapeut und Naturheilkundler Sebastian Kneipp hätte vermutlich seine Freude an dieser Empfehlung gehabt).

Letzte Vorbereitungen

Wie auch schon in meinem letzten Buch Kopf frei! nehme ich Sie im Folgenden wieder mit auf eine abenteuerliche und abwechslungsreiche Expedition durch die Welt von Geist und Gehirn (Eiswasserbaden ist im Preis enthalten). Was Sie auf dem Weg entdecken, wird Sie sehr wahrscheinlich zum Nachdenken anregen, möglicherweise ins Staunen bringen und hoffentlich sehr häufig über sich selbst schmunzeln lassen. Überdies werden Sie viele Ideen für Experimente und Tipps für Ihren Alltag an die Hand bekommen, wie Sie mental stark und stabil bleiben in einer Welt, die gerade etwas verrückt geworden zu sein scheint.

Schreiben Sie sich in Büchern auch so gerne mit einem Stift Randbemerkungen an interessante Textabschnitte oder kleben Sie sich kleine Zettelchen an Seiten, deren Inhalt Sie sich merken wollen? In diesem Fall wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, sich entsprechende Utensilien bereitzulegen, denn ich garantiere Ihnen viele »merk-würdige« Erkenntnisse. Ich selbst nutze übrigens einen kleinen Gehirnstempel zur Markierung spannender Textpassagen oder Post-its in Form eines Gehirns, auf denen ich meine Einfälle notiere. So geht nichts verloren. (Schreiben Sie mich an, ich schicke Ihnen gerne ein paar solcher »Gehirn-its«.)

Falls Sie sich bislang noch nicht angesprochen fühlen, vielleicht weil Ihr Leben gerade eine beneidenswerte Ausgeburt von Harmonie und Wohlgefühl ist, empfehle ich Ihnen, dieses Buch dennoch zu lesen (Sie haben es ja schließlich schon gekauft). Ich verspreche Ihnen, die Investition Ihrer Zeit in die Lektüre ist auch eine Investition in ein gesundes und starkes mentales Immunsystem. Prävention lohnt sich in jeder Phase des Lebens, denn wer weiß: Falls Sie Ihr mentales Immunsystem einmal überraschend brauchen, werden Sie froh sein, wenn Sie es im Vorfeld bereits etwas gepflegt und gestärkt haben. Schließlich ist »Glück«, so der römische Philosoph Seneca, »wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft«.

Kapitel 1: Sicherer werden – wie wir die Ungewissheit besser tolerieren

Das Problem und die Folgen

Plötzlich ist alles ungewiss

Stellen Sie sich vor, Sie lebten noch im Jahr 1993 und ein junger Mann, nennen wir ihn Marty, landet mit einem DeLorean mitten in Ihrem Garten. Er erzählt Ihnen, er sei 30 Jahre aus der Zukunft zu Ihnen zurückgereist. Im Jahr 2023 leide die Welt unter den Folgen einer gerade zu Ende gegangenen Pandemie, die globale Inflation läge bei 8 Prozent, die Engländer seien nicht mehr in der EU, am Rande Europas tobe ein schrecklicher Krieg, Wetterextreme hätten weltweit stark zugenommen, und selbst die ewige Königin Elisabeth II. von England winke nicht mehr aus ihrem Auto. Was würde die Vorstellung einer solchen Zukunft in Ihnen auslösen? Attraktiv klingt das nicht. Vermutlich würden Sie Marty eine große Portion Plutonium in seinen Fluxkompensator schütten und ihn mit seinem DeLorean auf Nimmerwiedersehen »Zurück in die Zukunft« schicken. Lang lebe schließlich die Königin. Ist es nicht so? (Falls Sie die gleichnamige Filmserie nicht kennen, empfehle ich Ihnen, diese Wissenslücke dringend zu schließen – nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, versteht sich.)

Mittlerweile sind aber genau diese Dinge eingetreten. In vielen Bereichen erleben wir derzeit Dinge, die wir vor wenigen Jahren nicht im Entferntesten für möglich gehalten hätten. Die wirtschaftspolitischen Machtachsen verschieben sich drastisch und mit noch unabsehbaren Folgen. Über allen aktuellen Themen, wie der Zukunft der Industrie, dem Ausbau der digitalen Infrastruktur und Abbau der Bürokratie, dem Fachkräftemangel und der Migrationspolitik, der Sicherung von stabilen Renten und guter Pflege genauso wie dem Klimaschutz, schweben dicke Fragezeichen. Überraschende Wendungen folgen Schlag auf Schlag, und immer wieder neue Probleme erobern die Titelseiten der Tageszeitungen. Fest steht: Das, was gestern galt, gilt heute nicht mehr, und das Morgen liegt in völligem Dunkel. In Kürze soll in unserem Land der Konsum von Marihuana in geringen Mengen legalisiert werden, vielleicht damit wir das alles überhaupt noch aushalten. Die Welt scheint in Teilen ver-rückt zu sein.

Die aktuellen Entwicklungen treffen uns weitgehend unvorbereitet, denn in den allermeisten Bereichen des Lebens waren wir in Deutschland bislang Stabilität, Gleichförmigkeit und Sicherheit gewohnt. Das Leben war in unserem Land nicht für alle rosig, aber die Zukunft in den meisten Fällen doch einigermaßen gewiss. Nun ist die allgemeine Verunsicherung groß, und viele fragen sich: Was kommt da noch alles auf uns zu?

Ungewissheit ist nicht Unsicherheit

»Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse«, sagt der Fuchs zum Kleinen Prinzen in Antoine de Saint-Exupérys gleichnamigen Meisterwerk.26 Ich möchte daher zu Beginn die beiden Begriffe Ungewissheit und Unsicherheit voneinander unterscheiden, weil sie häufig in einen Topf geworfen werden: Ungewissheit bezeichnet einen Zustand oder eine Situation, in der der Ausgang einer Situation nicht feststeht oder unklar bleibt. Ungewissheit hängt also in erster Linie von objektiven Umständen ab. Beispiele hierfür sind das Wetter, der Aktienkurs oder die Kartoffelernte. Unsicherheit ist dagegen ein subjektives Gefühl, das in uns selbst entsteht. Es ist abhängig von unserem Temperament, aber auch von unseren Erfahrungen, Glaubenssätzen, Erwartungen und unserer allgemeinen Zuversicht. Dieses Gefühl kann von äußeren Begebenheiten völlig unabhängig sein. Einfach ausgedrückt: Ungewissheit beschreibt, was ist. Unsicherheit beschreibt, was die Ungewissheit mit uns macht.

Die Last des »Vielleicht«

Schauen wir uns einmal an, warum uns Ungewissheit so »nervös« machen kann und gegebenenfalls Unsicherheit in uns erzeugt. Dafür begeben wir uns auf Spurensuche ins Gehirn: Wenn wir uns in dessen vorderem Abschnitt etwas in die Tiefe bewegen, gelangen wir an ein kleines Kerngebiet, das sogenannte Corpus Striatum (Streifenkörper). Es ist Teil unseres motorischen Planungs- und Aktivierungssystems. Aber es ist auch für die innere Wahrscheinlichkeitsvoraussage in einer bestimmten Situation zuständig.27 Wenn eine Angelegenheit völlig klar ist, verhält sich das Striatum ruhig. Aber in allen Phasen, in denen es ein »Vielleicht« gibt, steigt die Aktivität in diesem Kerngebiet. Sie ist maximal, wenn die geschätzte Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer Situation bei 50 Prozent liegt:28 Das Wetter könnte umschlagen oder nicht. Das Geld könnte reichen oder nicht. Mein Partner liebt mich oder nicht. Dieses Buch könnte spannend werden oder nicht. (Zur Beruhigung Ihres Striatums: Es wird definitiv spannend!) Kurzum, das Vielleicht erzeugt im Gehirn neurophysiologisch einen besonderen Reizzustand.

Und der ist mitunter nur schwer auszuhalten. In einem Experiment des University College in London bekamen Probanden unangenehme Elektroschocks. Wenn man die Elektroschocks ankündigte, reagierten sie verhältnismäßig ruhig. Auch bei stärkeren Stromstößen nahm der Stress nicht sonderlich zu, solange die Teilnehmer sicher wussten, dass ein Stromstoß folgte. Wenn sie dagegen nicht wussten, wann diese kamen, reagierten sie besonders gestresst. Dies war sogar bereits bei relativ schwachen Stromstößen der Fall. Nicht die Stromstärke machte also den Stress, sondern die Ungewissheit: Kommt da vielleicht gleich was, oder nicht?29 Aus diesem Grund können Menschen schlechte Ereignisse, die vielleicht eintreten, weniger gut ertragen als schlechte Ereignisse, die definitiv eintreten. Das zeigt sich bereits in banalen Situationen des Alltags: Fahrgäste an einem Bahnsteig regen sich mehr darüber auf, wenn sie nicht wissen, ob der verspätete Zug in 30 oder 45 Minuten kommt, als wenn die Wartezeit mehr als 60 Minuten beträgt, dafür aber feststeht und klar kommuniziert wurde.30 In einer Gruppe von Frauen mit Verdacht auf Brustkrebs war die Angst der Betroffenen am größten, solange der Befund der Tumorbiopsie noch unklar war. Der Stress reduzierte sich in dem Moment, in dem die Frauen ihr Ergebnis bekamen, selbst wenn sich der Verdacht eines bösartigen Tumors bestätigte.31

Wie eng sitzt Ihr Gürtel?

Wie gut können Sie selbst Vielleicht-Zustände aushalten? Blättern Sie ans Ende des Buches, wenn Sie eine spannende Geschichte lesen? Fahren Sie erst tanken, wenn Ihre Benzinanzeige blinkt? Planen Sie Ihr freies Wochenende im Vorfeld? Das sind freilich nur banale Beispiele, aber gehen wir einen Schritt weiter: Gegen welche Risiken im Leben haben Sie sich versichert? Haben Sie einen Ehevertrag? Die Antworten auf diese Fragen fallen vermutlich nicht einheitlich aus. Ungewissheit können wir nämlich in manchen Situationen gut ertragen, in anderen wiederum wirkt sie auf uns belastend.

Unsere Reaktion hängt im Wesentlichen von zwei Aspekten ab. Einerseits ist entscheidend, ob die Situation für uns überhaupt relevant ist oder nicht. Bei Entwicklungen, die Sie nicht weiter tangieren, ist Ungewissheit leicht zu ertragen. So machen uns uneindeutige Wetteraussichten fürs Wochenende kaum nervös, wenn wir ohnehin nichts Besonderes vorhaben. Das Striatum bleibt ruhig. Planen wir an dem Wochenende dagegen eine Gartenparty, sieht das schon anders aus. Andererseits ist entscheidend, wie tolerant wir der Ungewissheit gegenüber sind, das heißt, wie gut wir mit ihr umgehen können. In Phasen der Ungewissheit wird nämlich im Gehirn noch ein anderes Areal aktiv, der Gyrus Cingulum (Gürtelwindung). Dort findet ein Teil unseres Erwartungsdenkens statt: Was habe ich in der Vergangenheit für Erfahrungen in einer ähnlichen Situation gemacht? Welche Strategien stehen mir zur Verfügung, um die Situation zu meistern?32 Möglicherweise verfügen wir in einer ungewissen Situation über genug Selbstvertrauen und Zuversicht, weil wir wissen, was zu tun ist und wie wir uns helfen können. Dann fällt unsere Reaktion auf eine ungewisse Situation schwächer aus. So wird ein Arbeitnehmer, dem überraschend gekündigt wird, aller Voraussicht nach weniger in Stress geraten, wenn er weiß, was er als Nächstes tun wird oder wer ihn unterstützen wird. Deutlich intoleranter reagieren wir dagegen auf Ungewissheit, wenn die Situation erstmals auftritt und wir keine Ahnung haben, wie wir wieder aus dem Schlamassel herauskommen.

Zusammengefasst kann man also sagen: Das Vielleicht ist schwerer auszuhalten, wenn unser Gehirn die Situation als relevant erkennt, aber gleichzeitig intolerant