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Recht und Technik müssen harmonisieren. Für die gesellschaftliche Akzeptanz automatisierter und autonomer Fahrzeuge ist es von wesentlicher Bedeutung, dass klare gesetzliche Schutzmechanismen bestehen, deren zentrale Aufgabe der Opferschutz ist. Das Werk untersucht entlang des dreigliedrigen Haftungsgefüges, bestehend aus Fahrer, Halter und Hersteller, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der einzelnen Akteure. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Rolle der Fahrzeughersteller, die durch die Automatisierung des Straßenverkehrs in Form von lernfähiger und vernetzter Software verstärkt in den Fokus rücken. Die Abhandlung soll eine fundierte Einschätzung darüber liefern, inwieweit sich die Haftung der Beteiligten neu austariert und was dies konkret für die Reformbedürftigkeit des Haftungsrechts bedeutet.
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Seitenzahl: 445
von
Jonathan Hinze
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
Dissertation der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-8005-1783-1
© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Produktion: WIRmachenDRUCK GmbH, Mühlbachstr. 7, 71522 Backnang
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen.
Das Thema der Arbeit ist aus dem Kooperationsprojekt zu Nachfragegesteuerten Autonom Fahrenden Bussen („NAF-Bus“) hervorgegangen, welches von August 2017 bis Dezember 2020 mit dem Ziel durchgeführt worden ist, das innovative Konzept des „ÖPNV On Demand“, eines öffentlichen Personennahverkehrs ohne feste Fahrpläne und gesteuert von der Nachfrage der Kunden, weiter voranzubringen. Das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur hat das Projekt mit rund 2,38 Millionen Euro gefördert.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Michael Stöber, der im Rahmen des obigen Projektes die rechtliche Realisierbarkeit des Einsatzes autonom fahrender Busse erforscht und der diese Arbeit mit höchstem Engagement betreut und mit konstruktiven Anmerkungen vorangebracht hat. Dabei wurde mir stets die Freiheit gewährt, die Arbeit nach eigenen Vorstellungen und Schwerpunkten auszurichten.
Ferner möchte ich mich bei Prof. Dr. Susanne Lilian Gössl, LL. M. (Tulane) für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Anregungen bedanken.
Dem dfv-Verlag danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe.
Phillip Benit danke ich für die unzähligen gemeinsamen Mittags- und Kaffeepausen und die sowohl erholsamen als auch fachlich hilfreichen Gespräche.
Schließlich gilt der größte Dank meiner Familie. Meinen Eltern, Kristin und Jörg Hinze, sowie meinem Bruder, Jakob Hinze, für ihre allzeitige, bedingungslose Unterstützung. Ohne sie wäre an diese Arbeit nicht zu denken; ihnen ist sie gewidmet.
Kiel, im Januar 2021 Jonathan Hinze
#
5G
fünfte Generation
A
a.A.
andere Ansicht
a.F.
alte Fassung
ABl.
Amtsblatt
ABS
Antiblockiersystem
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für civilistische Praxis
AG
Aktiengesellschaft
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
AI
Artificial Intelligence
allg.
allgemein
Anm.
Anmerkung
Anh.
Anhang
ArchIngKG
Architekten- und Ingenieurskammergesetz
Art.
Artikel
ASR
Antriebsschlupfregelung
AT
Allgemeiner Teil
AtG
Atomgesetz
ATZ
Automobiltechnische Zeitschrift
B
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAST
Bundesanstalt für Straßenwesen
BB
Betriebsberater
BBergG
Bundesberggesetz
BeckOGK
Beck-online.Großkommentar
BeckOK
Beck-online.Kommentar
BeckRS
Beck-Rechtsprechung
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BMU
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
BMVI
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
BMW
Bayerische Motoren Werke
BRAO
Bundesrechtsanwaltsordnung
BR-Dr.
Bundesrat-Drucksache
BR-Plenarprotokoll
Bundesrat-Plenarprotokoll
bspw.
beispielsweise
BT-Dr.
Bundestag-Drucksache
BT-Plenarprotokoll
Bundestag-Plenarprotokoll
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
bzgl.
bezüglich
bzw.
beziehungsweise
C
Calif. L. Rev.
California Law Review
Car-2-Car
Car-to-Car
CCZ
Corporate Compliance Zeitschrift
CR
Computerrecht
D
d.h.
das heißt
DAR
Deutsches Autorecht
DB
der Betrieb
ders.
derselbe
dies.
dieselbe
DIN
Deutsches Institut für Normung
DMV
Department of Motor Vehicles
DStR
Deutsches Steuerrecht
DVR
Deutscher Verkehrssicherheitsrat
Dwds
Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache
E
ECE
Economic Commission Europe
EG
Europäische Gemeinschaften
Einf.
Einführung
Einl.
Einleitung
e-Person
elektronische Person
ESP
Elektronisches Stabilitätsprogramm
EU
Europäische Union
EuCML
Journal of European Consumer and Market Law
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EUV
Vertrag über die Europäische Union
e.V.
eingetragener Verein
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
F
f.
folgende
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FCA
Fiat Chrysler Automobiles
ff.
fortfolgende
Fn.
Fußnote
G
GDV
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
gem.
gemäß
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
GmbHR
GmbH-Rundschau
GPR
Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union
GPS
Global Positioning System
GPSG
Geräte- und Produktsicherheitsgesetz
GRUR
Gewerblicher Rechtschutz und Urheberrecht
GWR
Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
H
HaftPflG
Haftpflichtgesetz
Harv. L. Rev
Harvard Law Review
HGB
Handelsgesetzbuch
I
i.R.d.
im Rahmen des
i.V.m.
in Verbindung mit
i.S.d.
im Sinne des
i.S.v.
im Sinne von
IEC
International Electrotechnical Commission
InTeR
Zeitschrift zum Innovations- und Technikrecht
ISO
Internationale Organisation für Normung
Iss.
Issue
IT
Informationstechnik
ITRB
IT-Rechtsberater
IWRZ
Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht
J
JA
Juristische Arbeitsblätter
JBL
Juristische Blätter
JR
Juristische Rundschau
jurisPK
Juris-Praxiskommentar
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
K
K&R
Kommunikation und Recht
Kap.
Kapitel
KBA
Kraftfahrt-Bundesamt
Kfz
Kraftfahrzeug
KI
künstliche Intelligenz
KJ
Kritische Justiz
km/h
Kilometer pro Stunde
KriPoZ
Kriminalpolitische Zeitschrift
Kza.
Kennzahl
L
Lidar
light detection and ranging
LKV
Landes- und Kommunalverwaltung
LKW
Lastkraftwagen
LMRR
Lebensmittelrecht Rechtsprechung
LuftVG
Luftverkehrsgesetz
LSK
Leitsatzkartei
M
MBO-Ä
Musterberufsordnung für Ärzte
MMR
Multimedia und Recht
msec.
Millisekunden
MüKo
Münchener Kommentar
N
NHTSA
National Highway Traffic Safety Administration
NJOZ
Neue Juristische Online-Zeitschrift
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report
Nr.
Nummer
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NZA
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
NZBau
Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht
NZV
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
O
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
OEM
Original Equipment Manufacturer
OGH
Oberster Gerichtshof
OLG
Oberlandesgericht
P
PDC
Park-Distance-Control
PflVG
Pflichtversicherungsgesetz
PHI
Produkthaftpflicht international
PKW
Personenkraftwagen
ProdHaftG
Produkthaftungsgesetz
ProdSG
Produktsicherheitsgesetz
R
r+s
Recht und Schaden
RAW
Recht Automobil Wirtschaft
RdTW
Recht der Transportwirtschaft
RGRK
Reichsgerichtsrätekommentar
RL
Richtlinie
Rn.
Randnummer
S
S.
Satz/Seite
SchuldR
Schuldrecht
Sci. & Tech. L. Rev
Science and Technology Law Review
sog.
sogenannte/r
StGB
Strafgesetzbuch
StVG
Straßenverkehrsgesetz
StVO
Straßenverkehrsordnung
StVR
Straßenverkehrsrecht
StVZO
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung
SVR
Straßenverkehrsrecht
SZ
Süddeutsche Zeitung
T
TÜV
Technischer Überwachungsverein
U
U. III. J. L. Tech. & Pol’y
University of Illinois Journal of Law, Technology & Policy
u.a.
unter anderem
UN
United Nations
usw.
und so weiter
V
v.
von
V+T
Verkehr und Technik
VDE
Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik
VersR
Versicherungsrecht
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
VkBl.
Verkehrsblatt
VO
Verordnung
Vol.
Volume
VRS
Verkehrsrechts-Sammlung
VuR
Verbraucher und Recht
VVG
Versicherungsvertragsgesetz
VW
Volkswagen
W
WI
Wirtschaftsinformatik
WÜ
Wiener Übereinkommen
Z
z.B.
zum Beispiel
ZEuP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZfPW
Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft
zfs
Zeitschrift für Schadensrecht
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
zit.
zitiert
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ZPO
Zivilprozessordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZRSoz
Zeitschrift für Rechtssoziologie
ZVS
Zeitschrift für Verkehrssicherheit
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Einleitung
§ 2 Zur Terminologie
A. Künstliche Intelligenz
I. Ansätze einer Definition
II. Allgemeine und spezialisierte künstliche Intelligenz
III. Eigenschaften künstlicher Intelligenz
IV. Determinismus und Vorhersehbarkeit
B. Automatisierung und Autonomie
I. Automatisierung
II. Autonomie in Wissenschaft und Technik
C. Zwischenergebnis
§ 3 Automatisierung und Autonomie im Straßenverkehr
A. Entwicklungsstufen des automatisierten und autonomen Fahrens
I. Stufe 0
II. Stufe 1
III. Stufe 2
IV. Stufe 3
V. Stufe 4
VI. Stufe 5
B. Technologische Herausforderungen
C. Chancen und Risiken
I. Chancen
1. Verkehrssicherheit
2. Verkehrseffizienz
3. Zeiteffizienz
4. Mobilität für alle
5. Umweltschutz
II. Risiken
1. Verlust an Fahrfertigkeiten
2. Verlust an Kontrolle
3. Volkswirtschaftliches Risiko: Wandel des Arbeitsmarktes
§ 4 Haftungsrechtliche Vorüberlegungen
A. Fahrer- und Herstellerhaftung als Regressinstrument
B. Das Versicherungsprinzip
§ 5 Haftungsrisiken de lege lata für Halter und Fahrer
A. Haftung von Fahrer und Halter nach dem StVG
I. Anwendbarkeit des StVG auf nicht-öffentlichen Flächen
II. Halterhaftung, § 7 I StVG
1. Verantwortlichkeit des Halters
2. Höhere Gewalt, § 7 II StVG
3. Schwarzfahrt, § 7 III StVG
4. Langsame Fahrzeuge, § 8 Nr. 1 StVG
5. Zwischenergebnis: Rechtssicherheit für den Halter?
III. Fahrerhaftung, § 18 I StVG
1. Automatisiertes Fahren
a. Das 8. StVG-Änderungsgesetz
aa. Gesetzgebungsverfahren
bb. Anwendbarkeit der §§ 1a, 1b StVG
cc. Keine Differenzierung der Automatisierungsstufen
dd. Fahrzeugführer
ee. Neue Rechte und Pflichten des Fahrzeugführers
aaa. Die bestimmungsgemäße Verwendung
bbb. Das Recht zur Abwendung
ccc. Wahrnehmungsbereitschaft
ddd. Die unverzügliche Übernahme
(1) Bei Systemaufforderung
(2) Bei offensichtlichen Umständen
eee. Beweislast
(1) Datenspeicherung, § 63a StVG
(2) Anscheinsbeweis
b. Zwischenergebnis: Rechtssicherheit für den Fahrer?
2. Autonomes Fahren
IV. Haftungsbegrenzung, § 12 I StVG
1. Haftungshöchstsummen für automatisierte Fahrzeuge
2. Diskrepanz zum Luftverkehrsgesetz
3. Haftungsrisiko durch fehlenden Versicherungsschutz
4. Zwischenergebnis
V. Erhöhte Betriebsgefahr durch Automatisierung?
1. Betriebsgefahr bei Fahrerassistenzsystemen der Stufe 1 und 2
2. Betriebsgefahr bei Fahrerassistenzsystemen der Stufe 3, 4 und 5
3. Zwischenergebnis
B. Haftung von Fahrer und Halter nach dem BGB
I. § 823 I BGB
1. Das Nichtüberwachen des Systems als tatbestandsmäßiges Unterlassen
2. Rechtspflicht zum Handeln
II. § 823 II BGB
1. Normadressat der StVO
2. Insbesondere: § 3 StVO
a. Anforderungen an die Beherrschbarkeit
b. Rücksichtnahmegebot
III. § 831 I BGB analog
IV. § 832 I BGB analog
V. § 833 I BGB analog
VI. § 836 I BGB analog
VII. Zwischenergebnis
§ 6 Haftungsrisiken de lege lata für den Hersteller
A. Haftung des Herstellers nach dem StVG
I. Der Hersteller als Fahrer
1. Kriterien der Rechtsprechung zur Fahrzeugführereigenschaft
a. Tatsächliche Gewalt über essenzielle technische Vorrichtungen
b. Eigener Entscheidungsspielraum
c. Zwischenergebnis
2. Sinn und Zweck des § 18 I StVG
3. Die Maschine als Adressat von Verhaltensvorschriften?
II. Gefährdungshaftung, 7 I StVG analog
III. Zwischenergebnis
B. Haftung des Herstellers nach dem ProdHaftG
I. Haftungskonzept
1. Leitmotiv Gefährdungshaftung
2. Die geschützten Personen und Rechtsgüter
II. Das Produkt und sein(e) Hersteller
1. Software als Sache
2. Software als Produkt
3. Das Endprodukt Automobil
III. Der Produktfehler
1. Die berechtigte Sicherheitserwartung
a. Zu berücksichtigende Umstände
aa. Die Darbietung automatisierter Fahrzeuge
bb. Der zu erwartende Gebrauch
aaa. Bestimmungsgemäßer Gebrauch
bbb. Benutzungsfehler und Produktmissbrauch
cc. Technischer Standard
aaa. Normative Standards – ISO 26262 und IEC 61508
bbb. Stand von Wissenschaft und Technik
(1) Grundsätze
(2) Sicherheit von (intelligenter) Software
(3) Der menschliche Fahrer als Sicherheitsmaßstab
dd. Nutzen-Risiko-Abwägung bei unvermeidbaren Gefahren
ee. Der Preis des Produktes
b. Maßgeblicher Zeitpunkt der Sicherheitserwartung
aa. Das Inverkehrbringen als Bezugspunkt
bb. Die Rolle von Softwareupdates bei der Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts
c. Zwischenergebnis
2. Die Fehlertypen
a. Fabrikationsfehler
b. Konstruktionsfehler
aa. Fahrzeuglokalisierung
bb. Wahrnehmung und Reaktion
cc. Kommunikation
aaa. Mensch-Maschinen-Schnittstelle
bbb. Car-2-Car und Car-2-X
ccc. IT-Sicherheit
c. Instruktionsfehler
aa. Umfang der Instruktion
bb. Instruktionsmethode
d. Zwischenergebnis
IV. Grenzen der Produkthaftung
1. Fehlerfreiheit im Zeitpunkt des Inverkehrbringens
a. Das Autonomierisiko intelligenter Systeme
b. Kein erneutes Inverkehrbringen durch Softwareupdates
2. Nichterkennbarkeit des Fehlers
3. Ersatzfähigkeit von Schäden am fehlerhaften Fahrzeug
a. Weiterfresserschäden im allgemeinen Deliktsrecht
b. Weiterfresserschäden im Produkthaftungsrecht
c. Hard- und Software als „andere Sache“ i.S.v. § 1 I S. 2 ProdHaftG?
d. Zwischenergebnis
4. Gewerblich genutzte Fahrzeuge
5. Haftungshöchstbetrag
6. Selbstbeteiligung
7. Erlöschen des Anspruchs
8. Zwischenergebnis
V. Beweislastverteilung
1. Beweismaß bei Softwarefehlern
2. Kausalität zwischen Fehler und Schaden
C. Haftung des Herstellers nach dem BGB
I. Allgemeines Deliktsrecht
1. § 823 I BGB
a. Auswirkungen der Grundsätze über den Weiterfresserschaden
b. Verkehrssicherungspflichten
aa. Übereinstimmung von Produkt- und Produzentenhaftung
bb. Produktbeobachtungspflicht
aaa. Passive und aktive Produktbeobachtung
bbb. Kombination durch Vernetzung: Kompatibilitätsprüfungspflicht
ccc. Gefahrabwendungspflichten
(1) Die Grundsätze des BGH zum Produktrückruf
(2) Softwareupdates als Mittel der Gefahrenabwehr
ddd. Sonderfall Hackerangriff
cc. Zwischenergebnis
c. Die Zurechnung autonomen maschinellen Verhaltens
aa. Deterministischer Algorithmus
bb. Verschulden – Subjektive Vorhersehbarkeit
cc. Garantenpflicht des Herstellers
dd. Zwischenergebnis
d. Beweislastverteilung
2. § 823 II BGB und ProdSG
a. Softwarebasierte Fahrzeuge als Produkt i.S.v. § 2 Nr. 22 ProdSG
b. § 3 ProdSG bei fehlenden technischen Normen
c. Eingeschränkter Haftungsumfang
3. 831 I BGB analog
II. Mängelgewährleistungsrecht
1. Mangel am Fahrzeug
a. Vereinbarte Beschaffenheit
b. Vertraglich vorausgesetzte und gewöhnliche Verwendung
2. Der Gefahrübergang als maßgeblicher Zeitpunkt
3. Nacherfüllung durch Softwareupdate
III. Die Herstellererklärung als Garantievertrag
1. Rechtsbindungswille des Herstellers
2. Vertraglicher Inhalt
3. Verjährung
IV. Zwischenergebnis
§ 7 Haftungsverhältnis de lege lata: Eingeschränkte Regressmöglichkeiten
§ 8 Rechtsfortbildung de le lege ferenda: Neue Haftungskonzepte
A. Verantwortung des Herstellers und ökonomische Effizienz
I. Risikozuweisung durch Verantwortung und Gerechtigkeit
1. Verschulden
2. Gefährdung
II. Risikozuweisung durch ökonomische Analyse
1. Der Hersteller als cheapest cost avoider
2. Steuerung des Aktivitätsniveaus
III. Zwischenergebnis
B. Harmonisierte Herstellerhaftung
I. Der Fall González Sánchez und die Rechtsprechung des Gerichtshofs
II. Schlussfolgerung
C. Adaption der Produkthaftungsrichtlinie
I. Der Produktbegriff
II. Der Fehlerbegriff
III. Der Nachweis eines Produktfehlers
IV. Das Inverkehrbringen als maßgeblicher Zeitpunkt
V. Der Ausschluss der fehlerhaften Sache selbst
VI. Der Verbraucherschutz als Schutzzweck der Norm
VII. Haftungshöchstsumme
VIII. Selbstbeteiligung
IX. Erlöschen des Anspruchs
X. Pflichtversicherung
XI. Zwischenergebnis
D. Die elektronische Person
I. Rechtlicher Status
II. Wer ist e-Person?
III. Haftung
§ 9 Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Mit dem automatisierten und autonomen Fahren steht uns eine Verkehrsrevolution bevor. Die Automobilindustrie selbst, die Medien und auch die Politik prognostizieren uns einen tiefgreifenden technologischen, aber auch gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Die Chancen dieses Wandels sind bemerkenswert und liegen nicht immer gleich auf der Hand: Abgesehen von der Tatsache, dass uns das selbstfahrende Fahrzeug mit hoher Wahrscheinlichkeit sicherer durch den Verkehr führen wird, als wir es je könnten, und wir dabei gleichzeitig einen beachtlichen Zeitgewinn verzeichnen, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten der Mobilität, wenn Eignungskriterien wie Alter oder körperliche Verfassung keine Rolle mehr spielen. Bis zur Realisierung dieser Vision ist indes noch ein weiter Weg zu gehen. Die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten sind interdisziplinär und beziehen sich nicht nur auf das technisch Machbare, sondern in gleicher Weise auch auf Fragen nach ethischer Verantwortung, gesellschaftlicher Akzeptanz und rechtlicher Grundlage. Letztere ist Thema dieser Arbeit ist.
Recht und Technik müssen harmonisieren. Für die gesellschaftliche Akzeptanz automatisierter und autonomer Fahrzeuge ist es von großer Bedeutung, dass eine klare und durchdachte gesetzliche Grundlage besteht, deren zentrale Aufgabe der Opferschutz ist. Gleichzeitig haben wir zur Bewältigung dieser Aufgabe aber nicht unbegrenzt viel Zeit. Zum einen schreitet die Technik durch weltweite Forschung mit Elefantenschritten voran, zum anderen hat sich gerade die Bundesrepublik zum Vorreiter in Sachen „Mobilität 4.0“ ernannt und will das „modernste Straßenverkehrsrecht der Welt“.1 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es daher notwendig, dass wir uns schon heute mit den Problemen von morgen beschäftigen. Die Ausgestaltung der zivilrechtlichen Haftung bildet dabei nur einen kleinen Teil ebendieser Probleme. Sie ist aber für Erfolg oder Misserfolg eines automatisierten Straßenverkehrs so entscheidend wie kaum eine andere rechtliche Fragestellung, weil der Straßenverkehr trotz aller positiver Sicherheitserwartungen ein Risikofaktor für Gesundheit und Vermögen bleiben wird. Erst wenn die Verantwortlichkeiten für eintretende Schäden geklärt sind, kann sich das selbstfahrende Fahrzeug in breiter Masse etablieren. Angesichts des enormen Potentials, das in ihm schlummert, ist eine rechtliche Auseinandersetzung schon heute geboten und lohnenswert.
Ziel dieser Arbeit ist deshalb eine Revision der haftungsrechtlichen Abwicklung von Straßenverkehrsunfällen mit Blick auf die Entwicklung autonomer Steuerungssysteme. Am Ende der Abhandlung soll eine fundierte Einschätzung darüber vorliegen, inwieweit sich die Verantwortlichkeiten zwischen den Akteuren neu austarieren und zu welchen konkreten Rückschlüssen dies hinsichtlich der Reformbedürftigkeit des Haftungsrechts führt.
Zu Beginn sollen dazu zunächst die terminologischen Grundlagen geschaffen werden (§ 2). Das betrifft einerseits Wesen und Eigenschaften künstlicher Intelligenz, andererseits die Differenzierung zwischen Automatisierung und (technischer) Autonomie. Innerhalb von § 3 werden die wesentlichen technischen Voraussetzungen autonomer Fahrzeuge dargelegt und abschließend die gesellschaftlichen Chancen und Gefahren einer Mobilitätswende skizziert.
Der haftungsrechtlichen Erörterung vorangestellt ist eine kurze Positionierung der im Haftungsgefüge befindlichen Parteien (§ 4). Dabei wird insbesondere die in der Praxis bedeutsame Rolle der Versicherungen und ihr Einfluss auf die Regresskette thematisiert.
Gegliedert nach den einzelnen Akteuren folgt anschließend die Analyse der Haftungslage de lege lata. Im Rahmen der Fahrer- und Halterhaftung (§ 5) erfolgt schwerpunktmäßig eine Bewertung der 2017 in Kraft getretenen Neuregelungen im Straßenverkehrsgesetz zum Verantwortungsbereich des Fahrzeugführers während des automatisierten Betriebs.
Die Herstellerhaftung wird in § 6 vornehmlich hinsichtlich der Problemstellungen im Produkthaftungsgesetz untersucht. Hier ist entscheidend, wann das Verhalten eines selbstfahrenden Fahrzeugs als „fehlerhaft“ zu betrachten ist und mit welchen konstruktiven und instruktiven Mitteln der Hersteller das eigene Haftungsrisiko begrenzen kann. Bei der das europäische Produkthaftungsrecht ergänzenden nationalen Produzentenhaftung liegt das Hauptaugenmerk auf der herstellerseitigen Produktbeobachtungspflicht sowie auf den Grundzügen des Verschuldensprinzips, das angesichts selbstveränderlicher IT-Systeme mit Zurechnungsproblemen zu kämpfen hat. Die Ergebnisse aus den §§ 5 und 6 werden in § 7 kurz zusammengefasst und die Auswirkungen auf das Gesamtverhältnis im Haftungsgefüge dargestellt.
§ 8 beschäftigt sich mit dem legislativen Reformvorschlägen und fokussiert dabei eine Adaption der Produkthaftungsrichtlinie nach Maßgabe möglicher Haftungsdefizite. Aufgrund anhaltender Aktualität der Diskussion um das Modell „elektronische Person“ wird abschließend auch diesbezüglich Stellung bezogen.
1
Dobrindt
, Rede im Deutschen Bundestag am 30.03.17, BT-Plenarprotokoll 18/228, 22914 C.
Eine zielführende Erörterung juristischer Fragestellungen erfordert zunächst einen terminologischen Konsens. Im Bereich der selbstfahrenden Fahrzeuge sind es insbesondere die Begrifflichkeiten der „Automatisierung“ und „Autonomie“, die ein gewisses Maß an Erklärungsbedürfnis hervorrufen und umgangssprachlich häufig vermischt und vereinheitlicht werden. Ergänzt durch relativ bedeutungsarme Zusätze wie „intelligent“ oder „smart“ ergibt sich dann häufig nur ein sehr vages Bild des technologischen Fortschritts, der aber gerade auch in der rechtlichen Aufarbeitung einen entscheidenden Unterschied bei der Bewertung einzelner juristischer Probleme darstellen kann. Das betrifft im Übrigen nicht nur den Bereich der selbstfahrenden Fahrzeuge, sondern durchzieht gleichermaßen die gesamte Industrie („Industrie 4.0“) und Privathaushalte („Internet der Dinge“).
Der wohl verbreitetste Ausdruck für das branchenübergreifende technologische Gesamtphänomen lautet „künstliche Intelligenz“ (KI).2 Der Begriff ist durch die ihm zuteil werdende wissenschaftliche und mediale Aufmerksamkeit mittlerweile so verbreitet, dass ein gänzlicher Verzicht, wie teilweise gefordert,3 unmöglich erscheint.4 Ein genaueres Verständnis von KI und seiner wesentlichen Kerneigenschaften kann deshalb helfen, die Technologie zu verstehen und ihr Potential zu erkennen.
Der Begriff der „künstlichen Intelligenz“5 ist schon durch seine Wortzusammensetzung sehr auslegungsbedürftig6 und deshalb in der Wissenschaft nicht unumstritten.7 Wir verbinden mit ihm üblicherweise eine ganze Fülle von (zukünftigen) technischen Errungenschaften, die Verhaltensweisen an den Tag legen können, die bis dato dem Menschen vorbehalten waren.8 Die Definitionsversuche sind vielfältig und lassen erkennen, dass ein gemeinsamer Nenner wohl nur schwer zu finden sein wird.
So beschreiben Erhardt und Mona künstliche Intelligenz als einen nicht durch Evolution entstandenen, sondern künstlich erschaffenen intelligenten Akteur.9Böhringer versteht künstliche Intelligenz als einen Algorithmus, der in einem nichteindeutigen Umfeld eigenständig Entscheidungen trifft.10 Nach John beschäftigt sich künstliche Intelligenz mit der Verarbeitung von Wissen, ohne dabei wie klassische informatische Systeme auf einen Lösungsalgorithmus zurückzugreifen, sondern Wissen neu zu akquirieren.11 Die Liste der Definitionsversuche könnte noch sehr lange fortgeführt werden und soll durch diese Arbeit nicht um einen weiteren Eintrag ergänzt werden. Klar ist jedenfalls, dass es sich bei KI nicht um ein Lebewesen handeln kann, sie dem biologischen Vorbild aber insbesondere durch die Eigenschaft der Lernfähigkeit ähneln kann. Handelnder ist dabei eine Software, genauer ein Algorithmus, der vielerorts auch als „Agent“ bezeichnet wird.12
Wichtiger als eine punktgenaue Definition ist, dass zwischen zwei völlig unterschiedlichen Zweckbestimmungen einer KI differenziert werden muss. Unterschieden wird zwischen der allgemeinen (oder auch „starken“) und der spezialisierten (oder auch „schwachen“) KI.13 Die allgemeine KI ist dem Menschen in seiner gesamten intellektuellen Fertigkeit und Gefühlswelt nachempfunden; hier geht es um nicht weniger als das Schaffen einer Maschine mit einem Ich-Bewusstsein, auf Grundlage dessen sie Entscheidungen treffen und reflektieren kann.14 Sie ist Nährboden zahlreicher Science-Fiction-Visionen, die thematisieren, ob Maschinen eines Tages die Autorität des Menschen in Frage stellen könnten.15 Mit der Realität hat das aber aktuell noch wenig zu tun. Die heutige Forschung beschäftigt vielmehr die spezialisierte KI, die einen anwendungsbezogenen Algorithmus beschreibt.16 Anders als die starke ist die schwache KI lediglich in der Lage, nur ganz konkrete Anwendungsprobleme algorithmisch zu lösen.17 Man findet diese Form spezialisierter KI bereits seit einigen Jahren etwa in der Sprach- und Bilderkennung18 oder bei sog. Expertensystemen.19 In naher Zukunft wird mit einer allmählichen Erweiterung der Anwendungsfelder auf größere Aufgabengebiete gerechnet; komplexe Robotik-Systeme sollen ehemals menschliche Tätigkeiten in Industrie und Haushalt teilweise in Gänze übernehmen können.20
Der Versuch einer begrifflichen Konkretisierung führt also zunächst zu der Feststellung, dass die aktuelle wissenschaftliche Diskussion um die technische und rechtliche Realisierung einer KI – die auch Thema dieser Arbeit ist – eigentlich nur einen kleinen Teil des gesamten Phänomens betrifft. Nichtsdestotrotz nimmt der Aspekt der „Intelligenz“ auch im Rahmen der „schwachen“ Form einer KI eine Schlüsselrolle ein. Unter Intelligenz (lat.: intelligentia) wird für gewöhnlich die Fähigkeit verstanden, „abstrakte Beziehungen herzustellen und zu erfassen sowie neue Situationen durch problemlösendes Verhalten zu bewältigen.“21 In Bezug auf Intelligenz von Computern stellte Alan Turing bereits 1950 im Rahmen des berühmten „Turing-Tests“ die These auf, dass sich das Verhalten intelligenter Computer durch ihre Ähnlichkeit zu menschlichem Verhalten auszeichnet.22 70 Jahre später erscheint dieser Befund angesichts intelligenter Softwaresysteme aktueller denn je; die Forschung hat sich im Wesentlichen auf drei charakteristische Kerneigenschaften verständigt:
Erstens müssen sie in der Lage sein, die Umwelt mittels geeigneter Hardware überhaupt wahrzunehmen, diese Wahrnehmungen zu interpretieren und bei Veränderungen das eigene Verhalten aktiv anzupassen (Reaktion).23 Zweitens ist es erforderlich, dass der Agent in Kommunikation mit Mensch und Maschine treten kann, also „vernetzt“ ist (Kooperation).24 Drittens kann der Agent aus seinen Erfahrungen lernen, ohne dass dazu eine Anpassung der Software durch den Menschen notwendig ist (Proaktion).25 Gerade letzterer Aspekt soll in den kommenden Jahren durch die Entwicklung sog. künstlicher neuronaler Netze möglich gemacht werden, die dem biologischen Vorbild nachempfunden sind26 und durch die Systeme einen technischen Lernprozess durchlaufen können.
Eigenständige Lernprozesse wecken nicht nur beim Laienanwender künstlicher Intelligenz das Bedürfnis, proaktive Lernmuster und die Ursache bestimmter maschineller Verhaltensweise zu verstehen.27 Bei herkömmlichen Computerprogrammen ist der Zusammenhang von Ursache und Wirkung noch vergleichsweise einfach feststellbar, weil auf einen Befehl nur eine eindeutig feststellbare Anzahl möglicher Wirkungen folgen kann. Sie zeigen deshalb ein klar deterministisches Verhalten. Künstliche neuronale Netze haben demgegenüber keinen eindeutigen Output, sondern durchsuchen zunächst vorher antrainierte Datensätze in mehreren Schichten („Layers“) nach vorher festgelegten Eigenschaften (daher „deep learning“).28 Zwischen den „Input“- und den „Output-Layers“ kann auf die Funktionsweise der sog. „Hidden-Layers“ Einfluss genommen werden, indem mathematische Funktionen die Gewichtung einzelner Informationen bestimmen.29 Diese Algorithmen sind aber derart variabel, dass nach dem heutigen Stand der Technik der herausgegebene Output weder vorherzusehen noch ex post nachzuvollziehen ist.30 Obwohl an technischen Methoden gearbeitet wird, um das Ergebnis eines Lernprozesses erklärbar zu machen und die möglichen Ursachen eines konkreten Resultats zumindest eingrenzen zu können (sog. „explainable AI“),31 bleiben diese Möglichkeiten auf das nachträgliche Nachvollziehen eines bereits durchlaufenen Prozesses beschränkt.32 Die „Unerklärbarkeit“ der neuronalen Prozesse bedeutet indes nicht, dass diese nicht nur den Menschen mathematisch determiniert sind.
2
Erstmals wurde der Begriff 1956 von
John McCarthy
auf einer Konferenz in Hanover, New Hampshire, verwendet,
Konrad
, in: Siefkes/Eulenhöfer/Stach/Städler, Sozialgeschichte der Informatik, S. 287.
3
Für die juristische Literatur etwa
Herberger
, NJW 2018, 2825 (2826).
4
So auch
Jakl
, MMR 2019, 711 (712).
5
Aus dem Englischen „artificial intelligence“; teilweise wird eine zu ungenaue Übersetzung ins Deutsche kritisiert; vgl.
John
, Haftung für künstliche Intelligenz, S. 6;
Herberger
, NJW 2018, 2825 (2826).
6
Vgl.
Lohmann
, ZRP 2017, 169 (169); zur Terminologie im Einzelnen
Herberger
, NJW 2018, 2825 (2825);
Erhardt/Mona
, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 62, 65.
7
Viele Kritiker bevorzugen die Bezeichnung „Maschinenlernen“ (machine learning), vgl.
Stroh
, Markt&Technik 35/2019, 22 (24);
Ramge
, Mensch und Maschine, S. 18;
Zech
, in: Deutscher Juristentag, Verhandlungen des 73. Deutschen Juristentages, Band I, A 31.
8
Vgl.
Jakl
, MMR 2019, 711 (712).
9
Erhardt/Mona
, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 65.
10
Böhringer
, RAW 2019, 13 (13).
11
John
, Haftung für künstliche Intelligenz, S. 62.
12
Erhardt/Mona
, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 65;
Kirn
, WI 2002, 53 (53ff.);
Teubner
, AcP 2018, 155 (156);
Keßler
, MMR 2017, 589 (589).
13
Stroh
, Markt&Technik 35/2019, 22 (24).
14
Ramge
, Mensch und Maschine, S. 19; Fraunhofer-Allianz Big Data, Zukunftsmarkt künstliche Intelligenz – Potenziale und Anwendungen, S. 5;
Sesink
, Menschliche und künstliche Intelligenz, unter 8.1.
15
Ramge
, Mensch und Maschine, S. 81ff.
16
Stroh
, Markt&Technik 35/2019, 22 (24).
17
Scherk/Pöchhacker-Tröscher/Wagner
, Künstliche Intelligenz – Artificial Intelligence, S. 20.
18
V. Bünau
, in: Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 47 (51);
Moeser
, Starke KI, schwache KI – was kann künstliche Intelligenz?, https://jaai.de/starke-ki-schwache-ki-waskann-kuenstliche-intelligenz-261/.
19
Expertensysteme simulieren menschliches Expertenwissen auf einem eng begrenztem Aufgabengebiet, dazu
Puppe
, Einführung in Expertensysteme, S. 2.
20
Bundesregierung, Strategie künstliche Intelligenz der Bundesregierung, S. 4f.
21
Shala
, Die Autonomie des Menschen und der Maschine, S. 33; vgl. auch Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Intelligenz.
22
Der Turing-Test besteht darin, dass ein menschlicher Fragensteller lediglich über Bildschirm und Tastatur mit zwei Gesprächspartnern kommuniziert, einem Menschen und einem Computer. Bestanden ist der Test, wenn der Fragensteller den Computer am Ende einer ausführlichen Befragung nicht eindeutig identifizieren kann, vgl.
Rimscha
, Algorithmen kompakt und verständlich, S. 129;
Graevenitz
, ZRP 2018, 238 (240);
Lämmel/Cleve
, Künstliche Intelligenz, S. 12.
23
Sester/Nitschke
, CR 2004, 548 (548);
Wendt/Oberländer,
InTeR 2016, 58 (59);
Zech
, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 170;
Teubner
, AcP 2018, 155 (170);
Mayinger
, Die künstliche Person, S. 14.
24
Sester/Nitschke
, CR 2004, 548 (549);
Teubner
, AcP 2018, S. 155 (169f.);
Pieper
, InTeR 2016, S. 190;
Kirn/Müller-Hengstenberg
, MMR 2014, 225 (227);
v. Westphalen
, ZIP 2019, 889 (889).
25
Kirn/Müller-Hengstenberg
, MMR 2014, 225 (226);
Specht/Herold
, MMR 2018, 40 (41);
Lohmann
, ZRP 2017, 168 (169);
Grapentin,
NJW 2019, 181 (183);
Paulus/Matzke
, ZfPW 2018, 431 (442);
Wachenfeld/Winner,
in: Maurer/Gerdes/Lenz/Winner, Autonomes Fahren, S. 468;
Zech
, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 170f.
26
Brause
, Neuronale Netze, S. 15;
Rimscha,
Algorithmen kompakt und verständlich, S. 157;
Lämmel/Cleve,
Künstliche Intelligenz, S. 190;
Grapentin
, NJW 2019, 181 (183);
Matthias
, Automaten als Träger von Rechten, S. 25.
27
Biran/Cotton
, Explanation and Justification in Machine Learning: A Survey, unter 1.;
Miller
, Explanation in Artificial Intelligence: Insights from the Social Sciences, S. 14.
28
Käde/v. Maltzan
, CR 2020, 66 (69);
Zech
, ZfPW 2019, 198 (201).
29
Käde/v. Maltzan
, CR 2020, 66 (69);
Stiemerling
, CR 2015, 762 (764).
30
Käde/v. Maltzan
, CR 2020, 66 (69);
Zech
, ZfPW 2019, 198 (202).
31
Dazu eingehend
Holzinger
, Informatik-Spektrum 2018 (Vol. 41 Iss. 2), 138ff.;
Zech
, in: Deutscher Juristentag, Verhandlungen des 73. Deutschen Juristentages, Band I, A 33f.
32
Käde/v. Maltzan
, CR 2020, 66 (69).
Während sich die künstliche Intelligenz mit der Frage beschäftigt, welche Qualität das maschinelle Verhalten an den Tag legt und diese „Handlungsqualität“ mit der des Menschen verglichen wird, fragt der Grad der Automatisierung nach dem Umfang des menschlichen Einflusses auf diese Handlungen.33 Das höchste Maß an Automatisierung ist die Autonomie, wobei auch in der Wissenschaft nicht immer ganz trennscharf zwischen den Begrifflichkeiten differenziert wird. Die rechtswissenschaftliche Literatur jedenfalls nimmt die Begrifflichkeit des „autonomen Systems“ bislang eher als selbstverständlich und wenig diskussionswürdig an. Wenn überhaupt wird sie mit der Frage nach der Rechtssubjektivität („e-Person“) verknüpft.34 Sie darf (und sollte) sich dabei der Erkenntnisse anderer wissenschaftlicher Disziplinen bedienen, weil sie schlichtweg auf diese Befunde angewiesen ist.35 So wie sich geltendes Recht oftmals an wissenschaftlichen Tatsachen orientiert,36 so muss auch hier der interdisziplinäre Diskurs berücksichtigt werden.
Unter Automatisierung wird der Einsatz von Automaten verstanden.37 Seinen begrifflichen Ursprung hat der „Automat“ im altgriechischen Adjektiv „automatos“, das „Dinge, die sich von selbst bewegen“ bezeichnet.38 Strenggenommen begann die Automatisierung des Straßenverkehrs damit bereits mit dem Umstieg vom Pferd auf den Verbrennungsmotor.39 Heute verstehen wir unter „automatisch“ für gewöhnlich einen meist computerbasierten Vorgang, der von selbst abläuft und der keine oder nur wenig Überwachung benötigt.40 Die (softwarebasierten) Automaten befolgen dabei ein Computerprogramm und treffen anhand der Vorgaben dieser Software Entscheidungen.41 Automatische Systeme sind daher streng durch den Menschen determiniert. Ihr Verhalten lässt sich jederzeit auf die Software zurückführen, sei es durch Funktion oder Fehlfunktion ebendieser.42
„Autonomie“43 assoziieren wir dagegen mit Selbständigkeit und Freiheit von äußerlicher Fremdeinwirkung,44 wobei dieses Verständnis je nach wissenschaftlicher Disziplin ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Nach der Kant’schen Moralphilosophie ist Autonomie Ausdruck moralischer Freiheit, das „oberste Prinzip der Sittlichkeit.“45 Sie ist demzufolge das Handeln nach Maximen, die sich der Mensch selbst auferlegt und dadurch zum „Gesetz“ erhebt. Dieser Selbstgesetzgebung durch moralische Vernunft, die Kant als den „kategorischen Imperativ“ bezeichnet,46 steht ein Zustand der Abhängigkeit von Naturgesetzen gegenüber, der einzig und allein auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung basiert, mithin fremdgesteuert ist (Heteronomie).47 Legt man diese Unterscheidung zugrunde, so ist die Existenz von autonomen Maschinen unmöglich. Zwar ist durchaus vorstellbar, dass selbstfahrende Kraftfahrzeuge in Dilemmasituationen zwangsweise zwischen mehreren Handlungsoptionen eine moralische bewertbare Entscheidung treffen müssen; allerdings basiert eine solche Entscheidung nicht auf einem freien Willensentschluss, sondern einzig und allein auf den Vorgaben des – wenn auch intransparenten – Algorithmus.48 Die Reaktion des Fahrzeugs ist also lediglich die naturgesetzliche Folge einer mathematischen Formel, die zu keiner moralischen Abwägung imstande ist.
Von moralischer Wertung gänzlich entkoppelt ist der technische Autonomiebegriff. Autonomie zeichnet sich in der Informatik und den Ingenieurswissenschaften zunächst durch die Fähigkeit aus, hochkomplexe Aufgaben ohne oder nur mit geringfügiger Hilfe durch den Menschen zu bewältigen.49 Bei mobilen Robotern kommt der räumliche Aspekt der Bewegungsfreiheit hinzu, also das Navigieren auch in unbekannter Umgebung ohne menschliche Steuerung.50 Auch das Europäische Parlament hat sich in seinen Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik vom 27.01.2017 für ein technisches Verständnis ausgesprochen.51 Danach ist Autonomie die Fähigkeit, „Entscheidungen zu treffen und diese in der äußeren Welt unabhängig von externer Steuerung oder Einflussnahme umzusetzen.“52
Es zeigt sich, dass das technische Konzept von Autonomie graduell ist. Es fragt nicht im Sinne einer Ausschließlichkeitsentscheidung danach, ob eine Maschine entweder autonom ist oder nicht, sondern in welchem Abhängigkeitsverhältnis sie zur menschlichen Kontrolle steht. Ausgehend von diesem Grundverständnis ist es im Ergebnis durchaus denkbar, dass technische Systeme autonom handeln können. Die menschliche Beherrschbarkeit endet nämlich dort, wo maschinelle Verhaltensweisen ex ante nicht mehr vollständig vorhersehbar und ex post nicht mehr vollständig nachvollziehbar sind.
33
Voigt,
Automatisierung, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/automatisierung-27138/version-25080; vgl.
Simanski
, in: VDE, Biomedizinische Technik, S. 9.
34
Siehe unter § 8 D.
35
Teubner
, AcP 2018, 155 (171).
36
Etwa bei emissionsrechtlichen Grenzwertregelungen,
Teubner
, AcP 2018, 155 (171).
37
Voigt
, Automatisierung, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/automatisierung-27138/version-250801.
38
Dwds, https://www.dwds.de/wb/Automat.
39
Feldle,
Notstandsalgorithmen, S. 49.
40
Vgl.
Linke
, in: Heinrich/Linke/Glöckler, Grundlagen Automatisierung, S. 2.
41
Voigt
, Automatisierung, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/automatisierung-27138/version-250801;
Kagermann
, in: 56. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. XXXIX.
42
Siehe oben unter § 2 A. IV.
43
Der ebenfalls aus dem altgriechischen stammende Begriff „autonomos“ setzt sich zusammen aus „autos“ (selbst) und „nomos“ (Ordnung, Gesetz), Dwds, https://www.dwds.de/wb/autonom;
Müller-Hengstenberg/Kirn,
Rechtliche Risiken autonomer und vernetzter Systeme, S. 97.
44
Vgl.
Nitschke
, Verträge unter Beteiligung von Softwareagenten, S. 9;
Müller-Hengstenberg/Kirn,
Rechtliche Risiken autonomer und vernetzter Systeme, S. 97.
45
Kant
, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 68, „Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist. Das Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen, als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen sein.“
46
Vgl.
Kant
, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69;
Hilgendorf
, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 56.
47
Shala
, Die Autonomie des Menschen und der Maschine, S. 13;
Noller,
Die Bestimmung der Freiheit: Kant und das Autonomie-Problem, S. 3;
Erhardt/Mona
, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 71.
48
Vgl.
Grunwald
, SVR 2019, 81 (85).
49
„Autonomous Robots are designed to perform high level tasks on their own, or with very limited external control.“,
Bensalem/Gallien/Ingrand/Kahloul/Nguyen
, Toward a More Dependable Software Architecture for Autonomous Robots, S. 1; vgl.
Lämmel/Cleve
, Künstliche Intelligenz, S. 20;
Maier,
Grundlagen der Robotik, S. 50;
Bauer
, Elektronische Agenten in der virtuellen Welt, S. 6.
50
Vgl.
Maier
, Grundlagen der Robotik, S. 50.
51
Das Europäische Parlament weist sogar explizit darauf hin, dass die Autonomie „rein technischer Art“ ist, Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103 (INL)), http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2017-0005_DE.html, unter AA; vgl. auch
Teubner
, AcP 2018, 155 (174);
Matthias
, Automaten als Träger von Rechten, S. 35;
Lohmann
, ZRP 2017, 168 (169);
Spindler
, JZ 2016, 805 (816);
Zech
, in: Gless/ Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 170;
Erhardt/Mona
, in: dies., Intelligente Agenten und das Recht, S. 68.
52
Europäisches Parlament, Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103 (INL)), http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2017-0005_DE.html, unter AA.
Nach alledem lässt sich folgender Zwischenstand festhalten: Die Maschine bleibt ein zweckgebundenes, „schwaches“ Werkzeug des Menschen und kann nur innerhalb der engen Grenzen der ihr zugewiesenen Nutzung agieren. Streng genommen ist sie daher bereits aus diesem Grund nicht selbstständig;53 jedenfalls nicht so, wie es der Mensch ist. Das schließt aber nicht unbedingt aus, dass sie – im Rahmen dieser Grenzen – eine von menschlicher Kontrolle freie Instanz sein kann. Ausgangspunkt und zentrale Voraussetzung dafür ist hochqualifizierte künstliche Intelligenz. Dennoch ist nicht jede KI gleichzeitig auch als autonom zu bezeichnen; hierfür muss zunächst unterschieden werden: Die Autonomie des Menschen wird vornehmlich unter philosophischen Gesichtspunkten diskutiert und erreicht weitaus vielfältigere Dimensionen als das technische Verständnis. Menschliche und maschinelle Autonomie sind daher niemals gleichzusetzten und somit nicht den gleichen Voraussetzungen unterworfen. Auch wenn sich durch jüngste technische Entwicklungen und den noch zu erwartenden Fortschritt Mensch und Maschine immer weiter annähern, ist (und bleibt) eine Unterscheidung von Autonomie im menschlichen und technischen Sinne unabdingbar.54
53
Vgl.
Freise
, VersR 2019, 65 (73);
Feldle
, Notstandsalgorithmen, S. 47f.
54
A. A.
Mayinger
, Die künstliche Person, S. 15.
Mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten intelligente Systeme vor allem im Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens. Das mag einerseits daran liegen, dass das Auto als Mobilitätsmittel unangefochten an der Spitze steht55 und sich ein technologischer Wandel somit auf sämtliche Bevölkerungsschichten auswirkt. Andererseits ist gerade das Automobil schon seinem begrifflichen Ursprung nach56 Sinnbild für eine „selbstständige“ Maschine und die Technologie unserer Zeit. Kaum eine andere Erfindung der letzten Jahrhunderte lässt den Fortschritt der Technik so anschaulich erkennen wie das Automobil, vom ersten Benz Patent-Motorwagen Nr. 157 bis zum autonomen Fahrzeug. Die Automatisierung trägt seit etwa 30 Jahren ihren Teil zu dieser Entwicklung bei.
Im folgenden Abschnitt soll zunächst gezeigt werden, welche Stadien die Automatisierung von Fahrzeugen bereits in der Vergangenheit erreicht hat, wo wir heute stehen und was die Zukunft bringen könnte. Anschließend erfolgt eine Einschätzung darüber, welche Chancen die Technologien bieten, aber auch, welche Gefahren und Risiken mit ihnen einhergehen.
55
58 Prozent der Bürger über 18 Jahren fahren täglich mit dem eigenen PKW,
Brandt
, Auto weiterhin Fortbewegungsmittel Nr. 1, https://de.statista.com/infografik/2836/die-beliebtesten-verkehrsmittel-der-deutschen/.
56
„Automobil“ setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort „auto“ (selbst) und dem lateinischen Wort „mobilis“ (beweglich), Dwds, https://www.dwds.de/wb/Auto.
57
Der Benz Patent-Motorwagen Nr. 1 von 1886 gilt als das erste Automobil mit Verbrennungsmotor, dazu
Dietsche/Kuhlgatz/Reif
, in: Reif, Grundlagen Fahrzeug- und Motorentechnik, S. 2.
Vor nicht allzu langer Zeit hatten Fachleute, Institutionen und Behörden noch ein sehr vielfältiges begriffliches Verständnis von den verschiedenen Ausprägungen automatisierter und autonomer Fahrfunktionen, was den wissenschaftlichen Diskurs deutlich erschwerte. Heute hat sich die internationale ingenieurs- und rechtswissenschaftliche Diskussion mittlerweile auf ein sechsstufiges Kategorisierungssystem58 verständigt, das auch dieser Arbeit als Grundlage dienen soll. Dieses System geht ursprünglich auf das Stufenmodell der US-amerikanischen Behörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration)59 zurück und wurde im Laufe der Zeit auch von nationalen europäischen Behörden wie der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) übernommen.60
Das Fahren ohne jegliche technische Unterstützung hinsichtlich Längs- oder Querführung des Fahrzeugs („no automation“) wird der Stufe 0 zugeordnet. Da in Europa jedoch bereits seit der EU-Verordnung Nr. 661/2009 elektronische Fahrhilfen wie das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) in Serie verbaut werden müssen,61 werden Neufahrzeuge der Stufe 0 heute nicht mehr zugelassen und nach und nach von der Bildfläche verschwinden.
Das sogenannte „assistierte“ Fahren der Stufe 1 bezeichnet den Einsatz von aktiven Fahrerassistenzsystemen, die dem Fahrer beim Gas geben, Bremsen oder Lenken behilflich sind.62 Als Vorreiter gelten hier die bereits in den 1980er Jahren entwickelte Antriebsschlupfregelung (ASR)63 sowie das 1995 erstmalig eingesetzte ESP.64 Heute werden diese mittlerweile essentiell gewordenen (Brems-)Systeme insbesondere durch eine Vielzahl von Lenkassistenten wie den Spurhalte- und Spurwechselassistenten oder Parklenkassistenten ergänzt.65 Den Assistenzsystemen dieser Stufe ist gemein, dass sie nur kurzzeitig und punktuell in die Fahrzeugführung eingreifen; im Falle des ESP etwa durch gezielte Bremseingriffe an einzelnen Rädern zur Verhinderung des Ausbrechens des Fahrzeugs.66 Dabei wird aber immer nur die Längs- oder die Querführung beeinflusst, eine Kombination aus Brems- und Lenkassistenten erfolgt auf diesem Level nicht.
Das (teil-)automatisierte Fahren beginnt auf der zweiten Stufe, auf der sich Systeme befinden, bei denen Fahr- und Bremsautomatisierungen kombiniert werden und die in der Lage sind, die Fahrzeugsteuerung für eine gewisse Zeit zu übernehmen. Je nach Funktion des Systems kann der Fahrer in dieser Zeit bestimmte Fahraufgaben zwar vollständig dem System überlassen, er muss es dabei jedoch dauerhaft überwachen.67
Das als „hochautomatisiert“ bezeichnete System der Stufe 3 eignet sich bereits zur Verwendung im Rahmen größerer „use-cases“, also beispielsweise bei stop-and-go-Verkehr auf der Autobahn. Im Zuge der Gesetzgebungsinitiative68 zum automatisierten Fahren hat der Gesetzgeber 2017 im neuen § 1a II StVG die wesentlichen Kerneigenschaften von Fahrzeugen der Stufe 3 und 4 formuliert. Das automatisierte Fahrsystem muss danach folgende Fähigkeiten besitzen:
– Es kann die spezifische Fahraufgabe durch Übernahme der Längs- und Querführung bewältigen.
– Es folgt den einschlägigen Verkehrsvorschriften.
– Der Fahrer kann es jederzeit deaktivieren oder übersteuern.
– Es erkennt die eigenen Funktionsgrenzen selbstständig.
– Es kann den Fahrer durch optische, akustische, taktile oder sonstige wahrnehmbare Hinweise mit ausreichender Zeitreserve auf das Erfordernis der manuellen Übernahme der Fahrzeugsteuerung aufmerksam machen.
– Es warnt den Fahrer bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung des Systems.
Im Unterschied zu Assistenzsystemen der Stufe 2 erkennt die Software nun also ohne Zutun des Fahrers, ob und wie lange die automatisierte Fahrfunktion verwendet werden kann. Das hat zur Folge, dass es dem Fahrer nun auch grundsätzlich gestattet ist, sich in gewissen Grenzen von der Fahrzeugsteuerung abzuwenden, wobei er aber dennoch geistig anwesend sein muss, wie § 1b I StVG klarstellt.69
Zur vierten Stufe automatisierter Fahrzeuge zählen solche, die wiederum innerhalb spezieller use-cases70 sämtliche denkbaren Fahraufgaben übernehmen können („vollautomatisiert“).71 Allerdings unterliegt auch diese Stufe noch dem Anwendungsbereich der §§ 1a und 1b StVG, sodass der Fahrer weiterhin Überwachungspflichten hinsichtlich des Funktionsumfangs und der Funktionsgrenzen des Systems hat. Durch § 1a II Nr. 3 StVG ist klargestellt, dass in einem Fahrzeug der Stufe 4 wegen der notwendigen Übersteuerungsmöglichkeit nach wie vor manuelle Steuerungsinstrumente verbaut sein müssen.72 Technologisch setzt sich die Stufe 4 insofern vom hochautomatisierten Fahren ab, als vollautomatisierte Fahrzeuge bei systemkritischen Situationen zusätzlich zur bloßen Warnung an den Fahrer dazu in der Lage sind, das Fahrzeug selbständig in einen risikominimalen Zustand zu versetzen, also beispielsweise rechts heranzufahren und die Warnblicklichtanlage zu betätigen.73
Die letzte Stufe stellt schließlich das autonome Fahren dar. Anders als bei Fahrzeugen der Stufe 3 und 4 ist die Funktionsfähigkeit des Systems nicht mehr auf spezifische Anwendungsfelder beschränkt; das Fahrzeug beherrscht alle Fahraufgaben unabhängig vom Einsatzgebiet eigenständig.74 Aus diesem Grund werden Lenkrad und Pedalerie in diesem Stadium nicht mehr erforderlich sein. Alle Insassen sind nunmehr nur noch Passagiere.75
58
Balke,
SVR 2018, 5 (5);
Kaler/Wieser
, NVwZ 2018, 369 (369);
Lange
, NZV 2017, 345 (346);
Freise
, VersR 2019, 65 (66);
Bratzel/Thömmes
, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 39.
59
NHTSA, Automated Vehicles for Safety, https://www.nhtsa.gov/technology-innovation/automated-vehicles-safety.
60
Bundesanstalt für Straßenwesen, Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung, https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Publikationen/Foko/2013-2012/2012-11.html.
61
EG 611/2009, S. 8.
62
Heißing
, in: Ersoy/Heißing/Gies, Fahrwerkshandbuch, S. 878;
Sander/Hollering
, NStZ 2017, 193 (194).
63
May,
in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 81.
64
Klauder
, Meilensteine der Fahrzeugsicherheit, https://www.auto-motor-und-sport.de/reise/abs-esp-co-meilensteine-der-fahrzeugsicherheit/.
65
Vgl.
Lenninger
, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 77.
66
Heißing
, in: Ersoy/Heißing/Gies, Fahrwerkshandbuch, S. 886;
Hammer,
Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 20.
67
Balke
, SVR 2018, 5 (5);
Freise
, VersR 2019, 65 (66);
Oppermann
, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 177;
Hammer
, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 21;
Sander/Hollering
, NStZ 2017, 193 (194);
May,
in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 83.
68
Dazu unter § 5 III A. 1. a.
69
Dazu unter § 5 A. III. 1. a. ee. ccc.
70
Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle
, in: Maurer/Gerdes/Lenz/Winner, Autonomes Fahren, S. 12ff.
71
Singler
, NZV 2017, 353 (353);
Oppermann
, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 178;
Hammer
, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 23;
Bratzel/Thömmes
, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 41.
72
Vor dem achten StVG-Änderungsgesetz vom 16.06.2017 wurde in der Literatur teilweise diskutiert, ob eine manuelle Steuerungsmöglichkeit noch erforderlich ist, vgl. dazu
Oppermann
, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 178;
Hammer
, Automatisierte Steuerung im Straßenverkehr, S. 23.
73
Jänich/Schrader/Reck,
NZV 2015, 313 (314);
Singler,
NZV 2017, 353 (353f.);
Sander/Hollering
, NStZ 2017, 193 (194);
König
, NZV 2017, 123 (124);
Schulz
, NZV 2017, 548 (549);
May
, 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 82.
74
Lange
, NZV 2017, 345 (346);
Balke
, SVR 2018, 5 (6);
Gasser
, in: Maurer/Gerdes/Lenz/Winner, Autonomes Fahren, S. 551.
75
Bratzel/Thömmes
, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 41;
Singler,
NZV 2017, 353 (354);
Lange
, NZV 2017, 345 (346).
Die technische Umsetzung von Reaktions-, Kooperations- und Proaktionsfähigkeit76 stellt höchste Ansprüche an Hard- und Software der Fahrzeuge.77 Der derzeitige technologische Fortschritt lässt sich dabei häufig nur an dem messen, was die Automobil- und Technologiekonzerne der Öffentlichkeit preisgeben, und läuft gerade in den letzten Jahren offensichtlich derart rasant, dass eine detaillierte Beschreibung technischer Spezifikationen morgen bereits veraltet sein könnte.78 Die Ausführungen beschränken sich deshalb auf einige spezielle technische Funktionsweisen und ihre Besonderheiten.
Zunächst einmal muss das Fahrzeug dazu in der Lage sein, die gegebenen Umwelteinflüsse und Faktoren wahrzunehmen, um überhaupt die Software mit Informationen bedienen zu können. Dies erfolgt in erster Linie durch ein Zusammenspiel von Kameras und verschiedenen Sensoren.79 Die Automobilindustrie macht sich dabei insbesondere sog. Lidar-Sensoren (Light Detection and Ranging) zu Nutze, die die Entfernung, Form und Größe von Objekten durch eine Laufzeitmessung des Lichts (Time of Flight) zum Objekt und wieder zurück wesentlich genauer bestimmen können als die bisher branchenüblichen Messsysteme.80 Weil das Licht der Lidar-Sensoren auch von kleinsten Partikelteilchen reflektiert wird, leidet ihre Funktionsfähigkeit allerdings bei schlechten Witterungsbedingungen wie starkem Regen, Nebel oder Schneefall.81 Sie werden deshalb durch Radar- und Ultraschallsensoren ergänzt, die zwar in Sachen Präzision und Reichweite Lidarsystemen unterlegen, dafür aber weniger störanfällig für äußere Umwelteinflüsse sind.
Im nächsten Schritt können die gewonnenen Daten dann durch die Betriebssoftware interpretiert und ausgewertet werden. Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Reaktionsgeschwindigkeit der sog. Echtzeitsysteme.82 Jedes Wahrnehmungsorgan – ob menschlich oder maschinell – braucht eine gewisse Zeit, bis es gesammelte Informationen zu verwertbaren Daten umgewandelt hat. Bei technischen Systemen hängt die Verarbeitungszeit maßgeblich von der Datenmenge und den technischen Spezifikationen bzw. den Leistungsgrenzen der Hardware ab. Weil auch die intelligenteste Software nutzlos ist, wenn das Zeitfenster zwischen Informationsaufnahme und Reaktion des Fahrzeugs zu groß ist, ist die Optimierung der maschinellen Reaktionsgeschwindigkeiten ein zentraler Aspekt auf dem Weg zum autonomen Fahren.
Zur finalen Routenplanung und lokalen Bewegungssteuerung muss eine geeignete Telekommunikationsinfrastruktur sichergestellt sein, um jederzeit die Position des Fahrzeugs bis auf wenige Zentimeter genau bestimmen zu können.83 Diese Infrastruktur besteht zum einen aus einer „globalen“ Lokalisierung des Fahrzeugs durch GPS, die bis auf wenige Meter genau möglich ist,84 zum anderen aus einer Orientierung des Fahrzeugs im Raum, die durch ständig aktualisierbares, hochauflösendes Kartenmaterial85 und die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander (Car-2-Car) sowie mit vernetzten Verkehrseinrichtungen (Car-2-X)86 sichergestellt ist.
76
Siehe oben unter § 2 A. III.
77
Maurer
spricht sogar von den „komplexesten technischen Sicherheitssystemen, die für den Massenmarkt produziert werden“,
Maurer
, in: 56. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 48.
78
Wagner
, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 18.
79
Maier
, in: Grundlagen der Robotik, S. 52f.;
Wagner
, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 19ff.;
Maurer
, in: 56. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 44f.;
Lenninger
, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 74.
80
Stroh
, Markt&Technik 21/2019, Sonderheft Automotive Trend Guide 2019, S. 33;
Reeb
, Lidar auf dem Vormarsch, Markt&Technik 42/2019, 76 (76).
81
Bratzel/Thömmes
, Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen. Neue Infrastrukturen für die Verkehrswende im Automobilsektor; S. 41;
Stroh
, Markt&Technik 21/2019, Sonderheft Automotive Trend Guide 2019, S. 34;
Harloff/Reek
, So weit ist das autonome Fahren, https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrssicherheit-so-weit-ist-dasautonome-fahren-1.3913983.
82
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, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 24;
Lenninger
, in: 53. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 74.
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, RAW 2019, 2 (2);
Bratzel/Thömmes,
Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen, S. 41.
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Wagner
, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 1. Auflage, S. 25.
85
Ob die erforderliche Dateninfrastruktur über den neuen Telekommunikationsstandard 5G erreicht werden kann, ist aktuell noch nicht abzuschätzen und umstritten, dazu Volkswagen, Car2X: die neue Ära intelligenter Fahrzeugvernetzung, https://www.volkswagenag.com/de/news/stories/2018/10/car2x-networked-driving-comes-to-real-life.html.
86
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, in: Gless/Seelmann, Intelligente Agenten und das Recht, S. 169f.;
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, SVR 2016, 361 (361).
Zahlreiche Unfälle mit tödlichen Folgen lassen zum jetzigen Zeitpunkt an der Vision des fahrerlosen Fahrens in absehbarer Zukunft zweifeln.87 Die Vorstellung, sich im Straßenverkehr komplett in die Hände eines Roboters zu begeben, schürt mangels Vertrauens in das System berechtigte Ängste.88 Furcht vor unbekannter Technologie ist immer schon ein fester Bestandteil in der Geschichte technischer Innovationen gewesen. So wurde beispielsweise die erste Eisenbahn, die „Puffing Billy“, als „Teufelsding“ bezeichnet und auch das erste Automobil war in seiner Anfangszeit nicht gerne auf den Straßen gesehen.89 Trotzdem hat sich die Eisenbahn und später auch das Auto auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Erklärung dafür ist dabei immer die gleiche: Die Technik bringt in Relation zu ihrem Risiko enorme Vorteile mit sich, die das Leben der breiten Öffentlichkeit erheblich erleichtert und Möglichkeiten eröffnet, die bis dato nicht vorstellbar waren. Das Potential, das sich aus der Automatisierung des Straßenverkehrs ergibt, ist vielschichtig und könnte deshalb ein wichtiger Bestandteil zur Lösung von vielen gesellschaftlichen Problemen sein, die sich teilweise schon heute, aber vor allem in naher Zukunft stellen werden.
Zentraler Aspekt und deshalb das wohl am häufigsten genannte Argument für einen autonomen Verkehr ist die Reduzierung der Unfallzahlen und damit die Minimierung der im Straßenverkehr verletzten oder getöteten Personen.90 Auch die von der Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission stellt klar, dass „der Schutz der Menschen Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen hat.“91 Aktuell sind etwa 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen, nur ein Prozent dagegen haben ihre Ursache in einem technischen Defekt.92 Natürlich wird sich der Anteil maschinell bedingter Unfälle mit zunehmender Automatisierung verhältnismäßig erhöhen, weil auch autonome Fahrzeuge nicht völlig unfallfrei fahren werden und die „Vision Zero“, also die Reduzierung der Unfallopfer auf 0, wohl eine Vision bleiben wird. Die Technik macht aber berechtigterweise Hoffnung auf eine signifikante Verringerung der absoluten Opferzahlen, auch wenn dies aus heutiger Sicht nur sehr vage prognostiziert werden kann.93 Das Meinungsbild der Öffentlichkeit zu diesem Thema ist zwiespältig: So ergaben internationale Studien, dass ca. 40 Prozent der Autofahrer glauben, dass autonome Fahrzeuge in Zukunft sicherer fahren werden als menschlich gesteuerte.94 Es gibt allerdings große Differenzen bei Herkunft, Alter und Geschlecht der Befragten. Männer sind optimistischer als Frauen, junge Menschen optimistischer als ältere.95 Die technische Umsetzung steht dabei vor der Herausforderung eines Spagates zwischen einer möglichst sicheren, also defensiven und vorausschauenden Fahrweise,96 und einer dennoch praktikablen Lösung. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welchen Einfluss die Insassen autonomer Fahrzeuge auf Parameter wie Geschwindigkeit oder Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug haben sollten.
Ebenfalls diskutiert wird eine Verpflichtung zur Nutzung automatisierter und autonomer Systeme im Straßenverkehr.97 Technologische Voraussetzung dieser Debatte ist sicherlich, dass sich die Technik tatsächlich als wesentlich sicherer erweist und der Schutz der Verkehrsteilnehmer deshalb durch einen flächendeckenden Einsatz autonomer Systeme wesentlich besser gewährleistet werden kann. Es kommt dann zu einer Divergenz zwischen staatlichem Schutzauftrag und der Privatautonomie des Einzelnen (in diesem Fall also das Recht, kein autonomes Fahrzeug zu nutzen). Verfassungsrechtlich lässt sich strikt mit der allgemeinen Handlungsfreiheit argumentieren.98 Problematisch ist allerdings, inwieweit nicht ein Eingriff in Art. 2 I GG verfassungsmäßig gerechtfertigt sein kann. Stender-Vorwachs und Steege führen hier die Vergleichbarkeit dieser Frage mit den Gurt- bzw. Helmpflicht-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts an,99 in denen den Belangen der Allgemeinheit der Vorrang gegenüber den Individualinteressen der Gurt- oder Helmgegner gewährt wurde.100 Wenn der Schutz der Allgemeinheit sogar Vorrang gegenüber dem Bedürfnis hat, ohne Helm oder Gurt zu fahren, dann hat er erst Recht Vorrang gegenüber dem Bedürfnis, ein Fahrzeug mit manueller Steuerung zu führen; schließlich würde ein solches Verhalten die Allgemeinheit weitaus mehr gefährden als der Verzicht auf einen Helm oder Gurt.
Gesetzt den Fall, dass die Technik tatsächlich signifikant sicherer ist als der menschliche Fahrer, wäre die zulassungsrechtliche Beschränkung auf autonome Fahrzeuge in (ferner) Zukunft also durchaus ein zulässiges Mittel.
Viele Menschen, viele Staus, wenig Platz: Die Verstopfung der Städte hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. In Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner 692 Fahrzeuge, über 57 Millionen insgesamt.101 Bauliche Maßnahmen wie die Erweiterung von Straßen und Parkflächen sind aus Platzgründen beschränkt und geraten in Konflikt mit Umweltbelangen und dem ebenfalls stetig wachsenden Bedürfnis nach städtischem Wohnraum. Vor allem unsere Großstädte tragen die Last eines Stadt- und Mobilitätskonzeptes, das längst nicht mehr im angemessenen Verhältnis zum Wachstum der Städte steht. Wir brauchen die „Mobilitätseffizienz-Revolution“.102 Weniger Fahrzeuge durch attraktive öffentliche Verkehrsmittel und ein intelligentes Car-Sharing Angebot, lautet hier der erste Ansatz. Gestaltet man etwa das Verkehrsaufkommen nachfrageorientiert, wären die Autos dort, wo sie gebraucht werden. Keine Wartezeiten, kein stundenlanges „Herumstehen“ der Fahrzeuge mehr. Die Autonomisierung des Straßenverkehrs nimmt bei dieser Idee eine Schlüsselrolle ein. „Robo-Taxis“ würden dabei ständig in Bewegung bleiben und wären nicht mehr an eine bestimmte Person oder Personengruppe gebunden, sondern dienten nur dem Zweck einer effektiven, punktgenauen Beförderung.103
Das Bild eines vollautonomen, rein zweckgebundenen Straßenverkehrs mag zwar als praktisch nicht umsetzbar erscheinen, der Grundgedanke lässt sich aber durchaus auf das Mobilitätskonzept von morgen übertragen. Autonome Fahrzeuge kennen die effektivste Route, können so Staus und anderen Verkehrsbehinderungen ausweichen, was zur Reduzierung ebendieser führt. Durch eine vernetzte Infrastruktur kommt es zu weniger Lücken zwischen den Fahrzeugen, wodurch der Straßenverkehr harmonisiert wird und so etwa mehr Fahrzeuge über eine grüne Ampel fahren können.104 Durch die effizientere Nutzung von Verkehrsräumen ist es ebenfalls denkbar, dass autonome Fahrzeuge weitaus weniger Fläche benötigen und so sogar ein Rückbau der Straßenflächen möglich wäre.105