Halbwolfsaga - Luisa Ruthe - E-Book

Halbwolfsaga E-Book

Luisa Ruthe

0,0
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Lage im Norden der menschlichen Königreiche wendet sich nicht zum Guten. Noch bevor der einstige Spähtrupp die nächste Stadt erreicht, wird er überfallen. Einer der Feinde führt ein Schriftstück mit sich und dessen Botschaft ist mehr als deutlich: Es wird Krieg geben. Als sich herausstellt, dass ein Verräter unter ihnen ist, der insgeheim diese mordenden Monster anführt, ist Balthazar gezwungen, Grenzen zu überschreiten. Außerdem scheint sein junger Schüler eine Begabung für eine durchaus gefährliche Form der Magie zu zeigen. Erneut ziehen dunkle Schatten über dem Norden auf. Wer ist es, der hinter den Geschehnissen der letzten Jahre die Fäden zieht? Und was hat das alles mit Balthazars Vergangenheit zu tun?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 270

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Halbwolfsaga

Kapitel 1: Die Wut des MeistersKapitel 2: KonsequenzenKapitel 3: Frei seinKapitel 4: Blutiges GlühenKapitel 5: Die dunkle Seite des KriegesKapitel 6: FiebertraumKapitel 7: Feuer zu EisKapitel 8: BlutmagieKapitel 9: Blutrote AugenKapitel 10: Um ein HaarKapitel 11: Ein entspannendes Bad?Kapitel 12: VerstärkungKapitel 13: UnvorsichtigKapitel 14: FehdehandschuhKapitel 15: Lager des FeindesKapitel 16: GefangenKapitel 17: TrostKapitel 18: WiedersehenKapitel 19: WahrheitKapitel 20: Ein letztes MalKapitel 21: Notwendiges ÜbelKapitel 22: VerratKapitel 23: FolterKapitel 24: Ein Ende?Kapitel 25: Schatten eines KriegersKapitel 26: Heilende KräfteKapitel 27: Nach dem SturmKapitel 28: AufbruchLeseprobe (Ausschnitt) "Halbwolfsaga: Der Schatten"DanksagungImpressum

Kapitel 1: Die Wut des Meisters

Ein leises Seufzen kam über seine Lippen, als Balthazar das Tempo erneut beschleunigte, um die Reittiere der Soldaten und Ritter nicht aus den Augen zu verlieren. Ihre Gruppe, die den Befehlen des Königs folgend gen Norden aufgebrochen war, war in der letzten Stadt, die sie durchquert hatten, von weiteren Männern verstärkt worden. Etwa sechzig Soldaten hatten sich ihnen angeschlossen.

Ein wirklicher Spähtrupp waren sie somit nicht mehr. Mit der Größe der Gruppe stiegen auch die Probleme. Er hatte in den letzten Tagen durchaus bemerkt, wie viele der Neulinge sie ansahen – eine Mischung aus Misstrauen und Abscheu. Nicht überall waren Mondblüter so hoch angesehen. Viele schätzten sie eher gering, als einfache Söldner, denen man nicht trauen konnte. Ihn sollte das nicht stören, lediglich auf seinen Schüler würde er demnächst besser achten müssen. Sein Blick glitt ein wenig zur Seite.

Der regelmäßige, aber verständlicherweise flache Atem des anderen Mondbluts folgte ihm, als er über verrottendes Totholz hinwegsprang und seinen Weg durch den Wald fortsetzte. Die ersten Sonnenstrahlen ließen bereits das Halbdunkel weichen und an einigen Stellen, an denen die Baumkronen weniger dicht beisammenstanden, blitzte ab und zu das helle Licht hindurch, um ihnen den Rücken zu wärmen. Bereits kurze Zeit später hatten sie die Tiere eingeholt und bewegten sich in einem gemächlicheren Tempo fort. Sie hielten sich dabei parallel zum Weg, welchen die Maultiere nahmen. Die Halbwölfe redeten kein Wort miteinander. Eine gleichmäßige Atmung war das Wichtigste bei langen Läufen.

Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, ertönte der Ruf eines Horns: das Zeichen, sie würden eine Pause machen. Er selbst hatte dem ranghöchsten Ritter eindringlich davon abgeraten, ein so lautes Signal zu benutzen. Aber anscheinend waren nicht nur die Söldner, welche die Prinzessin damals begleitet hatten, sondern grundsätzlich alle Soldaten in diesen Dingen beratungsresistent. Der Mann hatte nur gelacht und ihn mit einem ,,Aber wir haben doch zwei Mondblüter, die uns beschützen“ stehen gelassen. Dabei hatte er gesehen, wie Orion schluckte. Verständlich, denn für einen Kampf war der junge Mann ganz sicher noch nicht bereit. So ließen sie sich auf dem Waldboden nieder: weit genug weg und vom Wind abgewandt, sodass die Tiere sie nicht wahrnehmen würden. Aber dennoch nahe genug am Lager, um die Umgebung grob im Blick zu behalten.

Das junge Mondblut ihm gegenüber wirkte nervös. Dessen Blick wanderte ständig vom Lager der Männer zum Himmel und den umliegenden Bäumen. Als er nachfragte, ob alles in Ordnung sei, nickte der Jüngere nur und wandte die Augen dem Boden vor sich zu. Also zuckte er mit den Schultern und holte eine kleine Tonschale sowie einen hölzernen Mörser aus dem Beutel, welchen er immer mit sich trug. Dann entnahm er diesem mehrere kleine Gläschen, in denen zerriebene Kräuter und pflanzliche Säfte auf ihren Einsatz warteten. Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie Orion sich interessiert zu ihm beugte. Sich mit der einen Hand auf dem Boden abstützen wollte. Ein harsches ,,Vorsicht“ hielt den Jungen glücklicherweise ab, den Schatz zu zerstören, welchen er dort gerade entdeckt hatte.

Fast liebevoll entnahm er der unscheinbaren Farnpflanze einige Blätter und zerrieb sie vorsichtig. Dann fügte er, den wachsamen Blick Orions auf sich spürend, den Inhalt von drei weiteren Fläschchen hinzu. Anschließend goss er die Mischung mit starkem Schnaps auf. Ein beißender Geruch entstieg der Tonschale und das typische, leise Zischen erklang. Dann schwenkte er die Schale einige Male, bis sich alle Kräuter aufgelöst hatten. Anschließend ließ Balthazar die nun dickflüssige Paste nach und nach in die frei gewordenen Fläschchen fließen, verschloss diese dann sorgfältig. Er säuberte sein Werkzeug und ließ alles wieder im Beutel verschwinden.

„Was genau war das?“, fragte sein Beobachter neugierig und er musste lächeln. Wenn er Interesse an Kräutern zeigte, war dies wenigstens ein Punkt, an dem er ansetzen konnte.

„Das“, erwiderte er nur, ,,ist etwas, das wir hoffentlich nicht allzu oft brauchen werden.“ Hinter der Stirn des Jüngeren schien es zu arbeiten und er lächelte bei diesem Anblick stumm in sich hinein. Denn irgendetwas sagte ihm, dass die Ausbildung dieses Mondbluts etwas ganz Besonderes werden würde.

Wenig später brachen sie erneut auf. Die Sonne war Richtung Westen gewandert und leuchtete ihnen am Horizont entgegen. Es war kälter geworden. Wahrscheinlich würde der erste Frost den Norden bald erreichen und die Nächte länger werden lassen. Dabei lag gerade in der Dunkelheit die größte aller Gefahren. Sie würden sehr aufmerksam sein müssen, denn Zwerge und Berserker waren geradezu talentiert darin, sich unbemerkt anzuschleichen.

Zwerge und Berserker...

Er konnte es immer noch nicht glauben. Eigentlich hatten sie nichts miteinander zu tun. Ihre Gebiete waren durch etliche natürliche Grenzen gekennzeichnet und lagen weit auseinander. Zwerge standen Magie grundsätzlich skeptisch gegenüber – so auch Wesen, welche durch diese Kraft geschaffen worden waren. Warum also sollten gerade sie sich zusammengetan haben? Vermutlich würde er es erst glauben, wenn er es mit seinen eigenen Augen sah. Ein Teil von ihm teilte ihm eindringlich mit, dass es besser wäre, er würde so etwas nicht erleben. Besser, es war nur ein Gerücht.

„Meister?“, holte ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Er sah auf und sein Schüler schien dies als eine Aufforderung zum Weiterreden zu sehen.

„Eigentlich kämpfen Mondblüter doch für das Gute, für das Licht. Wir beschützen Unschuldige. Warum ist unser Symbol dann der Mond und nicht die Sonne?“ Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Das war eine wirklich gute Frage für einen Welpen. Er nahm sich etwas Zeit, ehe er dann antwortete: „Die Sonne scheint am Tage. In der Dunkelheit aber ist es der Mond, der den Menschen genügend Licht gibt, sich zu orientieren. Er ist neben den weiter entfernten Sternen die einzige Hilfe in der Nacht, genau wie wir. Außerdem ist es der Mond, der uns die Kraft gibt, uns zu verwandeln.“ Der Junge nickte verstehend. Dann verfielen sie wieder in Schweigen. Nur die Geräusche ihres Atems und ihres Herzschlages begleiteten sie. Schienen wie eine monotone Melodie, welche in ihren Ohren klang und leise in ihren Gedanken widerhallte.

Sie waren Raubtiere, die geborenen Jäger. Dennoch war es ihre Aufgabe, zu beschützen, Leben zu wahren und nicht, Leben zu nehmen. Es war ihm bewusst, dass die Menschen seine Art oftmals als Monster beschimpften: als Mörder, wahllose Schlächter, die jeden, der sich ihnen in den Weg stellte, ohne zu zögern niederstreckten. Er war eines der Mondblüter, welche für diese falsche Sichtweise mit verantwortlich waren: Die Massaker, an welchen er teilgenommen hatte, die Blutbäder, die durch seine Hand entstanden waren; sie waren nichts, worauf er stolz war oder es sein wollte. Aber sie gehörten nun einmal zu ihm.

Seinen kaltherzigen Tötungen, vor allem während der großen Kriege, aber auch in der Zeit danach hatte er den Beinamen Der Henker zu verdanken. Zwar hörte Balthazar dies nicht mehr oft, aber die Worte anderer Menschen hinterließen Spuren in seinem Gedächtnis. Er wollte sich nicht mehr verstecken und, in Selbstmitleid versunken, fernab von allem Leben in einer Höhle vor sich hinvegetieren. Durch die Geschehnisse der letzten Monate hatte er eine neue Aufgabe gefunden. Er diente wieder einem König. Nun war er hier und er bereute keine einzige Sekunde. Mit dieser Erkenntnis beschleunigte er sein Tempo erneut und bekam mit, wie sein Schüler ihm murrend folgte.

Während sie grob die Maultiere im Auge behalten hatten, waren sie jagen gegangen. Unter seiner Anleitung war Orion sogar in der Lage gewesen, drei recht gut versteckte Hasen zu erlegen. Ein Lächeln konnte er sich nicht verkneifen, als er sah, wie stolz sein Schüler Simon die Beute überreichte. Dieser gab die Tiere an den Koch, einen untersetzten Mann mit schütterem, braunem Haar, weiter. Zumindest einer der einfachen Soldaten schien einen Nutzen zu haben. Dieser nahm die Körper aus und briet sie in einer Pfanne über einem Feuer an. Anschließend zerhackte er das Fleisch und rührte es unter den restlichen Eintopf, der in einem großen Kessel vor sich hin kochte.

Sie aßen zwar mit den Soldaten, doch selbst im schwindenden Licht der untergehenden Sonne war zu sehen, dass keiner der Männer ihnen unbedingt zu nah kommen wollte. Ihm war es ganz recht. Solche Gesellschaft schätzte er ohnehin weniger, denn Söldner hatten eines gemeinsam: Man konnte ihnen nicht trauen und wusste nie, von wem sie eventuell gekauft worden waren. Außerdem ging es in den Gesprächen ausschließlich um Trinkgelage und Hurerei – beides nichts, wovon er etwas hielt. Die einzig wirklich fruchtbaren Unterhaltungen konnte er mit den Rittern führen. Und natürlich mit Simon. Sein Freund schien jedoch zumeist damit beschäftigt, die Soldaten zur Ordnung zu rufen. Balthazar war von dem langen Lauf erschöpft und sah Orion an, dass es ihm nicht anders ging. So empfahl er sich, kurz nachdem der Mond am Himmel aufgestiegen war und deutete dem Jüngeren, er solle ihm folgen.

In einiger Entfernung zu den Feuern und den aufgeschlagenen Zelten der anderen löste er die Riemen über seinem Rücken. Er legte diese zusammen mit seinem Schwert auf den Boden und ließ sich daneben nieder. Sein Schüler tat es ihm mit seinem Bogen gleich. Eine andere Waffe hatte er dem Kleinen nicht in die Hand geben wollen. Mit einem Schwert verletzte er sich am Ende noch selbst. Wenige Augenblicke später zeugte der Atem des jungen Mondbluts davon, dass dieser bereits eingeschlafen war. Kein Wunder, es war schließlich ein langer Tag gewesen.

Irgendwann in der Nacht wachte Balthazar auf, starrte durch die Baumkronen hindurch zum Himmel empor. Er hatte irgendetwas gehört, etwas, das nicht da sein sollte. Das dachte er zumindest. Nun war alles ruhig um ihn herum. Sogar etwas zu ruhig.

„Orion?“ Der Kleine lag nicht mehr neben ihm. Augenblicklich war er hellwach und sprang auf. Der Bogen befand sich noch an Ort und Stelle, sein Geruch lag nach wie vor in der Luft. In seinem Kopf rasten Gedanken umher. Zwar kannte er den Jungen noch nicht wirklich lange, machte sich aber dennoch Sorgen. Schließlich hatte er allein die Verantwortung für ihn. Also nahm er die Geruchsspur auf und folgte dieser vorsichtig über den unebenen, aber weichen Waldboden, welcher seine Schritte erheblich dämpfen würde. Wenig später befand er sich am Rand des Lagers. Was wollte er denn bitte dort? Langsam näherte Balthazar sich weiter. Er hörte die Stimmen mehrerer Männer, zwar nur durch eine Zeltwand, aber dennoch deutlich zu verstehen. „Ich sage euch, ich habe es gesehen!“

„Ich habe euch doch gesagt, ich weiß nicht, was er in diesen Fläschchen hat!“ Das war Orions Stimme. Er war also dort. Eilig schlich er näher.

„Ich denke, wir sollten endlich ein Zeichen setzen, dass diese Monster nicht so einfaches Spiel mit uns haben, wie sie glauben. Sicher betreiben sie Teufelsanbeterei und Hexerei! Wer weiß, was sie hinter unserem Rücken planen oder was sie uns noch antun. Schließlich sind sie dafür verantwortlich, dass Berserker und Zwerge unsere Dörfer geplündert und unsere Familien zerstört haben. Ich sage euch, dieser Junge hier ist mit Schuld an dem Elend, das unser Land befallen hat. Er gehört bestraft!“ Ein Zischen fuhr durch die Luft, dann ein ledernes Klatschen, gefolgt von einem leisen, aber deutlichen Aufschrei. Das war genug. Er musste eingreifen.

Lautlos schlich er zur Vorderseite des Zeltes und spähte hinein. Die Plane, welche den Eingang verdecken sollte, war zurückgeschlagen und ließ die Sicht frei auf den Raum innerhalb des gespannten Stoffes. Er zählte fünf Soldaten, welche mit dem Rücken zu ihm standen. Auch Orion war schnell auszumachen. Dieser kniete mit bloßem Oberkörper auf dem Boden, die Handgelenke mit Seilen gefesselt. Der einzige Soldat, welcher in seine Richtung gewandt war, schien zu beschäftigt, um ihn zu bemerken. Der Mann hob die lederne, dreischwänzige Peitsche empor, um sie erneut auf den Körper des Jungen hinunterschnellen zu lassen. Doch dies wusste das Mondblut zu verhindern.

Ohne darüber nachdenken zu müssen, zog eine seiner Hände einen Dolch aus der Scheide und schleuderte diesen unter Einsatz seiner gesamten Wut auf sein Ziel. Das dumpfe Geräusch einer Klinge erklang. Wie sie erbarmungslos Haut und Fleisch durchstieß. Ein überraschter Schmerzensschrei, weit höher als er es von einem Mann dieser Statur vermutet hätte, ließ es in seinen Ohren klingeln. Die Peitsche fiel zu Boden. Geschockte Gesichter wandten sich schlagartig zu ihm um und erblassten bei seinem Anblick. Er achtete jedoch nur auf den Soldaten, der dort auf dem Boden kniete. Der mit stummem Schrecken auf die Waffe starrte, welche bis zum Griff in seiner Handfläche steckte.

Mit langsamen Schritten, die Hände zu Fäusten geballt, schritt er auf das andere Ende des Zeltes zu. Ohne einen der Männer auch nur eines Blickes zu würdigen, sprach er Orion leise an: „Es ist alles in Ordnung. Warte, ich schneide dich los.“ Der Junge kniete noch immer auf dem Boden. Seine Augen schienen glasig, aber das war kein Wunder. Durch die Deformierung der Wirbelsäule während ihrer Verwandlung war gerade der Rücken eines Halbwolfs sehr empfindlich. Er selbst konnte vom Glück sprechen, dass er noch nie eine Peitsche hatte spüren müssen. Doch er war in der Lage, die Schmerzen zumindest zu erahnen.

Mit seinem zweiten Dolch schnitt er die Taue durch. Dabei nahm er sehr wohl wahr, dass dieses Pulsieren der Luft um das junge Mondblut herum nun deutlich stärker war. Vielleicht sollte er mit den Magiern des Zirkels darüber sprechen. Er hatte keine Erfahrung in der Ausbildung Magiebegabter. Diesen Umstand schob er jedoch erst einmal auf die Seite. Er stützte seinen Schüler vorsichtig, drehte sich noch einmal um und riss ohne Rücksicht seine andere Waffe aus der Hand des Soldaten. Ein leises Schluchzen, mehr bekam er aus ihm wohl nicht mehr heraus. Als hätte er eine Entschuldigung auch nur geduldet.

„Sollte noch einmal jemand von euch es wagen, ihn zu verletzen oder auch nur schief anzusehen, dann, das schwöre ich euch, lasse ich euch nicht so einfach davonkommen.“ In seiner Stimme schwang ein ehrliches, wütendes Grollen mit. Das schien den Männern nicht entgangen zu sein und sie wichen zurück. Die frische Nachtluft tat gut. Sie beruhigte seine vor Wut zitternden Hände. Er atmete noch einmal tief ein und aus, dann nahm er den Jungen auf seine Arme. Langsam kehrte er zu ihrem Nachtlager zurück. Orion schien kaum ansprechbar und das machte ihm Sorgen. Dünne Rinnsale von Blut bedeckten seine Hände, als er den Körper des Jungen vorsichtig ablegte. Während er leise mit seinem Schüler sprach, öffnete er den Beutel, welcher normalerweise an seinem Waffengürtel hing. Balthazar suchte eines der Fläschchen, die er am selben Tag erst neu befüllt hatte.

„Du wolltest doch wissen, was das hier ist. Dann beiß die Zähne zusammen. Es wird weh tun“, wies er Orion an und bemerkte, wie sich dessen Gesicht unwillig verzog. Ein amüsiertes Lächeln konnte er sich gerade noch verkneifen, mahnte seinen eigenen Geist dann aber zur Konzentration. Mit aufmerksamem Blick musterte Balthazar den Rücken des Jungen, nachdem er diesen vorsichtig umgedreht hatte. Die Lederriemen waren bereits ausgefranst gewesen und hatten dadurch viele kleine, blutige Striemen hinterlassen. Diese zogen sich über den gesamten oberen Bereich. Beherzt griff er zu. Er verschloss den Mund seines Schülers mit der einen Hand, zog mit den Zähnen den Korken aus der Flasche heraus. Dann fixierte er den Kleinen durch den Druck seines Knies auf dessen unteren Rücken. Je weniger er sich bewegen konnte, desto besser war es für ihn. Anschließend hielt Balthazar das Behältnis über der versehrten Haut etwas schräg, um einen Tropfen des Inneren direkt auf eine der Wunden fließen zu lassen.

Ein Zucken der Muskeln unter ihm, Keuchen und das Zischen der Flüssigkeit folgten. Doch er fuhr fort. Er setzte das Glas immer wieder neu an, ließ sich dabei nicht von den Schmerzenslauten beeinflussen. Dann, als die gröbsten Verletzungen verschwunden waren, ließ er vorsichtig von dem Jungen ab. Dieser blieb, wie zu erwarten, keuchend liegen, schlief dann binnen weniger Augenblicke ein. Er beobachtete seinen Schüler noch einige Zeit, doch die Erschöpfung schien ihn festzuhalten. Daher legte Balthazar sich ebenfalls auf den Waldboden. Weit genug weg, um nicht zu stören und nah genug, um eingreifen zu können, sollte ihm noch einmal jemand zu nah kommen.

Kapitel 2: Konsequenzen

Der nächste Morgen brach schnell an. Die Geräusche von Soldaten, welche durch den Wald streiften, weckten ihn auf. Wahrscheinlich befriedigten sie lediglich in aller Müdigkeit ihre Notdurft, um dann zum Lager zurückzukehren. Trotzdem blieb Balthazar aufmerksam. Eine Verspannung hatte sich in seiner linken Schulter gebildet. Das unangenehme Ziehen ließ seine Laune weiter sinken. Nach einem leisen Murren seinerseits sah er zur Seite. Orion schlief noch immer tief und fest. Kein Wunder, der Kleine musste erschöpft sein. Als das ältere Mondblut sich dann aber aufraffte, um zu einem Fluss in der Nähe aufzubrechen, erklang die leise Stimme des jüngeren: „Was-?“

„Bleib liegen, ruh' dich aus. Ich bringe dir eine Schüssel Wasser mit, wenn ich zurückkomme“, unterbrach er die recht dünne Stimme des Kleinen. Anscheinend war sein Schüler noch immer recht angeschlagen, aber das wunderte ihn wenig. Wenn er diesen Bastarden noch einmal über den Weg lief und sie ihn auch nur schief ansehen würden… Er atmete tief ein und aus. Dieses wütende Brodeln in ihm hatte seinen Anhänger beinahe glühen lassen. So etwas konnte er, bei allen nichtexistierenden Göttern, nicht gebrauchen.

Er lockerte bewusst die Schultern und mit einigen letzten Handgriffen prüfte er kurz, ob alles gut saß. Sein Schwert ließ er zurück. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er es brauchen würde. Mittlerweile hatte Balthazar sogar das Gefühl von Druckstellen auf seiner Schulter, wann immer er es über längere Zeit trug. Dort, wo der breitere Riemen beim Laufen auflag. Vielleicht sollte er ihn mit Kaninchenfell etwas polstern? Vermutlich würde das bereits helfen. Wie zur Selbstbestätigung nickte er sich stumm zu. Dann setzte er seine müden Beine in Bewegung. Nun brauchte er erst einmal frisches Wasser, um wach zu werden. Zwei Ritter, denen wohl der gleiche Gedanke gekommen war, kamen ihm entgegen. Sie nickten sich kurz zu, beließen es allerdings bei dieser einfachen Form der Begrüßung. Das leise Plätschern des Flusses drang bereits an seine Ohren.

„Balthazar!“ Genervt drehte er sich um. Hat man hier denn nirgendwo seine Ruhe? Ein weiterer Ritter stand ein Stück weit hinter ihm, keuchend, die Hände in die Seiten gestützt.

„Der Kommandant möchte Euch sprechen, wenn möglich sofort. Es geht um Euer Zusammentreffen mit einigen Soldaten heute Nacht.“ Mit einem einfachen „Ich komme später vorbei“ wandte er sich jedoch ab und setzte seinen Weg in Richtung Fluss weiter fort. Natürlich war es klar gewesen, dass die ganze Sache nicht unbemerkt geblieben war. Innerlich legte er sich bereits einige Antworten auf mögliche Fragen des Kommandanten zurecht, welche, das musste er selbst zugeben, recht bissig und wahrscheinlich auch unangebracht waren. Deshalb schob er den Gedanken an das Treffen vorerst beiseite. Er konzentrierte sich nur auf das Geräusch des fließenden Wassers. Es konnte nicht mehr weit sein.

Wenigstens, so hoffte er, würde ihm das kühle Nass wieder etwas mehr Leben einhauchen. Irgendwie fühlte er sich zerschlagen und das, obwohl er gerade eben erst aufgewacht war. Im Wald war es wie gewohnt ruhig. An die Zeit, welche er noch mit Geräuschen von Tieren um sich herum verbracht hatte, erinnerte er sich kaum. Er war nun seit über zwanzig Wintern – oder noch länger? – ein Mondblut. So viele Monde waren vergangen, seit er erwählt worden war und doch blieb das Gesicht seines Bruders, wie er ihn angestarrt hatte, tief in ihm eingebrannt. Degard war der Ursprung allen Übels gewesen, sein ewiger Verfolger: Mörder ihrer Eltern und Mörder seiner Lyria.

Wie viele Nächte hatte er durchgehend trainiert, um ihm irgendwann das Handwerk legen zu können? Wie lange hatte er nach ihm gesucht? Am Ende war Degard es gewesen, der ihn fand und es war ihm tatsächlich gelungen, den Anführer der Berserker zu töten – schnell und endgültig. Trotzdem hatte er sich diesen Moment immer erfüllender ausgemalt. Es schien, als hätte das Ganze kaum etwas gebracht, denn nun hatten diese Banditen sich auch noch mit den Zwergen verbündet. Und er, als Mörder beider Anführer, stand sicher ganz oben auf ihrer Liste.

Zweige knackten leise, als er das Ufer betrat. Der Fluss schien recht tief, maß aber nur wenige Pferdelängen in der Breite. Trotzdem war das Wasser klar. Es musste aus einer Quelle in den Bergen stammen. Vermutlich würden sie ihrem Ziel näherkommen, wenn sie dem Flussverlauf folgten. Balthazar würde es bei Gelegenheit gegenüber den Rittern ansprechen. Einige Fische schwammen mit der leichten Strömung flussabwärts. Ihre sich windenden Leiber schimmerten im Licht der aufgehenden Sonne. Kurz sah er sich um, legte dann seine Kleidung ab und watete einige Schritte in das angenehm kühle Nass. Die Härchen auf seiner Haut stellten sich zitternd auf und er genoss den Schauer, welcher seinen Körper hinauf und anschließend wieder hinab schoss. Das weckte seine Lebensgeister.

Das Wasser reichte in Ufernähe bis knapp über seine Hüften. Nach kurzem Einatmen ließ er sich hineinsinken. Eine Zeit lang tauchte er unter, spürte dabei den leichten Sog des an ihm vorbeiströmenden Wassers. Es schien ihm wie der Wind, welcher durch seine Haare fuhr. Ein angenehmes Gefühl, das ihm Freiheit versprach. Freiheit und Unabhängigkeit – jene Dinge, die er aufgegeben hatte, als er sich in den Dienst des Königs hatte stellen lassen.

Dann, als seine Atemluft knapper wurde, stieg er wieder auf. Er stieß an die Oberfläche und sog die frische Luft gierig ein. Der Wald im Morgentau – dies war der vermutlich wundervollste Geruch der Welt. Gleich nach dem eines erlösenden Sommergewitters. Suchend sah er sich um, stellte dabei fest, dass er einige Schritte von seiner Kleidung und seinen Waffen entfernt aufgetaucht war. Mit wenigen Schwimmzügen erreichte er das Ufer, stieg aus dem Wasser und zog sich wieder an. Die lederne Jacke und das verstärkte Kettenhemd warf er jedoch lediglich über die Schulter, denn beides trocknete leider schlecht, wenn es einmal nass war.

Dass er dem Lager näherkam, bemerkte er bereits durch das laute Klirren von Waffen. Die scheinbar ein wenig übermütigen Soldaten rangen sich in Übungskämpfen gegenseitig nieder. Vermutlich würden sie sich dabei dummerweise auch noch verletzen. Wieso hatten unbedingt niedere Ränge ihren Spähtrupp begleiten müssen? Ein paar Ritter hätten ausgereicht – obwohl, er wäre vermutlich sogar allein mit seinem Schüler losgezogen. Aber solche nervtötenden Dummköpfe bei sich zu haben, behagte ihm gar nicht. Sie würden mit ihrem Krach noch wilde Tiere anlocken – oder aber Berserker. Ein für seine feine Nase schrecklicher Gestank nach Schweiß und Alkohol drängte sich ihm immer weiter entgegen, je näher er den Zelten kam. Der König hatte ihrer Truppe tatsächlich einige kleine Fässer Wein mitgegeben, wie Balthazar zu Beginn der Reise bereits bemerkt hatte. Scheinbar hatten vor allem die Soldaten vergangene Nacht ordentlich gefeiert. Der Geruch von verschüttetem Alkohol stach ihm in die Nase, als er sich näherte.

Die Ritter teilten sich ein Zelt, während jeweils fünf Soldaten in den anderen schliefen. Auch den Mondblütern war angeboten worden, sich ihnen anzuschließen, doch vermutlich eher aus gezwungener Höflichkeit. So berührten seine Stiefel wenig später bereits das niedergetrampelte Gras, welches für das Lager hatte weichen müssen. Sie wollten wohl einige Tage hierbleiben, um Nahrung zu sammeln und den Wald zu erkunden. Doch er vermutete eher, dass diese Schwachköpfe es nicht erwarten konnten, Feinde anzuziehen. Sie werden schon sehen, was sie davon haben, dachte er und schnaubte missbilligend.

Die ersten Zelte, an denen er entlangging, waren für die drei Köche gedacht. Etwas weiter rechts davon waren die Maultiere untergebracht und er hörte selbst aus dieser Entfernung ihre leisen Laute. Es war lange her, dass er auf dem Weg zu einer Schlacht gewesen war, aber etwas in ihm freute sich darauf, auch, wenn dies vielleicht besorgniserregend war. Immerhin hatte er sich das ewige Blutvergießen eigentlich abgeschworen. Allerdings hatte er ebenfalls geschworen, sein Herz würde nie wieder an einer anderen Frau hängen, doch genau das war wohl geschehen. Vermutlich war Balthazar nun an einem Punkt angekommen, an dem er seine früheren Prinzipien über Bord werfen sollte. Er atmete noch einmal tief durch, dann trat er vor das Zelt inmitten der anderen. Es war reichlich mit Stickereien verschiedenster Farben verziert und damit eindeutig sein Ziel.

Als er eintrat, sahen sich mehrere Augenpaare direkt zu ihm um. Die Soldaten von letzter Nacht wichen einen Schritt zurück, während der Stämmigere von ihnen, welcher einen schlampigen Verband um die Hand trug, seinem Blick finster standhielt.

„Balthazar“, sprach ihn jemand an.

„Andreas“, erwiderte er nur und trat näher an den Ritter heran. Sein Gegenüber schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Dessen Pupillen huschten ständig durch den Innenraum des geräumigen Zeltes, die Hände hatte er hinter dem Rücken versteckt und er schien so angespannt, dass die Adern an seinem Hals hervortraten. Simon stand ebenfalls inmitten des Raums, jedoch etwas weiter abseits und hatte die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Sein Blick war von Missmut geprägt und die Falte, welche sich zwischen seinen Augenbrauen bildete, wenn er schlecht gelaunt war, hatte sich vertieft.

Sich nichts anmerken lassend, wartete das Mondblut stumm ab, während sein Blick auf Andreas verweilte. Einige Zeit lang tat sich gar nichts. Die weiteren Anwesenden schienen unruhig zu werden, flüsterten sich Dinge zu und sahen ihn skeptisch an. Dann, endlich, begann der Mann vor ihm zu sprechen: „Einige der Soldaten hier meinen, Euch gesehen zu haben, wie Ihr seltsame Tränke hergestellt habt. Sie vermuten, Ihr betreibt Teufelswerk. Außerdem hättet Ihr sie angegriffen.“

Bevor Balthazar antwortete, schoss Simon bereits dazwischen: „Er ist ein Mondblut, natürlich versteht er sich in Kräuterkunde. Das habe ich Euch doch gesagt. Mit Hexerei hat das überhaupt nichts zu tun.“ Sein Freund hielt sich sehr zurück. Dessen Kiefermuskeln schienen zum Zerreißen angespannt und malmten unaufhörlich, während der stechende Blick den ranghöchsten Ritter zu durchbohren drohte. Balthazar sammelte sich, schloss kurz die Augen, atmete innerlich durch und erwiderte, wählte seine Worte dabei mit Bedacht: „Simon hat Recht. Das ist keine Magie, sondern Kräuterheilkunde. Dafür muss man keine besonderen Fähigkeiten besitzen. Abgesehen davon haben die genannten Soldaten meinen Schüler verletzt und bedroht, da musste ich eingreifen.“ Eine kurze Pause, er fühlte die Anspannung der Menschen um ihn herum. Es lag eine Schwere in der Luft, die allmählich unangenehm wurde.

„Ich habe leider keine andere Wahl, Mondblut. Wir dürfen Euch nicht alles durchgehen lassen, ansonsten fühlen sich unsere Männer ungerecht behandelt. Auch Euch gegenüber müssen wir so verfahren, wie wir es mit einem der Unseren tun würden, wenn sie einen Kameraden verletzen.“ Sein Blick lag auf dem Gesicht des Ritters, doch der wich ihm aus, starrte dafür seine Leute an, aber keiner schien sich bewegen zu wollen. Dann, langsam, setzten zwei Ritter, welche bisher nur bewegungslos in der Ecke gestanden hatten, einen Fuß vor den anderen. Einen Augenblick später hatte jeder von ihnen einen seiner Oberarme gepackt.

„Was soll das?“, fragte Balthazar, bedrohlich ruhig. Der Mann war zwar der Hochrangigste unter den Rittern, doch ihn gefangen nehmen zu lassen, lag ganz sicher nicht in dessen Möglichkeiten.

„Seid Euch sicher, dass auch die Männer, die Euren Schüler verletzten, Konsequenzen erwarten werden. Wir können mangelnde Disziplin nicht dulden. Deshalb möchte ich Euch bitten, die beiden dort zu begleiten.“ Wenn seine Fähigkeit darin bestehen würde, mit Blicken zu töten und nicht, sich zu verwandeln, dann wäre der Ritter mit Sicherheit bereits leblos in die Knie gegangen. Da es aber seine Aufgabe war, diese Menschen zu beschützen, wählte er das kleinere Übel und ließ sich ergeben abführen. Wie es schien, hatte Simon sich kurz zuvor für ihn eingesetzt, also würden sie ihm körperlich nichts antun – das wäre auch nicht gerade förderlich für die Gesundheit dieser Männer gewesen. Denn so etwas würde er sicher nicht mit sich machen lassen, das sollten sie wissen.

Sie brachten ihn hinaus und steuerten direkt den provisorischen Stall der Maultiere an. Dieser bestand aus einem eher breiten als langen Zelt, welches im hinteren Teil in eine eilig zusammengesteckte Umzäunung aus dünnen Holzbrettern überging. Es war schon seltsam ironisch, dass die Tiere das Holz selbst hatten tragen müssen; das Einzige, was sie von der Freiheit trennte. Zwar versuchte er, den Rittern beizubringen, dass es keine gute Idee war, gerade ihn in die Stallungen zu schicken, aber irgendwie hatte er das Gefühl, sie würden ihm nicht einmal zuhören. Ob sie auch einem Fuchs den Hühnerstall öffnen würden? Er musste grinsen; zutrauen würde er es ihnen.

Bereits während sie näher kamen, konnte er die ängstlichen Laute der Lasttiere hören und seufzte leise. Es waren zu diesen frühen Morgenstunden keine Soldaten unterwegs. Wahrscheinlich schliefen die meisten von ihnen noch ihren Rausch von letzter Nacht aus. Denkbar wäre es, immerhin war das an der Vorderseite geöffnete ,,Wirtszelt“, wie es genannt wurde, wie leergefegt. Nur einige leere Bierkrüge, die einsam auf den wackeligen Tischen standen, konnte er beim Vorbeigehen erkennen. Es war lange her, dass er sich in einem Lager der Armee befunden hatte, auch, wenn sie dieses Mal nur etwa achtzig Mann stark war.

Die Ritter schlugen die Eingangsplane des Zeltes zur Seite und sofort stieg ihm der typische, stechende Stallgeruch entgegen: nasses Fell und eine Menge tierischer Hinterlassenschaften. Ein leises Seufzen verließ seine Lippen und einer der Männer drückte ihm wie als Antwort darauf eine Mistgabel in die Hand. Ein Mondblut, das einen Stall ausmisten musste; hoffentlich erfuhr das niemand sonst.

Einen Moment später hatte sich die Plane auch schon wieder geschlossen und Balthazar stand allein im Stroh. Sein Blick glitt auf die Zeltwand ihm gegenüber: Die eine Hälfte war unten im Boden verankert und bot Schutz vor Wind und Wetter, die andere nach oben geschlagen und ließ den Blick frei auf die kleine Außenanlage. In ebendieser drängten sich die Maultiere panisch aneinander und allesamt in eine Ecke. Er betrachtete die Tiere genauer.

Ihm war klar gewesen, dass man Pferd und Esel gepaart hatte, um ein belastbareres Reittier zu bekommen, dennoch war ihr Aussehen markant und ebenso seltsam wie faszinierend. Das Äußere glich dem eines Pferdes, doch die langen Ohren verrieten die Kreuzung. Insgesamt wirkte der Kopf im Gegensatz zum restlichen Körper eher klein, daher kamen ihm die Langohren beinahe lächerlich groß vor. Maultiere galten zwar als ausgeglichener und ruhiger, aber Fluchttier war Fluchttier.

Er riss sich los, um mit seiner Arbeit anzufangen. Immerhin wollte er weder seine Zeit vergeuden, noch die Tiere unnötigem Stress aussetzen. So begann er, Stück für Stück den Kot in eine Holzkarre zu schaffen. Es war mit Sicherheit keine schwere Arbeit für ihn, aber es war langweilig und der schreckliche Geruch machte es auch nicht besser. Daher dauerte es nicht lange, bis er zumindest die überdachte Hälfte des Stalls ausgemistet hatte und seiner Meinung nach sollte das auch reichen. Die Mistgabel lehnte er zurück an die Plane, die Karre ließ er jedoch stehen. Dann drehte er den Tieren endgültig den Rücken zu, verließ das Zelt wieder und verschloss den Eingang sorgfältig.

Er sollte dringend nach Orion sehen. Während er das Lager durchquerte, ging es nicht unbemerkt an ihm vorbei, dass alle, die er traf, ihn mieden. Sein Ruf eilte ihm wohl voraus. Doch das konnte ihm getrost egal sein. Als Balthazar erneut am Wirtszelt vorbeikam, sah er sich nach einer Schale um, die er mit Wasser füllen konnte. Sein Schüler hatte sicher Durst, wenn er aufwachte. Nach einigem Suchen wurde er auch fündig. Schnell schnappte er sich die Tonschüssel und schritt eilig dem Rand des Lagers entgegen. Einmal wäre er beinahe in eine Pfütze aus Erbrochenem getreten, doch seine feine Nase hatte ihn noch rechtzeitig gewarnt.

Seufzend schob er sich zwischen den Zeltwänden hindurch. Theoretisch waren sie Mondblüter genau für dieses Leben geschaffen, unweit der Schlachtfelder, doch manchmal bezweifelte er, dass ihre Schöpfer zu diesem Zeitpunkt nüchtern gewesen waren. Seine sensible Nase lenkte ihn hier eher ab, als dass sie ihm etwas nützte. Hier und da lag ein schlafender Söldner, schnarchend und stinkend. Das Mondblut verzog das Gesicht, es war einfach nur ekelhaft.

Er musste Andreas unbedingt mitteilen, dass dieser seine Meute besser unter Kontrolle halten sollte. Mit bewusstlosen Soldaten gewann man schließlich keinen Kampf. Höchstens, weil die Berserker den schalen Biergeruch bemerkten und angeekelt das Weite suchten. Obwohl, das war bei diesen Biestern eher unwahrscheinlich. Als er an einem der Zelte vorbeikam, ertönte auf einmal ein seltsamer Schrei aus dem Inneren und ehe er sich versah, kam ein Söldner mit gezücktem Schwert auf ihn zu.

Instinktiv duckte sich das Mondblut nach unten weg, drehte sich und stieß dem Mann die Faust in die Magengrube. Hatte er vielleicht zu viel Kraft in den Schlag gelegt? Hoffentlich nicht. Röchelnd ging der nur mit Unterhemd und -hosen bekleidete Soldat in die Knie und erbrach sich augenblicklich. Balthazar richtete sich wieder auf und starrte den Angreifer halb angewidert halb fragend an.

„Ejndrinsching, Eindrinschling! Ei-“, schrie der Mann lallend und erbrach sich noch einmal. Wie konnte man sich so gehen lassen?

„Mensch, Karl!“, ertönte eine weitere Stimme aus dem gleichen Zelt. Einen Moment später trat ein ähnlich spärlich bekleideter Söldner ins Licht der Sonne, kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen, wandte sich aber recht schnell dem auf dem Boden Liegenden zu. Er kannte beide nicht, also waren es wohl ebenfalls Neulinge in ihrer Gruppe.

„Du kannst doch nicht so besoffen sein, dass du ein Mondblut anfällst, du alter Saufknabe!“, schien der Mann den anderen belehren zu wollen, doch dieser nuschelte nur etwas von Feldzügen und großbrüstigen Huren. Balthazar zog eine Augenbraue in die Höhe. So etwas hatte er bisher eher selten erlebt. Dann stand der Neuankömmling auf und fragte vorsichtig: „Hat er Euch verletzt, Meister?“ Das Mondblut schüttelte leicht den Kopf. Wenigstens dieser Soldat schien noch einigermaßen nüchtern.

„Balthazar? Ist alles in Ordnung?“, vernahm er eine vertraute Stimme und sah sich um. Simon, sein wohl bester und eventuell sogar einziger Freund, trat zwischen zwei Zelten hervor. Dessen mächtige Breitaxt wagte es nicht einmal, sich über den kahl rasierten Schädel zu erheben. In seinen dunklen Augen blitzte es amüsiert, als er den betrunkenen Soldaten zu bemerken schien.

„Ah, daher der Krach. Magnus, achte besser auf deinen Bruder und lass ihn verdammt nochmal keinen Schnaps mehr anrühren. Das Teufelszeug sollten wir sowieso verbrennen. Ein vernünftiger Mann trinkt Met und Wein, aber nicht diesen scheußlichen Fusel.“

„Hauptmann, Simon! Ja, natürlich. Karl schaut einfach zu oft zu tief ins Glas. Bitte entschuldigt, ich werde in Zukunft besser auf meinen Bruder achten, das verspreche ich“, nuschelte der Söldner, während er sich kurz und ungelenk verbeugte. Balthazar musste fast lächeln und erwiderte: „In Ordnung, tu das.“ Dann packte der Mann seinen Verwandten und schleppte ihn zurück ins Zelt.

„Du setzt dich ja sonderbaren Gefahren aus, mein Freund. Morgens, noch vor dem allgemeinen Weckruf, durch das Lager zu marschieren. Kein Wunder, dass dich da einer von den Saufnasen für einen Eindringling hält“, scherzte sein Freund und schlug ihm feixend gegen die Schulter. Balthazar seufzte innerlich, als seine Schulter protestierend pochte. Wieso nur konnte Simon seine Kraft nie richtig einschätzen?

„Puh, du riechst ganz schön streng. Ist das… Viehmist?“, wunderte sich der Schrank von einem Mann und nun seufzte er hörbar auf.

„Nun tu nicht so unschuldig. Du steckst doch bestimmt hinter dieser… Maßnahme“, gab er schnippisch zurück. Ein Grinsen stahl sich auf die Lippen des Axtkämpfers, während dieser gespielt beleidigt die Arme vor der breiten Brust verschränkte.