Handbuch Autogenes Training - Bernt Hoffmann - E-Book
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Handbuch Autogenes Training E-Book

Bernt Hoffmann

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Beschreibung

Theoretische Grundlagen, Techniken und vielfältige Anwendungsmöglichkeiten.  Von den verschiedenen Formen der Psychotherapie bei körperlichen und seelischen Beschwerden wird das Autogene Training in Deutschland am häufigsten angewandt. Die Zahl derer, die es täglich betreiben, wächst ständig. Das Ziel des Autogenen Trainings ist Entspannung und - davon ausgehend Erholung, Leistungssteigerung, die Beseitigung vegetativer und psychosomatischer Störungen und vieler psychischer Fehlverhaltensweisen sowie, ganz allgemein, eine Steigerung der Fähigkeit, in Harmonie und ruhiger Gelassenheit zu leben. Dieses systematisch angelegte Handbuch faßt das theoretische und praktische Wissen über das AT übersichtlich zusammen. Alle bewährten Übungen werden ausführlich in ihrer Technik und in ihren Anwendungsmöglichkeiten behandelt, wobei Schwierigkeiten und Probleme, die sich bei der Einübung einstellen, besondere Beachtung finden. Die vorliegende Ausgabe wurde vollständig durchgesehen und überarbeitet.

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Seitenzahl: 836

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Handbuch Autogenes Training

Kernverfahren der autogenen TherapieGrundlagen, Technik, Anwendung

Von Dr. med. Bernt Hoffmann

Bearbeitet und herausgegeben vonDr. med. Claus Derra,Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Sven Olaf Hoffmann,Dr. med. Siegfried Stephanund Prof. Dr. med. Friedhelm Stetter

Mit Zeichnungen von Brigitte Borck

Meiner Frau, Dorothea Hoffmann-Reeber,ohne deren Hilfe und fachlichen Ratdieses Buch nicht entstanden wäre

Das Handbuch Autogenes Training wurde von Bernt Hoffmann 1977 begründet und der Autor bearbeitete das Werk über 11 Auflagen. Alle Äußerungen in der Ich-Form sind originale Äußerungen von Bernt Hoffmann. Nach seinem Tode übernahmen mit der 12. Auflage (1996) Claus Derra und Sven Olaf Hoffmann die Herausgabe. Zur 14. Auflage (2000) trat Friedhelm Stetter in das Gremium ein und mit der laufenden 20. Auflage wurde Siegfried Stephan Mitherausgeber.

Gibst du jemandem einen Fisch,

nährt er sich einmal. Lehrst Du ihn das

Fischen, nährt er sich für immer.

Orientalische Weisheit

Ob einer ernst macht im Leben, merkt

man nicht an den großen Entschlüssen,

sondern an der kleinen Arbeit tagaus, tagein.

Romano Guardini

Der Begründer des vorliegenden Handbuchs, Bernt Hoffmann, verwandte solche Aphorismen regelmäßig bei der praktischen Vermittlung des Autogenen Trainings. Dabei unterstellte er einen konkreten Anwendungssinn für die Übenden, den er in den Einführungen verdeutlichte. Die orientalische Weisheit etwa beschreibt den Weg von der außengeleiteten Hilfestellung hin zur verinnerlichten Beherrschung des AT, die das wesentliche Ziel des Übens ist. Der Einsatz des AT soll den Lernenden autonom im Umgang mit Anspannungssituationen machen. Und wie der Philosoph und Theologe R. Guardini festhält, geschieht das nicht durch den großen Entschluss zum neuen Jahr, sondern durch konsequentes und geduldiges Üben. Daran wird im Handbuch immer wieder erinnert. Jeder kann vom AT profitieren, soviel ist gesichert. Über das Ausmaß des Profits entscheidet er zu weiten Teilen selbst.

Aus dem Vorwort der Bearbeiter zur 12. Auflage

Nachdem die letzte weitergehende Überarbeitung 15 Jahre zurückliegt, stellten sich den Bearbeitern der 12. Auflage eine Reihe von Aufgaben. So musste die relevante neue Forschungsliteratur eingearbeitet werden, was besonders für die Grundlagen, die psychophysiologischen Bedingungen und die Erfolgskontrollen gilt. Es erstaunt geradezu, wie wenig der Erfolg des Autogenen Trainings in der Praxis im strengeren Sinne wissenschaftlich kontrolliert und wie stark erfahrungsgeleitet er insgesamt war. Diese Beschränkung teilt das Autogene Training mit einer Reihe älterer Psychotherapieformen, aber eine Verbesserung des Standards zeichnet sich deutlich ab. Wir selbst haben eine Literaturrecherche über alle Veröffentlichungen zum AT in den Jahren 1980 bis 1995 durchgeführt und fanden für diesen Zeitraum insgesamt mehr als 1000 Beiträge; davon haben wir 190 in den Text und das Literaturverzeichnis aufgenommen.

Diese Aktualisierung hat uns nicht veranlasst, die ungewöhnlich kenntnisreiche und profunde Übersicht über die Literatur, die vom Autor vorgelegt wird, zu kürzen. Der Wert einer guten Übersicht, die Bernt Hoffmann sich aus der Originalliteratur selbst erarbeitet hatte, ist für jüngere Ärzte und Psychologen, denen diese Quellen fremd oder unzugänglich sind, kaum zu überschätzen. In den vergangenen zehn Jahren konnte man in zahlreichen neueren Publikationen über das Autogene Training Passagen entdecken, die gerade bei Berichten über die ältere Forschung von diesem Handbuch ohne Nennung der Quelle »abgekupfert« waren. Bernt Hoffmann wusste davon und fühlte sich eher geehrt, als dass er sich geärgert hätte.

Die geringsten Änderungen ergaben sich in den praktischen Teilen des Buches. Hier erwies die Erfahrung von 40 Jahren Arbeit mit dem Autogenen Training den Autor als so aktuell, dass kaum Veränderungen erforderlich waren. Lediglich die schon zu seinen Lebzeiten in Besprechungen kritisierten unbefriedigenden Abbildungen der Übungspositionen wurden durch bessere ersetzt. Obwohl einige kürzere Kapitel neu aufgenommen wurden, ist es uns gelungen, den Umfang des Handbuchs nicht nennenswert zu erweitern. Zirka ein Fünftel des Textes ist neu geschrieben; alle Kapitel wurden ausnahmslos überarbeitet. Wo es um »Meinungen« geht, ist die Position der Bearbeiter oft an der »Wir«-Formulierung zu erkennen. Der Singular (»ich«, »meine«) wird nur vom Autor verwendet.

Die neuere Krankheitslehre folgt der ab 1998 auch für die Bundesrepublik verbindlichen Klassifikation der ICD-10 (International Classification of Diseases der WHO, 10. Aufl.). Wir haben versucht, einen Kompromiss zwischen den tradierten und den neuen Krankheitsbezeichnungen zu finden.

Bad Mergentheim und Mainzim Herbst 1996

Claus DerraSven Olaf Hoffmann

Aus dem Vorwort der Bearbeiter zur 14. Auflage

Die Überarbeitung gilt zum einen der Erhöhung des praktischen Wertes durch die Aufnahme neuer Formeln und Ergänzung der älteren in einer zeitgemäßeren Sprache. Insbesondere der praktisch interessierte Leser wird diese Aktualisierung begrüßen.

In erfreulicher Weise konnten wir auch die Darstellung der kontrollierten Studien zur Wirksamkeit des AT erweitern. Während Grawe in seiner Metaanalyse bis 1984 ledigliche 13 kontrollierte Studien zum AT nachweisen konnte, fand Linden 1994 schon 24 entsprechende Studien. Der wichtigste Nachtrag ist die qualitative Metaanalyse kontrollierter klinischer Studien von F. Stetter und S. Kupper (1998). In diese analyse gingen bereits 64 bis dahin veröffentlichte Studien zum AT ein. die die Wirksamkeit des AT bei den unterschiedlichsten geprüften Indikationen positiv belegen.

Für die Herausgabe dieses Bandes stellt der Eintritt des in Deutschland renommiertesten Forschers zur Wirksamkeit des AT, PD Dr. Friedhelm Stetter, in das Herausgebergremium einen großen Gewinn dar. Aus seiner Feder stammt auch im wesentlichen das erwähnte Kapitel 28.

Bad Mergentheim, Mainz und Extertalim Herbst 2000

Claus DerraSven Olaf HoffmannFriedhelm Stetter

Vorwort der Bearbeiter zur 20. Auflage

Der erfreuliche Erfolg dieses Handbuchs und das Entgegenkommen des Verlags erlauben (nach der 12. und 14. Auflage) die nun dritte größere Umarbeitung und Aktualisierung. Fortschreitende Entwicklung der Anwendung und die wissenschaftliche Überprüfung der Behandlungsergebnisse erfordern solche Anpassungen. Dass dabei alles Bewährte erhalten blieb, versteht sich von selbst. Wir standen aber vor der Frage des Umgangs mit eher randständigen Kenntnissen, die am meisten noch die eigentlichen Fachleute interessieren. So haben wir auf die Möglichkeit zurückgegriffen, bewährte aber speziellere Passagen, die nirgendwo sonst bereitstehen, ins Internet zu verlagern. Jeder Käufer des Bandes kann darauf zugreifen. Ein Hinweis befindet sich an den entsprechenden Stellen. Durch dieses Vorgehen konnten wir auch jetzt (und künftig) vermeiden, mit jeder Auflage das Volumen zu vergrößern.

Die gewichtigste Aktualisierung erfolgte bei den empirisch kontrollierten Behandlungsergebnissen. In der kritisch orientierten Öffentlichkeit und natürlich im wissenschaftlichen Umfeld werden solche Prüfungen des Behandlungserfolgs (Effektivität) und seiner Wirtschaftlichkeit (Effizienz) immer relevanter. Hier hatte das AT wie andere psychotherapeutischen Verfahren bis vor etwa 20 Jahren Defizite. Heute hat sich die Situation wissenschaftlicher Prüfung deutlich verbessert, was für die Forschung kein Ausruhen bedeuten kann. Diese Bereiche lagen wieder in den erfahrenen Händen von Friedhelm Stetter, Mitherausgeber seit der 14. Auflage.

Als neuen Mitherausgeber der jetzigen Auflage begrüßen wir Siegfried Stephan. Wir sind nun zu viert – fällt da das von einer Person begründete und über 11 Auflagen allein betreute Werk nicht ungewollt auseinander? Der Originaltext macht weiterhin noch deutlich mehr als die Hälfte aus. Wie haben deswegen wieder alle alten und alle aktualisierten Teile des Handbuchs gemeinsam durchgesehen und abgeglichen, zusammensitzend und »elektronisch«. Dem Leser sei verraten, dass uns dieses Vorhaben auch ein gemeinsamer »Stallgeruch« erleichterte. Bis auf Sven Olaf Hoffmann waren alle Herausgeber Schüler und Doktoranden von Dietrich Langen in Mainz, einer bis 1980 wirklichen Kapazität des Autogenen Trainings. Nach dem Tode von Langen wurde Sven Olaf Hoffmann 1982 auf den Mainzer Lehrstuhl berufen und arbeitete mit den jüngeren Kollegen teilweise noch mehrere Jahre zusammen. So kennen sich alle Herausgeber schon seit Langem, hatten über die Jahre immer den beruflichen Kontakt gehalten und genießen es mit dem Handbuch (HAT) diesen alten fachlichen und freundschaftlichen Kontakt fortzusetzen. Leserinnen und Leser werden davon hoffentlich profitieren.

Berlin, Hamburg, Mainz und Porta Westfalica/Tübingenim Herbst 2017

Claus DerraSven Olaf HoffmannSiegfried StephanFriedhelm Stetter

Vorbemerkungen des Autors

Das Standardwerk von J. H. Schultz1 fällt aus dem Rahmen alles dessen, was bisher über das Autogene Training erschienen ist. Es enthält nahezu alle Forschungsergebnisse, die seit der Geburtsstunde des AT vor fast einem halben Jahrhundert veröffentlicht wurden. Wenn ich »nahezu« sage, so beruht das auf einer Feststellung von Schultz, dass bis 1955 mindestens 2000 Arbeiten über das AT vorlagen, sodass an eine »vollständige Literaturübersicht« nicht mehr gedacht werden könne2. Der Fachmann kann ohne dieses Buch nie auskommen; für den Nichtfachmann ist es nicht immer leicht, damit umzugehen – er findet gelegentlich vor lauter Bäumen den Wald nicht.

Das Buch ist das Werk eines Pioniers, es hat den Charakter einer Rechtfertigung und Beweisführung; das schimmert überall durch. Seine Aufgabe ist es – war es –, auch noch den hartleibigsten Skeptiker zu überzeugen. Die allerletzte Nachhut (darunter auch Ärzte) ist inzwischen von den Laien längst überholt worden, die entdeckt haben, wie hilfreich in verschiedenen Lebenslagen und bei verschiedensten Störungen das AT sein kann. Die praktische Verwertbarkeit und die Einzelerfahrungen mit dem Autogenen Training – von Mensch zu Mensch mitgeteilt – haben in den letzten 20 Jahren in erster Linie zu dessen weltweitem Erfolg beigetragen.

Verfahren, deren Erfolg auf Suggestion, Entspannung und Übung beruht, hat es zu allen Zeiten gegeben; sowohl bei unseren Vorfahren als auch in den anderen Hochkulturen. Seit über hundert Jahren hat sich die Wissenschaft dieser Möglichkeiten angenommen, hat sie untersucht und angewendet – d.h. meistens wurde sie zuerst angewendet und dann untersucht (wie die Hypnose). Unter den vielen Behandlungsmethoden, die seitdem entwickelt worden sind, hat das AT eine hervorragende Stellung. Es entstand durch Auswahl und Amalgamierung der wirksamen Elemente verschiedener seelischer Heilverfahren, durch die Ausarbeitung ihrer methodischen Anwendung und die wissenschaftliche Untersuchung der Ergebnisse.

Mit dem AT kann, nach Schultz, alles erreicht werden, was »Entspannung und Versenkung« leisten können:

Erholung,

Selbstruhigstellung (durch Resonanzdämpfung der Affekte),

Selbstregulierung sonst »unwillkürlicher« Körperfunktionen,

Leistungssteigerung,

Schmerzabstellung,

Selbstbestimmung (durch formelhafte Vorsätze),

Selbstkritik und Selbstkontrolle (durch Innenschau)

3

.

Während der 3. und der 5. Punkt deutlich auf den medizinischen Ursprung der Methode hinweisen, gehören die Punkte 1., 2. und 4. mehr zum Bereich »normaler« Lebensführung; die beiden letzten stehen im Dienste einer bewussten Persönlichkeitsentwicklung.

In ein Exemplar seines Buches ›Die seelische Krankenbehandlung‹, das Schultz einem Freund und Kollegen 1919 (1. Auflage) schenkte, schrieb er die Widmung: »Tout comprendre c’est presque tout guérir« – alles verstehen heißt fast alles heilen. In den darauf folgenden 50 Jahren – J. H. Schultz starb 1970 – machte er die Wandlung durch vom verstehenden Menschen zum Arzt, der in der Mitarbeit des Patienten die Grundlage psychotherapeutischer Behandlung sieht. So entstand das Autogene Training als eine Methode seelischer Selbstbeeinflussung.

Jede Methode, jede Technik dient zum schnelleren und leichteren Erreichen eines Zieles. Ohne eine besondere Technik wären manche Ziele gar nicht erreichbar. Das gilt für das Yoga ebenso wie für die Hypnose und das Autogene Training. Methoden erleichtern eine Aufgabe, sie sind jedoch niemals Patentlösungen. Wer eine solche erwartet – und das geschieht nicht selten –, kommt nicht weit. Das AT steht und fällt, wie jede Psychotherapie, mit der Mitarbeit des Patienten. Schultz sprach vom »gärtnerischen« Verhalten des Psychotherapeuten: er kann nur anregen, bestenfalls den Anstoß zu einer Entwicklung geben. Ein solcher Anstoß ist das AT – ob es Früchte trägt, hängt vom Übenden ab.

Ich habe seit Jahrzehnten AT-Kurse durchgeführt, zuerst als junger Arzt in Kriegsgefangenenlagern der USA, später in der eigenen Praxis. Immer habe ich darauf geachtet, dass die Teilnehmerzahl 14 bis 16 möglichst nicht überstieg und somit jeder einzelne Übende über Erfolge und Misserfolge berichten und Fragen stellen konnte. Im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass Gruppen mit regem Interesse und lebhafter Diskussion den geringsten Schwund an Teilnehmern aufwiesen – im Gegensatz zu Volkshochschulkursen von 150 bis 200 Teilnehmern, die eine Diskussion nur sehr bedingt zuließen. Aus den vielen Fragen und Diskussionsbemerkungen wurde deutlich, dass die Übungen des einzelnen Teilnehmers viel besser gelingen, wenn vorher Unklarheiten, Unsicherheiten und Zweifel an den Elementen des AT, an deren Beweisbarkeit, Wirkung und Anwendungsmöglichkeit beseitigt waren. Die eineinhalb Stunden, die ich für die erste Übungsstunde eines Kurses ansetzte, erwiesen sich bei lebhaft mitarbeitenden Gruppen als zu kurz, um alle Fragen beantworten zu können. Hektographierte Kurzfassungen der Grundprobleme des AT und seines Verlaufs haben das Gruppenproblem nicht beseitigt. So entstand der Plan, ein Buch zu schreiben, in dem ich versuche, möglichst viele bisher von Kursteilnehmern an mich gestellte Fragen zu beantworten. Viel häufiger, als ich geglaubt hatte, galt das Interesse der grundlegenden Dynamik des AT – was mich veranlasste, ausführlicher auf die Grundlagen des Trainingsablaufes einzugehen.

Mein zweites Anliegen ist die Einordnung des AT als Methode in die psychophysischen Zusammenhänge, wodurch erst eine sinnvolle Anwendung ermöglicht wird.

Hierzu gehört die Klärung der Grundbegriffe, wie sie bereits im Titel des Standardwerkes ›Das Autogene Training – konzentrative Selbstentspannung‹ zu finden sind; ferner das Einordnen des AT in die verschiedenen Arten von Lernvorgängen, in die verschiedenen Formen der Entspannung, der Suggestion sowie seine Abgrenzung gegen verwandte Vorgänge wie Hypnose und Schlaf.

Bei der Methodik werden die zahlreichen Variationen und Zusätze, die zum Schultz’schen Standardablauf hinzukamen, berücksichtigt sowie deren Brauchbarkeit bei bestimmten Persönlichkeitsstrukturen und individuellen Bedürfnissen. Dazu gehören auch im Bereich der Anwendung: ein systematisches Indikationsverzeichnis mit jeweiligem Abwägen der Erfolgschancen, Vergleiche mit anderen Verfahren und die Abgrenzung gegenüber anderen Formen der Psychotherapie, ferner die Möglichkeit einer Kombination mit anderen Methoden.

Einige Kapitel sind Problemen gewidmet, die in dieser Ausführlichkeit oder unter diesem Blickwinkel bisher nicht behandelt worden sind: ein Kapitel über die Konzentrationsstörungen, die als häufigste und größte Schwierigkeit beim AT eine zusätzliche Übung beanspruchen; ein Kapitel über die Sprache im AT; über die verschiedenen Arten der Generalisierung; über den Bewusstseinszustand im AT; über die Auswirkung der Gruppe (Gruppendynamik); über die Zusammenfassung möglicher Fehlerquellen und Schwierigkeiten im AT-Ablauf; über die Sonderstellung des Nacken-Schulterfeldes und einige mehr.

Der Stoff wurde so gegliedert, dass ich glaube, jeder kann das ihn Interessierende leicht auffinden – daher auch das stark aufgefächerte Inhaltsverzeichnis. Auf ausführliche Protokolle wurde weitgehend verzichtet; diese finden sich in reichem Maße im Standardwerk von J. H. Schultz.

Bei der Grundlagenbesprechung und für theoretische Überlegungen sind eine Fachsprache bzw. Fachausdrücke nicht immer zu umgehen; sie werden aber im praktischen Teil möglichst vermieden. Auch die angeführten Beispiele und Bilder sollen für alle verständlich sein. Der praktische Teil ist ganz für den »Übenden« gedacht.

Der reine »Praktiker« unter den Übenden kann beim 13. Kapitel zu lesen beginnen und dann bei Bedarf auf den Ersten Teil zurückgreifen. Vielfach wird auch im Text auf die Stellen verwiesen, die bei den »Grundlagen« besprochen wurden und die für das Verständnis des praktischen Ablaufs erforderlich sind.

Seht ihr den Mond dort stehen?

Er ist nur halb zu sehen

Und ist doch rund und schön!

So sind wohl manche Sachen,

Die wir getrost belachen,

Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Matthias Claudius

Erster TeilÜber die Grundlagen des Autogenen Trainings

1. KapitelDie Entspannung

1. Die Polarität von Spannung und Entspannung

Beschäftigt man sich mit dem Autogenen Training (AT), so fällt auf, dass immer nur von Entspannung die Rede ist, obwohl im Bereich des Lebendigen Spannung und Entspannung immer miteinander abwechseln. »Spannung und Entspannung«, sagt Karl Jaspers, »ist eine vom Biologischen bis zur Seele und zum Geist gehende Polarität«1, und Schultz beendet sein Übungsheft mit den Worten: »Leben verlangt Polarität; auf unseren Stoff angewandt: höchste Kampf- und Wirklichkeitsspannung auf der einen, tief aufbauende, von innen quellende Entspannung auf der anderen Seite.« Entspannung ist immer nur in ihrem Wechselverhältnis zur Spannung zu verstehen. Wenn trotzdem immer nur von einer entspannenden, dagegen nie von einer anspannenden Psychotherapie die Rede ist, so weist das auf zeitbedingte Faktoren hin2. Der Ruf nach Entspannung beruht sicher nicht nur auf einer quantitativen Zunahme der Spannung in der heutigen Welt. In unserer Industriegesellschaft kommen die Spezialisierung der Arbeit, das Hineingepresstwerden in bestimmte künstliche Lebens- und Arbeitsformen (im Glücksfall auf Grund von Begabungen und Fähigkeiten) hinzu, eine Manipulierung, die schon vor der Schule beginnt: außerdem eine oft als Dauerzustand bestehende Angst um den Arbeitsplatz, das Konkurrenzverhalten bis zur Vernichtung des Konkurrenten oder bis zum eigenen Untergang (cut throat competition)3. Diese Belastungen führen zu immer wieder auftretenden Spannungszuständen und im Laufe der Zeit zu Dauerspannungen mit all ihren körperlichen und seelischen Folgen4.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass äußere Anforderungen, mögen sie auch mengenmäßig und inhaltlich eine hohe Beanspruchung darstellen, leichter bewältigt werden als innere Spannungen, die aus anhaltenden Beziehungskonflikten erwachsen. Das bedeutet praktisch, dass ein Fließbandarbeiter weniger durch den hohen Zeitdruck des Bandes als z.B. durch ständige Hänseleien der Kollegen oder die Sorge um den Alkoholkonsum der Ehefrau gesundheitlich belastet wird – was natürlich keine Rechtfertigung für eine überhöhte Leistungsanforderung am Arbeitsplatz darstellt!

2. Entspannung und Ruhe

Der Gegensatz Spannung – Entspannung ist im Physiologischen nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die einfachsten Verhältnisse findet man bei der Tätigkeit der Muskeln, und zwar sowohl der Skelettmuskeln (beispielsweise beim Gehen, wobei sich Spannung und Entspannung rhythmisch ablösen), als auch bei der Eingeweidemuskulatur (bei der Herztätigkeit, Atmung und Verdauung): Zusammenziehung, Kontraktion des Muskels ist Spannung; Lockerung beziehungsweise passives Gedehntwerden ist Entspannung.

Nicht immer identisch mit dem Gegensatz Spannung – Entspannung ist das Gegensatzpaar Bewegung – Ruhe. Ein liegender Mensch kann, muss aber nicht entspannt sein. Sieht man bei einer Röntgendurchleuchtung des Leibes einen völlig bewegungslosen Darm (etwa bei Obstipation), so beruht dies fast immer auf einem Dauerkrampf. Bei normaler Verdauungsbewegung ist der Darm im Vergleich dazu entspannt (vgl. Kap. 21, 2). Ebenso kann ein Lächeln als »paradox« angesehen werden, denn es ist eine Bewegung, die entspannt; es »lösen« sich unsere Gesichtszüge dabei (vgl. Kap. 23, 2). Das Übergeordnete ist hier die seelische Entspannung.

Es kommt bei jeder Psychotherapie nicht auf einzelne, isolierte somatische oder psychische Vorgänge an, sondern man sollte »eine innere und äußere Gesamtsituation schaffen, die diesem Menschen in seiner Lage angemessen ist«5 und ihm aus seinen Schwierigkeiten heraushilft.

Dieses Ziel ändert nichts daran, dass das AT zunächst in einzelnen entspannenden Vorgängen abläuft, die erst in ihrer Gesamtheit voll wirksam werden und auf die sich eine spätere Aktivität aufbauen kann.

3. Der Tonus

Im AT ist viel von Tonus die Rede, insbesondere vom Muskeltonus. Unter Tonus versteht man die vom Nervensystem her gesteuerte Spannung der Gewebe, insbesondere der Muskeln. Wenn man von Tonus spricht, so meint man den Ruhetonus, d.h. die Grundanspannung des ruhenden Muskels. Dieser schwankt in bestimmten Grenzen, ebenso wie der Blutdruck und der Psychotonus, der sich im Temperament und in der Stimmung widerspiegelt. Alle mit Spannung – Entspannung einhergehenden Vorgänge hängen vom Biotonus ab, der lebendigen Grundspannung, die den ganzen Menschen bestimmt. Sind diese Funktionen in ihrem Verhältnis zueinander gut abgestimmt, so spricht man von Eutonus; von Hyper- bzw. Hypotonus, wenn zu viel bzw. zu wenig Spannung vorhanden ist (meist auf den Spannungszustand der Blutgefäße bezogen); von einer Dystonie, wenn die einzelnen Funktionen sich in ihrem Spannungs-Entspannungs-Gehalt stark unterscheiden. Es kommt darauf an, sowohl bei den Einzelfunktionen als auch beim Gesamtmenschen, den entsprechenden Tonus herzustellen.

4. Krampf und Erschlaffung

Ein häufiger Irrtum liegt darin, Spannung mit Krampf und Entspannung mit Erschlaffung zu verwechseln. (Daher die Vermeidung des Wortes Erschlaffung im AT.) Normalerweise schwingen alle Vorgänge zwischen Spannung und Entspannung. Wird jedoch der Ausschlag der Schwingung zu groß, so wird damit der Bereich der normalen Funktion verlassen. Es kommt bei überstarker Spannung zu einem Krampf, der unnormal ist und nach anderen Gesetzen abläuft, gleichviel, ob es sich um einzelne Muskelgruppen handelt wie beim Lumbago (Hexenschuss) und beim Wadenkrampf oder um den Krampf der Gesamtmuskulatur wie bei einem (generalisierten) epileptischen Anfall.

An den Muskeln der inneren Organe kann man ähnliches beobachten. Bei den hier ablaufenden Verkrampfungen spricht man von Koliken bzw. Spasmen (vgl. Kap. 21, 2).

Die Grenzen des Normbereiches von Spannung und Entspannung nach oben und unten unterscheiden sich insofern, als eine völlige Entspannung nie schadet. Man kann sich gefahrlos der unteren Grenze nähern; sie fällt mit einer Grund(ent)spannung, einem Nullpunkt zusammen. Wir nähern uns dieser Grenze in der Ruhe, vollkommener im Schlaf und beim AT. Einem Krampf folgt meist eine Erschlaffung. Krampf und Erschlaffung liegen insofern dicht beieinander. Dieser Umschlag von einem Krampf in einen Kollapszustand kommt sowohl im Körperlichen als auch im Psychischen vor.

Nach körperlichen und seelischen Überforderungen ist der Schlaf oft »bleiern«, man wacht aus ihm »wie gerädert«, wie »zerschlagen« auf. Dieser Schlaf entspricht dann einer Erschlaffung, aus der man sich nur langsam erholt, im Gegensatz zum entspannten Normalschlaf. Zur irreversiblen Erschlaffung und damit zum Tode kommt es nach (manchmal bereits durchstandenen) Stresssituationen, wie bei Schiffbrüchigen, bei Unfällen im Hochgebirge u.Ä. »Physiologisch gibt es Krampf und Kollaps«, sagt Jaspers, »und die Gesundheit, die keines von beidem ist; in der Seele gibt es Verkrampfung und Schlaffheit, Eigensinn und Haltlosigkeit und das aufgeschlossene klare Wollen, das diesen Gegensätzen nicht verfällt. Aus den Polaritäten der Spannung und Lösung … entspringen die Bewegungen, die entweder abgleiten, sei es in Verkrampfung, sei es in Erschlaffung, oder die aus einer Spannung über eine Lösung in der jeweils gelingenden Synthesis zu neuer Spannung gehen.«6

Jeder Weg zu einer Synthese führt über eine Lösung, über eine Entspannung. Genau das ist der Weg des Autogenen Trainings. Droht die Gefahr einer Überspannung, so muss diese vorsorglich verhütet werden. Bereits vor über hundert Jahren hat O. Vogt, der geistige Vorgänger von Schultz, auf den wir noch häufiger zu sprechen kommen, »prophylaktische Ruhepausen« in Form von Autohypnosen empfohlen, wenn es darum ging, das Anwachsen von Erregungen zu schädlicher Stärke zu vermeiden. Diesem Verfahren entsprechend wendet man im AT »vorsorgende Erholungen« an.

5. Die ganzheitliche Reaktion

Bei Menschen in einem starken Affekt (beispielsweise Wut) verändert sich der Gesamtzustand: der Herzschlag wird kräftiger, schneller, der Blutdruck steigt an, der hormonale Apparat stellt sich um (Adrenalinausschüttung), die Körpermuskulatur ist angespannt, insbesondere die mimischen Muskeln, die Bewegungen sind ruckweise, brüsk, massiv. Das Verhalten dieses Menschen zeigt eine Widerspiegelung seiner Gesamtspannung: im Verhalten der Muskeln, der vegetativen Funktionen und im affektiven Spannungsgrad. All dies ist in der anliegenden Abbildung 1 veranschaulicht7. Alle Funktionen sind dabei immer aufeinander bezogen – der Mensch reagiert als einheitliches Ganzes.

Untersuchungen an Konstitutionstypen ergaben, dass Muskeltonus, Bewegungsabläufe und anschließende Entspannungsfähigkeit zusammenhängen. Diese Untersuchungsergebnisse fanden ihren Niederschlag im Psychophysischen Gesetz: »Die konstitutionstypischen Tonusregulierungen der willkürlichen Muskulatur, des vegetativen Systems und des psychischen Affektablaufes stehen mehrfach in korrelativem Zusammenhang.«8 Uns kommt es hier zunächst auf die wechselseitigen Beziehungen dieser verschiedenen Funktionen an. Verändert sich in diesem Beziehungsfeld eine Funktion, so verändern sich die anderen auch, und zwar gleichsinnig.

In der älteren Hypnose- und Suggestionstherapie sprach man zuerst die Psyche an, zumindest vorwiegend, denn es gab keine systematische Anwendung der Hypnose. Diese schwankte in Form, Inhalt und Effekt je nach dem Hypnotiseur, der sie anwandte. Über die psychischen Funktionen wirkten sie auf das vegetative System oder auf den Muskelapparat ein.

Eine Reihe von psychotherapeutischen Verfahren aus neuerer Zeit beschreiten den umgekehrten Weg. Man geht von Muskelveränderungen aus und erreicht damit eine Umschaltung im vegetativen und psychischen Bereich. Diesen Weg geht auch das Autogene Training (ebenso wie die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, s. Kap. 31, 1a). Es werden die Skelettmuskeln und die Blutgefäßmuskeln entspannt, damit wird eine Gesamtentspannung, eine Gesamttonusregulierung des Menschen erreicht.

2. KapitelDas Konzentrative

1. Die Verwendung des Begriffs bei J. H. Schultz

Der Untertitel des Standardwerkes von Schultz über das Autogene Training lautet: Konzentrative Selbstentspannung. Wie ist es dazu gekommen, und wie ist das »Konzentrative« zu verstehen? In einer ersten Mitteilung 19261 spricht Schultz von »Autogenen Organübungen« und schließt mit den Worten: »Das prinzipiell Neue an dem Verfahren ist die systematische physio-psychologisch-rationell übende Darstellung der selbsttätigen Umstellung sonst automatischer Funktionen und – m.E. hiermit wesensgleich – die gefahrlose Darstellung autosuggestiv-echt-produktiver Versenkung.«

Drei Jahre später übernimmt Schultz2 den Vorschlag eines Mitarbeiters, von konzentrativen anstatt von autosuggestiven Vorgängen zu sprechen: »Es sollen die Erscheinungen der spezifischen Selbstumschaltung als ›konzentrative‹ schon dem Namen nach von den allgemeinsuggestiven geschieden werden.« Es wird also der Ausdruck »allgemeinsuggestiv« für fremdsuggestive Vorgänge benutzt, während die Bezeichnung »konzentrativ« für autosuggestives Geschehen steht. Wir kommen auf diese Dinge später ausführlich zu sprechen. Schultz hat, um der neuartigen Verwendung autosuggestiver Vorgänge Rechnung zu tragen, diese philologische Korrektur angebracht. In seinem Hauptwerk taucht der Begriff der »Suggestion« selten auf; er wird ausschließlich für die »interindividuellen Probleme«3, also für die Fremdsuggestion (Heterosuggestion) reserviert.

Die meisten Hinweise auf autosuggestive (= konzentrative) Wirkungen findet man im Hauptwerk von Schultz unter dem Stichwort »Konzentrationslehre«4. Konzentrations- und Suggestionswirkungen sind im Autogenen Training unlösbar miteinander verschränkt.

Abb. 1: Die Wutreaktion mit ihren neuronalen und hormonalen Anteilen und Verbindungen (nach Netter)

2. Die Konzentration

Unter Konzentration wird im Allgemeinen die aktive Hinwendung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte verstanden.

Diese Aktivität äußert sich stufenweise, und zwar in »Aufmerksamkeit, Anstrengung und Wille«5. Die Aufmerksamkeit ist ein »aktiver selektiver Aspekt der Wahrnehmung«, d.h. sie wendet sich einem Objekt zu unter bewusster Ausschaltung alles dessen, was nicht zu diesem Objekt gehört. Die Aktivität der Aufmerksamkeit spiegelt sich wider in Ausdrücken wie »gespannte Konzentration« oder »scharf nachdenken« oder »die Schärfe der Aufmerksamkeit« (Vigilanz).

Es gibt aber auch Zustände von Aufnahmebereitschaft, bei denen die Aktivität im Sinne einer gesteuerten Aufmerksamkeit und willkürlichen Wahrnehmung nur eine minimale Rolle spielt. Ähnlich unterscheiden die Franzosen bei der akustischen Wahrnehmung zwischen »écouter«, dem aufmerksamen Zu- und Hinhören, und »entendre«, dem diffus-passiven Wahrnehmen eines akustischen Reizes. Noch deutlicher ist es im Italienischen, das »ascoltare« im selben Sinne wie »écouter« verwendet, im Gegensatz zu »sentire«, das nicht nur hören, sondern auch ganz allgemein fühlen bedeutet, also einer passiven Wahrnehmung entspricht. Man spricht auch von einer gleichschwebenden Aufmerksamkeit, nach Freud eine »möglichst vollständige Unterbrechung alles dessen, was gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht«6. Gleichschwebende Aufmerksamkeit, die sich beim Analysanden entwickeln soll, bezieht sich auf alles, »was er in seiner Selbstbeobachtung erhascht, mithin Anhaltung aller logischen und affektiven Einwendungen, die ihn bewegen wollen, eine Auswahl zu treffen«.7 Diese Art der Aufmerksamkeit entspricht einer passiven, nicht willkürlichen, diffusen Wahrnehmungshaltung, bei der Objekte der Außenwelt (zufällig) auffallen, ins Auge fallen – intrapsychisch gesehen: einfallen.

Auf der einen Seite dieser gegensätzlichen Arten der Aufmerksamkeit steht die Konzentration im Sinne eines gespannten Vorganges, einer willkürlichen Zuwendung, die auf einen Punkt ausgerichtet, konzentriert ist. Sie ist einem Scheinwerfer vergleichbar8, mit dessen Hilfe die Dunkelheit bewusst punktuell ausgeleuchtet wird, unter Beiseitelassen unerwünschter Objekte. Auf der anderen Seite steht die passive, eher diffuse Aufmerksamkeit, die über dem gesamten Wahrnehmungsfeld schwebt, und die im Unterschied zum Punktscheinwerfer eher einer Kerze vergleichbar ist, deren Licht den gesamten Umkreis erhellt, spärlich zwar, dafür jedoch alle Objekte ausnahmslos miteinschließend. Selbstverständlich ist auch diese Art der Aufmerksamkeit nicht gänzlich ohne Aktivität und Spannung.

Im angloamerikanischen Schrifttum benutzt man Ausdrücke wie »concentration without effort« (Brown) oder einfach »relaxation«; im Französischen »Autohypnose« (Bonnet), »gesammelte Aufmerksamkeit bei minimaler Anspannung« (Baudouin) und »Aktiv-Relaxation« (Stokvis)9.

Die Verbindung zwischen Entspannung, schwebender Aufmerksamkeit und Autosuggestion ist für die meisten dieser Zustände bestimmend. Sie entsprechen alle der konzentrativen Selbstentspannung von Schultz10 oder sind ihr zumindest nahe verwandt.

Der Ausdruck konzentrativ ist auch für andere Behandlungsmethoden übernommen worden (z.B. konzentrative Bewegungstherapie); meistens wird ihm dieselbe Bedeutung wie im AT zugelegt, nämlich die selbsttätige entspannte Zuwendung zu einem Vorgang11.

3. KapitelDas Training

1. Das Lernen

Trainieren ist modern. Überall wird heute trainiert: vom sportlichen Training über das Autogene Training bis zum Intelligenz- und Kreativitätstraining (dem Einüben einer »produktiven Bewältigung neuer Aufgaben«). Das Wort Training ist nach Schultz »philologisch tadelnswert«. Er definiert es als ein »selbstgestaltendes systematisches Üben«1.

Üben und Trainieren gehören in die übergeordnete Rubrik der Lernprozesse, wobei Lernen identisch ist mit dem Erwerb neuer Verhaltensmuster, die mit den angeborenen und bereits erworbenen Verhaltensweisen verschmelzen. Mensch und Tier sind darauf angewiesen, dauernd zu lernen, um sich an ihre Umgebung anzupassen. Ohne diesen Dauerprozess ist ein Überleben unmöglich.

Die gut gesicherten Lerngesetze beruhen zum großen Teil auf Tierversuchen. Von dieser allgemeinen Lerntheorie wird in den folgenden Abschnitten häufig die Rede sein.

Darüber hinaus wird aber, wenn vom AT und dessen Lernvorgängen gesprochen wird, das Lernen im Sinne einer speziellen menschlichen Lerntätigkeit betrachtet, in der die Aneignung von Wissen und Können erfolgt. Dieses Lernen erfolgt, im Gegensatz zum Lernen des Tieres, bewusst. Es führt nicht nur passiv zu einer Anpassung an bestehende Verhältnisse, sondern kann auch auf deren Veränderung abzielen.

2. Die Assoziation

Zum Lernen gehört Gedächtnis. Die Suche nach einem Gedächtnisinhalt wird erleichtert, wenn wir uns an Eindrücke erinnern, die mit dem Gesuchten im Verhältnis der Ähnlichkeit, des Gegensatzes oder der räumlichen und zeitlichen Nähe (Kontiguität) stehen. Diesen drei »primären Assoziationsgesetzen«2 wurden später »sekundäre Assoziationsgesetze« hinzugefügt. Sie betreffen3: die Dauer des ursprünglichen Eindrucks; seine Lebhaftigkeit; die Häufigkeit seiner Wiederholung; seine Frische; das Fehlen konkurrierender Eindrücke; konstitutionelle Unterschiede der Eindrucksempfänger; deren jeweilige Gemütslage; deren körperlichen Zustand und deren Lebensgewohnheiten.

Die Assoziationsgesetze betreffen nicht nur Begriffe, sondern (in viel höherem Maße) Vorstellungen, die aus sämtlichen Sinnesgebieten stammen können.

Die in den »sekundären Assoziationsgesetzen« festgelegten Faktoren finden sich beim AT alle wieder; ihre Bedeutung entspricht der Reihenfolge ihrer Aufzählung. Im AT werden alle Eindrücke, solche der Eigenerfahrung bei den Übungen wie auch solche, die vom Trainingsleiter oder von einzelnen Gruppenmitgliedern stammen, assoziativ verarbeitet und als Grundlage für die nächste Übung verwertet.

3. Die bedingten Reflexe

Der russische Physiologe Ivan P. Pawlow führte 1897 ein Experiment durch, das die gesamte Lernpsychologie umgestaltete. Er verlegte bei einem Hund operativ den Ausführungsgang der Speicheldrüse nach außen und konnte so die Speichelmenge messen, die beim Fressen sezerniert wurde. Dieser Vorgang der Speichelsekretion beim Fressen beruht auf einem angeborenen Reflex des autonomen Nervensystems; er ist unbedingt und unkonditioniert. Wenn man neben dem Hund in dem Augenblick, in dem er sein Futter bekommt, eine Lampe anzündet (oder eine Glocke ertönen lässt) und den Vorgang mehrere Tage wiederholt, so wird beim Anzünden der Lampe Speichel abgesondert, auch wenn kein Futter mehr gegeben wird. Das Aufleuchten der Lampe führt zu einem bedingten Reflex, entstanden durch die Koppelung von unbedingtem Reflex und bedingendem Reiz. Ein solcher bedingter Reflex ist jedem Menschen bekannt, der (besonders bei Hunger) sich Speisen vorstellt oder sogar nur ein Bild mit Speisen sieht, und dem dann »das Wasser im Munde zusammenläuft«.

Ein Lernen, das den Pawlowschen bedingten Reflexen folgt, bezeichnet man als »klassische Konditionierung«.

Beim AT laufen eine ganze Reihe von Reaktionen nach der Art bedingter Reflexe ab. So kann man das Erlernen des AT, besonders einleuchtend an der Wärme- und Schwereübung, mit der Etablierung neuer bedingter Reflexe gut erklären. Auch unerwünschte Nebenwirkungen entstehen auf die gleiche Weise (Fehlkonditionierungen). Das gesamte AT mit bedingten Reflexen erklären zu wollen, wäre dagegen eine konstruktive Überspitzung. Dagegen spricht eindeutig das Prinzip der Absicht und der Erwartung, das vom AT nicht zu trennen ist, und es kommen weitere lerntheoretische (Generalisierung, Modellernen) sowie andere Prinzipien (Suggestion) hinzu (s.u.).

4. Die operante (instrumentale) Konditionierung

Man kann den Versuch von Pawlow ergänzen4: Das Anzünden der Lampe bei einem hungrigen Tier wird mit einer zusätzlichen Betätigung (auf einen Hebel drücken, auf ein Brett treten u.Ä.) gekoppelt, die erst dem Tier seine Nahrung verschafft.

In diesem Fall ist die assoziative Verbindung von Reiz, dem Wunsch nach Reizbefriedigung und dem dazu führenden Akt ohne auslösende Reizsituation (Anblick der Nahrung) gegeben. Da bei dieser Art der Konditionierung kein unbedingter Reiz mehr vorhanden ist, spricht man von operanter bzw. instrumentaler Konditionierung.

5. Lernen am Erfolg

Beim Lernen am Erfolg unterscheidet man zwischen fördernden und hemmenden Vorgängen: Eine Verstärkung des Verhaltens in Tierversuchen wird erreicht durch Belohnung (meist Futter) bei richtigem und Strafe (z.B. ein elektrischer Schlag) bei falschem Verhalten.

Ein wichtiges Verstärkungsmittel ist das Lernen in kleinen Schritten:

Ein Erfolgserlebnis wird häufiger erfahren.

Man beschleunigt das Lerntempo, wenn man dem Ziel näherkommt oder näherzukommen glaubt (»antizipatorische Zielreaktion«).

Die Übersicht und damit die Beherrschung eines kurzen Lernvorganges gelingt besser.

Durch Generalisation bzw. Transfer (siehe dort) wird das Erlernen der nächsten Stufe (beim AT die Realisierung der nächsten Formel) erleichtert.

Außerdem wird die Aufmerksamkeit beim Üben in kleinen Stufen bzw. kurzen Zeitintervallen10 nicht strapaziert.

Je kürzer die Zeiten zwischen Reaktion und Erfolgserlebnis sind (man denke ans Scheibenschießen), umso mehr wird pro Zeiteinheit gelernt. Auf diesem Gesetz beruht die Schwierigkeit, aus der eigenen Lebenserfahrung zu lernen: wenn sich die Konsequenzen unseres Tuns nach oft längerer Zeit einstellen, lässt sich die Originalsituation unseres Handelns manchmal nur schlecht rekonstruieren11.

Ein schnell sich einstellendes, oft überraschendes Erfolgserlebnis vermittelt der Pendelversuch (siehe Kap. 14, 1). Man sollte ihn vor Beginn eines AT-Kurses von jedem Übenden ausführen lassen.

Die Verstärkung kann primär sein, d.h. im Lernakt selber liegen, z.B. in der eben besprochenen Kürze des Lernaktes. Erfolgt die Verstärkung von außen her, so bezeichnet man sie als sekundär.

Die sekundären Verstärkungen sind meist wichtiger als die primären, man denke an Belohnung und Bestrafung bei der Kindererziehung. Beim AT wird vorzugsweise mit positiver Verstärkung gearbeitet. Der Belohnung entspricht hier die Anerkennung – durch den Trainingsleiter, durch Gruppenteilnehmer –, wobei diese Anerkennung eine höhere Zuwendung, eine Zunahme des Prestiges des Teilnehmers, eine Anerkennung seiner Ehrlichkeit (z.B. beim Eingestehen eines Misserfolges) sein kann.

Ein Beispiel für sekundäre negative Verstärkung ist die Kritik. Insbesondere innerhalb der Gruppe sollte diese mit Fingerspitzengefühl vorgenommen werden: Korrekturen, Verbesserungsvorschläge müssen die emotionale Abwehr des Übenden, müssen Protestreaktionen vermeiden. An jeder Reaktion, auch an einer falschen, sollte die Aktivität des Trainierenden, seine Bereitwilligkeit zum Lernen hervorgehoben werden. Meist lässt sich dabei auch ein positiver Aspekt entdecken, dessen Anerkennung wichtig ist: »mit Ihrer Schwierigkeit sind Sie bestimmt nicht der Einzige«; »es ist gut, dass Sie darauf zu sprechen kommen«; oder »aus negativen Erfahrungen lernt man meist mehr als aus positiven«. Diese Art der Verstärkung wird heute vielfach von den »Lernmaschinen« übernommen (z.B. im Sprachunterricht), die zusammen mit einer Teilanerkennung einen neuen Reiz auslösen.

Eingeständnissen wie beispielsweise dem folgenden: »Ich bin die letzten zwei Wochen überhaupt nicht zum Üben gekommen«, sollte man sofort nachgehen. Bei einem so »schwerwiegenden Vergehen« gegen die Regel in der Gruppe genügt es oft, die einfache Frage zu stellen: »Warum war das wohl so?«12, um den Betreffenden zu einem Bericht und damit zu einer Stellungnahme zu veranlassen und den Grund seiner mangelnden Motivationsfähigkeit deutlich werden zu lassen und möglicherweise abzubauen. Unbewusste Widerstände und Abwehrhaltungen, die den Entschluss zum Erlernen des AT durchkreuzen und stören, wird man gegebenenfalls in Einzelsitzungen klären müssen.

Sekundäre Verstärkungen (z.B. in Form äußerer Bestätigungen) sind vor allem beim Beginn des AT am Platze, wenn sich die primären Verstärkermechanismen (z.B. die Generalisierung) noch nicht auswirken.

Vorübergehendes Verschwinden eines bedingten Reflexes bezeichnet man als temporäre Hemmung (vgl. Kap. 3, 6 und 3, 10). – Sie tritt auf bei heftigen Affekten und bei aktuellen belastenden Situationen, etwa bei Lampenfieber und im Examen. Klagt der Neuling im AT darüber, das Üben gelinge gerade dann nicht, wenn man es am meisten brauche, wenn man unruhig, ängstlich, nervös oder erregt sei, wäre hierauf zu erwidern, dass die Meisterung von Belastungssituationen zu den Zielen des AT gehört und nicht an ihrem Beginn erwartet werden kann.

Beim Fehlen jeglicher Verstärkung nimmt die Reaktion auf einen Reiz langsam ab und erlöscht schließlich (Extinktion). Erloschene (vergessene) Reaktionen lassen sich übrigens wieder aktivieren. So kommt es vor, dass nach Jahren ein AT-Kurs von einem Teilnehmer wiederholt wird und dann besonders gut (durch bessere Motivierung) und besonders schnell (durch Reaktivierung des früher Gelernten) zum Ziele führt. Solche Wiederauffrischungssitzungen werden heute gern als (amerikan.) »booster sessions« oder Booster-Sitzungen bezeichnet. Es empfiehlt sich, Kursteilnehmer am Ende eines Kurses auf diese Phänomene aufmerksam zu machen, damit die Schwelle zu einem Auffrischungskurs gesenkt wird.

6. Das Orientierungslernen

Die Erwartung (expectation) steht im Mittelpunkt der Orientierungstheorie13. Danach ist das Agieren bzw. Reagieren eines Lebewesens von Erwartungen, d.h. von Zielvorstellungen her bestimmt.

Lernen heißt die Ergebnisse von Bewegungsabläufen vorwegnehmen (während nach der Verstärkungstheorie der Organismus die Bewegungsabläufe erlernt). Zu Beginn des Lernvorganges steht eine »Hypothese«14; das Lernen selbst ist die Verifizierung dieser Hypothese. Eine solche Erwartung kann sich auch hemmend auf den Lernvorgang auswirken, wenn nämlich eine neue Situation ein neues Verhalten erforderlich macht. Man spricht dann von »negativem Transfer«15.

Die antizipierende (also vorwegnehmende) Erwartung16 spielt eine große Rolle. Wir werden sie wiederfinden bei der Besprechung der Suggestion bzw. Autosuggestion, mit denen ja das ganze AT steht und fällt. Auch die sog. Vorsatzbildungen sind ohne eine antizipierende Erwartung nicht zu verstehen. Natürlich können sich falsche Erwartungen, Vorurteile, Vorbehalte, wie sie zu einem AT-Kurs oft mitgebracht werden, auf den ganzen Lernprozess im Sinne von Fehlerwartungen hemmend auswirken. Daher die Wichtigkeit der Grundsatzbesprechung durch den Trainingsleiter.

Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, dass eine Einsicht den Lernvorgang von Grund auf gestaltet.

Bei Versuchen mit Menschenaffen hat man festgestellt17, dass diese bei begrenzten Aufgaben einsichtiger Handlungen fähig sind: Außerhalb ihres Käfigs liegende Bananen holten sie beispielsweise mit Hilfe eines Stockes herbei, wobei hinzuzufügen wäre, dass »Werkzeuggebrauch« bei einigen Tieren bekannt ist, dieser jedoch durch operante Lernprozesse und Instinkte und nicht durch verstehende Einsicht gesteuert wird.

Beim AT verstärken Erwartung und Einsicht (insight) einander auf mehrfache Weise:

Je mehr wir vom Ablauf eines Geschehens wissen, je besser wir seine Modalitäten kennen, umso selbstverständlicher erwarten wir ihn. Ebenso wird durch eine hohe Erwartung die Einsicht gefördert. (Aussicht auf Futter z.B. macht Tiere erfinderisch.)

Je präziser das Ziel umrissen wird, desto deutlicher und intensiver werden die Erfolgserwartungen, die wiederum die Reaktion verstärken und damit die Einsicht (im weiteren Verlauf des Lernens) bestätigen.

Diese Erwartungen werden ebenfalls verstärkt, wenn die Grundlage, auf der sie sich abspielen, als gesichert und überzeugend angesehen wird. Diese Verstärkungsvorgänge sind gegeneinander nicht genau abzugrenzen, doch sollte eine Einsicht in Ziel und Grundlage möglichst vor Beginn des AT vorhanden sein; die Einsicht in den Ablauf wird sich im Verlauf des AT stufenweise von einer Übung zur anderen steigern.

Die Absicht (purpose) ist der dritte Begriff, der beim Orientierungslernen eine große Rolle spielt. Auch er lässt sich auf den bewussten AT-Lernvorgang anwenden. Das AT wird erlernt in der Absicht, ein neues Wissen zu erwerben, etwas abzuändern. Das ändert nichts daran, dass wir häufig Ziele nicht direkt (intentional) anstreben dürfen, um sie zu verwirklichen. Die Beharrlichkeit der Absicht hängt von der Motivation ab: der »spezifischen Logik der Erkenntnis des Seelischen«18.

7. Das Üben

Der Mensch ist weit weniger als das Tier an artmäßig festgelegtes Verhalten (Instinkte) gebunden. Jeder Einzelmensch kann individuell die verschiedensten Verhaltensweisen erlernen. Dieses Lernen ist – je jünger der Mensch, umso stärker – identisch mit sozialer Prägung, mit Anpassung an die mitmenschliche Umwelt.

Ist das Tier an seine Instinkte gebunden, so ist der Mensch nicht weniger durch seine soziale Prägung festgelegt. Fast alle unsere übernommenen Verhaltensweisen sind erlernt, erworben. Von ihnen sagt Goethe: »Und so vererben sich Gesetz und Recht wie eine ew’ge Krankheit fort.«

Durch dauernde Wiederholungen werden unsere übernommenen Verhaltensweisen zu Gewohnheiten. Sowohl deren Erwerb als auch die Gewohnheiten selber sind uns kaum bewusst, d.h. wir bemerken ihren Ablauf kaum noch, es sei denn, wir werden durch irgendeinen Umstand darauf hingewiesen.

Eine einzigartige Möglichkeit jedoch unterscheidet den Menschen von allen übrigen Lebewesen. Im Verlauf seines individuellen Reifungsprozesses, schon im dritten oder vierten Lebensjahr beginnend, kann der Mensch auf Grund einer erwachenden und ständig zunehmenden Bewusstheit Stellung zu seinem Verhalten beziehen. Das Tier verhält sich nur zu seiner Umwelt; für den Menschen dagegen kann sein Verhalten Gegenstand seiner Einsicht und somit einer neuen Verhaltensform werden. Der Mensch kann sein Verhalten, so wie er sich, rein visuell, in einem Spiegel betrachten kann, geistig zurückspiegeln, er ist der Reflexion fähig. Aufgrund dieser Fähigkeit zur Selbstreflexion kann er seine Verhaltensweisen überprüfen, auswählen, sich zu einer Abänderung oder zum Erlernen neuer Verhaltensweisen entschließen, die seinem individuellen Wesen gemäßer sind als die übernommenen.

Zum Training gehört das systematische Wiederholen. Durch das Wiederholen summieren sich die Verstärkungen des Einzelaktes beim Lernen. Gehen wir von der Betrachtung rein körperlichen Trainings aus, so denkt man zunächst an sportliche Leistungen, die sich durch ein Höchstmaß an Übung erreichen lassen.

Im geistigen Bereich gilt der Wiederholungseffekt ebenfalls. Das betrifft ganz besonders den hier interessierenden Bereich der Versenkung und Meditation. Buddhistische Mönche sollen ein bestimmtes Objekt (Kasina) »hundert- oder tausendmal oder noch öfter« betrachten19; oder eine Gebetsformel (Mantra) soll dreißigtausendmal wiederholt werden. Übrigens findet sich ein Ansatz zu einer derartigen Praxis, den Möglichkeiten des Abendländers angepasst, beim Beten mit dem Rosenkranz; und, um auf unser eigentliches Anliegen zu kommen, das AT wird ja täglich dreimal, im Verlauf eines Jahres also tausendmal und öfter wiederholt – bei den erfolgreich Praktizierenden zumindest.

Genie, heißt es bei Goethe, sei auch Fleiß (wenn auch sicherlich nicht nur Fleiß); eines aber ist sicher: Den oft blitzartigen Erkenntnissen von Philosophen und Wissenschaftlern und den Erleuchtungen meditierender Mönche geht ein oft jahrelanges, immer wiederholtes Sich-Beschäftigen mit einem Problem voraus.

Aus der Psychotherapie ist der Vorgang des Übens nicht wegzudenken. Unter dem Stichwort: »Übende Verfahren«, die noch in aktive und passive Verfahren unterteilt werden20, findet man verschiedenste Praktiken. Die Ansatzpunkte dieser Verfahren sind sehr verschieden: teils vom Körperlichen her (wie bei der Gymnastik), teils vom Vegetativen (wie z.B. beim AT), teils vom Psychischen (z.B. bei der Verhaltenstherapie). Zwei Formen der Psychotherapie, die auf den ersten Blick hin mit Übung wenig zu tun haben, kommen ohne das Wiederholungsprinzip ebenfalls nicht aus. Ich meine die Hypnose und die Psychoanalyse:

Bei der Hypnose wurde das hypnotische Einüben neuer Verhaltensweisen entwickelt, als man sich von der primitiven autoritär angewandten Überrumpelungshypnose abwandte (die häufig nur ein oder wenige Male angewandt wurde) und die Hypnose zu einem wissenschaftlichen Instrument machte21. Um die Jahrhundertwende wurde die medizinische Serienhypnose entwickelt, wobei Serien von 40 bis 60 Behandlungen üblich waren.

In seinem Artikel »Erkennen, Wiederholen, Durcharbeiten«22 hat Freud das Wiederholungs- und Verstärkungsprinzip auch für die Psychoanalyse herausgestellt. Es ging ihm dabei jedoch nicht (wie oft missverständlich angenommen wird) um das übende Wiederholen, sondern Wiederholen hat in diesem Zusammenhang eine völlig andere Bedeutung, auf die hier jedoch nicht eingegangen werden muss.

Die Auswirkungen des Trainings, also eines immer wiederholten Übens, sind folgende:

Die erwartete Wahrnehmung eines Formelinhaltes, die häufig zunächst nur angedeutet ist, gewinnt durch die Wiederholung immer mehr an Intensität und Deutlichkeit.

Diese kann jedoch – eine der üblichen Feststellungen – von einer Übung zur anderen stark schwanken, eine Schwierigkeit, die im Laufe der Zeit immer mehr abnimmt; das heißt, dass außer der Intensität durch die Wiederholung auch die Gleichmäßigkeit der Ergebnisse zunimmt.

Auch die Zeit, in der die Umschaltung gelingt, verkürzt sich durch die Wiederholung. Eine neu zu erlernende Übung braucht meist wesentlich mehr Zeit als eine Übung, die schon länger geübt wird.

Hand in Hand damit stellt sich auch eine geringere Störbarkeit ein, sowohl bei äußeren Reizen als auch durch eigene störende Gedanken und Vorstellungen. Die Übenden berichten, sie könnten sich besser konzentrieren.

Aufgrund dessen gelingt das AT auch unter erschwerenden Bedingungen: Es kann beispielsweise in einer Arbeitspause schneller auf das AT »umgeschaltet« werden; es lässt sich besser »abschalten«.

Je stärker sich die Umschaltung durch dauernde Wiederholung einfährt, umso leichter läuft der Vorgang des AT ab: So berichten Übende manchmal schon nach ein bis zwei Wochen: »Ich brauche mich nur hinzusetzen, dann stellt sich Wärme und Schwere von selber ein, ich brauche nichts dazu zu tun.« Der Vorgang hat sich automatisiert. Alles Lernen führt nach einer dem Lernvorgang angemessenen Zeit zu einer Verselbständigung des Ablaufes.

Die Aufmerksamkeitsspannung nimmt dabei immer stärker ab. Es ist immer weniger innere Hinwendung, weniger Aktivität nötig, um die Umschaltung zu bewirken. Man denke an die Anstrengungen beim Fahrenlernen eines Autos oder beim Erlernen einer neuen Sprache, die durch die Übung auf ein Mindestmaß absinkt. Damit sinkt aber auch die Spannung, beim AT nicht nur die Spannung der Aufmerksamkeit, sondern auch die dazugehörige muskuläre und vegetative Spannung.

Die Automatisierung des Verhaltens, das Einüben, das Einfahren bedingter Reflexe ist für den Menschen unentbehrlich. Der überwiegende Teil unseres Verhaltens im täglichen Leben läuft danach ab. Wir sprechen dann von Routineverhalten, von Gewöhnung. Gewöhnungsvorgänge (Habits) spielen daher in der Lernpsychologie eine große Rolle. Diese Automatismen bekommen im Laufe der Zeit eine »reflexartige Selbständigkeit«23.

Hinzu kommt, dass die Ausübung von Gewohnheiten im Laufe der Zeit durch häufige Wiederholung zu einem Bedürfnis wird, ja sogar zu einem Zwang. Schultz stellt fest24, dass konsequentes Trainieren zu einem »erworbenen Vollzugszwang im normalen Seelenleben« wird. Eines seiner Beispiele: Fängt man an, einen Satz zu lesen, dann liest man ihn auch automatisch zu Ende.

Manche Übungen des AT führen zur Wiederentdeckung von Fähigkeiten, die wir im Verlauf unserer Stammesentwicklung schon einmal hatten und die uns verloren gingen.

Jedes Tier, soweit es durch Domestizierung nicht deformiert ist, kann sich völlig entspannen; es kann, sobald das Bedürfnis da ist, ohne Schwierigkeiten einschlafen; das autonome Zusammenspiel aller Funktionen verläuft beim Tier ungestört. Mit dem Erwerb des Bewusstseins und des reflektierenden Intellektes gingen dem Menschen Fähigkeiten verloren, die er nur mühsam wieder erwerben kann – durch Übung.

Vor Jahrzehnten zeigte der Meisterjongleur Rastelli folgende Übung: Auf der Bühne setzte er sich auf einen Hocker, hob Arme und Beine zur Waagerechten und ließ sich Bälle, etwa von Fußballgröße, darauflegen. Auf jedes seiner Gliedmaßen passten drei bis vier Bälle, dazu kam je einer auf Schultern, Nacken, Kopf und auf einen Stab, den er im Munde hielt. Es war ihm durch jahrelange Übung gelungen, sämtliche Körpermuskeln unabhängig voneinander reagieren zu lassen, ihre Funktionen autonom werden zu lassen und damit die Bälle im Gleichgewicht zu halten. In der nächsten Varieté-Nummer wurde ein Schimpanse auf die Bühne gebracht, genauso hingesetzt wie Rastelli, seine Arme und Beine in die Waagerechte gehoben, wo sie wie kataleptisch stehen blieben. Darauf wurde das Tier förmlich mit Bällen zugedeckt, die es im Gleichgewicht hielt und erst nach einer Weile, auf ein Händeklatschen des Dresseurs hin, zu Boden fallen ließ. Fazit: Was der Schimpanse noch konnte, konnte Rastelli wieder. Aufgrund jahrelanger Übung hatte er eine seiner verkümmerten urtümlichen Reaktionsweisen wiederentdeckt bzw. erneut entwickelt.

Man kann sagen, dass die Erfolge des AT vielfach auf einer Entwicklung ungenutzter bzw. verschütteter Möglichkeiten beruhen, die wir verspätet »nachentwickeln«.

Wir sprachen davon, dass das Kleinkind soziale Verhaltensweisen von der Umgebung übernimmt (ähnlich wie manche Tiere auf hoher Organisationsstufe). Der Abbau solcher eingefahrenen Verhaltensweisen, etwa im Dienste einer individuellen Selbstbestimmung, kann sehr schwierig sein. Je früher sie entstanden sind, umso mehr widerstehen sie ihrer Beseitigung. So meinte ein französischer Philosoph25, dass falsche Angewohnheiten dem Menschen im Laufe der Zeit zu lieben Angewohnheiten werden, also zu Angewohnheiten, müsste man hinzufügen, deren Beibehaltung bequemer ist als ihre Beseitigung. Alles Verhalten, was vom Kind (und nicht nur vom Kind) unbemerkt, unreflektiert übernommen und durch Wiederholung zur Gewohnheit wurde, lässt sich nur durch ein systematisches, konsequent durchgeführtes Üben beseitigen, d.h. durch einen Lernvorgang, der auf Grund einer Reflexion zielstrebig eingesetzt wird und der sich damit völlig vom Lernen des Tieres und auch des Kleinkindes unterscheidet. Die Fähigkeit jedes Kleinkindes beispielsweise, sich mühelos zu entspannen (ebenso gut wie Hunde und Katzen), wird ihm aberzogen. Die einseitige Erziehung zu nur reflektierendem Denken oder zu hochgeschraubtem Leistungswillen lässt die kindliche Fähigkeit verkümmern im Sinne einer Überanpassung an gesellschaftliche Forderungen und zuungunsten individueller Möglichkeiten.

Die Anwendung des AT bedeutet daher letzten Endes ein Entüben26 von übernommenen Verhaltensweisen, die uns anerzogen wurden, die uns jedoch bei unserer individuellen Entwicklung hinderlich sind. Autogen trainieren ist in diesem Falle gleichbedeutend mit lebenslanger Selbstentwicklung.

8. Das Lernen am Modell (Beobachtungslernen)

Es geschieht nicht selten, dass Wissenschaftler sich mit ganz speziellen Fragen beschäftigen und darüber naheliegende, womöglich seit alters bekannte Dinge vergessen. So vergingen fast hundert Jahre wissenschaftlicher Psychologie, bevor darauf aufmerksam gemacht wurde27, dass sowohl Menschen als auch Tiere durch bloßes Beobachten fremden Verhaltens lernen können (observational learning) und sogar solche beobachteten Verhaltensweisen nachahmen: »stellvertretendes Lernen« (vicarious learning).

Jeder Mensch weiß, dass man »mit den Augen stehlen« kann, womit laut Sprachgebrauch das Sich-vertraut-Machen mit fremden Verhaltensweisen gemeint ist. Gerade Kinder überraschen immer wieder mit Fertigkeiten, die sie nur durch Zuschauen gelernt und übernommen haben können. Der bekannteste Vorgang dieser Art ist die Übernahme des elterlichen Verhaltens bei der Kindererziehung.

Für die Übernahme von Verhaltensweisen ist das Erlernen des AT in einer Gruppe besonders geeignet. Vom Übungsleiter wird diese Lernmethode gezielt eingesetzt beim Vorführen und Bewusstmachen einzelner Verhaltensweisen.

9. Zusammenfassung: Die drei »ehernen« Lerngesetze

In der Lerntheorie haben sich heute von den geschilderten die folgenden drei Modelle durchgesetzt:

Das klassische Konditionieren (Pawlow)

Das operante Konditionieren (Thorndike, Skinner)

Das Modelllernen (Bandura)

Die anderen dargestellten Lernformen werden als mehr oder weniger durch diese Modelle miterklärt aufgefasst. Es gibt auch divergierende Ansichten, nach denen insbesondere das Üben (und das Einsichtslernen) durch diese Einteilung unterbewertet wird, auf dessen Wichtigkeit für das AT schon eingegangen wurde. Einigkeit besteht in der aktuellen Lerntheorie, vor allem in ihrer Anwendung als Verhaltenstherapie, darüber, dass diese Modelle auch für kognitive Prozesse und nicht nur für das beobachtbare Verhalten gelten. Generell liegt in der zeitgenössischen Verhaltenstherapie seit Mitte der achtziger Jahre ein starker Akzent auf Wahrnehmung und Veränderung von Kognitionen (innere Abläufe von Reflexionen und Wahrnehmung). Das AT fügt sich hier mit seiner Betonung der Enterozeption (Wahrnehmung von Körperempfindungen; Sherrington 1911) mühelos ein.

10. Der Lernverlauf

Die klassische Lernkurve: Die Lernkurven wurden vor fast hundert Jahren in die Psychologie eingeführt28. Man ließ sinnlose Silben lernen und stellte, je nach dem Grade der behaltenen bzw. vergessenen Silben, eine »Vergessenskurve« auf29. Wiederholt man die einzelnen Lernübungen häufig genug, so entsteht, graphisch gesehen, eine S-Kurve (Abb. 2). Im ersten Teil der Kurve steigt die Anzahl der behaltenen Silben langsam, dann immer schneller (positive Beschleunigung); im zweiten Teil der Kurve nimmt die Anzahl der behaltenen Worte wieder stetig ab (negative Beschleunigung).

Abb. 2: Die klassische S-förmige Lernkurve

Individuelle Variationen: Die klassische S-Kurve findet man bei allen Lernvorgängen, doch sind die verschiedensten Variationen dieses Grundmodells möglich: Manche Menschen lernen schnell (steiler Verlaufstyp der Kurve), manche langsam (flacher Typ), manche lernen gleichmäßig, manche lernen ungleichmäßig, manche starten langsam, andere schneller.

Intelligenz und eine mittelstarke Motivation fördern den Lernprozess. Bei schwacher Motivation lernt man langsamer, ebenso bei zu starker (Desorganisation des Verhaltens). Auf das AT angewandt würde das heißen, dass ein mittelstarker Leidensdruck, verbunden mit der Einsicht von der Notwendigkeit einer Behandlung, das Lernen optimal gestaltet. Befindet sich jemand in einem heftigen Konflikt, so wird er mit dem AT nicht zurechtkommen. Das Gleiche gilt aber auch für Menschen, deren Motivation zu vordergründig ist und die sich wenig engagieren.

Die häufigste Kurvenform: Eine Kurve, in der der erste Teil des Grundmodells (die nach oben konkave Biegung) fehlt, kommt am häufigsten vor. Das kann mehrere Ursachen haben: Man beginnt mit Vorkenntnissen. Man ist zum AT bereit oder lässt sich schnell von der Notwendigkeit einer AT-Anwendung und der Brauchbarkeit der Methode überzeugen. Der Anfangsteil der S-Kurve tritt auch bei guter Übertragungs- und Generalisationstendenz (im allgemeinen psychologischen Sinn) stark zurück. Verlängert wird der erste Kurventeil bei geringer Intelligenz, bei völlig mangelnden Vorkenntnissen und insbesondere bei Skepsis oder Angst.

Die Plateaubildung: Bei manchen Kurven kommt es zu einer Stufenbildung: Die ansteigende Kurve verläuft (einmal oder mehrmals) flacher bzw. horizontal (d.h. ohne Lernerfolg), um dann wieder anzusteigen (Abb. 3). Man deutet diese Stufen mit der Notwendigkeit des Lernenden, das bereits Gelernte von Zeit zu Zeit zu integrieren, bevor Neues wieder aufgenommen wird. Derselbe Effekt tritt auf bei der Umstellung von einer Arbeitsmethode auf eine andere.

Abb. 3: Stufenförmige Kurve.

Im AT entstehen die Stufen oft bei Beginn einer neuen Übung

Beim AT findet man diesen vorübergehenden Lern-Stopp beim Übergang von einer Stufe zur anderen, so z.B. beim Übergang von der Schwere zur Wärme oder von einem Organ zum anderen, ein Vorgang, der beim Lernenden mit einer inneren Umstellung verbunden ist.

Das Ausklingen der Lernkurve in ein Finalplateau kommt zustande, wenn der zu lernende Stoff beherrscht wird oder das durch die Motivation angestrebte Ziel erreicht ist. So kann es bei einem niedrig gesteckten Ziel schon recht schnell zu einem Finalplateau kommen.

Die Bajonettkurve ist eine von Schultz beschriebene Sonderform des Lernverlaufes. Sie geht noch über das hinaus, was der Plateaubildung zugrunde liegt. Sie zeigt nach guten Anfangserfolgen eine rückläufige Tendenz (Abb. 4). Über das Zustandekommen dieser Verlaufsart schreibt Schultz30: »Unbefangen und entweder durch die Sensation des Neuen angeregt oder durch die Naivität weniger gehemmt und unsicher, produzieren vielfach VP (Anm. Versuchspersonen), besonders leicht neurotischer Art, einen sehr guten Anfangseinsatz, dem dann nach ein, zwei oder drei Wochen ein deutlicher Rückschlag folgt; erst nach dessen Überwindung setzt dann der ganz reguläre und gleichmäßige Übungsfortschritt ein.«

Abb. 4: Bajonettkurve nach Schultz

Der tote Punkt der Kurve wird nach meiner Erfahrung durchschnittlich von 20 Prozent aller Teilnehmer nicht überwunden. Sie geben auf. Das Neue, Interessante der ersten Stunde, die ungewohnte Gruppensituation, die oft erhöhte Suggestibilität, die überzeugende oder auch suggestive Wirkung der Argumente des Gruppenleiters lassen in der ersten Stunde deutliche, teilweise überraschende Erfolgserlebnisse beim einzelnen Gruppenteilnehmer entstehen. Es entsteht der Eindruck, das AT sei »kinderleicht«, man brauche es gar nicht zu üben; andere empfinden das häufige Wiederholen einer so einfachen Sache als »zu simpel«; wieder andere erliegen dem Trägheitsgesetz und verhalten sich wie jene Zuckerkranken, die erst zwei Tage vor der nächsten Untersuchung ihre Diät einhalten (oder ihren Urin mit Wasser mischen), um den Arzt nicht zu »kränken«. Nach zwei, drei Wochen Training gibt es immer eine mehr oder minder ausgesprochene Alternative: Entweder man nimmt das AT ernst und übt, oder man gibt auf.

Der Evidenzknick ist durch eine Kurve gekennzeichnet, die langsam ansteigt, um dann plötzlich schlagartig mit einem Knick in eine Vertikalbewegung umzuschwenken, nach der es zu einem Finalplateau mit der Beherrschung der AT-Anwendung kommt (s. Abb. 5).

Abb. 5: Der Evidenzknick

Das Ungewöhnliche an dieser Kurve, der Knick, ist bedingt durch eine plötzlich sich einstellende Motivation, einer schlagartig auftretenden Evidenz (»aha-Erlebnis«) von der sachlichen Richtigkeit des ganzen Verfahrens oder der Notwendigkeit seiner Anwendung an der eigenen Person. Oftmals hat man dabei auch den Eindruck, dass durch regelmäßiges Üben des AT die Entspannungsreaktion auf physiologischer Ebene längst vorgebahnt ist, jedoch aus unterschiedlichen Gründen noch nicht zugelassen oder wahrgenommen werden kann. Relativ geringe Änderungen der Übungsbedingungen können plötzlich zu intensivem Schwere- oder Wärmeerleben mit der Folge des genannten Aha-Erlebnisses führen. Ähnliche Zusammenhänge dürften dem Phänomen zugrundeliegen, dass bei anfänglich unbefriedigendem Lernerfolg, z.B. nur geringer Realisation von Schwere, diese beim Übergang zur Wärmeübung wie von selbst auftritt, als ob eine unsichtbare Blockade gelöst wäre. Diese plötzlichen Übungserfolge sind immer wieder auch beim Übergang von einer Organübung zur anderen festzustellen.

Tendenziell scheinen von solchen stufenförmigen Lernverläufen besonders zwanghaft und ängstlich strukturierte Persönlichkeiten betroffen.

11. Lernprozesse im AT: ein Rationale in acht Thesen

Der heutige Stand soll in acht Thesen dargestellt werden:

Alles übende Lernen ist durch anerkannte Lerngesetze beschreibbar.

Das AT folgt als übendes Verfahren den gleichen Gesetzen.

Das Üben des AT zielt auf die willentliche (intentionale) und kontrollierte Auslösung einer Entspannungsreaktion ab.

Eine wichtige Rolle spielen dabei enterozeptive (= körperliche Vorgänge wahrnehmende) Rückkopplungen (feedback).

Das AT kann damit als eine Konditionierung psychovegetativer Abläufe (körperlicher Entspannungseffekt) und ihrer Generalisierung in den psychischen Bereich (psychischer Entspannungseffekt) verstanden werden.

Die Rückkopplung des Entspannungserlebens führt zu einer Veränderung von Selbstwahrnehmung, Selbsterleben und sog. Kontrollüberzeugungen.

Der körperliche Entspannungseffekt geht dem psychischen voraus. Beide sind in ihrer Intensität abhängig vom Ausmaß des Übens (= Konditionierens).

Neben den etablierten Lerngesetzen kommt beim AT eine Reihe anderer Faktoren hinzu (Beziehung zum AT-Lehrer, Suggestion, Motivation, Intention u.a.), die den eigentlichen Lernprozess jeweils fördern oder erschweren.

Die Verhaltenstherapie tut sich insgesamt schwer mit dem AT, obwohl viele Zusammenhänge (bei der Anwendung des AT) vor dem Hintergrund lerntheoretischer Erkenntnisse leichter zu begründen sind als durch andere Modellvorstellungen. Möglicherweise ist es die Rolle der Autosuggestion und der Bewusstseinsveränderung beim Üben, die für die klassische Verhaltenspsychologie, die sich als ein besonders rational fundiertes Verfahren versteht, »keinen guten Stallgeruch« hat. Beide lassen sich aber mühelos in die gelernte Auslösung von Entspannung einbeziehen (s. Kap. 31, 3c). Seit den neunziger Jahren wird das AT allerdings eher von der Verhaltenstherapie »nostrifiziert« und als auf komplexen, kognitive Vorgänge einschließenden, Verhaltensmodifikationen beruhendes Verfahren anerkannt31.

12. Zur theoretischen Basis des AT: eine Stellungnahme

Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass wir die theoretische Erklärung des Erlernens und der Wirkung des AT als am stringentesten über Konzepte der Lerntheorie begründbar ansehen. Für eine Kombination beider Verfahren spricht viel (s. Kap. 31, 3c; auch Kap. 36 zur Abgrenzung). Dies rechtfertigt jedoch nicht die Vereinfachung, dass das AT deswegen ein verhaltenstherapeutisches Verfahren wäre. Wie an vielen Stellen ausgeführt, weist das AT eine breite konzeptuelle Herkunft auf, die mit den Begriffen Nervenheilkunde, Neurophysiologie, Hypnosepraxis, Suggestionstherapie, Reflexologie, Tiefenpsychologie und Kybernetik noch unvollständig umrissen ist. Von den meisten seiner wesentlichen Bearbeiter wurden der ganzheitliche Aspekt seiner Wirkung, die Mischung aus Enterozeption und Enteroaktion (hier: auf den Körper zielendes Handeln), seine Mittelstellung zwischen den subjektiven und objektivierbaren Verfahren, zwischen rationaler Begründbarkeit und sehr individuellen Auswirkungen auf die Gesamtpersönlichkeit betont.

Auch als Psychotherapie ist seine Stellung durchaus singulär hinsichtlich seiner komplexen Wirkungen. Sowohl die abwertende Etikettierung als »zudeckendes Verfahren« wie die idealisierend verkennende Aufwertung als »aufdeckendes Verfahren« gehen an seinem eigentlichen Gehalt vorbei.

Das AT ist ein originäres eigenständiges Verfahren.

4. KapitelDie Umschaltung

1. Die Umschaltung als psychophysisches Gesamtgeschehen

Im AT spielt die »Umschaltung« eine zentrale Rolle. Sie gehört zu den Schlüsselvorgängen und wird im Hauptwerk von Schultz dementsprechend oft erwähnt. Je nach den hinzutretenden definierenden Bezeichnungen werden verschiedene Aspekte der Umschaltung angesprochen. Ausdrücke wie das »konzentrative (›echt suggestive‹) Umschaltungserlebnis«1 oder die »autohypnotische« Umschaltung2 meinen vorwiegend die psychische Seite des Vorganges; die meisten Ausdrücke im Zusammenhang mit dem Begriff der Umschaltung verweisen jedoch auf das psychophysische Gesamtgeschehen: So spricht Schultz von der Eigenart des AT als »einer allgemeinsten organismischen Schaltreaktion«3 oder einer »Gesamtumschaltung durch das autogene Training«4 oder dem »cerebralen Gesamtvorgang der Umschaltung«5, und weiter heißt es, es bestehe »kaum ein Zweifel darüber, dass der Übungslauf des Trainings zu einer fortschreitenden, an bestimmte Apparate gebundenen, von physiologischen Momenten normaler und pathologischer Art abhängenden Umschaltung führt …«6. Das AT hat demnach einen psychischen Anteil, der sich von dem ihm entsprechenden physiologischen Ablauf nicht trennen lässt. In der heutigen Literatur wird für das psychophysische Gesamtgeschehen der Umschaltung verbreitet auch der Begriff der Entspannungsreaktion gebraucht.

Im Jahre 1902 wurde von Oskar Vogt das ›Journal für Psychologie und Pathologie‹ begründet. Die enge Koppelung der Psychologie mit der Neurophysiologie war damals bahnbrechend. Die neue Zielsetzung kommt auch in der Einleitung zur neuen Zeitschrift deutlich zum Ausdruck: »Der Parallelismus zwischen gewissen körperlichen und den psychischen Erscheinungen muss uns dazu führen, das Erkennbare an den psychophysiologischen Erscheinungen sowohl von der körperlichen (d.h. physiologischen und indirekt anatomischen) als auch von der seelischen Seite zu erforschen … Dabei müssen die Resultate der beiden Erkenntniswege sich gegenseitig fördern. Nur so werden wir uns dem Erkennbaren möglichst weit nähern.«7

Diese Zielsetzung ist heute, ein Jahrhundert später, aktueller denn je. Wir sind inzwischen in der Lage, auf neurophysiologische Vorgänge hinweisen zu können, die dem introspektiven Erleben des Entspannungsvorganges (sowohl beim AT als auch beim Einschlafen) entsprechen. Schultz spricht von »organismischem«, d.h. ganzheitlichem Geschehen. Nicht nur die Wissenschaft profitiert davon, sondern auch der autogen Trainierende. Wenn dieser es schwarz auf weiß (im Elektro-Myogramm) sehen kann, wie sich sein Muskel entspannt oder wie seine Hauttemperatur ansteigt oder wie seine Affekte sich in einem Psycho-Galvanogramm widerspiegeln, so steigt sein Vertrauen in die Gültigkeit und in die »Realität« seiner Erlebnisse.

2. Die Vielfalt der Bedeutungen von Schlaf, Hypnose und AT