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Die Autoren schlagen zunächst den Bogen von der neoklassischen Sicht der Finanzmärkte zur Behavioral Finance. Anschließend werden spekulative Blasen als Anzeichen für begrenzte Rationalität ausführlich vorgestellt. Die Anlageentscheidungen an Wertpapiermärkten werden entsprechend ihrer Risiko-/Renditeschädlichkeit eingeordnet. Abschließend werden Beispiele aus dem Wealth Management und Corporate Governance diskutiert sowie ein Blick auf aktuelle Entwicklungen der Neuro-Finance und Emotional Finance geworfen. Zur Neuauflage: Das Grundkonzept des Buches bleibt unverändert. Es richtet sich nach wie vor sowohl an Studierende als auch an Interessierte aus der Praxis. Die Autoren haben aktuelle Informationen hinzugefügt und die Lesbarkeit weiter erhöht. Dies gilt insbesondere für Kapitel 5 zu historischen und jüngsten Spekulationsblasen und für Kapitel 13 zu den neuesten Entwicklungen. Zahlreiche Grafiken, Merksätze und Zusammenfassungen nach jedem Kapitel helfen beim Verständnis. utb+: Begleitend zum Buch steht online ein Excel-basiertes Tool zur Überprüfung des Wissens zur Verfügung. Erhältlich über utb.de.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
utb 8504
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Prof. Dr. Rolf J. Daxhammer lehrt an der ESB Business School in Reutlingen. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Internationale Finanzmärkte, Investmentbanking und Behavioral Finance. In seinen Beratungsprojekten beschäftigt er sich u.a. mit der Umsetzung von Behavioral Finance-Konzepten im Private Wealth Management und im Financial Nudging.
Máté Facsar, Vice President Sales, ist seit 2012 bei FactSet tätig, einem weltweit führenden Anbieter von Finanzdaten und analytischen Anwendungen. In seiner Rolle arbeitet er eng mit Firmen im Asset- und Wealth-Management sowie den Big4 zusammen, was ihm einen tiefen Einblick in die Entwicklung und Anwendung von Behavioral Finance Ansätzen im Finanzsektor ermöglicht. Máté Facsar begann seine berufliche Laufbahn als Bankkaufmann und studierte Internationale Betriebswirtschaft an der ICADE Madrid und der ESB Reutlingen.
Zsolt Papp, Managing Director bei J.P. Morgan, ist ein leitender Anlagespezialist innerhalb der Global Fixed Income, Currency & Commodities (GFICC)-Gruppe. Von London aus ist Zsolt Papp für das Kundenmanagement, das Produktdesign und die Neugeschäftsentwicklung des Emerging Markets Debt-Teams verantwortlich. Er ist seit 2014 angestellt und war zuvor leitender Produktspezialist für Schwellenländer-Anleihen bei Union Bancaire Privée. Mit mehr als dreißig Jahren Branchenerfahrung hatte Zsolt Papp Positionen in Schwellenländern bei Unternehmen wie ABN AMRO und UBS inne. Zsolt Papp erwarb einen Lic.oec.publ. in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich.
Rolf J. DaxhammerMáté FacsarZsolt Papp
mit Wissens-Check
3., überarbeitete und erweiterte Auflage
Umschlagmotiv: © deli - Fotolia.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2025
2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2018
1. Auflage 2012
DOI: https://doi.org/10.36198/9783838588193
© UVK Verlag 2025
– Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.de
eMail: [email protected]
Einbandgestaltung: siegel konzeption l gestaltung
Utb-Nr. 8504
ISBN 978-3-8252-8819-8 (Print)
ISBN 978-3-8463-8819-8 (ePub)
Der neue Titel „Handbuch Behavioral Finance“ ist die offensichtlichste Anpassung in der 3. Auflage unseres Behavioral Finance-Fachbuchs. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass unser Buch, bedingt durch Umfang und Aufbau, sehr oft auch als Nachschlagewerk verwendet wird.
Und mit dem neuen Titel kommt ein weiterer Autor hinzu: Zsolt Papp. Er bringt die Perspektive von dreißig Berufsjahren in der Finanzbranche (insbesondere Asset Management) in das Team ein. Und fügt der bewährten Mischung aus theoretischer Strenge und praktischer Perspektive des Buches noch einen willkommenen „Realitäts-Check“ hinzu.
Das Grundkonzept des Buches bleibt darüber hinaus unverändert. Wir haben einige aktuelle Informationen hinzugefügt und die Lesbarkeit weiter erhöht. Dies gilt insbesondere für Kapitel 5 zu historischen und jüngsten Spekulationsblasen und für Kapitel 13 zu den neuesten Entwicklungen.
Bei alledem hoffen wir, dass das Handbuch Behavioral Finance weiter ein zuverlässiger Begleiter durch die Welt der verhaltenswissenschaftlichen Finanzmarktforschung bleibt.
Rolf Daxhammer, Máté Facsar und Zsolt Papp, Januar 2025
Seit über 50 Jahren dominiert die neoklassische Kapitalmarkttheorie unser Verständnis für die Abläufe an Finanzmärkten. Sie hat eine Vielzahl von Konzepten und Modellen (z.B. Portfoliotheorie, Capital-Asset-Pricing-Model, Black-Scholes Option Pricing oder Value-at-Risk) hervorgebracht und basiert ganz wesentlich auf der Annahme eines streng rational handelnden Homo Oeconomicus.
Das vorliegende Lehrbuch möchte Studierenden und Praktikern die Türe öffnen zu einer neu entstehenden, verhaltenswissenschaftlichen Sicht auf die Finanzmärkte, in der ein realitätsnäherer Homo Oeconomicus Humanus an den Märkten agiert. Er setzt bei der Entscheidungsfindung begrenzt rationale Heuristiken ein und lässt sich von emotionalen Einflüssen lenken. Dabei geht es nicht darum, das Verhalten des Marktteilnehmers als richtig oder falsch zu werten. Vielmehr soll der Leser einen Eindruck gewinnen, dass unterschiedliche Blickwinkel auf das Geschehen an Finanzmärkten möglich sind. Welcher Blickwinkel in einer spezifischen Konstellation der Realität besser geeignet ist, diese Realität zu erfassen, dürfte für sich schon ein fruchtbares, neues Forschungsgebiet darstellen. Insofern geht es nicht darum, die neoklassische Kapitalmarkttheorie durch Behavioral Finance zu ersetzen, sondern vielmehr darum, sie in diese Richtung zu öffnen und die angestoßene Paradigmenerweiterung durch die Behavioral Finance vorzustellen.
Im Ablauf des Studiums kann das Lehrbuch vorlesungsbegleitend zu einer Behavioral Finance-Veranstaltung im Undergraduate-Bereich im letzten Studienjahr und in der 2. Hälfte eines MBA-Programms eingesetzt werden. Statistische Vorkenntnisse und erste Einblicke in die neoklassische Kapitalmarktheorie sind für die Leser von Vorteil. Der Inhalt ist in zwölf ähnlich lange Kapitel eingeteilt, die z.B. im Wochenrhythmus erarbeitet werden können. Ein Wissens-Check zur Überprüfung der Lernfortschritte steht für die Studierenden als web-basierte Anwendung zur Verfügung. Dozenten erhalten Zugang zu einer begleitenden Vorlesungspräsentation. In vertiefenden Master-Programmen (MSc oder MA) eignet sich das Lehrbuch mit Hinweisen auf weiterführende Literatur als Einstieg in das Thema.
Inhaltlich schlägt das Lehrbuch zunächst den Bogen von der neoklassischen Sicht der Finanzmärkte zur Behavioral Finance. Anschließend werden Spekulationsblasen, von der Tulpenmanie bis zur Subprime-Hypothekenblase, als Anzeichen für begrenzte Rationalität an Finanzmärkten ausführlich vorgestellt. Danach stehen die Heuristiken bei Anlageentscheidungen an Wertpapiermärkten im Vordergrund. Die dadurch ausgelösten Verzerrungen werden entsprechend ihrer Risiko-/Renditeschädlichkeit im Rahmen des RRS-Index® eingeordnet. Abschließend werden Beispiele für die Anwendung der Behavioral-Finance-Erkenntnisse im Wealth Management und Corporate Governance diskutiert, und es wird ein Blick auf aktuelle Entwicklungen der Neuro-Finance und Emotional Finance geworfen.
Anhand der Anwendungsbereiche der Behavioral Finance ist nachvollziehbar, dass der Erkenntnisprozess in vielen Bereichen erst ganz am Anfang steht. Insofern ist das Lehrbuch auch keine Sammlung bewährten, gut „abgehangenen“ Wissens, sondern der hoffentlich spannende Einblick in das Entstehen eines „jungen“, aufregenden Forschungsgebiets, der verhaltenswissenschaftlichen Finanzmarktforschung.
Rolf J. Daxhammer, Máté Facsar, Juli 2012
Informationen und Zusatzmaterial finden Sie unter
https://files.narr.digital/9783825288198/Zusatzmaterial.zip
für Gela Daxhammer
sowie für Josef Daxhammer
und Katharina Daxhammer
für Fanny Facsar
und Gábor Facsar
für Mária Erzsébet und Sándor Papp
und Marcsi
Vorworte
Einleitung
Abschnitt I − Der Homo Oeconomicus im Zentrum der traditionellem Finanzmarktlehre
1Die neoklassische Kapitalmarkttheorie als Grundlage rationalen Verhaltens
1.1Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Sichtweisen
1.2Entscheidungstheorien und Konzepte der Neoklassik
1.2.1Konzept des Homo Oeconomicus nach Adam Smith
1.2.2Random Walk Theory nach Louis Bachelier
1.2.3Erwartungsnutzentheorie nach O. Morgenstern und J. von Neumann
1.2.4Informationsverarbeitung nach Thomas Bayes
1.2.5Effizienzmarkthypothese nach Eugene Fama
Zusammenfassung Kapitel 1
2Grenzen der neoklassischen Kapitalmarkttheorie
2.1Modelle der neoklassischen Kapitalmarkttheorie
2.1.1Portfolio Selection Theory nach Harry Markowitz
2.1.2Capital-Asset-Pricing-Modell (CAPM)
2.1.3Arbitrage Pricing Theory als Alternative zum CAPM
2.2Bewertungsansätze als Basis finanzwirtschaftlicher Entscheidungen
2.2.1Fundamentale Wertpapieranalyse
2.2.2Charttechnische Wertpapieranalyse
2.3Alte vs. neue Realität ‒ der Schwarze Schwan
Zusammenfassung Kapitel 2
Schlussbetrachtung Abschnitt I
Abschnitt II ‒ Wiederkehrende Spekulationsblasen ‒ ausgelöst vom Homo Oeconomicus Humanus
3Das Investorenverhalten aus Sicht der Behavioral Finance
3.1Ausgangspunkt und Zielsetzung der Behavioral Finance
3.1.1Begriff der Rationalität im Zuge der Paradigmenerweiterung
3.1.2Abkehr von der Erwartungsnutzentheorie ‒ Begrenzte Rationalität
3.2Betrachtungswechsel im Rahmen der Behavioral Finance
3.2.1Vergleich der neoklassischen mit der verhaltensorientierten Ökonomie
3.2.2Untersuchungsmethoden der Behavioral Finance
3.2.3Der Investor im Wandel der Zeit
Zusammenfassung Kapitel 3
4Spekulationsblasen als Zeichen für Marktanomalien
4.1Ursachen für die Entstehung und Verstärkung von Spekulationsblasen
4.1.1Herdentrieb
4.1.2Grenzen der Arbitrage
4.2Anatomie von Spekulationsblasen nach C.P. Kindleberger & H. Minsky
4.3Detailbetrachtung Spekulationsblasen und Kapitalmarktanomalien
4.3.1Bedeutung von Spekulationsblasen für Volkswirtschaften
4.3.2Arten von Spekulationsblasen
4.3.3Arten von Kapitalmarktanomalien
Zusammenfassung Kapitel 4
5Historische Spekulationsblasen im Überblick
5.1Markteigenschaften nach Benoit Mandelbrot
5.2Beispiele für bedeutende Spekulationsblasen
5.2.1Die Tulpenmanie von 1636
5.2.2The Mississippi-Spekulationsblase von 1716
5.2.3Der Börsenboom und -crash von 1929
5.2.4Die Dotcom-Spekulationsblase ab 1990s
5.2.5Die U.S.-Immobilienblase zwischen 2001 und 2006
5.2.6Multiple Spekulationsblasen nach der U.S.-Immobilienkreditkrise
5.3Hinweise auf Spekulationsblasen im Private Equity
Zusammenfassung Kapitel 5
Schlussbetrachtung Abschnitt II
Abschnitt III – Der Homo Oeconomicus Humanus im Informations- und Entscheidungsprozess
6Phasen der Entscheidungsfindung
6.1Der Informations- und Entscheidungsprozess im Überblick
6.1.1Informationswahrnehmung
6.1.2Informationsverarbeitung/-bewertung
6.1.3Investitionsentscheidung
6.2Basis der Entscheidungsfindung aus Sicht der Behavioral Finance
6.2.1Entscheidungsfindung auf Basis der Prospect Theory
6.2.2Merkmale der Bewertungsfunktionen
6.2.3Bewertung von Wertpapieren auf Basis der Prospect Theory
Zusammenfassung Kapitel 6
7Begrenzte Rationalität bei der Informationswahrnehmung
7.1Heuristiken kognitiven Ursprungs
7.1.1Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten
7.1.2Fehleinschätzung von Informationen
7.2Heuristiken emotionalen Ursprungs
7.3Einschätzung der Risiko-/Renditeschädlichkeit betrachteter Heuristiken
Zusammenfassung Kapitel 7
8Begrenzte Rationalität bei der Informationsverarbeitung
8.1Heuristiken kognitiven Ursprungs
8.1.1Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten
8.1.2Fehleinschätzung von Informationen
8.1.3Fehleinschätzung der objektiven Realität
8.1.4Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten
8.2Heuristiken emotionalen Ursprungs
8.3Einschätzung der Risiko-/Renditeschädlichkeit betrachteter Heuristiken
Zusammenfassung Kapitel 8
9Begrenzte Rationalität bei der Investitionsentscheidung
9.1Heuristiken kognitiven Ursprungs
9.1.1Fehleinschätzung der objektiven Realität
9.1.2Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten
9.2Heuristiken emotionalen Ursprungs
9.2.1Fehleinschätzung der objektiven Realität
9.2.2Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten
9.3Einschätzung der Risiko-/Renditeschädlichkeit betrachteter Heuristiken
9.4Überblick im Informations- und Entscheidungsprozess betrachteter Heuristiken
Zusammenfassung Kapitel 9
Schlussbetrachtung Abschnitt III
Abschnitt IV ‒ Anwendungsbereiche und Weiterentwicklung der Behavioral Finance
10Anwendung der Behavioral Finance in der Anlageberatung
10.1Überblick über begrenzt rationales Verhalten in der Anlageberatung
10.2Umgang mit Heuristiken in der Anlageberatung
10.2.1Heuristiken während der Informationswahrnehmung
10.2.2Heuristiken während der Informationsverarbeitung/-bewertung
10.2.3Heuristiken während der Investitionsentscheidung
Zusammenfassung Kapitel 10
11Anwendung der Behavioral Finance in der Unternehmensführung
11.1Overconfidence bei unternehmerischen Investitionsentscheidungen
11.2Ausschüttungspolitik aus Sicht der Behavioral Finance
11.3Initial Public Offerings aus Sicht der Behavioral Finance
11.4Corporate Governance aus Sicht der Behavioral Finance
11.5Equity Premium Puzzle
Zusammenfassung Kapitel 11
12Financial Nudging ‒ verhaltenswissenschaftliche Ansätze für bessere Finanzentscheidungen
12.1Libertärer Paternalismus
12.1.1Entscheidungsarchitektur
12.1.2Wahlfreiheit & Paternalismus
12.1.3Arten und Merkmale des Nudging
12.1.4Kritik am libertären Paternalismus
12.2Financial Nudging / finanzielle Nudging-Ansätze
12.2.1Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen des Financial Nudging
12.2.2Kredite
12.2.3Kreditkarten
12.2.4Hypotheken
12.2.5Altersvorsorge
12.2.6Aktien und Anleihen
Zusammenfassung Kapitel 12
13Weiterentwicklung der Behavioral Finance ‒ Blick in die Zukunft
13.1Grenzen der Behavioral Finance
13.2Entstehung der Neuro-Finance / Neuroökonomie
13.2.1Erforschung des menschlichen Gehirns
13.2.2Entscheidungsprozesse aus Sicht der Neuro-Finance
13.3Entstehung der Emotional Finance
13.3.1Emotionen als Grundlage für Investitionsentscheidungen
13.3.1Interpretation von Marktbewegungen aus Sicht der Emotional Finance
Zusammenfassung Kapitel 13
Schlussbetrachtung Abschnitt IV
Glossar
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Personen- und Sachverzeichnis
Tausende Business-School-Studierende lernen weltweit, mittels der Portfoliotheorie von Harry Markowitz oder des Capital-Asset-Pricing-Modells von William Sharpe die Risiken von Investments zu bewerten und die erwarteten Renditen zu errechnen. Das schwedische Nobelkomitee zeichnete die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Errungenschaften vielfach aus und die Konzepte und Modelle der neoklassischen Kapitalmarkttheorie finden in der Praxis von Portfoliomanagern und Finanzvorständen breite Anwendung. Worauf basieren diese Modelle? Wie weit sind sie in der Lage, die Wirklichkeit abzubilden? Ist zu erwarten, dass die Marktteilnehmer (primär Anbieter und Nachfrager an den Finanzmärkten) den Konzepten und Modellen folgen und diese in ihre Finanzentscheidung einbeziehen?
Die Konzepte und Modelle der traditionellen Ökonomie verdeutlichen, was nach wie vor die Mehrheit der Ökonomen annimmt: nämlich die Existenz fundamental effizienter Märkte. Danach können, zumindest systematisch, keine Manien, Paniken oder Crashs am Kapitalmarkt entstehen, denn die Märkte sind effizient und bewirken volkswirtschaftlich die beste, Pareto-effiziente Allokation der Ressourcen.
Diese Sichtweise wird mit der Analyse von Spekulationsblasen im zweiten Abschnitt dieses Buches zunehmend in Frage gestellt. Die U.S.-Hypothekenblase zwischen 2001 und 2006 als nennenswertes Beispiel für spekulative Marktentwicklungen ist ein Exempel für die Existenz fundamental begrenzt rationaler Märkte. So entstanden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Spekulationsblasen, weil die Marktteilnehmer der „Spekulation“ verfielen und z.B. auch dann noch kauften, als sie schon ahnen konnten, dass die Spekulationsobjekte deutlich überbewertet waren.
Die verhaltenswissenschaftliche Forschung hat in den letzten 40 Jahren zahlreiche Ergebnisse hervorgebracht, wonach wir uns auch bei Finanzentscheidungen anstatt von streng rationalen Beweggründen vielmehr von unseren Emotionen oder vereinfachenden Faustregeln leiten lassen. Daniel Kahneman, einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der Behavioral Finance, erhielt den Nobelpreis für seine Erkenntnisse über Entscheidungen unter Unsicherheit. Es zeigte sich mit Hilfe von Kernspintomographen, dass bei Finanzentscheidungen oftmals das Kleinhirn der aktivste Teil des Gehirns ist – dieses ist mit Emotionen verknüpft und verbindet uns evolutionsgeschichtlich z.B. mit den Reptilien. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass unser Gehirn gelegentlich Abkürzungen in Kauf nimmt, um schneller eine Entscheidung fällen zu können.
Die Behavioral Finance basiert auf der Erkenntnis, dass die Marktteilnehmer aufgrund psychischer, mentaler und neuronaler Beschränkungen nur zu einem begrenzt rationalen Verhalten gemessen an der Erwartungsnutzentheorie fähig sind. Das Konzept der begrenzten Rationalität, ist zentraler Bestandteil und Ausgangspunkt der Behavioral-Finance-Forschung. Sie widerspricht auch der Annahme, dass die begrenzt rationalen Verhaltensweisen einzelner Individuen aufgrund der Heterogenität der Marktteilnehmer neutralisiert werden und sich folglich nicht im Marktergebnis niederschlagen. Vielmehr erwarten die Befürworter der Behavioral Finance eine Paradigmenerweiterung, welche die ökonomischen Konzepte und Prinzipien der neoklassischen Kapitalmarkttheorie um psychologische, soziologische und neurologische Aspekte ergänzt.
Der erste Abschnitt dieses Buches steht ganz im Zeichen der Verhaltensweisen, die im Rahmen der neoklassischen Theorie von den Marktteilnehmern erwartet werden. Das Studium der Annahmen, auf denen die einzelnen Konzepte und Modelle der neoklassischen Kapitalmarkttheorie gründen, ist entscheidend, um in den nachfolgenden Abschnitten die tatsächliche Verhaltensweise der Marktteilnehmer einordnen und interpretieren zu können.
Der zweite Abschnitt greift überblickartig die Entwicklung der Behavioral Finance als neue Forschungsrichtung auf, um die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer (primär Anbieter und Nachfrager an den Finanzmärkten) deuten und erklären zu können. Im Sinne der angesprochenen Paradigmenerweiterung mehren sich Zweifel, ob alleine mit dem klassischen Theoriegebäude die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer erklärt werden können.
Im dritten Abschnitt soll verdeutlicht werden, wie der Marktteilnehmer, in der Person des Anlegers aus der Sicht der Vermögensverwaltung, seine Entscheidung durch die Anwendung von Heuristiken vereinfacht. Zudem wird geklärt, welche zu suboptimalen Entscheidungen führenden Einflüsse im Prozess der Entscheidungsfindung auf den Anleger einwirken können. In diesem Kontext wird das begrenzt rationale Verhalten der Marktteilnehmer aus der Sicht des Wealth Managements (Finanzberatung für vermögende Privatkunden), und, wo es sich anbietet, aus der Perspektive des Private Equity-Investitionsprozesses beleuchtet. Hierbei stehen die Phasen der Entscheidungsfindung im Vordergrund. Es wird aufgezeigt, welche Heuristiken die Anleger, aber auch die Anlageberater in den einzelnen Phasen der Entscheidungsfindung anwenden. Die angeführten Erklärungen haben zum Ziel, begrenzt rationales Verhalten durch Erkenntnisse zu belegen, die nach momentanem Stand der Forschung für das beobachtbare Verhalten der Marktteilnehmer verantwortlich sind. Dabei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Behavioral-Finance-Forschung gerade in diesem Bereich fortlaufenden Weiterentwicklungen unterworfen ist.
Im vierten und letzten Abschnitt steht die Anwendung der Erkenntnisse aus der Behavioral Finance in ausgewählten Themenbereichen im Vordergrund. Das Augenmerk ist hier auf die Anlageberatung im Wealth Management, die strategischen Entscheidungen von Unternehmenslenkern und das Financial Nudging gerichtet. Außerdem soll im vierten Abschnitt ein Ausblick auf künftige Forschungsrichtungen gegebenen werden bzw. neue, noch relativ junge Gebiete wie die Neuro-Finance und die Emotional Finance vorgestellt werden. Diese beiden Forschungsrichtungen haben bisher schon dazu beigetragen, die Ursachen für begrenzt rationale Verhaltensweisen zu erforschen und die bislang unbewusst ablaufenden Prozesse, wie Emotionen, Phantasien und Ängste, in den Mittelpunkt von Finanzmarktentscheidungen zu rücken.
Das Buch ist in insgesamt dreizehn Kapitel aufgeteilt. Nachfolgend geben wir einen ersten Überblick über die behandelten Themengebiete und die vermittelten Inhalte:
Im ersten Kapitel stehen die Entscheidungstheorien und Konzepte des rationalen Entscheidens im Vordergrund der Betrachtung. Nach Durcharbeiten des Kapitels werden Sie die Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Sichtweisen, angefangen von der klassischen Nationalökonomie bis hin zur Emotional Finance, kennenlernen. Im Rahmen des ersten Unterkapitels werden Sie die stark wechselnde Einbindung der Psychologie in die Wirtschaftswissenschaften verfolgen können.
Neben der Betrachtung der einzelnen Sichtweisen werden Sie die grundlegenden Entscheidungstheorien und Konzepte der neoklassischen Kapitalmarkttheorie kennenlernen. Hierbei liegt der Fokus auf dem Konzept des Homo Oeconomicus sowie auf den Verhaltensweisen, die auf Basis der neoklassischen Kapitalmarkttheorie postuliert werden. Sie werden beim Studium der Entscheidungstheorien und Konzepte deutliche Abweichungen vom tatsächlichen Verhalten der Marktteilnehmer erkennen, welche zunehmend als ein Anstoß für eine Paradigmenerweiterung durch die Behavioral Finance interpretiert werden können.
Im zweiten Kapitel werden Sie die Modelle der neoklassischen Kapitalmarkttheorie kennenlernen, die für die Ermittlung der erwarteten Rendite sowie des Risikos von Wertpapieren genutzt werden. Darüber hinaus lernen Sie auf Basis der Fundamentalanalyse sowie der charttechnischen Analyse die Bewertungsansätze finanzwirtschaftlicher Entscheidungen kennen. Sie werden nach Durcharbeiten dieses Kapitels die zunehmende Kritik an den aufgeführten Modellen verstehen und erhalten zudem über die Beschreibung „Schwarzer Schwäne“ einen Einblick in reale Marktgegebenheiten, die sich mit der neoklassischen Kapitalmarkttheorie nur schwer in Einklang bringen lassen.
Das dritte Kapitel steht ganz im Zeichen des Homo Oeconomicus Humanus – dem Marktteilnehmer, der die Paradigmenerweiterung in Richtung Behavioral Finance symbolisiert. Sie werden beim Durcharbeiten dieses Kapitels zum einen die Zielsetzung und Entwicklung der Behavioral Finance kennenlernen. Zum anderen werden Sie den Marktteilnehmer als einen begrenzt rational handelnden Investor erleben.
Im vierten Kapitel stehen die Spekulationsblasen als Anzeichen für wiederkehrende und anhaltende Marktanomalien im Fokus der Betrachtung. Sie werden neben der Entstehung und den Ursachen für die Bildung von Spekulationsblasen die unterschiedlichen Phasen und Arten von Spekulationsblasen kennenlernen. Darüber hinaus werden Sie die Rolle des Herdentriebs als Triebfeder von Spekulationsblasen in das Gefüge wiederkehrender Marktanomalien einordnen können. Schließlich werden Sie die bedeutendsten Kapitalmarktanomalien kennenlernen, die teilweise nur kurzfristig andauern, während andere mittel- bis langfristig auf den Kapitalmärkten zu beobachten sind.
Das fünfte Kapitel steht im Zeichen historischer Spekulationsblasen. Nach Durcharbeiten dieses Kapitels werden Sie die wichtigsten Spekulationsblasen in der Geschichte der Finanzmärkte kennen, und Sie verstehen typische Eigenschaften der Kapitalmärkte, die zu Turbulenzen führen können. Sie werden zudem in der Lage sein, die Entwicklung historischer Spekulationsblasen auf Basis des Fünf-Phasen-Modells von Kindleberger/Minsky zu erklären und dieses auf aktuelle Spekulationsblasen anzuwenden.
Nach Durcharbeiten des sechsten Kapitels kennen Sie die Grundlage des Informations- und Entscheidungsprozesses und Sie verstehen, welche Wahrnehmungsstörungen den Marktteilnehmer an der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen hindern können. Zudem lernen Sie die Grundlage der Entscheidungsfindung aus Sicht der Behavioral Finance kennen: Die Prospect Theory als Alternative zur traditionellen Erwartungsnutzentheorie. Sie werden verstehen, wie zum einen über die S-förmige Wertfunktion die Einstellung des Marktteilnehmers zum Risiko beschrieben wird, zum anderen über die Gewichtungsfunktion objektive Wahrscheinlichkeiten entsprechend subjektiver Ansichten transformiert werden. Diese beiden Ansatzpunkte werden Ihnen die Bewertung von Wertpapieren auf Basis der Prospect Theory verdeutlichen und die kognitiven Begrenzungen der Marktteilnehmer aufzeigen.
Das siebte Kapitel steht im Zeichen des Verhaltens der Marktteilnehmer während der Informationsaufnahme. Sie werden die kognitiven und emotionalen Heuristiken kennenlernen, die in dieser Phase des Informations- und Entscheidungsprozesses die Informationsaufnahme zwar erleichtern, den Marktteilnehmern jedoch die objektive Sichtweise auf den Kapitalmarkt erschweren. Sie werden zudem in diesem und in den Folgekapiteln 8 und 9 die Auswirkung der betrachteten Heuristiken auf die Verhaltensweise des Marktteilnehmers erkennen und die risiko-/renditeschädliche Wirkung jeder einzelnen Heuristik einordnen können.
Das achte Kapitel beschäftigt sich mit der zweiten Prozessstufe im Informations- und Entscheidungsprozess: Die Informationsverarbeitung. Auch in dieser Phase verwenden die Marktteilnehmer bestimmte Heuristiken, die zu begrenzt rationalen Verhaltensweisen führen können. Sie werden in diesem Kapitel die wichtigsten Heuristiken kennenlernen, die die Informationsverarbeitung und -bewertung für den Homo Oeconomicus Humanus erleichtern, aber auch verzerren.
Im neunten Kapitel werden Sie die dritte und letzte Prozessstufe im Informations- und Entscheidungsprozess erkunden. Sie werden die wesentlichen Heuristiken, die während der Investitionsentscheidung zur Anwendung kommen, kennenlernen, und Sie können die begrenzt rationalen Verhaltensweisen des Homo Oeconomicus Humanus nachvollziehen.
Im zehnten Kapitel werden Sie erkennen, in welcher Intensität beratene als auch beratende Marktteilnehmer in ihrer Entscheidungsfindung durch die Anwendung von Heuristiken beeinflusst werden können. Dabei werden Sie Möglichkeiten zur Begrenzung risiko-/renditeschädlichen Verhaltens in Abhängigkeit des Vermögensstandes des Anlegers sowie des Ursprungs der Heuristik identifizieren. Im Weiteren werden in diesem Kapitel für jede einzelne Heuristik Maßnahmen vorgestellt, die zum einen die Erhöhung der Beratungsqualität (im Sinne einer kundengerechten Darstellung von Renditen und Risiken) und zum anderen die Steigerung des Produktabsatzes zum Ziel haben.
Im elften Kapitel stehen begrenzt rationale Verhaltensweisen im Rahmen der Unternehmensführung im Mittelpunkt der Betrachtung. Sie werden die Treiber für begrenzt rationale Verhaltensweisen, wie z.B. die Selbstüberschätzung von Unternehmenslenkern, kennenlernen und können ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesamtrentabilität von Unternehmen einordnen. Zudem werden Sie bestimmte unternehmerische Aktivitäten aus der Sichtweise der Behavioral Finance betrachten und erkennen dadurch, wie stark sich psychologische Einflüsse auf Unternehmensentscheidungen auswirken können. Dabei wird neben der Dividendenpolitik und der Erstemission von Aktien auch die Auswirkung unterschiedlicher Entlohnungskonzepte im Rahmen der Corporate Governance betrachtet. Abgerundet wird das Kapitel mit einer Diskussion des „Equity Premium Puzzles“ aus Behavioral-Finance-Perspektive.
Im zwölften Kapitel wird eine recht neue Anwendung der Behavioral-Finance-Erkenntnisse vorgestellt. Dabei geht es um die Identifizierung und Darstellung von Ansätzen, wie man aus wirtschaftspolitischer Sicht Menschen zu einem besseren Entscheidungsverhalten bei Finanzprodukten und -dienstleistungen bewegen kann. Hierfür werden sogenannte Nudges bei Krediten, Kreditkarten, Hypotheken, der Altersvorsorge und Aktien/Anleihen erläutert. Der „Libertäre Paternalismus“ bildet hierfür den theoretischen Rahmen und wird daher im Kapitel ausführlich diskutiert.
Im dreizehnten und letzten Kapitel soll ein Ausblick hinsichtlich neuer Forschungsrichtungen innerhalb der verhaltenswissenschaftlichen Finanzmarktforschung gegeben werden. Neue Denkanstöße und entsprechend neue Forschungsergebnisse haben jetzt schon die bestehenden Grenzen der Behavioral Finance verschoben. In diesem Sinne führt das Kapitel an die erwähnten Grenzen und stellt anschließend zwei neue Forschungsrichtungen aus der verhaltenswissenschaftlichen Forschung vor. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Neuro-Finance, welche die Zielsetzung verfolgt, die Ursachen für begrenzt rationale Verhaltensweisen auf Basis der Hirnforschung zu ergründen. Darüber hinaus wird die Emotional Finance als neue Forschungsrichtung vorgestellt, in der unbewusst ablaufende, mentale Prozesse erforscht werden.
Hinweis: Merkpunkte oder zentrale Kernaussagen sind grau umrandet.
Nach Durcharbeiten des Kapitels werden Sie die Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Sichtweisen, angefangen von der klassischen Nationalökonomie bis hin zur Emotional Finance, kennenlernen. Im Rahmen des ersten Unterkapitels werden Sie die stark wechselnde Einbindung der Psychologie in die Wirtschaftswissenschaften verfolgen können. Neben der Betrachtung der einzelnen Sichtweisen werden Sie die grundlegenden Entscheidungstheorien und Konzepte der neoklassischen Kapitalmarkttheorie kennenlernen. Hierbei liegt der Fokus auf dem Konzept des Homo Oeconomicus sowie auf den Verhaltensweisen, die auf Basis der neoklassischen Kapitalmarkttheorie postuliert werden. Sie werden beim Studium der Entscheidungstheorien und Konzepte deutliche Abweichungen der Realität vom angenommenen Verhalten der Marktteilnehmer erkennen, welche zunehmend als ein Anstoß für eine Paradigmenerweiterung durch die Behavioral Finance interpretiert werden können.
Stellen wir uns eine Theaterbühne für Investitionsentscheidungen an den Finanzmärkten vor. Zunächst sehen wir die Befürworter der traditionellen Ökonomie – eine Schar von rational agierenden Akteuren in Form des Homo Oeconomicus; der emotionale Marktteilnehmer (oder auch später als Homo Oeconomicus Humanus bezeichnet) kommt in ihrem Bühnenstück nicht vor. Vielmehr verkörpert der Homo Oeconomicus den Marktteilnehmer, der perfekt rationale Entscheidungen trifft, unlimitierte Analysekapazitäten für jegliche Informationsmenge bereithält und seine Präferenzen entsprechend der Erwartungsnutzentheorie ausrichtet.
Daher wird dieses Stück beim Publikum wahrscheinlich auf eine gehörige Portion Unglauben stoßen das sich vielleicht ein Drehbuch mit glaubwürdigeren Protagonisten wünscht. Die Anhänger der Behavioral-Finance-Forschung versuchen nun, das Bühnenstück realistischer zu gestalten und den Homo Oeconomicus durch einen der Wirklichkeit eher entsprechenden Marktteilnehmer, der zeitweilig einem Spekulationsfieber erliegt, zu ersetzen. Kurz gesagt, die Befürworter der Behavioral Finance beabsichtigen, ein realistischeres Stück auf die Bühne zu bringen. Dabei geht es um Figuren, die anscheinend dazu neigen, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Manche vergleichen die unglaubliche Rallye der Kryptowährungen in den Jahren 2020/21 mit der berüchtigten Tulpenmanie im 17. Jahrhundert in den Niederlanden, als Investoren angeblich bereit waren, ganze Bauernhöfe auf steigende Tulpenzwiebelpreise zu setzen (neueste Erkenntnisse in Kapitel 5 werden helfen, eine realistischere Sichtweise auf die Tulpenmanie zu gewinnen). Kryptowährungen werden dann ebenfalls in Kapitel 5 behandelt.
Richard Thaler, einer der zentralen Protagonisten der Behavioral Finance1, hielt den schwelenden Konflikt um den wahren Marktteilnehmer auf einer Konferenz des National Bureau of Economic Research (NBER) mit Robert Barro, Befürworter der traditionellen Sichtweise, wie folgt fest:
“The difference between us is that you assume people are as smart as you are, while I assume people are as dumb as I am.“ (vgl. Thaler zit. nach Robert Bloomfield, 2010, S. 23)
In Anlehnung an das obige Zitat, ist es die Zielsetzung der ersten beiden Kapitel dieses Buches, Sie durch die Debatte über die fundamentalen Annahmen bezüglich der Verhaltensweisen der Marktteilnehmer zu leiten und gleichzeitig mögliche Ansatzpunkte für Anpassungen im Grundgerüst der neoklassischen Kapitalmarkttheorie vorzuschlagen.
Die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften sowie ihrer grundlegenden Annahmen wurde von den Sichtweisen einzelner bedeutender Wissenschaftler geprägt. In Abhängigkeit von der vorherrschenden Meinung wurden menschliche Einflüsse auf die Entscheidungsfindung der Marktteilnehmer mit unterschiedlicher Intensität verfolgt. So spielten psychologische Einflüsse im Zeitalter der klassischen Nationalökonomie eine bedeutende Rolle, sie sollten allerdings bis zur Entstehung der Behavioral Finance weitestgehend zurückgedrängt werden. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass sich der theoretische Rahmen rationalen Verhaltens in der Epoche der neoklassischen Kapitalmarkttheorie entwickelte und auch heute noch in den angewendeten Konzepten und Modellen Beachtung findet.
Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Sichtweisen
Abb. 1: Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Sichtweisen
18.-19. Jahrhundert – Zeitalter der klassischen Nationalökonomie
In der Mitte des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter der klassischen Nationalökonomie, begannen Wirtschaftswissenschaftler, die menschlichen Einflüsse auf die Entscheidungsfindung zu analysieren. Diese Anfänge bildeten die Grundlage für die Entstehung der verhaltensorientierten Kapitalmarktforschung. Man versuchte, den ökonomischen Nutzen des Konsums mit psychologischen Ansätzen zu verbinden. Adam Smith2 prägte seinerzeit die Entwicklung der klassischen Nationalökonomie. Er beschrieb in dem vielbeachteten Aufsatz „The Theory of Moral Sentiments“ von 1759 die sozialpsychologischen Prinzipien als Grundlage der menschlichen Moral mit der Zielsetzung, das eigene Verhalten zu mäßigen und die Harmonie zu bewahren.
Sein grundlegendes Hauptwerk3 „Der Wohlstand der Nationen“ von 1776 wird heute mit dem Beginn der klassischen Nationalökonomie gleichgesetzt. Sie legte die intellektuelle Grundlage für die große Ära des Freihandels und der wirtschaftlichen Expansion im 19. Jahrhundert. Tatsächlich ist der Grundgedanke des Freihandels weltweit akzeptiert, wenngleich man heute angesichts der verschiedenen Handelsstreitigkeiten einzelner Länder untereinander, darüber streiten könnte.
Nationaler Reichtum wurde zu Smiths Zeiten durch den Gold- und Silberbestand eines Landes definiert, der nicht durch den Import von Waren aus anderen Ländern verringert werden dürfte. Protektionismus durch Steuern auf Importe und Schutz für die heimische Industrie waren gängige Praxis. Smith vertrat die Ansicht, dass die Märkte am besten weitgehend frei von staatlichen Einflüssen sein sollten und von einer unsichtbaren Hand geleitet werden. Die Selbstregulierung der Marktkräfte sollte quasi automatisch Gleichgewicht und Vollbeschäftigung herbeiführen. Grundlage dieser Denkweise war das menschliche Handeln, welches sich allein aus ökonomischen Motiven und rationalen Überlegungen speist. Smith argumentierte zudem, dass der Reichtum einer Nation nicht die Menge an Edelmetallen ist, sondern der Gesamtbetrag ihrer Produktion und ihres Handels – ein Begriff, den wir heute BIP oder Bruttoinlandsprodukt nennen (vgl. Adam Smith Institute, 2021).
Als die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise im 19. Jahrhundert in der Psychologie Einzug hielt, erlebte dieser ihren Aufschwung. So führte Hermann Ebbinghaus4 experimentelle Methoden in die Psychologie ein und leistete herausragende Beiträge zur Erforschung von Lernen und Gedächtnis. Er zeigte, dass Erinnerungen unterschiedliche Lebenszyklen haben. Einige sind kurzlebig, andere wiederum überdauern Tage oder auch Wochen. Erinnerungen, die Tage und Wochen überdauern, werden schließlich widerstandsfähig gegen Störungen und bleiben damit im Gedächtnis gespeichert. Seine Forschung zeigte, dass wissenschaftliche Methoden auf das Studium des höheren Denkens angewendet werden können (vgl. Britannica, 2021).
Mitte des 19. Jahrhunderts folgte dann die weit verbreitete Beobachtung von Tierverhalten auf Basis der Vermutung von Charles Darwin5, dass geistige Merkmale von Säugetieren untereinander ähnlich sind.
20. Jahrhundert – Zeitalter der neoklassischen Ökonomie
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die klassische Nationalökonomie von der neoklassischen Ökonomie abgelöst. In der Folge wurde das Bestreben, das Marktverhalten durch die Psychologie zu erklären, weitestgehend zurückgedrängt. Zentrale Annahme der neoklassischen Ökonomie war das Modell des Homo Oeconomicus, dass den Marktteilnehmer als ein rationales, nutzenorientiertes und vollständig informiertes Individuum darstellt (vgl. Kap. 1.2.1).
Die professionelle Geldanlage wurde allerdings zunächst nicht unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, sondern vielmehr als Kunst angesehen. Selbst John Maynard Keynes6 sah die Investition in Aktien in erster Linie als Spekulation an und verglich den Aktienmarkt mit einem Schönheitswettbewerb.
„It is not a case of choosing those [faces] that, to the best of one’s judgment, are really the prettiest, nor even those that average opinion genuinely thinks the prettiest. We have reached the third degree where we devote our intelligences to anticipating what average opinion expects the average opinion to be. And there are some, I believe, who practice the fourth, fifth and higher degrees.“ (Keynes, zit. nach Montier, 2007, S. 91)
Der Beginn der Entwicklung der neoklassischen Kapitalmarkttheorie wird in der Regel mit der Doktorarbeit von Louis Bachelier7 im Jahre 1900 in Verbindung gebracht. Der französische Mathematiker formulierte erste Erkenntnisse, die sich mit der Art und Weise, wie sich Aktienkurse entwickeln, befassten. Seine Erkenntnis, dass Aktienkursbewegungen mittels stochastischer Prozesse modellierbar sind und die statistische Eigenschaft eines reinen Zufallsprozesses aufweisen, war die Grundlage für die Random Walk Theory (vgl. Kap. 1.2.2); jene Theorie, wonach sich Aktienkurse ohne „Gedächtnis“, d.h. unabhängig von den vorher realisierten Kursen nach oben oder nach unten bewegen (vgl. Gehrig/Zimmermann, 1999, S. 5 sowie Mandelbrot/Hudson, 2004, S. 87).
Die meisten der verwendeten Entscheidungstheorien und Konzepte als Grundlage rationalen Verhaltens entwickelten sich zeitlich im Rahmen der Weltwirtschaftskrise 1929 im Zuge der geplatzten Spekulationsblase der goldenen Zwanziger Jahre (s. Kapitel 5.2.4).
So entwickelte sich die Theorie effizienter Kapitalmärkte, als sich Alfred Cowles8 in den 1930er-Jahren erstmals systematisch mit der Vorhersagbarkeit von Aktienkursen beschäftigte. Die Hypothese, dass Aktienkurse nach der Random Walk Theory nicht vorhersagbar sind, wurde schließlich von Holbrook Working9 in den 1940er-Jahren operationalisiert und empirisch überprüft. In der heutigen Zeit werden im Zuge der Unmengen an Daten, die Möglichkeiten Preise durch die Verwendung der künstlichen Intelligenz vorherzusagen, erneut untersucht.
Im Jahr 1936 wurde ein weiterer Versuch der Einbindung psychologischer Einflüsse in die Entscheidungsfindung der Marktteilnehmer sichtbar. John M. Keynes10 vertrat in seinem Werk11„Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ von 1936 den Ansatz, dass die Wirtschaft nicht allein von rationalen Marktteilnehmern, die wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt ökonomische Vorteile verfolgen, beherrscht wird. Er räumte zwar ein, dass das wirtschaftliche Handeln größtenteils von ökonomischen Motiven bestimmt wird, setzte dem aber entgegen, dass es häufig auch von Instinkten beeinflusst wird. Diese Instinkte, die er als Animal Spirits bezeichnete, seien eine wichtige Ursache für Schwankungen der Konjunktur und für unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Keynes war der Überzeugung, dass kapitalistische Volkswirtschaften, die sich selbst überlassen bleiben, zu Exzessen neigen. Es kommt zu Manien, die wiederum in Ausbrüchen von Panik münden. Er vertrat die Ansicht, dass der Staat eine angemessene Rolle in der Regulierung der Märkte einnehmen sollte. Der Staat sollte Exzessen entgegenwirken, die durch die Animal Spirits hervorgerufen werden.
Zeitalter des Keynesianismus
In der Folgezeit, und insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren, wurde die Allgemeine Theorie von Keynes auch insofern „postkeynesianisiert“, als dass die Animal Spirits fast gänzlich entfernt wurden. Als Resultat entstand eine Theorie, die die Unterschiede zwischen der Allgemeinen Theorie und den Standardaussagen der neoklassischen Kapitalmarkttheorie so weit einengte, dass kaum noch Raum für instinktives Handeln übrigblieb. Die Neoklassiker der 1960er Jahre waren der Meinung, dass instinktives Handeln aus der Wirtschaftstheorie komplett ausgeblendet werden sollte. Die neoklassische Kapitalmarkttheorie erlebte eine Renaissance (vgl. Shiller 2009, S. 8 ff.).
Basierend auf den Erkenntnissen von Louis Bachelier entwickelte Eugene F. Fama12 in den 1960er-Jahren die Effizienzmarkthypothese (vgl. Kap. 1.2.5). Sie beschreibt einen Markt als effizient, wenn die Wertpapierkurse alle vorhandenen Informationen komplett widerspiegeln und es daher keine Möglichkeit gibt nachhaltig Überrenditen zu erwirtschaften.
Die Rationalität von Individuen wurde allerdings gleichzeitig durch die Experimente von Maurice Allais13 1953 und Daniel Ellsberg14 1961 zunehmend in Frage gestellt. Die Experimente verdeutlichten, dass Individuen gegen die zuvor in den 1940er-Jahren von John von Neumann15 und Oskar Morgenstern16 entwickelten Axiome zur Fundierung des Bernoulli-Prinzips rationaler Investoren verstoßen (vgl. Kap. 1.2.3). Diese ersten Ergebnisse aus den Experimenten von Allais und Ellsberg gelten als Basis für die verhaltenswissenschaftliche Kapitalmarktforschung.
Im Bereich des kollektiven Rationalverhaltens ist der Beitrag von John F. Muth17 hervorzuheben, der die Theorie der rationalen Erwartungen Anfang der 1960er Jahre entwickelt hat. Die Theorie besagt, dass die Marktteilnehmer alle verfügbaren Informationen bei ihrer Erwartungsbildung nutzen und aus ihren Erwartungsfehlern lernen. Erwartungen entstehen, indem Informationen fortwährend aktualisiert und neu interpretiert werden.
Als Meilenstein für die Entwicklung von Modellen in der neoklassischen Kapitalmarkttheorie wurde die von Harry M. Markowitz18 1952 entwickelte Portfoliotheorie mit dem Wirtschafts-Nobel-Preis 1990 gewürdigt (vgl. Kap. 2.1.1). Sie bietet klare Richtlinien für das effiziente Investieren. Kerngedanke der Theorie ist die Entwicklung effizienter Portfolios unter Berücksichtigung der Korrelation der Renditen einzelner Wertpapiere (vgl. Karlen, 2004, S. 13). Die Theorie von Markowitz war jedoch erst der Anfang einer Entwicklung weg von einer rein deskriptiven hin zu einer theoretisch normativen kapitalmarktorientierten Finanzierungslehre.
Aufbauend auf die Portfoliotheorie von Markowitz entwickelten in den 1960er-Jahren William F. Sharpe19, John V. Lintner20 sowie Jan Mossin21 unabhängig voneinander das Capital-Asset-Pricing-Modell (vgl. Kap. 2.1.2; im Weiteren als CAPM bezeichnet). Hierdurch wurde es möglich, die Effizienz des Kapitalmarktes auf risikoadjustierter Basis zu testen. Wenn auch methodische Schwierigkeiten die Tests erschweren, revolutionierte das CAPM das Portfoliomanagement, da nun die unterschiedlichen Risiken von Investitionen auf einen leichtverständlichen, linearen Zusammenhang zurückgeführt werden konnten (vgl. Garz/Günther/Moriabadi, 2002, S. 17 ff.). Das CAPM ist ein mathematisches Modell bei der die Bewertung von Wertpapieren auf der Grundlage ihres relativen Risikos im Vergleich zur Rendite risikofreier Vermögenswerte die Zielsetzung ist (vgl. Baker/Nofsinger, 2010, S. 136.).
Als Hauptherausforderer des CAPM entwickelte Stephen A. Ross22 1976 die Arbitrage Pricing Theory (vgl. Kap. 2.1.3). Sie berücksichtigt im Gegensatz zum CAPM multiple Risikofaktoren systematischer Art und gleicht sich damit mehr der realen Welt an. Entsprechend der Begriffsbezeichnung werden Preisinformationen aus Arbitragemöglichkeiten abgeleitet (vgl. Bank/Gerke, 2005, S. 4 ff.).
Ein weiterer Meilenstein waren die Arbeiten von Franco Modigliani23 und Merton H. Miller24 im Bereich der Theorie der Unternehmensfinanzierung im Jahre 1958. Sie zeigten, dass unter der Annahme eines effizienten und vollkommenen Kapitalmarktes die Finanzierungsstruktur aus Eigen- und Fremdkapital für die Höhe der Kapitalkosten irrelevant ist. Der Grund für die Irrelevanz liegt in den konstanten Gesamtkapitalkosten, die sich unabhängig von der Höhe des Fremdkapitals in einem vollkommenen und effizienten Markt nicht verändern. Bei einem höheren Verschuldungsgrad steigen zwar die Eigenkapitalkosten an, diese beziehen sich jedoch nur auf einen kleineren Kapitalanteil. Gleichzeitig steigt der Fremdkapitalanteil an, und die gegenüber dem Eigenkapital niedrigeren und konstanten Fremdkapitalkosten beziehen sich auf einen höheren Kapitalanteil und gleichen dadurch die höheren Eigenkapitalkosten vollständig aus. Die jeweiligen Eigen- und Fremdkapitalkosten sowie deren Anteile verändern sich genau in der Weise, dass sich die Effekte kompensieren und somit in einem effizienten und vollkommenen Markt keinen Einfluss auf die Höhe der Gesamtkapitalkosten haben.
Schließlich erfolgte Anfang der 1970er Jahre eine bahnbrechende Innovation im Bereich der Derivatebewertung durch die Entwicklung der Optionspreisformel durch Fischer S. Black25, Myron S. Scholes26 und Robert C. Merton27. Die drei Wissenschaftler gründeten ihre Erkenntnisse auf den Forschungsergebnissen von Markowitz, Modigliani und Miller, indem sie ein risikoloses Portfolio bestehend aus Optionen und zugrunde liegenden Aktien konstruierten.
Zeitalter der verhaltenswissenschaftlichen Finanzmarktforschung
Ab etwa 1980 entwickelte sich die Verhaltensökonomie als ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften. Diese Richtung, auch als Behavioral Economics bezeichnet, führte maßgeblich dazu, dass naturwissenschaftliche und psychologische Aspekte in die Wirtschafswissenschaften zunehmend eingebaut wurden. Die Verhaltensökonomie untersucht Verhaltensweisen der Marktteilnehmer, die mit dem Konzept des Homo Oeconomicus nicht übereinstimmen – so zum Beispiel die Abkehr von der rationalen Nutzenmaximierung.
Wenngleich die meisten Erkenntnisse aus der Erforschung des tatsächlich beobachtbaren Verhaltens der Marktteilnehmer erst ab 1980 zu Tage traten, haben sich bereits um 1950 zwei neue Felder der wissenschaftlichen Untersuchung entwickelt, die als dominierende Grundlage der Behavioral Finance gelten. Zum einen begannen Wissenschaftler im Bereich der kognitiven Psychologie, mentale Prozesse zu analysieren, die für das menschliche Verhalten verantwortlich schienen. Zentralen Bestandteil und Ausgangspunkt der Behavioral-Finance-Forschung bildet die Theorie der begrenzten Rationalität(Theory of Bounded Rationality) von Herbert A. Simon28 ab Mitte der 1950er Jahre. Demnach sind Marktteilnehmer nur zu einem beschränkt rationalen Verhalten in der Lage.
Zum anderen wurde die Entscheidungsfindung unter Unsicherheit durch die Entwicklung der Prospect Theory (1979, 1992) als die intellektuelle Grundlage der Behavioral Finance von Daniel Kahneman und Amos N. Tversky vorangetrieben (vgl. Pompian, 2006, S. 20 ff.). Die beiden Psychologen versuchten mit ihren Experimenten, die vorher nicht erklärbaren Abweichungen vom Idealbild des Homo Oeconomicus einzuordnen.
Die zunehmende Erforschung emotional und kognitiv bestimmter Verhaltensweisen führte schließlich fast zeitgleich zur Entstehung der verhaltenswissenschaftlichen Finanzmarktforschung, zumeist als Behavioral Finance bezeichnet. Diese neue Forschungsrichtung, die vereinzelt in der wissenschaftlichen Literatur auch in der Schreibweise „Behavio(u)ral Finance“ gefunden werden kann, versucht, das Geschehen auf den Finanzmärkten unter Einbezug menschlicher Verhaltensweisen zu erklären (vgl. Kap. 6-9). Es wird untersucht, welche Faktoren zu einer unterschiedlichen Bewertung von Informationen und folglich zu einer unterschiedlichen Entscheidungsfindung bei Marktteilnehmern führen. Mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse versucht die Behavioral Finance, u.a. Prognosen über das zukünftige Verhalten von Marktteilnehmern zu treffen. Daniel Kahneman29 und Vernon L. Smith30 wurden für Ihre Forschungsergebnisse 2002 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Amos N. Tversky31 verstarb 1996, weshalb er nicht ebenfalls ausgezeichnet werden konnte (vgl. Blechschmidt, 2007, S. 11 ff.).
Ein weiterer bedeutender Wissenschaftler im Bereich der Behavioral Finance ist Richard H. Thaler32. Sein Hauptinteresse lag in der Erforschung von Entscheidungsanomalien, die als systematische Abweichungen vom rationalen Verhalten interpretiert wurden (vgl. Wahren, 2009, S. 45).
Die operante Konditionierung, bei der der Lernprozess durch Versuch und Irrtum bewerkstelligt wird, resultierte aus den Forschungsergebnissen des amerikanischen Psychologen Edward L. Thorndike33 und bildete eine weitere Grundlage der verhaltenswissenschaftlichen Finanzmarktforschung. Die auf diesen Experimenten beruhende Lernpsychologie entwickelte sich mit der Zeit zum Behaviorismus. Dieser erlaubte andere Zugänge bei der Erforschung des Gedächtnisses, da menschliches und tierisches Verhalten mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden konnte (vgl. Schriek, 2009, S. 20 ff.).
Zeitalter der Neuroökonomie
Zunehmende Impulse zur Erforschung des tatsächlichen Verhaltens von Marktteilnehmern geben die technologischen Entwicklungen der Hirnforschung. Im Umfeld bildgebender Verfahren können zur Erklärung von Entscheidungsverhalten neuronale Abläufe im Gehirn des Marktteilnehmers herangezogen werden. Die zunehmende Erforschung des menschlichen Entscheidungsverhaltens mittels der Computertomographie führte zur Entwicklung der Neuroökonomie (vgl. Kap. 13.2). Sowohl die Neuroökonomie als auch die spezifische Richtung Neuro-Finance versuchen unter Einbezug der Erkenntnisse der Psychologie, der Behavioral Economics sowie der Behavioral Finance die neuronale Basis für Entscheidungen und menschliches Verhalten zu entschlüsseln. Mittels zahlreicher Spielversuche, wie das Diktator- oder Ultimatumspiel, wurde das Konzept des rationalen Homo Oeconomicus relativiert. Es entstanden vielmehr zahlreiche Facetten eines emotionalen Homo Oeconomicus Humanus, wie der faire, der vertrauende oder der wertende Homo Oeconomicus (vgl. Elger/Schwarz, 2009, S. 36 sowie Bossaerts/Murawski, 2010).
Zeitalter der Emotional Finance
Erste Ansätze zur Erforschung unbewusst ablaufender Prozesse als zentrales Element der Emotional Finance wurden durch die Beschreibung der animal spirits von Keynes sichtbar. Weitergehende Forschungsergebnisse stellten sich jedoch erst ab 2009 mit der Entwicklung der Emotional Finance durch Richard Taffler34 und David Tuckett35 ein. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Wirken von Fantasien und Ängsten (vgl. Kap. 13.3). Zielsetzung dieser jüngsten Forschungsrichtung ist die Erforschung der Folgen unbewusst und höchst komplex ablaufender Prozesse, die den Marktteilnehmer zu emotional getriebenen Verhaltensweisen führen. Unbewusst ablaufende Prozesse sollen im Rahmen praktischer Anwendungen ins Bewusstsein gerückt werden, um daraus Strategien für den Umgang mit emotionalen Phänomenen zu entwickeln (vgl. Baker/Nofsinger, 2010, S. 95 f.).
Die neoklassische Ökonomie stellt den Marktteilnehmer als ein rationales Individuum dar. Die Behavioral Finance untersucht dagegen das Geschehen auf den Finanzmärkten unter Einbezug menschlicher Verhaltensweisen. Die Neuroökonomie nutzt schließlich Erkenntnisse, um die neuronale Basis von Entscheidungen und von menschlichem Verhalten aufgrund von Abläufen im Gehirn zu entschlüsseln.36
Das folgende Kapitel taucht in die Entscheidungstheorien und Konzepte der neoklassischen Finanzmarktlehre ein. Hierbei spielen normative Annahmen eine Schlüsselrolle. Mit anderen Worten: Dieses Kapitel beleuchtet, wie Anleger ihre Entscheidungen treffen „sollten“. Obwohl dieses Kapitel etwas trockener erscheinen mag, ist es unser Ziel, Ihnen einen guten Überblick über die besagten Theorien und Konzepte zu geben, und mit Hilfe dessen die Herausforderungen, aber auch über die Möglichkeiten für eine optimale Risiko-Rendite-Analyse von Investitionsvorhaben besser einordnen zu können.
Die neoklassische Kapitalmarkttheorie entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts aus der alten Finanzmarktlehre, bei der die Rechnungslegung und die Fundamentalanalyse im Vordergrund standen. In der neoklassischen Kapitalmarkttheorie werden die Prämissen der vollkommenen Rationalität der Marktteilnehmer sowie der vollkommenen Finanzmärkte verarbeitet. Die entwickelten Gleichgewichtstheorien basieren auf rationalen und zugleich risikoaversen Marktteilnehmern. Die Maximierung ihres Endvermögens im Sinne der Erwartungsnutzentheorie stellt deren Hauptanliegen dar (vgl. Karlen, 2004, S. 12 f.). In diesem Sinne verkörpern die Verarbeitung von Informationen nach dem Bayes-Theorem sowie die Entscheidungsfindung im Rahmen der Erwartungsnutzentheorie wichtige Kernelemente der neoklassischen Kapitalmarkttheorie. Neben diesen beiden Theorien wird die neoklassische Kapitalmarkttheorie entscheidend von der Effizienzmarkthypothese geprägt.
Nachfolgend werden die zentralen Entscheidungstheorien und Konzepte als Grundlage rationalen Verhaltens beleuchtet. In diesem Sinne erfolgt die Betrachtung des Konzepts des Homo Oeconomicus nach Adam Smith (vgl. Kap. 1.2.1), die Random-Walk-Theorie von Louis Bachelier (vgl. Kap. 1.2.2), die Erwartungsnutzentheorie nach Oskar Morgenstern und Johann von Neumann (vgl. Kap. 1.2.3), die Informationsverarbeitung nach Thomas Bayes (vgl. Kap. 1.2.4) sowie die Effizienzmarkthypothese nach Eugene Fama (vgl. Kap. 1.2.5).
Das Konzept des Homo Oeconomicus, des wirtschaftlich rational denkenden und handelnden Menschen, bildet die Grundlage für die in Kapitel 1.1 erwähnte neoklassische Kapitalmarkttheorie. Man kann davon ausgehen, dass der Ursprung dieses Konzepts auf die Denker des 18. Jahrhunderts zur Zeit der klassischen Nationalökonomie zurückgeht. Als deren Begründer gilt der schottische Ökonom Adam Smith, der mit nachfolgendem Zitat das absolute Eigeninteresse als eines von drei grundlegenden Prinzipien des Homo Oeconomicus herausstellte:
„It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest.“ (A. Smith, The Wealth of Nations, 1776)
Die Bezeichnung des Homo Oeconomicus mag zwar überspitzt klingen, jedoch lassen die einzelnen Konzepte und Modelle der neoklassischen Kapitalmarkttheorie kaum eine andere Auffassung über die erwartete Verhaltensweise der Marktteilnehmer zu.
Im Grunde impliziert die Betrachtung des Marktteilnehmers als Homo Oeconomicus ein positives Verhaltensmodell (oder Menschenbild) mit dem Ziel, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zu erklären und vorherzusagen.
Es handelt sich um ein einfaches menschliches Modell wirtschaftlichen Verhaltens, das bei jeglicher wirtschaftlichen Entscheidung auf drei grundlegenden Prinzipien beruht:
Absolutes Eigeninteresse, wobei die eigenen Ziele und Vorstellungen im Vordergrund des Handelns stehen.
Fähigkeit zu völlig rational begründeten Entscheidungen, die eine optimale Umsetzung der Vorstellungen erlauben, bei der nutzenmaximierendes Verhalten mit knappen Gütern angestrebt wird.
Nutzung vollständiger Informationen, da weder Informationsasymmetrien noch Transaktionskosten existieren.
Aufgrund dieser Vereinfachungen und der extrem hohen Abstraktion der diesen Prinzipien zugrunde liegenden Modelle lässt sich die neoklassische Kapitalmarktheorie sehr elegant durch mathematische Gleichungen darstellen (vgl. Bank/Gerke, 2005, S. 2). Die ökonomische Analyse des menschlichen Verhaltens wird durch das Konzept des Homo Oeconomicus bedeutend vereinfacht, wobei die wissenschaftlichen Ergebnisse auch quantifiziert werden können. Die Annahme der genannten Prinzipien lässt zu, dass das menschliche Verhalten ebenfalls bewertet/quantifiziert werden kann (vgl. Pompian, 2006, S. 15).
Neben den Vorteilen dieses Konzepts ist die starke Vernachlässigung der Realität und der Komplexität des einzelnen Menschen als Individuum erkennbar. Aspekte menschlichen Verhaltens, die nicht unmittelbar das Ziel haben, wirtschaftliches Handeln zu erklären, werden kaum beachtet. Ebenso werden nicht-rationale Beweggründe für wirtschaftliches Verhalten ignoriert. So zeigen ehrenamtliche Tätigkeiten, dass die Marktteilnehmer zum Teil weit weniger nur an sich denken als dies vom eigennutzenorientierten Konzept des Homo Oeconomicus angenommen wird. Die unübersichtlich breit gefächerten Wissensgebiete in der Wirtschaftswissenschaft lassen im Weiteren vermuten, dass kein Marktteilnehmer sich über alle Aspekte informieren kann, um dadurch ständig die richtigen wirtschaftlichen Entscheidungen treffen zu können. Trotz dieser starken Vereinfachung der Realität ist das Konzept in Teilbereichen durchaus geeignet, systematisch die Reaktionen auf Veränderungen der Umwelt zu analysieren. Ungeachtet weitreichender Bedenken bzgl. der Annahmen dieses Konzepts ähnelt das Verhalten der Marktteilnehmer ansatzweise dem des Homo Oeconomicus, indem sie ebenfalls systematisch auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren (vgl. Mazanek, 2006, S. 14 ff.).
Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, inwiefern der Marktteilnehmer sich von den Annahmen des rational agierenden Homo Oeconomicus unterscheidet. Im Kapitel 3.2.3 liegt der Fokus explizit auf den beobachtbaren Unterschieden zum Homo Oeconomicus Humanus, dessen Handlungen zu wiederkehrenden Spekulationsblasen (vgl. Kap. 4) und zu begrenzt rationalen Entscheidungen führen (vgl. Kap. 7 bis 9).
Das Konzept des Homo Oeconomicus ist ein positives Verhaltensmodell (oder Menschenbild) mit dem Ziel, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zu erklären und vorherzusagen.
Die Random Walk Theory besagt, dass Änderungen der Wertpapierkurse unabhängig voneinander sind. Mit anderen Worten, die Preisänderung von gestern hat keinen Einfluss auf die Preisänderung von heute und die Preisänderung von heute hat keinen Einfluss auf die Preisänderung von morgen. Der Name der Theorie besagt, dass die Wertpapierpreise einem zufälligen und damit unvorhersehbaren Pfad folgen, weshalb eine Vorhersage ihrer Preisbewegungen auf lange Sicht sinnlos ist. Eine fundamentale oder technische Analyse wäre wertlos, daher ist ein passives gegenüber einem aktiven Portfoliomanagement zu bevorzugen.
Mit den anhaltend starken Liquiditätszuflüssen in Exchange Traded Funds (ETFs), bei denen ein Index spiegelbildlich nachgebildet wird, könnte man argumentieren, dass der Random Walk der Wertpapierkurse von den Finanzinstituten ausgenutzt wird. Laut dem Fondsdatenanbieter Morningstar hat das Vermögen in passiven US-Aktienfonds im Augst 2019 erstmals das in aktiven Fonds überholt (vgl. Skypala, 2020). Trotz der oben beschriebenen Entwicklung ist es oft eher der große Unterschied in der Kostenstruktur von passiven gegenüber aktiven Produkten, der ETFs für die Anlegergemeinde attraktiver macht. Abgesehen davon gibt es auch aktiv verwaltete Fonds, die zumindest temporär Überrenditen (auch Alpha genannt) erwirtschaften.
Betrachten wir kurz die historische Einordnung dieses Konzeptes: Die Entwicklung der Random Walk Theory begann, als der französische Mathematiker Louis Bachelier am 19. März 1900 seine Dissertation mit dem Titel „Théorie de la Spéculation“ verteidigte. Bachelier behauptete in seiner Arbeit, dass die an der Pariser Börse des 19. Jahrhunderts notierten Terminkurse für Staatsanleihen einem zufälligen Muster folgten und dem Spekulanten aus diesem Grund keine systematischen Gewinne ermöglichen würden (vgl. Schredelseker, 2002, S. 407 ff.). Zu dieser Zeit spielten die Fundamentalanalyse und die wachsende Bedeutung der Chart-Analyse eine zentrale Rolle.
Der Grundgedanke der Random Walk Theory basiert auf der Wahrnehmung, dass sich die Wertpapierkurse immer mit der gleichen Wahrscheinlichkeit verändern – analog zu der Wahrscheinlichkeit, die für einen Münzwurf gilt („Kopf“ oder „Zahl“) (vgl. Mandelbrot/Hudson, 2004, S. 9 ff.). Die Stärke der Kursänderung ist dabei messbar. Die meisten Kursänderungen der Wertpapiere – 68 Prozent – sind nach der Random Walk Theory relativ kleine Bewegungen innerhalb einer Standardabweichung(σ) vom Mittelwert. In der Finanzmarktlehre verdeutlicht die Standardabweichung die Volatilität einer Anlage um ihren Mittelwert.
Die Messung der Renditevolatilität spielt bei der Beurteilung von Risiken eine bedeutende Rolle. Die Standardabweichung wird als die Quadratwurzel der Renditevarianz definiert. Innerhalb plus/minus zwei Standardabweichungen würde man 95 Prozent aller Kursänderungen antreffen und innerhalb von plus/minus drei Standardabweichungen lägen 98 Prozent aller Kursänderungen. Einige wenige Kursänderungen – die verbleibenden 2 Prozent – stellen besonders große Abweichungen dar und sind daher nach der Theorie sehr unwahrscheinlich.
Verteilung der Kursbewegungen nach der Normalverteilung
Abb. 2: Anteil der Wertpapierkursänderungen nach Standardabweichungen
Werden die Kursbewegungen aufgereiht, so ergeben diese die Form einer Glockenkurve. Die Vielzahl kleiner Kursbewegungen befindet sich in der Mitte, die seltenen großen Kursbewegungen an den beiden Enden der Kurve. Die hier beschriebene Verteilung von Kursbewegungen entspricht der weit bekannten Normalverteilung von Carl Friedrich Gauß – auch Gaußsche Verteilung genannt (vgl. Abb. 2). Die Bedeutung der Normalverteilung ist uns im Zuge der Corona-Pandemie 2020/21 sehr bewusst geworden. Während in der Finanzwelt eine flache Glockenkurve aufgrund der höheren Volatilität in Form einer breiteren Verteilung der Renditen mitnichten bevorzugt wird, war während der Corona-Pandemie eine flache Glockenkurve sehr wohl erwünscht und durch das social distancing sowie lock-downs beabsichtigt gewesen, um den plötzlichen Zustrom von Infizierten in unsere Krankenhäuser bei einer spitz zulaufenden Kurve zu vermeiden.
An den Kapitalmärkten sind nun entgegengesetzt der obigen Darstellung jedoch immer wieder starken Kurseinbrüche von über 5 Prozent und mehr zu beobachten. Scheinbar ergeben sich solche gravierenden Ausreißer wie sie an den äußeren Enden der Glokkenkurve zu finden sind, öfter als von der Theorie erwartet. So ist der schnellste Kursverfall in der Geschichte der Finanzmärkte im Zuge der Corona-Pandemie ab März 2020 ein perfektes Beispiel dafür, warum eine Risikoanalyse auf Basis einer Normalverteilung nicht in der Lage ist, realistische Ergebnisse zu simulieren, wenn eher ein Fat-Tail-Ansatz das richtige Portfoliorisiko anzeigen würde. Die Kapitalmärkte verloren innerhalb kürzester Zeit (in ca. 30 Tagen) über 30 Prozent. In der Regel beanspruchten solche Verluste in der Vergangenheit einschließlich des 1987er Crashs eine Dauer von bis zu 180 Tagen (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Korrekturperioden unterschiedlicher Markteinbrüche in Tagen, FactSet
Unabhängig von ihrer umstrittenen Anwendbarkeit auf Wertpapierkurse gewannen die Erkenntnisse von Carl Friedrich Gauß große Beachtung im Bereich der Finanzmärkte. Die Bedeutung der Glockenkurve ist auch in den Wahrscheinlichkeitsprozessen der Natur (z.B. Intelligenzquotient) derart tief verwurzelt, dass die früheren Zehn-DM-Banknoten der Bundesrepublik Deutschland unter anderem das Abbild von Gauß sowie die Glockenkurve zeigten (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Zehn-DM-Banknote mit Glockenkurve
Bereits mit diesem grundlegenden Konzept der neoklassischen Kapitalmarkttheorie zeigt sich eines der Hauptprobleme dieser wirtschaftswissenschaftlichen Stoßrichtung; nämlich, dass die Schlussfolgerungen aus empirischen Tests ggf. nicht valide sind, da sich die getroffenen Annahmen von vornherein als falsifizierbar erweisen (vgl. Beispiel 1.1). Gerade der schnelle Kursverfall im Zuge der Corona-Pandemie ab März 2020 ist ein gutes Beispiel dafür, warum eine Risikoanalyse auf Basis einer Normalverteilung nicht in der Lage ist, realistische Ergebnisse zu generieren, wenn eher ein Fat-Tail-Ansatz das richtige Portfoliorisiko anzeigen würde.
Beispiel 1.1: Fehlende Validität empirischer Tests
Die nachfolgende Abbildung des amerikanischen S&P 500-Indexes verdeutlicht im Zeitraum von 2000 bis 2023 extreme Kursentwicklungen, die nicht den Annahmen der Random Walk Theory entsprechen (vgl. Kap. 2.3).
So läuft ein Anleger Gefahr, erhebliche Verluste zu erleiden, wenn er unter der Annahme der Random Walk Theory auf moderate Kursschwankungen innerhalb einer Standardabweichung setzt. Starke Kursschwankungen treten durch unerwartete Ereignisse auf und führen dazu, dass die Häufigkeit von Kursbewegungen, die an den äußeren Rändern der Dichtefunktion zu finden sind, häufiger auftreten, als dies nach Annahme der Random Walk Theory zu erwarten wäre. So können allerdings neben erheblichen Verlusten auch enorme Gewinne verbucht werden, wenn der Anleger entsprechend Glück hat.
Extreme Kursbewegungen zwischen 2000 und 2023 am Beispiel des S&P 500
Abb. 5: Kursentwicklung S&P 500 2000-2023; FactSet
Biografie von Louis Bachelier
Louis Jean-Baptiste Alphonse Bachelier wurde am 11. März 1870 in der französischen Hafenstadt Le Havre geboren.
Mit 22 Jahren begann er das Mathematikstudium an der Sorbonne. Sein Doktorvater war Henri Poincaré, bei dem Bachelier im Jahr 1900 mit der Arbeit „Théorie de la Spéculation“ promovierte, worin er einen probabilistischen Zugang zu den Bewegungen der Aktienkurse suchte.
Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges finanzierte Bachelier seinen Unterhalt durch Stipendien und als Dozent an der Sorbonne. Nach dem Krieg hatte er eine Lehrstuhlvertretung in Besançon, danach in Rennes. Ab 1927 hatte er die Professur in Besançon inne. Der damals renommierte Paul Lévy von der École Polytechnique warf ihm, ohne seine Arbeit gelesen zu haben, schwere Fehler vor, was Bacheliers Berufung an die Universität Dijon vereitelte. Seine Arbeit wurde von den Wirtschaftswissenschaftlern seiner Zeit so gut wie nicht wahrgenommen. Erst nach seinem Tod wurde die Bedeutung seiner Theorie erkannt. Bachelier gilt als Begründer der Finanzmathematik und als einer der Wegbereiter der Theorie der stochastischen Prozesse im Bereich der Finanzmärkte. Er starb am 26. April 1946 in St-Servan-sur-Mer, Frankreich (vgl. Mandelbrot/Hudson, 2004, S. 47 ff.).
Vertiefung Random Walk Theory
Formal lässt sich ein Random-Walk darstellen als:
P steht für den Preis des Wertpapiers zu den Zeitpunkten t bzw. t+1.
Der Ausdruck εt stellt einen Zufallsterm dar, der auf Basis der getroffenen Annahme die Form des Random-Walk bestimmt.
Die strengste Form des Random-Walk würde sich ergeben, wenn angenommen wird, dass der Zufallsterm εt einer Normalverteilung unterliegt, von der Vergangenheit unabhängig ist und einen Erwartungswert von Null aufweist (vgl. Mandelbrot/Hudson, 2004, S. 9 ff.).
Dies würde bedeuten, dass die „gestrige“ Kursänderung keine Auswirkung auf die „heutige“ hat und die „heutige“ Kursänderung keine Auswirkung auf die „morgige“.
Normalverteilung als Basis der Random Walk Theory
Aufgrund der zentralen Annahme, dass die Kursänderungen und damit auch die Renditen von Wertpapieren mittels der Normalverteilung (vgl. Abb. 6) annähernd beschrieben werden können, ist es wichtig, die Eigenschaften der Normalverteilung zu betrachten, die sich wie folgt auflisten lassen (vgl. Mandelbrot/Hudson, 2004, S. 35 ff.):
Die Fläche unter der Häufigkeitsfunktion beträgt immer 100 Prozent.
Die Höhe der Glockenkurve verdeutlicht die am häufigsten eintreffende Rendite – diese Rendite wird auch als Mittelwert der Renditen bezeichnet.
Die Normalverteilung ist symmetrisch, sie sieht links wie rechts vom Mittelwert gleich aus.
Die Wahrscheinlichkeit für höhere Renditen nimmt rechts vom Mittelwert immer mehr ab, ebenso wie für niedrigere Renditen links vom Mittelwert.
Die Normalverteilung wird durch den Mittelwert der Rendite μ (Mü) und der Standardabweichung in Form der Volatilität σ (Sigma) beschrieben.
Abb. 6: Beispielhafte Wertpapierentwicklung auf Basis der Normalverteilung
In Abhängigkeit vom Mittelwert und der Standardabweichung69 kann die Normalverteilung unterschiedliche Formen annehmen, die zugleich die erwartete Rendite und auch die Volatilität angeben (vgl. Abb. 7).
Abb. 7: Ausprägungsformen der Normalverteilung
In Abbildung 7 sind drei Verteilungen erkennbar (A, B und C). Die Verteilungen A und B weisen den gleichen Mittelwert auf und befinden sich – gemessen am Mittelwert – am selben Ort. Die Verteilung C hat einen höheren Mittelwert und befindet sich dementsprechend weiter rechts auf der x-Achse.
Hinsichtlich der Volatilität sind die Verteilungen A und C gleich volatil. Die Verteilung B dagegen zeigt eine höhere Volatilität. Dies ist daran erkennbar, dass die Verteilung flacher ist als die beiden anderen. In den Verteilungen A und C liegen weit mehr Wahrscheinlichkeiten nahe am Mittelwert, während bei der Verteilung B mehr Wahrscheinlichkeiten an extremeren Werten liegen. Je flacher also eine Verteilung ist, desto höher liegt – gemessen als Standardabweichung – das Risiko.
Die neoklassische Kapitalmarkttheorie beschreibt einen Marktteilnehmer als „rational“, wenn er realistische Erwartungen formuliert und diese entsprechend der Erwartungsnutzentheorie umsetzt. Im Gegensatz zu dieser Sichtweise kann es in der Realität geschehen, dass ein verhaltensorientierter Marktteilnehmer unrealistische Erwartungen hegt und auf die Beachtung der nachfolgend erläuterten Erwartungsnutzentheorie verzichtet.
Die Erwartungsnutzentheorie hat die Zielsetzung, rationales Verhalten unter Berücksichtigung von Risiken (Unsicherheit) zu analysieren (vgl. Bank/Gerke, 2005, S. 35 ff.). Dabei steht ein Entscheidungsträger im Mittelpunkt, der zwischen verschiedenen Handlungen wählen muss, deren Ergebnisse/Konsequenzen jedoch ungewiss sind. Die Erwartungsnutzentheorie bildet gemeinsam mit dem Bayes-Theorem (siehe Unterkapitel 1.2.4) der Informationsverarbeitung die Grundlage für die Effizienzmarkthypothese. Bei der Erwartungsnutzentheorie sind zwei Ausprägungen zu unterscheiden:
Objektive Erwartungsnutzentheorie nach Oskar Morgenstern & John von Neumann (1947) – die Verteilungsfunktion möglicher Konsequenzen ist bekannt.
Subjektive Erwartungsnutzentheorie nach Leonard J. Savage70 (1954) – die Verteilungsfunktion möglicher Konsequenzen ist unbekannt; der Entscheidungsträger muss in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit der Konsequenzen durch subjektive Schätzung festlegen.
Im Zentrum dieses Unterkapitels steht die objektive Erwartungsnutzentheorie von Morgenstern/von Neumann. Für die beiden Wissenschaftler war die Erwartungsnutzentheorie ein normativer Ansatz, bei dem die Entscheidungsfindung rational agierender Individuen dargestellt werden sollte. Die Theorie wird durch bestimmte Axiome verankert, die jedoch bei Betrachtung der tatsächlichen Verhaltensweise der Marktteilnehmer in der Realität oft verletzt werden. Im Rahmen der Behavioral Finance wurde als Alternative zur hier aufgeführten normativen Theorie die Prospect Theory (vgl. Kap. 6.2) als deskriptive Theorie entwickelt. Diese von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelte Theorie nimmt an, dass die Marktteilnehmer ihre Ergebnisse relativ zu einem Referenzpunkt beurteilen, anstatt ihr Endvermögen zu betrachten. Daher können die Ergebnisse je nach Referenzpunkt als positive (Gewinne) oder negative Entwicklungen (Verluste) angesehen werden.
Zielsetzung der Erwartungsnutzentheorie ist, rationales Verhalten unter Unsicherheit zu analysieren. Zentraler Gegenstand der Betrachtung ist das Treffen von Entscheidungen, ohne dass deren Ergebnisse/Konsequenzen bekannt sind.
Biografien von Oskar Morgenstern und John von Neumann
Oskar Morgenstern wurde am 24. Januar 1902 in Görlitz geboren. 1925 promovierte er an der Universität Wien in Politischen Wissenschaften. Kurz darauf erhielt er ein Stipendium der Rockefeller Foundation. 1929 kehrte er aus den USA nach Wien zurück und nahm eine Professur an der Universität Wien an. Während seiner Tätigkeit an der Universität gehörte er zum so genannten „Österreichischen Kreis“, eine Gruppe von österreichischen Wirtschaftswissenschaftlern. 1938 emigrierte er in die USA und wurde Professor an der Princeton University, wo er mit von Neumann die Spieltheorie entwickelte.
Neben der Spieltheorie entwickelten sie auch die Erwartungsnutzentheorie als eine Methode, um Entscheidungen unter Unsicherheit zu bewerten.
Morgenstern wurde von der New York University zum Distinguished Professor of Game Theory and Mathematical Economics ernannt. Er starb am 26. Juli 1977 in Princeton.
John von Neumann wurde am 28. Dezember 1903 in Budapest geboren. Seine hohe Intelligenz zeigte sich schon im Kindesalter, indem er als Sechsjähriger blitzartig achtstellige Zahlen im Kopf dividieren konnte.
Nach dem Abitur besuchte er verschiedene Universitäten in Europa, sein Diplom machte er an der ETH Zürich. Daneben studierte er Mathematik und erwarb 1926 den Doktorgrad an der Universität Budapest. 1928 habilitierte er an der Universität Berlin mit der Arbeit Allgemeine Eigenwerttheorie symmetrischer Funktionaloperatoren.
1933 wurde er Professor für Mathematik am neugegründeten Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey. 1933 wurde von Neumann Mitherausgeber der Annals of Mathematics und 1935 der Compositio Mathematica. Zusammen mit Oskar Morgenstern (1902–1977) schrieb er 1944 The Theory of Games and Economic Behavior, womit er zum Begründer der Spieltheorie wurde. Außerdem schrieb er ein Buch über Quantenmechanik und beteiligte sich an der Entwicklung der axiomatischen Mengentheorie.
Im 2. Weltkrieg war von Neumann Berater der US-Armee. Ab 1943 arbeitete er am Manhattan-Projekt in Los Alamos zur Entwicklung von Atombomben.
John von Neumann erhielt für seine wissenschaftlichen Verdienste zahlreiche Ehrungen, darunter Medal of Merit, Medal for Freedom und Albert Einstein Commemorative Award. Darüber hinaus wurde das John von Neumann Institute for Computing in Jülich nach ihm benannt. John von Neumann starb am 8. Februar 1957 in Washington D.C.
Vertiefung objektive Erwartungsnutzentheorie
Zentrales Element der von Morgenstern und von Neumann entwickelten Theorie ist eine Nutzenfunktion u, über deren Erwartungswert Präferenzen abgebildet werden können. Bei der Berechnung des erwarteten Nutzens EU spielt die Ermittlung des Erwartungswerts eine besondere Rolle.
Der Term u(ai) stellt den Nutzen der Ausprägung des Zustandes i der Alternative a dar. pi ist die entsprechende Eintrittswahrscheinlichkeit für das Auftreten dieser Ausprägung.
Die Summe der Eintrittswahrscheinlichkeiten beträgt dabei 1.
Nun ergeben sich zwei Alternativen a und b. Sofern a einen höheren Erwartungsnutzen aufweist als b, wird die Alternative a der Alternative b vorgezogen, d.h. a > b, wenn EU(a) > EU(b).
Der Erwartungsnutzen einer Alternative ist dementsprechend die entscheidende Grundlage einer rationalen Entscheidung, wobei ein rationaler Marktteilnehmer sich für die Alternative entscheidet, welche den höchsten Erwartungsnutzen aufweist (vgl. Kottke, 2005, S. 8).
Axiome für rationales Verhalten
Damit die jeweiligen Präferenzaussagen (Alternative a gegenüber Alternative b) rationales Verhalten nach sich ziehen können, müssen die Präferenzen drei entscheidende Axiome erfüllen. Die Forschungserkenntnisse der Behavioral Finance zeigen jedoch, dass diese Axiome unter realen Bedingungen nicht immer erfüllt werden.
Vollständige Ordnung
Das Axiom „Vollständige Ordnung“ besteht aus zwei Teilaxiomen – Vollständigkeit und Transitivität. Beide Eigenschaften müssen innerhalb des Axioms „vollständige Ordnung“ erfüllt sein.
Vollständigkeit bedeutet, dass alle Alternativen bei einer Entscheidung berücksichtigt werden. Für jede Alternative muss dementsprechend gelten, dass a > b oder b > a ist. Transitivität ist die Eigenschaft, die dann vorliegt, wenn alle Alternativen die Bedingung erfüllen, dass wenn a > b und b > c, dann ist auch a > c.
Die Verletzung dieses Axiomes und damit die Abkehr von der rationalen Verhaltensweise des Marktteilnehmers kann durch diverse Biases (= Faustregeln bzw. Verzerrungen) aus der Behavioral Finance erklärt werden. Diese reduzieren zwar den Komplexitätsgrad der Entscheidung, liefern aber auch verzerrte oder unpräzise Ergebnisse, da sie die Entscheidungsalternativen einschränken (vgl. Elton/Gruber/Brown/Goetzmann, 2007, S. 488).
So kann die Bandbreite der Alternativen eingeschränkt werden, wenn der Marktteilnehmer dem Home Bias unterliegt. In diesem Fall werden inländische Anlagen ausländischen bevorzugt, da mit inländischen eine höhere Sicherheit assoziiert wird.
Stetigkeit
Kann sich nun im Rahmen der Behavioral Finance ein Marktteilnehmer eine Alternative eher vorstellen als eine andere, so wird diese mit einer höheren Wahrscheinlichkeit belegt als Alternativen, die dem Marktteilenehmer weniger bekannt sind. Dieses als Verfügbarkeitsheuristik (Availability Bias)