Hanf als Medizin - Franjo Grotenhermen - E-Book

Hanf als Medizin E-Book

Franjo Grotenhermen

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Beschreibung

Das Standardwerk des Cannabis-Experten Dr. Franjo Grotenhermen gibt umfassend und gut verständlich Auskunft über die Möglichkeiten der Behandlung mit Cannabis und dem Cannabiswirkstoff Dronabinol. Ausführlich werden Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen, Dosierungen und mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten vorgestellt und erläutert. Zudem enthält das Buch viele wertvolle Tipps aus der langjährigen praktischen Arbeit des Autors. "Das auf aktuellstem Wissensstand basierende, gut verständliche Buch leistet einen sehr wichtigen Beitrag zur notwendigen Remedizinalisierung und Entstigmatisierung von Cannabisprodukten. Der klar strukturierte Indikationskatalog, eindrückliche Patientenberichte und wertvolle Applikationshinweise sollen einerseits dem Kranken zu einem kritischen und korrekten Umgang verhelfen, andererseits Medizinalpersonen das enorme therapeutische Potenzial von Cannabinoiden dokumentieren und näher bringen." (Professor Dr. Rudolf Brenneisen, Universität Bern)

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Hanf als Medizin

Dr. med. Franjo Grotenhermen

Hanf als Medizin

Ein praxisorientierter Ratgeber

Impressum

Verlegt durch:

NACHTSCHATTEN VERLAG AG

Kronengasse 11

CH - 4500 Solothurn

Tel: 0041 32 621 89 49

Fax: 0041 32 621 89 47

[email protected]

www.nachtschatten.ch

© 2015 Nachtschatten Verlag AG

© 2015 Franjo Grotenhermen

Überarbeitete und aktualisierte Neuauflage des ursprünglich im AT-Verlag erschienenen Buches (1. Auflage 2004), basierend auf einem 1997 im Karl F. Haug Verlag erschienenen Werk.

Umschlagbild: Christian Rätsch, Hamburg

Umschlaggestaltung und Layout wurden vom AT-Verlag übernommen.

Satz: Reto Wahlen, Solothurn

Lektorat: Karin Breyer, Freiburg i.Br. für den AT-Verlag

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

ISBN 978-3-03788-285-6

ePUB ISBN 978-3-03788-387-7

mobi ISBN 978-3-03788-388-4

Die in diesem Buch wiedergegebenen Informationen sind nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt; sie sollen und können aber Rat und Hilfe eines Arztes nicht ersetzen. Autor und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für Schäden oder Folgen, die sich aus dem Gebrauch oder Missbrauch der hier vorgestellten Informationen ergeben.

Inhalt

Vorwort

Vorwort zur 2. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage

1Geschichte der medizinischen Hanfanwendung

1.1Grossbritannien

1.2USA

1.3Frankreich

1.4Deutschland

1.5Erste pharmazeutische Präparate

1.6Beginn des 20 Jahrhunderts

2Medizinisch wirksame Inhaltsstoffe

2.1Cannabinoide

2.2Andere wirksame Inhaltsstoffe

2.3Unterschiede von Sativa- und Indica-Sorten

2.4Chemie der Cannabinoide

2.5Hinweise zur Anwendung der Cannabinoide

2.6Drogenzubereitungen

3Wie die Cannabinoide im Körper wirken

3.1Cannabinoidrezeptoren

3.2Endocannabinoide

3.3Veränderung des Endocannabinoidssystems bei Krankheiten

3.4Andere Wirkungsweisen

3.5Entwicklung neuer Medikamente

3.6Heute verfügbare Medikamente auf Cannabinoid- bzw. Cannabisbasis

4Das therapeutische Potenzial von Cannabidiol (CBD)

4.1Firmen interessieren sich zunehmend für CBD

4.2CBD ist das wichtigste Cannabinoid im Faserhanf

4.3Erkenntnisse zur Wirkung von CBD aus der Grundlagenforschung

4.4Hemmung von THC-Wirkungen

4.5Gute Wirkungen bei Angststörungen

4.6Antipsychotische Wirkungen

4.7Bekämpfung verschiedener Krebsarten

4.8Hilfe bei bestimmten Störungen der Muskelspannung

4.9Antiepileptische Eigenschaften

4.10Verschiedene Beobachtungen

4.11Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

5Krankheiten, bei denen THC-reiche Cannabisprodukte helfen können

5.1Psychische Erkrankungen

Depressionen

Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörung

Affektive Psychosen, endogene Depressionen, bipolare Störungen

Schizophrene Psychosen

Verwirrtes Verhalten bei der Alzheimer-Krankheit

Autismus

Impotenz und erektile Dysfunktion

Schlafstörungen

Abhängigkeit von Alkohol, Opiaten und Schlafmitteln

5.2Neuropsychiatrische Erkrankungen

Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung

Zwangsgedanken und Zwangshandlungen

Tourette-Syndrom

5.3Neurologische Erkrankungen

Spastik, Multiple Sklerose, Querschnittslähmung

Blasenfunktionsstörung

Hyperkinetische Bewegungsstörungen

Parkinson-Krankheit

Epilepsie

Schädigungen des Gehirns durch Verletzungen oder Schlaganfall

5.4Schmerzerkrankungen

Neuropathische Schmerzen

Krebsschmerzen

Rheuma, Arthritis und Morbus Bechterew

Fibromyalgie

Kopfschmerzen

5.5Magen-Darm-Erkrankungen

Magenschutz, Magengeschwüre und Sodbrennen

Durchfall

Reizdarm

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

5.6Übelkeit und Erbrechen

Krebschemotherapie

HIV/Aids

Hepatitis C

Schwangerschaftserbrechen

Andere Erkrankungen mit Übelkeit

5.7Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust

Krebs

Aids

Alzheimer-Krankheit

Appetitlosigkeit im Alter

Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

5.8Entzündungen und Allergien

Entzündungen

Allergien

5.9Juckreiz

5.10Atemwegserkrankungen

Asthma

Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung

Husten

5.11Glaukom

5.12Diabetes

5.13Schlafapnoe

5.14Krebs

5.15Verschiedene weitere Erkrankungen

Schluckauf (Singultus)

Nystagmus

Tinnitus (Ohrgeräusche)

Idiopathische intrakranielle Hypertension

Stiff-Person-Syndrom

Isaacs-Syndrom

Verbesserte Nachtsicht

Geburtsunterstützung

Antivirale Wirkungen bei HIV

Amyotrophe Lateralsklerose

Lupus erythematodes

Bluthochdruck

6Nebenwirkungen

6.1Allgemeine Gefährlichkeit von Cannabis

6.2Akute Nebenwirkungen

Psychische Wirkungen und psychomotorische Leistungsfähigkeit

Körperliche Nebenwirkungen

6.3Langzeitnebenwirkungen

Risiken des Rauchens

Psyche und Denken

Toleranzentwicklung

Abhängigkeit

Rebound-Effekte

Immunsystem

Hormonsystem und Fruchtbarkeit

6.4Schwangerschaft

6.5Nebenwirkungen der Illegalität

6.6Cannabis und andere Drogen im Vergleich

7Kontraindikationen und Vorsichtsmassnahmen

7.1Absolute Kontraindikation

7.2Relative Kontraindikationen

8Die Einnahme von Cannabisprodukten

8.1Einnahmeformen

Rauchen und Inhalieren

Essen und Trinken

Sublinguale Anwendung

Cannabisöl, Haschischöl, Hanföl

Herstellung von Haschischöl

Cannabisöl mit Olivenöl extrahieren

Cannabis-Butter

8.2Dosierung und Dosisfindung

8.3Was tun bei einer Überdosierung?

8.4Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Drogen

Substanzen, die möglichst nicht zusammen mit Cannabis oder THC genommen werden sollten:

9 Tipps zum Umgang mit Cannabis und Dronabinol

9.1Essen und Trinken von Cannabis

9.2Inhalation von Dronabinol

9.3Wenn Beschwerden zunehmen

9.4Verschreibung von Dronabinol und Sativex

9.5Kostenübernahme durch die Krankenkassen

9.6Ausnahmeerlaubnis für Cannabisblüten durch die Bundesopiumstelle

9.7Rechtliche Lage: die „geringe Menge“

9.8Führerschein und Cannabisprodukte

9.9Cannabis im Ausland kaufen

9.10Nachweis von Cannabinoiden in Blut und Urin

9.11Cannabisprodukte bei Kindern

9.12Anbau von Cannabis

9.13Trocknen von Cannabis

9.14Lagern von Cannabis

10Hanfsamen und Hanföl

10.1Grundsätzliches

10.2Gamma-Linolensäure

10.3Der therapeutische Nutzen von Gamma-Linolensäure und Hanföl

Neurodermitis

Hanföl zur Hautpflege

Gamma-Linolensäure bei anderen Erkrankungen

Anhang

Definitionen und Erläuterungen

Literatur

Geschichte der medizinischen Hanfanwendung

Krankheiten, bei denen Cannabisprodukte helfen können

Zum Autor

Vorwort

Seit der 2. Auflage hat sich in Deutschland und weltweit das Thema Hanf beziehungsweise Cannabis als Medizin politisch, rechtlich und wissenschaftlich wieder erheblich weiterentwickelt. So ist in vielen europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, der Cannabisextrakt Sativex arzneimittelrechtlich zugelassen worden. Eine langjährige juristische Auseinandersetzung hat das Bundesgesundheitsministerium in Deutschland zudem gezwungen, dass die Bundesopiumstelle in Bonn Ausnahmegenehmigungen zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke erteilen muss, wenn eine solche Behandlung medizinisch erforderlich ist.

Eine zunehmende Zahl von Patienten in der Welt verwendet Cannabis und einzelne Cannabinoide aus therapeutischen Gründen, und vermehrt eröffnen Länder ihren Bürgern einen legalen Zugang zu einer solchen Behandlung. Dazu zählen vor allem viele Staaten der USA, Kanada, die Niederlande und Israel. Andere Länder wie Spanien und Tschechien erlauben den Besitz für die persönliche Verwendung, so dass auch Patienten von dieser Situation profitieren. In einigen Staaten der USA, wie Colorado, Oregon, Montana, Kalifornien und Michigan besitzen mehr als ein Prozent der Bevölkerung eine Erlaubnis zur medizinischen Verwendung von Cannabis. In Israel wird geschätzt, dass die Zahl der Patienten, die eine Erlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten erhalten werden, von 13 000 im Jahr 2013 in den nächsten Jahren auf 40 000 ansteigen wird.

In jüngerer Zeit sind neben den körperlichen Erkrankungen, wie chronische Schmerzen, neurologische Symptome, Appetitlosigkeit oder schwere Übelkeit aufgrund unterschiedlicher Ursachen vermehrt auch psychische Erkrankungen ins Blickfeld des medizinischen Interesses gerückt, darunter posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen und Zwangsstörungen sowie Hyperaktivität, bei denen Cannabisprodukte oft sehr wirksam sind und den Betroffenen ein erhebliches Mass an Lebensqualität zurückgeben können. Die Forschung in diesem Bereich befindet sich allerdings noch weitgehend am Anfang. Das Interesse an einer Therapie mit dem nicht psychotropen Cannabinoid CBD (Cannabidiol) hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Ein weiteres wichtiges Thema im Internet ist die Verwendung von Cannabisprodukten zur Behandlung verschiedener Krebsarten, auch wenn die wissenschaftliche Datenlage bisher kaum Aussagen über mögliche Erfolgschancen zulässt.

Auch diese aktualisierte Neuauflage des Buches kann nur einen Überblick über den gegenwärtigen Stand einer dynamischen Entwicklung liefern. Cannabisprodukte, das lässt sich bereits heute sagen, werden sich zunehmend zu akzeptierten Standardtherapien entwickeln, weltweit, wenn auch länderabhängig in einem sehr unterschiedlichen Tempo.

Rüthen, im November 2014

Vorwort zur 2. Auflage

Seit der ersten Auflage des Buches vor nunmehr fast sieben Jahren gab es einen enormen wissenschaftlichen Erkenntniszugewinn über den medizinischen Nutzen der Cannabinoide, was eine vollständige Überarbeitung des Buches erforderlich gemacht hat. Viele Abschnitte wurden neu konzipiert und erheblich erweitert. Neu aufgenommen wurde ein Kapitel mit vielfältigen Tipps im Umgang mit Cannabisprodukten.

Auch das öffentliche Bewusstsein und die Haltung von Politik und Justiz haben sich seither positiv entwickelt. Seit 1998 darf der Cannabiswirkstoff Dronabinol (THC) in Deutschland verschrieben werden. Er ist auch in Österreich und der Schweiz erhältlich. Der Deutsche Bundestag hat im Sommer 2000 festgestellt, dass Cannabis ein therapeutisches Potenzial bei einer Anzahl von Erkrankungen besitzt. Die Bereitstellung von Cannabisextrakten zur medizinischen Verwendung wird vorbereitet. Im Jahre 2003 gab es vor einem deutschen Gericht erstmals einen Freispruch eines Multiple-Sklerose-Patienten, der illegalen Cannabis zu medizinischen Zwecken verwendete. Der Richter stellte einen rechtfertigenden Notstand fest. Auch in Österreich gab es einen solchen Freispruch für einen Aids-Patienten. In der Schweiz wird die medizinische Verwendung von sonst illegalem Cannabis von den Behörden weitgehend geduldet.

Viele Patienten, die Cannabis verwenden, erleben ihn als das beste Medikament, das sie je versucht haben, das zudem völlig nebenwirkungsfrei für sie ist. Viele Menschen, die oft an schweren Erkrankungen leiden, haben mit Cannabisprodukten endlich Linderung erfahren. Leider ist Cannabis jedoch kein Wundermittel. Viele Patienten sind daher enttäuscht, weil es ihnen nicht hilft oder die Nebenwirkungen bei ihnen zu stark sind.

Wenn Sie Ihre Krankheit oder Ihre Beschwerden als mögliches Einsatzgebiet für Dronabinol und Cannabis in diesem Buch entdecken, hilft nur eins: Probieren Sie aus, ob Sie zu jenen zählen, denen sie helfen, oder zu denen, denen sie nicht helfen. Verzagen Sie nicht gleich, wenn es eine Weile dauert, bis Sie Ihre individuelle Dosis ermittelt haben.

Dieses Buch bietet eine Übersicht der wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse und vermittelt zugleich persönliche Erfahrungen, die sich aus dem Kontakt mit vielen Patienten und Ärzten ergeben haben. Allen, die mir ihre Erfahrungen mitgeteilt haben, so dass ich sie weitergeben konnte, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.

Liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht ist Cannabis oder Dronabinol das Medikament, nach dem Sie gesucht haben, oder zumindest ein Mittel, das Ihnen ein wenig Linderung verschafft. Ich wünsche es Ihnen von Herzen!

Köln, im August 2003

Vorwort zur 1. Auflage

Der Wissenszugewinn in der Medizin hat dank moderner Forschungsmethoden ein atemberaubendes Tempo entwickelt. Die Geschichte der arzneilichen Verwendung der Hanfpflanze (botanisch: Cannabis sativa) lässt jedoch den Verdacht aufkommen, dass wir uns heute nicht auf der Höhe des Wissens über ihr arzneiliches Potential befinden. Dies ist zum Teil eine Nachwirkung von Kampagnen, in denen Cannabis als Mörderdroge diffamiert und als Heilpflanze diskreditiert wurde. Irrationale Vorstellungen erschweren noch heute die medizinische Forschung und die therapeutische Anwendung.

Medizinisch genutzt werden können das aus den Samen der Hanfpflanze gewonnene Öl und die vor allem im Drogenhanf enthaltenen Cannabinoide, die auch für den Cannabisrausch verantwortlich sind. Hanföl ist reich an wertvollen essentiellen Fettsäuren. Es ist als hochwertiges Speiseöl frei verkäuflich. Die Verwendung von natürlichen Drogenhanfprodukten ist dagegen seit wenigen Jahrzehnten gesetzlich verboten. Sowohl Hanfsamen und Hanföl als auch drogenhaltige Cannabisprodukte finden seit Jahrtausenden als Heilmittel Verwendung.

Vielfach drehen sich Gespräche mit Patienten, die die medizinischen Qualitäten der Cannabinoide nutzen wollen, weniger um medizinische Aspekte als vielmehr um rechtliche Fragen oder um Dosierungsprobleme aufgrund der schwankenden Qualität von Cannabisprodukten wie Marihuana und Haschisch. Die Probleme, die mit dem illegalen Status von Cannabis verbunden sind, stellen heute sicherlich die grössten Nebenwirkungen der medizinischen Verwendung der Cannabinoide dar. Es gibt viele Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel mit einem grösseren Abhängigkeitspotential als Cannabis, die auf einem normalen Rezept verschrieben werden dürfen. Die Einstufung von Cannabis als „nicht verkehrsfähiges“ Betäubungsmittel ist daher heute medizinisch nicht mehr vernünftig. Cannabispräparate von definierter Qualität sollten wie andere Medikamente vom Arzt verordnet werden dürfen.

In einer 1996 veröffentlichten Studie des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte über die arzneiliche Verwendung von Cannabisprodukten heisst es: „Die genannten Forschungsergebnisse bestäti­gen die Existenz therapeutischer Wirkungen von Cannabis in unterschiedlichen Indikationsberei­chen (...) So entbehrt sowohl eine unkritische Euphorie hinsichtlich der therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis beziehungsweise THC der Grundlage wie an­dererseits eine auf entgegengesetzten Posi­tio­nen resultierende generelle Ablehnung mit der Behauptung, es gebe ‘auf jedem Gebiet bessere therapeutische Alternativen’.“

Solche Gebiete sollen hier unter Abwägung anderer Behandlungsalternativen vor allem betrachtet werden. Darüber hinaus werden auch Indikationen berücksichtigt, bei denen Cannabisprodukte möglicherweise ebenfalls sinnvoll eingesetzt werden können. Der Leser und die Leserin erfahren auch etwas über die interessante Geschichte der Cannabisanwendung über die Jahrhunderte, darüber wie Cannabis wirkt, was im Körper geschieht, wie man es anwenden kann, welche unerwünschten Wirkungen auftreten können und andere bemerkenswerte Dinge.

Neben der wissenschaftlichen Literatur werden auch viele persönliche Erfahrungen von Patienten mit der Anwendung von Cannabis berücksichtigt. Wissenschaftliche Forschung wird beeinflusst durch tabuisierte Bereiche, die nicht oder kaum erforscht werden, wissenschaftliche Moden, karrierefördernde Schwerpunkte und Koalitionen, politische Opportunität, gesellschaftliche Forderungen, gesetzliche Vorgaben und die Verteilung von Forschungsgeldern und anderen -mitteln durch die Industrie, Verbände oder die öffentliche Hand. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Wissensstand der Wissenschaftler dem Wissen vieler medizinischer Laien etwa bei der Schmerzbehandlung mit Cannabis hinterherhinkt. Es ist in dieser Situation erfreulich, dass es Ärzte gibt, die jenseits von Dogmen ganz unspektakulär und selbstverständlich auf diesem Gebiet mit ihren Patienten kooperieren. Gleichzeitig bleibt eine veränderte Einstellung gegenüber Cannabis in der Gesellschaft auch nicht ohne Auswirkungen auf das Interesse von Forschern oder die Genehmigung von Forschungsvorhaben.

Die Haltung gegenüber verschiedenen Drogen weist nicht nur erhebliche kulturelle Unterschiede auf, sondern wandelt sich auch innerhalb einer Kultur im Laufe der Zeit erheblich. Es reicht dazu, die letzten 100 Jahre anzuschauen, in denen Hanf den Wandel von einem gebräuchlichen Medikament westlicher Ärzte zu einer verfemten Droge durchlief. Etwa zu der Zeit als eine grosse deutsche Pharmafirma um die Jahrhundertwende den Morphinabkömmling Heroin als nebenwirkungsarmes Schmerzmittel auf den Markt brachte, ging die Bedeutung der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten zurück. Bald wurde Heroin anders gesehen und auch die Freude über viele heute gebräuchliche Tranquilizer ist nicht mehr so ungetrübt wie vor einigen Jahrzehnten. Der medizinische Wert der Opiate und der Tranquilizer ist jedoch trotz des verbreiteten Missbrauchs in Fachkreisen unbestritten. Für Cannabisprodukte liegen die Dinge heute noch anders.

Bezeichnungen für Drogen sagen oft mehr über die Einstellung gegenüber der Droge aus als über die Droge selbst. Bereits der Begriff „Droge“ demonstriert dies. Als Drogen wurden ursprünglich Pflanzen- oder Pflanzenteile bezeichnet, aus denen Heilmittel gewonnen wurden, und auch heute wird dieser Begriff in der Medizin manchmal noch so verwendet. Auch die Drogerie erinnert daran. In einem engeren Sinne werden alle legalen und illegalen Substanzen, die zur Abhängigkeit führen können (Koffein, Alkohol, Nikotin, Morphin, Tranquilizer etc.), als Drogen bezeichnet. Der Begriff Drogenmissbrauch wird bevorzugt auf illegale Drogen angewandt. Vielfach wird hier grundsätzlich von Missbrauch ausgegangen, während bei legalen Drogen auch neutral von Konsum gesprochen wird.

Als „Betäubungsmittel“ gelten in Deutschland und der Schweiz Substanzen, die unter das entsprechende Betäubungsmittelgesetz fallen. Dabei fallen unter die „Betäubungsmittel“ auch Stimulanzien wie Kokain oder Halluzinogene wie LSD, während andere Substanzen mit eher betäubenden Effekten nicht unter das Gesetz fallen. Begrifflichkeiten rufen oft Vorstellungen und Assoziationen hervor, die wenig mit der pharmakologischen Realität gemeinsam haben. Gerade auch beim Thema Drogen werden Begriffe oft bewusst in dieser Weise zur Meinungsmanipulation verwendet. Es ist daher nützlich, sich die Frage zu stellen, auf welchen Grundlagen die eigene Sichtweise beruht, welchen Wirklichkeitsgehalt die eigenen Vorstellungen haben.

Die Hanfpflanze als Lieferant von Fasern für Textilien und technische Anwendungen sowie von wertvollem Öl für die Nahrung, für pflegende und medizinische Zwecke erlebt seit wenigen Jahren eine aufsehenerregende Wiederentdeckung. Gleichzeitig ist im deutschsprachigen Raum eine zunehmende Normalisierung im Umgang mit der Rauschdroge und dem Medikament Cannabis festzustellen. Sowohl die Vorstellungen von der Wunderdroge als auch die Dämonisierung als Mörderdroge beginnen der Realität und einer sachlichen Sicht Platz zu machen und Cannabis beziehungsweise den Cannabinoiden einen noch nicht näher bestimmbaren Stellenwert in dem Repertoire medizinischer Behandlungsmöglichkeiten zuzuweisen. Diese Entwicklung wird dazu führen, so darf gehofft werden, schliesslich das gesamte Potential der Hanfpflanze zu erschliessen.

Alle hier vorgestellten Auszüge aus persönlichen Erfahrungsberichten stammen von Menschen aus Deutschland oder aus der Schweiz. Überwiegend sind sie anonym gehalten und stammen aus dem Jahre 1996. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen, die ihre Erfahrungen mitgeteilt haben. Sie ermöglichen damit Menschen in ähnlicher Situation einen leichteren Zugang zur Frage, ob Cannabis eventuell auch ihnen helfen kann, wie sie es verwenden können und was dabei zu beachten ist.

Köln, im Dezember 1996

Dr. med. Franjo Grotenhermen

1 Geschichte der medizinischen Hanfanwendung

Die Hanfpflanze (lateinisch: Cannabis sativa) wird seit langer Zeit vom Menschen zur Fasergewinnung sowie der Zubereitung nahrhafter Nahrungsmittel aus ihren Samen verwendet. Man geht heute davon aus, dass Hanf seit mehreren tausend Jahren in Asien kultiviert wird. Über Vorderasien gelangte der Cannabis noch in vorchristlicher Zeit nach Afrika und Europa, sowie von dort im 16. und 17. Jahrhundert nach Nord- Mittel- und Südamerika.

Das erste Papier, welches in China viele Jahrhunderte vor Christus hergestellt wurde, war Hanfpapier, eine Erfindung, die lange geheim gehalten werden konnte. Erst im 9. Jahrhundert brachten die Araber das Papier in die westliche Welt, wo es Papyrusrollen und Tontafeln ersetzte. Die erste Gutenberg-Bibel wurde – wie die anderen Bücher seiner Zeit – auf Papier aus Hanf und Flachs gedruckt. Seit langer Zeit werden Kleidung, Stoffe und Seile aus der vielseitig verwendbaren Faser gefertigt. Sowohl die Phönizier, die vor 3000 Jahren das Mittelmeer befuhren, als auch die alten Ägypter der Pharaonen verwendeten das reissfeste Material für ihre Segel und Fischernetze.

Auch die Drogeninhaltsstoffe wurden seit vorchristlicher Zeit in vielen Kulturen bei religiösen Riten und Heilungszeremonien genutzt. Die Hanfpflanze wurde in den Veden (Indien, 1500 bis 1300 vor Christus), aber auch im Buch Chu-tzu (China, circa 300 vor Christus) als heilig bezeichnet. Vor allem in Zentralasien waren bereits einige der heute wieder entdeckten medizinischen Eigenschaften des Hanfs bekannt, wie sein überlieferter Einsatz bei einigen neurologischen Erkrankungen beweist.

Gelegentlich können wir auch heute noch von diesen Jahrhunderte und Jahrtausende alten Erfahrungen profitieren.

Älteste Darstellung des Hanfes in Europa aus dem Manuscriptum Dioscorides Constantinopolitanus des britischen Museums in London aus dem 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus mit späteren arabischen Anmerkungen.

Im 17. Jahrhundert lernten Europäer, welche die arabischen Länder und Asien bereisten, Cannabis mit einem höheren THC-Gehalt kennen. Der Begriff „indischer Hanf“ wurde zuerst durch den deutschen Naturalisten Georg Eberhard Rumpf (1627–1702) eingeführt. Allerdings fand indischer Hanf vor dem 19. Jahrhundert keine breite medizinische Verwendung in Europa und Amerika, sondern man stand ihm oft skeptisch gegenüber.

1823 erschien im renommierten Hufeland-Journal ein Artikel über die erfolgreiche Verwendung des indischen Hanfes zur Behandlung des Keuchhustens: „Das Extraktum Cannabis wurde in der Polyklinik in Berlin gegen Tussis convulsiva in einem Falle mit schneller Hülfe gebraucht, und dasselbe in Pulver mit Zucker zu 4 Gran täglich verordnet.“ 1830 wurde die medizinische Verwendung des indischen Hanfes erstmals detailliert in Europa durch Theodor Friedrich Ludwig Nees von Esenbeck, Professor für Pharmazie und Botanik in Bonn, beschrieben: „Mehrere Ärzte, auch Hahnemann geben das weinige Extrakt gegen mancherlei Nervenbeschwerden, wo man sonst Opium oder Bilsenkraut anwendet, welche Mittel dasselbe ersetzen soll, ohne bei grosser Bitterkeit so sehr zu erhitzen.“

1.1 Grossbritannien

Der wichtigste Pionier für die moderne medikamentöse Verwendung der Hanfpflanze – und insbesondere seiner psychotropen Inhaltsstoffe – in Westeuropa war der schottische Arzt, Wissenschaftler und Ingenieur Sir William Brooke O’Shaughnessy. 1833 war O’Shaughnessy dreiunddreissigjährig als Angestellter der British East India Company erstmals nach Indien gekommen. Er interessierte sich bald für das therapeutische Potential von Cannabis und veröffentlichte 1839 eine Zusammenfassung seiner Erfahrungen, die in Grossbritannien grosse Beachtung fand. Zunächst berichtete er über die volkstümliche und medizinische Verwendung der Pflanze in Indien und führte darüber hinaus Studien an Tieren und Menschen durch, um zu einem besseren Verständnis der Wirkungen zu gelangen, und auch das Nebenwirkungspotenzial genauer abschätzen zu können.

Nach ersten Untersuchungen kam er zu dem Ergebnis, dass wegen der „perfekten Sicherheit bei der Gabe von Hanfharz“ eine ausführliche Studie in Fällen, bei denen „seine offensichtlichen Qualitäten den grössten Grad von Nutzen versprechen“ durchgeführt werden sollte.

So wurden Cannabis-Tinkturen – alkoholische Auszüge des Harzes – Patienten mit wiederholten rheumatischen Beschwerden, Tetanus, Tollwut, kindlichen Krämpfen, Cholera und Delirium tremens verabreicht (ca. 65 bis 130 mg der Tinktur pro Dosis). Beim Rheumatismus wurden zwei von drei Fällen „nahezu geheilt innerhalb von drei Tagen“. Die dabei verwendeten hohen Dosen führten jedoch zu erheblichen Nebenwirkungen wie völlige Bewegungslosigkeit und unkontrolliertem Verhalten. Der dritte Patient sprach auf die Behandlung nicht an und erklärte schliesslich, dass er gewohnheitsmässiger Cannabiskonsument sei – ein früher Bericht über die Entwicklung einer Toleranz.

Weitere Studien mit geringeren Dosen führten zu ähnlichen Effekten: „Schmerzlinderung bei den meisten – eine bemerkenswerte Appetitzunahme bei allen – unzweifelhafte Aphrodisia und grosse geistige Heiterkeit. Der entwickelte Zustand war bei allen einheitlich und bei keinem war Kopfschmerz oder Übelkeit eine Folge dieser Erregung.“

Konvulsionen und Spasmen, die bei Tollwut und Tetanus auftreten, liessen sich mit recht hohen Cannabisdosen beherrschen. Im Fall von Tetanus konnte Cannabis die Prognose verbessern und wurde in Dosen von 650 mg bei hoffnungslosen Fällen verabreicht. O’Shaughnessy registrierte eine Muskelentspannung und eine Unterbrechung der „konvulsiven Tendenz“. Auch die Beobachtungen bei kindlichen Krampfzuständen waren ermutigend. Bei der Behandlung der Cholera wurden ausgezeichnete Ergebnisse erzielt. Dabei war der Erfolg bei Europäern besser als bei einheimischen Indern, die regelmässig Bhang konsumierten. O’Shaughnessy erkannte auch bereits die Brechreiz hemmenden Qualitäten von Cannabis.

Angeregt durch die Berichte O’Shaughnessys entwickelte sich Cannabis in Europa und Amerika bald zu einem akzeptierten Medikament und viele andere Ärzte berichteten von ihren Erfahrungen.

Donavan (1845) beschreibt die Wirksamkeit bei heftigen neuralgischen Schmerzen in Armen und Fingern, bei Entzündungen der Kniegelenke, Gesichtsneuralgie (Faszialisneuralgie), Ischialgien der Hüfte, des Knies und der Füsse. Er beobachtete zudem positive Wirkungen auf den Appetit. Corrigan beschrieb im gleichen Jahr mehrere Fälle von Chorea Huntington (Veitstanz) und Nervenschmerzen, die erfolgreich mit Cannabis-Tinktur behandelt werden konnten. Wie andere Ärzte registrierte er eine starke Variabilität der Drogenwirksamkeit, die heute auf die variable Konzentration des THC zurückgeführt werden kann. In einem Fall führten 20 Tropfen der Tinktur zu einem „vorübergehenden Kraftverlust nahezu aller Muskeln, gefolgt von Schlaf, während eine vergleichbare Dosis von einem anderen Patienten dreimal täglich eine Woche lang straflos und mit Erfolg genommen wurde“.

Auch andere britische Ärzte wie Churchill (1849), Christison (1851), Grigor (1852), Dobell (1863), Silver (1870), Brown (1883), Batho (1883), Fox (1897) und Birch (1889) berichteten von den Schmerz hemmenden Qualitäten bei rheumatischen Beschwerden, Ischialgie, Migräne und anderen Schmerzen, bei Muskelkrämpfen, Asthma, Schlaflosigkeit, zur Verstärkung der Gebärmutterkontraktionen unter der Geburt bei gleichzeitiger Verminderung des damit verbundenen Schmerzes, zur Verminderung von Gebärmutterblutungen sowie der Blutung bei verlängerter Menstruation (Menorrhagie), sowie zur Behandlung der Abhängigkeit von Opium oder Chloralhydrat. Nach Birch (1889) beschwichtige indischer Hanf unmittelbar „den Hunger nach Chloral oder Opium“ und stelle die Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme wieder her.

Sir John Russell Reynolds, ein zu seiner Zeit sehr bekannter Professor für Medizin in London und Leibarzt von Königin Victoria, der er monatlich Cannabis zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden verabreichte, fasste im Jahre 1890 seine mehr als dreissigjährigen Erfahrungen mit medizinischen Hanfpräparaten zusammen: „Wenn es rein und sorgfältig gegeben wird, ist indischer Hanf eines der wertvollsten Medikamente, die wir besitzen.“ Er führte aus, dass Cannabis „über Monate, ja Jahre“ sehr erfolgreich bei Altersschlaflosigkeit angewendet werden könne, „ohne dass die Dosis erhöht werden muss“. In Fällen von Wahnsinn sei es „mehr als nutzlos“. Bei „nahezu allen schmerzhaften Erkrankungen“ sei indischer Hanf „bei weitem die nützlichste Droge“. Er betonte die Verwendung bei Trigeminus-Neuralgie und anderen Nervenschmerzen. Bei Ischiasbeschwerden und allen Schmerzen, die nur bei Bewegung auftreten, sei es jedoch nutzlos. Viele Migränepatienten hielten ihre anfallsartig auftauchenden Beschwerden im Zaum, in dem sie Hanf nähmen „bei drohendem Anfall oder beim Beginn der Erkrankung“. Hanf sei zudem sehr wertvoll bei der Behandlung „nächtlicher Krämpfe von alten und gichtkranken Menschen“ und in Fällen von schmerzhafter Menstruation. In einigen Fällen sei auch spastisches Asthma günstig beeinflusst worden.

1.2 USA

Auch in den USA war die therapeutische Verwendung von Cannabis bekannt. Im Arzneimittelbuch der USA von 1854 heisst es zu den medizinischen Qualitäten von Cannabis: „Hanfextrakt ist ein starkes Narkotikum, welches zu Heiterkeit, Rauschzustand, delirösen Halluzinationen und in der Folge zu Schläfrigkeit und Betäubung führt, mit geringem Effekt auf den Kreislauf. Es wird zudem gesagt, dass es als Aphrodisiakum wirke, den Appetit verbessere und gelegentlich einen kataleptischen Zustand hervorrufe. Bei krankhaften Systemzuständen kann es den Schlaf einleiten, Spasmen mildern, nervöse Unruhe ordnen und den Schmerz mindern. In dieser Hinsicht ähnelt es Opium in seinen Wirkungen; aber es unterscheidet sich von diesem Narkotikum, da es weder den Appetit vermindert, noch die Sekretionen unterbindet oder zur Verstopfung der Eingeweide führt. Es ist wesentlich unsicherer in seinen Effekten, sollte allerdings manchmal vorgezogen werden, wenn Opium wegen seiner Übelkeit oder Verstopfung hervorrufenden Effekte kontraindiziert ist. Die Beschwerden, bei denen es spezifisch eingesetzt wurde, sind Neuralgie, Gicht, Tetanus, Tollwut, epidemische Cholera, Chorea, Hysterie, Depression, Wahnsinn und Gebärmutter-Blutungen. Dr. Alexander Christison aus Edinburgh fand, dass es die Eigenschaft besitzt, die Gebärmutterkontraktionen während der Geburt zu beschleunigen und zu verstärken, und hat es mit Erfolg zu diesem Zweck eingesetzt. Es wirkt sehr schnell, und ohne anästhesierenden Effekt. Es scheint allerdings, dass es diesen Einfluss nur bei einer bestimmten Zahl der Fälle ausübt.“

Erste Seite der Doktorarbeit von Georg Martius aus Erlangen von 1855: „Ich dachte hierbei an den Hanf, dessen Naturgeschichte noch manches Dunkle und Irrthümliche darbot, und der in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der ärztlichen Welt in immer steigenderem Grade auf sich zog.“

Zwar wurden wegen der variablen Zusammensetzung der Präparate nicht selten Überdosierungen beobachtet, die allerdings niemals zu schwerwiegenden Folgen führten. So schrieb Robinson im Jahre 1912: „Eine Überdosis hat niemals den Tod eines Menschen oder bei einem niederen Tier verursacht. Es wurde kein authentischer Fall berichtet, bei dem Cannabis oder eine seiner Zubereitungsformen Leben zerstörte.“ Dieses hohe Mass an therapeutischer Sicherheit konnten weder andere zu dieser Zeit erhältliche noch können heute viele moderne Medikamente gewährleisten.

1.3 Frankreich

In Frankreich interessierten sich nicht nur Ärzte, sondern auch Künstler für die Wirkung der Droge. Der Dichter Theophile Gautier schilderte 1843 unter dem Titel Le Club des Haschischins (Der Klub der Haschischesser) in der Pariser Zeitung La Presse ausführlich einen langen Haschischrausch. Weitere Mitglieder des Klubs waren die Schriftsteller Alexandre Dumas und Charles Baudelaire, der seine Cannabiserfahrungen in seinen Roman Der Graf von Monte Christo einfliessen liess, sowie der Karikaturist Honoré Daumier und der Maler Eugene Delacroix. Der Psychiater Jacques Joseph Moreau de Tours, der seit 1840 die Pariser Irrenanstalt Ivry leitete, betrachtete Haschisch als wichtiges Mittel in der Psychiatrie. Er behandelte sieben Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen, von denen er fünf heilen konnte.

1.4 Deutschland

Aus Deutschland berichteten unter anderem Freudenstein, Beron, von Kobylanski, Fronmüller und Martius über ihre Erfahrungen mit Cannabis. Nur zwei Jahre nach der bahnbrechenden Publikation von O›Shaughnessy erschien an der Universität Marburg die Doktorarbeit von Georg Freudenstein (1841, De Cannabis sativae usu ac viribus narcoticis), die sich mit den kulturhistorischen und pharmakologischen Aspekten der Pflanze befasst.

Der bulgarische Arzt Basilus Beron berichtet in seiner 1852 an der Universität Würzburg veröffentlichten Doktorarbeit (Über den Starrkrampf und den indischen Hanf als wirksames Heilmittel gegen denselben) zur Verwendung von Cannabis beim Tetanus (Starrkrampf): „Ich war so glücklich, nachdem wird fast alle bis jetzt bekannten antitetanischen Mitteln fruchtlos angewandt, nach der Anwendung des indischen Hanfes der mir zugetheilte Kranke ganz geheilt wurde, (…) weswegen der indische Hanf dringend gegen der Starrkrampf zu empfehlen ist.“ Im gleichen Jahr erschien an der gleichen Universität die Doktorarbeit von Franz von Kobylanski Über den indischen Hanf mit besonderer Rücksicht auf seine wehenbefördernde Wirkung.

Bernhard Fronmüller, Arzt am Krankenhaus in Fürth und königlich bayerischer Bezirksarzt, berichtete 1869 in seiner viel beachteten Arbeit Klinische Studien über die schlafmachende Wirkung der narkotischen Arzneimittel über seine Erfahrungen bei genau eintausend Patienten, die aus unterschiedlichen Ursachen an schweren Schlafstörungen litten und von ihm mit verschiedenen Medikamenten behandelt worden waren. Danach war Cannabis in 53 Prozent der Fälle gut wirksam, in 21,5 Prozent teilweise und in 25,5 Prozent nicht oder nur gering wirksam. Fronmüller schätzte aber auch die schmerzlindernden Eigenschaften des Hanfes und registrierte einen appetitanregenden und entzündungshemmenden Effekt.

See (1890) aus Paris, berichtete in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift über seine Beobachtungen bei der Behandlung von Magenbeschwerden und Appetitlosigkeit. Geringe Dosen, die nicht zu unangenehmen Nebenwirkungen führten, linderten den Schmerz, verstärkten den Appetit, bekämpften Erbrechen sowie Magenkrämpfe und wirkten auch günstig auf die „entfernteren Erscheinungen (...) den Schwindel, die Migräne, die Schlafsucht und die Schlaflosigkeit“. Weiter heisst es: „Ich habe Kranke (...) gesehen, deren gastrische Hyperästhesie so gross war, dass sie keine Speisen mehr zu sich zu nehmen wagten und sich mit wenigen Mundvoll Milch begnügten. Sofort nach den ersten Dosen des Medicamentes fühlten sie eine derartige Linderung, dass sie ohne Nachteil selbst feste Speisen, unter anderen rohes oder gekochtes, gehacktes Fleisch, Pürees von getrockneten Hülsenfrüchten, Eier u.s.w. zu verzehren vermochten (...) Die Cannabis ist von constanter Wirkung zur Beseitigung der Schmerzempfindungen und zur Wiederherstellung des Appetites, unter welchen Verhältnissen auch die Schmerzen und die Appetitlosigkeit auftreten mögen (...) Die Magenverdauung wird durch die Cannabis begünstigt, wenn jene durch einen neuro-paralytischen Zustand verlangsamt, oder durch die Hyperhydrochlorie schmerzhaft ist (...) Auch die Darmverdauung profitiert von den beruhigenden Eigenschaften der Cannabis (...) Kurz die Cannabis ist das wirkliche Sedativum des Magens ohne irgend eine der Unzuträglichkeiten der Narcotica wie des Opiums und des Chlorals.“

1.5 Erste pharmazeutische Präparate

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren Cannabisprodukte in Europa und Amerika etablierte medizinische Mittel. Das pharmazeutische Unternehmen Merck in Darmstadt war der führende Hersteller von Cannabispräparaten in Europa, darunter Cannabinum tannicum, das 1882 auf den Markt kam, Cannabinon (1884) und Cannabin (1889), die als Schlafmittel, Schmerzmittel, Aphrodisiakum, gegen Neuralgien, Rheumatismus, Hysterie, Depressionen, Delirium tremens und Psychosen verwendet wurden. In Grossbritannien kamen Fertigpräparate von Bourroughs, Wellcome & Co., in den USA von Squibb in New York, Parke, Davis & Co in Detroit und Eli Lilly & Co. Von den um die Jahrhundertwende sich auf dem Markt befindlichen Cannabis-Medikamenten wurden die meisten oral eingenommen, etwa ein Drittel waren äusserlich angewandte Präparate und einige wurden inhaliert (als Asthma-Zigaretten).

Inserate der Firma Grimault & Cie. für indische Zigaretten, um 1880.

Eine Verwendung von Cannabisprodukten zu Genusszwecken war zu dieser Zeit in Europa weitgehend unbekannt. So schrieb A. J. Kunkel, Professor in Würzburg, in seinem Handbuch der Toxikologie von 1899: „Der chronische Missbrauch von Cannabis-Präparaten – Cannabismus – soll in Asien und Afrika sehr verbreitet sein. (...) Er ist in Europa nicht beobachtet. Von indischen Aerzten werden dagegen häufig Fälle dieser Erkrankung berichtet.“

1.6 Beginn des 20 Jahrhunderts

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist durch widerstreitende Aspekte gekennzeichnet. Die Diskreditierung von Cannabis als Rausch- und Genussmittel führte auch zur Diskreditierung des Einsatzes von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Zudem trug die forcierte Entwicklung synthetischer Medikamente – darunter Aspirin, Chloralhydrat, Bromural, Barbiturate und Opiate – zur Verdrängung der Naturprodukte bei.

Die Zusammensetzung der medizinischen Cannabisextrakte war sehr variabel, so dass die Dosis der wirksamen Bestandteile unbekannt und die Stärke der Wirkungen nicht immer vorhersehbar waren. Es zeigten sich zudem nicht selten deutliche Unterschiede in den Reaktionen beziehungsweise in der Ansprechbarkeit auf das Medikament bei verschiedenen Personen. Des Weiteren musste bis zum Eintritt des Effektes nach oraler Aufnahme eine Stunde oder länger gewartet werden. Cannabis war im Gegensatz zum Morphin nicht wasserlöslich und so konnten zur damaligen Zeit keine Injektionslösungen hergestellt werden.

1925 wurde Cannabis in das erste internationale Opium-Abkommen von Den Haag aus dem Jahre 1912 aufgenommen, das ursprünglich Opium, Morphium, Heroin und Kokain umfasste. Seither wird Cannabis diesen Substanzen rechtlich weitgehend gleichgestellt. Im Amerika der 1930er Jahre trieb die Hysterie der Cannabisgegner besondere Blüten. Unter Cannabiseinfluss seien Morde vorgekommen und es führe zu Wahnsinn. Die Zeitungen übertrafen sich in der Veröffentlichung sensationeller Horrorgeschichten. Die amerikanische Bundesbehörde für Betäubungsmittel unter ihrem Präsidenten Harry J. Anslinger, der offenbar nach der Aufhebung des Alkoholverbotes ein neues Betätigungsfeld suchte, trug erheblich zum Phänomen des Reefer Madness (Kifferwahn) bei. Anslinger selbst verfasste 1937 für das American Magazine einen Beitrag unter dem Titel Marihuana, Mörder der Jugend. Bald wurde in Amerika vieles, das mit unkontrollierter Leidenschaft, Fanatismus, Gesetzlosigkeit und Gewalt zu tun hatte, mit Haschisch in Verbindung gebracht.

Aber es gab auch weiterhin besonnene Stimmen. Im Jahre 1938 setzte der New Yorker Bürgermeister LaGuardia eine wissenschaftliche Kommission ein, bestehend aus Internisten, Psychiatern, Pharmakologen, einem Experten für das Gesundheitswesen, Vertretern von Gesundheitsbehörden, Krankenhäusern und Justiz. Sie sollte das Marihuana-Problem in New York untersuchen. Das Komitee nahm seine Arbeit 1940 auf und veröffentlichte 1944 einen ausführlichen Bericht. Dort heisst es in resümierenden kurzen Aufzählungen: „Die Praxis des Marihuana-Rauchens führt nicht zur Abhängigkeit im medizinischen Sinn des Wortes. Verkauf und Verteilung von Marihuana steht nicht unter Kontrolle einer einzelnen organisierten Gruppe. Der Konsum von Marihuana führt nicht zur Abhängigkeit von Morphin, Heroin oder Kokain und es gibt keine Anstrengung für die Schaffung eines Marktes für diese Rauschmittel, indem die Praxis des Marihuana-Rauchens simuliert wird. Marihuana ist kein bestimmender Faktor beim Begehen schwerer Verbrechen. Marihuana-Rauchen ist nicht weit verbreitet unter Schulkindern. Jugendliches Fehlverhalten ist nicht mit der Praxis des Marihuana-Rauchens assoziiert. Die öffentliche Publizität hinsichtlich der katastrophalen Effekte des Marihuana-Rauchens in New York City ist unbegründet.“

Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre nahm das medizinische Interesse aufgrund der Forschung von Adams, Todd, Allentuck und Loewe erneut zu.

Walter Siegfried Loewe war Professor für Pharmakologie an verschiedenen deutschen Universitäten gewesen, bevor er 1934 vor den Nazis in die USA emigrierte und dort 1936 seine Marihuana-Forschung aufnahm. In einer Übersicht aus dem Jahre 1950 mit dem Titel Cannabiswirkstoffe und Pharmakologie der Cannabinole fasste Loewe das damalige Wissen über die Chemie der Cannabinoide zusammen. Bereits 1942 war nachgewiesen worden, dass der aktivste Inhaltsstoff eine Substanz war, die die Wissenschaftler Charas-Tetrahydrocannabinol, kurz THC, nannten. Die genaue chemische Struktur war aber zu jener Zeit noch unklar. Der biologische Syntheseweg von Cannabidiol über THC nach Cannabinol war aber bereits zutreffend erkannt. In seiner Arbeit weist Loewe unter anderem auf die krampflösenden und die schmerzhemmenden Wirkungen von Charas-THC hin.

In den 1940er Jahren wurde THC auch erstmals in der Therapie eingesetzt. So berichtete Samuel Allentuck Anfang der vierziger Jahre über die erfolgreiche Behandlung von Entzugserscheinungen bei Opiatabhängigkeit mit THC. In den vierziger Jahren wurden auch die ersten synthetischen Cannabinoide hergestellt und in klinischen Studien getestet. Die wichtigste dieser Substanzen war der synthetische THC-Abkömmling Pyrahexyl (Synhexyl).