Hannes, ein Leben mit Behinderung - Jürg Speich - E-Book

Hannes, ein Leben mit Behinderung E-Book

Jürg Speich

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Beschreibung

Hannes' Geburt wurde am 28.4.1948 zu spät eingeleitet und es kam zu einem Sauerstoffmangel während der Geburt. Dies führte zu einer Gehirnschädigung. Deshalb blieb Hannes lebenslang rechtsseitig behindert. Die körperliche Behinderung wurde bei seinen ersten Gehversuchen festgestellt. Die geistige Einschränkung wurde dann in der Schule offenkundig. Doch Dank der Unterstützung seiner Familie konnte Hannes trotz seinen Einschränkungen eine glückliche Kindheit verbringen. Im Laufe der Jahre entwickelte er viele Eigenheiten und spezielle Verhaltensweisen, die seiner Nachwelt noch lange in Erinnerung bleiben werden.

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Seitenzahl: 134

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort

Einleitung

1. Hannes’ engste Begleiter

Mutter Bethli

Vater Johann

Seine Geschwister

2. Hannes bis zum 32. Lebensjahr

In der Obhut seiner Eltern

Seine Beschäftigungen

Sein Glaube

3. Hannes vom 33. bis 51. Altersjahr

Meine ersten Kontakte mit Hannes und seinen Eltern

Wichtige Ereignisse für Hannes

Ferien

Die letzten gemeinsamen Jahre mit seinen Eltern

4. Nach dem Tode seines Vaters

Das erste halbe Jahr

Mutter Bethli in der Geriatrie

Mutter Bethli im Altersheim

5. Nach dem Tod seiner Mutter

Hannes strampelt sich durch

Wichtige Bezugspersonen

Seine Wohnung

Umgang mit Geld

Ausflüge

Gemütsverfassungen

Hannes beginnt das Leben zu genießen

Leben in seinem Zuhause

Aktivitäten in St. Gallen

Besuche in Basel

Silvester in Engelberg

Die letzten zwei Jahre vor seiner Pensionierung

Hannes entdeckt die Kommunikation

Frauenbekanntschaften

Weitere Aktivitäten

Nach seiner Pensionierung

6. Sein Hinschied

Sein Todestag

Beerdigung

Räumung seiner Wohnung

Nachwort

Zeittafel

Referenzen

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2015 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-032-8

ISBN e-book: 978-3-99048-033-5

Lektorat: Claudia Matusche

Umschlagfoto: Jürg Speich

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Bild 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 10 © Jürg Speich,

Bild 9, 11, 12 © Hans Hedinger,

Bild 1 © Beta Speich

www.novumverlag.com

Vorwort

Das Leben von behinderten Menschen ist nicht einfach. Körperlich Beeinträchtigte meistern vielfach das Leben bravourös dank ihrer Intelligenz und ihrem Willen. Dazu gibt es viele positive Beispiele. Wenn aber nebst dem körperlichen Handicap eine geistige Einschränkung hinzukommt, wird die Bewältigung des Daseins schwieriger. In diesem Buch wird das Leben des körperlich und geistig behinderten Hannes geschildert. Er wuchs bei Eltern auf, die stets mit viel Liebe für ihn da waren. Nach deren Tod gaben ihm seine Geschwister Beta und Notker sowie seine Tätigkeit als Hilfsmagaziner in der Spitalapotheke des Kantonsspitals St. Gallen Halt. Zusätzlich unterstützten ihn eine liebe Nachbarin und eine treue Haushälterin. Auch der Glaube an Gott verschaffte ihm Kraft. Trotzdem war sein Leben nicht einfach. Er musste, vor allem nach dem Tod der Eltern, seinen eigenen Weg finden. Das gab ihm die Züge eines Originals.

Das Buch soll aufzeigen, dass das Leben trotz geistiger und körperlicher Behinderung wie bei Hannes lebenswert sein kann. Es soll Eltern Mut geben, die ein geistig behindertes Kind mit großer Liebe aufziehen. Die Lektüre widme ich meiner Frau Beta (zugleich Schwester von Hannes), ihrem Bruder Notker und meinen Kindern Bettina und Beni. Sie ermunterten mich, diese Biografie zu schreiben. Speziell bedanke ich mich für die Beiträge von Iréne und Hans Hedinger. Als Nachbarn haben sie Hannes seit seinem zwanzigsten Lebensjahr sehr gut gekannt. Mein Dank gilt auch allen Bekannten und Verwandten, die mein Manuskript durchgelesen und wohlwollend kommentiert haben.

Basel, Dezember 2014 Jürg Speich

Einleitung

Hannes (Taufname Johannes) Kessler, geboren am 28. April 1948, war der ältere Bruder meiner Frau Beta, die ich Anfang 1981 kennenlernte. Einige Monate später begannen meine Kontakte mit ihren Eltern Bethli und Johann und ihren Brüdern Hannes und Notker. Hannes, drei Jahre älter als Beta und sechs Jahre älter als Notker, war infolge Spätgeburt behindert. Sie wurde erst zu Beginn des elften Monats im Kantonsspital St. Gallen eingeleitet. Vorher war seine Mutter von ihrem Gynäkologen in einwöchigen Intervallen untersucht und stets wieder heimgeschickt worden. Hannes litt zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits unter Sauerstoffmangel. Sie führte zu einer Gehirnschädigung (Zerebralparese). Ein Leben lang blieb er deshalb rechtsseitig gelähmt (Hemiparese). Beta hadert noch heute mit dem Arzt, der für die erste Schwangerschaft von Bethli zuständig war. In seinem ersten Lebensjahr wurde Hannes’ Behinderung nicht groß bemerkt. Sie kam erst bei seinen ersten Sitz- und später bei Beginn seiner Gehversuche zum Vorschein. Das rechte Bein und der rechte Arm waren schwächer ausgebildet als die entsprechende linke Seite, und seine rechte Hand konnte er nicht öffnen. Als Kind vermochte er nicht aufrecht zu sitzen. Sein Gang war hinkend und langsam, und für praktische Arbeiten konnte er später nur seinen gesunden, linken Arm benutzen. Das Hauptproblem war aber die einseitige Lähmung seines Gehirns, die sich beim Besuch der Primarschule deutlich offenbarte. Dank der unbeschädigten Hirnhälfte war er im Schreiben und Sprechen talentiert. Sein Gedächtnis war sehr gut entwickelt. So wusste er Telefonnummern oder den Todestag von berühmten Persönlichkeiten noch nach langer Zeit. Auch seine Sinnesorgane (Augen, Gehör) waren nicht beeinträchtigt. Er konnte aber nicht logisch denken, und auch seine mathematischen Fähigkeiten waren stark eingeschränkt. Während seiner Pubertät litt er unter epileptischen Anfällen. Trotz dieser Behinderungen meisterte Hannes sein Leben mit Höhen und Tiefen auf seine Art. Er hatte das Glück, Bezugspersonen um sich zu haben, die ihn nahmen, wie er war, und ihn förderten. Seine wichtigsten waren nach seinen Eltern und Geschwistern:

•Seine lieben Nachbarn Iréne und Hans Hedinger mit Kindern Johannes und David;•Elisabeth Kessler, Gotte von Hannes und Schwester von seinem Vater;•Notkers Ehefrau Antonella und ihre Kinder Chiara und Davide;•Seine Cousins Christof (war auch sein Firm-Götti), Pascal, Luzius und Tarzis Meyerhans;•Ich, Betas Ehemann, und unsere Kinder Bettina und Beni;•und nach dem Tod seiner Eltern in den Jahren 1999 (Vater) und 2000 (Mutter) auch die Haushälterin Frau Mettler. Zusätzlich gab ihm sein Glaube an Gott festen Halt.

Ich lernte Hannes 1981 in seinem 33. Altersjahr kennen. Die Zeit mit ihm möchte ich nicht missen. Leider verließ er uns am 24. Juni 2009 unerwartet infolge eines Herzinfarkts. Meine Erinnerungen an ihn bleiben für mich unvergesslich. Sie werden unter anderem in diesem Buch chronologisch durch das Erzählen von Episoden und dem Beschreiben seiner Charaktereigenschaften wiedergegeben.

Geschwister Notker, Beta und Hannes in jungen Jahren von links nach rechts

1. Hannes’ engste Begleiter

Hannes lebte seit seiner Geburt in der gleichen Wohnung wie seine Eltern Bethli und Johann mitten im Zentrum der Stadt St. Gallen. Bis 1976 in der Hadwigstraße in einer 4-Zimmer-Wohnung und ab 1. Mai 1976 in der Museumsstraße auf der vierten Etage eines fünfstöckigen Mehrfamilienhauses. Mit 170 m2und sechs Zimmern war letztere Wohnung großzügig bemessen. Hannes’ jüngere Geschwister Beta und Notker begleiteten ihn bis zu ihrem Wegzug. Beta verließ 1970 in ihrem neunzehnten Altersjahr das elterliche Daheim, um in Zürich ihre Physiotherapieausbildung zu starten. Vier Jahre später zog auch Notker aus. Er begann das Medizinstudium in Fribourg. Hannes und seine Eltern schätzten den Stadtpark unmittelbar vor ihrer zweiten Wohnung als Erholungsraum. Das alte Stadtzentrum mit den engen Gassen und prunkvollen Erkern erreichten sie zu Fuß in wenigen Minuten. Wichtig für sie als gläubige römisch-katholische Christen war auch der nah gelegene Dom, umgeben von den schönen Gebäuden des einstigen Benediktinerklosters. Der Dom dient als Stiftskirche des Bistums St. Gallen und wurde von 1755 bis 1805 erbaut. Er gilt als einer der letzten monumentalen Sakralbauten des Spätbarocks. 1983 wurde er mit dem Stiftsbezirk als UNESCO Welterbe in die Liste der schützenswerten Weltkulturgüter aufgenommen. Für Hannes waren seine Eltern Bethli und Johann sowie seine Geschwister Beta und Notker, die auch nach ihrem Wegzug ihn und ihre Eltern regelmäßig besuchten, die engsten Begleiter. Deshalb möchte ich zuerst sie vorstellen, bevor auf das Leben von Hannes eingegangen wird.

Mutter Bethli und Vater Johann in Einsiedeln am 3. Oktober 1982, zugleich Johanns Geburtstag

Mutter Bethli

Bethli war eine äußerst liebenswürdige und fürsorgliche Mutter, zierlich, klein und stets fröhlich. Sie liebte zwischenmenschliche Kontakte, und Gäste waren bei ihr stets willkommen. Sie kam am 22. Juli 1918 am gleichen Monatstag wie ihre Tochter Beta zur Welt. Für Hannes war dies etwas Unglaubliches, ein Phänomen. Nach ihrer Heirat mit Johann im Jahr 1947 sorgte sich Bethli um ihre Familie und ging ihrem erlernten Beruf als Röntgenassistentin nicht mehr nach. Hannes sah als Jüngling und auch später in seiner Mutter wegen ihrer Hilfsbereitschaft und Güte das Ideal einer Ehefrau. „Möchte einmal eine Frau heiraten wie Bethli“, sagte er öfters.Nach dem Wegzug ihrer Kinder Beta und Notker war sie immer für ihren Sohn Hannes und ihren Mann Johann präsent und fühlte sich verantwortlich für das Wohl ihrer Männer in der gemeinsamen Wohnung. Sie erledigte, wie das früher bei den meisten Familien üblich war, einen großen Teil der Haushaltarbeit. Johann unterstützte sie nach seiner Pensionierung durch tägliche Einkäufe und Mithilfe beim Abwasch. Neben der Haushaltsarbeit nahm sich Bethli aber stets Zeit, um Bekannte einzuladen oder zu besuchen. Auch nützte sie rege das Kulturangebot von St. Gallen, wie das Theater und die Tonhalle mit den Konzerten. Die Abwechslung genoss sie. Um Bethlis Arbeit zu erleichtern, schlug Beta den Kauf einer Geschirrwaschmaschine und die Unterstützung durch eine Reinigungsfrau vor. Ihre Mutter ging aber nicht auf diese Empfehlungen ein. Der Haushalt war ihr Reich, das sie unter ihrer Kontrolle behalten wollte. Bethli kochte ausgezeichnet. Die Mahlzeiten enthielten viel Gemüse, Früchte, genügend Eiweiß und wenig Kohlenhydrate. Das war vor allem für den insulinabhängigen Diabetiker Johann wichtig. Er vertraute den Kochqualitäten seiner Frau. Darum aßen sie praktisch immer zu Hause. Falls sie auswärts speisten, verließ sich Johann bei der Bestellung ganz auf ihre Empfehlungen.

Bethlis einzige und ältere Schwester Helen verstarb im Mai 1951 früh mit ihrem fünften Sohn bei seiner Geburt. Sie hinterließ ihren Mann Josef Meyerhans und ihre Söhne Christof, Pascal, Luzi und Tarzis. Das war ein tragisches Ereignis zwei Monate vor Betas Geburt. Die vier Buben waren zwischen drei und zwölf Jahre alt und plötzlich ohne Mutter. In den ersten Jahren nach deren Tod verbrachten die vier Cousins von Hannes fast jeden Mittwoch- oder Samstagnachmittag bei Bethlis Familie. Hannes, Beta und Notker waren für sie wie Geschwister, und die Behinderung von Hannes akzeptierten sie als etwas ganz Normales. Christof, der älteste der vier Cousins, war handwerklich sehr geschickt, sodass Beta und Hannes immer wieder ausriefen: „Der Christof kann alles.“

Bethlis Sinn für Ästhetik war ausgeprägt. Sie verstand es, sich elegant zu kleiden, liebte unter anderem bunte, schöne Kleider, und sie trug bis ins hohe Alter Stöckelschuhe. Auf diese Schuhe verzichtete Bethli auch nicht, als am linken Fuß schmerzhafte Hallux-Probleme entstanden. Ihre Wohnung richtete sie geschmackvoll mit schönen antiken Möbeln ein. Sie achtete auch auf ihre gepflegten Haare, die sie regelmäßig rotbraun färbte. Bethli war ein treues Mitglied der katholischen Kirche. Das wurde ihr in die Wiege gelegt. Der Bruder ihres Vaters, Alois Scheiwiler, war von 1930 bis 1938 Bischof in St. Gallen. Ein schönes Ölgemälde des Bischofs wurde lange Zeit im Estrich ihrer St. Galler Wohnung aufbewahrt, bevor es dem Kloster Wonnenstein bei Teufen geschenkt wurde. Johann pflegte eine enge Beziehung zu diesem Kloster, da er während seiner Berufszeit dessen Apotheke betreute. Bethli unterstütze mehrheitlich die Empfehlungen des Papstes. Bei kritischen Bemerkungen zum Papst seitens ihrer Kinder verteidigte sie das Kirchenoberhaupt vehement. Sie verehrte auch die Patres in der Mission und strickte für sie jedes Jahr zu Weihnachten Socken. Bethli hatte für Not leidende Menschen ein großes Herz. So wohnte Géza, ein junger ungarischer Student, während seines Wirtschaftsstudiums fünf Jahre bei ihnen. Er war nach dem Ungarischen Volksaufstand im Jahr 1956 in die Schweiz geflüchtet. Bethli und Johann sorgten für ihn wie für die eigenen Kinder. Hannes, Beta und Notker sahen in ihm den großen Bruder und bewunderten ihn. Nach seiner Ausbildung zog er nach Basel und der Kontakt mit ihm brach ab. Beta und Notker versuchten mehrfach, ihn aufzuspüren, bis Anfang 2014 ohne Erfolg. Dank einem Treffen mit meinen ehemaligen Studienkollegen und ihren Lebensgefährtinnen war die Suche von Beta 2014 wie durch ein Wunder erfolgreich. Ein Kamerad kam mit Gisella, einer Ungarin, als Partnerin zu diesem Treffen. Beta erzählte ihr, die viele Landsleute in der Umgebung von Basel kannte, die Géza-Geschichte. Schon nach kurzer Zeit war Gisella mit ihrer Nachforschung erfolgreich. Sie fand den Gesuchten in der Umgebung des Plattensees. Beta nahm sofort mit ihm telefonisch Kontakt auf. Géza war nach seiner Pensionierung in der Schweiz wieder in sein Heimatland zurückgekehrt. Basel aber besuchte er mit seiner Frau Ursula alle sechs Monate, um sich medizinisch untersuchen zu lassen. Am 8. Juli 2014 traf Beta Géza nach langer Zeit bei einem Essen im Basler Restaurant „PicoBello“ wieder. Sie tauschten alte Erinnerungen aus. Gézas Frau Ulla und ich begleiteten sie.

Vater Johann

Johann, geboren 1904, heiratete Bethli erst in seinem 43. Lebensjahr und war vierzehn Jahre älter als sie. Die große Liebe begann im Kantonsspital St. Gallen. Dort arbeitete Johann als Leiter der Kantonsapotheke und Bethli als Röntgenassistentin. Johann war ein großer, stattlicher und schlanker Mann mit aufrechtem und zügigem Gang. Man erkannte ihn von Weitem an seinem weißen und kurzen Haarschopf, der ihn schon ab seinem 50. Altersjahr charakterisierte. Seine Disziplin und die gute Versorgung durch seine Frau führten dazu, dass er bis ins hohe Alter geistig und körperlich fit blieb. Er schaffte es auch im fortgeschrittenen Alter, seine Wohnung im vierten Stock ohne Probleme via Treppe zu erreichen. Einen Lift gab es nicht. Dank seiner Disziplin hatte er seine Diabetes-Krankheit stets unter Kontrolle. Johann war kein Weltreisender. Als Insulinabhängiger verzichtete er auf Reisen in die weite Ferne. Zudem beherrschte er die englische Sprache nicht, da er auf dem Gymnasium Typus A – französisch, griechisch und lateinisch – erlernt hatte. Er konnte nicht Auto fahren, was er in seinen späteren Jahren bereute. Seine Lieblingsregion war wie für Bethli das schöne benachbarte Appenzellerland. Sie bewunderten diesen Teil der Schweiz mit seinen grünen Wiesen, den typischen Appenzellerhäusern und freundlichen Leuten. Als Apotheker kannte er alle Blumen dieser Region. Diese Liebe zum Appenzell gaben er und Bethli an ihre Kinder weiter. Johann kannte jede Ecke dieses Gebiets auch aus beruflichen Gründen. Als Kantonsapotheker von St. Gallen (1945 bis 1972) war er nebenamtlich auf der Sanitätsdirektion von Appenzell Ausserrhoden in Herisau tätig, und zwar als Fachberater für Heilmittelfragen und Inspektor der naturärztlichen Praxen. Nach seiner Pensionierung in seinem 68. Altersjahr wanderte er zusammen mit Bethli regelmäßig ins Appenzellische. Die romantische Appenzellerbahn führte sie zum Ausgangsort der Wanderung und am Abend wieder nach St. Gallen. Appenzell, Brülisau, Gontenbad, Gais, Heiden, Hoher Kasten, Kloster Wonnenstein, Vögelinsegg, Wasserauen, Weissbad usw. waren für sie beliebte Ausflugsziele. Hannes nahm an diesen Ausflügen nur hie und da teil. Er arbeitete damals zu hundert Prozent, oder die Ausflüge waren für ihn zu beschwerlich.

Johann hatte ein großes Herz und Verständnis für Behinderte. Als Kantonsapotheker setzte er sich ein, dass die Apotheke des Kantonsspitals nebst Hannes zusätzlich ein bis zwei Personen mit Behinderung beschäftigte. Es waren in der Regel Menschen, die sonst keine Stelle gefunden hätten. Die Eltern der Behinderten freuten sich über diese Anstellung. Folgende Worte eines Briefes bezeugen das Dankgefühl: „Lieber Herr Dr. Kessler, wir können uns nicht genug bedanken für die Anstellung unseres Sohnes. Ganz im Gegensatz zu den Eingliederungsfachleuten haben Sie an unseren Sohn geglaubt. Sie haben ihn mit Geduld und menschlichem Verständnis in christlicher Nächstenliebe aufgenommen. Sie haben damit seinem Leben einen Inhalt gegeben.“ Johann besaß eine große Affinität zur Schweizer Armee. Als Major war er in einer Festung der Ostschweiz fest zugeteilt. Er gehörte auch zum militärischen Veteranenverein Festungen Ostschweiz. Seine Mitglieder trafen sich jedes Jahr einmal, vorwiegend auf dem Schloss Sargans. Johann achtete nach seiner Pensionierung stets darauf, dass sich sein Sohn Notker bei Unklarheiten bezüglich seines nächsten Wiederholungskurses beim Sektionschef meldete. Notker bekleidete im Militär den Grad eines Oberleutnants der Sanität. Er war kein begeisterter Armee-Anhänger. Offizier wurde er nur seinem Vater zuliebe.

Seine Geschwister