Hänschen im Glück - Britta Frey - E-Book

Hänschen im Glück E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Die Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Die junge Frau trat auf die Terrasse hinaus und blickte über hübsche Blumenbeete, die schnurgeraden Wege und den unablässig plätschernden Springbrunnen hinweg. Hinter der erst im März neu gesetzten und daher noch recht mickrigen Kiefernhecke dehnten sich unter einem weiten Himmel bis zum Horizont kupferbraune Heideflächen aus, nur hin und wieder unterbrochen von silbrig-schlanken Moorbirken und dunklen Wacholderbüschen. In dieser urwüchsigen Landschaft nahm sich der städtisch anmutende, akkurat gepflegte Garten schon seltsam aus. Noch auffallender, direkt exotisch wirkte vor dem schlichten Hintergrund der ebenfalls erst kürzlich fertiggestellte elegante Bungalow. Die heiße Luft zitterte und flimmerte. Still und staubig lag die Heidelandschaft im goldenen Sonnenschein da. Der unverwechselbare würzige Heideduft, eine Mischung aus Wacholder und Schafgarbe, Ginster und Besenheide, stieg in den Sommerhimmel. Eine seltsam mürrische Trägheit war über die junge Frau gekommen. Sonja Gelbrecht verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. Ihr verdrossener Blick folgte einer Feldlerche, die in das Blaßblau des Himmels hinaufstieg und dabei ihr jubelndes Lied schmetterte. Sonjas Miene drückte aus, was sie empfand: Langeweile, unerträgliche, bitterböse, peinigende Langeweile. Es war windstill und schwül. Die Sonne stach durch den weißen Wolkenschleier auf die ausgetrockneten staubigen Wiesen und Felder nieder. Pausenlos riefen Ringeltauben aus den Büschen jenseits der Wiese, und die Feldgrillen schrillten unaufhörlich am Wegrain. Die junge Frau mit dem hübschen Gesicht, das jetzt allerdings große Ähnlichkeit mit dem eines verwöhnten, gesättigten Kindes hatte, gähnte ausgiebig und fragte sich gereizt, was, zum Teufel, die Leute an dieser Heidelandschaft fanden. Sie konnte jedenfalls nichts Aufregendes an der schwülen staubigen Stille finden. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so entsetzlich gelangweilt wie jetzt. Und das wohl Schlimmste war, daß alle Welt sie um ihr Glück beneidete, auf dem Land zu leben. Jawohl, dachte Sonja spöttisch und seufzte schon wieder, ich habe wahrhaftig das Große Los gezogen. Das ganz Große Los sogar.

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Kinderärztin Dr. Martens Classic – 20 –

Hänschen im Glück

Ein kleiner Junge nimmt sein Schicksal selbst in die Hand

Britta Frey

Die junge Frau trat auf die Terrasse hinaus und blickte über hübsche Blumenbeete, die schnurgeraden Wege und den unablässig plätschernden Springbrunnen hinweg. Hinter der erst im März neu gesetzten und daher noch recht mickrigen Kiefernhecke dehnten sich unter einem weiten Himmel bis zum Horizont kupferbraune Heideflächen aus, nur hin und wieder unterbrochen von silbrig-schlanken Moorbirken und dunklen Wacholderbüschen.

In dieser urwüchsigen Landschaft nahm sich der städtisch anmutende, akkurat gepflegte Garten schon seltsam aus. Noch auffallender, direkt exotisch wirkte vor dem schlichten Hintergrund der ebenfalls erst kürzlich fertiggestellte elegante Bungalow.

Die heiße Luft zitterte und flimmerte. Still und staubig lag die Heidelandschaft im goldenen Sonnenschein da. Der unverwechselbare würzige Heideduft, eine Mischung aus Wacholder und Schafgarbe, Ginster und Besenheide, stieg in den Sommerhimmel.

Eine seltsam mürrische Trägheit war über die junge Frau gekommen. Sonja Gelbrecht verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. Ihr verdrossener Blick folgte einer Feldlerche, die in das Blaßblau des Himmels hinaufstieg und dabei ihr jubelndes Lied schmetterte.

Sonjas Miene drückte aus, was sie empfand: Langeweile, unerträgliche, bitterböse, peinigende Langeweile.

Es war windstill und schwül. Die Sonne stach durch den weißen Wolkenschleier auf die ausgetrockneten staubigen Wiesen und Felder nieder. Pausenlos riefen Ringeltauben aus den Büschen jenseits der Wiese, und die Feldgrillen schrillten unaufhörlich am Wegrain.

Die junge Frau mit dem hübschen Gesicht, das jetzt allerdings große Ähnlichkeit mit dem eines verwöhnten, gesättigten Kindes hatte, gähnte ausgiebig und fragte sich gereizt, was, zum Teufel, die Leute an dieser Heidelandschaft fanden.

Sie konnte jedenfalls nichts Aufregendes an der schwülen staubigen Stille finden. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so entsetzlich gelangweilt wie jetzt.

Und das wohl Schlimmste war, daß alle Welt sie um ihr Glück beneidete, auf dem Land zu leben.

Jawohl, dachte Sonja spöttisch und seufzte schon wieder, ich habe wahrhaftig das Große Los gezogen. Das ganz Große Los sogar. Du liebe Zeit, was gäbe ich darum, wieder zurück in die Stadt ziehen zu dürfen. Beim Gedanken an die herrlichen Boutiquen, die Cafés, die aufregenden Theaterpremieren und vor allem die Einladungen bei ihren Freundinnen wurde ihr das Herz noch schwerer.

Tja, der Mittsommer ist eine stille Zeit, hatte Frau Eschenbach vorgestern gesagt und dazu bedeutungsvoll genickt.

Sonja verzog abschätzig die Lippen. Wenn der Sommer schon so sterbenslangweilig war, wie trostlos mußten dann erst die Wintermonate in der Heide sein!

»Liebling? Bist du draußen im Garten?«

Sonja zuckte schuldbewußt zusammen. »Ja, Liebling«, antwortete sie mit der Stimme eines gehorsamen Schulmädchens. Und sie zwang sich, eine heitere unbefangene Miene aufzusetzen. Ihrem Mann zuliebe, der so gut zu ihr war. Er trug sie auf Händen und verwöhnte sie äußerst großzügig. Sie sah’s ja ein, sie hatte einen Bilderbuchmann. Unverdientermaßen?

Wie auch immer, Sonja fühlte sich ihrem Mann gegenüber stets zu Dankbarkeit verpflichtet. Weil er ein nobler Charakter war und ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Da wäre es doch undankbar und abgrundtief schlecht gewesen, ihm mit Unfreundlichkeit zu begegnen, nicht wahr?

Dr. Justus Gelbrecht trat aus dem Wohnzimmer auf die Terrasse hinaus, die von einer neuen weißen Markise beschattet wurde. Rechts und links von der Terrasse standen zwei Riesenkübel, in ihnen wuchsen, sehr extravagant, Fliederbüsche. Die Blätterschatten flirrten lautlos über die weißen Steine.

Dr. Gelbrecht war mit den grau­blauen Augen, den regelmäßigen Gesichtszügen und dem dunklen Haar ein gutaussehender Mann, eine gepflegte angenehme Erscheinung, immer tadellos und korrekt gekleidet, allzeit von bestechender Höf­lichkeit. Er konnte zufrieden mit sich sein. War er aber nicht. Ihn beherrschte eine nervöse Rastlosigkeit, die in seiner Umgebung zuverlässig für eine unruhige Stimmung sorgte.

Er war immer auf dem Sprung, beständig unterwegs zu neuen Ufern. Kaum hatte er eine Arbeit abgeschlossen, dachte er schon an die nächste. Ein Karrieremensch, bei dem die Zukunft fest verplant war. Spontaneität war seine Sache nicht.

»Ah«, rief er entzückt und strahlte, als er Sonja erblickte. Wie immer übrigens, denn er galt als aufmerksamer Ehemann. Außerdem bemühte er sich stets zu gefallen. Gab es mal niemanden, den er bezaubern konnte, war er ganz unglücklich. »Reizend siehst du aus, Schatz. Zum Anbeißen süß. Ist das Kleid neu?«

Aber nein, dachte sie und fühlte wieder diesen winzigen scharfen Stich im Herzen. Sein Kompliment ging ihr auf einmal entsetzlich gegen den Strich. Weil es so automatisch gekommen war. Du liebe Zeit, konnte er eigentlich nie spontan sein?

Im nächsten Atemzug schämte sie sich schon ihrer rebellischen Gedanken. Anstatt an Justus herumzu­mäkeln, sollte sie lieber froh sein, einen so guten Mann zu haben. Alle ihre Freundinnen beneideten sie um Justus, lobten seine Umgangsformen, seine Tüchtigkeit und seine energisch-entschlossene Art. Nun ja, fast alle…

Sonja schob ihre gereizte Stimmung auf das schwüle Wetter. Dank dieses kleinen Tricks fühlte sie sich entlastet und nicht mehr ganz so schuldbewußt. Zusätzlich nahm sie sich vor, besonders lieb zu ihm zu sein, quasi als Wiedergutmachung.

»Ja«, nickte sie lächelnd und kam auf ihn zu.

Etwas anderes wäre ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Immer kam sie auf ihn zu, lief ihm nach, richtete sich nach seinen Wünschen. Ihr ganzes Leben drehte sich seit ihrer Hochzeit vor fünf Jahren um ihn…

Dr. Gelbrecht trat an Sonja heran, nahm ihren Kopf in beide Hände, bog ihn zurück und küßte sie auf den blassen Mund.

Sonja schloß ihre braven Schulmädchenaugen und nahm seinen Kuß gehorsam entgegen. Sein Kuß dauerte länger als sonst, war weniger flüchtig. Da schlug Sonjas Herz rascher, und auf einmal war ihre mürrische Trägheit wie weggeblasen, hatte einer prickelnden Erregung Platz gemacht.

Doch als sie die Hände hob und sie auf seine Schultern legte, schob er sie abrupt von sich und lächelte bedauernd.

»Tut mir leid, aber ich habe keine Zeit, Schatz«, murmelte er.

Sonja wurde sofort ruhig, schob die heißen Hände in die Rocktaschen. Jetzt erst fiel ihr auf, daß er den dunkelgrauen Anzug trug, seinen Reiseanzug. Den zog er immer an, mußte er für längere Zeit im Flugzeug sitzen, denn dieser Stoff knitterte nicht. So etwas liebte ihr Justus, der gern, auch nach Überseeflügen, wie aus dem Ei gepellt ausschaute.

»Ich habe eben einen Anruf bekommen, Liebling«, teilte er ihr sachlich mit, während er sich über die Rosen am Rande der Terrasse beugte. »Ich muß sofort nach Brüssel fliegen. Eine furchtbar wichtige, unaufschiebbare Geschichte. Du erinnerst dich doch, ich habe dir kürzlich von Jean Pierre Deschamps’ Problemen mit den Engländern erzählt, diese Textilfritzen aus Liverpool…«

»Hm«, nickte Sonja, machte ein interessiertes Gesicht – und erinnerte sich natürlich nicht. Wenn sie ganz ehrlich war, interessierten Jean Pierre Deschamps’ Probleme sie überhaupt nicht. Im Grunde war sie sogar furchtbar wütend auf diesen unbekannten Jean Pierre, wie tüchtig er auch immer sein mochte.

Dieser Mensch hatte schließlich ihren Sonntag auf dem Gewissen, der einzige Tag in der Woche, der nicht von grenzenloser Langeweile bestimmt war. Während der Woche fieberte sie dem Sonntag entgegen, weil der Ablenkung brachte und ein bißchen Abwechslung in ihren grauenvoll einförmigen Alltag…

»Die Rosen müßten mal gespritzt werden«, teilte Dr. Gelbrecht ihr mit. »Sprich doch mal mit Schilbert, er soll sich darum kümmern, ja?«

»Ja, Justus«, sagte Sonja. »Wie lange wirst du diesmal fortbleiben?«

Er seufzte. »Keine Ahnung. Es kann eine Woche dauern, Schatz.«

»Soll ich dir deinen Koffer packen?«

»Schon geschehen. Ich hatte ihn ja noch gar nicht richtig ausgepackt, bin ja erst vorgestern aus London zurückgekommen.«

»Wann mußt du fliegen?«

»In drei Stunden. Aber von Hamburg aus natürlich. Deshalb muß ich sofort starten.« Er verließ die Terrasse und ging ins Haus.

Sonja folgte ihm mit hängenden Schultern. Alle Jalousien waren heruntergelassen, die Räume des Bungalows lagen im Dämmerlicht, als schliefen sie noch. Aber die Eleganz der Einrichtung war natürlich selbst bei dieser Beleuchtung erkennbar und bemerkenswert.

Wofür nicht Sonja verantwortlich zeichnete, obwohl sie ihr Haus schon gern nach eigenen Vorstellungen eingerichtet hätte, sondern ein namhafter Hamburger Innenarchitekt.

Laß man, Schatz, hatte Justus gemeint, als sie schüchtern angedeutet hatte, wieviel Spaß es ihr machen würde, die Räume einzurichten, das überlassen wir einem Fachmann, der mehr davon versteht als wir. Das wird mich zwar eine Stange Geld kosten, doch ich gehe mal davon aus, daß es sich lohnt…

»An meinem Smokinghemd fehlt ein Knopf. Und einer hängt nur noch an einem Faden«, sagte Dr. Gelbrecht, ohne sich nach ihr umzudrehen. »Ich habe das Hemd ins Ankleidezimmer gelegt. Sei so lieb und gib es Frau Eschenbach, ja?«

»Ach, das mache ich schnell selbst«, meinte Sonja geknickt. »Ich habe ja so viel Zeit.«

»O nein, Liebling, du sollst dich ausruhen.«

Wovon denn, dachte sie und sagte bemüht höflich: »Das ist lieb von dir, aber ich nähe eigentlich ganz gern. Dann habe ich wenigstens etwas zu tun.«

»Trotzdem wünsche ich, daß die Eschenbach sich das Hemd vornimmt«, bestimmte er nachdrücklich, während er sich die seidene Krawatte vor dem Spiegel im Flur geraderückte.

»Und warum?« Sonja schaute ihm zu. »Du hast doch auch sonst nichts dagegen, wenn ich handarbeite.«

»Das ist doch etwas ganz anderes. Eine Frau handarbeitet zu ihrem Vergnügen. Aber wenn du Knöpfe an­nähst… Ach, lassen wir das Thema, jetzt gibt es wahrlich Wichtigeres zu besprechen. Vermutlich wird morgen der Mann von der Versicherung an­rufen, sag ihm doch bitte, er möchte…«

Er schaute zufällig in ihr Gesicht und fragte sie erstaunt: »Hör mal, Schatz, was ist denn los mit dir? Du machst ja eine richtige Schnute!«

Sonja lächelte sofort und erwiderte mechanisch: »Gar nichts ist los mit mir, mir geht’s prima… Ich… Nun, ich habe mich halt so auf den Sonntag mit dir gefreut, Justus. Wir wollten doch zu deiner Mutter fahren und anschließend in Hamburg essen gehen.«

»Ach so.« Er war sofort beruhigt. »Liebling, ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn du jetzt enttäuscht bist. Aber du mußt auch mich verstehen. Ich kann Jean Pierre jetzt nicht im Stich lassen. Er ist mein Freund und außerdem einer meiner wichtigsten Klienten…«

»Das verstehe ich ja, Justus, ich bin auch nicht enttäuscht«, beteuerte sie mit einem seltsam bitteren Geschmack im Mund. »Es ist nur so, daß ich mich hier draußen so gräßlich langweile.«

»Du langweilst dich?« Er sah sie verblüfft an. »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Aber ich kenne mindestens zehn Frauen, die dich glühend beneiden. Weißt du wirklich nicht, wie gut du es hast? Mein Gott, wie gern würde ich heute hierbleiben und mich von meinem Streß erholen! Ich kann es leider nicht, aber du…«

»Und wenn ich mitkomme, Justus? Ich verspreche dir, dich nicht zu stören oder irgendwie zu belästigen.«

»Ach, Schatz!« sagte er mit ärgerlich gerunzelter Stirn. »Ich mache eine Geschäftsreise. Ich fliege wirklich nicht zu meinem Privatvergnügen nach Brüssel. Du kannst mir glauben, daß diese Verhandlungen kein Zuckerschlecken sind. Ich falle abends todmüde in mein Hotelbett und möchte keinen Menschen mehr sehen. Nein, du bist hier in unserem Heideparadies viel besser aufgehoben. Außerdem dürfte es in Brüssel unerträglich stickig sein…«

O ja, er konnte überzeugend reden, das kannte sie nun schon. Er war ja nicht umsonst ein unglaublich erfolgreicher Jurist, den seine Mandanten aus der ganzen Welt anriefen und um Rat baten.

»Nun sei ein braves Mädchen, Sonja, und sag mir lieb auf Wiedersehen. Ich rufe dich an, sobald ich in Brüssel gelandet bin.«

»Ach, Justus«, seufzte sie und schlang die Arme um ihn, hielt ihn fest. »Wenn du wüßtest, wie öde es ohne dich ist. Ich kenne hier keinen Menschen und habe nichts zu tun.«

»Du sollst auch nichts tun, Sonja«, sagte er und schielte über ihren Kopf hinweg zur Standuhr. »Ich möchte keine abgehetzte nervöse Frau haben, wenn ich heimkomme«, setzte er mit deutlich genervter Stimme hinzu und griff hastig nach seiner Aktentasche.

»Noch fünf Minuten«, bettelte sie.

»Tut mir leid, Sonja, es geht nicht, meine Maschine wartet nicht auf mich. Ich darf sie auf keinen Fall verpassen, denn Jean Pierre erwartet mich in Brüssel am Flughafen. Wir wollen heute abend noch besprechen, wie es weitergehen soll.«

»Jean Pierre, Jean Pierre!« nörgelte sie gereizt. »Und wo bleibe ich, Justus? Du jettest in der Weltgeschichte herum – während ich immer zu Haus bleiben muß.«

»Wenn du dich langweilst, dann geh doch in den Club, Schatz. Dort ist immer etwas los. Vielleicht suchst du dir eine nette Freundin, mit der du ab und zu in Lüneburg konditern gehst…«

Er behandelt mich wie ein unmündiges Kind, dachte Sonja erbost, wagte jedoch nicht, sich zu beklagen.

»Ja, das ist vielleicht eine gute Idee, Justus, ich werde heute nachmittag in den Tennisclub gehen«, murmelte sie und schluckte die gereizten Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter.

Weil sie sich mal wieder gräßlich undankbar vorkam…

*

Das große weißlackierte Holztor stand immer offen, was sehr einladend wirkte. Wie ein fröhliches Willkommen wirkten auch die weißlackierten Bänke unter den Bäumen, die zum Verweilen im erquickenden Schatten einzuladen schienen.

Der Eindruck täuschte, denn Besucher waren nicht willkommen im Tennisclub. Spaziergänger, die zufällig vorbeikamen und mal einen neugierigen Blick riskieren wollten, wurden in der Regel von den Angestellten schnell und recht unverblümt vom Gelände gescheucht.

Eine geschlossene Gesellschaft. Man wollte unter sich sein. Nur Clubmitglieder waren auf dem erlesenen gepflegten Grund und Boden zugelassen. Makellos weiß leuchtete das schicke Clubgebäude, das erst im vorigen Jahr um einen Flügel erweitert worden war. Wegen der ständig zunehmenden Mitgliederzahl.

Es drängte die stadtmüden Städter ja mehr und mehr aufs Land. Der guten sauberen Luft wegen. Und weil es hier draußen viel ruhiger war als in den Großstädten. Was nach einer Weile wieder zum Problem wurde, denn viele Stadtmenschen kamen mit der Stille und der Gemächlichkeit auf dem Land nicht zurecht.

Doch zum Glück gab es den Club, der an sich ein Tennisclub war, von seinen Mitgliedern aber Country-Club genannt wurde. Wegen der ländlichen Umgebung, die freilich nur als Kulisse diente.

In diesem Club, der in landschaftlich bevorzugter Lage beheimatet war, wurde Unterhaltung in jeder Form groß geschrieben. Man ging vordergründig in den Club, um Tennis zu spielen, kam tatsächlich, um der quälenden Langeweile zu entkommen, einer Krankheit, die jeden Städter früher oder später erwischte.

Auf den Plätzen gab es die üblichen Spielregeln, im Club waren es besondere, die man unbedingt kennen mußte. Um sich nicht zu blamieren. Das war überhaupt das Schlimmste, das einem passieren konnte. Deshalb gaben sie sich ja alle so cool und souverän, so welterfahren und blasiert, um ja nicht aus dem Rahmen zu fallen.

Die Clubmitglieder waren samt und sonders vermögende Leute, die in hervorragenden beruflichen Positionen saßen und aufs Land gezogen waren, um hier unter sich zu sein. Ums Geld drehten sich daher die meisten Gespräche, mehr oder weniger deutlich. Geld lag in der Luft, man konnte es förmlich riechen. Sehen tat man’s sowieso, denn die Damen trugen alle elegante Sportkleidung feinster Herkunft, die Herren Maßgeschneidertes.

Auf dem Parkplatz drängten sich Wagen der Luxusklasse, während ihre Besitzer, die Reichen, Mächtigen und Schönen der nahen Umgebung, sich auf der Clubterrasse unter riesigen schattenspendenden Sonnenschirmen in bequemen Korbstühlen rekelten und mit gleichgültigen Mienen Longdrinks schlürften.

Alles war vom Feinsten, versteht sich. Und gelangweilt plauderte man über dies und jenes, während im Hintergrund das dezente Plop-plop der Tennisbälle zu hören war. Es störte die Gespräche nicht, es untermalte nur sehr schick die Szenerie und gehörte schließlich zu einem Tennisclub.

Und worüber plauderte man? Es passierte doch gar nichts. Oder doch? Was bewegte die Gemüter der Clubmitglieder?

Alles drehte sich um Klatsch und Tratsch, ganz klar. Ungeheuer wichtig war offenbar, wer mit wem ein Verhältnis hatte, was Frau von Daalem bewog, ihre Tochter Knall auf Fall nach England zu schicken, oder wieso Herr Möller-Kandler alle naslang die Sekretärinnen wechselte, die im übrigen immer jünger wurden.

Eine Woche lang hatten sich die Damen darüber aufgeregt, daß sich Frau Öchsner schon wieder ein neues Kabrio kaufte, während sie mit ihren Clubbeiträgen im Rückstand war.

Und erregt hatte man die Frage diskutiert, ob man die Einladung zur Party Dr. Bechers ignorieren sollte. Einerseits war möglicherweise Vorsicht geboten, da gegen ihn ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung lief, andererseits waren seine Parties immer so umwerfend originell! Ein echtes Dilemma also.

Seit einigen Tagen herrschte entsetzliche Öde an der Nachrichtenbörse. Absolut nichts von Belang war passiert. Niemand hatte verbotenerweise getechtelmechtelt oder war seitengesprungen.

Nicht das kleinste Skandälchen war weit und breit in Sicht. Es breitete sich gähnende Langeweile im Damen-Umkleideraum aus, den Herren in der Club-Bar schmolzen die Eiswürfel in den Longdrinks.

Gähnende Langeweile, wohin man auch sah. Da hätte man auch daheim bleiben können, war die allgemeine Meinung, denn da passierte ja auch nichts.

Schon erhoben sich die ersten Clubmitglieder, da passierte endlich doch etwas. Die alten Hasen witterten es zuerst – endlich lag wieder ein Flirt in der Luft, eine wundervoll prickelnde Affäre mit allem, was dazugehört, nämlich heimlichen Treffs an den bekannten verschwiegenen Orten, wüsten Eifersuchts-Szenen und schließlich Tränen, wenn alles vorbei war. Einfach hinreißend.

Und was, bitte sehr, berechtigte die Clubmitglieder zu der Annahme, es bahne sich eine jene prickelnden Affären an?

Ein Wagen war auf den Clubparkplatz gefahren und dort in der letzten freien Parkbucht abgestellt worden.

Dem Wagen entstieg Sonja Gelbrecht, mal wieder sehr süß anzuschauen in einem hellblauen Kleid mit weißen Pünktchen. Ein richtiges Schulmädchenkleid, denn es besaß einen großen weißen Kragen und der Rocksaum endete unter dem Knie.

Trotzdem lächelte der Club-Casanova Sönke Hortag selbstgefällig und beschloß, sich ein wenig der jungen, bezaubernd schüchternen Sonja freundschaftlich anzunehmen.

Sie war zwar nicht sein Typ, aber sie war neu, dies war ihr großes Plus. Sönke Hortag interessierte sich brennend für alle Frauen, die er nicht kannte. Hatte er sie erobert, dann interessierten sie ihn nicht mehr. Er brachte es in diesem Fall fertig, sie von einem Tag zum anderen zu vergessen.

Er sah gefährlich gut aus, dieser charmante Sönke Hortag, war groß, schlank und sonnengebräunt, wie es sich für einen Casanova gehörte, überdies witzig und überraschend originell.