Happy Bones - Volkmar Jansson - E-Book

Happy Bones E-Book

Volkmar Jansson

0,0

Beschreibung

Mit »Happy Bones« legt Orthopäde und Knochenexperte Prof. Dr. Jansson ein abwechslungsreiches Lesebuch über Knochen und Gelenke vor, das alles Wissenswerte zum Thema umfasst. So sind unsere Stütz- und Bewegungsstrukturen nicht nur ausgetüftelte Konstruktionen, sondern auch medizin- und kulturhistorisch interessant. Begleitet werden die informativen und unterhaltsamen Texte von Abbildungen und konkreten Ratschlägen für jedes Alter sowie von gezielten Übungen für starke Muskeln und Knochen. »Happy Bones« informiert über die wichtigsten Krankheitsbilder von Frozen Shoulder über die Kniegelenksarthrose bis zur Osteoporose inklusive Hintergrundwissen zu Knochenmark, Knorpel und Co. Kleine »Knochenfeuilletons« lockern das ganz und gar nicht knochentrockene Thema auf, ebenso Infokästen zu Hyaluron, Mineralien, Vitamin D und vielem mehr. Mit Unterstützung der Co-Autorin und Medizinjournalistin Bettina Rubow ist das Buch eine informative Motivation für jede*n, sich rechtzeitig um die eigenen Knochen und Gelenke zu kümmern. Abgerundet von konkreten Handlungstipps in Richtung Bewegung und Ernährung sowie Erläuterungen dazu, wie man mit Gelenkverschleiß und anderen Problemen umgeht, und zusätzlich garniert mit informativen Knochen-Cartoons, erdacht vom Professor selbst.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 255

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel I: Knochen, der starke Kerl

Wie der Knochenumbau auf der Zellebene funktioniert

Osteoblasten (Moritz) & Osteoklasten (Max)

Der Schwamm (Spongiosa) & die Rinde (Kortikalis)

Max und Moritz und die Chemie

Der Gastraum fürs Knochenmark

Wenn Knochen älter werden

Knochenselbstheilung oder was bei einem Knochenbruch passiert

Der Mechanostat des Knochens

Der Knorpel – kein Weichei!

Der Knorpel ist gefühllos, aber Reibung reduzieren kann er perfekt

Die Schmiermittel des Knorpels, Hyaluron & Co.

Faszinierende Knorpelarchitektur und mittendrin Elfriede, die Knorpelzelle

Im Gegensatz zum Knochen kann Knorpel nicht heilen

Wenn der Knorpel Risse bekommt

Bisschen pumpen für Elfriede, das hilft

Knochen und Knorpel – echte Kumpels

Die Knochen-Knorpel-Partnerschaft zerbricht

Kapitel II: Knochen und Gelenke von Kopf bis Fuß

Die Evolution im Knochen

DER SCHÄDEL

DAS KNIEGELENK

Passend gemacht, was eigentlich nicht passt. So hat die Natur das Knie konstruiert

Stan und Ollie, zwei ungleiche Partner am Knie, sind gemeinsam stark

Die beiden Kreuzbänder, über Kreuz und dennoch stark

Die Seitenbänder, zwei ungleiche Partner innen und außen am Knie

Meniskus, der Stoßdämpfer im Knie

Die Kniescheibe (Patella)

Der Hoffa’sche Fettkörper

Der Hügel am Schienbein (Tuberositas tibiae)

Oje, das Knie hat viele Problemzonen

Warum eine Kunstgelenk-OP ganz schön schwierig und umso kleiner, desto schwieriger ist

Wichtige Verletzungen und Erkrankungen des Kniegelenkes

Die vordere Kreuzbandruptur

Die hintere Kreuzbandruptur

Meniskusverletzungen. Wenn der Knorpelring am Knie Schaden nimmt

Morbus Ahlbäck, der „Infarkt“ am Kniegelenk

Die Innenbandverletzung

Die Außenbandruptur

Die Patellaluxation

Gehen Sie mit einem geschwollenen Knie immer zum Arzt!

Osgood Schlatter und Sinding Larsen

Die Chondropathia patellae – wenn der Knorpel an der Kniescheibe schmerzt

Die Bursa präpatellaris, der schlimme Beutel vorm Knie

Knorpelersatz, der heilige Gral

Die Knochen-Knorpel-Transplantation (osteochondrale autologe Chondrozytentransplantation, kurz OATS)

Die Kniegelenksarthrose

Was dem Knie guttut

Injektionen – bringen sie Erleichterung?

DIE SCHULTER

Das Acromioclaviculargelenk (AC-Gelenk)

Das Sternoklavikulargelenk

Wichtige Verletzungen und Erkrankungen der Schulter

Die Schultergelenkluxation oder der ausgekugelte Oberarmkopf

Das Impingement der Schulter. Wenn es zwischen Schulterdach und Oberarmkopf zu eng wird

Die Rotatorenmanschettenruptur. Wenn die Muskel-Sehnen-Kappe der Schulter Risse bekommt

Die Schleimbeutelentzündung der Schulter (Bursitis subacromialis)

Die lange Bizepssehne

Die Kalkschulter

Die Frozen Shoulder

Was der Schulter guttut

DIE WIRBELSÄULE

Die gelenkige Wirbelsäule

Wichtige Erkrankungen der Wirbelsäule

Der Bandscheibenvorfall

Die Facettengelenkarthrose

Die Spinalkanalstenose

Das Iliosakralgelenk verbindet Wirbelsäule und Becken

Was der Wirbelsäule guttut und was nicht

DIE HÜFTE

Die Rolle der Gelenkkapsel

Wichtige Erkrankungen der Hüfte

Ein Wort zur Biomechanik der Hüfte

Die Hüftdysplasie und die Coxa Valga (Fehlstellung des Oberschenkelhalses)

Das Impingement der Hüfte. Wenn die Hüfte sich selbst blockiert

Die Hüftkopfnekrose. Wenn der Hüftkopf stirbt

Die Hüftarthrose (Coxarthrose)

Was ist jetzt zu tun?

Die Bursitis Trochanterica

Die gluteale Insuffizienz

Die schnappende Hüfte

Die Schenkelhalsfraktur. Wenn der Oberschenkelhals bricht

Was der Hüfte guttut

DIE HAND UND DER ELLENBOGEN

Der Tennisellenbogen & der Golferellenbogen

Wie verläuft die Behandlung?

Die Sehnenscheidenentzündung

Der Mausarm

Das Karpaltunnelsyndrom

DAS OBERE SPRUNGGELENK

Die Außenbandruptur

DER FUSS

Der Senk- und Spreizfuß

Der Hallux valgus

Krallen- und Hammerzehen

Kapitel III: Knochenkrankheiten, bildgebende Verfahren und die besten Therapien für Ihre Knochen

Wenn Knochen krank werden. Von Arthritis bis Osteoporose

Arthrose. Der Gelenkverschleiß, der jeden trifft

Wie erkennt man eine fortgeschrittene Arthrose?

Arthritis

Rheuma

Osteoporose

Was geschieht in den Knochen bei Osteoporose?

Ursachen der Osteoporose

Diagnose. Die Knochendichtemessung

Kann man Osteoporose vorbeugen?

Was ist mit Ernährung?

Osteoporose-Behandlung. Was hilft?

Kalzium und Vitamin D

Was braucht es noch in der Ernährung bei Osteoporose?

Osteoporose-Medikamente

Hormonersatztherapie (HET)

Osteoporose und Psyche

Bildgebung. Wenn die klinische Untersuchung an ihre Grenzen stößt

Das konventionelle Röntgenbild

Die Sonographie

Die Computertomographie (CT)

Die Magnetresonanztomographie (MRT)

Die Szintigraphie

Die besten Therapien für Ihre Knochen. Was bietet die Medizin? Was können Sie selbst tun?

Die wichtigsten operativen Verfahren

Die Arthroskopie

Die arthroskopisch assistierte Operation

Die offene Operation

Mini open

Die minimalinvasive Operation

Die navigierte Operation

Die wichtigsten nichtoperativen oder auch konservativen Heilverfahren

Chirotherapie

Manuelle Therapie

Physiotherapie

Komplementärmedizin. Was bringt sie für Knochen und Gelenke?

Osteopathie

Akupunktur & Akupressur

Knochengesunde Bewegung & Ernährung

Was ist gewichtsbelastende Bewegung?

Sport und Bewegung für fitte Knochen und Gelenke

Knochengesunde Ernährung leicht gemacht

Wie wichtig ist Kalzium im Körper?

Wie Sie Ihre Knochen glücklich machen. Mein Schlusswort

FAQs

Kleine Geschichte der Orthopädie

Dank

Quellennachweis

 

 

 

 

FÜR UNSERE FAMILIEN.

Volkmar Jansson & Bettina Rubow

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

dies ist kein Buch zur Selbsthilfe. Aber zum tieferen Verständnis der eigenen inneren Strukturen, die uns aufrecht und beweglich halten. Unsere Knochen sind das Haltbarste an uns, gehen wir achtsam mit ihnen um, tragen sie uns lange gut durchs Leben.

In meiner orthopädischen Praxis ist mir immer wieder das Bedürfnis der Patientinnen und Patienten begegnet, mehr über sich selbst, ihre Erkrankung, ihre Knochen und Gelenke zu erfahren. Um dann mit der Therapie, vielleicht sogar mit einer Operation besser zurechtzukommen. Die Patientinnen und Patienten, die viel über sich wussten, konnten ihre Erkrankung und deren Folgen meistens besser annehmen. Der mündige Patient ist aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Aber diese Mündigkeit kommt nicht von allein. Das Internet ist selten ein guter Lehrer … Seine Informationen sind meist zu oberflächlich, zu ungenau und zu sehr von Eigeninteressen der Autorinnen und Autoren beeinflusst.

Auch deshalb ist mir dieses Buch ein Anliegen. Mit ihm können Sie sich schlaumachen und sich manches Problem Ihres Bewegungsapparates vielleicht sogar selbst erklären. Trotzdem werden Sie darauf angewiesen sein, die Orthopädin oder den Orthopäden Ihres Vertrauens zu finden. Bei der Suche kann ich Ihnen nicht helfen. Dabei, mit ihr oder ihm auf „Augenhöhe“ zu reden, aber schon!

Volkmar Jansson

Einleitung

„… once destroyed it is not repaired.“ Einmal zerstört, niemals wieder repariert. Hinter dieser ernüchternden Aussage verbirgt sich nicht etwa die Enttäuschung eines gebrochenen Eheversprechens, sondern die Erkenntnis des englischen Anatoms William Hunter.1 Es ging auch nicht ums Privatleben, sondern um den ebenfalls spannenden Knorpel, den Gelenkknorpel. Bereits 1743 hatte Hunter erkannt, dass Gelenkknorpel ein kostbares Gut ist. Kostbar, weil bereits eine kleine Verletzung einen nicht mehr gutzumachenden Schaden im Gelenk hinterlässt. Dieses Paradigma gilt bis heute. Zwar können wir mit verschiedensten Methoden Knorpeldefekte tatsächlich therapieren, das Stichwort lautet hier „tissue engineering“, Anzüchten von Knorpelzellen im Labor. Aber den ursprünglichen Gelenkknorpel mit seiner komplexen filigranen Kollagenfaserarchitektur, den „hyalinen Knorpel“, können wir bislang mit keinem Verfahren der Welt wiederherstellen. Wir müssen also gut auf ihn aufpassen, den Gelenkknorpel.

Wie sieht es dagegen mit dem Knochen aus? Nun, der ist härter im Nehmen, im wahrsten Sinne des Wortes. Während Knorpel weich und anschmiegsam ist, ist der Knochen ein harter Brocken. Bis er bricht, muss viel passieren. Seine Festigkeit ist höher als die eines Eichenstocks, und im Gegensatz zu einem Stück Holz kann der Knochen noch etwas ganz Besonderes: Er kann heilen. Das kann er so gut, dass ein Knochenbruch sogar ohne Narbe heilt. Werden die Knochenenden wieder perfekt aneinandergefügt, kann man Jahre später weder im Röntgenbild noch im Mikroskop etwas von der alten Bruchlinie erkennen. Und selbst wenn der Knochenbruch nicht gut eingerichtet wurde, schafft es der Knochen trotzdem oft, wieder zusammenzuwachsen. Dann allerdings sieht man im Röntgenbild fast immer die alte Fraktur, sie ist verdickt, wir sagen dazu „sekundär“ geheilt. Erst hat sich ein knorpelartiger „Callus“ um die Fraktur herum gebildet, und dann ist dieser im zweiten Schritt, eben sekundär, verknöchert.

Aber auch jetzt passiert etwas Wundersames: Die Verwerfungen der Knochenenden und der unförmig dicke Knochen im Bereich der ehemaligen Fraktur glätten sich im Laufe der Jahre. Von ganz allein. Der Knochen lebt! Denn keinesfalls ist der Knochen ein Stück tote Materie, nein, er passt sich den auf ihn einwirkenden Kräften kontinuierlich und so an, dass mit möglichst wenig Knochenmasse das Maximum an Stabilität erreicht wird. Das heißt, je mehr wir den Knochen belasten, umso stärker wird er. Leider heißt das aber auch im Umkehrschluss: Faule Menschen kriegen einen weichen Knochen, sie neigen zur Osteoporose.

Bei den Knochen unterscheiden wir zwischen dem holzstockartigen festen Knochen, zum Beispiel in der Mitte des Oberschenkels, dem „kortikalen“ Knochen, und dem weichen, gelenknahen Knochen, der Spongiosa, dem schwammartigen Knochen. Wie kann Knochen so unterschiedliche Strukturen bilden? Immerhin sind es immer die gleichen Knochenzellen, die mal dicht gepackt den kortikalen Knochen und mal fein verteilt auf Tausenden Knochenbälkchen, den „Trabekeln“, die Spongiosa bilden. Nun, der Mechaniker weiß die Antwort. Weil die Gelenke so viel breiter sind als der Knochen zwischen zwei Gelenken, verteilt sich die Last auf eine größere Fläche. Es braucht also in Gelenknähe weniger Knochenmasse pro Fläche, um alle Knochenzellen mit dem gleichen Druck zu belasten.

Dabei passiert wieder etwas Wundersames. Obwohl vom Material sehr hart, sind die feinen Knochenbälkchen dünn und biegsam. Damit bereiten sie dem Knorpel ein weiches Bett und federn nach, wenn die Last in Bereichen des Gelenkes zu groß wird. Der Knochen hat also mehr zu tragen in der Partnerschaft mit dem Knorpel, aber dafür macht dieser ihm das Leben angenehm.

Wir können unsere Knochen nicht sehen, weil sie unter Haut und Muskulatur verborgen sind. Aber wir spüren sie, vor allem dann, wenn es ihnen nicht gut geht. Woran sich die Kernfrage anschließt: Wie passen wir am besten auf unsere Knochen und Gelenke auf, damit sie uns robust durchs Leben tragen? Die Antwort lautet schlicht: Mittelmaß! Eigentlich ist alles ganz einfach. Knochen, Knorpel, Gelenke, das sind Strukturen, die Ingenieure genau berechnen können. Wir wissen, was der Knochen an mechanischer Belastung braucht, um nicht zu verkümmern: möglichst viel, aber nicht so viel, dass er bricht oder zu spröde wird. Wir kennen die optimale Belastbarkeit des Gelenkknorpels, ungefähr 3 bis 4 MPa. Das entspricht dem Druck von einem Kilogramm auf einer Fläche von 4 mm². Nur kann sich der Knorpel im Gegensatz zum Knochen leider kaum anpassen. Zwar wissen wir von Sportlerinnen und Sportlern, dass die Knorpelschicht dicker wird, je mehr wir sie belasten. Das ist der Versuch des Knorpels, den Druck etwas besser zu verteilen, aber mehr kann er nicht tun. In die Breite wachsen oder dichter werden ist im Gegensatz zum Knochen nicht möglich. Reicht dieser Versuch der Anpassung nicht aus, kommt es zu Zerreißungen der Kollagenfasern im Knorpelinneren. Diese aber halten ihn zusammen, sind wie Tausende kleiner Bänder in der gelartigen Knorpelmasse. Ohne sie zerflösse der Knorpel bei der geringsten Belastung. Die Anordnung dieser Kollagenfasern ist komplex und wird nur einmal im Leben gebildet, im Mutterleib. Danach beginnt die Alterung. Zumindest, was den Knorpel angeht.

Was passiert, wenn der Knorpel seine Form verliert, weil seine inneren Bänder reißen? Nun, er versucht eine Reparatur, aber sie gelingt ihm nicht. Es bildet sich im besten Fall ein sogenannter Faserknorpel. Dessen Kollegenfasern sind wirr und unsortiert, sie geben dem Knorpel wenig Halt. Die Knorpelschicht wird immer dünner. Und dann passiert etwas darunter, an der Grenze zum Knochen, was wir auf keinen Fall wollen. Der Knochen spürt die erhöhte Belastung an den Stellen, an denen der Knorpel dünn geworden ist, der Druck auf den Knochen steigt. Der Knochen reagiert. Die sonst und bei der Frakturheilung so segensreiche Anpassung des Knochens an die mechanische Belastung, das „Bone Remodeling“, setzt ein. Da, wo der Knochen eben noch weich und elastisch war und dem Knorpel geholfen hat, Spitzenlasten abzufedern, wird die Last so groß, dass der Knochen beginnt, dagegen anzuarbeiten. Die Knochenmasse erhöht sich, der Knochen wird dicht und hart. Da, wo der Knochen vor Kurzem dem Knorpel noch mit seiner Elastizität geholfen hat, drückt er den Knorpel jetzt umso fester zusammen. Es wird eng für den ohnehin schon schwachen Knorpel, denn genau an den Stellen, an denen er dünn geworden ist, wird der Druck jetzt immer größer, nicht mehr ertragbar für die Knorpelzellen. Die Knorpelschicht wird also genau an diesen ohnehin schon schwachen Stellen weiter geschädigt und dünnt weiter aus. Das Gleichgewicht in der Knochen-Knorpel-Ehe ist aus dem Tritt geraten.

Sie ahnen die Faszination, die ein derartiges komplexes und lebendes mechanisches „System“ auf einen Ingenieur hat. Das meine ich jetzt ganz wörtlich, denn als ich mich entscheiden musste, was ich mit meinen beiden abgeschlossenen Studien des Maschinenbaus und der Medizin einmal machen wollte, hat mich genau dieses Thema der komplexen Mechanik einer lebenden Materie zur Orthopädie gebracht. Denn so einfach wie oben geschildert sind die Berechnungen und die Biologie leider nicht. Aber sie ziehen sich durch alle Bereiche der Orthopädie. Auch bei den Kunstgelenken finden die geschilderten Knochenumbauvorgänge an der Grenze zwischen dem Implantat und dem Knochen statt. Sie entscheiden mit darüber, ob ein Kunstgelenk auf Dauer vom Knochen angenommen werden kann oder nicht. Als ich anfing in der Orthopädie, war darüber noch wenig bekannt. Man setzte die Implantate ein, die den Chirurgen gefielen. Regularien gab es nur wenige. So bitter es klingt, viel hat man insbesondere von den Fehlschlägen gelernt.

Nach und nach hörte man auf die Ingenieure und baute die Implantate so, dass der Knochen eine Chance hatte, sich mit ihnen zu verbinden. Auch die Operationstechniken haben sich verbessert. Der Mediziner hat auf den Ingenieur zu hören gelernt. Gerade beim Operieren hat mir das mechanische Wissen oft über viele schwierige Situationen hinweggeholfen.

Auch das Verständnis für die Biologie hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert, vor allem das Verständnis für den Knorpel. Wir wissen, dass die auf ihn einwirkende mechanische Last eine Schlüsselrolle bei den knorpelrekonstruierenden Therapieverfahren spielt. Wir wissen, dass sich Stammzellen, die wir im Knochen so reichlich finden, in Knorpelzellen umbilden können und so Knorpeldefekte, wenn auch nur mit Faserknorpel, ausgleichen können. Und je besser wir die Zellbiologie und die Mechanik und die Zellchemie zusammenbringen, umso besser werden unsere Knorpeltherapien in Zukunft sein und desto näher werden wir dem „Heiligen Gral“, dem sogenannten hyalinen Gelenkknorpel, kommen. Der Knorpel, mit dem wir als Kinder gestartet sind.

Bis es so weit ist, können wir anderes tun. Da wir verstanden haben, dass Arthrose mit Mechanik zu tun hat, können wir frühzeitig durch Korrekturoperationen die Last, die auf die Gelenke einwirkt, abfedern. Ein starkes angeborenes oder im Laufe des Lebens erworbenes O-Bein kann zum Beispiel durch eine rechtzeitige Begradigung den Verschleiß im Kniegelenk begrenzen. Ein „pfannenverbessernder“ Eingriff an der Hüfte kann bei einer Hüftdysplasie, das ist die angeborene schlecht ausgebildete Hüftgelenkspfanne, den Gelenkdruck vermindern helfen. Oft können diese Maßnahmen den natürlichen Verlauf des Gelenkverschleißes aufhalten, komplett verhindern meistens nicht. Die Evolution hat eben nicht vorausgesehen, dass unsere Gelenke eines Tages nicht nur dreißig, sondern achtzig, neunzig Jahre oder noch länger halten müssen. So gesehen ist die Arthrose keine Erkrankung, sondern ein natürlicher Prozess, dem wir uns alle eines Tages stellen müssen. Die Orthopädie und vor allem die orthopädische Forschung hat die Aufgabe, die Natur dabei möglichst lange zu überlisten.

Mit diesem Buch möchte ich Sie mitnehmen auf eine spannende Reise ins Innerste unseres Körpers, zu den lange vernachlässigten Knochen und Gelenken, unseren Stütz- und Schutzstrukturen, ohne die wir nicht mehr wären als ein Sack weicher Masse. Meine gesamte Erfahrung als Orthopäde ist in ihm enthalten. Möge es Ihnen allen nutzen.

Kapitel IKnochen, der starke Kerl

Wenn ich an den Knochen denke, fällt mir sofort der Stahlbeton ein. Nicht dass der Knochen eine tote Masse sei. Nein, der Knochen lebt! Aber die Natur hat den Knochen einzigartig konzipiert. Und sofort zeigt sich dem Ingenieur ein wesentlicher Unterschied zum Stahlbeton. Doch während Stahlbeton sowohl Zug- als auch Druckkräfte aufnehmen kann, ist der Knochen von Natur aus im Wesentlichen dazu ausgelegt, nur Druckkräfte auszuhalten.

Aber was sind dann die Ähnlichkeiten zum Stahlbeton? Dazu müssen wir uns die Mikroarchitektur des Knochens genauer ansehen. Wie der Stahlbeton besteht der Knochen aus zwei mechanisch unterschiedlich wirkenden Bestandteilen. Zum einen haben wir sehr druckfestes Mineralsalz, das Hydroxylapatit. Dieses entspricht im Wesentlichen dem Beton. Das Hydroxylapatit allein würde Zugkräfte aber nicht in ausreichender Weise aufnehmen können, denn dazu ist es zu spröde. Deswegen gibt es in Knochen zusätzlich Kollagenfasern, in die das Hydroxylapatit eingebettet ist. Diese Fasern verhindern, dass das Salz unter der mechanischen Belastung zerbirst. Ähnlich wie der Stahl den Beton, so halten die Kollagenfasern das Hydroxylapatit zusammen. Aber im Gegensatz zum Stahlbeton darf man den Knochen nicht zu fest auseinanderziehen, das halten die Kollagenfasern nicht aus. Daher gilt im Körper eine Arbeitsteilung. Während der Knochen zur Aufnahme der Druckkräfte da ist, gibt es zur Aufnahme der Zugkräfte besser geeignete Strukturen, nämlich Bänder und Sehnen. Gemeinsam mit dem Knochen bilden sie das, was die Orthopädie als Stütz- und Bewegungsapparat bezeichnet.

205 Knochen verrichten im menschlichen Körper ihre Arbeit. Etwa fünf Kilogramm schleppt ein gesunder erwachsener Mensch davon mit sich herum. Und alle sind sie in gleicher Weise aufgebaut. Dabei ist zunächst einmal Energiesparen angesagt. Viel Knochen bedeutet einen hohen Energieeinsatz. Aber was kostet denn eigentlich so viel Energie? Auch wenn der Knochen lebt, macht er nicht viel. Außer da zu sein. Doch allein der Unterhalt kostet. Deshalb ist eben nur so viel Knochen da, wie der Mensch braucht. Und der braucht genau so viel, wie er macht. Bewegt er sich viel, treibt er viel Sport, hebt er schwere Gewichte, braucht er einen starken Knochen. Dann passt sich der Knochen dieser erhöhten mechanischen Belastung an, er wird dicker. Wenn andersherum die mechanische Belastung des Knochens ausbleibt, wird er wieder dünner.

Wie der Knochenumbau auf der Zellebene funktioniert

Wie geht das nun mit dem Dicker-und-dünner-Werden des Knochens? Dazu gibt es Spezialisten, zwei spezielle Zelltypen. Die einen, die Osteoblasten, nennen wir sie in Stellvertretung Moritz, sind dazu da, den Knochen wachsen und dicker werden zu lassen. Wie macht Moritz das? Eine Zelle hat ja keine Werkzeuge oder Hände, mit denen sie Kollagenfasern verknoten und in diese Netze Hydroxylapatit hineingießen kann. Moritz kann nur eins: Chemie! Aber darin ist er ein Meister. Moritz ist wie jeder Zelltyp im Körper ein Spezialist. Jede Körperzelle stellt spezielle Proteine her, die nur von diesem Zelltyp gebildet werden können. Im Falle von Moritz sind das spezielle Kollagene, die eine hohe Affinität zu Kalziumphosphat aufweisen. Das Kollagen eins und das Kollagen acht sind solche Kandidaten.

Was ist Kalzium? Das Leben benötigt vor allem Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff. Dann folgt mit einigem Abstand Kalzium. 1,5 Prozent unseres Körpergewichts entfallen auf dieses Element, das man vielleicht noch aus dem Chemieunterricht kennt. Das Metall verbindet sich wie der Blitz, wenn man ihm ein anderes Material anbietet, zum Beispiel Wasser. Tatsächlich ist Kalzium ein extrem reaktives Element, das in der Natur in unzähligen Verbindungen vorkommt. Davon ist der allseits bekannte Kalk (nur) eine. Kalk heißt chemisch korrekt Kalziumkarbonat. Die Verbindung mit dem Kohlenstoff (Carbonium) ist eine andere leidenschaftliche Liaison des Kalziums. In den Knochen steckt aber kein Kalk, sondern Kalzium als Kalziumphosphat oder Hydroxylapatit. Das ist die harte Substanz, die dem Knochen die Festigkeit verleiht, damit der Mensch nicht als Sofakartoffel sein Leben fristen muss.

Halte niemand das Hydroxylapatit für eine „tote“ Materie, nur weil es aus anorganischen Quellen kommt. Das in ihm enthaltene Kalzium verwendet der Körper immer dann, wenn es anderweitig, etwa durch Ernährungsmängel, zu wenig von diesem Element gibt. Der Körper nutzt die Knochen tatsächlich als Kalziumbank, von der er abhebt, wenn er klingendes Metall braucht. Und er legt es auch wieder an, wenn genug davon vorhanden ist.

Kommt also so ein Kalziumphosphat aus dem Blut angeschwommen (jawohl, der Knochen ist durchblutet), bindet es an diese Kollagenfasern. Es kommt zu einer Mineralisierung dieser Fasern und letztlich zur Bildung des Hydroxylapatits.

Aber Moritz ist nicht allein. Natürlich ist Max in der Nähe und wartet geduldig auf seine Chance. Max ist ein sogenannter Osteoklast. Dieser Zelltyp hat einen eher destruktiven Charakter. Alles, was Moritz aufgebaut hat, ist Max ein Dorn im Auge. Max hält sich mit seiner Arbeit nur dort zurück, wo es auffällt, nämlich da, wo der Körper den Knochen braucht. An den Stellen aber, an denen der Knochen weniger belastet wird, wartet ein listiges Helferlein, der Osteozyt. Dieser schüttet ein bestimmtes Protein aus, das RANKL. Max wird rasend, wenn der RANKL in seiner Nähe ist. Wie ein Wilder fängt er an, Moritz’ sorgsam gebildeten Knochen aufzulösen. Es kommt zu einem lokalen Knochenschwund.

Osteoblasten (Moritz) & Osteoklasten (Max)

Dieser Knochenschwund hat aber auch etwas Gutes. Und das gleich aus mehreren Gründen. Wie bei jedem Material gibt es auch beim Knochen eine Materialermüdung. Wir kennen das von einer Büroklammer. Biegen wir sie einige 100-mal hin und her, wird das Material spröde und bricht schließlich. Das Problem der Büroklammer ist, niemand hilft ihr. Max und Moritz hingegen leisten ganze Arbeit. Da, wo der Knochen die ersten Ermüdungsrisse durch eine zu hohe und lang andauernde mechanische Belastung bekommt, macht Max reinen Tisch. Nachdem er den betroffenen Knochen entfernt hat, kann Moritz diesen wieder neu aufbauen. Was kein in der Technik übliches Material kann, schafft die Natur ganz spielerisch. Allerdings baut Moritz den Knochen nur an den Stellen wieder auf, an denen er wirklich gebraucht wird. So kommt es nicht nur zu einer Reparatur, sondern zu einem ständigen Umbau der Knochenstrukturen, den mechanischen Ansprüchen folgend. Wir sehen also: Keinesfalls ist der Knochen ein totes Material!

Der Schwamm (Spongiosa) & die Rinde (Kortikalis)

Und wie war das mit dem Energiesparen? Der Knochenumbau kann schließlich nicht umsonst sein. Ist er auch nicht. Wir unterscheiden zwei Knochenstrukturen, zum einen den spongiösen, den schwammartigen Knochen, zum anderen den kortikalen, den festen Knochen.

Den löchrigen spongiösen und eher weichen Knochen finden wir insbesondere in den Gelenkbereichen. Je nachdem, wie die Gelenke belastet werden, muss er sich im Bereich der Gelenke besonders oft neuen mechanischen Herausforderungen stellen. Wenn wir zum Beispiel bei unseren Sportgewohnheiten das kniebelastende Joggen durch das kniefreundliche Fahrradfahren ersetzen, bedeutet das für das Hüft- und Kniegelenk eine komplette Umstellung der mechanischen Situation.

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum der Knochen im Bereich der Gelenke weich und anpassungsfähig sein muss. Über diesem Knochen liegt der Gelenkknorpel, ein wirklich sensibler Kerl, dem man es kaum recht machen kann. Wird er zu wenig belastet, wird er dünner, wird die Belastung zu groß, geht er kaputt. Nach den Gesetzen der Physik hängt dabei die Last, die auf den Knorpel wirkt, stark von der Auflage des Knorpels auf dem Knochen ab. Je härter diese Auflage ist, umso unkomfortabler wird es für den Knorpel. Wir sehen, die Spongiosa muss viel leisten. Umsonst ist das nicht. Während der kortikale Knochen sehr genügsam ist, braucht der ständige Knochenumbau im Bereich der Spongiosa viel Energie. Daher leistet sich der Körper auch, nur circa zwanzig Prozent seines Knochens als spongiösen Knochen auszubilden.

Warum hat es dagegen der kortikale Knochen so leicht? Auch hier weiß der Mechaniker die Antwort. Während der spongiöse Knochen sich ständig mit den neuen Sportgewohnheiten seines Arbeitgebers abplagen muss, überträgt der kortikale Knochen eine genau definierte Belastung von Gelenk A auf Gelenk B. Das funktioniert meistens ohne große Probleme. Nur wenn den Knochenbesitzer der Ehrgeiz packt und er seine sportlichen Aktivitäten steigert, muss der kortikale Knochen etwas dicker oder aber bei einem Faulenzer entsprechend dünner werden. Viel mehr ist nicht zu tun. Bis auf eine Kleinigkeit. Geht nämlich der Knochenbesitzer mit seinem Stütz- und Bewegungsapparat nicht sorgsam um, stürzt er oder erleidet einen Unfall und es kommt zu einer Knochenfraktur, müssen sowohl die Spongiosa wie auch der kortikale Knochen sich beweisen. Dann wächst der kortikale Knochen manchmal über sich hinaus. Wird ein solcher Knochenbruch nämlich nicht richtig eingerichtet, sodass der Knochen schief zusammenwächst, leistet der kortikale Knochen ganze Arbeit. Dabei helfen ihm die Gesetze der Physik. Da an den Stellen, die innerhalb des Knicks liegen, große Druckkräfte wirksam werden, fängt Moritz an zu schaufeln, was das Zeug hält, und schüttet Knochen an die hochbelasteten Stellen, damit sich die Druckkräfte auf mehr Knochenmasse verteilen können. Der Knochen wird also in diesen Bereichen dicker. Auf der Außenseite des Knicks dagegen herrschen Zugkräfte. Das mag der Knochen gar nicht, und Max fängt an, den Knochen an diesen Stellen wegzuhacken. Innen Knochenwachstum, außen Knochenabbau. In der Folge wird aus dem krummen wieder ein gerader Knochen (s. Abb. 1).

Abb. 1: Max und Moritz werkeln in unseren Knochen

Max und Moritz und die Chemie

Das alles hört sich an, als würden sich Max und Moritz nur um die Physik kümmern. Doch eigentlich sind sie Chemiker, die in ihrem Zelllabor Kollagene und anderes herstellen. Und als Chemiker hören sie auf die Chemie. Es gibt eine Reihe von Substanzen, die sie in ihrer Aktivität anregen oder hemmen. Vitamine, Hormone, Kalziummangel, all das kann den Knochenauf- und -abbau anregen oder stören. Gerade das Kalzium. Neunundneunzig Prozent des im Körper vorhandenen Kalziums ist im Knochen gespeichert. Ohne das Kalzium bekommt der Knochen keine Härte. Es ist wesentlicher Bestandteil des oben erwähnten Hydroxylapatits. Und wegen der vielen Knochenumbauprozesse braucht der Knochen ständig Nachschub. Den bekommt er über die Nahrung. So ungefähr ein Gramm Kalzium pro Tag braucht jede und jeder Erwachsene täglich.

Doch so einfach kommt das Kalzium gar nicht in die Knochen hinein, dazu braucht es ein bestimmtes Vitamin, das Vitamin D. Haben wir davon nicht genug, nützt das Kalzium in der Nahrung wenig. Und mit dem Vitamin D ist es so eine Sache. Zwar kann der Körper Vorstufen davon selbst herstellen, aber richtig fertigstellen kann er es nicht. Dazu muss eine Vorstufe des Vitamins D in den Epithelien, den Zellschichten der Haut, noch ausreifen. Und hierfür braucht es Sonnenlicht. Leider haben wir davon alle viel zu wenig, ein kurzer Sommerurlaub im Jahr reicht nicht aus. Tatsächlich ist der Vitamin-D-Mangel in der „zivilisierten“ Gesellschaft zu einem relevanten Problem geworden. In jedem Fall lohnt es sich, den Vitamin-D-Spiegel im Blut regelmäßig messen zu lassen. In vielen Fällen bewegt er sich im unteren Normbereich. Dann lohnt es sich, dem Körper Vitamin D zuzuführen, damit das Kalzium seinen Weg in den Knochen findet.

Das Power-Couple Kalzium und Vitamin D. Ohne Kalzium bekämen unsere Knochen keinen Werkstoff für ihre Bautätigkeit, ohne Vitamin D würde die Lieferkette von Kalzium und Phosphor zusammenbrechen. Das Sonnenscheinvitamin, das erst im Körper gebildet wird und daher eigentlich ein Hormon ist, ist also mindestens ebenso wichtig für unsere Knochen, wie es die Mineralstoffe sind. Bemerkenswert am Knochenstoffwechsel ist außerdem, wie sehr er mit der Natur verbunden ist. Salze und Metalle aus der Erde und Sonnenlicht aus dem Himmel, das ist es, was wir bis in die Knochen brauchen.

Der Gastraum fürs Knochenmark

Der Knochen hat eine weitere sehr liebenswerte Eigenschaft, er ist sehr gastfreundlich. In seinen Hohlräumen, die in der Spongiosa reichlich vorhanden sind, beherbergt er das Knochenmark. Darin wiederum leben eine ganze Reihe sehr wichtiger Zellen. Die gesamte Blutbildung findet im Knochenmark statt. Und da wird wirklich etwas geleistet. So eine Blutzelle, der Erythrocyt, lebt nämlich nicht lange, nur circa 30 bis 120 Tage. Das Blut muss also ständig erneuert werden, und das findet im Knochen statt. Auch die weißen Blutkörperchen, die für das Immunsystem so wichtig sind, die Blutplättchen oder Thrombozyten, ohne die eine Wunde nicht aufhören würde zu bluten, werden im Knochen gebildet. Und der Knochen ist reich an sogenannten Stammzellen. Das sind Zellen, die sich in praktisch alle anderen Zellen des Körpers umwandeln können. Somit ist der Knochen der beste Hort fürs zelluläre Leben. Wahrlich, der Knochen lebt!

Wenn Knochen älter werden

Funktioniert das alles ein Leben lang? Leider nein. Die menschliche Evolution hat leider nur die ersten dreißig Jahre unseres Lebens im Blick gehabt, dann geht’s bergab. Während ein Knochenbruch beim Kleinkind schon nach zwei Wochen wieder richtig fest ist, dauert das beim Erwachsenen mindestens sechs Wochen. Und nicht nur die Knochenheilung wird langsamer, der Knochen verändert sich auch in seiner Struktur. Der Röhrenknochen des Oberschenkels weitet sich, der Durchmesser nimmt zu, aber die Knochenwand der Röhre wird dünner und dünner. Auch die Knochenbälkchen der Spongiosa werden dünner. Und es kommt noch dicker. Wenn ein Trabekel sich so weit aufgelöst hat, dass er keine Last mehr, zum Beispiel in einem Wirbelkörper, von oben nach unten übertragen kann, verliert Moritz sein Interesse. Der schaufelt schließlich nur, wenn die Last ansteigt. Max nutzt das sofort aus und hackt den Rest weg. Der Knochenbalken löst sich auf! Knochenbälkchen für Knochenbälkchen verschwinden. Man spricht dann von einer „Rarefizierung“ der Spongiosa. Die Bruchfestigkeit der Wirbelkörper nimmt in der Folge rapide ab.

Folgt der Knochenbesitzer jetzt endlich dem Rat des Orthopäden und beginnt wieder mit einer sportlichen Tätigkeit, kommt es zwar erneut zu einer höheren mechanischen Belastung der Knochen. Moritz würde das gerne honorieren und die Knochenbälkchen wachsen lassen. Aber: Wo es keine Knochenbälkchen mehr gibt, kann nichts mehr dicker werden. Das Bone Remodeling, das Anpassen der Knochenstruktur an die mechanische Belastung, kann nicht mehr funktionieren. Hat der Abbau des Knochens also ein bestimmtes Maß überschritten, ist dieser Prozess unumkehrbar! Daher ist es so wichtig, den Beginn des Knochenschwunds, die Osteoporose, rechtzeitig zu entdecken und zu behandeln. Doch dazu später.

Knochenbälkchen. Der schwammartige Knochen, die Spongiosa, wird aus Tausenden kleiner Knochenbälkchen gebildet. Am einfachsten kann man sich die Struktur klarmachen, wenn man sich ein Stück Schaumstoff vorstellt. Die dünnen Wände im Schaumstoff sind unsere Knochenbälkchen. Es gibt, außer dem Material natürlich, nur einen ganz kleinen Unterschied. Während im Schaumstoff die vielen Hohlräume aus kleinen, in sich abgeschlossenen Blasen bestehen, sind die Wände dieser „Blasen“ in der Spongiosa an vielen Stellen unterbrochen. Man nennt das eine offenporige Struktur.

Aber auch im Inneren des Knochens tut sich etwas. Da, wo sich im jugendlichen Alter die Blutzellen getummelt haben, breitet sich Fettgewebe aus. Zunehmend kommt es zu einer Verfettung des Rückenmarks. Die Blutbildung geht zurück, das Immunsystem leidet unter der Dezimierung seiner Zeilen, es wird still im Knochen. Alles muss irgendwann ein Ende haben.

Knochenselbstheilung oder was bei einem Knochenbruch passiert

Aber reden wir lieber vom möglichst langen Knochenleben. Denn solange der Knochen lebt, ist er ein Teufelskerl! Kommt es zu einem Knochenbruch, schickt er seine Mannen los. Zellen und Proteine werden aktiviert und schon nach wenigen Stunden kommt es zu einer Kallusinduktion. Darunter versteht man die Bildung von lockerem Blut- und Zellgewebe, das sich zunächst in Knorpelgewebe umwandelt. Dieses Knorpelgewebe bildet eine Brücke zwischen den beiden Frakturenden. Dieses Gewebe beginnt dann zu kalzifizieren und nach sechs Wochen ist aus dem zellulären Kallus ein mineralisierter Kallus geworden. Der ist schon ziemlich fest. Trotzdem dauert es in der Regel weitere sechs Wochen, bevor das Ganze seine endgültige Festigkeit erreicht hat. Im Ergebnis ist der Knochen an den Stellen der ehemaligen Fraktur sogar dicker, als er es einst gewesen war. Dann folgt das Bone Remodeling. Da an der Stelle der ehemaligen Fraktur jetzt viel zu viel Knochen ist, wird eingespart. Der Knochen wird so lange abgebaut, bis er wieder normal belastet ist. Damit hat er im Allgemeinen auch seine alte Form wiedererlangt.

Natürlich kann man dem Knochen bei diesem Heilungsprozess auch helfen. Je enger die Frakturenden aneinanderliegen, desto besser und sicherer funktioniert die Heilung. Aus diesem Grund werden vor allem beim Erwachsenen Knochenbrüche in der Regel operativ behandelt. Der Chirurg versucht, die Knochenstellen einander anzunähern und mithilfe von Metallplatten, Schrauben und Stäben zu fixieren. Dabei geht es natürlich auch darum, einen gebrochenen Knochen wieder gerade auszurichten. Gelingt das nicht perfekt, sind Max und Moritz auch noch da.