Happy Ever After – Wo dich das Leben anlächelt - Jenny Colgan - E-Book
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Happy Ever After – Wo dich das Leben anlächelt E-Book

Jenny Colgan

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Beschreibung

Mit diesem Roman kann der Sommer kommen: In den schottischen Highlands trifft die Liebe gleich doppelt ins Herz.    Jenny Colgans zweiter Wohlfühlroman aus der Happy-Ever-After-Reihe ist eine Hymne auf das Leben, große Gefühle und den Zauber der Bücher.    Wie kann ein Roman alle Sorgen nehmen und glücklich machen? Jenny Colgan hat diese Zauberformel gefunden. »Happy Ever After – Wo dich das Leben anlächelt« ist eine Umarmung in Buchform. Die witzig-charmante Fortsetzung über den kleinen Bücherbus kommt genau zur richtigen Zeit: für den Urlaub, als Strandlektüre, für eine dringend benötigte Dosis Glück.   Die Erzieherin und alleinerziehende Mutter Zoe hasst alles: ihren Job, ihre Miete, die selbst gewählte Stummheit ihres Sohnes. Als sie das Angebot bekommt, die Kinder eines schottischen Schlossherrn zu betreuen und einen Bücherbus zu übernehmen, packt sie sofort ihre Koffer. Doch die schottischen Highlands haben mehr als eine unangenehme Überraschung für Zoe parat. Bis Zoe Schottland und seine Bewohner vollends in ihr Herz schließt, wird es turbulent.   Der zweite Band der Bestsellerreihe um den kleinen Bücherbus in Schottland   Es reicht fast nicht, Jenny Colgan als Bestsellerautorin zu betiteln. Ihre atmosphärischen Frauenromane standen wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Leserinnen auf der ganzen Welt lieben sie für ihre selbstbewusste und gefühlvolle Unterhaltung. Denn jede Geschichte ermutigt zur Veränderung, feiert die Freundschaft und den Zusammenhalt und wärmt die Seele..   »Ein warmherzig-witziges Buch mit tollen Charakteren – und es dreht sich alles um Bücher!«  – Sophie Kinsella     Freuen Sie sich auf ein romantisches Schmökerfest und eine Ode an das Lesen. Feiern Sie das Leben, die Liebe und Schottland von seiner schönsten Seite. Entdecken Sie auch weitere Jenny-Colgan-Bestsellerreihen: Schnuppern Sie in »Floras Küche« rein oder erkunden Sie »Die kleine Bäckerei am Strandweg«.  

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Seitenzahl: 590

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Aus dem Englischen von Sonja Hagemann

 

Für Deborah Schneider,die tapfer, beeindruckendund großartig ist.

 

©2019 by Jenny ColganTitel der englischen Originalausgabe:»The Bookshop on the Shore«, Sphere, an imprint ofLittle Brown Book Group, an Hachette UK Company, London, 2019© der deutschsprachigen Ausgabe:Piper Verlag GmbH, München 2020Redaktion: Kerstin Kubitz

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Einleitung

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil 2

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Teil 3

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Teil 4

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Danksagung

Einleitung

Als ich ganz klein war, habe ich jedes einzelne Buch in der kleinen Kinderecke unserer winzigen Bücherei geradezu verschlungen. ( Außer dem großen grünen Buch über Reptilien und Amphibien, vor dem ich eine Heidenangst hatte. )

Ich habe Bücher über Kalligrafie gelesen, über Tischtennis und über Pfadfinderinnen. ( Ich war eine schlechte Pfadfinderin und hab es gehasst. Von den Abzeichen hab ich nur ein einziges bekommen – richtig, das Leseabzeichen. ) Zu meiner Lektüre gehörten auch Bücher darüber, wie man ein Spion wird, oder über die Bibel, und sämtliche Geschichtenbücher, die sie dahatten.

Damals dachte ich, darum geht es: Man liest immer weiter, bis man jedes einzelne Buch auf der Welt durchhat. Als ich mit dreizehn meinen Bibliotheksausweis für Erwachsene bekam, wurde mir nach einem halben Regal Louis L’Amour langsam klar, dass das so wohl nicht funktioniert. ( Ich hab allerdings wesentlich mehr von Tom Clancy verschlungen, als man von einer Jugendlichen eigentlich erwarten sollte. )

Nachdem wir das jetzt geklärt haben: Hallo und danke, dass ihr euch für Happy Ever After – Wo dich das Leben anlächelt entschieden habt – ich weiß schließlich, wie groß die Auswahl ist. Dessen bin ich mir bewusst, das kann ich euch versichern. ☺

Dieses Buch ist nicht direkt eine Fortsetzung von Wo das Glück zu Hause ist. Apropos, zum Thema Buchtitel hab ich noch eine lustige Geschichte: Es mag euch überraschen, aber Schriftsteller können sich nicht immer aussuchen, wie ihr Buch heißen wird. Als der Titel für dieses Buch festgelegt wurde, waren lange Titel gerade in Mode, mir erschien er aber immer etwas sperrig.

Und in den USA hat damals mein dortiger Verleger, den ich vergöttere, zu mir gesagt: » Wäre es dir recht, wenn wir es The Bookshop on the Corner nennen ? «

Ich hab ihm geantwortet: » Die Buchhandlung an der Ecke ? Es handelt sich doch um eine fahrende Buchhandlung, die immer woanders steht ! «

Und er meinte: » Mir gefällt der Titel aber, weil er so klingt, als wäre der Bücherwagen immer zur Hand, wenn man ihn braucht. «

Also hab ich gesagt: » Gut, na ja, dann parken wir ihn eben an der Ecke. «

Das fand er gut, und deshalb gibt es zwischen der ursprünglichen englischen und der amerikanischen Ausgabe einen einzigen Unterschied: In der amerikanischen kommt öfter mal der Satz Der Wagen stand an seiner üblichen Ecke vor.

Na ja, wie gesagt, dieses Buch ist also nicht direkt eine Fortsetzung, obwohl darin ein paar Figuren wieder vorkommen: Ihr werdet zwar Nina und Surinder erneut begegnen, aber es ist ganz klar Zoes Geschichte.

In diesem Roman geht es auch darum, dass die Liebe zu Büchern uns gegen die Welt da draußen beschützen kann. Das mag merkwürdig klingen, ich glaube aber ganz fest daran.

Wer liest, muss sich nicht bei allem nur auf sich selbst verlassen. Ich meine, durchs Lesen steckt man in mehr als nur einem Menschen drin, lebt mehr Leben als nur das eigene.

Mein Sohn ist kein großer Leser ( und auch kein besonders frühreifes Kind ). Aber ich erinnere mich noch an die Zeit, als er die Harry-Potter-Serie gelesen hat. Eines Tages kam er zu mir und erklärte verblüfft: » Das ist gar nicht wie bei einem Film, sondern so, als wäre man wirklich mit dabei, Mum. «

Ich glaube immer noch, dass die Menschheit mit dem Lesen die beste Art und Weise gefunden hat, direkt von einem Gehirn zum anderen zu kommunizieren. Das gilt vermutlich so lange, bis Facebook uns alle irgendwann mit einem Gehirnimplantat ausgestattet hat.

Lesen kann uns aus dem Alltag entführen – ich beobachte besonders gern Pendler, die von dem grauen Morgen rund um sie herum gar nichts mitbekommen, weil sie in Thomas Cromwells England oder Michel Fabers außerirdische Welten oder George R. R. Martins Hohenehr entflohen sind.

In meinem letzten Roman über den Bücherwagen habe ich ein bisschen davon erzählt, wo und wie ich gern schmökere, und viele Leser haben dazu eigene Ideen beigesteuert. Dabei ist die interessante Frage aufgekommen, wo eigentlich die Grenze zwischen » richtigen Büchern « und heruntergeladenen oder Hörbüchern verläuft. Manche Leute – allerdings nur wenige – haben die kompromisslose Meinung vertreten, dass nur ein Buch ein richtiges Buch ist. Vielleicht noch interessanter fand ich aber etwas anderes: Viele Menschen lieben die Freiheit, eine ganze Bücherei auf dem Handy oder in der Tasche mit sich herumtragen zu können. Außerdem ist mir aufgefallen, dass immer mehr Leser bei ihrem Kindle die größte Buchstabengröße eingestellt haben und so keine Lesebrille mehr brauchen – das ist doch wirklich praktisch, oder ?

E-Reader sind auch fürs Fitnessstudio super, und ich nehme meinen jeden Tag mit in die Badewanne ( wo ich mit der Nase weiterblättere ). Obwohl ich total tollpatschig bin, ist er mir noch nie ins Wasser gefallen. Ich liebe auch Hörbücher, weil man auf diese Weise lesen kann, während man gleichzeitig mit etwas anderem beschäftigt ist, zum Beispiel mit Gassi Gehen.

Was Bücher betrifft, die man sich herunterlädt, gibt es allerdings ein kleines Manko: Ich finde es schade, dass man auf diese Weise gar nicht mehr sehen kann, was andere Leute eigentlich lesen. Deshalb wünschte ich, bei E-Readern würde oben auf jeder Seite der Titel erscheinen. Ich vergesse nämlich dauernd, wie das Buch heißt, das ich gerade lese. Und wenn mich jemand danach fragt, bringt mich das ziemlich aus dem Konzept. Dann sehen mich die Leute an, als wollten sie sagen: » Oh, Entschuldigung, ich hatte Sie für eine Leseratte gehalten. « Und das ist wirklich nervig.

Einmal habe ich mich auch bei einem Essen ziemlich über eine Frau aufgeregt, die mit am Tisch saß. Sie hat sich stundenlang darüber ausgelassen, dass doch nichts an ein echtes Buch herankommt und sie niemals einen E-Reader benutzen würde. Normalerweise bin ich gar nicht fies zu Leuten, aber sie war wirklich so unerträglich, dass ich schließlich gesagt habe: » Na ja, die sind ja auch nur für Leute, die wirklich viel lesen. « Das war gemein, aber auch sehr befriedigend.

Also, was ich mit all dem wohl sagen will: Ihr solltet einfach das lesen, was euch Freude macht. Bereichert euer Leben mit Büchern jeglicher Art, und wenn euch eins keinen Spaß macht, dann probiert es eben mit einem anderen – das Leben ist einfach viel zu kurz.* Ich selbst versuche allerdings weiterhin, mich durch jedes einzelne Buch auf Erden zu ackern. Ihr seid ja selbst Leser, ihr könnt das sicher gut verstehen.

Alles LiebeJenny xxx

* Außer natürlich bei diesem Buch. Ich werde euch persönlich eine E-Mail schicken, um mich zu vergewissern, dass ihr es zu Ende gelesen habt. Eventuell gehört auch ein kleiner Test dazu.

Teil 1

» Der Blick von hier oben ist anders «, sagte Robert Carrier und breitete einen Flügel aus. » Wenn man die Dinge immer nur vom selben Standpunkt aus betrachtet, dann ändert sich auch nichts. Doch wenn man eine neue Perspektive einnimmt, wandelt sich alles. «

» Aber das sieht ja überhaupt nicht aus wie die Stadt «, rief Wallace verblüfft aus. » Hier ist bloß lauter Himmel. «

» Allerdings «, sagte Robert Carrier und fixierte den etwas schmuddeligen Jungen mit seinen Knopfaugen. » Es gibt aber viele verschiedene Arten von Himmel. «

Aus Über den Dächern

Kapitel 1

»Und wie sieht es mit Weinen aus ? « Die Ärztin saß in ihrem Behandlungszimmer des National Health Service mit freundlicher, aber professioneller Miene hinter dem schäbigen alten Schreibtisch.

Auf einem Poster an der Wand stand eine seltsame Abkürzung, an die man sich erinnern sollte, wenn man einen Schlaganfall hatte.

Zoe stresste die Vorstellung, sich ausgerechnet während eines Schlaganfalls diese Buchstabenfolge merken zu müssen, noch mehr als dieser Termin hier ohnehin schon.

Vor dem winzigen Fenster, das auf eine rote Backsteinwand hinausging, hing eine schmutzige Lamellenjalousie, und der Fußboden aus rauen Teppichelementen war voller Kaffeeflecken.

» Na ja, das passiert mir vor allem montags «, erklärte Zoe und betrachtete die gepflegten dunklen Haare der Frau, die so schön glänzten. Ihre eigenen Haare waren ebenfalls dunkel und lang, Zoe hatte sie sich aber zusammengebunden. Mit einem Haarband, hoffte sie, und nicht etwa mit einem Gummiband, das der Postbote verloren hatte. » Und, nun ja, wenn die U-Bahn ewig nicht kommt oder ich den Kinderwagen nicht in den Waggon heben kann. Oder wenn jemand missbilligend schnalzt, weil ich ihn reinhebe. Aber wenn ich den Kinderwagen nicht nehme, komme ich eine Stunde zu spät. Natürlich ist er dafür längst zu groß, schon klar, vielen Dank auch, also können die sich ihre missbilligenden Blicke ruhig sparen. Oder wenn ich bei der Arbeit aufgehalten werde und bei jeder verstreichenden Minute daran denke, was mich das jetzt kostet. Wenn ich ihn dann am Ende abhole, war nämlich der ganze Arbeitstag wieder umsonst. Oder vielleicht wollen wir den Bus nehmen, und dann macht der Fahrer die Türen zu, als wir gerade an der Haltestelle ankommen. Dabei hat er mich genau gesehen, er will sich nur das Theater mit dem Kinderwagen ersparen. Oder wenn wir keinen Käse mehr haben, ich es mir aber nicht leisten kann, neuen zu kaufen. Haben Sie in letzter Zeit mal die Käsepreise gesehen ? Oder … «

Die Ärztin lächelte zwar freundlich, wirkte aber auch etwas angespannt. » Ich meinte Ihren Sohn, Mrs O’Connell. Wann weint er denn ? «

» Oh «, entfuhr es einer bestürzten Zoe.

Sie betrachteten beide den kleinen dunkelhaarigen Jungen, der in einer Ecke des Raumes verhalten mit einem Bauernhof spielte. Argwöhnisch blickte er zu ihnen herüber.

» Das … das war mir nicht klar «, sagte Zoe und war schon wieder drauf und dran, in Tränen auszubrechen.

Die freundliche Frau Dr. Baqri schob ihr eine Schachtel Taschentücher über den Tisch, was die Sache nur noch schlimmer machte.

» … und es ist Miss, nicht Mrs «, stellte Zoe mit brechender Stimme klar. » Na ja, es geht ihm gut … Ich meine, er weint schon mal, aber er … « Lange würde sie die Tränen nicht mehr zurückhalten können. » Aber er gibt eben keinen einzigen Laut von sich. «

Sie hatte seit Monaten auf diesen Termin beim National Health Service gewartet, und jetzt wurde Zoe zu ihrem Entsetzen klar, dass sie den größten Teil der Sitzung damit verbrachte, rumzuheulen und Dr. Baqri abwechselnd hoffnungsvoll und verzweifelt anzustarren.

Zoe wischte sich übers Gesicht, hätte dann beinahe erneut losgelegt und riss sich im letzten Moment wieder zusammen. Während Hari fröhlich auf ihren Schoß kletterte, dachte sie bei sich, dass ihr Dr. Baqri bisher wenigstens nicht mit dem Spruch gekommen war, den sonst immer alle brachten.

» Also, Einstein … «, sagte die Ärztin jetzt, und Zoe stöhnte innerlich auf. Ja, da war er also: » … der hat bis zu seinem fünften Lebensjahr auch nicht gesprochen. «

Zoe zwang sich zu einem kleinen Lächeln. » Das weiß ich, danke «, sagte sie durch zusammengebissene Zähne hindurch.

» Selektiver Mutismus … Hat er vielleicht irgendein Trauma erlitten ? «

Zoe biss sich auf die Lippe. Gott, doch hoffentlich nicht ! » Na ja, sein Vater … ist nicht besonders präsent «, sagte sie. Als sie weitersprach, war ihr Tonfall ein wenig flehentlich, als erhoffe sie sich von der Ärztin Bestätigung. » A-Aber das ist ja nicht so ungewöhnlich, richtig ? Und du freust dich doch, wenn du Daddy siehst, oder ? «

Bei der Erwähnung seines Vaters legte sich wie immer ein Strahlen über Haris Züge, und der kleine Junge bohrte ihr fragend einen drallen Finger in die Wange.

» Bald «, antwortete Zoe.

» Wann haben Sie ihn denn zum letzten Mal gesehen ? «, erkundigte sich die Ärztin.

» Äh … vor drei … sechs … « Zoe überlegte. Ja, ehrlich gesagt, war Jaz den ganzen Sommer über weggewesen. Sie mahnte sich immer wieder, sich bloß sein Instagram nicht mehr anzusehen, aber es war wie eine üble Sucht. Den Fotos zufolge, auf denen er verschiedene Hüte in mehreren Farben trug, musste er so ungefähr auf vier Festivals gewesen sein.

Die Ärztin hatte sich mit Hari für ein Kartenspiel zusammengesetzt, bei dem es ums Teilen gegangen war, hatte ihm beigebracht, wie man mit den Fingern schnippte, mit ihm Kuckuck gespielt und ihn Sachen suchen lassen, die sie vorher im Raum versteckt hatte.

Bei all dem hatte der Vierjährige nervös mitgemacht und mit großen, angsterfüllten Augen ein ums andere Mal versucht, auf den Schoß seiner Mutter zurückzuklettern.

» Tja «, sagte die Medizinerin jetzt, » wir haben es hier mit einer Sozialphobie zu tun. «

» Das weiß ich. «

Die Ärztin warf einen Blick auf ihre Notizen. » Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Kind nicht einmal mit einem Elternteil spricht. Gibt es vielleicht zu Hause irgendetwas, was ihn aufwühlt ? «

Sie lebten in Wembley im Erdgeschoss eines fürchterlichen, umgebauten viktorianischen Gebäudes an der Hauptstraße. Die Wasserrohre rumorten, und der Nachbar von oben spielte oft laut Musik, wenn er spät abends betrunken nach Hause kam. Manchmal brachte er Freunde mit, die gegen die Tür bollerten und laut lachten. Genug Geld für die Kaution einer anderen Wohnung zusammenzubekommen – mal abgesehen von der Miete –, würde immer ein Luftschloss bleiben. Die Stadtverwaltung hatte Zoe als Alternative ein Zimmer in einem Bed and Breakfast angeboten, aber das stellte sie sich nur noch schlimmer vor. Ihre Mutter konnte ihr auch nicht helfen – die war vor ein paar Jahren nach Spanien gezogen, wo das Leben von Tag zu Tag teurer wurde. Um sich zu ihrer Rente etwas dazuzuverdienen, jobbte sie in einer üblen Kneipe, bei der im Fenster Bilder von gebratenen Spiegeleiern hingen.

Seit sie ungeplant mit Hari schwanger geworden war, behauptete Zoe Familie und Freunden gegenüber außerdem gern, dass bei ihr alles in Ordnung sei. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihre wirkliche Lage eingestehen zu müssen. Doch das hatte dramatische Folgen für sie.

Dr. Baqri entging Zoes Gesichtsausdruck natürlich nicht. » Ich … Ich will Ihnen hier keine Vorwürfe machen. «

Zoes Lippe begann schon wieder zu zittern.

» Wissen Sie «, fuhr Dr. Baqri fort, » die Bindung zwischen Ihnen wirkt stabil. Und er ist zwar schüchtern, wirkt auf mich aber nicht traumatisiert. Manchmal – manchmal ist das eben einfach so. «

Es trat ein langes Schweigen ein.

» Das «, sagte Zoe dann leise, » ist wirklich das Netteste, was seit Langem jemand zu mir gesagt hat. «

» Normalerweise empfehlen wir, das Kind mit Belohnungen zu ermutigen «, sagte Dr. Baqri. Sie reichte Zoe einen Stapel Papiere mit Tabellen und Listen anzustrebender Ziele. » Es funktioniert alles über Bestärkung. Etwas Nettes für ein Flüstern … eine Süßigkeit für ein Lied. «

Zoe blinzelte und fragte sich, wo sie Geld für Süßigkeiten hernehmen sollte. Sie dachte ja jetzt schon mit Schrecken an die kalten Tage, an denen Hari nicht mehr seine Sommersandalen würde tragen können.

» Wenn das alles nichts bringt, könnten wir es mit Medikamenten versuchen. «

Zoe starrte sie nur an. Ihren zauberhaften Jungen unter Drogen setzen ? Da hörte es für sie wirklich auf. Das hier war das Ende, in mehr als nur einer Hinsicht: Nach acht Monaten auf der Warteliste für einen Termin bei der Sprachtherapeutin hatten sie an diesem brüllend heißen Tag zwei Stunden lang quer durch London fahren müssen, um diese Praxis nahe der Endstation aufzusuchen.

» Sprechen Sie denn viel mit ihm ? «, fragte Dr. Baqri.

» Hm-hm «, bestätigte Zoe, die froh war, dass man ihr zumindest in dieser Hinsicht keine Vorwürfe machen konnte. » Ja, tu ich, und zwar ständig. «

» In Ordnung, passen Sie aber auf, dass Sie nicht zu viel reden. Wenn Sie all seine Wünsche und Bedürfnisse erraten, gibt es für ihn ja keine Motivation mehr, sich mitzuteilen. Und die müssen wir wecken. « Dr. Baqri stand auf.

Angesichts von Zoes entsetztem Gesichtsausdruck lächelte sie. » Tja, ein Patentrezept gibt es leider nicht. Mir ist schon klar, dass das nicht leicht für Sie ist «, sagte sie, während sie ihre Broschüren zusammenschob.

Zoe spürte schon wieder einen Kloß im Hals. » Nein, ist es nicht. «

Das war es wirklich nicht.

Auf der Rückfahrt mussten sie zwei Busse nehmen. Zoe versuchte, ihrem kleinen Jungen aufmunternd zuzulächeln, aber es wurde ihr alles schlicht zu viel. Der Bus war voll und laut, Schulkinder brüllten und kreischten, guckten auf ihren Handys Videos in dröhnender Lautstärke und zappelten mit den Beinen. Hier hockten einfach viel zu viele Fahrgäste aufeinander, und der Bus zuckelte quälend langsam voran. Als sie irgendwann Hari auf den Schoß nehmen musste, um Platz für andere Leute zu machen, schliefen ihr die Beine ein. Zoe überlegte, wie viel dieser Termin sie wohl gekostet hatte, für den sie wieder einmal eine Schicht hatte ausfallen lassen müssen. Außerdem hatte Xania, ihre Chefin, langsam die Nase voll davon, dass sie sich ständig freinahm. Und Zoe konnte es sich nicht leisten, ihre Arbeit zu verlieren …

Als Hari dann endlich müde ins Haus stolperte und Zoe die schmuddelige Tür hinter sich schloss, wartete im Flur ein Brief auf sie, der alles nur noch schlimmer machen würde.

Kapitel 2

»An wen ist denn die Scheune vermietet ? Können die nicht vielleicht einspringen ? « Surinder Mehta saß in der Küche ihres kleinen Häuschens in Birmingham und versuchte, per Telefon ihrer Freundin Nina gute Ratschläge zu geben.

Die tat, was Menschen in so einer Situation immer taten – und zerpflückte die Vorschläge Punkt für Punkt.

Nina leitete in den schottischen Highlands eine mobile Buchhandlung, was sich inzwischen aber immer schwieriger gestaltete. Sie hatte sich nämlich in einen sehr attraktiven Bauern verliebt, und es war ein besonders langer, dunkler und gemütlicher Winter gewesen. Tja, solche Sachen passierten nun mal.

Hoch oben in Schottland strich sie sich wütend über ihren runden Bauch. Ein endgültiger Mieter war für das Gebäude noch nicht gefunden worden. » Im Moment kommen da welche von den Hofarbeitern unter, und die haben schließlich zu tun ! «

» Es muss doch irgendjemanden geben, der euch unterstützen kann. Was ist denn mit diesem Mädchen, das dir beim Aufräumen im Laden geholfen hat ? «

» Ainslee geht inzwischen aufs College. Es ist einfach so … dass hier oben jeder schon drei Jobs hat. So läuft das nun mal, es gibt vor Ort einfach nicht genug Leute. «

Durchs Fenster des Bauernhauses warf Nina einen Blick hinaus auf die Felder, wo jetzt zur Erntezeit alle schwer beschäftigt waren. Im goldenen Licht konnte sie sehen, wie sich Arbeiter über die wogende Gerste beugten.

Von der Plackerei da draußen war sie dieses Jahr befreit, musste dafür aber jede Menge Leute verköstigen. Deshalb war sie auf den Hof zurückgekehrt, um für alle, die heute lange schufteten, Suppe zu kochen.

» Na ja «, sagte Nina schließlich, » überleg es dir wenigstens. «

» Nein, ich werde nicht meine Arbeit aufgeben, um dich im Mutterschaftsurlaub zu vertreten ! «, versetzte Surinder. » Was aber nicht heißt, dass ich dich nicht lieb habe, also nicht falsch verstehen. «

Nachdem sie aufgelegt hatte, hockte Nina seufzend in der Küche. Es hatte doch alles so vielversprechend angefangen. Sie erinnerte sich noch gut an jenen Tag.

Sie war so durcheinander und abgelenkt gewesen, dass sie im Bücherwagen versucht hatte, Mrs McGleachin denselben Roman von Dorothy Whipple zum zweiten Mal zu verkaufen, was wohl einen kleinen diplomatischen Zwischenfall ausgelöst hätte. Sie reichte auch jemandem das falsche Übungsbuch für Prüfungen, was ebenso schlimm war, und versteckte jedes Mal, wenn jemand die Stufen zu ihrem kleinen Bücherwagen heraufstieg, hastig Schwangerschaft und Geburt. Ihr mobiles Geschäft hatte verschraubte Regale, einen sanft schaukelnden Kronleuchter und Sitzsäcke für Kinder. Inzwischen konnte man bei Nina sogar kontaktlos bezahlen, worauf sie unglaublich stolz war ( wenn es denn funktionierte, was nicht immer der Fall war ). Manche der älteren Einwohner von Kirrinfief hielten die ganze Sache für Hexerei.

Lennox kümmerte sich an jenem Tag auf der oberen Weide um die Lämmergeburten. Der Frühling hatte spät eingesetzt, und viele der Jungtiere wurden in raues Wetter mit peitschendem Wind und zum Teil sogar noch Schnee hineingeboren.

Nina war sich nicht sicher, wie Lennox reagieren würde. Er war schon mal verheiratet gewesen und sollte auf keinen Fall denken, dass sie irgendetwas von ihm erwartete – Nina war mit der aktuellen Situation glücklich und zufrieden. Und er würde kein großes Tamtam wollen, weil er es schlicht und bescheiden mochte.

Als Nina schließlich mit ihrem Wagen über den Hügel zurück nach Hause gefahren war, sah sie nach dem Eintopf, den sie am Morgen im Schongarer zurückgelassen hatte, und begrüßte dann mit sanftem Lächeln und einem langen Kuss den müden Lennox.

» Lesen wir noch was ? «, fragte sie nach dem Essen.

» Och, Nina. Weißt du, ich hatte heute ziemlichen Ärger mit den Kühen … « Aber dann bemerkte er ihren Gesichtsausdruck.

» Aye, in Ordnung, ein kleines bisschen «, sagte er und zog Schäferhund Parsley zu sich heran, damit der es sich unter seinem Arm gemütlich machte.

Aus der kleinen gebrauchten Papiertüte, in der sie ihre jeweilige Lektüre aufbewahrte, damit sie nicht schmutzig wurde, holte Nina mit heftig klopfendem Herzen hervor, was sie für heute ausgewählt hatte. Die Seiten des Buches mit dem schlichten Titel Hallo zierten entzückende, impressionistisch angehauchte Illustrationen. Sie zeigten, wie ein Neugeborenes sehen lernte. Da war am Anfang alles noch schwarz-weiß und an den Rändern verschwommen, dann wurden die Bilder – von Wolken am Himmel oder einer Landschaft im Wind – immer schärfer und bunter.

Auf der zauberhaften, detailliert ausgearbeiteten letzten Seite sahen ein Baby und seine Mutter einander in die Augen. Daneben stand nur ein einziges Wort: » Hallo. «

Heute Abend schlief Lennox bei ihrer Lesestunde nicht wie üblich ein, sondern hockte stocksteif und reglos da, während Nina sich mit bebender Stimme Seite für Seite vorarbeitete. Er fixierte sie, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.

Selbst Parsley blieb wach, weil er die angespannte Stimmung im Raum spürte.

Als Nina fertig war, schloss sie das Buch zwar mit zitternden Händen, aber voller Entschlossenheit. Sie senkte den Blick.

Es herrschte lange Schweigen, und man hörte nichts weiter als das Ticken der alten Uhr auf dem hölzernen Sideboard, die einmal pro Woche aufgezogen werden musste. Ticktack, ticktack.

Irgendwann hielt Nina es nicht mehr aus und schaute langsam zu Lennox hoch. Er starrte sie mit ungläubiger Miene an.

» Jetzt solltest du mir am besten sagen, was du davon hältst «, entfuhr es Nina.

» Oh ! «, machte er. Dann fügte er auf seine wortkarge Art und Weise noch hinzu: » Also, nun. «

Ängstlich blickte Nina ihn an. » Ich weiß natürlich, dass wir darüber nie gesprochen haben «, murmelte sie. » Andererseits haben wir uns auch nie bewusst dagegen entschieden. «

Er nickte. » Also «, sagte er wieder.

» Erinnerst du dich noch an unsere Unterhaltung darüber, dass es manchmal Sachen gibt, wo du mal den Mund aufmachen musst ? Das wäre jetzt so eine Situation. Ich meine, freust du dich ? Bist du glücklich ? «

Fassungslos schaute er sie an. » Natürlich «, sagte er, so als könne er nicht glauben, dass er ihrer Meinung nach irgendetwas anderes empfinden könnte.

» Ich meine, wir sind ja wirklich ziemlich zugange «, stammelte Nina. » Da bleibt das wohl nicht aus. «

» Äh, ja, danke. Ich bin Bauer. «

Sie strahlte ihn an, als er sich über sie beugte und sie unter zärtlichen Küssen auf seinen Schoß zog. Seine Hände wanderten zu ihrem Bauch.

» Im Moment bin das nur ich «, erklärte Nina. » Das Kind ist wohl noch so winzig wie eine Erbse. «

» Aber dich mag ich ja auch. Also, wann ? «

» Wohl im November. Ich stelle es mir schön vor, in einem langweiligen, nassen Monat Geburtstag zu haben, wenn es ansonsten nicht viel zu tun gibt. «

Lennox stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ seinen großen Kopf auf ihrem kleinen ruhen.

» Tja «, sagte er. » Das wird … Das wird dann wohl … «

Nina lachte. » Jetzt sag schon ! «

Er legte eine lange Pause ein, während er sich noch fester an sie schmiegte. » Perfekt «, sagte er irgendwann ganz leise. » Das wird einfach perfekt. «

Sie blieben lange so sitzen.

Mit Lennox lief es also wunderbar. Mit allem anderen nicht unbedingt.

Kapitel 3

Zoe rief Jaz an. Den hatte sie seit Wochen nicht gesehen.

Wie so oft fragte sie sich, wie zum Teufel sie sich eigentlich in diese Situation gebracht hatte. Wie Menschen überhaupt irgendwo hineingerieten.

Oh, Jaz, der DJ-Superstar … Er stammte ursprünglich aus Birmingham und wirkte viel jünger als achtundzwanzig.

Zoe und er hatten nie so richtig zusammengelebt, sie war nie seiner Familie vorgestellt worden. Und Zoe ist schon klar, dass ihr euch an dieser Stelle vermutlich fragt: » Warum hast du dir dann ein Kind von ihm machen lassen, du Idiotin ? « Dieser Spruch kam zumindest oft von ihrer Mutter und all ihren Freundinnen, allerdings in noch weniger freundlichem Tonfall.

Zu ihrer Verteidigung ( die so wenig überzeugte wie ihr Kontostand ) konnte Zoe bloß vorbringen, dass er mit seinen endlosen Wimpern, den breiten Schultern und den langen Beinen … eben furchtbar attraktiv gewesen war –, was immer noch zutraf.

Zoe hatte ja alles versucht, wirklich.

Und auch Jaz hatte sich eine Weile Mühe gegeben. Aber sich durch ein Kind binden zu lassen … » Das ist einfach nicht mein Style, Babe «, hatte er unverblümt zu ihr gesagt.

Damals hatten sie das möblierte Zimmerchen in Wembley gemietet, und Zoe hatte es gestrichen, so gut sie konnte. Aber die Tapete kräuselte sich, über den Flur waberten üble Essensgerüche, und sie würde mit dem Kinderwagen nicht an den Fahrrädern anderer Leute vorbeikommen.

Ironischerweise arbeitete Zoe in einem Schickimicki-Kindergarten, der für ihr eigenes Kind viel, viel zu teuer sein würde. Dort nahm sie das absolute Minimum an Mutterschaftsurlaub, während Jaz versuchte, sich am Riemen zu reißen, und sogar einen Job in einem Büro antrat.

Dann kam Hari. Zoe zufolge war die Geburt absolut außergewöhnlich und traumatisch, der Hebamme zufolge ruhig und unkompliziert gewesen.

Eine Zeit lang vergaßen Zoe und Jaz alles andere und ergötzten sich einfach nur an Haris Schönheit, daran, wie strahlend und perfekt er war – mit seinen winzigen rosafarbenen Fingernägeln, den Wimpern seines Vaters, dem Schmollmund und den schläfrigen Augen. Er war ein ruhiges Baby – entspannt und heiß geliebt. Ihre Freunde, die noch jung waren und ständig in Clubs und auf Festivals gingen, schauten vorbei und brachten Geschenke mit, für die sie aber gar keinen Platz hatten. Es wurde viel Wirbel um Mutter und Kind gemacht. Zoes Mum kam aus Spanien zu Besuch und war wie bei EastEnders ständig den Tränen nahe. Und für eine Weile, nur für eine Weile, glaubte Zoe daran, dass womöglich doch alles in Ordnung kommen würde.

Irgendwann beschloss Jaz aber immer öfter, mit ein paar Freunden ein Bierchen trinken zu gehen und vielleicht ein bisschen aufzulegen, um in Übung zu bleiben. Dadurch verschlief er oft. Und dann hatte er von Zeit zu Zeit verständlicherweise keine Lust, sich um Hari zu kümmern. Mit Babys war das nämlich so eine Sache, wie Zoe bald feststellte – die waren ja wirklich süß, aber sie waren einfach immer da, jede einzelne Sekunde. Und wenn man mal eine Millisekunde lang nicht aufpasste, dann erstickten sie gleich, oder es stieß ihnen sonst was zu.

Um die ewige Streiterei zu vermeiden, kam Jaz immer seltener nach Hause, und es war ja so ein heißer Sommer. Zu dem Zimmer gehörte kein Garten oder sonstiger Außenbereich, daher konnte Zoe einfach nirgendwohin und saß den ganzen Tag nur alleine drinnen, wo sie die vier Wände anstarrte. Sie kam sich vor wie diese Frau im Film, die in einem Raum eingesperrt war.

Dabei war sie gar nicht eingesperrt, sie hatte nur einfach kein Geld, um etwas anderes zu tun, als sich abzurackern und zu Hause herumzusitzen. In diesem Londoner Teufelskreis musste sie zurück zur Arbeit in dem schicken Kindergarten mit Bioessen und Kumon-Mathe für privilegierte Kinder, während sie Hari einer wirklich billigen Tagesmutter anvertraute, die ihn vermutlich einfach vor den Fernseher setzte.

Wenn Zoe Jaz danach fragte, wie er sich ihre Zukunft vorstellte, brach er sofort einen fetten Streit vom Zaun. Dann rauschte er davon und ließ sich tagelang nicht mehr blicken. Und Zoe pürierte inzwischen für Haris Brei das billigste Essen, das sie finden konnte, saß in ihrem Zimmer und fragte sich, wie ihr das nur hatte passieren können.

Zoe O’Connell, achtundzwanzig, hatte doch einst eine so glänzende berufliche Karriere vor sich gehabt. Sie hatte überlegt, eventuell einen Master zu machen und vielleicht irgendwann ihren eigenen Kindergarten zu eröffnen. Und hier hockte sie nun. Wie eine Gefangene. Mit Haferflocken in den Haaren und einem Kind, mit dem etwas nicht stimmte.

Und nach zwei Busfahrten zu einem Krankenhaus am anderen Ende der Stadt, in dem man ihr quasi gesagt hatte, dass sie damit schon alleine klarkommen müsse, wartete zu Hause auch noch ein Brief von ihrem Vermieter auf sie. Das Schreiben lag auf dem Tischchen im Flur. Wie etwas so Unscheinbares zugleich so bösartig aussehen konnte, war Zoe ein Rätsel. Aber sie hatte Angst davor, den Umschlag auch nur zu berühren.

Zoe hatte es geahnt, hatte es schon lange kommen sehen. In der Gegend gab es ein neues Café mit Biokaffee, einen Fischhändler, und es wurde sogar gemunkelt, dass bald ein Waitrose eröffnen würde. Für die meisten ihrer Nachbarn waren das gute Neuigkeiten, für Zoe hingegen unheilvolle Vorboten der Veränderung. Ihr Vermieter wollte sie hier raushaben, damit nette, wohlhabende Jungmanager einziehen konnten. Tatsächlich hatte sogar der Gemüsehändler seinen Laden hellgrün gestrichen und draußen eine Lichterkette aufgehängt. Der Eisenwarenhändler bezeichnete sein Geschäft jetzt als » Vintage «, und angeblich sollte es hier irgendwo ein Bild von Banksy geben ( dem Zoe dafür am liebsten den Hals umdreht hätte ). Die Gentrifizierung streckte ihre mit Farrow-and-Ball-Farben gestrichenen grauen Finger nach ihrem Stadtviertel aus, und jetzt war Zoe an der Reihe.

Eine höhere Miete würde sie einfach nicht bezahlen können, wovon denn ? Auch staatliche Unterstützung würde nicht viel bringen. Wenn Jaz dafür kein Geld hatte, so wurde Zoe bei einem Blick auf das Schreiben klar, dann würden sie sich wohnungslos melden müssen und der Gnade des Sozialamts ausgeliefert sein. Das war eine grauenhafte Vorstellung, und wer konnte schon sagen, wo sie dann landen würden ?

Zoe konnte das einfach nicht zulassen, sie durften doch nicht obdachlos werden ! Das war irrwitzig, absurd. Ansonsten müsste sie wohl nach Spanien ziehen, in der winzigen Einzimmerwohnung ihrer Mutter hausen und einen Job in einer Kneipe annehmen … Jobs in Kneipen gab es da viele. Aber ein Umzug in ein anderes Land, wenn ihr Sohn doch in seiner eigenen Sprache schon kein einziges Wort von sich gab …

Zoe spürte, dass Panik in ihr aufzusteigen drohte. Mit laut klopfendem Herzen sah sie Hari dabei zu, wie er das angeschlagene Tablet holte.

Was sollte sie nur tun ? Ihr zitterten die Hände. Natürlich suchten viele Leute ein Kindermädchen, das mit im Haus wohnte, aber da konnte man kein eigenes Kind mitbringen. Und bei einer normalen Stelle würde sie nicht genug Geld verdienen.

Zoe schluckte ein Schluchzen herunter und rief Jaz an – oder schickte ihm vielmehr eine WhatsApp-Nachricht. Er ging ja doch nie ran, wenn er sah, dass sie es war. Aber jetzt bestand Zoe darauf, dass sie sich trafen.

Kapitel 4

Natürlich verspätete sich Jaz, das war ja klar gewesen. Dabei hatten sie doch tausend Nachrichten hin und her geschickt, um etwas auszumachen, was ihm passte. Zoe hatte ihn einmal zu fragen versucht, was er denn machen würde, wenn seinem Sohn etwas zustieße. Was, wenn sie mit Hari im Krankenhaus wäre ? Aber da war er ihr wie immer ins Wort gefallen und hatte mit einem Achselzucken gesagt: » Keine Sorge, schreib mir einfach eine Nachricht, Babe. «

Zoe besah sich die Tafel mit dem Getränkeangebot im Lokal. Es handelte sich um ein teures Café voll mit dünnen, blonden Müttern und großen, gut aussehenden Vätern, die ihre Kleinkinder auf den Schultern trugen. Sie füllten ihre Tabletts mit teurem Kuchen und Kaffeespezialitäten, als würde Geld überhaupt keine Rolle spielen. Hier trafen sie sich mit Gruppen von Freunden, die Labradore und Frisbee-Scheiben dabeihatten.

Zoe hockte sich ans Ende eines langen Tisches, Hari auf dem Knie, und bestellte nichts. Es stießen immer mehr Menschen zu einer riesigen Clique mit Drachen und Fußbällen und Picknick-Körben und Kühlboxen hinzu, Leute, die Fizz und Charlie und Ollie und Fifi hießen. Sie sprachen darüber, was für ein wunderschöner Tag es doch sei, und Zoe wurde mit ihrem Sohn immer kleiner, als wollte sie so wenig Platz wie möglich wegnehmen.

Irgendwann bestellte sie das Billigste, was ihr in den Sinn kam, nämlich eine Tasse Tee, und fing sich damit mitleidige Blicke von den dünnen Blondinen ein, die mit ihren teuren Kinderwagen gegen ihre Stuhlbeine stießen.

Geflissentlich konzentrierte sie sich auf das neue Buch von Michael Lewis, das die Bücherei ihr zurückgelegt hatte. Bücher waren das Einzige, das sie nie im Stich ließ. » Dieses ganze Buchwissen ! «, sagte ihre Mutter schon mal zu ihr, wenn sie einen über den Durst getrunken hatte, was öfter vorkam. » Da sollte man doch meinen, dass du schlau genug bist, um zu verhüten ! « Und dann schob sie sofort hinterher: » Ach, mein Schatz, ich mach doch nur Spaß. «

Als Jaz endlich zur Tür hereinschlurfte, kam es Zoe ein weiteres Mal so vor, als würde er immer jünger werden. Sein Look aus T-Shirt und Shorts ließ ihn wie ein übergroßes Kleinkind aussehen, und sein ein wenig zu perfekt gestutzter Bart hatte etwas Teenagerhaftes.

Zoe selbst fühlte sich mit jedem Tag älter, weil die Last der Welt auf ihren Schultern zu ruhen schien.

Jaz sah weiterhin toll aus, hatte immer noch dieses zauberhafte Lächeln, von dem man ganz weiche Knie bekam.

Als Hari ihn entdeckte, spitzte er begeistert die Lippen und wollte von Zoes Knie herunter.

» Sag schön Bitte «, wandte sich nun eine der blonden Mütter an ihn. Sie strahlte ihn an, so als sollte es ein Scherz sein, während sie es in Wirklichkeit todernst meinte.

Zoe seufzte, wollte sich die langen Erklärungen dieses Mal aber gern sparen und setzte Hari deshalb einfach runter. Sie konnte die missbilligenden Blicke der anderen Mütter spüren, während Hari zu seinem Vater hinübersauste, den er mit jeder Faser seines Körpers vergötterte.

» Bro ! «, rief Jaz, hob ihn hoch und wirbelte ihn herum.

Zoe wünschte, Jaz würde Hari nicht so nennen – sie waren keine Brüder. Doch es half nichts, Jaz nannte einfach jeden so, das war praktisch ein nervöser Tick.

» Was hast du mir heute zu erzählen ? «

Natürlich hatte Hari nichts zu erzählen, aber er blickte verzückt auf seinen Vater hinab, der ihn hoch in die Luft hielt. Als Zoe Haris vor Liebe leuchtende Augen sah, entfuhr ihr ein Fluch, denn sie würde auf ewig an Jaz gebunden sein und müsste sich auch noch so anständig verhalten, dass diese Liebe niemals verblasste oder gar erlosch. Und sie hatte ja selbst einst gedacht, dass sie Jaz liebte. Das war allerdings gewesen, bevor er sie quasi obdachlos gemacht hatte.

» Und, wie läuft’s ? «, fragte Jaz lässig.

Zoe war sich dessen bewusst, dass jetzt aller Augen auf sie gerichtet waren. Aber Jaz stand ja gern im Mittelpunkt.

» Sollen wir vielleicht ein paar Schritte gehen ? «, fragte sie, weil sie ihm ihr Leid wirklich nicht vor der versammelten wohlhabenden, selbstgefälligen Mannschaft von Paaren und Kleinfamilien klagen wollte, die bei Boden kauften, zum Mutter-Kind-Yoga gingen, in umgebauten Erdgeschosswohnungen lebten und sich Kurzurlaube leisten konnten. Eigentlich wollte sie diese ganze Truppe ja hassen, stattdessen war Zoe aber unglaublich neidisch auf sie.

» Ich hol mir nur eben einen Kaffee, Babe … Willst du auch was ? «

Aus reiner Gewohnheit schüttelte Zoe den Kopf und sah dann dabei zu, wie er 9,75 Pfund für einen enormen Caffè Latte und zwei große Muffins ausgab, einen für sich selbst und einen für Hari. Sein Sohn starrte das Gebäck an, als überlegte er, ob er es wohl schaffen würde, so etwas Riesiges ganz alleine aufzuessen. ( Er schaffte es, was sowohl er als auch Zoe später bereuten. )

Irgendwann ließen sie endlich das Café mit seiner Atmosphäre hinter sich, gingen zu einem nahe gelegenen Park und arbeiteten sich durch hohes Gras zu einem Ententeich vor. Sie kamen an etlichen jungen Leuten vorbei, die träge lasen oder knutschten, alleine oder in der Gruppe unterwegs waren und offenbar jede Menge Zeit hatten, um im Grünen die Sonne zu genießen.

Hari strolchte ziellos umher. Er war über und über mit Muffin-Krümeln bedeckt, doch Zoe hob es sich für zu Hause auf, sich darum zu kümmern.

» Also, was ist los ? «, fragte Jaz schließlich und klang jetzt schon gereizt.

» Die Miete «, sagte Zoe.

Jaz nickte. » Ja, aber, Babe … « Er verzog das Gesicht. » Ich bin doch gefeuert worden. «

Er streckte beide Hände aus, so als wollte er sagen: » Was will man machen ? «

Zoe fragte gar nicht erst, wieso man ihn entlassen hatte. Sie hatte ja gesehen, wie das gelaufen war, als er noch bei ihnen gewohnt hatte.

Jaz war morgens oft lange im Bett geblieben oder hatte sich einfach krank gemeldet, wenn er keine Lust gehabt hatte. Und er hatte sich darüber beschwert, wenn seine Vorgesetzten von Zeit zu Zeit von ihm verlangt hatten, dass er wirklich mal mit anpackte.

» Die erhöhen uns die Miete «, verteidigte sich Zoe.

Jaz seufzte. » Es tut mir leid «, sagte er. » Aber da kann man nichts machen, ich hab einfach kein Geld. «

So etwas hatte Zoe schon erwartet, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er das Geld durchaus auftreiben könnte. Wenn er seinen Eltern alles erzählen würde, würden die ihm doch mit Sicherheit helfen. Sie lebten in Birmingham, und es schien ihnen nicht schlecht zu gehen. Jedenfalls hatten sie genug Geld, um Jaz ein Auto zu finanzieren. Wenn sie wüssten, dass sie einen Enkel hatten, wären sie zunächst vermutlich schockiert, aber irgendwann würden sie sich schon an die Vorstellung gewöhnen …

Doch Jaz presste jedes Mal die Lippen heftig aufeinander, wenn sie seine Eltern erwähnte. Auf keinen Fall. Niemals.

» Es wäre doch nur für ein Jahr «, sagte Zoe verzweifelt, » bis er in die Schule kommt. Danach würden wir schon klarkommen, weil ich dann mehr Stunden arbeiten könnte. «

» Kannst du denn nicht zu deiner Mutter ziehen ? «

» Nach Spanien ? «

Wenigstens hatte er so viel Anstand, verlegen auszusehen.

» Hey ! «, erklang jetzt eine distinguierte Stimme. Es war einer der unerträglich perfekten Väter aus dem Café, mit gebügelter Kakihose, einem Rugby-Poloshirt und perfektem Haar. » Ist das da drüben Ihr Junge ? «

Als sie sich in die angezeigte Richtung umwandten, schwankte Hari gefährlich am schräg abfallenden Ufer des Teichs, während eine riesige, bösartig aussehende Ente seinen Muffin ansteuerte. Wie immer gab ihr Sohn keinen Laut von sich.

» HARI ! «, schrien beide.

Genau in dem Moment, als sich Hari zu ihnen umdrehte, schnappte die Ente nach dem Muffin und brachte den kleinen Jungen aus dem Gleichgewicht.

Blitzschnell rannte Jaz hinüber, packte Hari und presste dessen Gesicht trotz all der Muffin-Reste in seine protzige Jacke.

» Alles in Ordnung, kleiner Mann «, murmelte er, während in Haris Augen stille Tränen aufstiegen und auf das Designerhemd seines Vaters fielen, der ihn ganz fest umarmt hielt. » Es ist alles gut. Alles in Ordnung, kleiner Mann. Ich hab dich, ich passe auf dich auf. «

Aber das stimmte eigentlich gar nicht. Hier haben wir es doch, dachte Zoe biestig, als sie sich auf den Heimweg machte. Ein unzuverlässiger Vater. Üble Kinderbetreuung. Kein Geld. Eine Entwicklungsstörung. Und sie konnten nichts unternehmen und nirgendwo hingehen, außer nach Hause und in die Bücherei. ( Tatsächlich war die freundliche Bibliothekarin die Erste gewesen, die sie besorgt darauf angesprochen hatte, dass Hari nicht sprach. )

Und jetzt waren sie wirklich am Ende.

Kapitel 5

Jaz hatte Surinder eine Nachricht geschickt, um ihr Bescheid zu sagen, dass er zu Besuch nach Birmingham kommen würde. Dies alleine war schon ungewöhnlich. Wie er dann den Schlüssel im Schloss umdrehte, bestätigte nur ihre Vermutung, dass da irgendetwas nicht stimmte.

Aber sie hatte ihn natürlich lieb, schließlich war sie seine Schwester. Surinder wusste, dass er es nicht leicht hatte: Ihre großen Brüder waren beide Augenärzte, und sie selbst hatte eine führende Stellung in einer Schmuckfirma.

Jaz hingegen hatte seinen eigenen Weg noch nicht gefunden. Als er zur Welt gekommen war, hatte ihr Vater bereits gutes Geld verdient, und Surinder dachte oft bei sich, dass ihr kleiner Bruder, dem die Eltern Autos und Designerkleidung kauften, einfach verwöhnt war. Die beiden hatten ihr Leben lang hart gearbeitet, und Surinder wusste, wie gern sie ihrem wunderschönen Jüngsten, ihrem Baby, etwas Gutes taten. Aber in gewisser Weise war er dadurch immer ein Baby geblieben.

Und jetzt saß er am Küchentisch und erzählte ihr zu ihrer großen Verblüffung, dass er selbst ein Baby hatte. Nein, nicht einmal ein Baby, sondern einen Vierjährigen. Mit einer Frau aus London.

Jaz saß zusammengesunken am Tisch. Der Raum war inzwischen schick und modern, mit einer Kücheninsel und einer teuren pastellfarbenen Küchenmaschine, die Surinder jedoch nie benutzte. Manchmal fehlten ihr all die Bücherstapel, die einst jede verfügbare Fläche belegt hatten, als Nina hier noch gewohnt hatte.

» Aber … «, sagte Surinder und schüttelte wieder den Kopf. » Wie um alles in der Welt … Wie kannst du denn nur ein Kind haben ? «

Jaz rollte mit den Augen. » Ja, also, da wären die Blümchen und die Bienchen und … «

» Jetzt hör schon auf «, knurrte Surinder. » Wirst du es je Mum und Dad sagen ? «

Unruhig rutschte er hin und her. » Na ja «, murmelte er, » es ist … eben einfach so passiert, weißt du ? «

» Nein, weiß ich nicht «, sagte Surinder. » Man stolpert nicht einfach so aus Versehen über ein Baby. O mein Gott, ich bin gerade noch mal Tante geworden ! Zeig mir Fotos – oder nein, tu das nicht, ich bin nämlich wütend auf dich. Doch, her damit ! Nein, lass gut sein. « Einen Moment herrschte Schweigen. » Jetzt zeig schon ! «

Jaz holte sein Mobiltelefon hervor, das er hütete wie einen Schatz.

» Und ich dachte, du wärst mit deinem Handy so geheimniskrämerisch, weil du eine Freundin hast … Oh, von denen hast du auch welche, oder ? «

Jaz errötete tief.

» Also, warum erzählst du mir das alles jetzt ? «

Er zuckte mit den Achseln. » Na ja, die ganze DJ-Geschichte läuft nicht besonders, und … «

Surinder bedachte ihn mit ihrem Paddington-Bär-Starren, das er bestmöglich ignorierte. » Bist du wegen Geld hier ? «

» Die Konkurrenz da draußen ist hart «, erklärte er. » Und die Leute verstehen meinen Vibe einfach nicht. «

» Oh, ich verstehe deinen Vibe perfekt «, versicherte Surinder unheilvoll und griff nach der Plätzchendose für Notfälle. Sie holte einen Keks heraus, bot Jaz aber keinen an. » Also, wirst du es Mum und Dad sagen ? «

» Die bringen mich um ! «, jammerte Jaz.

» Sie bringen dich nicht um «, widersprach Surinder. » Aber sie werden enttäuscht sein. «

» Und das ist noch viel schlimmer ! «

» Du liebe Güte ! «, stöhnte Surinder.

» Es ist einfach nur … dass sie Hilfe braucht. «

» Tja, da bist du hier an der falschen Adresse. Was du wissen würdest, wenn du in einer Importfirma arbeiten und ab und zu mal die Zeitung lesen würdest. Sagen dir Begriffe wie › Brexit ‹ und › Devisenumtausch ‹ irgendwas ? «

Jaz rieb sich den Nacken.

» Wie sehen denn deine Pläne aus ? «

» Ich will als DJ alle Festivals abklappern – weißt du, die Sache endlich ins Rollen bringen. Und damit genug Geld verdienen, um alles in Ordnung zu bringen. «

» Du willst also Zauberbohnen kaufen «, entgegnete Surinder finster.

» Solche Sprüche werden dir noch leidtun, wenn ich erst berühmt bin. «

» Wo steckt denn ihre Familie ? «

» In Spanien «, antwortete Jaz. » Sie hat eigentlich nur ihre Mutter. «

Vor ihrem inneren Auge sah Surinder eine junge Frau, ein richtig faules Stück, die nur rumsaß und darauf wartete, dass Jaz ihr alles bezahlte.

» Du Dummkopf … «, murmelte sie. » Wie ist sie denn so ? Hast du ein Foto von ihr ? «

Zu ihrem Entsetzen hatte er keins.

» Ach, sie ist schon in Ordnung «, sagte er. » Sie liest eigentlich immer, wie diese ehemalige Mitbewohnerin von dir. Immer Bücher, Bücher, Bücher, von denen ist sie richtig besessen. Total langweilig. «

Surinder sah ihn wortlos an.

» Was denn ? «, fragte Jaz.

» Nichts «, sagte Surinder, » es ist nur … Ach, das ist bestimmt eine blöde Idee. «

Kapitel 6

Die Erntehelfer waren weitergezogen, das Wetter war jedoch immer noch sanft und golden, während eine leichte Brise über die jetzt gemähten Felder zog. Die Abende waren weiterhin lang, obwohl in der klaren Luft ein zarter Hinweis darauf lag, dass der Herbst vor der Tür stand. Hoch über den Köpfen zogen nämlich Gänse am Himmel Kreise und bereiteten sich auf ihre lange Reise gen Süden vor.

Nina schaute in Lesley Murrays Laden im Ort vorbei, um für das Brathähnchen, das sie heute Abend zubereiten wollte, etwas Estragon zu kaufen. Außerdem wollte sie vier süße Schnecken mitnehmen und hegte den festen Vorsatz, mindestens eine davon für Lennox aufzubewahren.

» Ooh, sieh mal einer an ! «, rief Mrs Murray aus.

Nina starrte auf ihre Kugel hinunter.

» Ihr Bauch ist ja riesig ! «

» Ich dachte, der wäre eher durchschnittlich «, grummelte Nina. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie offensichtlich für alle das fortgeschrittene Stadium ihrer Schwangerschaft war. Das hatte auch der Krankenpfleger mit einer Stimme verkündet, die keinen Widerspruch duldete.

Nina hatte zur gleichen Zeit herausgefunden, dass sie schwanger war, wie eine Prominente, die jetzt rund um die Welt jettete und bei Veranstaltungen stolz ihren winzigen, kaum erkennbaren Babybauch zur Schau stellte. Nina hingegen hatte bereits Schwierigkeiten, sich auch nur die Schuhe zuzubinden.

» Wie viele stecken denn da drin ? «, fragte Lesley, die immer ziemlich direkt war.

» Ist ja gut «, knurrte Nina und entschied sich gegen die süßen Schnecken.

Die Verkäuferin schaute auf. » Das Ganze ist doch eine gute Nachricht «, sagte sie schließlich. » Ich hätte nie gedacht, dass ich Lennox noch mal glücklich sehen würde. «

Nina lächelte, obwohl sie nur ungern daran erinnert wurde, dass sie nicht Lennox’ erste Partnerin war.

» Also, was haben Sie denn mit dem Bücherwagen vor ? «

Als Nina gerade den Mund aufmachen wollte, öffnete sich die Tür des Ladens mit einem Glöckchenklingeln, und eine ihnen unbekannte junge Frau kam herein. Sie war schlank, mit hohen Wangenknochen und hellem Haar. In ihren Augen schienen Tränen zu glänzen.

» Hallo ? «, sagte Lesley zögerlich.

Die junge Frau rieb sich über das verheulte Gesicht. » Wann fährt Bus, bitte ? «, fragte sie mit starkem polnischem Akzent.

Die Verkäuferin runzelte die Stirn. » Das kommt darauf an, wo Sie hinwollen. «

» Ist mir egal «, versetzte die junge Frau heftig.

Lesley und Nina tauschten Blicke.

» Erst morgen wieder «, sagte Lesley.

» Ist alles in Ordnung ? «, fragte Nina sanft.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. » Die sind Monster ! «, rief sie aus.

Jetzt machte sich Nina ernsthaft Sorgen. » Wen meinen Sie denn ? «

» Och ! «, sagte Lesley, der plötzlich alles klar wurde. » Sie arbeiten unten im Haus. «

» Jetzt nicht mehr «, entgegnete die junge Frau.

» Was denn für ein Haus ? «, fragte Nina.

» Das große Haus «, sagte Lesley und guckte Nina an, als sei sie ein wenig beschränkt.

» Wissen Sie «, stammelte die Fremde. » Das sind … Das sind … « Sie starrte die beiden Frauen an. » Wölfe «, spie sie dann aus. » Kleine Wölfe. «

Lesley tippte den Preis für den Schokoriegel in die Kasse, von dem Nina gar nicht bewusst gewesen war, dass sie ihn in ihren Korb gelegt hatte.

» Verstehe. «

» Ich bleibe nicht … Also morgen ? «

» Dann fährt ein Bus nach Inverness, und da gibt es einen Flughafen. «

Die junge Frau nickte still.

» Oh, dieses Haus … «, sagte Lesley.

Die junge Frau verschwand und zog eine schwere Tasche hinter sich her.

» Was ist das denn für ein Haus ? «, fragte Nina. Sie lebte erst seit einem Jahr in der Gegend. In dieser Zeit hatte sie viele Leute kennengelernt, aber die Menschen im Ort hielten eng zusammen, und Nina bekam Tratsch immer erst ziemlich spät mit, wenn überhaupt. Was für sie völlig in Ordnung war. Jedes Mal, wenn sie etwas mehr mit einbezogen wurde – man sie zu einem morgendlichen Kaffeetrinken hier, einem Burns Supper dort einlud –, empfand sie dies als Belohnung für ihre Anstrengungen, sich zu integrieren. Sie würde bleiben und gehörte deshalb dazu, würde nicht wie eine Touristin weiterziehen.

Und man musste ja auch sagen, dass es beim Tratsch in letzter Zeit oft um sie, Lennox und Lennox’ Ex-Frau gegangen war. Eigentlich meistens. Deshalb hielten die Leute ihr gegenüber lieber den Mund, nur für alle Fälle. Und falls Nina gehofft hatte, das Baby würde die Klatschmäuler zum Schweigen bringen, musste sie sich auf eine große Enttäuschung einstellen.

» The Beeches «, antwortete Lesley, etwas unwillig, weil Nina nicht sofort wusste, welches Haus gemeint war.

» Ah, ja … «, murmelte Nina. Das kam ihr irgendwie bekannt vor. » Ich glaube, den Besitzer habe ich mal kennengelernt … So ein großer Kerl, oder ? Der hat sich bei mir im Bücherwagen den Kopf gestoßen. «

» Ja, klingt nach Ramsay «, sagte Lesley. Sie seufzte. » Das mit ihm ist eine üble Geschichte. «

» Oh, erzählen Sie mal «, bat Nina, die gern von den Schnecken mit Zuckerguss abgelenkt werden wollte.

» Seine Frau hat ihn verlassen «, erklärte Lesley. » Ihn und die Kinder. «

» O Gott, wirklich ? «, fragte Nina. » Wie schrecklich. Wie viele sind es denn ? «

» Drei «, antwortete die Polin, die in diesem Moment wieder zur Tür hereinkam, weil draußen plötzlich ein Gewitter über sie hereingebrochen war. Diese unerwarteten Wetterumschwünge waren hier so normal, dass Nina gelernt hatte, sich nicht weiter darüber auszulassen. In Schottland war das Wetter wie überall anders auch, nur viel schneller.

» Und die sind alle böse. «

» Na, na «, stieß Lesley missbilligend aus. » Die haben doch schließlich keine Mutter. «

» Was ist denn mit ihr passiert ? «, erkundigte sich Nina. » Wo steckt sie ? «

» Ich hab sie nie gesehen «, erklärte die junge Polin.

» Das weiß niemand «, sagte Lesley.

» Im Ernst ? «, fragte Nina. » Warum habe ich denn noch nie was davon gehört ? Hat er sie vielleicht umgebracht ? Ist sie verrückt und haust auf dem Dachboden ? «

Das kommentierten die anderen beiden lieber nicht.

» Sie war schwierig «, gab Lesley schließlich zu, » aber nein, sie ist einfach gegangen. «

» Sind Sie sicher ? «

» Wir reden hier vom großen Haus «, murmelte Lesley. » Da passieren schon merkwürdige Dinge. «

Kapitel 7

Der Tag, an dem Surinder die Bahn in Richtung Süden nahm, war heiß. Leider nicht in dem Sinne, dass man Lust bekam, an den Strand zu gehen. Im Zug war es vielmehr drückend, schwül, furchtbar voll und unangenehm, sodass es nach menschlichen Ausdünstungen roch, und schwitzende Kinder maulten und heulten.

Als Surinder ausstieg, wurde es auch nicht besser, da es am Bahnhof genauso voll und heiß und hektisch war. Wegen der Überhitzung von Menschen und Schienen fielen Züge aus, und ganz London fühlte sich seltsam bedrohlich an.

Jaz hatte sie angefleht, nicht zu kommen, aber sie hatte ihn damit erpresst, dass sie sonst mit ihren Eltern reden würde. Er hatte also nicht viel dagegen tun können.

Zoe war gleichzeitig aufgeregt und ängstlich. War das hier ein Anfang ? Würde Jaz ihr nun Eingang in sein Leben gewähren, würden sie sich gemeinsam etwas aufbauen ? Sie steckte Hari zunächst in sein bestes Outfit, stellte aber fest, dass es ihm längst zu klein war. Mit einem Seufzen zog sie ihm wieder die Jeans-Latzhose aus dem Secondhandladen an.

Hari zappelte und wirkte verdrießlich, vor allem, als sie beschloss, den Kinderwagen zu Hause zu lassen. Sie wollte ihn dazu bringen, den langen Weg bis zur Bushaltestelle zu Fuß zu gehen. Doch er zog nicht mit, und so musste Zoe ihren schwitzenden, hampelnden Sohn fast die ganze Strecke tragen, sodass sie am Ende selbst schweißüberströmt und ganz verknittert war.

Sie war tief enttäuscht, als sie Surinder alleine aus dem Zug steigen sah. Nervös betrachtete sie die wunderschöne, makellose junge Frau. Sie konnte gleich erkennen, dass es sich um die Schwester von Jaz handelte, aber er selbst war natürlich nicht mit dabei. Matt hob Zoe die Hand.

Surinder schaute die junge Frau an, die … na ja, gut, nicht direkt ihre Schwägerin war, aber so etwas Ähnliches. Himmel ! Die war überhaupt nicht so, wie Surinder sie sich vorgestellt hatte. Zoe war dünn, nicht beneidenswert schlank, sondern eher dürr, klein, mit nachlässig zusammengebundenen dunklen Haaren und dunklen Ringen unter den Augen.

Nachdem Surinder sie kurz gemustert hatte, wurde ihr Blick unwiderstehlich von dem kleinen Jungen angezogen, der sich hinter ihren Beinen versteckte. Ein Lächeln legte sich über Surinders Züge. » Hey «, rief sie, » hallo ! «

Als sie in die Hocke ging, beäugte der kleine Junge sie zwischen den Beinen seiner Mutter hindurch.

» Bist du Hari ? «

Das Kind antwortete nicht.

» Hat Jaz … « Zoe war sich dessen bewusst, wie fahrig sie klang. » Hat Jaz es dir erklärt ? «

Surinder richtete sich auf. Sie war so hübsch und wirkte so selbstbewusst, dass Zoe gern ihre Freundin geworden wäre. Diese Frau würde nie aus Versehen schwanger werden, dachte Zoe finster. Dafür war sie viel zu vernünftig.

» Was soll er mir erklärt haben ? Hallo erst mal, ich bin Surinder. Tut mir leid, dass mein Bruder so ein Volltrottel ist. «

» Äh, schon okay «, sagte Zoe. » Hat er die Sache mit Hari erklärt ? «

» Was meinst du denn ? «

» Er … Er redet nicht. «

» Oh. « Surinder runzelte die Stirn. » Das sieht einem Mehta aber gar nicht ähnlich. «

Sie standen mitten in einem geschäftigen Menschenstrom.

» Gibt es hier irgendwo ein nettes Plätzchen, wo wir uns hinsetzen und eine Tasse Tee trinken können ? «, fragte Surinder. » Es muss auch gar nicht cool sein, einfach nur kühl. «

Rund um Euston Station gab es nicht viele Lokale, daher entschieden sie sich schließlich für einen kleinen Park mit Schaukeln.

Während Surinder an einem Stand in der Nähe Tee holte, betrachtete Hari die Spielgeräte, traute sich aber nicht in ihre Nähe.

» Also dann «, sagte Surinder schließlich.

Hari kletterte auf Zoes Knie und verbarg jedes Mal das Gesicht, wenn die ihm fremde Frau versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen.

» Er ist schüchtern «, erklärte Zoe.

» Das merkt man «, sagte Surinder.

In diesem Moment schoss beiden die erschreckende Frage durch den Kopf, ob Jaz wohl eher die Karten auf den Tisch gelegt hätte, wenn Hari ein aufgeschlosseneres Kind, ein bezaubernder, plappernder kleiner Junge gewesen wäre.

Allerdings, dachte Surinder, war er mit seinen langen dunklen Wimpern und der makellosen Haut wirklich wunderschön.

Zoe seufzte.

» Was ist denn los ? «, fragte Surinder. » Es ist wohl nicht einfach, was ? «

Zoe spürte die Tränen aufsteigen. » Tja, also, als alleinerziehende Mutter … du weißt schon «, sagte sie. » Oder, nein, weißt du nicht. Aber es ist schwierig. «

» Und Jaz greift dir dabei gar nicht unter die Arme ? «

» Doch, das hat er getan ! «, versicherte Zoe. » Als er Arbeit hatte. Aber er will ja unbedingt so ein bescheuerter DJ werden, und solange er das nicht ernsthaft versucht hat, wird er weiterhin jeden Job verlieren und … «

» Wie nett, dass du ihn auch noch verteidigst «, sagte Surinder. » Hör mal, wir würden dir gern helfen. Also, ich würde das gern … «

» Und eure Eltern ? «

Surinder zuckte mit den Achseln. » Was das angeht, lässt Jaz nicht mit sich reden «, erklärte sie. » Tut mir leid. «

» Ist schon in Ordnung «, murmelte Zoe. » Vielleicht deshalb, weil ich keine Inderin bin ? «

Surinder schnaubte. » Gott, nein, Angela lieben sie ja auch heiß und innig. « Plötzlich wurde ihr klar, wie unsensibel das gewesen war. » Also, die Frau von meinem anderen … Egal, hör zu. Vielleicht zeigst du mir mal eure Wohnung ? «

Sobald sie das Zimmerchen mit der abblätternden Tapete und dem schwachen kleinen Elektroöfchen sah, hatte Surinder ihre Entscheidung getroffen. Sie kannte da noch jemanden, der nicht in die große Stadt gepasst hatte, der Luft zum Atmen gebraucht hatte. » Hör mal, verstehst du was von Büchern ? «, fragte sie.

» Ich lese viel «, sagte Zoe. Sie schaute auf. » Und ich bin bereit … Ich meine, wir brauchen vor allem eine neue Bleibe. Aber wenn du vielleicht von einer Arbeitsstelle gehört hast … Ich kann ordentlich schuften und würde mich reinhängen, das verspreche ich. Wirklich. «

Surinder sah sich um. Die winzige Einzimmerwohnung war absolut grauenhaft, aber sauber und ordentlich, genau wie Hari.

» Versprechen kann ich nichts «, sagte Surinder. » Aber ich will sehen, was ich tun kann. «

Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, huschte Hari sofort wieder hinter Zoes Beine.

» Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, junger Mann «, versetzte sie, » dann will ich doch hoffen, dass du netter zu deiner Tante bist. «

Kapitel 8

Nina verdrängte die Sache mit dem Mutterschaftsurlaub einfach – ihr ging es gut, alles war in Ordnung, und irgendeine Lösung würde sich schon finden. Vielleicht würde ja Ainslee vom College heimkommen oder so. Sie konnte doch nicht einfach Surinders Heimatlose bei sich aufnehmen, das wäre lächerlich.

Jetzt kam eine Frau zur Tür herein, die Nina schon ein paarmal im Ort gesehen hatte. Hier im Bücherwagen war sie aber keine Stammkundin.

» Hallo ? «

Die Frau war schon älter und hatte etwas Grimmiges an sich. Sie ging leicht gebeugt, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und eine abweisende Miene aufgesetzt.

» Aye «, sagte sie. » Darf ich hier eine Anzeige aufhängen ? «

» Dürfen Sie «, sagte Nina. » Das kostet allerdings ein Pfund pro Woche. «

Die Frau schniefte. » Der reinste Wucher ! «, knurrte sie.

» Ich zwinge Sie ja nicht dazu «, wandte Nina ein.

Grummelnd trat die Frau vor und reichte Nina das Geld. Ihr Aushang war eine Stellenanzeige:

Au-pair-Mädchen gesucht, abends und am Wochenende,

Kontakt: Mrs MacGlone in The Beeches.

 

Nina musste an die junge Polin denken und runzelte die Stirn. Sie schaute sich den Zettel noch einmal genauer an.

» Schickt Sie vielleicht jemand namens Surinder ? «, fragte sie misstrauisch.

» Was ? «, sagte die Frau.

Nina guckte erneut auf den Aushang. » Kommen Sie … vom großen Haus ? «

» Aye. «

» Und Sie brauchen … ? Geht es um die drei Kinder ? «

» Aye. «

Nina betrachtete das Stück Papier. » Wäre Logis mit inbegriffen ? «

Die Frau zuckte mit den Achseln. » Platz genug gibt es auf jeden Fall. «

Nina starrte den Text lange an. » Okay «, sagte sie schließlich. » Geben Sie den Zettel mir. Dafür berechne ich Ihnen nichts. «

Überrascht reichte die Frau ihr die Anzeige und nahm ihr Geld wieder entgegen.

» Kann ich Ihnen vielleicht noch mit einem Buch etwas Gutes tun ? «, fragte Nina, als sich die Frau bereits abwandte.

» Och, nein. Davon haben wir unten im Haus wirklich genug. «

Dann trat sie hinaus und eilte über das graue Kopfsteinpflaster davon.

Kapitel 9

Es war ein kühler Abend, und Nina zog die Vorhänge zu. Wenn sie sie offen ließ, stand Lennox ja doch nur ständig am Fenster und hielt nach seinem schwarzen Lamm Ausschau.

Nina stellte den Ofen an und bereitete Lennox’ Leibgericht zu, einen Shepherd’s Pie. Sie hoffte, der würde ihren Freund gesprächig stimmen, oder zumindest gesprächiger als sonst.

Als sie ihm eine Tasse Tee ans Sofa brachte, schaute er sie misstrauisch an.

» Sollte ich das nicht eigentlich für dich tun ? «, fragte er. » Irgendwas hast du doch vor. «

» Erzähl mir was übers große Haus «, bat Nina ohne Umschweife.

» Ich muss doch nicht mit Tee bestochen werden, um mit dir darüber zu reden «, sagte Lennox gutmütig. » Und ist das da etwa ein Pinguin-Plätzchen ? «

» Ja. «

» Wie viele Pinguine sind denn noch in der Packung ? «

» Falsche Frage. «

Lennox lächelte. » Also, Ramsay ist der junge Gutsherr … Na ja, oder inzwischen wohl einfach nur der Gutsherr … «

» Ja, so viel weiß ich auch. Sag mir bitte einfach nur, ob er seine Frau umgebracht hat oder nicht. «

Lennox setzte ein trauriges kleines Lächeln auf. » O Gott, wer hat dir denn diese Geschichte erzählt ? «

» Es bringen doch ständig Männer ihre Frauen um «, sagte Nina und machte es sich auf dem Sofa bequem.

» Nein «, sagte Lennox bedächtig, » in Wirklichkeit bringen Leute nur selten irgendwen um. « Er dachte über die ganze Sache nach. » Aber es stimmt schon, wenn sie jemanden umbringen, dann meistens die eigene Frau. «

» Also … «

» Ich bin Elspeth Urquart mal begegnet «, sagte Lennox. Plötzlich klang seine Stimme, als sei er ganz weit weg. » Sie war so schön, wie eine Fee, zierlich, mit einer Wolke aus goldenem Haar. Grüne Augen, ein spitzes Kinn. «