Hariol und Hildegard - Wilhelm Wiesebach - E-Book

Hariol und Hildegard E-Book

Wilhelm Wiesebach

0,0

Beschreibung

Mit ganz einfachen Worten wie in einem Kindermärchen beginnt die Erzählung von Hariolf und Hildegard, zwei von Gott erschaffenen Seelen, die als Tochter eines Grafen und Sohn eines Tagelöhners paradiesisch miteinander aufwachsen. Alles begleiten die vom gesellschaftlichen Status her so unterschiedlichen Elternpaare gemeinsam, jedes auf seine Art: die ersten Worte, die ersten Schritte der beiden Kinder, die musikalische Begabung von Hildegard, das künstlerische Talent von Hariolf. Doch ihre Lebenswege trennen sich. Hariolfs Weg in die große Stadt zu einem berühmten Meister wird zur Bewährungsprobe für seine reine Seele. Der Neid der Malkollegen auf sein besonderes Verhältnis zum Meister entlädt sich eines Tages, als sein größter Feind Wolf ein Bild von ihm mit einer Fratze übermalt. In Hariolf zerbricht etwas, seine Bilder werden stumpf und aussagelos. Hildegard hat inzwischen geheiratet. Doch die standesgemäße Partie mit einem Sohn eines Freundes ihres Vaters entpuppt sich bald als Unglück. Als sie die Treulosigkeit und niedere Gemeinheit ihres Mannes erkennt, verliert sie den Glauben an die Menschheit. Wilhelm Wiesebach erzählt den Lebensweg der beiden als Allegorie auf den Glauben an Gott: in den Kindertagen ein selbstverständliches Glück, kann er schnell in der harten Realität der Welt verlorengehen. Erst die Liebe und das Vergeben öffnen das Gefängnis einer verbitterten Seele.Dem Jesuiten und Pädagogen Wilhelm Wiesenbach gelingt es, mit dem Stilmittel des einfachen Märchens die Essenz des christlichen Glaubens, nämlich Vertrauen, Prüfung, Vergebung und Liebe, in berührende Worte und Bilder zu fassen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 87

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wilhelm Wiesebach

Hariol und Hildegard

Die Bilder entwarf und zeichneteBr. Notker Becker O. S. B.Maria-Laach

Saga

Hariol und HildegardCopyright © 1920, 2019 Wilhelm Wiesebach und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788711592809

1. Ebook-Auflage, 2019Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Die beiden Seelchen.

Die Sternenäuglein blinzelten gar traulich und lieb auf die Erde hinunter. Da unten war Frühling, und sein Duft und seine Lieder stiegen schier bis zum Himmel hinauf. Die Blümlein auf den Wiesen und in den Gärten flüsterten und lispelten sich leise liebe Worte zu. Die Grillen zirpten im nachtfeuchten Grase, und den Fluss entlang tanzten lichte, weisse Nebelfrauen ihren Reigen dazu.

Am Waldesrand, weit draussen vor der Stadt, leuchteten zwei weisse Häuser aus blühendem Flieder heraus. Das eine, mit herrlichen, breiten Balkonen und Marmortreppen, war das Schloss des reichen Grafen; das andere, kleine, bewohnte ein armes Taglöhnerpaar. Aber die beiden Häuser schienen sich lieb zu haben und in der stillen, lichten Nacht ihren Standesunterschied zu vergessen. Denn das kleine winkte mit seinem winkeligen Giebel unter der buschigen Strohdachhaube gar zutraulich zu dem grossen hinüber, und das Grafenhaus neigte sich wie eine grosse Schwester zur kleinen zu ihm hinunter. Der Flieder, der über dem vergoldeten Zaun des Schlosses blühte, reichte sogar den Büschen am wackeligen Nachbarzaun die Hand und stand mit ihnen so die ganze Nacht. Und sie flüsterten und neigten sich zueinander, bis der Morgenstern über den Tannenwipfeln des Waldes aufging.

In den beiden Häusern und in den Gärten war tiefe, heilige Stille.

Im Himmel droben sass der liebe Gott an seinem Erkerfenster und arbeitete, wie er es immer tut. Der Frühlingswind spielte mit seinem langen Silberbart. Seine grossen lieben Augen schauten immer auf die Erde nieder und ruhten doch zu gleicher Zeit auf seinen Händen.

Die hielten etwas Wunderfeines. Was es war, Konnte ein Menschenauge nicht sehen, weil es für die himmlischen Dinge nicht klar und rein genug ist. Es war ein Gewebe aus den goldigsten Sonnenstrahlen. Diamanten blitzten wie Sterne darin, und ein Duft ging davon aus wie von Lilien und Rosen. Und wie der liebe Gott es bei der Arbeit berührte, klang und sang es mit Stimmen so fein, dass man meinen sollte, die Engel mit den schönsten und hellsten Stimmen sängen ihr allerschönstes Lied.

Jetzt ging ein Lächeln über das Antlitz des lieben Gottes, viel sonniger als das Lächeln eines Vaters über der Wiege seines Kindchens. Und wie er lächelte, schienen die Sterne am ganzen Himmel mit einem Male tausendfach heller als sie bisher geleuchtet hatten.

Der liebe Gott war mit seiner Arbeit fertig. Er stand von seinem goldenen Tisch auf und lehnte sich zum Fenster hinaus. In dem Augenblick war es den Menschen drunten auf der Erde, die noch wach waren, als wehe ein warmer, weicher Blumenduft um ihre Stirnen und als sängen alle Glocken von den Türmen mit wundersamem, leisem klang wie in der heiligen Weihnacht.

Nun hielt der liebe Gott seine lichtweissen Hände zum diamantenen Fenster hinaus. Er hauchte hinein und öffnete sie.

Da schwebten, so schnell wie nur der schnellste Engel fliegen kann, zwei kleine Geisterchen wie Lichtlein, viel heller als die Sonne und blitzender als die herrlichsten Diamanten zur Erde nieder.

Wie sie den blauen Himmelsraum durchflogen, verblassten die Sterne.

Der liebe Gott schaute ihnen nach und lenkte ihren Flug mit seinen Augen.

Sie schwebten gerade auf die beiden Häuser am Waldesrande zu und auf einmal waren sie darin verschwunden.

Aber der liebe Gott schaute ihnen noch immer lächelnd nach.

Die Menschen in den Häusern, in denen sie eingekehrt waren, sahen sie nicht. Und doch lebten sie.

Es waren zwei kleine, kleine lichte Menschenseelchen.

Obschon sie zusammen in den Händen des lieben Gottes entstanden waren und zusammen die weite Reise vom Himmel zur Erde gemacht hatten, wussten sie jetzt auf einmal nichts mehr voneinander. Auch des lieben Gottes und des Himmels erinnerten sie sich nicht mehr. Sie wollten weinen vor Weh, aber konnten es nicht, da sie keine Äuglein hatten. Ach, sie fühlten sich so einsam! Und doch war es so wohlig warm um sie her. Ihre Bettchen und Kleidchen, in die sie der liebe Gott gelegt hatte, waren soviel weicher als das zarteste Engelfederkissen. Und sie fühlten, dass das Bettchen und ihr Kämmerlein immer grösser um sie her wuchs. Aber es war immer dunkel ringsum; das Himmelslicht war erloschen.

Wie lange sie so in dem warmen Bettchen und doch mit dem grossen Heimweh nach dem Licht gelegen hatten, wussten sie nicht.

Da eines Tages – es war für beide wieder dieselbe Stunde, aber sie wussten es nicht – verwandelte sich die finstere Nacht mit einem Schlage in strahlendes goldenes Licht. Vor freudigem Schrecken schrien sie laut auf wie Kinder, die aus dem dunklen Wartezimmer zum lichterstrahlenden Christbaum geführt werden.

Und nun sahen sie auch – und konnten nicht genug staunen darüber – ihr Kämmerlein, in das sie der liebe Gott geschickt hatte, oder vielmehr ihr Häuschen, das sie bewohnten.

Schnell huschten sie, so schnell wie der Blitz, dem Licht entgegen, das sie beschien. Sie wollten wissen, woher das käme. Da fanden sie oben im obersten Stockwerk ihres Häuschens zwei kleine allerliebste Fensterchen. Durch die schien die goldene Sonne in breiten warmen Strahlen. Und sie lehnten sich weit zu den kleinen Guckfensterchen hinaus, so weit als sie eben konnten, ohne hinauszufallen. Da sahen sie ihr Häuschen von aussen. Das war ganz wunderschön, so weiss und rosig. Und wenn sie schauen wollten, wie es unten oder an der Seite aussah, dann kam ihnen das Stück, das sie ganz genau besehen wollten, schon entgegen. Ein drolliges Häuschen!

Sie vergassen ganz, von den Fesnsterchen ins Kämmerchen zurückzugehen. Immer wieder mussten sie nur schauen und schauen und lachen. Und wenn die Seelchen lachten, dann bewegte sich das ganze Häuschen mit.

Nur von Zeit zu Zeit kam es ihnen so merkwürdig vor, als lärme und schreie da drinnen ein böser Wicht. Dann schrien sie vor Angst. Und dann kam ein grosses schreckliches Wesen daher – nein, es war doch so lieb, wenn man es näher ansah – und nahm das Seelchen mit dem ganzen kleinen Häuschen an sich, und dann war auf einmal der Gösewicht aus dem Kämmerlein verschwunden. Dem Seelchen war es so wohl, so wohl. Die Guckfensterchen fielen zu, es wusste nicht, wie.

Und nun war es wieder dunkel ringsum und doch so schön, so schön. Zwar konnte das Seelchen sich in seinem Häuschen drinnen nicht umsehen. Aber da stand auf einmal ein wunderschöner Engel vor ihm mit einem grossen, grossen Kasten. Da waren tausend und tausend Bilder drin, so schön wie der ganze Himmel mit allen Sternen und Engeln und Heiligen. Und der wunderschöne Engel zeigte dem Seelchen die Bilder, eins nach dem andern, und sprach dazu und sang dazu so süss und lind, dass das Seelchen meinte, es sei wirklich wieder im Himmel beim lieben Gott.

So lebten die beiden Seelchen jedes für sich. Jeden Tag machten sie neue Entdeckungen an ihrem Häuschen. Und wenn sie müde waren vom Schauen und Lachen, dann fielen die Fensterchen immer zu, und der wunderschöne Engel stand bei ihnen mit seinem himmlischen Guckkasten.

Ganz putzige Entdeckungen machte das Seelchen. Da waren Dinger an seinem Häuschen, die wollten immer strampeln, wenn es sich freute, oder wenn ihm eins der grossen Wesen, die um es herumliefen, zu nahe kam. Da waren wieder zwei andere Dinger, denen brauchte Seelchen nur zu befehlen, wenn es einen Sonnenstrahl erhaschen wollte, und sofort griffen die Dinger auch schon danach, der Sonnenstrahl liess sich aber nicht fassen. Wieder ein ander Ding war da, ganz dicht bei den Guckfensterchen; das Kitzelte ganz gewaltig, wenn die Sonne darauf schien, und liess etwas Feines und Süsses ins Häuschen hinein, dass es dem Seelchen vorkam, als hauche es der liebe Gott wieder an, wenn das grosse Wesen, das immer bei ihm war, eine Rose auf das Bettchen legte, in das das Häuschen eingekuschelt war.

Am drolligsten aber waren die beiden oder vielmehr die drei Dinger, von denen eins wieder nicht weit von den Guckfensterchen entfernt war, die beiden andern aber irgendwo in der Nähe waren, nur so, dass das Seelchen sie nicht sehen konnte.

Wenn Seelchen Freude hatte an der Sonne und bunten Dingen, oder wenn ihm am Häuschen drinnen oder draussen etwas nicht recht war, dann ging das eine Ding, das wie ein Türchen war, weit auf, und Seelchen wollte hinausfliegen. Das ging aber nicht, ebensowenig wie es aus den Guckfensterchen hinausspringen konnte. Aber wenn es der Sonne oder dem Vöglein oder der Blume draussen entgegenfliegen oder vor dem Weh drinnen fortlaufen wollte, dann hub das Türchen zu krähen und zu quieksen an, und Seelchen huschte schnell zu den beiden Dingern, die es nicht sah, nicht weit von den Guckfensterchen, und lauschte.

Ei, da Konnte es sich ja selber hören! Und es lauschte wieder und vergass über dem Horchen und Staunen das krähen.

Aber das Türchen, das immer krähte und quiekste, liess auch allerlei schöne Sachen ins Häuschen ein. Seelchen sah sie wohl; das grosse Wesen, das immer um es herum war, brachte sie ihm: Etwas Weisses, so weiss wie der Schnee; das ging in das Trüchen hinein. Seelchen huschte ihm entgegen und freute sich; denn wenn das Weisse, Warme durchs Türchen hineingekommen und im Häuschen verschwunden war, dann wurde es auf einmal so warm und mollig drinnen, dass Seelchen das Guckfensterchen vergass und sich ganz ins heimeligste Kämmerchen einkuschelte.

An einem sonnigen Frühlingstag nahm das grosse Wesen, das immer um Seelchen herum war, Seelchen wieder einmal aus seinem Bettchen und ging mit ihm hinaus in den Gorten.

O wie schön war es da draussen! War das der Himmel? Und wie weit und gross war die Welt! Sie reichte noch weit über den Gartsnzaun, immer weiter und weiter!

Noch ein zweites grosses Wesen kam herzu, das Seelchen auch oft gesehen hatte, und neigte sich zu ihm nieder und lachte es an.

Und Seelchen schaute sie im goldenen Frühlingslicht gross an und staunte. Die grossen Wesen hatten auch Guckfensterchen, und aus ihnen schaute geradeso etwas Feines, Lichtes heraus, wie Seelchen selbst war. Seelchen krähte vor Freude, und sein krähen muss wohl sehr schön geklungen haben; denn die beiden grossen Wesen lachten und umarmten und küssten sich.