Harrowmore Diary (Band 1): Tibby und der Fluch der Trommel - Miriam Rademacher - E-Book
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Harrowmore Diary (Band 1): Tibby und der Fluch der Trommel E-Book

Miriam Rademacher

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Beschreibung

Tibby Harrowmore hat gerade mit seinem Dasein als Kurier abgeschlossen, als ihm auch schon eine neue Aufgabe präsentiert wird: Seine mehr als eigenartigen Freunde Cayden und Abe raten ihm, sich einer Expeditionsreise anzuschließen, um sich in dem entlegensten Winkel Afrikas dem bisher seltsamsten Abenteuer seines Lebens zu stellen. Bald schon wird Tibbys Blick auf die Welt nie mehr derselbe sein …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Dank

Miriam Rademacher

Harrowmore Diary

Band 1: Tibby und der Fluch der Trommel

Fantasy

 

 

 

 

Harrowmore Diary (Band 1): Tibby und der Fluch der Trommel

Tibby Harrowmore hat gerade mit seinem Dasein als Kurier abgeschlossen, als ihm auch schon eine neue Aufgabe präsentiert wird: Seine mehr als eigenartigen Freunde Cayden und Abe raten ihm, sich einer Expeditionsreise anzuschließen, um sich in dem entlegensten Winkel Afrikas dem bisher seltsamsten Abenteuer seines Lebens zu stellen. Bald schon wird Tibbys Blick auf die Welt nie mehr derselbe sein …

 

 

Die Autorin

Miriam Rademacher wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, wenn es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Juni 2023

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2023

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Wolma Krefting

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-274-8

ISBN (epub): 978-3-03896-275-5

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für Maurizio

 

Ist es wirklich wahr,

dass ich dir noch kein einziges Buch gewidmet habe?

Das wurde aber Zeit.

Prolog

 

London, 1953

 

Der sorgenvolle Blick der Garderobiere traf Alan Frazer, als er zur Mittagszeit die Räume seines Clubs in der Park Lane betrat. Die unausgesprochenen Gedanken der älteren Frau verdeutlichten dem Sprachwissenschaftler, wie mitgenommen er an diesem Montagmorgen auf seine Mitmenschen wirken musste.

Zugegeben, er hatte keine Zeit gefunden, sich zu rasieren, seine Kleidung war noch immer die vom Vortag, und ein großer Portweinfleck auf seiner hellen Krawatte erinnerte an den Schrecken, der ihm beim Öffnen der Abendpost in die Glieder gefahren war.

Mit zitternden Händen reichte er der jungen Frau seinen schweren Wintermantel, der nicht recht zu den sommerlichen Temperaturen dieses Augusttages passen wollte.

Doch Alan fror. Es war eine Kälte, die sich von innen her in ihm auszubreiten drohte und jede Erinnerung an Wärme und Geborgenheit auszulöschen schien.

Fröstelnd betrat er den Lesesaal des ehrwürdigen Etablissements, in dem zu seiner Freude ein Kaminfeuer flackerte, das ein umsichtiger Zeitgenosse allein der Gemütlichkeit wegen entzündet haben musste. Und im Schein der zuckenden Flammen saß, in einem grünen Ledersessel, sein guter Freund Deakon Hambling und gab vor, die Times zu studieren.

Doch seine Augen fixierten seit Alans Eintreten nicht mehr die Worte auf dem Papier, sondern starrten über dessen Rand hinweg auf den Portweinfleck, der Alans Erscheinungsbild dominierte.

Deakon Hambling war fast zehn Jahre älter als Alan. Ein ruhiger, stets nüchtern denkender Mann, auf dessen guten Rat man sich verlassen konnte. Er war genau die Gesellschaft, nach der Alan Frazer heute der Sinn stand.

Der junge Sprachwissenschaftler zog einen weiteren Ledersessel dicht an den seines Freundes heran, setzte sich zu ihm ans Feuer und kam ohne Umschweife zum Punkt. »Er ist angekommen. Gestern Abend lag er zwischen den anderen Briefen in der Abendpost, die meine Hausangestellte mir bei meiner Rückkehr übergab. Ehrlich gesagt hatte ich einen geheimnisvollen Boten erwartet. Mit einem solch simplen Weg der Zustellung hatte ich nicht gerechnet.«

Zum Beweis seiner Worte zog Alan ein Zigarettenetui aus seiner Brusttasche, klappte es auf und hielt es Deakon hin.

Dieser legte seine Zeitung beiseite, machte aber keine Anstalten, den Inhalt aus dem Etui herauszunehmen. Stattdessen deutete er auf den gefalteten Zettel und fragte betont gelassen: »Und was steht darin?«

»Es ist exakt die gleiche Botschaft, von der mir Nancy, meine Schwägerin, berichtet hat. Man schickt mir dieselbe Drohung wie zuvor meinem Bruder.« Alan schloss das Etui wieder, vergewisserte sich, dass sie noch immer allein im Lesesaal waren und rezitierte: »Mörder. Du bist der Nächste.« Er klopfte auf den silbernen Deckel. »Ich war klug genug, es nicht anzufassen, und werde bestimmt nicht so dumm sein, es achtlos wegzuwerfen. Wenn ich auch nicht weiß, wie es funktioniert, ich werde diese Nachricht für den Rest meines Lebens hüten wie meinen Augapfel, da ich möglicherweise auf diese Weise verschont bleibe. Aber allein die Tatsache, es erhalten zu haben, bringt mich um den Verstand. Deakon, ist dir klar, was das bedeutet? Sie sind hier. Hier in London. Sie haben uns gefunden, und sie bringen einen nach dem anderen von uns um.«

»Mach dich nicht lächerlich, Alan. Sie können gar nicht hier sein.« Deakon Hambling klopfte seine erkaltete Pfeife im Aschenbecher aus und warf Alan einen geringschätzigen Blick zu. »Was ist denn schon geschehen? Man hat dir eine wenig freundliche Nachricht zukommen lassen, in der du bedroht wirst. Nun gut. Aber ein paar böse Worte sind meines Erachtens kein Grund, die Nerven zu verlieren.«

»Es ist genau wie bei Robert«, widersprach Alan, der bei dem Gedanken an seinen jüngeren Bruder erschauerte. »Ich habe dir doch erzählt, was laut Nancy vor ein paar Wochen geschehen ist. Die beiden gingen im Hyde Park spazieren, als Robert von einem dunkelhäutigen Fremden fast umgerannt wurde. Dieser steckte meinem Bruder wortlos einen geschlossenen Umschlag zu. Und als Robert ihn öffnete und den Briefbogen herausnahm, hat Nancy auf diesem genau dieselben Worte lesen können wie hier.« Er deutete auf das Etui in seiner Brusttasche. »Wir müssen etwas unternehmen, Deakon. Wir sind die nächsten Opfer einer blutigen Vendetta.«

»Blödsinn.« Deakon klang ungehalten. »Versuch wenigstens, die Ruhe zu bewahren, junger Freund. Blutige Vendetta, was redest du denn da? Es ist bisher überhaupt kein Blut geflossen. Kein einziger Tropfen und eine Leiche gibt es auch nicht.«

»Aber Robert ist verschwunden.« Alans Stimme wurde mit jedem Wort lauter. »Niemand hat ihn seitdem mehr gesehen. Und erzähl mir nicht wieder, er würde sich aus Angst versteckt halten, denn so ist es nicht. Mir, seinem Bruder, hätte er sich zuvor anvertraut.«

»Ich weiß, ich weiß.« Deakon erhob sich aus dem Sessel, legte einen Holzscheit im Kamin nach und setzte sich wieder. »Deine Schwägerin behauptet, Robert habe die Botschaft zuerst wütend zerknüllt, dann zerrissen und einfach ins Gras geworfen. Anschließend hat er die Verfolgung des Überbringers aufgenommen und ist vor ihren Augen verschwunden.«

»Der Weg beschreibt an dieser Stelle einen fast rechten Winkel«, fiel Alan dem Freund ins Wort. »Einige Büsche versperrten ihr den Blick auf das Geschehen. Doch Nancy war dicht hinter Robert. Sie folgte ihm und hätte beide Männer gleich wieder sehen müssen. Doch vor ihr erstreckte sich mit einem Mal ein verwaister Pfad. Robert und derjenige, der ihm die Nachricht brachte, waren einfach weg. Von einer Sekunde zur anderen. Und seitdem hat niemand meinen Bruder mehr zu Gesicht bekommen.«

Deakon stieß einen Seufzer aus und griff nach einem Glöckchen, das neben seinem Sessel auf einem Beistelltisch stand. »Ich bestelle mir einen Kaffee. Möchtest du auch einen? Du siehst aus, als könntest du etwas Starkes vertragen.«

Alan winkte ab und rieb sich die müden Augen. »Ich wette, Basil ist genau dasselbe zugestoßen. Nur gab es in seinem Fall keine Zeugen, die von der Botschaft berichten können.«

»Unser Freund Basil war schon immer ein unruhiger Geist«, konterte Deakon. »Es ist nicht ungewöhnlich für ihn, überraschend eine lange Reise anzutreten und niemandem etwas davon zu erzählen.«

»Aber er hat überhaupt nichts mitgenommen.« Alan verlor langsam die Geduld mit seinem älteren Freund. »Ich habe mit Basils Schwester telefoniert. Sie wohnt genau wie Basil noch im Elternhaus und wartet verzweifelt auf ein Lebenszeichen von ihm. Sie hofft auf seine baldige Rückkehr und hält seine Zimmer in Ordnung, bis er endlich wieder da ist. Dabei hat sie sich eifrig umgesehen. Laut ihrer Meinung fehlt nichts von den Habseligkeiten ihres Bruders. Sogar seine Lesebrille lag noch auf dem Nachttisch. Alles ist an seinem Platz, nur Basil nicht, und daran ändert sich seit Monaten nicht das Geringste. In seinen chinesischen Pantoffeln, die akkurat vor dem Bett standen, hat sich ihrem Bericht nach mittlerweile eine freche Maus eingenistet. Diesen Schädling zu jagen, ist derzeit ihre einzige Ablenkung.« Alan gab ein Stöhnen von sich. »Sein Vater will jetzt ganz offiziell nach ihm suchen lassen. Aber sie werden ihn nicht finden, Deakon. Denn ihm ist das Gleiche zugestoßen wie meinem Bruder.«

»Ich ertrage diesen Unsinn nicht länger«, erklärte Deakon und bestellte bei dem lautlos herangetretenen Butler zwei Kaffee und zwei Cognac. »Basil hat mal wieder das Reisefieber gepackt, und dein Bruder wird sich irgendwo verkrochen haben. Vermutlich sitzt er noch immer unter einem Busch im Hyde Park und hat genauso viel Angst wie du. Trink etwas, dann kann dein Hirn besser denken, und du wirst mir zustimmen.«

»Nancy hat die ganze Umgebung abgesucht«, erinnerte Alan. »Sie hat überall nachgesehen, doch Robert und der Fremde waren einfach weg.«

»Hat sie wirklich überall nachgeschaut?« spottete Deakon, dessen hellblondes Haar im Feuerschein rötlich schimmerte. Er tat, als müsste er angestrengt nachdenken. »War es nicht eher so, dass deine tollpatschige Schwägerin wie ein aufgescheuchtes Huhn herumlief, Roberts Namen kreischte und sich dabei den Knöchel vertrat? Wie gewissenhaft kann die Suche einer solchen Person wohl ausgesehen haben?«

»Ihr ist ein streunender Hund zwischen die Beine geraten und hat sie zu Fall gebracht«, verteidigte Alan die treue Seele. »Und trotz eines verstauchten Knöchels hat sie sich weiterhin bemüht, Robert zu finden.« Er beugte sich im Sessel vor und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Sie glaubt, Trommeln gehört zu haben. Mitten im Hyde Park. Während sie nach Robert suchte. Das kann doch kein Zufall sein.«

»Ach, Robert selbst wird ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt haben, um sie ein bisschen zu erschrecken«, winkte Deakon ab. »Vielleicht führt seine Spur ja in ein Bordell, und Nancy kann ihn nicht finden, weil er nicht gefunden werden will.« Deakon rieb sich die Finger und hielt offensichtlich Ausschau nach dem Butler und seiner Bestellung. »Herrgott, wie lange dauert das denn?«

Alan, dem soeben erneut ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen war, stutzte. Sein Freund fror offensichtlich kaum weniger als er selbst. Und das an einem warmen Sommertag, den sie beide in unmittelbarer Nähe eines wärmenden Feuers verbrachten.

»Du hast auch eine Botschaft erhalten«, stieß Alan tonlos hervor. »Du klapperst ja schon fast mit den Zähnen, so sehr hat dich die unheimliche Kälte im Griff. Du bist genauso verflucht wie ich und leugnest noch immer, was hier vor sich geht?«

»Ich weigere mich lediglich, meinen gesunden Menschenverstand einer fixen Idee zu opfern.« Deakon wurde laut. »Dies hier ist London, unsere Heimat. Hier gelten unsere Regeln, unsere Gesetze. Niemand kann uns etwas anhaben. Diese Drohungen sind nichts weiter als Worte auf Papier, und diese Kälte ist ein billiger Trick.«

»Der wie herbeigeführt wurde?« wollte Alan wissen.

»Was weiß denn ich? Sie können solche Dinge eben!« Deakon griff in die Tasche seiner Weste und zog einen noch ungeöffneten Umschlag hervor, den er jetzt vor Alans Augen aufriss. »Den überreichte mir gerade auf der Straße ein Mann mit fremdländischem Aussehen. Ich habe gar nicht erst hineingeschaut, es ist ja doch nur Blödsinn.« Er schüttelte das Kuvert, und heraus fiel ein mehrfach gefaltetes Blatt, das Deakon glatt strich und nur einen kurzen Blick darauf warf, bevor er es zerknüllte. »Na bitte. Ja, ich habe tatsächlich auch so einen Schrieb erhalten, ich gebe es zu. Doch ich lasse mich davon nicht ins Bockshorn jagen. Das ist alles nur Augenwischerei. Man will uns Angst machen, in den Wahnsinn treiben oder was auch immer. Aber nicht mit mir.« Er stand auf, warf das Papier ins Feuer und hielt kurz die Hände über die Flamme, um sie zu wärmen.

»Was machst du denn da?«, rief Alan, sprang aus dem Sessel, stieß Deakon beiseite und versuchte, den blassgelben Briefbogen zu retten, doch es war zu spät. Er loderte noch einmal für einen kurzen Moment hell auf, bevor er nur noch schwach glomm. »Du Idiot«, rief er, während er noch mit einem Schürhaken in den Flammen herumstocherte, um wenigstens Teile der Botschaft zu bergen. »Du verbrennst den Fluch, ohne zu wissen, ob es genau das ist, was sie von uns erwarten.«

Als auch der letzte Rest des Blattes sich zu einer schwarzen Masse zusammengerollt hatte, gab Alan auf und hängte den Schürhaken zurück zum übrigen Kaminbesteck.

Dann wandte er sich zu seinem Freund um, doch dessen Sessel war leer.

Verwundert musterte Alan seine Umgebung: Er war allein im Lesesaal des Clubs. Von Deakon Hambling fehlte jede Spur.

Der Diener, der in diesem Moment mit einem Tablett eintrat, auf dem zwei Kaffeetassen und der gewünschte Cognac standen, ließ sich keinerlei Überraschung anmerken.

Erst als Alan ihn fragte, wohin Mister Hambling gegangen war, hob er eine Augenbraue und erwiderte: »Sir?«

»Er muss Ihnen doch entgegengekommen sein«, beharrte Alan. »Aus diesem Raum führte nur eine einzige Tür hinaus in den Flur. Sie müssen meinen Freund gesehen haben, als er den Raum verließ.«

»Nein, Sir.« Die Braue senkte sich. »Aber wenn er sich nicht verabschiedet hat, kommt Ihr Freund bestimmt gleich zurück.«

Obwohl ihm ohnehin schon kalt war, spürte Alan den eisigen Hauch in seinem Nacken, und ein furchtbarer Verdacht keimte in ihm auf.

Sollte er von nun an der Letzte sein? Der letzte von vieren, denen furchtbare Rache geschworen worden war?

»Schnell!« Er nahm dem Butler das Tablett ab und stellte es auf den frei gewordenen Sessel am Feuer. »Wir müssen Mister Hambling finden. Stellen Sie den ganzen Club auf den Kopf, bitten Sie jedes anwesende Mitglied und die Dienstboten, sich an der Suche zu beteiligen. Lassen Sie nichts aus, kontrollieren Sie das Gebäude vom Keller bis zum Dach und am besten auch die Straße.«

Ein wenig verdattert gehorchte der Mann, und in den nächsten Stunden ließ Alan nichts unversucht, um Deakon Hambling irgendwo aufzustöbern.

Dabei war ihm immer wieder, als hörte er irgendwo in der Ferne den sonoren Klang einer schlagenden Trommel, regelmäßig wie ein Uhrwerk, doch das bildete er sich gewiss nur ein. Es war eine Erinnerung, nicht mehr. Eine Erinnerung an die schlimmste Nacht seines Lebens.

Vor Kälte klapperte Alan mittlerweile mit den Zähnen. Der Tag ging bereits in den Abend über, als er endlich einsah, dass er nicht nur der Nächste, sondern auch der Letzte war, dem die Drohung galt.

Vor Angst und Feigheit zitternd ließ sich Alan Frazer von der Garderobiere seinen Mantel aushändigen und hielt überrascht inne, als er einige weiße Haare auf dem wollenen Stoff bemerkte, die zuvor definitiv nicht darauf gewesen waren.

Als er die Angestellte des Clubs darauf aufmerksam machte, eilte diese mit einer Fusselbürste herbei und entschuldigte sich vielmals. »Das wird die Katze gewesen sein. Sie streicht schon seit Stunden um den Kleiderständer herum und lässt sich nicht verscheuchen.«

Jetzt bemerkte auch Alan das schneeweiße Tier hinter dem Tresen der Garderobe, dessen Blick aus bernsteinfarbenen Augen lange auf ihm ruhte, bevor es davonsprang.

Alan Frazer verließ den Club, um sich in seinem Zuhause zu verkriechen, solange dies vonnöten war, um sich vor dem Fluch zu schützen.

Es sollten fünf lange Jahre werden.

Kapitel 1

 

London, August 1958

 

Ein letztes Mal drehte Tibby Harrowmore den Schlüssel zu seinen Geschäftsräumen in der Lexington Street herum, zog ihn ab und warf ihn beim Hausmeister in den Briefkasten.

Er war frei. Über vier Jahre hatte sich alles um seine Firma, Tibby’s Transports gedreht, und es hatte sich gelohnt. Tibby warf nicht das Handtuch, weil er nicht genug Aufträge als Kurier erhielt, ganz im Gegenteil. Ihm wuchs der Betrieb zunehmend über den Kopf.

Und so hatte er sich einige Wochen zuvor die alles entscheidende Frage gestellt: War dies das Leben, das er für sich anstrebte? War er bereit, den nächsten Schritt zu wagen, mehr Personal einzustellen, mehr Transportwagen zu kaufen und endgültig Wurzeln zu schlagen, um am Ende seiner Tage auf ein erfolgreiches Unternehmen, ein kleines Vermögen, ein eigenes Haus am Stadtrand samt Ehefrau und Kindern blicken zu können?

Die Antwort darauf zu finden, war ihm nicht schwergefallen und sie lautete: Auf gar keinen Fall! Die Fünfzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts gingen ihrem Ende entgegen und damit auch seine eigenen Zwanziger. Er war kein junger Hüpfer mehr, das dunkle Haar an seinem Hinterkopf begann, wenn man ganz genau hinsah, sich bereits zu lichten. Doch noch fühlte er sich zu jung, um alt zu sein oder es auch nur zu werden.

Tibby’s Transports mochte hinter ihm liegen, aber das nächste Abenteuer befand sich direkt vor ihm. Er wusste nur noch nicht, wie es sich ihm präsentieren würde.

Tibby trat hinaus auf die Straße, sah hinüber zum Pepper Pub und beschloss, sein Bier an diesem Abend woanders zu trinken. Veränderungen konnten nicht entstehen, wenn man sich nur auf ausgetretenen Pfaden fortbewegte.

So schlenderte er durch Soho, bis er in einer schmalen Gasse ein noch schmaleres Gasthaus entdeckte. Das schlauchförmige Etablissement trug den passenden Namen ›Der Wurm‹ und nannte ganze vier runde Tische sein Eigen.

Am letzten saßen zwei Herren, deren Anwesenheit hier Tibby überraschte. Die beiden trugen schwarze Anzüge, grell gestreifte Krawatten, und während die Haare des einen so weiß waren wie der Schnee in der Antarktis, glänzten die des anderen tiefschwarz. Abe und Cayden, ihre Nachnamen kannte er nicht, schienen auf ihn gewartet zu haben.

»Tibby, alter Freund, setz dich zu uns«, rief Abe und winkte ihm hektisch, woraufhin Tibby spontan entschied, genau das zu tun.

Während er sich am Tresen ein Bier geben ließ und es vorsichtig zum letzten Tisch des Pubs balancierte, fragte er sich, ob diese Begegnung ein Wink des Schicksals war.

Er war diesen beiden Herren zu Beginn seiner Tätigkeit als Kurier einmal in Paris begegnet. Seitdem hatten sie ihm in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Aufträge zugeschanzt, die sich in finanzieller Hinsicht meist als lohnenswert herausgestellt hatten. Möglicherweise wussten sie auch jetzt, da er seine Zeit als Kurier beendet hatte, wo ein gut bezahlter und vor allem abwechslungsreicher Job auf ihn wartete.

Unter den Blicken seiner Geschäftsfreunde stellte Tibby sein Bierglas neben dem von Cayden ab und zog sich einen Stuhl heran. Abe hatte, wie so oft, ein Glas Cola vor sich stehen. Aus irgendeinem Grund schien der Mann Cola für die beste Erfindung der Menschheit zu halten.

Nach einer kurzen, aber freundlichen Begrüßung ließen sie die Gläser klingen. Tibby nahm einen Schluck und versuchte, die Stimmung zwischen den beiden Männern zu erfühlen. Sie schien ihm angespannt wie immer.

Im Grunde wusste er nicht viel über Abe und Cayden. Ihre beruflichen wie privaten Pfade schienen miteinander verwoben, und irgendwie hielten sie einander aus, obwohl sie vom Wesen her grundverschieden waren.

Während der weißblonde Abe unaufhörlich unter großem Druck zu stehen schien und Mühe hatte, sein Temperament zu zügeln, war Cayden die Ruhe selbst, der unwillig, aber konsequent seinen Freund unter Kontrolle behielt. Er wirkte auf Tibby wie ein Koch, der energisch den Deckel auf einen Topf drückte, damit der Inhalt nicht überschäumte.

Beider Aussprache verriet, dass sie ursprünglich aus Amerika stammten. Was sie nach London verschlagen hatte, war ebenfalls nie Thema ihrer Gespräche gewesen. Die Männer redeten so gut wie nie über sich selbst oder Dinge, die in der Vergangenheit ruhten. Bei Cayden und Abe drehte sich alles um das, was gerade vor ihnen lag.

»Bist du bereit für eine neue Aufgabe, Tibby Harrowmore?« Es war Abe, der das sagte und gleichzeitig ein neues Päckchen Zigaretten aufriss, um Tibby eine anbieten zu können.

Tibby, der die in der Luft hängenden Rauchschwaden in dem schmalen Raum ohnehin schon als unangenehm empfand, lehnte höflich ab. »Bevor du weitersprichst, möchte ich euch sagen: Ich bin raus aus der Lieferantenbranche …«

»Warum?« Die wachsamen Augen Caydens verweilten auf ihm.

»Weil es gefährlich wurde.« Tibby lehnte sich auf dem harten Stuhl zurück. »Routine, wohin ich auch blickte, Papierkram, der einfach jeden Spaß verdirbt und dann natürlich das wachsende Risiko sich festzufahren, eines Morgens aufzuwachen und alt zu sein und nichts anderes getan zu haben, als die Besitztümer fremder Leute von A nach B zu bringen.«

Abe lachte auf und schlug sich auf die Schenkel. »Ach, diese Art von Gefahr meinst du. Für einen Moment war ich wirklich erschrocken und dachte, dich lockt das geregelte Dasein mit Heim und Familie.«

Tibby schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade so frei wie selten in meinem Leben. Das Geld aus dem Transportunternehmen reicht noch eine Weile.«

»Dann bist du vielleicht bereit, eine sehr interessante Arbeit zu übernehmen«, ließ sich nun wieder Cayden vernehmen. »Maxwell Hibbet, ein Londoner Produzent von Modeschmuck, organisiert gerade eine Afrika-Expedition und sucht noch ein paar helfende Hände. Wir, Cayden und ich, wüssten dich gern in seinem Team.«

»Maxwell Hibbet?«, wiederholte Tibby und durchforstete seine Erinnerungen, wurde allerdings nicht fündig. »Der Name sagt mir gar nichts. Ist er ein Freund von euch?«

»Noch nicht.« Abe hing so lässig wie möglich auf dem unbequemen Kneipenstuhl und balancierte einen Bierdeckel auf der Spitze seines Zeigefingers. »Und wir hätten gern, dass es auch so bleibt.«

»Wir sind nämlich die Guten unter den Bösen«, ergänzte Cayden und kassierte mit einer schnellen Bewegung den schnell rotierenden Bierdeckel ein. »Zu unseren Freunden zu gehören, ist für den ein oder anderen der Fahrschein zur Hölle.«

Tibby war sich ziemlich sicher, dass Cayden gerade einen Scherz gemacht hatte, den er nicht verstand, filterte aber mühelos die Kerninformation aus dem soeben Gehörten heraus. »Dann ist dieser Mister Hibbet also drauf und dran, sich in Schwierigkeiten zu begeben. Und ich soll dem entgegenwirken? Wieso eigentlich ich?«

»Weil du ein Glückskind bist!«, rief Abe und strahlte ihn an. »Ist dir überhaupt klar, wie oft in deinem Leben du nahezu unverschämtes Glück gehabt hast, Tibby?«

Tibby dachte an die Kriegsjahre, als er noch unter dem Namen Turner im von immer neuen Luftangriffen geplagten London auf sich selbst gestellt gewesen war. Bis er durch Adoption ein Harrowmore wurde und den Rest seiner Kindheit in der Sicherheit eines altehrwürdigen Familiensitzes zubringen durfte. »Doch«, entgegnete er. »Ich weiß, wie viel Glück ich gehabt habe.«

»Einen Dreck weißt du«, widersprach Abe, entwand Cayden den Bierdeckel und fuhr mit seinen Kunststückchen fort. »Seit wir uns kennen, bist du so oft brenzligen Situationen unbeschadet entkommen und hast nicht einmal bemerkt, wie dicht du am Abgrund standest. Ich wüsste zu gern, was das Geheimnis deines unverschämten Glücks ist. Und bis ich es weiß, bin ich bereit, dich für meine Zwecke auszunutzen. Du hast doch nichts dagegen?«

»Wenn dabei auch etwas für mich herausspringt, nein.« Tibby prostete dem Blonden zu, kam aber nach nur einem Schluck noch einmal zurück auf das Glück zu sprechen. »Vielleicht hat es mit der Familien-Banshee zu tun. Wir Harrowmores haben nämlich unseren eigenen Schutzgeist, der uns bei Gefahr warnt, indem er stumm mahnt oder unsichtbar zu heulen beginnt. Unsere Banshee ist recht zuverlässig, das könnt ihr mir glauben.«

In Wahrheit erwartete er nicht, dass ihm irgendjemand die Banshee-Geschichte abnahm. Kaum jemand glaubte an so etwas wie Geister. Dabei war Tibby von ihrer Existenz überzeugt, denn er konnte sie sehen und sich sogar mit ihnen unterhalten. Warum, das wusste er nicht. Doch schon als kleiner Junge war es ihm möglich gewesen, mehr wahrzunehmen als andere Personen in seinem Umfeld. Große Vorteile hatte ihm dieses Talent allerdings bisher nicht eingebracht.

»Nein.« Abe, der einen Moment lang nachdenklich vor sich hingestarrt hatte, schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es etwas mit einer Banshee zu tun hat. Du bist einfach ein Glückskind, und eines Tages werde ich herausfinden, warum.«

»Aber bis dahin«, mischte sich Cayden ein und dehnte jedes einzelne Wort wie ein Kaugummi, »wird unser Freund nach Afrika reisen.« Und an Tibby gewandt ergänzte er: »Hibbet zahlt gut. Es steht außer Frage, dass es sich für dich lohnen wird. Und Aufregung dürfte garantiert sein. Es wird dir bestimmt nicht langweilig werden.«

»Okay.« Tibby stürzte sein Bier hinunter. »Wann geht es los?«

»Sobald du dich offiziell um die Stelle beworben und sie bekommen hast. Hibbet vergibt sie noch heute Abend. Geh nach Brixton. Dein neuer Arbeitgeber wohnt in der Albert Road, Hibbet Mansion. Reih dich in die Schlange vor seinem Haus ein. Du bist nicht der einzige abenteuerlustige Mann in London, und Hibbet hat in der Zeitung inseriert.«

»Warum sollte er sich dann ausgerechnet für mich entscheiden?« Verwundert ließ Tibby das leere Glas sinken.

»Habe ich das nicht gerade lang und breit erklärt?«, rief Abe und klang plötzlich ungeduldig. »Weil du ein Glückskind bist.«

»In dem Fall kann wohl eher Hibbet von Glück sprechen.« Cayden verdrehte die Augen. »Verlier keine Zeit, Tibby. Hibbet wird es auch nicht. Er ist fest entschlossen, seine Expeditionsteilnehmer so rasch wie möglich aufbrechen zu lassen und wird das Unternehmen selbst leiten. Wir brauchen jemanden, der ihm von Anfang an nahesteht, dem er sich anvertraut. Abe und ich sind nicht gerade dazu angetan, schnell Freundschaften zu schließen, du hingegen schon.«

Tibby musterte seine beiden Freunde von Kopf bis Fuß und musste Cayden recht geben. Sie hatten etwas an sich, das auf andere unheimlich oder zumindest befremdlich wirkte.

Doch Geister waren sie nicht, davon war Tibby überzeugt. Andernfalls wären sie von den meisten Mitmenschen überhaupt nicht wahrgenommen worden.

»Afrika.« Tibby begann zu grinsen. »Das klingt zu gut, um es nicht wenigstens zu versuchen. Soll ich hierher zurückkommen und euch wissen lassen, ob ich Erfolg hatte?«

»Nicht nötig.« Abe winkte ab. »Wir erfahren es so oder so.«

Cayden warf seinem Gefährten einen finsteren Blick zu. Offenbar missfiel ihm etwas an dieser Äußerung.

Tibby nahm dies zum Anlass, um sich zu verabschieden. Pfeifend lief er durch die Straßen und sprang in den nächsten Bus.

Brixton, Albert Road, Hibbet Mansion, Afrika. Er konnte es kaum erwarten.

 

Es dunkelte bereits, als Tibby an seinem Ziel eintraf. Lässig schlenderte er die Straße entlang und näherte sich der hohen Gartenmauer, die Hibbet Mansion umgab.

Vor einem schmiedeeisernen Tor warteten zahlreiche Menschen auf Einlass. Männer wie Frauen, die das Abenteuer lockte. Eine Ausgabe der Zeitung, welche vermutlich Hibbets Anzeige enthielt, fest in den Händen, standen sie geduldig wie eine Herde Schafe vor dem Hindernis.

Tibby gesellte sich zu ihnen, erkannte aber bald, dass er auf diese Weise voraussichtlich die halbe Nacht vor dem beeindruckenden Anwesen der Hibbets zubringen würde, und entschloss sich, die Taktik zu wechseln.

Er entfernte sich von den übrigen Bewerbern und machte sich daran, das Gelände zu erkunden. Die Mauer der Hibbets grenzte zu beiden Seiten an Nachbargrundstücke, die deutlich leichter zugänglich waren.

Ein ausladender Kirschbaum nahe dem Domizil der Hibbets kam nach Tibbys Meinung einer Art Einladung gleich.

Tibby betrat den fremden Garten und hielt direkt auf den Baum zu. Sein Plan bot ein paar Risiken, war aber dennoch vielversprechend.

Ohne Rücksicht auf seinen teuren Anzug und die fast neuen Lederschuhe erklomm er den Stamm und schob sich über einen der stärker wirkenden Äste so nah wie möglich an die Grundstücksmauer von Hibbet Mansion heran. Durch das dichte Laub des Baumes konnte er die Lichter in den Fenstern des großen Hauses sehen.

Irgendwo dort befand sich dieser Maxwell Hibbet und ahnte noch nicht, dass der beste Mann für seine Expedition sich gerade die Hosennaht an einem vorstehenden Zweig aufriss. Deutlich hörbar gab der Stoff nahe seinem Hinterteil nach und das Geräusch mischte sich unter das eines lauten Knackens. Letzteres fand Tibby wesentlich beunruhigender.

Doch er musste sich noch ein paar Zentimeter weiter vorankämpfen, bis er mit den Füßen den Sims erreichen konnte. Sein Ziel war fast zum Greifen nahe. Leider hatte der Ast, auf dem er saß, andere Pläne.

Noch einmal knackte es, dann barst das Holz, und Tibby gelang es im allerletzten Moment, die Hände vom Ast zu lösen und sie nach der Mauer auszustrecken, an der er gleich darauf hing wie ein nasser Sack.

Einen Augenblick lang war er versucht, sein Unternehmen aufzugeben, als ihm Afrika in den Sinn kam und alles, was er mit diesem großen Kontinent verband. Dort warteten wilde Tiere und begehrenswerte Frauen auf ihn, und die Schönheit der Natur durfte er auch nicht vergessen.

Die Zähne fest zusammengebissen zog er sich ein Stück die Mauer hinauf, während seine Füße selbige nach Vorsprüngen abtasteten. Schließlich gelang es ihm, ein paar Zehen so auf einem Vorsprung zu platzieren, dass er sich ein weiteres Stück nach oben drücken konnte.

Minuten später lag er bäuchlings auf der Mauer und blickte hinunter in das Salatbeet der Hibbets. Schweiß tropfte von seiner Stirn.

Wenn Abe das hier gemeint hatte, als er von Glück sprach, so war er einem Irrtum aufgesessen. Dies hier war kein Glück, sondern harte Arbeit. Falls er diesen Job wirklich bekam, dann weil er ihn sich verdient hatte.

Mit einem Satz landete Tibby zwischen Möhren und Rettichen und erstarrte, als ein bärtiger Butler in Livree über den Gartenplattenweg zum Tor spazierte, um einen weiteren Bewerber einzulassen.

Tibby hielt den Atem an. Zum jetzigen Zeitpunkt entdeckt zu werden, bedeutete, einen Hinauswurf zu riskieren, ohne dem Hausherrn auch nur zu begegnen. Doch der alte Butler bemerkte den Mann zwischen dem Gemüse nicht. Ganz anders die junge Frau in seiner Begleitung, die Tibby fragend musterte, aber kein Wort darüber verlor.

Sie trug einen schlichten hellen Mantel über einem noch schlichterem dunkelblauen Kostüm und wirkte kein bisschen wie ein Mensch, der unbedingt einmal nach Afrika reisen wollte. Ihr hellrotes, kurz geschnittenes Haar betonte die spitze Linie ihres Kinns. Tibby schätze sie auf etwa zwanzig Jahre. Eine attraktive, wenn auch ungewöhnlich ernste Erscheinung. Ihr folgte mit geschmeidigen Bewegungen eine schneeweiße Katze.

Ohne sich zu rühren, beobachtete er, wie alle beide, auch die Katze, gemeinsam mit dem Bediensteten im Haus verschwanden. Erst dann kam wieder Leben in ihn.

Er sprintete aus dem Gemüsebeet und begann damit, das Haus zu umrunden. In jedes erleuchtete Fenster des Erdgeschosses spähte er hinein, und endlich waren seine Mühen von Erfolg gekrönt. In einem modern eingerichteten Arbeitszimmer saßen sich die ernsthafte Rotblonde und ein breitschultriger Mann mit kleinem Schnauzer gegenüber.

Und wieder war sie es, die ihn bemerkte, wie er zu ihnen hineinschaute. Dieses Mal aber schwieg sie nicht.

»Das ist der Mann, den ich soeben in Ihrem Garten gesehen habe«, rief sie aus und deutete mit dem ausgestreckten Finger auf ihn.

Tibby versuchte gar nicht erst, in Deckung zu gehen. Von Hibbet entdeckt zu werden, war ja genau das, was er wollte.

Also klopfte er an die Scheibe und setzte eine freundliche Miene auf.