Hauptstadt der Spione - Bernd von Kostka - E-Book

Hauptstadt der Spione E-Book

Bernd von Kostka

4,5

Beschreibung

Fast ein halbes Jahrhundert verlief die heißeste Front im Kalten Krieg quer durch Berlin. Von Sommer 1945 bis 1990 lieferten sich die Geheimdienste von Nato und Warschauer Pakt hier ein fortwährendes Duell im Dunklen. Doch auch deutsche Spione mischten auf beiden Seiten mit: Erich Mielkes Stasi und Reinhard Gehlens Bundesnachrichtendienst zum Beispiel. Der Bau der Mauer 1961 veränderte die politische Situation. Dennoch blieb Berlin bis zur Friedlichen Revolution die Hauptstadt der Spione. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff und der Historiker Bernd von Kostka beschreiben die spektakulären Erfolge verschiedener Geheimdienste in der Stadt und ihr Scheitern bei anderen Vorhaben. - Spionagetunnel, Horchposten, Aufklärungsfahrten durch die DDR – so versuchten die westlichen Nachrichtendienste Informationen aus dem Osten zu erlangen - Entführungen, Gefängnisstrafen und Doppelagenten – die gefürchteten Methoden der Staatssicherheit - Neue Erkenntnisse gestützt auf erst kürzlich freigegebene Akten der Stasi und des BND, aus britischen und amerikanischen Archiven - Einmalige Einblicke in die Praxis des geheimen Krieges in Berlin

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Sammlungen



SVEN FELIX KELLERHOFF |BERND VON KOSTKA

HAUPTSTADTDER SPIONE

GEHEIMDIENSTE INBERLIN IM KALTEN KRIEG

BERLIN STORY VERLAG

IMPRESSUM

Kellerhoff, Sven Felix/Kostka, Bernd von:Hauptstadt der Spione — Geheimdienste in Berlin im Kalten Krieg1. Ausgabe — Berlin: Berlin Story Verlag 2016eISBN 978-3-95723-705-7

Auch erhältlich als Taschenbuch: ISBN 978-3-95723-087-4.

© Berlin Story Verlag GmbHLeuschnerdamm 7, 10999 BerlinTel.: (030) 20 91 17 80Fax: (030) 69 20 40 059UStID: DE291153827AG Berlin (Charlottenburg) HRB 152956 Bwww.BerlinStory-Verlag.deE-Mail: [email protected]: Norman BöschBearbeitung der Neuausgabe: Nadin Wildt

WWW.BERLINSTORY-VERLAG.DE

INHALT

VORWORT ZUR NEUAUSGABE

Sag’ niemals nie

VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

Die heißeste Front im Kalten Krieg

BERND VON KOSTKA

SPIONAGE-DREHKREUZ BERLIN

Nachrichtendienste in Berlin und Wien

Der Kalte Krieg wird wärmer

West-Berlin wird nicht aufgegeben

Auf die Plätze, fertig, los!

Fluch und Segen für die Geheimdienste

Das Ende einer Ära

AUFERSTANDEN AUS RUINEN…

Der Feind hört mit

Alles wird abgehört

Was wusste der Osten?

Traum-Duo des Ostens, Alptraum des Westens

Die »Quelle Kid«

Glanzloses Ende

GRABEN NACH GOLD

Ein unterirdischer Krimi

Handwerkliche Meisterleistung

Das Trumpf-Ass des Ostens

Der Tunnel fliegt auf

Jeder hat seine Erfolge

Geheimgang im Dornröschenschlaf

Sensationeller Fund

LIZENZ ZUM SPIONIEREN

Legale Spionage hinter dem Eisernen Vorhang

Im Wandel der Zeit

Freiwild in der DDR

Ein großer Fisch an der Angel

Irgendwann musste es passieren

SVEN FELIX KELLERHOFF

FRÜHE KONFRONTATION

Die Anfänge des geheimen Krieges

Der Kampf um die Polizei beginnt

Die Menschenfalle des Hans Kemritz

Die Polizei wird geteilt

MIELKES MANNEN

Ein Geheimdienst für die SED

Holpriger Anfang

Triumph eines Doppelmörders

Staat im Staate

»Feine Tschekisten«

Das MfS in Berlin

»Frauenspezifische Verwendung«

IM »DSCHUNGEL DER SPIONAGE«

Das Feindbild der SED

Zwischen Aufklärung und Terror

Auftrag Ausspähung

»Spionage« in aller Öffentlichkeit

»Menschenhandel«?

PRAXIS DES KALTEN KRIEGES

Ein echtes Schurkenstück

Verfassungsschützer auf Abwegen

Vier Jahre für den Kritiker

Gewarnt und dennoch kalt erwischt

Agent auf Abwegen

Fest im Griff

Der Mann, der »Dr. Lutter« hieß

Eine Absteige für die Stasi

Feind des Feindes

Untreuer Spion

FINALE

Der größte Coup

ANHANG

Anmerkungen

Quellen und Literatur

Bildnachweis

Danksagungen

VORWORT ZUR NEUAUSGABE

Abb. 1. Auf dem Dach der britischen Botschaft an der Wilhelmstraße steht eine rätselhafte weiße Verkleidung. Was sich darunter befindet, soll geheim bleiben.

 

SAG’ NIEMALS NIE

Wenn jemand es wissen muss, dann Hans-Georg Maaßen. »Berlin ist die europäische Hauptstadt der Agenten«, sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das nicht nur für nachrichtendienstliche Aufklärung innerhalb der Bundesrepublik zuständig ist, sondern auch für Spionageabwehr. Allerdings spricht Maaßen nicht über die Vergangenheit, über die Zeit der deutschen Teilung, als quer durch Berlin die heißeste Front im Kalten Krieg verlief. Er spricht über die Gegenwart, über das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Auch gegenwärtig gelte: »In keiner anderer Stadt gibt es mehr Spione.«1 Dabei hatten die Berliner doch gedacht, den Ruf ihrer Heimat als »Hauptstadt der Spione« nach dem Fall der Mauer, der Wiedervereinigung und dem Abzug der Westalliierten sowie der russischen Truppen ablegen zu können. Sie hatten gehofft, dieses Kapitel ihrer Geschichte hinter sich gelassen zu haben. Doch wie heißt ein 007-Thriller so treffend: »Never say never again« – »Sag’ niemals nie«.

Vielleicht haben es die heutigen Spione sogar leichter als ihre Vorgänger während der Blockkonfrontation. Jeder Tourist kennt die Abhörzentralen im Regierungsviertel; neben ihren Portalen hängen Bronzeschilder und an Masten stolz die Flaggen. Mindestens sechs Botschaften in der Innenstadt dienen mit größter Wahrscheinlichkeit als Horchposten: die US-Vertretung sowie die britische und die französische Botschaft am Pariser Platz, der spätstalinistische Palast Russlands Unter den Linden, außerdem der Plattenbau der nordkoreanischen Vertretung am Wilhelmplatz und Chinas diplomatischer Standort an der Jannowitzbrücke. Auf den Dächern all dieser Gebäude lassen sich ungewöhnliche Objekte erkennen, manchmal in Form einer weißen Tonne, manchmal aber auch eingebaut in Penthouseähnliche Aufbauten. Das mutmaßliche Ziel aller dieser Anlagen: der Mobilfunk der Bundesregierung, vor allem die Handys der Kanzlerin. Denn von Angela Merkel ist bekannt, dass sie am liebsten per SMS regiert. Noch bis vor kurzem benutzte sie dafür oft ein unverschlüsseltes, altertümliches Nokia-Modell mit ganz normalem Vodafone-Vertrag. Dieses Mobiltelefon hätte sogar ein Funkamateur ohne größere Probleme abhören können. Zwar hat die Kanzlerin auch ein besonders gesichertes, mutmaßlich abhörsicheres Telefon. Doch wenn sie damit jemanden erreichen will, braucht derjenige ein identisches Gerät. Jedenfalls für den Alltag als Parteichefin benutzte sie deshalb häufig ein Gerät, das weit unter dem Sicherheitsstandard aktueller Smartphones lag. Zeitweise belastete die »Handygate«-Affäre die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA massiv; von einem tiefgehenden Vertrauensverlust war die Rede. Ob die amerikanische National Security Agency, der Geheimdienst für elektronische Aufklärung, die Überwachung von Merkels Kommunikation tatsächlich eingestellt hat, wie Präsident Barack Obama versprochen hat, ist offen. Verlassen sollte man sich darauf nicht, denn Geheimdienste pflegen sich nicht an öffentliche politische Zusagen zu halten – täten sie es, bräuchte man sie nicht.

»Es gibt in Berlins Mitte Tausende Gesprächsverbindungen«, sagt Marcel Dickow, Experte für Cybersicherheit bei der Stiftung Politik und Wissenschaft in Berlin. »Wenn man die richtigen Nummern kennt, kann man auch viel abschöpfen. Was genau passiert, weiß aber niemand.« Ein zuverlässiger Schutz vor solchen Abhörmaßnahmen ist fast unmöglich. Die einzige Möglichkeit lebte vor Jahrzehnten, in der Zeit seiner Kanzlerschaft, Helmut Kohl vor. Weil die Autotelefone der 1980er- und 1990er-Jahre noch unsicherer waren als die heutigen Geräte, hatte sein Fahrer Eckhard Seeber stets genügend Münzen dabei, um seinem Chef bei spontanen Stopps an irgendwelchen öffentlichen Fernsprechern mit Kleingeld zu versorgen. »Man muss sich den Kanzler der Einheit stehend in einer einsamen Telefonzelle irgendwo im Regen vorstellen«, schreiben die Fachredakteure für Innere Sicherheit der Mediengruppe WELTN24 in einem Artikel zur »Handygate«-Affäre: »Sicher, zur hektischen Krisenpolitik des 21. Jahrhunderts will das nicht so recht passen. Aber eine Bundeskanzlerin muss vorsichtig sein. Denn wenn sie telefoniert, geht es schließlich nicht um Kochrezepte, sondern sehr oft ums Land.«2

Berlin ist auch in der Gegenwart ein Zentrum der internationalen Spionage. Diese Erkenntnis lädt ein zu einem Blick zurück in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Agenten und Nachrichtendienste die ehemalige Reichshauptstadt als liebstes Spielfeld entdeckten; davon handelt dieses Buch. Es ist erstmals im Sommer 2009 erschienen und hat seither zwei weitere Auflagen erlebt. Nach sieben Jahren erschien es uns angemessen, das gesamte Buch durchzusehen, zu aktualisieren und auf den neuesten Stand zu bringen. Denn auch wenn das Ende des Kalten Krieges mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegt, nimmt unser Wissen über das unsichtbare Ringen der Nachrichtendienste weiter zu. Neue Akten werden erschlossen; Zeitzeugen brechen ihr Schweigen; manchmal sind es reine Zufallsfunde, die unser Wissen über die Aktionen der Nachrichtendienste wesentlich erweitern.

In der Neuausgabe sind mehrere Kapitel hinzugekommen, andere konnten wesentlich erweitert werden. Der Todesschütze von Benno Ohnesorg, der West-Berliner Polizist und Stasispitzel Karl-Heinz Kurras, war erst im Frühjahr 2009 enttarnt worden. Gegenüber der Erstausgabe konnten mehr als 30 seinerzeit nicht verfügbare Aktenordner der Stasi eingearbeitet werden. Dagegen erfüllte sich die Hoffnung nicht, er könnte noch selbst Stellung beziehen: Kurras ist Ende 2014 gestorben, ohne noch irgendwelche sachdienlichen Angaben gemacht zu haben. Ein anderes Beispiel: Schon 1997 hatten die Mitarbeiter des AlliiertenMuseums die ersten Originalteile des amerikanisch-britischen Abhörtunnels in Berlin-Rudow ausgraben lassen. Unerwartet tauchten 2012 in einem Waldstück bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) zwei weitere Segmente auf. DDR-Pioniereinheiten hatten sie ausgegraben, 140 Kilometer nach Norden transportiert und als Kommando-Unterstände weiterverwendet. Oder Jeff Carney, ein US-Soldat, der jahrelang für die Stasi in der US-Abhörstation Berlin-Marienfelde als Spion tätig war. 1991 wurde er, längst in Ost-Berlin untergetaucht und in die DDR eingebürgert, von CIA-Agenten aufgespürt und entführt. Nach knapp zwölf Jahren Haft in den USA freigekommen, legte er 2013 seine Memoiren vor. Diese und weitere neue Erkenntnisse sind in diese Neuausgabe eingeflossen.

Ohnehin ist Spionage in Berlin aktueller denn je. Ende 2015 hat im Herzen der Stadt das Spy Museum Berlin am Leipziger Platz seine Pforten geöffnet. In diesem Museum wird die Geschichte der Spionage, von den Anfängen bis zur Gegenwart, erzählt. Auch der Neubau der BND-Zentrale an der Chausseestraße ist ein deutliches Zeichen für die Zukunft Berlins als Hauptstadt der Spione. Der künftige Hauptsitz des deutschen Auslandsnachrichtendienstes in Mitte wird rund 4000 Mitarbeitern einen Arbeitsplatz bieten. 2017 soll der Bau bezugsfertig sein. Nur technische Abteilungen sollen am bisherigen Standort in Pullach bei München bleiben.

Doch nicht nur städtebaulich wird das Spionage-Image der Stadt gerade gestärkt. Die Filmindustrie hat das Thema Kalter Krieg und Spionage gerade neu für sich entdeckt. »Deutschland 83« hieß eine Serie, in der 2015 acht Folgen lang ein DDR-Spion, der als rechte Hand eines Bundeswehr-Generals diente, NATO-Geheimnisse ausspionierte. Die deutsche Produktion wurde sogar vor der Ausstrahlung hierzulande in die USA verkauft, wo sie mit passablem Erfolg lief. Da sie auch von der Kritik hochgelobt wurde, denken die Produzenten über eine Fortsetzung der Serie nach. Ebenso entstand die fünfte Staffel der US-Erfolgsserie »Homeland« im vergangenen Jahr in Berlin. Für 2017 plant das ZDF den Dreiteiler »Der geteilte Himmel«, der im Agentenmilieu der 1970er-Jahre spielt. Regisseur Oliver Hirschbiegel setzt dieses Spionagethema filmisch um – und in welcher Stadt kann solch eine Handlung wohl spielen? Natürlich in Berlin. Um bei diesem Spionage-Wettlauf mitzumischen, bereitet auch die ARD eine mehrteilige Serie über die frühe Zeit der westdeutschen Nachrichtendienste in den 1950er-Jahren vor. Die Serie »Bonn« kommt voraussichtlich 2018 auf dem Bildschirm. Trotz des Titels wird die Viersektorenstadt sicher auch hier eine Rolle spielen. Und nicht nur die deutschen Fernsehanstalten haben das Thema Spionage für sich entdeckt, sondern auch Hollywood. Mit »Bridge of Spies« kam 2015 ein Thriller in die Kinos, dessen Haupterzählstrang vom Austausch des CIA-Piloten Gary Powers gegen KGB-Topspion Rudolf Abel handelt. Kein Geringerer als Steven Spielberg inszenierte den Film, mit Tom Hanks in der Hauptrolle, dessen Finale auf der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam spielt. Ebenso prominent besetzt ist ein Thriller, der 2017 in unsere Kinos kommt. Schon der Titel ist eine Hommage an die Spionagestadt Berlin: »The Coldest City«. Die Handlung spielt im Herbst 1989, als in der Stadt schon der politische Wandel spürbar war und die Montags-Demonstrationen in der ganzen DDR schon zum politischen Alltag gehörten. Eine britische Geheimagentin (Charlize Theron) soll eine verschwundene Liste mit Namen von Doppelagenten aus Berlin besorgen. Sowohl im Osten wie im Westen der Stadt, wo noch die alliierten Nachrichtendienste die Strippen ziehen, muss sich die Hauptdarstellerin mit viel Körpereinsatz durchschlagen. Im Gegensatz zu dem an historischen Ereignissen angelehnten Film »Bridge of Spies« orientiert sich »The Coldest City« nicht an realen Personen oder Handlungen, sondern kommt als Actionfilm daher.3 Trotzdem erinnert die im Film gesuchte Agentenliste sehr an die Rosenholz-Dateien der DDR-Staatssicherheit, die den Abschluss dieses Buches bilden.

Spionage in Berlin ist eben nicht nur ein historisches Phänomen, sondern ist heute immer noch brandaktuell. Die Stadt ist gegenwärtig ein »Hot Spot« für alles, was mit Nachrichtendiensten zu tun hat – ob in der Realität oder in der medialen Verarbeitung durch Film und Fernsehen. Wann diese besondere Aufmerksamkeit wieder abnimmt, ist noch nicht abzusehen – wir vermuten, dass dieses hochbrisante Thema nie an Interesse verlieren wird. Doch Vorsicht: »Sag’ niemals nie«!

Berlin, 17. Juni 2016

Sven Felix Kellerhoff

Bernd von Kostka

VORWORT ZURERSTEN AUFLAGE

Abb. 2. Natürlich Berlin, natürlich Checkpoint Charlie: Das Filmplakat f ür den Agententhr iller »Der Spion, der aus der Kälte kam« zeigt den in Dublin nachgebauten »Grenzübergang«.

 

DIE HEISSESTE FRONT IM KALTEN KRIEG

Besonders beeindruckend fand Martin Ritt die Berliner Mauer nicht: nur grob aufgeschichtete Steine, aus Beton oder Ziegel, behelfsmäßig mit Zement zusammengefügt und mit mal mehr, mal weniger Stacheldraht bewehrt. Kein Problem für einen Filmarchitekten, das nachzubauen. Der erfolgreiche Hollywood-Regisseur hatte sich im Sommer 1964 auf den Weg nach West-Berlin gemacht, um nach möglichen Drehorten für sein nächstes Projekt zu suchen – und um die Atmosphäre zu schnuppern, die seinem Spielfilm »Der Spion, der aus der Kälte kam« nach dem gleichnamigen Buch von John Le Carré das entscheidende Quentchen Authentizität geben sollte. Ritt war sogar, sein US-Pass ermöglichte es ihm, über den als Checkpoint Charlie bekannten Grenzübergang vom amerikanischen in den sowjetischen Sektor der geteilten Stadt gegangen. Doch ein Blick auf die Verhältnisse jenseits der Mauer genügte ihm, um festzustellen, dass er sich jede Anfrage nach einer Dreherlaubnis sparen konnte: »Solch einen Film muss ich in völliger Freiheit drehen. Man würde mich drüben nicht filmen lassen, weil man natürlich mit dem Inhalt nicht einverstanden sein kann.« Also nahm er von seinem ursprünglichen Plan Abstand, am Originalschauplatz zu drehen, und ließ die Berliner Mauer stattdessen im Januar 1965 noch einmal errichten, am Smithfield Market mitten in der Altstadt von Dublin. 42 Tagund Nachtschichten brauchten rund fünfzig irische Arbeiter, um eine detaillierte Rekonstruktion des Grenzübergangs zu errichten. Gespenstisch genau glich die nachgebaute Szenerie der Realität. Zwar lag um die Ecke auf »Ost-Berliner« Seite der Kulisse eine Whiskey-Brennerei namens Jameson Distillery. An ihr mussten die »sowjetischen Soldaten« immer wieder vorbeirauschen, wenn sie im Eiltempo zum »Grenzübergang« fuhren, um die Flucht des britischen Doppel- oder auch Dreifachagenten »Alec Leamas« und seiner Freundin gewaltsam zu verhindern. Doch selbst wenn sich die Komparsen in ihren Rotarmisten-Uniformen seltsam vorkamen, wie sie westdeutschen Reportern beim Pressetermin auf dem Set zu Protokoll gaben: Gebannt auf Zelluloid war der Unterschied zwischen der echten Grenze in Berlin und der Kulisse in Dublin außer für Einheimische nicht mehr zu erkennen. Martin Ritt jedenfalls war zufrieden: »Mir ist wichtig, was die Mauer bedeutet. Sie ist der Angelpunkt des schmutzigen Geschäftes, das man Spionage, Abwehr, Aufklärung oder wie immer nennt.«1

»Der Spion, der aus der Kälte kam« ist nur einer von vielen Agentenfilmen, die während des Kalten Krieges spielen und deren zentrale Szenen wie selbstverständlich in Berlin angesiedelt sind. »Torn Curtain« von Alfred Hitchcock, »Funeral in Berlin« von Guy Hamilton, »The Innocent« von John Schlesinger oder der James-Bond-Thriller »Octopussy« von John Glen sind nur einige Beispiele dafür. Spionage und Berlin – das sind für die Jahrzehnte zwischen dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums Synonyme. Nirgends trafen die beiden Blöcke direkter aufeinander als an der innerstädtischen Grenze. Bis die Mauer quer durch die Millionenstadt errichtet wurde, lag hier die »unsichtbare Front« in einer sehr schmutzigen geheimen Auseinandersetzung, der Brennpunkt einer höchst gefährlichen, oft mörderischen Konfrontation, die zudem ungeheuer viel Geld verschlang. In den fünfziger Jahren gehörten Kalter Krieg und Spionage zum Alltag Berlins in Ost und West. Ein gutes Bild der nachrichtendienstlichen Situation in dieser Zeit liefert die Autobiografie des britischen Doppelagenten George Blake. Er beschreibt die vielfältigen Aktivitäten der verschiedenen Nachrichtendienste als ein großes Spinnennetz, das über ganz Berlin gespannt ist. »Man gewann den Eindruck, dass wenigstens jeder zweite erwachsene Berliner für irgendeine Spionageorganisation arbeitete, viele davon für mehrere gleichzeitig.«2 Das blieb auch nach der Abriegelung West-Berlins am 13. August 1961 so. Gewiss, die Lebensumstände in der ehemaligen deutschen Hauptstadt hatten sich geändert und damit auch die Rahmenbedingungen, unter denen Agenten die Gegenseite zu überwachen, zu infiltrieren oder auf andere Weise zu schädigen versuchten. Die unsichtbare Front war jetzt betoniert und unübersehbar. Das Grundsätzliche aber hatte sich nicht geändert: Berlin war und blieb die Hauptstadt der Spione. Es war ein jahrzehntelanges Kräftemessen, das erst mit der Wiedervereinigung 1990 endete.

Umso überraschender ist es, dass es bisher kaum Bücher über das Wirken der Geheimdienste während des Kalten Krieges in Berlin gibt. Über den Mauerbau und den Volksaufstand vom 17. Juni sind unzählige Bücher erschienen, ebenso über die Stasi und ihre krakenartige Struktur, die im Auftrag der SED die ganze DDR, aber in erschreckend großem Maße auch West-Berlin und die Bundesrepublik durchwucherte. Zwei Veteranen des geheimen Krieges haben gemeinsam zwar ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel »Die unsichtbare Front« vorgelegt. Doch David E. Murphy und Sergej A. Kondraschow sowie der Armee-Offizier George Bailey beschränken sich weitgehend auf die Auseinandersetzungen zwischen den Geheimdiensten der ehemaligen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition; die deutschen Mitspieler kommen kaum vor. Doch im Berlin des Kalten Krieges waren sie auf ihre Weise genauso wichtig wie die natürlich viel mächtigeren alliierten Dienste. Außerdem reicht das Buch der Ex-Agenten nur bis zum Mauerbau – doch der geheime Krieg in und um Berlin dauerte mindestens an bis zur Friedlichen Revolution, deren 20. Jahrestag Deutschland dieses Jahr feiert. Auch von deutschen Autoren gibt es bisher keine Darstellung des Schlachtfeldes der Agenten. Die Publizisten Klaus Behling und Thomas Flemming haben Bücher mit dem identischen Titel »Berlin im Kalten Krieg« herausgebracht, die beide nützlich sind, aber ihrem Anspruch kaum gerecht werden. Behling beschränkt sich auf die Aufzählung von Schauplätzen der Auseinandersetzung, Flemming kann auf seinen knapp 80 Seiten das Ringen der Geheimdienste nur anreißen.

Die unbefriedigende Situation liegt auch an mangelnden Informationen. Noch immer sind zahlreiche Geheimdienstakten gesperrt. Als der renommierte britische Historiker David Stafford vor wenigen Jahren sein Buch »Berlin underground« schrieb, erhielt er überhaupt keine offiziellen Informationen des britischen Geheimdienstes: Der Spionagetunnel von Rudow zum Beispiel ist auch heute noch ein Tabu-Thema in Großbritannien. Nicht viel besser ist die Lage in den USA. Der historische Stab der CIA hat zwar schon vor zehn Jahren mehrere Hundert Dokumente des geheimen Krieges in der Zeit von 1946 bis 1961 vorgelegt, doch bereits freigegebene Dokumente zum Berliner Spionagetunnel, die 2007 auf der Internetseite der CIA eingesehen werden konnten, wurden nachträglich teilweise wieder aus dem Netz genommen oder unleserlich gemacht.3 Noch schwieriger gestaltet sich die Recherche zur Arbeit der Abhörstation auf dem Teufelsberg, da bis heute dazu keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen – weil die amerikanischen Quellen zur inhaltlichen Arbeit nicht einsehbar sind. Die Operation ist immer noch als »Top Secret« eingestuft.

Auf deutscher Seite ist die Lage nur zum Teil besser. Die Stasiunterlagen-Behörde hat zahlreiche Quellen aus den Archiven der ostdeutschen Staatssicherheit zugänglich gemacht. Aber zu den Aktivitäten des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes in dieser Zeit liegt zur Militärspionage lediglich eine, wenn auch sehr gute und mit ehemaligen Verschlusssachen gesättigte Untersuchung vor; die bei Weitem meisten Unterlagen bundesdeutscher Dienste sind entweder noch gesperrt oder beseitigt worden. Jedoch auch außerhalb der Archive sind zahlreiche Details über den Krieg der Nachrichtendienste in Berlin verfügbar. Denn auch wenn Geheimdienste diesen Kampf führten: Er zielte mindestens auch auf die Öffentlichkeit und spielte sich daher teilweise öffentlich ab.

Die Propagandaschlachten zwischen Ost und West haben eine ungeheure Menge an Material hervorgebracht, das größtenteils noch auf eine sachgerechte Auswertung wartet.

Umso schwerer war es, eine sowohl logische als auch für den Leser spannende Form für dieses Buch zu finden. Die beiden Autoren haben sich dafür entschieden, den Kampf der Geheimdienste entsprechend der tatsächlichen Strukturen zu beschreiben: Den Alliierten, die sich formal die Zuständigkeit für Berlin noch bis 1990 teilten, ist der erste Teil des Bandes gewidmet, den deutschen Diensten der zweite. Wann immer alliierte Interessen in dieser Auseinandersetzung berührt waren, hatten die deutschen Teilnehmer an dem riskanten Spiel nichts mehr zu melden – und zwar sowohl im diktatorisch regierten Osten als auch im demokratischen Westen. Um diesen Vorrang deutlich zu machen, war klar, dass der Teil über die Aktivitäten vor allem der drei westlichen Mächte, verfasst von Bernd von Kostka, am Anfang des Buches stehen muss. Aufgrund der sehr lückenhaften Quellenlage war aber eine Gesamtdarstellung der nachrichtendienstlichen Arbeit der drei Westmächte zwischen 1945 und 1990 nicht möglich. Daher hat sich Bernd von Kostka entschlossen, einige bislang zu wenig beachtete Episoden sowie wichtige Einrichtungen näher unter die Lupe zu nehmen. Ausgehend von der Entstehung des Spionagedrehkreuzes Berlin nach 1945, klärt dieser Teil auf über die weithin sichtbare Abhörstation der Alliierten auf dem Teufelsberg sowie über die Gegenmaßnahmen des KGB und der Stasi. Er befreit die vielleicht spektakulärste Einzeloperation des geheimen Krieges, den britisch-amerikanischen Abhörtunnel von Rudow, von vielen Legenden und geht der riskanten Tätigkeit der »legalen Spione« der alliierten Militärverbindungsmissionen in der DDR nach. Im zweiten Teil von Sven Felix Kellerhoff geht es um die deutschen Geheimdienste und ihre Rolle in der »Hauptstadt der Spione«. Auch hier erzwang die Quellenlage Beschränkungen. Nach der Schilderung der Frühzeit des geheimen Krieges aus deutscher Sicht geht es um die ostdeutsche Staatssicherheit und die Institutionen im vermeintlichen »Spionage-Dschungel« West-Berlin, bevor ein halbes Dutzend konkreter Fälle die Praxis des Kalten Krieges illustrieren wird. Gerade im Geheimdienstmilieu ist man vor Sensationen nicht gefeit. Unmittelbar vor Fertigstellung dieses Buches sorgte die Entlarvung des West-Berliner Kriminalbeamten Karl-Heinz Kurras als eifriger Stasi-Spitzel und überzeugter Kommunist für großes Aufsehen. Dieser überraschende Fall konnte noch als ein weiteres Beispiel für die Praxis des Kalten Krieges in dieses Buch aufgenommen werden.

Berlin, 17. Juni 2009

Sven Felix Kellerhoff

Bernd von Kostka

BERND VON KOSTKA

Abb. 3

 

SPIONAGE-DREHKREUZ BERLIN

Abb. 4. »Eure Angelegenheiten . . . sind ihre Angelegenheiten«, Plakat der US-Militärregierungin Berlin, achtziger Jahre

 

NACHRICHTENDIENSTEIN BERLIN UND WIEN

IDEALE BEDINGUNGEN FÜR SPIONE

Berlin besaß nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ideale geografische und politische Voraussetzungen für das Entstehen einer großen und bedeutsamen Operationsbasis geheimdienstlicher Aktivitäten. Als Schnittstelle zwischen West und Ost ging von Berlin eine nahezu magische Anziehungskraft auf westliche und östliche Geheimdienste aus. Von Berlin aus konnten sie Operationen hinter dem Eisernen Vorhang planen und durchführen. Nach dem Bau der Mauer war Berlin die Stadt, die weltweit zum Symbol für den Kalten Krieg wurde. Man könnte fast sagen, Berlin bot »einmalige« Voraussetzungen, wäre da nicht die Hauptstadt Österreichs gewesen.

Wien hatte zehn Jahre lang, von 1945 bis 1955, sehr ähnliche geo-politische Strukturen vorzuweisen, denn es wurde ebenfalls unter den drei westlichen Besatzungsmächten sowie der Sowjetunion aufgeteilt. Diese historische Situation wird auch in dem berühmten Film »Der Dritte Mann« mit Orson Welles aus dem Jahr 1948 aufgegriffen. Das besondere Merkmal Wiens im Vergleich zu Berlin war jedoch ein von allen vier Mächten verwalteter Sektor im 1. Bezirk. Die Rekrutierungsmöglichkeiten in Österreich waren für die Geheimdienste der Westmächte ideal. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren profitierten diese von vielen Hundert Überläufern aus dem sowjetischen Besatzungspersonal Österreichs und Ungarns. Für besonders wichtige Überläufer waren eigens sogenannte »rat lines«, »Rattenlinien«, eingerichtet worden, um sie auf Umwegen nach Südamerika zu schleusen, wo sie eine neue Identität erhielten. Dies galt auch für ehemalige Größen des Nationalsozialismus: Denn auch die Zugehörigkeitzur SS oder die aktive Teilnahme an Kriegsverbrechen disqualifizierten einen möglichen Informanten nicht für nachrichtendienstliche Tätigkeiten.1 Zudem bezahlten die Amerikaner ihren hauptamtlichen Informanten in Österreich zwischen 130 und 200 US-Dollar, was in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein durchaus wichtiger wirtschaftlicher Anreiz war. Ein ähnlicher Preis wurde sicher auch in Berlin für den Verkauf von Informationen erzielt.

Nach der Beendigung der Besetzung Österreichs 1955 brachten die jeweiligen Staaten ihre nachrichtendienstlichen Mitarbeiter, meist getarnt durch eine legale Betätigung, in ihren Botschaften unter, oftmals in der Wirtschafts- oder Kulturabteilung. Der verstorbene Wiener Altbürgermeister Helmut Zilk (Bürgermeister von 1984 bis 1994) sagte, dass die Russen und Chinesen mit der Anzahl der Botschaftsangehörigen in Wien etwa 20 andere Botschaften hätten ausstatten können.2 Trotz der großen Bedeutung, die Wien als Zentrum für Spionageaktivitäten in Europa bis zum Abzug der Besatzungstruppen 1955 hatte, führten Ende der vierziger Jahre verschiedene Ereignisse dazu, dass Berlin in den folgenden Jahren – ja sogar Jahrzehnten – zur unumstrittenen Nummer eins der Spionage wurde. Die Blockade Berlins als erste Konfrontation im Kalten Krieg, die Gründung der beiden deutschen Staaten und schließlich die 45-jährige Präsenz der vier Siegermächte in Berlin waren wichtige Stationen der Stadt auf ihrem Weg zur Hauptstadt der Spione.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges besaßen die Vereinigten Staaten keine nennenswerte Auslandsaufklärung.3 Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Amerika ein Büro für strategische Dienste gegründet (Office of Strategic Services/OSS). Dieser Nachrichtendienst stand unter dem Kommando von General William J. Donovan und wurde nach Kriegsende im Oktober 1945 wieder aufgelöst. Die OSS-Abteilungen »Spionage« und »Spionageabwehr« wurden jedoch dem Kriegsministerium unterstellt und dann in die Central Intelligence Group (CIG) überführt, die einige Monate später gegründet wurde. An die Stelle der CIG trat schließlich am 18. September 1947 die Central Intelligence Agency (CIA), der zentrale Nachrichtendienst. Natürlich unterhielten auch die amerikanischen Luft-, See- und Landstreitkräfte ihre eigenen nachrichtendienstlichen Abteilungen, und in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurden weitere Nachrichtendienste gegründet, aber die CIA sollte in der Zeit des Kalten Krieges der bekannteste und wohl auch einflussreichste amerikanische Nachrichtendienst bleiben. Dass die CIA zum Synonym für die amerikanischen Spionageaktivitäten wurde und dies wohl auch heute noch ist, liegt sicherlich daran, dass der jeweilige Direktor der CIA auch gleichzeitig für die Koordination sämtlicher US-Nachrichtendienste zuständig ist. Abgesehen von dieser organisatorisch herausgehobenen Stellung der CIA innerhalb der US-Nachrichtendienste prägten und prägen natürlich Romane und Spielfilme unser Bild von der CIA. Die CIA zeigte über viele Jahrzehnte großes Interesse an Deutschland und insbesondere an Berlin. Vor allem die CIA-Abteilungen für Nachrichtenbeschaffung (Office of Special Operations) und für geheime Unternehmungen, die den irreführenden Namen »Büro für politische Koordination« (Office of Policy Coordination) trug, waren an Berlin interessiert. Doch die Situation vor Ort war wenig ermutigend. In den ersten Jahren der Besatzung wusste man von der – damals noch verbündeten – Sowjetunion extrem wenig. Der spätere CIA-Direktor Richard Helms war 1945 als Leutnant für das OSS in Berlin tätig. Er berichtete später, die Kenntnis über Pläne der anderen Seite sei nahezu gleich null gewesen. »Hatte man ein Telefonbuch oder die Karte eines Flugplatzes aufgetrieben, dann war das schon etwas ganz Tolles.«4

Abb. 5. Salut vor dem Brandenburger Tor während einer Parade, an der alle vier Siegermächte teilnahmen, Sommer1945

Wie in Wien haben die Amerikaner natürlich auch in Berlin ihre Informationen gekauft – und in der Regel gut dafür bezahlt. Diese Geschäftspraktik sollte zu einem großen Problem für die CIA werden, wie sich jedoch erst viele Jahre später herausstellte. Informanten, die gerade nichts anzubieten hatten, erfanden einfach Nachrichten! Je mehr Geld für den Kauf von Nachrichten ausgegeben wurde, desto wertloser waren diese in der Regel. Binnen weniger Jahre hatte sich ein regelrechtes Netzwerk von Nachrichtenproduzenten gebildet, die Fälschungen in Umlauf brachten. Ihr Ziel war es nicht unbedingt, der CIA zu schaden. Sie nutzen ganz einfach die lukrative Marktsituation für sich. Richard Helms kam viele Jahre später zu dem Schluss, »daß die im Aktenmaterial der CIA enthaltenen Informationen über die Sowjetunion und Osteuropa mindestens zur Hälfte reiner Schwindel gewesen seien. Die CIA-Büros in Berlin und Wien waren zu Produktionsstätten von erfundenen Nachrichten geworden.«5 Die CIA-Analysten waren damals kaum in der Lage, Fakten von Fälschungen zu unterscheiden. Zu wenig wussten sie über die Vorgänge hinter dem Eisernen Vorhang, und die wenigen Informationen, die sie bekamen, konnten sie nicht zur Kontrolle mit anderen Quellen abgleichen. Bis 1947 gab es bei den Amerikanern in Berlin keinen Geheimdienstoffizier mit russischen Sprachkenntnissen, obwohl Berlin eigentlich eine zentrale Rolle bei den nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen die Sowjetunion spielen sollte.6 Der US-Nachrichtendienst saß nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Villa im Bezirk Zehlendorf (Föhrenweg 19-21) und zog Anfang der fünfziger Jahre in das nur wenige hundert Meter entfernte Hauptquartier der US-Streitkräfte in der Clayallee.

Von 1945 bis zur Gründung des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit (KGB) 1954 waren die Struktur und die Organisation der sowjetischen Nachrichtendienste in Deutschland teilweise so verwirrend, dass sogar in einer Reihe eigener sowjetischer Berichte falsche Zuständigkeiten genannt wurden.7Dies führte aber auch dazu, dass die amerikanische Seite ebenso im Dunkeln tappte, was die jeweilige Zuständigkeit auf sowjetischer Seite betraf. Hinzu kam, dass die Tarnung der nachrichtendienstlichen Stellen auf sowjetischer Seite so gut war, dass sich die westlichen Nachrichtendienste kein richtiges Bild von deren Arbeit und von den Mitarbeitern machen konnten.8 Folgende Organisationen waren auf sowjetischer Seite nachrichtendienstlich aktiv: NKGB (Volkskommissariat für Staatssicherheit), MGB (Ministerium für Staatssicherheit) und KGB (Komitee für Staatssicherheit) als Organe für die Aufklärung. Parallel dazu existierte einige Jahre lang auch noch der Auslandsnachrichtendienst KI (Komitee für Information) und natürlich die Aufklärungsabteilung des Generalstabes der sowjetischen Streitkräfte, der GRU.9

Abb. 6. Der amerikanische General George Patton und der sowjetische Marschall Georgi Schukow bei einer Parade in Berlin, 7. September 1945

Mit der Übernahme der sowjetischen Zone im Deutschland der Nachkriegszeit wurde auch schnellstmöglich eine nachrichtendienstliche Abteilung in Ost-Berlin errichtet. Im August 1945 bestand die Residentur des sowjetischen Auslandsnachrichtendienstes in Karlshorst lediglich aus sechs Offizieren. Wenige Jahre später waren bereits 90 Offiziere im operativen Sektor des sowjetischen Nachrichtendienstes in der sowjetischen Zone tätig. Ab Frühjahr 1946 ging das NKGB in das MGB über, das allerdings 1947 den Auslandsnachrichtendienst schon wieder an das neu gegründete KI abgeben musste. Dies belastete das Verhältnis zwischen KI und MGB, insbesondere in Ost-Berlin, erheblich. Die mangelnde Kooperation der beiden Nachrichtendienste sollte bis zur Auflösung des KI Ende 1951 anhalten. Die Differenzen wurden schließlich beendet, als Anfang 1952 das MGB die Kontrolle über den Auslandsnachrichtendienst zurückerhielt.10 Mit der Gründung des KGB 1954 übernahm dieser die Auslandsspionage. Das Hauptproblem des sowjetischen Nachrichtendienstes zeigte sich zu Beginn der Berlin-Blockade und sollte sich wie ein roter Faden durch die Zeit des Kalten Krieges ziehen. Die Berichte, die nach Moskau geschickt wurden, entsprachen nicht unbedingt den realen Ereignissen vor Ort, vielmehr antizipierten sie, was man in Moskau hören wollte. Dieses Phänomen war unter Josef Stalin besonders stark ausgeprägt und führte de facto zu falschen und irreführenden Berichten, weil niemand das Risiko eingehen wollte, Stalin schlechte Nachrichten zu übermitteln.11

 

 

DER KALTE KRIEG WIRD WÄRMER

DIE ERSTE KRISE UM BERLIN

Das erste wichtige Ereignis in der Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR war die sowjetische Blockade Berlins im Juni 1948 und die von den Westmächten in der Folge errichtete Luftbrücke. Das zweite war die Gründung der beiden deutschen Staaten 1949. Bereits im Jahre 1947 wurde mit der Truman-Doktrin, der Entwicklung des Marshall-Plans und schließlich mit der ergebnislosen Londoner Konferenz zur Deutschlandfrage das Ende der gemeinsamen Politik der Großmächte USA und UdSSR beschleunigt. Im selben Jahr prägte der US-Journalist Walter Lippmann den Begriff »Kalter Krieg« (The Cold War) für die zu erwartende Auseinandersetzung zwischen den beiden Großmächten. Berlin war der Ort, an dem es erstmals zu einem direkten Aufeinandertreffen der beiden Gegenspieler kam. Von Seiten der CIA gab es bereits am 22. Dezember 1947 ein Memorandum an US-Präsident Harry S. Truman mit der Aussage, die Sowjetunion werde den Versuch unternehmen, den Abzug der Westmächte aus Berlin zu erzwingen.12Wie ernst die Lage in Berlin im Frühjahr 1948 eingeschätzt wurde, belegen ein Telegramm von Clay und ein Memorandum der CIA. Der amerikanische Militärgouverneur in Deutschland, General Lucius D. Clay, setzte ursprünglich bei Verhandlungen mit seinem Partner, dem sowjetischen Militärgouverneur Marschall Georgij Schukow, auf gute Beziehungen und auf Kooperation. Als Schukow im März 1946 durch Marschall Wassilij Sokolowski ersetzt wurde, verschlechterte sich die Beziehung zwischen den amerikanischen und den sowjetischen Partnern, was die Vier-Mächte-Verwaltung Deutschlands natürlich deutlich erschwerte. Clay nahm diesen Wandel im Verhältnis zur sowjetischen Seite nur langsam wahr. Ein Bericht der CIA-Basis in Berlin, die als Berlin Operation Base (BOB) bezeichnet wurde, beschreibt die veränderte Haltung von Clay gegenüber dem Nachrichtendienst. Clay stand der Arbeit der US-Nachrichtendienste demnach zunehmend wohlwollend gegenüber. Die CIA sah dies in einer schrittweisen Desillusionierung Clays bezüglich des Verhältnisses zur sowjetischen Seite begründet.13

Der Höhepunkt dieser veränderten Haltung gegenüber der Sowjetunion wird in einem Telegramm deutlich, das Clay am 5. März 1948 nach Washington schickte. Darin schrieb er, er sei ursprünglich davon ausgegangen, dass es in den folgenden Jahren nicht zu einem Krieg kommen würde. Er habe jedoch auf sowjetischer Seite Veränderungen wahrgenommen, die ihm nun das Gefühl geben würden, es könne plötzlich und sehr schnell zu einem Krieg kommen. Clay betonte, dass er dies nicht mit Fakten oder Beweisen untermauern könne. Es handele sich lediglich um sein persönliches, jedoch sehr reales Gefühl.14 Clay sah sein Telegram nicht als eine Art »Kriegswarnung« an. Im Pentagon wurde es jedoch sehr ernst genommen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Krieges in Europa? Die Meinungen dazu fielen bei den verschiedenen Analysten unterschiedlich aus. Der Direktor der CIA, Roscoe H. Hillenkoetter, gab sich mit den verschiedenen Lageeinschätzungen der Analysten nicht zufrieden. Er wollte klare Aussagen über einen bevorstehenden Krieg, um sie dann Präsident Truman vorzulegen. Das Trauma vom Überraschungsangriff auf Pearl Harbor, der die Amerikaner hilflos traf, war noch nicht überwunden. Nicht zuletzt war dies natürlich auch einer der Gründe gewesen, warum die CIA ins Leben gerufen worden war. Am 16. März 1948 stellte Hillenkoetter drei präzise Fragen, die ein Komitee aus den verschiedenen Nachrichtendiensten unter Vorsitz der CIA beantworten sollte:

1) Werden die Sowjets bewusst in den nächsten 30 Tagen einen Krieg provozieren?

2) In den nächsten 60 Tagen?

3) Im Jahr 1948?

Die ersten beiden Fragen wurden noch am selben Tag mit»Nein« beantwortet. Zur Beantwortung der dritten Frage bat sich das Komitee etwas mehr Zeit aus und beantwortete die Frage schließlich am 2. April. Die Wahrscheinlichkeit für einen von der Sowjetunion begonnenen Krieg wurde als gering eingestuft.15 Trotzdem bestand die Gefahr, wegen der besonderen Situation in Berlin in einen bewaffneten Konflikt hineinzugeraten. Sowjetische Truppenverlegungen, Manöver und Zwischenfälle an den Sektorengrenzen trugen zu einer weiteren Beunruhigung der amerikanischen Militärs in Berlin bei.

Abb. 7. Sitzung der Kommission für Gesundheit in der Alliierten Kommandantur Berlin, in welche die vier Siegermächte ihre Vertreter entsandten, um 1946/47

Im April 1948 führte die sowjetische Seite Kontrollen auf dem Schienenweg nach Berlin ein, die von den Westmächten nicht akzeptiert werden konnten. Eine Einstellung des kompletten Schienenverkehrs für zwölf Tage war die Folge. In dieser Zeit begannen die Amerikaner, den Nachschub für ihre Garnison in Berlin durch Versorgungsflüge zu unterstützen.16Führende Militärs auf westlicher Seite erkannten, dass die Versorgung der Stadt und die Präsenz der Westmächte letztendlich vom guten Willen der sowjetischen Seite abhängig waren.

Andererseits brachten die Ereignisse vom April eine wichtige Erkenntnis für Clay und seine Vorgesetzten in Washington. Die amerikanische Besatzungsmacht in Berlin stand vor einer politischen Herausforderung – ein Krieg oder eine militärische Auseinandersetzung schienen jedoch nicht in der Absicht der Sowjetunion zu liegen.

 

WEST-BERLIN WIRDNICHT AUFGEGEBEN

BERLIN-BLOCKADE UND LUFTBRÜCKE

In den ersten Nachkriegsjahren versäumten es die Westmächte, mit der Sowjetunion Verträge oder verbindliche Regelungen über ihre Zugangswege nach Berlin auszuhandeln. Die Westmächte hielten es für selbstverständlich, von ihrer Besatzungszone aus in ihren Sektor nach Berlin reisen zu können. Daher hatte der Abschluss von Verträgen über die Zugangswege zu Lande oder zu Wasser keine Priorität– ein verhängnisvolle Fehleinschätzung, wie sich bald herausstellten sollte. Lediglich ein Luftfahrtabkommen war 1946 von allen vier Besatzungsmächten abgeschlossen und ratifiziert worden. Die Idee des Abkommens ging auf die sowjetische Initiative zurück, die damit einen unkontrollierten Flugverkehr über der sowjetischen Zone vermeiden wollte. Mit dem Luftfahrtabkommen wurden die drei Luftkorridore von und nach Berlin festgelegt. In Höhe, Breite und Länge definiert, waren die drei Korridore bis in die Neunzigerjahre gültig.

Was veranlasste die Sowjetunion dazu, eine Blockade über West-Berlin zu verhängen? Obwohl keine sowjetischen Dokumente bekannt sind, welche die Entstehung der Idee für eine Blockade und die Motivation auf sowjetischer Seite eindeutig belegen, lassen sich darüber heute einige Rückschlüsse ziehen. Demnach war die Blockade wohl die unmittelbare Reaktion auf die Währungsreform in den Westzonen Deutschlands im Juni 1948, die schließlich auch auf die Westsektoren Berlins ausgedehnt wurde. Die Grundidee der Blockade war denkbar einfach. Die sowjetische Seite hatte die Kontrolle über die Zufahrtswege nach Berlin und somit über die Lebensadern der Stadt. Das Abschnüren dieser Lebensader würde den West-Berlinern die Schwäche und die Unfähigkeit der Westmächte und deren Besatzung deutlich machen. Amerika, Großbritannien und Frankreich würden sich in letzter Konsequenz aus der Stadt zurückziehen müssen und der unbequeme »Stachel« West-Berlin inmitten der sowjetischen Zone könnte gezogen werden. Verschiedene Fehleinschätzungen auf östlicher Seite, sicherlich auch auf Seiten des sowjetischen Geheimdienstes, führten jedoch letztlich zum Misserfolg der Blockade. Zuallererst hatte man den handelnden Personen auf westlicher Seite, US-Militärgouverneur Lucius D. Clay und US-Präsident Harry S. Truman sowie dem britischen Außenminister Ernest Bevin, das bedingungslose Engagement für Berlin nicht zugetraut. Zweitens hatte man die logistischen Fähigkeiten der anglo-amerikanischen Luftflotte unterschätzt. Drittens, wenn auch weniger bedeutend, war die Abhängigkeit der Wirtschaft in der Ostzone von den nun ausbleibenden Importen aus der Westzone nicht erkannt worden.

Abb. 8. Die Skizze stellt die drei Luftkorridore von und nach Berlin dar und zeigt die amerikanischen und britischen Flughäfen der Luftbrücke.

Die logistische Leistung, die mit der Luftbrücke nach West-Berlin einherging, ist legendär und führte schließlich zur Aufhebung der Blockade. Wenig bekannt hingegen ist dieTatsache, dass während der Luftbrücke eine große Anzahl von Spionageflügen stattfand. Die Amerikaner schickten regelmäßig Flugzeuge mit hochauflösender Fototechnik an Bord durch die Luftkorridore nach Berlin, um das Territorium der sowjetischen Zone, der späteren DDR, fototechnisch aufzuklären.17 Diese Flugzeuge wurden in den großen Strom der Transportflugzeuge eingefädelt, landeten jedoch nicht in Berlin, sondern beflogen nur die Korridore. Interessanterweise sind diese Spionageflüge bis zum Fall der Mauer 1989 aufrechterhalten worden, sodass dieses Gebiet unterhalb der drei Luftkorridore mehr als vierzig Jahre lang sicherlich zum bestdokumentierten Territorium weltweit gehörte.

Abb. 9. Britische Dakotas landen anlässlich der offiziellen Eröffnung des neuen Flughafens am 18. November 1948 in Tegel

Die Überwindung der Blockade führte zu der Erkenntnis, dass eine schwere politische Krise mit logistischen Mitteln, also unter Verzicht auf militärische Maßnahmen, gelöst werden konnte, denn weder Kampfflugzeuge noch Raketen halfen bei der Lösung dieser ersten Krise im Kalten Krieg. Zugleich hatte die Berliner Luftbrücke gezeigt, wie groß die Anstrengungen auch künftig sein mussten, um bei Problemen und Krisen zu verhindern, dass aus dem Kalten Krieg ein »heißer« wird.Ein weiteres bedeutendes Ereignis, welches Berlin zur »Hauptstadt der Spione« machen sollte, war die Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. An der deutschdeutschen Grenze wurde langsam der Eiserne Vorhang heruntergelassen. West-Berlin war die Enklave hinter diesem Vorhang, der Vorposten der Westmächte, und somit natürlich die ideale Basis für Operationen der westlichen Geheimdienste, die in den Staaten des Warschauer Paktes durchgeführt werden sollten.

 

AUF DIE PLÄTZE,FERTIG, LOS!

DIE AKTIVITÄTEN DES FRANZÖSISCHENUND BRITISCHEN GEHEIMDIENSTES

Die Informationsbeschaffung oblag vor dem Zweiten Weltkrieg der französischen Armee, die ihren Nachrichtendienst Service de Renseignement (SR) nannte. Mit dem Zweiten Weltkrieg änderte sich diese Situation, denn wegen der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen sahen sich die Mitarbeiter des SR gezwungen, in den Untergrund zu gehen.18Als im Januar 1946 der »Service de Documentation Extérieur et de Contre-Espionage« (SDECE) gegründet wurde, war dieser Nachrichtendienst allein dem Ministerpräsidenten Frankreichs unterstellt, der dementsprechend auf die Ziele und Tätigkeiten des Nachrichtendienstes Einfluss nahm. Dem Generaldirektor des SDECE standen in den ersten Nachkriegsjahren zwei Stellvertreter zur Seite. Einer war im vietnamesischen Saigon untergebracht und musste sich um militärische Probleme in den ehemaligen Kolonien kümmern, der zweite im deutschen Baden-Baden war damit beschäftigt, Frankreichs Rolle im beginnenden Kalten Krieg in Europa zu definieren.

Ein wichtiges Ziel des französischen Nachrichtendienstes in den ersten Besatzungsjahren in Deutschland war die Beschaffung von Informationen, die halfen, die militärische Stärke des französischen Heeres schnellstmöglich wiederherzustellen. Das Wissen von deutschen Offizieren und Wissenschaftlern sollte für diese Zwecke abgeschöpft werden.19 Nach der Gründung der Bundesrepublik traten politische Fragestellungen in den Vordergrund, und auch die Wiederbewaffnung Deutschlands wurde durch den Nachrichtendienst überwacht. Eine mögliche Bedrohung durch die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland wurde vom französischen Geheimdienst aber durchaus auch wahrgenommen. So standen auch Informationen über die Rote Armee ganz oben auf der Liste des Nachrichtendienstes. Um diese zu erlangen, boten Deutschland und Österreich, in denen Frankreich als Besatzungsmacht fungierte, die idealen Bedingungen. Von hier aus konnte man Operationen durchführen und Agenten anwerben.

In Berlin standen die Franzosen jedoch etwas abseits der aktivitäten der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, die bei manchen Projekten eine nachrichtendienstliche Zweckgemeinschaft bildeten. Die besten Belege hierfür sind der Berliner Spionagetunnel und die Abhörstation auf dem Teufelsberg. Hier arbeiteten Amerikaner und Briten eng zusammen, die Franzosen wurden aber nicht mit einbezogen. Frankreich knüpfte später allerdings gute Kontakte zum deutschen Bundesnachrichtendienst (BND), mit dem es dann auch zur Zusammenarbeit kam.

Der britische Geheimdienst ist derjenige mit der längsten Tradition. Er wurde vor mehr als 400 Jahren als politische Spionageorganisation gegründet. Der britische Auslandsnachrichtendienst in seiner heutigen Form wurde 1909 als Foreign Section of the Secret Service Bureau gegründet. 1922 wurde daraus ein eigener Nachrichtendienst mit dem Namen Secret Intelligence Service (SIS). Der SIS ist spätestens durch die James-Bond-Filme besser bekannt geworden als Secret Service und wird auch MI6 (Military Intelligence, Abteilung 6) genannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg agierte natürlich auch der SIS von West-Berlin aus. Ziel war es einerseits, die Kenntnisse deutscher Wissenschaftler abzuschöpfen, und andererseits, möglichst viel über politische und wirtschaftliche Vorgänge in der Sowjetunion zu erfahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es ein durchaus legitimes Ziel der Siegermächte, detaillierte Kenntnisse über das wissenschaftliche Potenzial im Bereich der Wehrtechnik in Deutschland zu erlangen. Doch den vier Siegermächten ging es nicht ausschließlich um eine Kontrolle der deutschen Kapazitäten, sondern auch um die Abschöpfung von militärischem Wissen für eigene Zwecke.20 Dazu mussten die führenden deutschen Wissenschaftler identifiziert und für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich Wernher von Braun. Er war von 1937 bis 1945 technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde gewesen. Von Braun flüchtete kurz vor Kriegsende nach Bayern, wo er sich den Amerikanern stellte. Zusammen mit einigen Kollegen aus Peenemünde wurde von Braun 1946 in die USA gebracht, wo er kurz darauf als Berater für ein amerikanisches Raketenprogramm arbeitete. Von Braun wurde 1955 amerikanischer Staatsbürger und erreichte beruflich Anfang der siebziger Jahre die Position des stellvertretenden Leiters der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA.

Zögerten die Westmächte 1945 noch, qualifizierten deutschen Mitarbeitern aus den ehemaligen Waffenschmieden des nationalsozialistischen Regimes Arbeit in der Rüstungsindustrie anzubieten, so stellte sich dies bereits ein Jahr später ganz anders dar. Die Briten legten ein eigenes Programm auf, um deutsche Fachkräfte der militärischen Schlüsselindustrien aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet und der späteren DDR abzuwerben. Das Programm nannte sich »Matchbox«. Der Codename für eine vergleichbare amerikanische Operation lautete »Paperclip«.

Die Sowjetunion ihrerseits setzte nicht nur auf die freiwillige Kooperation der Betroffenen. Erste Deportationen von deutschen Wissenschaftlern in die UdSSR fanden bereits 1945 statt. Am 21./22. Oktober 1946 gab es eine große Deportationswelle von Wissenschaftlern und ihren Familien. Etwa 2600 Personen wurden mit Zügen Richtung Osten transportiert, um ihre Kenntnisse und ihre Arbeitskraft in der Sowjetunion einzusetzen. Die westlichen Nachrichtendienste wurden tätig, als die deportierten Wissenschaftler zwischen 1949 und 1958 wieder nach Ost-Deutschland zurückgebracht wurden. Die Nachrichtendienste machten sie ausfindig und stellten den Kontakt her. Viele der Heimkehrer waren bereit, Fragen über ihre Tätigkeit in der Sowjetunion zu beantworten. Bei dieser Gelegenheit sollten sie natürlich auch zum Übersiedeln in den Westen bewegt werden.

Der Erfolg der anglo-amerikanischen Abwerbung – die im Gegensatz zur sowjetischen Deportation auf Freiwilligkeit basierte – konnte sich sehen lasen. Die Briten überzeugten bis November 1949 immerhin 332 Wissenschaftler davon, die sowjetische Zone zu verlassen. Viele von ihnen wollten ihren Beruf aber nicht in Großbritannien ausüben und fanden Arbeit in der Industrie der westlichen Besatzungszonen. Die Amerikaner konnten im vergleichbaren Zeitraum circa 1000 Personen davon überzeugen, in den Vereinigten Staaten zu arbeiten.21 Alle vier Besatzungsmächte versuchten, sich deutsches Know-how im Bereich der Militärtechnik durch das Abwerben von deutschen Wissenschaftlern und Ingenieuren anzueignen. Am besten gelang dies den Amerikanern und den Russen, insbesondere im Bereich der Raketentechnik profitierten beide Länder von diesem Wissenstransfer.

 

FLUCH UND SEGEN FÜRDIE GEHEIMDIENSTE

DIE FLÜCHTLINGSWELLE AUS DER DDR

Berlin hatte bereits in den unmittelbaren Nachkriegsjahren eine Flüchtlingswelle Richtung Westen erlebt. Millionen von Menschen waren unterwegs, um in ihre alte Heimat zurückzukehren oder sich eine neue Heimat zu suchen. Die Anfang der fünfziger Jahre einsetzende Flüchtlingswelle hingegen war eher politisch motiviert und stellte eine Reaktion auf die Gründung der beiden deutschen Staaten dar. Auch wenn der Wunsch nach besseren wirtschaftlichen Verhältnissen sicherlich eine Rolle gespielt hat, so waren doch die beiden unterschiedlichen Gesellschaftssysteme in Ost und West ausschlaggebend für das Verlassen der Heimat. Das nachrichtendienstliche Potenzial der politisch Unzufriedenen, die der DDR den Rücken kehrten und ihr Glück in der Bundesrepublik versuchen wollten, wurde von den westlichen Geheimdiensten erkannt. Das oft verwendete Bild, dass die ostdeutsche Bevölkerung mit ihren Füßen abstimmte und sie ihre Unzufriedenheit mit dem System durch ihre massenhafte Flucht dokumentierte, traf zu. Diese Tatsache ließ sich natürlich sehr gut für die westliche Propaganda verwenden. Zudem schwächte die Abwanderung jeder qualifizierten Arbeitskraft die Wirtschaft der DDR. Und jede Schwächung der DDR als dem bedeutendsten Satellitenstaat der Sowjetunion war indirekt auch eine Schwächung der Sowjetunion selbst. Dass die Flüchtlingsströme der fünfziger Jahre eine ernsthafte und substanzielle Schwächung der DDR bedeuteten und gleichzeitig West-Berlin an den Rand seiner Aufnahmefähigkeit brachte, belegen folgende Zahlen. 1950 flüchteten rund 60 000 Ostdeutsche nach West-Berlin und knapp 140 000 in die Bundesrepublik. Im Jahr 1953 war der Höhepunkt der Flüchtlingswelle zu verzeichnen. Damals flohen 297 000 Personen nach West-Berlin und nur noch circa 34 000 in die Bundesrepublik, da die Durchlässigkeit der Grenze zur Bundesrepublik beschränkt worden war. Zwischen 1950 und 1955 flohen 759 000 registrierte Flüchtlinge nach West-Berlin.22

Bis zum Bau der Berliner Mauer setzte sich dieser Flüchtlingsstrom unvermindert fort. Von der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 bis August 1961 waren es insgesamt mehr als 2,6 Millionen DDR-Bürger. Diese Flüchtlinge spielten eine wichtige Rolle für die psychologische Kriegsführung gegen die DDR und bei der Gewinnung von nachrichtendienstlichen Kenntnissen.23 Sehr viele der registrierten Flüchtlinge wurden bei ihrer Ankunft in West-Berlin befragt. Für die westlichen Geheimdienste spielten dabei viele Faktoren eine Rolle. Amerikaner und Briten kooperierten sehr gut und unterrichteten sich gegenseitig von den Befragungsergebnissen. Von Interesse waren insbesondere folgende Fragen. Welche Tätigkeit hat der Flüchtige bisher ausgeübt? Hat er in der Nähe einer militärischen Einrichtung gewohnt und hat er dort irgendwelche Beobachtungen gemacht? Darüber hinaus waren die familiären und sozialen Verbindungen in die DDR von Interesse für die Nachrichtendienste.

Zeigte sich ein Flüchtling bei der Befragung kooperativ, so wurde versucht, ihn als Agenten zu gewinnen. Stimmte er dem zu, wurde er sofort in die DDR zurückgeschickt, ehe seine Flucht dort bemerkt wurde. Auf diese Weise konnten die Geheimdienste eine Reihe von wertvollen Mitarbeitern gewinnen.24

Die meisten Flüchtlinge wurden gebeten, Namen von Verwandten und Freunden in der DDR aufzuschreiben, die möglicherweise ebenfalls nicht mit der Regierung einverstanden waren. Die betreffenden Personen bildeten für die Nachrichtendienste einen großen Pool potenzieller Agenten und Informanten. Dies stellte einen Aspekt der Flüchtlingswelle dar, der sich für die westlichen Nachrichtendienste als sehr ergiebig erwiesen hat. Entsprechende Anwerbungsschreiben an die genannten Personen wurden auf dem Gebiet der DDR per Post aufgegeben, um weniger aufzufallen. Darin wurde eine Telefonnummer und die Adresse eines Treffpunktes in West-Berlin mitgeteilt. Der wahre Grund der Treffen wurde zunächst verschleiert und erst bei dem Treffen selbst benannt. Der Empfänger des Briefes sollte als Agent in der DDR angeworben werden. Ein einzelner »Anwerber« des französischen Nachrichtendienstes soll auf diese Weise von 1948 bis 1955 etwa 350 Personen angeschrieben haben.25

Abb. 10. Drahtspulen-Aufnahmegerät der Marke Mi-nifon P55 mit Mikrofon-Armbanduhr und Mikrofon-Füller als besonderem Spionage-Zubehör

Die Anwerbung von sowjetischen Soldaten, die in der DDR stationiert waren, stellte ein weiteres Ziel der westlichen Geheimdienste dar. Die Amerikaner nannten diese Operation »Redcap«. Man versuchte, deutsche Frauen auf sowjetische Offiziere anzusetzen, die dann nach einiger Zeit zum Überlaufen in den Westen überredet werden sollten. Diese Operation hatte jedoch kaum Erfolg.26

Die Flüchtlingswelle stellte aber auch eine Gefahr für die westlichen Geheimdienste dar. Sie war das Einfalltor in die Bundesrepublik für Agenten aus der DDR und der Sowjetunion. Insbesondere gut ausgebildete Wissenschaftler und Studenten fanden fast immer eine Beschäftigung in der Wirtschaft oder der Verwaltung, und dies nicht nur in der Bundesrepublik, sondern manchmal auch in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. Bei Flüchtlingszahlen in Millionenhöhe konnten die östlichen Geheimdienste ihre Leute völlig unbemerkt in den Flüchtlingsstrom nach Westen einfädeln. Als im August 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde, war die »Goldgräberstimmung« in Bezug auf die Anwerbung und die Nachrichtengewinnung durch Agenten im Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle auf beiden Seiten erst einmal vorbei.

 

DAS ENDE EINERÄRA

DER MAUERBAU UND SEINE FOLGEN FÜRDIE WESTLICHEN NACHRICHTENDIENSTE

Die westlichen Nachrichtendienste wurden vom Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 überrascht. Es gab seit einigen Jahren nachrichtendienstliche Überlegungen hinsichtlich der Frage, wie die DDR den anhaltenden Flüchtlingsstrom würde aufhalten wollen. Dass es möglicherweise Absperrungen zwischen den Sektoren geben könnte, zog man ebenso in Betracht wie eine erneute Blockade Berlins. Aber all dies waren nur Spekulationen gewesen.27 Der Mauerbau kam für die Geheimdienste zwar nicht unerwartet, aber die Geheimhaltungsstufe und die Geschwindigkeit, mit der diese Operation durchgeführt wurde, waren erstaunlich. Der Mauerbau verdeutlichte, dass jederzeit umfangreiche Operationen in der DDR geplant und ausgeführt werden könnten, ohne dass die Bundesrepublik und die Westmächte durch ihre Nachrichtendienste davon im Vorfeld Kenntnis erlangen würden. Das war eine sehr beunruhigende Erkenntnis für den Westen.

Für die Arbeit der Geheimdienste in Berlin bedeutete dies darüber hinaus eine radikale Umstellung ihrer Arbeitsmethoden.Der Mensch als Agent und als Quelle für die Informationsgewinnung verlor drastisch an Bedeutung. Zuallererst wurde die Rekrutierung neuer »Mitarbeiter«, die in den fünfziger Jahren durch die Flüchtlingswelle extrem begünstigt worden war, stark erschwert. Ein weiteres großes Problem war die künftige Kommunikation mit den Agenten in Ost-Berlin und der DDR. Die CIA schlug im September 1961 vor, diese mit Radioempfängern auszustatten, um den Kontakt zu den circa 100 Agenten aufrechtzuerhalten.28 Nach dem Mauerbau war die zuverlässigste Methode der Kommunikation der westlichen Geheimdienste mit ihren Agenten in der DDR jedoch die Verwendung von »toten Briefkästen«: Ein westlicher Agent legte neue Instruktionen, Geld und eventuell benötigte Ausrüstungsgegenstände in ein Versteck und sammelte die vom Agenten hinterlegten Informationen ein. Der Nachteil dieser Methode war der langwierige Übermittlungsweg, denn es konnten mehrere Tage, manchmal Wochen vergehen, bis ein »toter Briefkasten« geleert wurde. Mit der zunehmenden Verfeinerung der Überwachungsmethoden durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR wurde die Aufrechterhaltung dieses Kommunikationsweges zudem immer schwieriger. Dies galt auch für die Kommunikation auf dem normalen Postweg, durch den viele östliche Informanten enttarnt werden konnten.29

Abb. 11. Eine Patrouille der US Army bei der Fahrt ent-lang der Berliner Mauer, 1965. Alle drei Westmächte unternahmen täglich diese Mauerpatrouillen.