Hayek für jedermann - Karen Ilse Horn - E-Book

Hayek für jedermann E-Book

Karen Ilse Horn

4,8

Beschreibung

Die modernen Theorien eines Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek (1899-1992) ist als Ökonom und Sozialphilosoph eine Ausnahmegestalt in der Wirtschaftswissenschaft. Nicht erst seit der Finanzkrise genießen die Arbeiten des Nobelpreisträgers von 1974, die von der Konjunkturtheorie bis zur Theorie der kulturellen Evolution reichen, wieder starkes Interesse. Hayeks weitgefächertes Forschungsprogramm, das sich um das Entstehen von Ordnung dreht und normativ die Freiheit an die Spitze der Werteskala setzt, ist zu jeder Zeit so wichtig wie spannend. Der vierte Band aus der Reihe "Ökonomen für jedermann" berichtet von Hayeks Jugend, Kriegseinsatz und Studium im Wien der Donaumonarchie, von seiner wissenschaftlichen Karriere und den Haupteinflüssen auf sein Denken, von den großen Stationen seiner Laufbahn in London, Chicago, Freiburg und Salzburg, von seinen wichtigsten theoretischen Leistungen und Werken sowie von der Wirkung seiner Arbeit auf die Wissenschaft und die Politik. Karen Horn bringt uns leicht verständlich das Werk eines Mannes näher, der den vermeintlichen Widerspruch von Freiheit und Ordnung einer Gesellschaft aufhebt.

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Karen Ilse Horn

HAYEK FÜR JEDERMANN

Karen Ilse Horn

HAYEK FÜR JEDERMANN

Die Kräfte der spontanen Ordnung

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.Karen Ilse Horn Hayek für jedermann Die Kräfte der spontanen OrdnungFrankfurter Societäts-Medien GmbHFrankenallee 71 – 81 60327 Frankfurt am Main Geschäftsführung: Hans HomrighausenFrankfurt am Main 2013ISBN 978-3-95601-007-1Bookshop und weitere Leseproben unter: www.fazbuch.deCopyrightFrankfurter Societäts-Medien GmbHFrankenallee 71 – 81 60327 Frankfurt am MainUmschlagAnja Desch, F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH, 60326 Frankfurt am MainSatzNicole EhrlichTitelbild© Hulton-Deutsch Collection/CORBISAlle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Meinen Eltern zum Gedächtnis

INHALT

Einführung

I

Leben und Karriere

1

Die ersten Jahre (1899-1918): Frühe Prägungen durch Herkunft, Elternhaus und Ersten Weltkrieg

2

Die Wiener Jahre (1918-1931): Studium und Berufsbeginn am Institut für Konjunkturforschung

3

Die Londoner Jahre (1931-1950): Wahlheimat, Zweiter Weltkrieg und Gründung der Mont Pèlerin Society

4

Die Chicagoer Jahre (1950-1962): Spätes Glück, ideengeschichtliche und sozialphilosophische Studien

5

Die Freiburger Jahre (1962-1968): Badisches Wohlleben, Rechtsphilosophie und Wirtschaftswissenschaften

6

Die Salzburger Jahre (1969-1977): Fremdheit, Krankheit und Nobelpreis

7

Die Ietzten Jahre (1977-1992): Heimkehr nach Freiburg und Zusammenbruch des Sozialismus

II

Werk

1

Überblick

2

Überinvestition und Zwangssparen: Preise und Produktion (1931)

3

Irrwege der Sozialwissenschaften: Missbrauch und Verfall der Vernunft (1952)

4

Unmöglichkeit des Sozialismus: Der Weg zur Knechtschaft (1944)

5

Wissensteilung auf dem Markt: Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft (1945)

7

Wert der Freiheit und liberale Ordnung: Die Verfassung der Freiheit (1960)

8

Prinzipienerklärungen und Mustervorhersagen: Die Theorie komplexer Phänomene (1967)

9

Born des Neuen: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (1968)

10

Regeln gerechten Verhaltens: Recht, Gesetz und Freiheit (1973-1979)

11

Wettbewerb im Geldwesen: Entnationalisierung des Geldes (1976)

12

Kulturelle Evolution: Die verhängnisvolle Anmaßung (1988)

III

Wirkung

1

Begeisterung und Widerspruch

2

Weiterentwicklung in der Wissenschaft: Von Austrian Economics bis Verfassungsökonomik

3

Gegnerschaften in der Wissenschaft: Keynesianismus, Mainstream und libertärer Paternalismus

4

Freundliche Aufnahme in der Politik: Erfolge der Liberalisierung in den achtziger Jahren

5

Rückschlag in der Politik: Nach der Finanzkrise wächst der Staatseinfluss

Fazit

Literatur

Die Autorin

EINFÜHRUNG

Friedrich August von Hayek hätte wohl kaum gewusst, was das ist: ein Rapper. Und er war natürlich auch keiner. Auf eine solche Idee könnte zwar womöglich kommen, wer nichts anderes als die im Internet kursierenden Videospots der Amerikaner John Papola und Russ Roberts zu Gesicht bekommen hat. Darin kabbelt sich ein blasser, etwas steifer Hayek mit seinem nonchalanten britischen Kollegen John Maynard Keynes – und das in coolen Rap-Rhythmen. Die wahre Profession der beiden Protagonisten indes verrät rasch der Gegenstand ihrer didaktisch durchaus wertvoll in Szene gesetzten Streitereien: Es geht um die Bestimmungsgründe von Konjunkturschwankungen, die Rolle des Kredits und darum, ob die Regierungen die richtigen Antworten auf die Finanzkrise des Jahres 2008 gefunden haben. Hier sprechen Ökonomen.

Obschon privat befreundet und gar nicht einmal in allen Fragen uneins, waren Hayek (1899-1992) und Keynes (1883-1946) im wirklichen Leben vor allem dann Antipoden, wenn es unterschwellig um die Einschätzung der Steuerungsmöglichkeiten des Staates ging. Hayek war sich der Begrenztheit des menschlichen Wissens bewusst und daher zutiefst skeptisch; Keynes traute vor allem sich selbst eine ganze Menge zu und schöpfte nicht zuletzt daraus seine Zuversicht, dass eine gute Regierung schon in der Lage sei, die Dinge auf den rechten Weg zu führen. Die Rolle des Anti-Keynes haftet Hayek bis heute an. Sie ist nicht falsch, aber wie jedes Klischee greift auch diese holzschnittartige Charakterisierung etwas kurz.

Denn Keynes und Hayek trennte nicht nur ihre Haltung gegenüber dem Staat. Sie waren überhaupt auch sehr unterschiedliche Charaktere – Keynes war so sprunghaft und nachlässig, wie Hayek grüblerisch und gründlich war. Keynes war elitär und selbstbewusst, Hayek zutiefst von der Begrenztheit des Wissens und der Fehlbarkeit des menschlichen Verstandes allgemein überzeugt. Vor allem jedoch unterschied sie ihr Forschungsprogramm. Keynes befasste sich angesichts der Krise der 1930er Jahre mit der Auswirkung von Unsicherheit auf die Koordinationsleistung von Märkten und suchte nach politischen Korrekturmöglichkeiten. Hayek betrachtete – viel grundsätzlicher – das spontane Entstehen von Ordnung unter den Gegebenheiten nur dezentral vorhandenen Wissens. Wobei „Ordnung“ nichts mit Aufgeräumtheit im landläufigen Sinne zu tun hat, sondern schlicht ein Gefüge einigermaßen verlässlich prognostizierbarer Strukturen meint.

Zu kurz greift auch die allzu einfache Gleichsetzung des wissenschaftlichen Beitrags Hayeks mit einer Politik, die im Zuge der bis heute andauernden Krise als „Neoliberalismus“ stärker kritisiert wird denn je. Schon dem Begriff „Neoliberalismus“ selbst wird ausgesprochen übel mitgespielt. Im Allgemeinen wird er, in krasser Abweichung von seiner ursprünglichen Bedeutung eines von einer Rahmenordnung eingehegten Liberalismus, verkürzend so verstanden, dass er eine – am Ende denklogisch notwendig der Anarchie geweihte – Politik der zunehmenden Eindämmung des Staatseinflusses auf die Wirtschaft beschreibt, mit Hilfe der Instrumente der Privatisierung, der Deregulierung und der weiteren Liberalisierung. Als politische Epigonen des Neoliberalismus werden üblicherweise die britische Premierministerin Margaret Thatcher und der amerikanische Staatspräsident Ronald Reagan genannt, mitunter fällt auch der Name des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Gleichsam als Chefideologe muss dann neben dem jüngeren Milton Friedman (1912-2006) auch Hayek herhalten.

Es stimmt, Hayek war kein Freund der Globalsteuerung und des allgegenwärtigen Staates. Im Gegenteil, er war ein Fürsprecher der persönlichen Freiheit der Menschen. Er hatte in seinem langen Leben, das noch in der österreichisch-ungarischen Monarchie begann und erst nach der deutschen Wiedervereinigung endete, immer wieder beobachten müssen, wie sehr die persönliche Freiheit der Menschen durch die Übergriffigkeit uneingehegter Kollektive gefährdet wird. Es ist auch korrekt, dass Hayek mit Thatcher und Reagan in lockerem Kontakt stand und sie offenkundig in der Gestaltung ihrer Politik inspirierte. Genauso trifft zu, dass er sich in unzähligen Veröffentlichungen um die öffentliche Meinung bemühte und dass er an der Errichtung eines globalen Netzwerkes von liberalen Köpfen arbeitete, um sich ausdrücklichen wie unterschwelligen totalitären Tendenzen gleichermaßen entgegenzustemmen. Hayek hat einige für den öffentlichen Diskurs gut geeignete Schlagworte erfunden, zum Beispiel jenes von der „spontanen Ordnung“ und der „Anmaßung von Wissen“ durch den Staat.

Von Anarchie jedoch hielt Hayek gar nichts. Den Staat wollte er nicht abschaffen. „Wir können nicht ernsthaft vorbringen, dass der Staat nichts tun sollte“, mahnte er immer wieder. Aber er wollte die Regierung aus dem Spiel der gesellschaftlichen Interaktion insoweit heraushalten, als er ihr lediglich die Rolle des Schiedsrichters zudachte. Hayek war kein Ideologe. Er stellte seine Ansichten und Überzeugungen nicht einfach axiomatisch in den Raum, sondern er leitete sie stets akribisch theoretisch ab. Hayek war zwar ein in den öffentlichen Raum hineinwirkender Denker, er war aber vor allem Wissenschaftler.

Eine Ausnahmeerscheinung

Dabei war er insofern eine Ausnahmeerscheinung in der modernen Wirtschaftswissenschaft, als er seinen intellektuellen Horizont nicht auf dieses Fach beschränkte. Hayek war Ökonom und Sozialphilosoph zugleich. Als Sozialphilosoph dachte er grundsätzlich von der Ökonomik her; als Wirtschaftswissenschaftler indes gestattete er sich nicht, die großen sozialphilosophischen Fragen der Menschheit auszublenden. Sein großes, immer wiederkehrendes, von verschiedenen Seiten beleuchtetes Thema war die gesellschaftliche Koordination – und von diesem breiten Spektrum bildet der Markt für den Austausch von Gütern und Leistungen im engeren Sinne nur einen Ausschnitt. Hayek war dementsprechend nicht nur ein Meister der Konjunkturtheorie, der Geldtheorie, der Kapitaltheorie und der Markttheorie, er ersparte sich auch schwierigste psychologische, erkenntnistheoretische und politökonomische Fragen nicht. Er hielt eine solche Spannbreite auch für unerlässlich. So schrieb er in aller Deutlichkeit: „Ein Physiker, der nur Physiker ist, kann durchaus ein erstklassiger Physiker und ein hochgeschätztes Mitglied der Gesellschaft sein. Aber gewiss kann niemand ein großer Ökonom sein, der nur Ökonom ist – und ich bin sogar versucht hinzuzufügen, dass der Ökonom, der nur Ökonom ist, leicht zum Ärgernis, wenn nicht gar zu einer regelrechten Gefahr wird.“ Diese Mahnung wird heute selten beherzigt.

Hayeks anspruchsvolles, weit gespanntes, aus dem Hauptstrom (Mainstream) der Wirtschaftswissenschaften bis heute weit herausfallendes Forschungsprogramm ist unvermindert wichtig und spannend. Dass Hayek es unter dem beklemmenden Eindruck der beiden großen Totalitarismen seiner Zeit entwickelt hat, macht es aus heutiger Sicht gewiss nicht inaktuell, wie gelegentlich unterstellt wird: Im Gegensatz zu Keynes suchte Hayek nicht kleinteilig und kontextabhängig nach kurzfristig wirksamen Politikoptionen, sondern er rang um ein konsistentes systemisches Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge. Dieses Forschungsprogramm altert nicht. Es verdient, dass man sich auf es einlässt.

Alle wichtigen Schriften Hayeks sind sowohl in einer deutschen als auch in einer englischen Fassung vorhanden – allerdings nicht immer mit demselben Ersterscheinungsdatum. Das ist von Belang, weil mit dem zeitlichen Auseinanderklaffen der Veröffentlichungen gelegentlich auch inhaltliche Änderungen verbunden waren. Hayek nutzte gern die Zeit, die bis zum Erscheinen der Übersetzung verstrich, für Korrekturen und Ergänzungen. Die „Verfassung der Freiheit“ beispielsweise erschien 1960 zunächst in englischer Sprache; auf Deutsch kam sie erst elfJahre später heraus. Hayek hatte sich erst vorgenommen, das Buch für den deutschen Markt ganz neu zu schreiben, beschränkte sich dann am Ende aber auf die Einarbeitung neuer Literatur. Zwar sind die meisten Erstausgaben der Hayekschen Werke in englischer Sprache erfolgt. Doch im Interesse einer besseren Lesbarkeit werden im vorliegenden Buch immer die späteren deutschen Titel verwendet – auch im Literaturverzeichnis. Die angegebene Jahreszahl indes bezieht sich stets auf die Erstpublikation.

Ökonomik ohne Mathematik

Ob es Hayeks Frühwerk „Sensorische Ordnung“, der schwungvolle „Weg zur Knechtschaft“ oder die methodische „Verfassung der Freiheit“ ist – man braucht sich bei diesen Werken nicht nur an keinerlei mathematischen Formeln abzuarbeiten, sondern man ist aufgefordert, säuberlich aufgezogene Gedankenketten Schritt für Schritt nachzuvollziehen. Mathematische Modelle waren wohl nicht Hayeks Stärke – aber er drang verbal in Gefilde vor, die mathematisch arbeitende Ökonomen bis heute nicht zu modellieren imstande sind.

Hayeks verbale Herleitungen zu studieren, verlangt dem Leser trotzdem einiges an Konzentration ab. Dabei sind die Überlegungen in einem vornehmen und ausgesucht respektvollen Stil dargeboten, das Vokabular ist gewählt, die Begrifflichkeiten sind von pingeliger Präzision. Die Sätze sind lang und verschachtelt – und trotzdem einwandfrei lesbar. Hier wird nicht rhetorisch manipuliert; der Leser kann sich ernst genommen und ebenbürtig fühlen. In dieser Sprache und Haltung spiegelt sich die bildungsbürgerliche Geisteswelt des alten Wien ebenso wider wie die britische Tradition gepflegter Höflichkeit. Der gebürtige Österreicher Hayek, seit jeher Brite im Geiste und seit 1938 auch ausweislich des Reisepasses, fühlte sich England kulturell stets aufs Engste verbunden.

Hayek war ein Gelehrter par excellence, ein beeindruckender Mann, der sich strecken musste im Spagat zwischen den Jahrhunderten, den Kulturen und den Denktraditionen. Um hierfür ein Gespür zu vermitteln, dient der erste Teil des Buches der Schilderung von Hayeks Lebensweg und den Stationen seiner Karriere. Viele der hier verarbeiteten Informationen entstammen natürlich nicht der eigenen Anschauung, sondern sind zu wesentlichen Teilen der großen Hayek-Biographie von Hans-Jörg Hennecke und den Selbstauskünften Hayeks im 1994 herausgebrachten Gesprächsband „Hayek on Hayek“ entnommen. Auch Bruce Caldwells unübertreffliche wissenschaftliche Biographie „Hayek’s Challenge“ war ein verlässliches Hilfsmittel und eine großartige Inspirationsquelle.

Die konkrete Kapiteleinteilung im biographischen Teil drängt sich angesichts der wechselnden geographischen Ver- ortungen Hayeks geradezu auf: Nach einer Analyse der frühen Prägungen durch Herkunft, Elternhaus und den Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg folgt eine Betrachtung der – jeweils ein bis zwei Dekaden zählenden – Jahre, die Friedrich August von Hayek in Wien, London, Chicago, Freiburg und Salzburg verbracht hat. Den Abschluss bilden naturgemäß die letzten Jahre, die Hayek wiederum in Freiburg verbracht hat und in denen er den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus im Osten Europas noch erleben konnte.

Im zweiten Teil wird Hayeks breit gefächertes Werk vorgestellt, das von der Konjunkturtheorie bis zur Erkenntnistheorie und zur Ordnungstheorie reicht. Jedes Kapitel orientiert sich vorrangig an einem einschlägigen Werk, das man unbedingt kennen sollte. Aus der Fülle von Hayeks Publikationen – mehr als 20 Bücher, etwa 30 Broschüren und rund 300 wissenschaftliche Aufsätze – sind hier stellvertretend einige Schriften herausgegriffen, die große Bedeutung erlangt haben und sein Denken gut widerspiegeln. Sie werden in einzelnen Unterkapiteln vorgestellt und eingeordnet. Die Zitate, welche die Unterkapitel eröffnen, stammen aus dem jeweils vorgestellten Werk. Die Reihenfolge der vorgestellten Werke richtet sich nicht nach dem Erscheinungsdatum, sondern nach der Phase, in der Hayek an ihnen gearbeitet hat; so erschließt sich die Entwicklung seines Denkens besser. Jedes dieser Unterkapitel ist trotzdem so verfasst, dass es sich auch einzeln, losgelöst vom Rest lesen lässt – wie ein Beitrag in einem Handbuch.

Bei Hayek hat, wer wählen muss, tatsächlich eine Qual. Hayek hat alle seine großen Fragen und wichtigen Ideen im Laufe seines Schaffens immer wieder aufgegriffen, hat an ihnen gefeilt, sie in weiteren Vorlesungen, Vorträgen und Aufsätzen variiert und in neue Kontexte gestellt. Damit markieren viele seiner Vorträge und Aufsätze Etappen der Theorieentwicklung, die für den Biographen und Ideengeschichtler durchaus spannend sind, deren Darstellung hier, in einem Einführungsbuch, aber nicht zwingend ist. Im Gegenteil würde das erträgliche Maß der – ohnehin unvermeidlichen – Wiederholungen und Überschneidungen zwischen den Unterkapiteln dadurch sicherlich überschritten.

Allgemein besteht der Vorzug der Vorträge und Aufsätze darin, dass Hayek seine Kernideen darin angenehm konzise formuliert, was sie zu einer leichteren Lektüre macht als seine umfänglichen und von Redundanzen nicht freien Monographien. Doch auch hier gilt es, sich zu beschränken. Auch einige unstreitig bemerkenswerte Aufsätze können daher keine umfassende Erörterung finden, sei es beispielsweise „Die Intellektuellen und der Sozialismus“ von 1949, in dem Hayek, vor allem auf die Medienschaffenden gemünzt, den Begriff der nicht zu eigenen originellen Gedanken fähigen, aber mit faktischer Macht in der öffentlichen Meinungsbildung versehenen „Gebrauchtwarenhändler in Ideen“ geprägt hat; sei es „Wahrer und falscher Individualismus“ von 1945 oder auch „Arten der Ordnung“ von 1963, der grundlegend für die Definition der „spontanen Ordnung“ war. Der Kern der Gedanken aus diesen Aufsätzen taucht dafür an anderer Stelle auf, zumeist im Zusammenhang mit einer Monographie.

Wo ein Aufsatz aber für sich schon Berühmtheit erlangt hat und auch den Kern einer Idee am präzisesten abbildet, findet er trotzdem angemessenen Raum, etwa die sich wie Perlen an einer Kette hintereinander aufreihenden Aufsätze „Wirtschaftstheorie und Wissen“ von 1937, „Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft“ von 1945, „Der Sinn des Wettbewerbs“ von 1946 sowie schließlich „Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ von 1968. Durch die notwendig beschränkte Auswahl aus der Fülle des Hayek- schen Schrifttums sollte also insgesamt nicht viel verloren gegangen sein; Querverweise helfen zusätzlich, zeitliche Verbindungslinien zu erkennen.

Von Karteikarten zu Büchern

Grundsätzlich jedoch stellen die Monographien, jede für sich, inhaltlich den umfassenderen Kontext her, als es jeder Aufsatz vermag. In ihnen zieht Hayek die jeweils vorläufige Summe seines Denkens. In Anbetracht eines akademischen Lebens, das sieben Jahrzehnte beharrlichen Nachdenkens über immer dieselben großen Fragen umfasste, ist es dabei wenig verwunderlich, dass es nicht nur zwischen Hayeks Vorträgen und Aufsätzen, sondern sogar zwischen den Monographien Überschneidungen gibt. Das System der Karteikarten, auf denen Hayek im Alltag seine Kernideen festhielt und auf die er dann beim Schreiben versatzstückweise zugriff, mag ebenfalls dazu beigetragen haben.

Im Grunde sind Hayeks große Bücher sämtlich Zeugen eines „Work in progress“. Hayeks schriftstellerischer Prozess führte typischerweise von der Karteikarte über mehrere Vorträge zu mehreren Aufsätzen und schließlich zum Buch. Jedes Buch stellt dabei die Fortentwicklung des vorausgegangenen dar: Der „Weg zur Knechtschaft“ zieht die politischen Lehren aus der Kalkulationsdebatte und der Kapitaltheorie; die „Verfassung der Freiheit“ hebt den „Weg zur Knechtschaft“ auf ein breiteres Fundament. Dieses wird von „Recht, Gesetz und Freiheit“ ergänzt und in der „Anmaßung von Wissen“ nochmals resümiert sowie zugespitzt. Wer sich aus Zeitgründen nur auf eine der Monographien konzentrieren muss, sollte sich die „Verfassung der Freiheit“ vorknöpfen – ein Buch, das vielleicht am besten die Waage hält zwischen inhaltlicher Fülle, konziser Darstellung und Repräsentativität für das Gesamtwerk.

Auch unter den Monographien galt es freilich für den Zweck eines Einführungsbuches, eine Auswahl zu treffen. So wird auf die Darstellung von Hayeks „Reiner Theorie des Kapitals“ verzichtet, weil sich seine wichtigsten kapitaltheoretischen Überlegungen schon anhand seines vorausgegangenen Werkes „Preise und Produktion“ verdeutlichen lassen. Auch auf ein eigenes Kapitel über Hayeks Buch „Die sensorische Ordnung“ wird verzichtet, weil dieses als Werk der Psychologie wahrscheinlich vor allem für Psychologen und Ideengeschichtler von Interesse ist, auch wenn es in Ansatz und Methode mit seinen sonstigen Schriften eng verbunden ist. Auf die Entstehung dieses Buches und seine Verbindung mit dem Rest von Hayeks Werk wird aber natürlich dennoch eingegangen.

Der dritte Teil gilt dann der Beantwortung der Frage nach der Wirkung von Hayeks Werk. Zunächst richtet sich das Augenmerk auf die akademische Weiterführung seines Forschungsprogramms, das heute vor allem bei den „Austrians“ und in der Verfassungsökonomik weitere schöne Früchte trägt. Auch die Gegenströmungen werden beleuchtet, insbesondere der Keynesianismus, die Mainstream-Ökonomik. und das gegenwärtige Erstarken eines als „libertär“ bezeichneten Paternalismus.

Rüstzeug für die Systemdebatte

Schließlich stellt sich noch die Frage nach der Wirkung von Hayeks Werk außerhalb der akademischen Welt, in der Politik. Hier scheiden sich die Geister. Wer tatsächlich davon überzeugt ist, dass die Welt im Jahr 2008 vor allem wegen einer verfehlten, überzogenen „neoliberalen“ Politik in die Finanzkrise gerutscht sei, der neigt typischerweise dazu, Hayek als liberalen Vordenker mit Blick auf die politischen Implikationen seiner Theorie einen großen, indes aus dieser Sicht unwillkommenen Wirkungserfolg einzuräumen. Die Schüler und akademischen Nachfolger Hayeks hingegen beklagen auf der anderen Seite die Fortdauer und das aktuelle Erstarken des Vertrauens der Politik zu ihrer eigenen, dem Markt entgegen gerichteten Steuerungsmacht.

Ganz so schwarz-weiß, entlang der ohnehin wenig ertragreichen Scheidelinie „Markt oder Staat“ wird diese Frage allerdings nicht zu beantworten sein. Die ökonomischen Notwendigkeiten und Zwänge der jeweiligen Zeit mögen mit einem auch von Hayek mitgeprägten geistigen Klima zusammengewirkt haben, um das Pendel der öffentlichen Meinung und der Politik einmal mehr in Richtung Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung tendieren zu lassen, bevor es dann ein anderes Mal mehr in Richtung eines verstärkten Staatseinflusses und der Re-Regulierung ausschlug. Übertreibungen bleiben da nicht aus.

Wer sich mit dem Werk Friedrich August von Hayeks beschäftigt, kann intellektuell gestärkt in die mit einiger Vehemenz ausgetragene Systemdebatte gehen, die seit der Finanzkrise wieder schwelt. Mit Hayeks Theorien im Hinterkopf begreift man, was das Geniale und Schützenswerte an Märkten ist; was Freiheit bedeutet und was nicht; wozu Regeln notwendig sind und wie sie entstehen; was kulturelle Traditionen an unbewusstem Erfahrungswissen verkörpern; was der Mensch wissen kann und wo die Grenzen der Erkenntnis liegen. Mithin lernt man mindestens eines: Demut und Bescheidenheit. Sie stünden allen Ökonomen, wie anderen Wissenschaftlern auch, nicht schlecht zu Gesicht.

Berlin, im Januar 2013 Karen Ilse Horn

TEIL I LEBEN UND KARRIERE

1

DIE ERSTEN JAHRE (1899-1918): FRÜHE PRÄGUNGEN DURCH HERKUNFT, ELTERNHAUS UND ERSTEN WELTKRIEG

„The beginning of my definite interest in economics I can clearly date back to a logic lesson in the seventh form of the Gymnasium, late in 1916, when the master explained to us the threefold Aristotelian division of ethics into morals, politics, and economics.”

Friedrich August von Hayek, genannt Fritz, wird am 8. Mai 1899 in Wien geboren, in der elterlichen Wohnung im dritten Bezirk. Dort herrschen gehobene, bildungsbürgerliche Verhältnisse. Der Vater, August Edler von Hayek, hatte Medizin studiert und praktiziert als Armenarzt. Später gibt er sein Vorhaben auf, sich mit einer eigenen Praxis niederzulassen, und steigt allmählich in der Hierarchie der Gesundheitsverwaltung auf. Schließlich wird er sogar Präsident der Gesellschaft deutscher Ärzte in Wien. Im Grunde seines Herzens aber ist er von einem nagenden wissenschaftlichen Ehrgeiz getrieben, den er offenbar an seine drei Söhne weitervererbt: Friedrich, der erstgeborene Sohn, wird Ökonom und Sozialphilosoph, Erich Chemiker, Heinrich Anatom. August von Hayek ist ein leidenschaftlicher Biologe. Er hat ein umfangreiches Herbarium angelegt und verfasst mehrere anerkannte Standardwerke zur Pflanzengeographie Österreichs; er lehrt an der Universität Wien als Privatdozent. Allzu gern wäre er ein richtiger Ordinarius geworden. Im Alter von nur 56 Jahren indes stirbt er an einem verschleppten schweren Nierenleiden, dem Folgeschaden einer von einer Blase am Fuß ausgelösten Blutvergiftung, die er sich auf einer botanischen Exkursion zugezogen hatte.

Der Reiz der Wissenschaft

Zwei Generationen zuvor hatte der Reiz der Wissenschaft auch schon Hayeks Großvater Gustav von Hayek erfasst. Zwar hatte er die Schule – das ehrwürdige Theresianum – abgebrochen und sich einige Jahre als Marineoffizier verdingt. Dann aber studierte er doch noch Naturgeschichte und Biologie und wurde anschließend Lehrer. Daneben pflegte auch er stets seine private wissenschaftliche Leidenschaft: die Vogelkunde. Es gelang ihm damit sogar, das Interesse des Kronprinzen Rudolf zu wecken, in dessen Auftrag er sich 1881 an der Vorbereitung einer ornithologischen Ausstellung in Wien beteiligen durfte. Mit dem Freitod Rudolfs war diese Protektion jedoch bald vorüber, und die Welt der Universität blieb auch Gustav von Hayek verschlossen. Die Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen.

Der Urgroßvater Heinrich von Hayek wiederum hatte die Rechte studiert, eine Sängerin geheiratet und sich als Beamter in einem der Wiener Ministerien nicht gerade überarbeitet. Ihm zerrann jedoch das umfangreiche Vermögen, das sein Vater Josef von Hayek mit großem unternehmerischem Geschick aufgebaut hatte. Josef von Hayek hatte sich in Mähren bei demselben Gutsherrn, dem schon sein Vater gedient hatte, zum Gutsverwalter hochgearbeitet. In dieser Eigenschaft baute er dann in der Nähe von Brünn und Wien zwei Textilfabriken samt neuer umliegender Dörfer auf. Später stieg Josef von Hayek dann selber als Geschäftspartner in diese Produktion ein und erwarb ein erhebliches Vermögen. Im Jahr 1789, wenige Wochen vor der Französischen Revolution, wurde er im Alter von 39 Jahren vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Joseph II, geadelt – was ein Zeichen höchster Anerkennung seiner Leistungen war. Dass Geschäftsleute in den Adelsstand erhoben wurden, war eine Seltenheit. Friedrich August von Hayek betonte gern stolz in Abgrenzung zum „neuen Adel“ der zahlreichen Wiener Beamten- und Professorendynastien, dass im Fall seiner Familie der Adelstand noch etwas bedeutet habe. Im Jahr 1919 wurden in Österreich alle Adelstitel abgeschafft.

Hayeks Vater August hatte eine junge Frau aus deutlich vermögenderem, großbürgerlichen Wiener Hause geheiratet, Felicitas von Juraschek. Hayek beschreibt seine Eltern als ein außerordentlich harmonisches, gut zueinander passendes Paar. Ihre Ehe sei nicht nur ihm stets als ein Dasein wolkenlos reinen Glücks erschienen, sagt der Sohn. Der Haushalt der Hayeks ist nicht wirklich reich, aber doch einigermaßen wohlsituiert. Geistig stehen die Hayeks in der rationalistischen Tradition der Aufklärung und sind deshalb wie viele wissenschaftsaffine Familien bewusst areligiös, wenngleich man aus Traditionsgründen weiterhin der römisch-katholischen Kirche angehört. Als Bub bekommt Hayek zwar eine Kinderbibel geschenkt – als er aber anfängt, darin einigermaßen interessiert zu lesen, verschwindet sie auf für ihn mysteriöse Weise. Hayek verbringt sein Leben als Agnostiker mit tiefem Respekt vor der Religion. Intellektuell spricht ihn der Protestantismus an, emotional aber empfindet er den Katholizismus stets als Heimat.

Die Großeltern Juraschek leben in einer eleganten Zehn- Zimmer-Wohnung in der Kärntnerstraße mit Blick auf die Wiener Staatsoper. Hayeks Großvater Franz von Juraschek, im rumänischen Arad geboren, ist ein hoch angesehener Staatsrechtsprofessor und Statistiker; seit 1887 amtiert er als Präsident der statistischen Zentralkommission. Er ist ein passionierter Bergsteiger. Über die Großmutter Johanna Stallner ist Hayek mit der Familie des späteren Philosophen Ludwig Wittgenstein verwandt – dank ihrer Cousine Leopoldine Kalmus, die den vermögenden Großindustriellen Karl Wittgenstein geheiratet hatte. Bei den Wittgensteins wie bei den Jurascheks verkehren Berühmtheiten der Wiener Gesellschaft und des Geisteslebens.

Die Jahrhundertwende in Wien

Wer an Wien oder Berlin in der Zeit der Jahrhundertwende denkt, dem kommen stets kulturelle Assoziationen: Aufbruchstimmung im intellektuellen Leben, in der bildenden Kunst, in Musik, Literatur und Theater, Salons. Das ist durchaus zutreffend. Doch die Unterschiede zwischen beiden Metropolen sind immens. Die noch junge Stadt Berlin blüht überhaupt erst im Zuge der Gründung des Kaiserreichs und der Industrialisierung auf und wächst, auf dem Reißbrett geplant, rapide zur Millionenstadt heran. Trotz aller preußischen Strenge ist man dort mit allen Kräften geradezu verzweifelt bemüht, dem Pariser Chic nachzueifern und nicht nur bedeutend, sondern möglichst auch noch elegant zu werden. Wien ist das längst. Preußen ist provinziell und protestantisch, Österreich-Ungarn aufgeklärt und polyglott.

Die jahrtausendealte, schon damals morbide und von Dekadenz nicht eben freie Kapitale der Donaumonarchie ist das Zentrum dieses von Freiburg bis Sarajevo reichenden Riesenreichs. Sie ist nicht nur ein Schmelztiegel der zahllosen darin zusammengefassten und nur mühsam zusammengehaltenen Völkerschaften und Kulturen mit ihren rund 50 Millionen Einwohnern. Die Stadt ist zugleich, wie es Hans Jörg Hennecke treffend nennt, ein wahres „Laboratorium der Moderne“. Wien gärt und brodelt. Das Alte wird zunehmend zur Disposition gestellt, neue Kräfte und Ideen keimen und treiben in manch überraschende Richtung aus. In dieser Atmosphäre wurzelt ein Großteil der geistigen Prägungen des 20. Jahrhunderts, im Guten wie im Schlechten.

Es ist eine ungeheuer anregende, umwälzende Epoche, eine Zeit der wissenschaftlichen Neuerungen, der Tabubrüche und des sprudelnden künstlerischen Schaffens – man denke nur an Namen wie Sigmund Freud (1856-1939) in der Psychologie, Karl Popper (1902-1994) in der Philosophie, Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914), Ludwig von Mises (1881-1973) und Joseph Alois Schumpeter (1883-1950) in der Ökonomik, Adolf Loos (1870-1933) und Otto Wagner (1841-1918) in der Architektur, Gustav Mahler (1860–1911) und Arnold Schönberg (1874-1951) in der Musik. Es ist aber auch eine Zeit der wachsenden gesellschaftlichen Gegensätze und Spannungen; eine Zeit der Brüche, in der Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft nicht nur unterschwellig in Konflikt geraten; eine Zeit, in der politische Strömungen wie Sozialismus, Antisemitismus und Nationalismus erstarken. Auch die Hayeks waren hiervon nicht frei.

Jugend und Schulzeit

In der Schule brilliert Hayek nicht. Zwar weiß er so viel, dass seine Klassenkameraden ihn „Lex“ nennen, abgeleitet von Lexikon. Aber das schulische Curriculum ist ihm herzlich egal. Er gehört zu den faulsten und schlechtesten Schülern und legt sich mit den Lehrern an. Er langweilt sich. Nichts außer der Biologie interessiert ihn. Einmal bleibt er sitzen, zweimal muss er das Gymnasium wechseln; erst wegen ungenügender Zeichenfertigkeiten und dann wegen eines Konflikts mit einem Lehrer. Im Jahr 1917 besteht Hayek aber doch noch am Elisabeth-Gymnasium die Maturaprüfung. Ihm hilft, dass der Unterricht für die zum Kriegseinsatz eingezogenen Schüler fast komplett ausfällt.

Die vor allem privat gepflegte Neigung zur Biologie verdankt Hayek dem Vater, der ihn auf seine botanischen Exkursionen mitnimmt und mit seiner Sammelleidenschaft ansteckt. August von Hayek lehrt ihn, ein eigenes Herbarium anzulegen sowie seine Erkenntnisse zu klassifizieren und fotografisch zu dokumentieren. Der Vater prägt damit wesentlich den wissenschaftlichen Ansatz des Sohnes. Im Alter von 13 bis 16 Jahren verwendet Hayek fast die ganze Freizeit für dieses Steckenpferd. Doch dann verschiebt sich allmählich seine intellektuelle Aufmerksamkeit. Er beginnt gleichsam aus der naturwissenschaftlich orientierten familiären Art zu schlagen – auch wenn ihm das Interesse für Biologie sein Leben lang erhalten bleibt.

Zunächst noch ziehen ihn die Paläontologie und die Evolutionstheorie an – doch das zweibändige Buch zur Abstammungstheorie, das ihm der Vater zur Lektüre gibt, um den offensichtlichen Wissensdurst des Sohnes zu stillen, ist dann doch noch „zu hoch“ für ihn. Hätte er es ein wenig später, etwas gereift, in die Hände bekommen, meint Hayek später selbst, dann wäre er wohl Evolutionsbiologe geworden. So aber kommt es anders. Sein Interesse am Menschen und an gesellschaftlichen Zusammenhängen erwacht. Eine Zeit lang spielt der heranwachsende Hayek mit dem Gedanken, Psychiater zu werden. Er geht oft ins Burgtheater. Das öffentliche Leben beginnt ihn zu reizen, die Wissenschaft, die Presse und die politischen Parteien – kurz: die Welt rings um ihn herum. Einem Lehrer im Gymnasium gelingt es, den ansonsten notorisch gelangweilten Schüler zu fesseln: mit einer Einführung in die aristotelische Ethik und der Unterscheidung zwischen den Sparten der Moral, der Politik und der Ethik. Das sind genau die Themen, die ihn umtreiben.

Kriegseinsatz und Fronterfahrung

1914 ist das Schicksalsjahr, in dem auf dem Balkan die politische Bombe explodiert. Am 28. Juni wird der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand im bosnischen Sarajevo von einem Mitglied einer pro-serbischen bosnischen Studentenorganisation ermordet, die gegen die seit 1908 andauernde österreichische Besatzung protestiert. Die serbische Regierung sträubt sich gegen eine gerichtliche Untersuchung des Vorfalls unter österreichischer Überwachung. Daraufhin erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Der Lokalkonflikt eskaliert wegen gegenseitiger Bündnisverpflichtungen rasch zum Kontinentalkrieg. Die Kriegsbegeisterung der jungen Menschen, die an die Front ziehen, ist legendär. Historiker vermuten heute, dass die militärischen Auseinandersetzungen gerade unter jungen Idealisten deshalb große Begeisterung stifteten, weil sie von den heimischen Konflikten gesellschaftlicher und politischer Natur ablenkten und die Nationen intern im Kampf gegen einen Gegner wieder zusammenzuschweißen versprachen. Am Ende haben in diesem Krieg rund 17 Millionen Menschen ihr Leben verloren.

Im Frühjahr 1917 muss auch Friedrich August von Hayek in den Krieg ziehen. Standesgemäß tritt er als Offiziersanwärter in ein Feldartillerie-Regiment der k.u.k. Armee ein. In seiner sieben Monate dauernden Ausbildungszeit findet er noch immer eine Menge Zeit zum Lesen. Er widmet sich vor allem der ihn damals – wie fast alle jungen Leute – stark anziehenden sozialistischen Literatur und entdeckt sein Interesse für die Wirtschaftswissenschaft. Das passt für ihn durchaus gut zusammen: „Ich bin Ökonom geworden, weil ich Sozialist war. Weil ich die menschliche Vernunft überschätzt habe wie die meisten anderen“, bekennt er später. Auch durch ein herkömmliches doppelbändiges volkswirtschaftliches Lehrbuch, das ihm ein Offizier überlassen hat, kämpft er sich hindurch, ohne dass es ihn allerdings sonderlich beeindruckt.