Heilen verboten - töten erlaubt - Kurt G. Blüchel - E-Book

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Kurt G. Blüchel

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Beschreibung

Wissenschaftsautor Kurt G. Blüchel liefert nach jahrelanger Recherche ein schonungsloses Porträt des bundesdeutschen Medizinbetriebs. Sein Fazit: Korruption hemmt vielfach die soziale und wirtschaftliche Entwicklung, unterhöhlt die öffentliche Verwaltung und gefährdet die Demokratie. Ein schockierender Aufklärungsbericht über das Medizin-Syndikat und sein skandalöses Unrechtssystem.

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Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autor
Vorwort
Einführung
 
1. Begrabene Illusionen - Vom Mekka der Medizin zum Schlusslicht
 
Copyright
Buch
In Deutschland herrscht medizinische Anarchie: Das Weißkittel-Syndikat betreibt rücksichtslose Ausbeutung der sozialen Sicherungssysteme; organisierte Fälscherbanden unterwandern medizinische Fakultäten und wissenschaftliche Institutionen; internationale Pharmakonzerne missbrauchen Säuglinge und Demenzkranke zu Arzneimittel-Experimenten; Schmiergeld-Affären und Massenbetrügereien erschüttern das Beitragsgefüge der Krankenkassen; medizinisches Wettrüsten in Kliniken und Arztpraxen macht alle Menschen zu ewigen Patienten; Skalpellvirtuosen und Chemo-Künstler operieren Millionen Kranke allein aus Profitund Karrieresucht; die Ärztelobby schüchtert Politiker und Krankenkassen ein; bundesweite Ermittlungen und gerichtliche Verfahren aufgrund von Bestechung und Korruption sind keine Ausnahmen. Vom einstigen Mekka medizinischer Koryphäen bleibt heute nichts als ein provinzieller Budenzauber.
Autor
Kurt G. Blüchel, Jahrgang 1934, ist seit vier Jahrzehnten ein intimer Kenner des Medizinbetriebs. Fünfzehn Jahre lang war er als Medizinjournalist in Pharmaindustrie, Ärzteverbänden und anderen Bereichen des Gesundheitswesens tätig. Er hat zahlreiche populärwissenschaftliche Sachbücher herausgegeben sowie mehrere gesellschaftskritische Werke verfasst, u.a. »Die weißen Magier«, »Gesundheit ist lernbar« und »Das Medizin-Syndikat«.
Vorwort zur dritten Auflage der gebundenen Ausgabe
Friedrich der Große liebte es, Randbemerkungen in Form von Bibelzitaten zu machen. Als der Vorstand der Katharinenkirche zu Potsdam gegen einen Umbau Einspruch erhob, weil er das Gotteshaus verdunkle, schrieb der König an den Rand: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.« Auch uns Nachgeborenen bleibt häufig nur der Glaube - zum Beispiel der Glaube an die Wunder im deutschen Gesundheitswesen. So hat etwa die Staatsanwaltschaft Kiel entdeckt, dass Ärzte Säuglinge über Sexualität, Drogenkonsum und Verhütungsmittel im Rahmen der »Lebensberatung« aufgeklärt haben wollen. Vier Münchner Kardiologen verschrieben einem Patienten insgesamt 27 verschiedene Arzneimittel gegen sein Herzleiden. Der Mann hatte die Fachärzte nacheinander konsultiert, die verordneten Medikamente widerspruchslos eingenommen und - überlebt. Für einen praktischen Arzt aus Berlin hatte der Tag im vergangenen Jahr 28,5 Stunden - so viel Praxisdienst rechnete er jedenfalls in den ersten beiden Quartalen 2002 gegenüber seiner kassenärztlichen Vereinigung ab. Und, ganz aktuell: Wenn die Kasse einer Klinik stimmt, können Patienten statt nach acht auch schon nach zwei Tagen als geheilt entlassen werden - Fallpauschalen anstelle von Tagessätzen machen dieses Wunder künftig zum Normalfall.
 
Irgendwie ist auch das gemeinsame »Jahrhundertwerk« der amtierenden SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihres CSU-Vorvorgängers Horst Seehofer eine wundersame Konstruktion. Denn in Wahrheit ging es den beiden Politikern weder um eine Reform der Gesundheit noch um eine Reform des vordemokratischen Gesundheitssystems, allenfalls um ein zaghaftes Reförmchen der Zahlungswege, nach dem altbewährten Muster: Wie ziehen wir 72 Millionen zwangsversicherten Bundesbürgern den letzten Cent aus der Tasche? Die Verschwendungsorgie im Medizinbetrieb steht jedenfalls nicht zur Debatte, wie sich aufgrund der hektischen Betriebsamkeit bei den Arbeitsbeschaffungsplanern der »Gesundheitsindustrie« unschwer nachweisen lässt. Bundesregierung und Opposition befassen sich weder mit der längst überfälligen Abschaffung des unseligen Machtapparates kassenärztliche Vereinigungen noch mit dem verdeckten Abrechnungssystem, das kriminellen Handlungen der Ärzteschaft regelrecht Vorschub leistet. Man stelle sich den Aufschrei in den Medien vor, wenn plötzlich alle Kfz-Reparaturen hinter dem Rücken der Autobesitzer von den Werkstattinhabern über mächtige Werkstattvereinigungen mit den Kfz-Versicherern abgerechnet würden! Übrigens: »Autos werden besser behandelt«, ließ die Bundesärztekammer Anfang 2003 im Deutschen Ärzteblatt wissen, als es darum ging, den aktuellen Stellenwert von Klinikpatienten zu ermitteln.
 
In seinem aktuellen Schwarzbuch prangert der Bund der Steuerzahler mehr als hundert Fälle öffentlicher Verschwendung an und weist darauf hin, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Den Selbstbedienungsladen Gesundheitswesen vernachlässigt der Steuerzahlerbund nahezu völlig. Dabei fallen hier allein aufgrund überflüssiger, weil medizinisch unbegründeter, Arzneimitteltherapien jährlich 30 Milliarden Euro Folgekosten an - etwa ebenso viel wie das geschätzte Verschwendungsvolumen der öffentlichen Haushalte, wo es »um nutzlose Brücken, Fehlplanungen, Gedankenlosigkeit im Umgang mit Steuergeldern und Luxus« geht, so Verbandspräsident Karl Heinz Däke. Bei einem wirtschaftlichen Umgang mit Beitragsgeldern der Versicherten könnten auch im Gesundheitswesen enorme Kosten eingespart werden. Die »Es-ist-ja-nicht-mein-Geld«-Mentalität muss endlich aus den Köpfen derjenigen, die über die Verschwendung von Steuergeldern entscheiden, betonte Däke. Erneut forderte der Steuerbund-Chef, dass der Straftatbestand der »Amtstreue« eingeführt wird. Denn selbst wenn die Rechnungshöfe den verschwenderischen Umgang mit Steuergeldern nachwiesen, habe das nur selten Konsequenzen. Ein unabhängiger Amtsankläger müsse außerdem dafür sorgen, dass die Verfahren gegen die Verschwender auch wirklich eingeleitet werden.
Ein vergleichbarer Straftatbestand ist vermutlich auch im Gesundheitswesen unumgänglich. Die Vertuschungsversuche der Verschwender in den öffentlichen Haushalten konnten zum Teil per Gerichtsurteil unterbunden werden - wo aber bleiben die Fahnder im Gesundheitswesen? Weder die abschreckende Wirkung eines Schwarzbuches - wer will sich schon in einem Schwarzbuch wiederfinden? - noch disziplinarische Konsequenzen werden hier in Erwägung gezogen, stattdessen nur organisierte Verantwortungslosigkeit. Der Medizinbetrieb ist zu einer gigantischen Geldvernichtungsmaschine verkommen. Die »Krankheitserfinder« jedenfalls haben landauf, landab Hochkonjunktur. Und die »Vitalitätsvernichtungsmaschine«, wie der Hamburger Psychiater Professor Klaus Dörner die Enteignung von Gesundheit bezeichnet, passt sich dem System an. Gesundheitsreform? Eher eine Reform gegen die Gesundheit!
 
Nach jüngsten Berechnungen des renommierten Arzneimittelexperten Professor Jürgen C. Frölich, Leiter des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, sollen es jährlich fast 60 000 Todesfälle sein, die aufgrund erschreckender Wissenslücken bei der richtigen Dosierung von Medikamenten selbst unter Klinikärzten festgestellt wurden - Tendenz steigend. Gegenmaßnahmen der Bundesregierung? Fehlanzeige! Stattdessen Abschaffung des ärztlichen Praktikums im Klinikbereich nach Abschluss des Medizinstudiums. Der Wegfall der Gesellenzeit für Jungärzte lässt nichts Gutes ahnen. Angesagt ist mit Beginn des Jahres 2004 der Sprung vom studentischen Lehrling zum Meister der Medizin ohne jegliche Probezeit. Den Pharmakologen Frölich befallen bereits Albträume, wenn er daran denkt, dass künftig ein frischgebackener Mediziner die Universität verlässt und unvermittelt mit der alleinigen Verantwortung etwa einer 24-Betten-Station am Wochenende konfrontiert wird.
Um den auf Expansion getrimmten Medizinbetrieb in Gang zu halten, werden darüber hinaus mit dem Segen der Bundesregierung Massenkrankheiten schlicht erfunden und wie mittelalterliche Seuchenzüge schon nach kürzester Zeit in den letzten Winkel der Republik verfrachtet. »Krankheit als Erfindung«, eine denkwürdige Publikation von Dieter Lenzen, die bereits Anfang der Neunzigerjahre beim Frankfurter S. Fischer Verlag erschien, hatte erstmals auf diese »medizinischen Eingriffe in die Kultur« hingewiesen. Dem Anthropologen Lenzen geht es in seinem Werk vor allem um die Frage, wie es der Medizin gelingen konnte, Betätigungsfelder zu erobern, die nur ein schmaler Grat von Unredlichkeit und Schlimmerem trennt. Warum lassen wir uns völlig neue Krankheiten aufschwätzen, folgen wie dressierte Zirkuspferde willig und widerspruchslos den Gurus im weißen Kittel? Die Hauptursache dieses Phänomens liegt Lenzen zufolge in der zunehmenden Infantilisierung der Gesellschaft und in der allgemeinen Verdrängung von Sterben und Tod. Dies sei der Nährboden, auf dem ärztliches Handeln als »säkularisiertes Priestertum« gedeiht. Immer mehr Beitragsmilliarden für medizinische Fundamentalisten und wissenschaftliche Scharlatane?
 
Die derzeitige »Gesundheitsreform« ebenso wie die Reform der Reform, die bereits jetzt heftig diskutiert wird, ist ein Reparaturversuch an einem verrotteten System - und keine grundlegende Neugestaltung. Angesichts gähnend leerer Kassen hat sich in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft nichts als dreister Aktionismus breit gemacht. Der Staat wird zunehmend zahlungsunfähiger, tüchtige Arbeitskräfte werden immer knapper, Junge wie Alte immer kränker, soziale Einrichtungen - Schulen und Bibliotheken, Schwimmbäder und Theater - verfallen, Städte und Gemeinden verwahrlosen, ganze Regionen verkommen. Kern dieser Probleme ist die demografische Entwicklung unseres Landes, denn sie allein bestimmt die Zukunft unseres Staates. An der Altersstruktur eines Volkes lässt sich am besten erkennen, ob genügend junge Menschen vorhanden sind, ob in ausreichender Zahl Kinder geboren werden, um den Wohlstand für jene aufrechtzuerhalten, welche heute jung sind, und den Wohlstand für die ältere Generation garantieren.
Das Statistische Bundesamt kommt inzwischen zu alarmierenden Erkenntnissen: Deutschland wird im Jahre 2050 nur noch 68 Millionen Einwohner haben, heute sind es 82 Millionen. Die Lebenserwartung wird bei Männern 83,7 Jahre betragen (derzeit sind es 79,2 Jahre) und bei Frauen 88,2 Jahre (derzeit 83,5 Jahre) - wobei medizinische Fort- oder Rückschritte kaum von Belang sind. Die Zahl der Ärzte wird jährlich um mindestens 4500 zunehmen und im Jahre 2050 bei wenigstens 500 000 liegen (heute sind es 380 000). Was heute noch vehement bestritten wird, dürfte bereits in den nächsten fünf Jahren zu der zwangsläufigen Tatsache führen, dass auch aus den letzten gesunden Menschen kranke gemacht werden, um das Gesundheitssystem in der heutigen Form in Gang zu halten. Damit wird offenbar, dass Deutschland nicht nur vergreist, sondern auch zum Siechen- und Krüppelheim degradiert wird. Schon heute gibt es hierzulande mehr als acht Millionen Behinderte, davon mehr als die Hälfte aufgrund medizinischer Eingriffe. Wenn im Gesundheitswesen keine radikalen Änderungen erfolgen, ist Deutschland schlicht nicht überlebensfähig.
 
Maßlos übertrieben? Schwarzmalerei? Kassandra lässt grüßen? Auch bei der gemeinnützigen Bertelsmann-Stiftung, dem größten Anteilseigner des weltweit agierenden Medienkonzerns, dem auch RTL, GEO und der Stern angehören, beschäftigen sich seit einem Jahr Experten intensiv mit den epochalen Veränderungen unserer Gesellschaft, vor allem mit den Konsequenzen, die diese einschneidenden Veränderungen für uns alle haben werden. Das Szenario für das Jahr 2050 könnte beängstigender nicht sein: Der Staat ist bankrott, die Sozialsysteme sind zusammengebrochen, die meisten großen und mittleren Unternehmen ebenso wie die jungen Eliten aller gesellschaftlichen Bereiche ausgewandert, das ganze Land ein im wahrsten Sinne des Wortes hoffnungsloses Alten- und Pflegeheim. Doch nicht erst 2050 stirbt die Heimat der Dichter und Denker, Erfinder und Entdecker. Schon im nächsten Jahrzehnt wird die Attraktivität Deutschlands für die eigenen Bürger wie für dringend benötigte Fachkräfte aus anderen Ländern rapide schrumpfen. Wer gut ausgebildet und jung ist, geht in die Schweiz, sucht sein Glück in Übersee oder Fernost zu machen. Einem vergreisten, chronisch kranken Land kehren immer mehr Menschen fluchtartig den Rücken, was den Niedergang unseres Gemeinwesens erheblich beschleunigen dürfte. Noch ziehen junge Menschen aus den neuen Bundesländern in die alten, hinterlassen in ihrer ostdeutschen Heimat sterbende statt blühende Landschaften, wie es ihnen einst vollmundig verheißen wurde. Aber schon in wenigen Jahren wird das Ziel dieser zutiefst enttäuschten Generation nicht mehr Deutschland heißen.
Die wenigen noch verbleibenden Jungen verweigern immer aggressiver die ständig steigenden Sozialbeiträge, werden eines gar nicht allzu fernen Tages regelrecht Krieg gegen die Alten führen, die dann in den Parlamenten über eine erdrückende Mehrheit verfügen dürften. Immer mehr Altenghettos entstehen, attraktive Läden und Einkaufszentren verschwinden, Büro- und Wohnkomplexe verfallen oder werden abgerissen, Schulen und Kindergärten geschlossen, Bibliotheken und Theater dicht gemacht. Satelliten- und Trabantenstädte leiden mehr und mehr an Auszehrung, versinken im Elend. Lediglich Krankenhausareale werden zu gigantischen Klinikstädten aufgebläht wie Krebsgeschwüre, der Moloch Medizinbetrieb zwingt alles Gesunde unter seine Knute. »Das ist ein Szenario, das zeigt, was passieren kann, wenn wir nicht rechtzeitig etwas tun und immer nur auf die dringendsten Probleme reagieren«, so Andreas Esche, Projektleiter bei der Bertelsmann-Stiftung. Esche weiter: »Wir können diese Entwicklung noch abwenden, müssen aber schnell das Ruder herumreißen, um den Supertanker Deutschland vom Kollisionskurs abzubringen. Das wird umso schwerer und schmerzhafter, je später wir damit beginnen.«
Nicht nur unter weit blickenden Gesundheits- und Sozialpolitikern sind die Fakten von heute und ernüchternden Zukunftsszenarien bekannt. Auch Mediziner, Bevölkerungsexperten und Ökonomen warnen allenthalben vor dieser heraufziehenden Katastrophe, doch bislang verhallen diese Mahnungen weitgehend ungehört oder gehen im Gezeter und angesichts überschäumender Drohgebärden ärztlicher und pharmazeutischer Interessenverbände unter. Dabei ist vieles von dem, was als Menetekel an die Wand gemalt wird, heute schon Realität. Dem Flächenbrand rasant steigender Sozialabgaben und ständig wachsender Zuzahlungen stehen sinkende Leistungen und eine erschreckend miese Qualität der medizinischen Leistungserbringer gegenüber.
 
Alles, was über ein Minimum lebenserhaltender Maßnahmen hinausgeht, werden Rentner, Kranke und Behinderte künftig aus eigener Tasche finanzieren müssen - doch ihre Taschen sind bereits heute leer! Wir werden daher nicht nur bis 70 Jahre und länger arbeiten müssen, sondern auch schon in jungen Jahren als chronisch Kranke am Tropf einer bedrohlich wuchernden Krankheitsindustrie hängen; und der Tod wird uns vermutlich immer häufiger am Arbeitsplatz ereilen. Wenn wir noch länger an allen möglichen Stellschrauben herumdrehen, wird uns das Monstrum Medizinbetrieb - heute noch immer als das beste Gesundheitswesen der Welt verniedlicht - mehr und mehr persönliche Freiheit rauben, Armeen multimorbider Kranke produzieren und schließlich das »sozial verträgliche Frühableben« beschleunigen, das ein früherer Präsident der Bundesärztekammer schon vor Jahren zur Diskussion gestellt hat. Wer heute wie die amtierende Bundessozial- und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt unter eilfertiger Mithilfe ihres parteipolitischen Gegners Horst Seehofer ausschließlich nach neuen Geldquellen für ein Fass ohne Boden Ausschau hält, statt durch einschneidende Strukturmaßnahmen den Medizinbetrieb zukunftssicher zu gestalten, gefährdet nicht nur den sozialen Frieden in unserem Land, sondern übernimmt auch zwangsläufig die Rolle eines Sozialschädlings.
 
Ist es nicht gespenstisch? Die Wirtschaft lahmt, die Vollbeschäftigung ist ins Land der Träume verbannt, galoppierende Massenarbeitslosigkeit an der Tagesordnung, die Bevölkerung verharrt in ohnmächtiger Schreckstarre, die Pleitenzahlen überschlagen sich, und immer mehr Unternehmen geraten in einen ruinösen Teufelskreis. Inzwischen ist das einstige Vorbild für Wachstum und Wohlstand europaweit Schlusslicht auf nahezu allen Gebieten: bei der Arbeitslosigkeit und bei der Gesundheit, beim technisch-wissenschaftlichen Fortschritt und bei der schulischen Bildung. Nur Ärzte und Arzneimittelkonzerne tanzen gleich Derwischen auf einem brodelnden Vulkan. Der von Bundesregierung und Opposition mühsam ausgehandelte Gesundheitskompromiss gebietet der systematischen Plünderung der Krankenkassen durch die medizinische Über- und Fehlversorgung kaum Einhalt. Ausländische Pharma-Multis erfinden völlig neue Massenkrankheiten, um ihre Märkte für risikoreiche Arzneimittelinnovationen unablässig zu vergrößern. Die Schulmedizin verkommt durch ihr hinterwäldlerisches Ausbildungssystem zur Quacksalberei. Die beängstigende Zunahme ihrer Misserfolge verwandelt das Gesundheitswesen in ein lebensgefährliches Experimentierfeld auf Kosten ahnungsloser Patientenheere, und am Ende werden politische Scharlatane den Moloch Medizin zu Tode kurieren.
Die Diagnose ist unstrittig, und sie gibt kaum Anlass zu einem Hoffnungsschimmer: Das deutsche Gesundheitswesen, einst das Mekka der Medizin und von Experten aus aller Welt als vorbildlich gepriesen, ist im weltweiten Vergleich enorm überteuert und gleichzeitig unglaublich ineffizient. Im Ergebnis produziert es inzwischen mehr Kranke als Gesunde. Die Versicherten zahlen für die Luxusklasse, doch der gebotene Service ist - von rühmlichen Ausnahmen abgesehen - drittklassig. Dieses Fazit legen nicht nur internationale Studien mit zum Teil vernichtender Urteilsbegründung nahe, wenn sie beispielsweise der deutschen Herzmedizin - für viele das Filetstück unseres Medizinbetriebs - weitgehende Inkompetenz bescheinigen. Beschämender noch ist der Qualitätsstandard der deutschen Krebsmedizin, die sich seit Jahren im internationalen Ranking als Träger der roten Laterne einen unrühmlichen Namen gemacht hat. Mittlerweile ist auch die wenig verwöhnte »Kundschaft« unzufrieden: Mehr als die Hälfte aller Deutschen bewertet nach jüngsten Umfragen die Qualität der medizinischen »Leistungserbringer« als mangelhaft, in vielen Bereichen sogar als völlig ungenügend. Hauptkritikpunkte: falsche und überflüssige Diagnosen sowie unsinnige und riskante Behandlungsmethoden.
Deutschland nimmt im internationalen Vergleich mit rund 70 Betten je 10 000 Einwohner einen Spitzenplatz ein. Gleichzeitig dauert die Krankenhausbehandlung hierzulande mit durchschnittlich 12 Tagen je Patient am längsten. Grund: Die Betten müssen belegt sein, um den aufgeblähten Klinikbetrieb am Leben zu erhalten. Regierungsberater Professor Karl W. Lauterbach hat vorgerechnet, dass etwa 230 000 Klinikbetten (von insgesamt 550 000) abgebaut werden müssten, um den internationalen Durchschnittswert zu erreichen. Das Sparpotenzial beläuft sich allein in diesem Bereich auf rund 20 Milliarden Euro! Bei der Krebsdiagnostik könnten nach Professor Henning König von der Universität Erlangen bis zu 25 Prozent der Kosten eingespart werden. Die finanziellen Abstriche seien möglich, ohne dass die Qualität der Diagnosen und der nachfolgenden Behandlung leide. Es sei lediglich erforderlich, auf die gegenwärtige »unnötige Überdiagnostik« zu verzichten - damit könnte gleichzeitig Zehntausenden von Patienten viel Leid und vorzeitiges Sterben erspart werden. Was allerdings dagegen spricht, ist einem Leitartikel des Deutschen Ärzteblattes zu entnehmen: »Das im Gesundheitssystem erbrachte Leistungsspektrum orientiert sich primär - völlig zu Recht - an den wirtschaftlichen Überlebenschancen der Leistungserbringer und nicht an den Bedürfnissen der Leistungsnehmer.« Hier werden die Patienten unverblümt als Doofe abgestempelt.
Derzeit werden auf Grund von jährlich vier Millionen »grauen Mammografien«, also medizinisch unbegründeten, wirtschaftlich jedoch im Budget der Leistungserbringer eingeplanten Diagnosen, 100 000 Frauen operiert, bei denen ein solcher Eingriff nicht erforderlich wäre, wenn stattdessen mit der fachärztlichen Qualität europäischer Nachbarländer, wie beispielsweise der Niederlande, gescreent würde, heißt es in einem Gutachten des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im deutschen Gesundheitswesen. Von den jährlich 100 000 überflüssigerweise operierten Frauen sterben darüber hinaus 4000 gutgläubige Patientinnen. Überflüssige, das heißt medizinisch unbegründete Operationen werden in Deutschland fast allen ärztlichen Fachgebieten vorgeworfen. Insgesamt sollen sich von den jährlich acht Millionen Eingriffen in Krankenhäusern etwa die Hälfte als nicht notwendig erweisen. Solche und ähnlich alarmierende Zahlen haben den Münchner Medizin-Informatiker Wilhelm von Eimeren auf den Plan gerufen. Seit Jahren warnt er vor allzu unspezifischen Massentests und - auf einem Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung - vor einem »Volk von Vorsorgegeschädigten«.
Falls das Verhalten der Ärzte selbst und ihrer Familienangehörigen zum Maßstab genommen würde, könnten nach Schätzungen von Experten allein 30 Millionen Krankenhaustage oder rund 22 Milliarden Euro eingespart werden - aber auch Zehntausende von Toten sowie hunderttausende Medizingeschädigte pro Jahr verhindert werden. Bei Operationen der Gallenblase liegt die Eingriffshäufigkeit 84 Prozent höher, bei Hämorrhoiden-Operationen 83 Prozent, bei Gebärmutteroperationen 53 Prozent und bei Mandeloperationen immer noch 46 Prozent höher als bei Ärzten und ihren Familienangehörigen. Lediglich bei Blinddarmoperationen, die hierzulande viermal häufiger durchgeführt werden als im europäischen Durchschnitt, liegen die Vergleichszahlen bei der übrigen Bevölkerung mit acht Prozent nur unwesentlich höher als bei Ärzten. Dafür lehnen mehr als 90 Prozent aller Ärzte für sich und ihre Familienangehörigen eine Chemotherapie bei Krebs ab!
Das Wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen hat errechnet, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung im gleichen Maße sinkt, wie die Arztdichte in Ballungsräumen zunimmt. Der renommierte Medizinpublizist Dr. med. Hans Halter ist auf Grund eigener Nachforschungen zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen gelangt: »Bürger, die in einem Gebiet mit vielen Ärzten und reichlich Krankenhäusern wohnen, verwandeln sich rascher in Patienten, werden häufiger operiert, nehmen mehr nebenwirkungsreiche Medikamente und sterben, gemessen am statistischen Durchschnitt, früher.«
 
Zudem gilt Deutschland seit langem im internationalen Vergleich als das Arzneimittel-Tollhaus Europas. Schon heute zählt hierzulande ein sintflutartiger Strom von Zäpfchen und Pillen, Salben und Tropfen - insgesamt soll es zwischen 50 000 und 60 000 verschiedene medikamentöse Darreichungsformen geben - zu den wichtigsten Todesursachen. Vor allem die skandalösen Qualitätsmängel in der Arzneimitteltherapie verursachen nach Meinung des angesehenen Arzneimittelexperten Professor Frölich jedes Jahr eine schier unerträglich hohe Zahl von Toten. Der Hauptgrund für diese nationale Tragödie: Mehr als die Hälfte der deutschen Ärzte könne nicht fachgerecht mit Arzneimitteln umgehen. Wie Mediziner nach ihrem Studium auf Patienten losgelassen würden, sei in etwa vergleichbar mit einem Führerscheinaspiranten, der kurz nach bestandener Prüfung nicht ans Lenkrad eines Autos, sondern an den Steuerknüppel einer Boeing 747 gesetzt werde. Das jüngste Untersuchungsergebnis bei Internisten im Krankenhaus fasst der Hannoveraner Pharmakologe so zusammen: »54 Prozent von 168 getesteten Klinikärzten wissen nicht, wie viel Wirkstoff sie einem Patienten verschreiben dürfen und wie viel ihn womöglich umbringen wird.« Die Folgekosten der durch Medikamente geschädigten Patienten ohne direkte Todesfolge sind einem Horrorszenario nicht unähnlich: Professor Frölich schätzt die Schadenssumme auf über 30 Milliarden Euro, das ist mehr als das Jahresbudget der gesetzlichen Krankenkassen für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Dies wird untermauert durch Erhebungen des renommierten Pharmakologen Professor Dr. Manfred Wehling von der Universität Mannheim, wonach jährlich zwei Millionen ältere Menschen über 60 Jahre nur deshalb in Kliniken eingewiesen werden, weil sie von niedergelassenen Ärzten unsachgemäß mit Medikamenten behandelt wurden. Die daraus resultierenden Arzneimitteltoten schätzt Professor Wehling auf rund 100 000! In der Deutschen Medizinischen Wochenschrift wies der bekannte Mediziner darauf hin, dass diese jährlich zu beklagenden Pharmaopfer einen makabren Sargkonvoi von Frankfurt/ Main bis Düsseldorf ergeben würden.
 
Ulla Schmidt und Horst Seehofer haben mit ihrem Gesundheitsreförmchen so gut wie nichts gegen diese katastrophalen Zustände und die damit verbundene Verschwendungsorgie im Gesundheitswesen getan, vor allem die vordemokratischen Systemstrukturen unangetastet gelassen. Nicht der medizinische Fortschritt lässt das marode System aus dem Ruder laufen, sondern die völlig unzureichende Qualität der ärztlichen Aus- und Weiterbildung. Und die Patienten stehen im undurchdringlichen Dschungel des Gesundheitssystems auf total verlorenem Posten. Insbesondere als Kontrollinstanz, als reformerischer Machtfaktor, der gewissermaßen vom Feldherrnhügel die Richtung vorgeben könnte, ist der einzelne Bürger maßlos überfordert. Die Bundesregierung sollte daher Ärztekammern und kassenärztliche Vereinigungen vor allen anderen notwendigen Maßnahmen dazu zwingen, die eklatantesten Versäumnisse und Mängel bei der medizinischen Versorgung zu beseitigen, die labyrinthischen Strukturen durchsichtig zu machen, und damit zumindest ansatzweise Kundensouveränität im chaotischen Gesundheitsmarkt sicherstellen. Ein Patienten-Ombudsmann, wie er seit einiger Zeit diskutiert wird, ist vermutlich keine gute Lösung. Eher schon die Gründung von Gesundheitsparlamenten, die auf Kommunal- und Länderebene die berechtigten Interessen der 80 Millionen potenziellen Patienten eigenständig vertreten könnten.
Allzu behutsam brauchen wir mit den nach wie vor im Wohlstand lebenden Leistungserbringern des Medizinbetriebs nicht umzugehen, denn die Notwehrsituation ist offensichtlich, eine weitere Rücksichtnahme auf partikulare Gruppeninteressen nicht länger hinnehmbar. Die von den Nazis gegründeten Ärztegewerkschaften - auch kassenärztliche Vereinigungen genannt - haben seit mehr als einem halben Jahrhundert Honorar- und Preisdiktate gegenüber Krankenkassen und allen bisherigen Bundesregierungen durchgesetzt. Sie haben die Arzthonorare, Klinik- und Pharmakosten ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation im Lande stets über ein vertretbares Maß hinaus vorangetrieben, sodass die Lohnnebenkosten für viele Unternehmen untragbar wurden und Arbeitslosigkeit sich zum Massenphänomen entwickelte. Arbeitslosigkeit ist geradezu zum Erfolgsindikator für die undemokratische Kartellpolitik von Ärzteschaft und Pharmaindustrie avanciert, weil sie es verstand, gegen den Trend volkswirtschaftlicher Kriterien stets höhere Abschlüsse zu erzwingen, als sie in einem regulären Wettbewerbsmarkt jemals erzielbar gewesen wären.
Angesichts der rasch wachsenden Arbeitslosenzahlen sind akute Notmaßnahmen zur Abwendung größeren Unglücks dringend geboten. Nicht die Suche nach immer neuen Geldadern kann Entlastung für Deutschland bringen, sondern dies vermögen nur strenge Honorar- und Preiskontrollen durch die gesetzlichen Krankenkassen, ergänzt durch eine strikte Qualitätssicherung in allen Bereichen des Gesundheitssystems. Wir dürfen nicht länger Leistungen und Forderungen akzeptieren, für die Qualitätskontrollen ein Fremdwort ist. Sobald der Existenzerhalt eines Interessenkonglomerats - hier der aus allen Fugen geratene Medizinbetrieb - wichtiger zu werden droht als das zu erbringende Leistungsvolumen, kann nur noch eine politische Zäsur erfolgen, um den solidarische Konsens unserer Gesellschaft nicht zu gefährden. Vermutlich können die Krankenkassen als Treuhänder der Versicherten des unkontrollierten Wildwuchses im Gesundheitswesen nur dadurch Herr werden, indem sie mit den qualitativ besten Leistungserbringern des Medizinbetriebs befristete Verträge abschließen, um damit gleichzeitig schulmedizinischer Scharlatanerie und Quacksalberei einen Riegel vorzuschieben. Denn wir brauchen nicht nur medizinische Reparateure und Schadensbeheber, sondern vor allem Bataillone von Schadensverhütern. Wie der Rattenfänger von Hameln führen Ärzte und Arzneimittelhersteller immer mehr Menschen in lebenslange Krankheit, statt sie davor zu bewahren. Daher benötigen wir dringend gut ausgebildete Gesundheitsspezialisten statt trickreicher Krankheitserfinder.
 
Die ständige Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und andere Kontrollorgane insbesondere im Pharmabereich laufen inzwischen Gefahr, zu Komplizen eines Wirtschafts- und Industriezweiges zu werden, der unentwegt Produkte entwickelt, die kaum jemand braucht und die nur deswegen in den völlig übersättigten Arzneimittelmarkt gepumpt werden, um das Kapital der Eigner zu mehren, nicht aber die Gesundheit der Bevölkerung. Wer benötigt schon einen Wirrwarr von 250 Blutdruck senkenden Mitteln, wenn jedes der zehn besten Medikamente besser ist als die restlichen 240? Welche Frau hat noch Lust auf ein Füllhorn von Hormonen, das zwar ewige Jugend verheißt, aber eher Krebs, Alzheimer und Herzinfarkt bewirkt?
 
»Das oberste Handlungsprinzip im deutschen Gesundheitswesen ist Betrug«, erklärte der prominente Medizinprofessor Dr. Peter Schönhöfer, Mitherausgeber des unabhängigen arznei-telegramms in Berlin und Mitglied der deutschen Sektion der weltweit tätigen Antikorruptionsgesellschaft Transparency International. Politik und Medien täten womöglich gut daran, die Öffentlichkeit vor Kriminaltätern im Medizinbetrieb zu warnen. Getreu der Brechtschen Devise: Wer die Wahrheit nicht kennt, ist nur ein Dummkopf - wer sie aber kennt und gleichwohl leugnet, ist ein Verbrecher.
Einführung
Die deutsche Ärzte-AG liefert den Stoff, aus dem Thriller und Horrorfilme entstehen. Die gesundheitspolitischen Dauerbrenner weisen dabei alle Ingredienzen auf, die klassischen Hollywoodstreifen, Marke Al Capone, eigen sind: Betrug und Korruption, Geldgier und Streik, Tote und Verletzte, Allmachtsträumereien und politische Verflechtungen. Das riesige Labyrinth des Gesundheitswesens mit mehr als 4,2 Millionen Beschäftigten und damit größter Arbeitgeber in der Bundesrepublik befindet sich derzeit auf gefährlichem Kollisionskurs. Geschieht in allerletzter Minute nicht noch ein Wunder, so steuert der außer Kontrolle geratene Supertanker der zweitgrößten Katastrophe seiner wechselvollen Geschichte entgegen.
 
Die Geburtsstunde dieser medizinischen Krimiserie schlug vor genau 120 Jahren, als gegen den erbitterten Widerstand der Ärzteschaft der preußische Reichstag unter Führung seines Kanzlers Otto von Bismarck das erste Gesetz zur gesetzlichen Krankenversicherung verabschiedete. Da die Mediziner am Ende machtlos waren - das letzte Mal, wie sich herausstellen sollte -, hatten sie seither nur ein einziges Ziel: die Zerschlagung dieses sozialen Regelwerks, das damals allein zugunsten Not leidender Bevölkerungsschichten geschaffen worden war. Damit verbunden war gleichzeitig eine ständige Konfrontation mit den »roten Krankenkassen«, deren Aufgabe darin bestand, dem Gesetz Geltung zu verschaffen.
Nachdem die Ärzteschaft in der Weimarer Republik ihre Attacken gegen Sozialisierungstendenzen im deutschen Gesundheitswesen mithilfe der Nationalsozialisten forcierte und ihre von langer Hand vorbereiteten Pläne zum rassehygienischen Umbau des deutschen Volkes abgeschlossen hatte, erklärte Hitler 1933 die Gesundheit zur Chefsache. Damit sollte gleichzeitig der Grundstein für eine »tausendjährige« Blütezeit der in ihrer erdrückenden Mehrheit rechts orientierten Ärzteverbände gelegt werden (in Kapitel 2 werden wir uns ausführlich mit den Machenschaften eines kollektiv agierenden Ärztestandes befassen). Dem medizinischen Machtrausch im »Dritten Reich« folgte Katerstimmung. Doch die Depression war nur von kurzer Dauer. Nachdem die alliierten Siegermächte 1946 sich damit begnügt hatten, lediglich einer Hand voll Ärzten in Nürnberg den Prozess zu machen, war für die bis auf den heutigen Tag vermeintlich schuldfreie Masse der übrigen Mediziner das Terrain geebnet für einen Sturmlauf gegen die verhassten Krankenkassen und ihre immer größer werdenden Goldgruben, die Beitragsmilliarden der Versicherten.
Gaben sie sich 1950 noch mit einem bescheidenen Betrag von zwei Milliarden D-Mark zufrieden, so sind sie heute bei der Wahnsinnssumme von mehr als 300 Milliarden Euro angelangt. Keine andere Branche hatte im letzten halben Jahrhundert auch nur annähernd solche Einkommenssteigerungen zu verzeichnen. Und keine andere gesellschaftliche Gruppierung hat einen vergleichbar hohen Wohlstand angehäuft. Dennoch sind Ärzte die Einzigen, die vom Sparen, gar von Nullrunden, nichts wissen wollen - im Gegenteil: Der oberste Funktionär der 380 000 deutschen Mediziner hat zu Beginn des Jahres 2003 mehrfach damit gedroht, das gesamte Gesundheitswesen der Bundesrepublik lahmzulegen, falls der Rubel nicht rollt wie gewünscht.1
 
Eine sachlich geführte Diskussion dieser vom Arzt und vom gesamten Medizinbetrieb verursachten Epidemie wird das Gemeinwohl sicher nicht gefährden. Gefahr droht eher durch die seit Jahrzehnten passive Öffentlichkeit, die immer wieder dazu bereit ist, sich mit oberflächlichen ökonomischen oder gesundheitspolitischen Retuschen zufrieden zu geben. Eine Entmystifizierung des Medizinbetriebs würde es uns allen ermöglichen, selbst wieder die Kontrolle über die medizinischen Erkenntnisse, Theorien und Entscheidungsprozesse zu erlangen. »Ich behaupte«, so die lebenslange Überzeugung des unlängst verstorbenen Medizinkritikers Ivan Illich, »dass der Laie und nicht der Arzt potenziell den Überblick und tatsächlich die Macht besitzt, der heutigen iatrogenen [vom Arzt verursachten - der Verfasser] Epidemie ein Ende zu setzen. … Der medizinische Laie wird sich selbst die Kompetenz aneignen müssen, um die Auswirkungen der Medizin auf die allgemeine Gesundheit zu beurteilen. Unter allen Spezialisten unserer von Spezialisten beherrschten Zeit sind die Ärzte diejenigen, die für dieses dringend fällige Unternehmen das höchste Maß an spezialisierter Inkompetenz mitbringen.«2
Es stellt sich gegenwärtig wieder einmal ganz deutlich heraus, dass der zunehmend schriller tönende Anspruch der Ärzte, sie allein seien qualifiziert, das Gesundheitswesen selbst zu kurieren, auf einer Illusion beruht. Auch Illich hatte erkannt, dass »die Heilung des - die ganze Gesellschaft erfassenden - iatrogenen Leidens nicht die Aufgabe des Arztes ist, sondern der Politik«. Sie muss ausgehen von einem auf breitester Basis hergestellten Konsensus über das Gleichgewicht zwischen dem Bürgerrecht zu gesunden, und dem Bürgerrecht auf gerechte Gesundheitsversorgung. Während der letzten Generationen hat sich das ärztliche Monopol über das Gesundheitswesen unkontrolliert ausgedehnt und unser Recht am eigenen Körper beschnitten. Den Ärzten wurde von der Gesellschaft das ausschließliche Recht übertragen »zu bestimmen, was Krankheit ist, wer krank ist oder sein darf und was für ihn getan werden soll. Abweichung ist heute nur dann ›legitim‹, wenn sie eine medizinische Interpretation und Intervention verdient und letztlich rechtfertigt. Die Verpflichtung der Gesellschaft, allen Bürgern die Produkte der Medizin in nahezu unbegrenztem Maß zur Verfügung zu stellen, droht die Umwelt und die kulturellen Bedingungen zu zerstören, die der Mensch braucht, um ein Leben dauernder autonomer Gesundheit zu führen. Diese Tendenz müssen wir erkennen und schließlich revidieren.«3
Die Macht und die Strukturen des ärztlichen Berufsstandes sind ein bemerkenswertes Überbleibsel des Nazi-Regimes. Sie resultieren aus der Tatsache, dass mit Billigung bestimmter akademischer Kreise - insbesondere der Justiz - eine politische Delegierung autonomer Machtbefugnisse an die ärztlichen Standesorganisationen stattgefunden hat. Wir können nicht ernsthaft erwarten, dass diese erstmals im »Dritten Reich« zu voller Blüte entwickelte und seither nie mehr wirklich infrage gestellte Autorität der Ärzteschaft freiwillig wieder aufgegeben wird; immerhin hat sie damit einen seit der Antike nie gekannten Wohlstand und ein damit verbundenes hohes Ansehen in der Gesellschaft erreicht. Die Gefahr, die mit einem derart ungewöhnlichen Machtpotenzial in den Händen einer einzigen Berufsgruppe verbunden ist (im Kapitel 2 werden wir uns ausführlich damit zu befassen haben), kann nur durch einen allgemeinen Konsens innerhalb der Gesellschaft ihrer inzwischen völlig unangemessenen Legitimität enthoben werden. Vermeintliche Selbstheilungsversuche des ärztlich majorisierten Gesundheitssystems sind aus nahe liegenden Gründen zum Scheitern verurteilt. Eine grundlegende Reformierung des Medizinbetriebs muss daher das Ziel politischen Handelns sein. Ökonomische Korrekturen, wie sie zurzeit auf politischer Ebene diskutiert werden, zeigen zunächst kaum Wirkung; sie sind bestenfalls eine Konsequenz daraus.
Das Unbehagen von Millionen Opfern ärztlicher Fürsorge bedarf allerdings klarer Konzepte, bevor es zu einer gewichtigen politischen Kraft werden kann. Kosmetische Retuschen allein werden - das haben die Maßnahmen aller Regierungen nach dem Zweiten Weltkrieg erwiesen - keine grundsätzliche Trendwende herbeiführen. Wenn andererseits die Öffentlichkeit den krank machenden Charakter der Medizin in ihren wahren Dimensionen erkennt, könnte dies zu ohnmächtiger Wut in der Bevölkerung führen und damit das Arzt-Patient-Verhältnis dauerhaft beschädigen. Die Öffentlichkeit wird aufgrund der bereits angerichteten Schäden vermutlich den Eindruck gewinnen, dass sie durch unbegründeten Optimismus seitens der ärztlichen Standesvertreter fälschlicherweise in Sicherheit gewiegt wurde. Das Wissen um die katastrophalen Zustände in fast allen Bereichen des Gesundheitssystems muss deshalb in klaren, begründeten und einfach formulierten Kategorien artikuliert werden, um es für die politische Auseinandersetzung kompatibel zu machen. Diese Informationen aus dem Innern des weitgehend im Verborgenen wirkenden Systems könnte auch der Bevölkerung neuen Mut einflößen, ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf Selbstbestimmung und die Fähigkeit zur Selbstbehandlung wiedergewinnen lassen.
 
Die erdrückenden Beweise, auf die sich eine Anklage unseres gegenwärtigen Gesundheitssystems auch in diesem Buch stützt, sind kein Geheimnis. Sie lassen sich aus renommierten medizinischen Fachpublikationen und Forschungsberichten zusammentragen. Sie waren bislang von ärztlichen Zirkeln weitgehend unter Verschluss gehalten worden und deshalb kaum geeignet, in der politischen Auseinandersetzung Wirkung zu zeigen. Die Hauptaufgabe besteht jetzt vor allem darin, in allgemein verständlichen, nicht-medizinischen Begriffen darzustellen, welche Schäden durch welche zum Teil unsinnigen Maßnahmen im Medizinbetrieb verursacht worden sind und - das ist eigentlich die erschreckendere Botschaft - mit zunehmender Tendenz immer noch verursacht werden. Wie speziell im Kapitel 4 anhand zahlreicher Beispiele nachgewiesen wird, hat sich das Überborden des medizinisch-pharmazeutischen Industriekomplexes zu höchst bedrohlichen Formen entwickelt. Im gleichen Maße, wie die ärztlichen Allmachtsfantasien ins Kraut geschossen sind, hat die öffentliche Gutgläubigkeit - kombiniert mit zum Teil grenzenloser Bewunderung - wahrlich Furcht erregende gesundheitsschädigende Dimensionen angenommen.
Mit einer im medizinischen Fachschrifttum bisher unbekannten Couragiertheit hat sich unmittelbar nach der Jahrtausendwende die altehrwürdige Münchner Medizinische Wochenschrift in die gesundheitspolitische Diskussion eingemischt. Unter der Überschrift »Weiße Kittel und schmutzige Hände« nahm das renommierte Ärzteblatt den deutschen Medizinbetrieb unverblümt als »Unrechtssystem« ins Visier. Gleichzeitig zitierte die Zeitschrift den Leiter der Sonderkommission »Abrechnungsbetrug« beim Bundeskriminalamt (BKA), Raimund Schmidt, mit einer Aussage, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: »Die kriminellen Strukturen im Gesundheitswesen sind nur noch vergleichbar mit der ›organisierten Kriminalität‹.«4 Die angesehene Medizinerzeitschrift veröffentlichte eine Studie der weltweit tätigen Antikorruptionsorganisation »Transparency International (TI)«, die sich erstmals in dieser Gründlichkeit mit den Hauptursachen hinsichtlich Verschwendung, Missbrauch und Betrug im deutschen Gesundheitswesen befasste. Insbesondere die fehlende Transparenz in diesem weitgehend geschlossenen System, so die Autorin und TI-Vorstandsmitglied der Sektion Deutschland, die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Anke Martiny, sei zugleich auch hauptverantwortlich als »Einfallstor für Korruption«. Anlass für die Studie war die explodierende Zahl von Medienberichten über Honorarbetrügereien wie beispielsweise im bundesweit bekannt gewordenen Herzklappenskandal, über Bestechungen wie etwa im Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes und über verdeckte Zahlungen wie zum Beispiel für medizinische Fortbildungskongresse und geschönte Arzneimittelstudien.
Martiny hatte Experten aus der Ärzteschaft, den Krankenkassen, der Apothekerschaft und der Pharmaindustrie befragt. Alle konnten konkrete Missstände in ihrem Bereich nennen und bekundeten ihren Willen, solche Übel aus der Welt zu räumen. Beim guten Vorsatz ist es jedoch geblieben. Die Abrechnungsbetrügereien von Ärzten und Kliniken zu Lasten der Krankenkassen - und damit zu unser aller Lasten - greifen weiter um sich. In seinem Jahresbericht von 2001 weist das Bundeskriminalamt mehr als 20 000 Fälle aus, bei denen ein Schaden von mehr als 220 Millionen Euro entstanden sei. Die Kriminalbeamten bemerken dabei ausdrücklich, dass die Dunkelziffer weit höher liege. Die Schadenentwicklung gebe »nur eine Tendenz, jedoch kein Spiegelbild der Realität wieder«.5 Abrechnungsbetrug sei »wesentlich weiter verbreitet, als dies in den polizeilichen Statistiken zum Ausdruck kommt«. Allerdings ist dem Jahresbericht zufolge die Sensibilität bei den Strafverfolgungsbehörden gestiegen, »einen zunehmenden Teil des großen Dunkelfeldes aufzuhellen«.
Richter und Staatsanwälte, die sich derzeit anschicken, diesen bundesweiten Sumpf auszutrocknen, werden vermutlich ihre blauen Wunder erleben. Die trickreichen Schwindeleien bei den 130 000 niedergelassenen Ärzten und in den 2200 Krankenhäusern ist eines der heikelsten Themen im Dauerstreit über die Reform des Gesundheitswesens. Während die Ärzteorganisationen - wie seinerzeit anlässlich der Aburteilung von Nazi-Medizinern im Nürnberger Ärzteprozess - von »wenigen schwarzen Schafen« sprechen, machen Kritiker des völlig aus dem Ruder gelaufenen Systems eine »Mentalität des Abkassierens« 6 aus. Als Grund für die ihrer Vermutung nach außergewöhnlich hohe Dunkelziffer nennen auch die Beamten des Bundeskriminalamts das »unkontrollierte Abrechnungssystem«. Patienten könnten die Posten auf den Rechnungen der Ärzte nicht mit der tatsächlich erbrachten Leistung vergleichen. Die Krankenkassen scheuten oft aus Kostengründen und der Vielzahl der Fälle eine Nachforschung und zahlten das Honorar häufig ungeprüft aus. »Entsprechend gering ausgeprägt ist deshalb auch das Anzeigeverhalten in diesem Deliktfeld«, bemängeln die BKA-Experten auf ihrer Internetseite.7 Das »bereits in der Vergangenheit festgestellte mangelnde Unrechtsbewusstsein bei den wegen Abrechnungsbetrugs angezeigten Ärzten« habe sich jedoch ständig weiterentwickelt. Bei dem Straftatbestand, den das Bundeskriminalamt als »betrügerische Erlangung von Geldleistungen von Krankenkassen, Krankenversicherungen und Beihilfestellen durch Angehörige medizinischer oder pharmazeutischer Berufe« deklariert, handelt es sich um eine »besonders sozialschädliche Form der Wirtschaftskriminalität mit hohen Schadensummen und sehr negativen Auswirkungen auf die Integrität des Gesundheitswesens«.
Statistisch erfasst wird Abrechnungsbetrug erst seit 1999. Damals verzeichneten die Ermittler 13 400 Fälle mit einem Schaden von 90 Millionen Euro, im Jahre 2000 dann 17 000 Fälle mit einem Schaden von 210 Millionen Euro. Für das Jahr 2002 wird vom BKA von sage und schreibe mehr als 24 000 Abrechnungsbetrügereien gesprochen! Die Gauner-Bilanz dürfte aber erneut nur die oberste Spitze eines Eisbergs darstellen, an dem der Supertanker Gesundheitswesen zu zerschellen droht. Juristen, die sich mit einschlägigen Bestimmungen und Richtlinien auseinander setzen, die von den ärztlichen Selbstverwaltungsorganen in eigener Machtvollkommenheit selbst erlassen werden, kommen heute zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass diese Regelwerke grundsätzlich gegen geltendes Recht verstoßen. 8 Die Münchner Medizinische Wochenschrift zitiert in diesem Zusammenhang einen Fall, der vor nicht allzu langer Zeit auch in den Massenmedien seinen Widerhall fand: »Niemand bezweifelt beispielsweise, dass der Augsburger Laborarzt Dr. Bernd Schottdorf die Leistungen, die er bei der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet hat, auch erbracht hat. Trotzdem steht er wegen Betrugs vor Gericht. Er hätte nicht so viel leisten dürfen, wie er geleistet hat. Was in anderen Branchen als unternehmerische Großtat gefeiert würde - nämlich die Errichtung einer florierenden Laborfabrik -, ist nach Kassenärzterecht Betrug. Ob das alles rechtens ist oder ob sich Vertragsärzte nicht generell in einem Unrechtssystem bewegen müssen, müsste auch Gegenstand des Verfahrens gegen Schottdorf in Augsburg sein. Die Staatsanwaltschaft hat allerdings bisher wenig Lust erkennen lassen, hier Wesentliches zur Klärung beizutragen.«9
Angesichts der Tatsache, dass mit solchen Betrugsstrategien riesige Geldströme zum Nachteil der Versichertengemeinschaft fehlgeleitet werden, erscheint eine grundlegende Neukonstruktion des Gesundheitssystems als besonders dringlich. Hier noch von schwarzen Schafen zu reden, ist eine Verhohnepiepelung der deutschen Öffentlichkeit und ihrer staatlichen Aufsichtsorgane. Sollte die rot-grüne Bundesregierung mit ihren diversen Reformplänen wirklich Ernst machen, so kommt sie keinesfalls an den tatsächlichen Gegebenheiten der nicht unmaßgeblich auf Betrug und Fälschung aufgebauten Medizinerkaste vorbei. Die dabei zu erwartenden Überraschungen, von denen einige Kostproben im Kapitel 5 dargestellt werden, dürften die schlimmsten Befürchtungen weit übertreffen.
Wenn Politik und Justiz bei der Zerschlagung dieses kriminellen Ärztesyndikats und dem Neuaufbau eines redlichen Ärztestandes erfolgreich sein wollen, müssen vor allem die üppig wuchernden Seilschaften unberücksichtigt bleiben und drastische Gegenwehr der Betroffenen von vornherein einkalkuliert werden. Die Mühe könnte sich in der Tat lohnen: Einsparpotenziale in der Größenordnung von mindestens 30 bis 50 Milliarden Euro sind nach Meinung von Fachleuten realistisch. Die ökonomischen Folgen ärztlicher Fehlleistungen belaufen sich Expertenschätzungen zufolge auf ungefähr 250 Milliarden Euro pro Jahr; darin enthalten ist die wirtschaftliche Bewertung von etwa einer halben Million Menschen, die jedes Jahr allein deshalb zu Schaden kommen, weil profitgierige Mediziner persönlichen Wohlstand und berufliches Ansehen über das Wohl ihrer Patienten stellen.
 
Die Medizin ist heute zur Hauptbedrohung unserer Existenz geworden. Vom Arzt als dem wichtigsten Repräsentanten dieser Hochrisikotechnologie werden Menschenopfer billigend in Kauf genommen. Gleichwohl wimmelt es von selbsternannten Beschwichtigungsexperten, medizinische Volksverdummung ist seit Jahrzehnten an der Tagesordnung. Wer sich kritisch äußert, gar medizinfeindliche Parolen verbreitet und insbesondere vor den ständig wachsenden Risiken im Bereich der chemisch-pharmazeutischen Industrie zu warnen versucht, schadet dem Standort Deutschland; er macht sich - wie es Ernst Ulrich von Weizsäcker einmal formulierte - der »modernen Form der Majestätsbeleidigung schuldig«. Doch wer sich scheut, die Übeltäter beim Namen zu nennen, um damit der Pestilenz des heutigen Medizinbetriebs auf die Spur zu kommen und gleichzeitig die Industrialisierung von Krankheit und Tod anzuprangern, nährt den Verdacht, dem fein gesponnenen Netzwerk einer kriminellen Vereinigung Vorschub zu leisten.
Die medizinische Kultur ist wie jede Kultur eine Verschwörung. Eine Vielzahl von kleinen Gottheiten, deren Macht sich lediglich aus unserem stillschweigenden Einverständnis ableitet, sie nicht infrage zu stellen, lenkt unaufhörlich unseren Blick von den Selbstheilungskräften unserer Gesundheit ab. Die Verschwörung veranlasst uns, freiwillig auf die Einsicht zu verzichten, dass es außerhalb der Schulmedizin auch noch alternative Heilungsmöglichkeiten gibt. Aus diesem Pakt müssen wir ausbrechen, den Kreis der Verschwörer verlassen. Albert Einstein hat seinen Wissenschaftskollegen einmal nachdrücklich empfohlen, wenigstens eine halbe Stunde am Tag das Gegenteil von dem zu denken, was in der Wissenschaft als gesichert gilt. Er hielt die »Autoritätsduselei« für den größten Feind der Erkenntnissuche. Und Konrad Lorenz hat der Forschergemeinde geraten, ihren Tag am besten damit zu beginnen, zum Frühstück eine Lieblingshypothese zu verspeisen. Mediziner verhalten sich natürlich völlig anders. Sie klammern sich lieber an die Eckpfeiler ihres medizinischen Lehrgebäudes, und sobald einer ihrer Päpste ein solide erscheinendes Dogma formuliert, kann dieser ohne weiteres mit einer großen Gemeinde fanatischer Gefolgsleute rechnen, die sich eilfertig unter seinem Gedankendach versammelt.
 
Im Medizinbetrieb haben es Außenseiter besonders schwer, zu neuen Ufern aufzubrechen und gegen Trägheit sowie eingefahrene Denkgewohnheiten vorzugehen - und dies, obwohl jeder, der auch nur einen kurzen Blick in die Medizingeschichte wirft, sofort erkennen kann, dass wesentliche Fortschritte in der ärztlichen Kunst oft gerade gegen die vorherrschende Meinung gemacht werden mussten. Im Grunde ist die Medizin ständig gefordert, mit ihren überkommenen Regelwerken zu brechen.
Wie sonst sollen die zahlreichen »Durchbrüche«, »Revolutionen« und »Paradigmenwechsel« zu rechtfertigen sein? Nur: Wie unterscheidet man echte Koryphäen, die eine neue Heilmethode mit relativ wenigen unerwünschten Nebenwirkungen entwickelt haben, von medizinischen Geisterfahrern, die in der völlig falschen Richtung unterwegs sind? Wie soll der Patient wissen, ob er es in der ärztlichen Praxis oder in der Klinik mit einem Könner oder mit einem Spinner, mit einem Experten oder einer Niete zu tun hat? Zu jeder Zeit gibt es in der Medizin Problemfälle, die nicht mit althergebrachten Denkschablonen gelöst werden können; wirklich gute Ärzte wissen in solchen Augenblicken, »dass ihre eigene immer nur die vorletzte Version der Wahrheit ist«, wie es der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges vermutlich ausdrücken würde.
Die Bilanz der medizinischen Misserfolge hätte an der Börse längst einen Jahrhundert-Crash, einen »schwarzen Freitag« hervorgerufen. Viele Menschen teilen heute das Misstrauen und den lauter werdenden Unmut gegen die rechthaberische, wenig kompromissbereite Schulmedizin. Den meisten fehlen jedoch Tatsachen, handfeste Beweise, um Befürchtungen und Vermutungen zu erhärten. In diesem Buch wird in fast allen Kapiteln der zu einem monströsen Täuschungsmanöver entartete Medizinbetrieb einer kritischen Analyse unterzogen. Die Zuchtmeister der ärztlichen Standesorganisationen rufen zwar derzeit immer wieder zu flächendeckenden Arbeitsniederlegungen auf, die Pharmakonzerne drohen mit dem Abzug von Arbeitsplätzen, aber das sind vermutlich letzte Scheingefechte einer aussterbenden Art. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die dunkelsten Tage unserer jüngsten Vergangenheit. Die Verstrickungen der kapitalkräftigen chemisch-pharmazeutischen Industrie mit dem Nazi-Regime und seinen nach Zehntausenden zählenden kleinen Hitler-Profiteuren im weißen Kittel haben bis auf den heutigen Tag nachhaltige Spuren in unserem Gesundheitswesen hinterlassen.
Die als sozial deklarierte Enteignung unserer Gesundheit hat ihre Ursachen in einer Pervertierung traditioneller Heilkunde zugunsten eines sprunghaft anwachsenden Heeres kleiner und großer Krankheitsgewinnler, die nur ein einziges Ziel verfolgen: aus allen Gesunden chronisch Kranke, ewige Patienten zu machen (siehe auch Seite 299). Von Tag zu Tag erhöht sich die Gefahr, dass wir von bürokratischen Dummköpfen und eng spezialisierten Fachidioten in immer riskantere Gesundheitsabenteuer gelockt werden. Die vermeintlichen Segnungen moderner Gesundheitspflege, die uns im Wesentlichen auch mit ausdrücklicher Zustimmung regierender Spitzenpolitiker beglücken sollen, sind mit medizinischen Tellerminen und ökonomischen Sprengsätzen verbunden.
Es gibt in der modernen Medizin keinerlei Kontrollinstanz, die sicherstellen würde, dass Moral vor Geschäft, also Ärzteschaft und Pharmaindustrie sich gezielt mit den wahren Bedürfnissen der Bevölkerung befassen. Vielmehr bestehen ihre jeweiligen Verbandsführer auf der grundgesetzlich verbrieften Freiheit, jedwedes Medikament zu entwickeln und jegliche therapeutische Maßnahme durchführen zu können, ungeachtet der Konsequenzen, die sich daraus für die Gesellschaft ergeben. Dieses höchst fragwürdige Recht, wie wir es vor allem auch im Kapitel 4 kennen lernen werden, bildet die Basis für den gesamten medizinisch-industriellen Komplex. Auch der einzelne Arzt ist mit einer völlig unzeitgemäßen und ebenfalls gesetzlich verankerten Therapiefreiheit ausgestattet, sodass wir gleich einer Hammelherde durch das mit vielfältigen Gefahren behaftete Labyrinth eines dilettierenden Medizinbetriebs geschleust werden.
 
Zugegeben, mit diesem Buch mute ich der deutschen Ärzteschaft allerhand Infragestellungen zu. Doch dies geschieht nicht aus grundsätzlicher Gegnerschaft. Denn auch ich habe einen Hausarzt, auf den ich nichts kommen lasse, eine Zahnärztin, die mich exzellent behandelt, eine Apothekerin, deren Beratung für mich wichtig ist. Meine Kritik gilt dem gestrandeten, von den Zunftmeistern der ärztlichen Standesorganisationen fehlgesteuerten Gesundheitssystem, seinen aus Inkompetenz geborenen Korruptions- und Betrugsstrategien. Solch kritische Betrachtungsweise muss verallgemeinern und gegenüber einzelnen guten, begnadeten Ärzten ungerecht sein. Ich will deshalb an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass ich vor allen anderen das große Heer der Assistenzärzte und praktizierenden Jungmediziner in unseren Kliniken und Krankenhäusern aufrichtig bewundere. Wenn sie trotz einer an Sklavenhalterzeiten gemahnenden Umwelt, in der bürokratische Verwaltungen und menschlich unzulängliche Vorgesetzte nicht selten den Ton angeben, gleichwohl das eigentliche Rückgrat des Klinikalltags bilden, verdient dies gerade in einer Publikation wie dieser Hochachtung und Anerkennung. Auch der Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Hellmut Wissmann, hat - obgleich aus formaljuristischen Gründen das geltende Arbeitsrecht zu bestätigen war - in seiner Urteilsverkündung vom 18. Februar 2003 die Ausbeutung der Klinikärzte angeprangert und Bundestag und Bundesregierung auf die Anklagebank gesetzt.
Es geht in diesem Zusammenhang aber um weit mehr als die Ausbeutung von Ärzten und Krankenschwestern, es geht um die Missachtung ärztlicher Tätigkeit in einem Umfeld, in dem viele Mediziner - auch angehende Ärzte im Praktikum - unter großem persönlichem Einsatz bis zur Erschöpfung für ihre Patienten arbeiten. Wie perfekt das Ausbeutungssystem in Kliniken und Krankenhäusern funktioniert, hat der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Burghard Rocke, selbst bestätigt, als er das Bundesarbeitsgerichtsurteil kommentierte: »Wir werden mehr als 41 000 neue Stellen besetzen müssen.«10 Daraus ergibt sich ja wohl folgerichtig, dass die heutigen Klinikärzte die Arbeit von 41 000 fehlenden Ärzten und Pflegekräften ohne Bezahlung mit erledigen.
Mit Respekt und Mitgefühl beobachte ich außerdem seit Jahrzehnten, wie bestimmte Ärzte trotz ungezählter standesrechtlicher Widerwärtigkeiten und ohne Rücksicht auf ihre eigene Karriere nicht müde werden, Korruption und zahlreiche andere Auswüchse im Medizinbetrieb aufzudecken. Nichts als Abscheu verdienen hingegen jene »Patienten«, die als Hypochonder, Schwindler und Nassauer getarnt die medizinischen Institutionen hemmungslos ausbeuten und auf diese Weise der Gemeinschaft der Versicherten wie dem gesamten Medizinbetrieb zusätzlichen Schaden in Milliardenhöhe zufügen. Mein besonderes Augenmerk in diesem Buch gilt jedoch den Systemfehlern im Gesundheitswesen, deren Wurzeln und Ursachen. Ohne die Dickfelligkeit der ärztlichen Standesvertreter und ohne die ökonomischen Brutalitäten pharmazeutischer Verbands-Lobbyisten hätte längst eine allseits zufriedenstellende Runderneuerung in Gesundheits- und Sozialpolitik stattfinden können. Vor diesen Quertreibern und unersättlichen Profiteuren haben nicht nur Regierungen, Behörden und Krankenkassen, sondern im Grunde auch wir alle schon viel zu lange den Kopf in den Sand gesteckt. Dies sollte, letztendlich in unser aller Interesse, nun bald ein Ende haben.
 
Das gesundheitspolitisch verfügte wie regierungsamtlich genehmigte »Risiko Medizin« ist der rote Faden dieses Buches. Mit vorwurfsvollem Unterton machen Ärzteschaft und Pharmaindustrie immer wieder deutlich: Wer auf seine Gesundheit Wert legt, soll klaglos auch die damit verbundenen Risiken in Kauf nehmen. Wir werden in den meisten Kapiteln erfahren, was mit solchen Botschaften gemeint ist: Risiken für Leben und Gesundheit widerspruchslos hinzunehmen, um Risiken für den Wohlstand einiger zu vermeiden. Obwohl wir in den letzten Jahrzehnten kaum jemals aufgemuckt haben, sind sämtliche Aufmunterungen offenbar ungehört verhallt. Denn inzwischen sind wir dabei, beides zu verlieren - Wohlstand und Gesundheit. Mir kommt da jenes Märchen in den Sinn, in dem ein böser Drache unentwegt mit Jungfrauen gefüttert werden muss, um ihn bei Stimmung zu halten. Auch der Moloch Medizinbetrieb scheint unersättlich, und wir verkörpern, anders als im Märchen, selbst einen wesentlichen Teil dieses Monstrums - jedenfalls solange wir an jenem imaginären Gesellschaftsvertrag festhalten, der Gesundheit und langes Leben als Gegenleistung für einzugehende Risiken und wachsende ökonomische Belastungen beinhaltet. Wir sind aber auch stets Opfer. Die Frage ist lediglich, bis zu welchem Grad wir diese fiktive Abmachung noch akzeptieren wollen.
Experten einer Tagung der Evangelischen Akademie Mülheim, die vor einigen Jahren zum Thema »Der statistische Tod - Menschenopfer auf dem Altar des Fortschritts?« diskutierten, unterstellten den 80 Millionen Bundesbürgern folgende Risikobereitschaft: Würde eine Innovation (die Experten in Mülheim dachten dabei an »technische Innovationen« ganz allgemein) mehr als 1 Toten auf 10 000 Menschen pro Jahr fordern, so wäre dies nicht mehr akzeptabel. Nun gibt es aber medizinische Behandlungsmethoden und bestimmte Medikamente - wir kommen in Kapitel 4 darauf zurück -, die fordern bereits einen Toten auf 500 Menschen jährlich! Gleichwohl bleiben wir allesamt mucksmäuschenstill; keiner geht auf die Straße, nirgendwo Rebellion oder Aufruhr, bestenfalls mal ein so genannter Kunstfehlerprozess, dessen Ergebnis in 95 Prozent aller Fälle jedoch von vornherein feststeht - im Kapitel 3 wird speziell dieser Sachverhalt ausführlich behandelt.
Hans-Jürgen Fischbeck war in seinem zusammen mit Antje Bultmann herausgegebenen Buch »Gewissenlose Geschäfte« vermutlich etwas voreilig, wenn er schreibt: »Wir würden es nicht mehr akzeptieren, wenn der riskierte Tod nicht mehr statistisch, sondern zurechenbar wie eine unverschuldete Todesstrafe wäre, wie ein Justizirrtum also.«11 Es ist den Autoren allerdings zuzustimmen, dass es - im Hinblick auf den deutschen Medizinbetrieb in ganz besonderem Maße - höchste Zeit sei, jenen imaginären Gesellschaftsvertrag, den wir hier »Gesundheit gegen Risiko« taufen wollen, zur Diskussion und Disposition zu stellen. Fischbeck schreibt: »Wir verkennen ja nicht, dass der technische Fortschritt wirklich ein Fortschritt war, weil er eine Fülle von Risiken, die von Krankheiten und Naturkatastrophen drohten, erheblich gemindert hat, sodass sich unsere Lebenserwartung verdoppelte. Nun aber ist nicht nur der Grenznutzen erreicht. Auch die Haftung und Rückzahlung der zuvor externalisierten Kosten werden von uns verlangt. Wir können diese unsere Sünden nicht mehr statistischen Opfern aufbürden und sie wie ›Sündenböcke‹ in die Wüste der Geschichte schicken. Eine neue, befriedete Zivilisation muss gefunden werden.«12
 
In einer Grauzone zwischen Profitgier, Fahrlässigkeit und billigendem Inkaufnehmen werden die Bundesbürger im Gesundheitswesen immer neuen, immer größeren Risiken ausgesetzt. Erhebt jemand Einwände, so wird er mit dem Totschlag-Argument niedergemacht: »Der Wirtschaftsstandort Deutschland und Arbeitsplätze sind in Gefahr!« Die Neigung der Gesellschaft, gesundheitliche Risiken zu vermeiden, bedrohe den medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritt, heißt es. Medizin als Gefahrenherd erster Ordnung - sind denn Ärzte und Arzneimittelproduzenten von allen guten Geistern verlassen?! Der Wirtschaftsstandort Deutschland, in erster Linie die Sparten Chemie, Tabakindustrie und Pharma, wird heute insbesondere von der rot-grünen Bundesregierung als heilige Kuh glorifiziert. Wer auch nur im Ansatz versucht, die Wachstumsgläubigkeit im schulmedizinischen Bereich durch eine mehr naturorientierte Medizin zumindest ergänzen zu wollen, wird immer noch als fortschrittsfeindlicher Schwärmer ausgegrenzt und in die Schmuddelecke der Außenseiter verwiesen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder, im Namen seines Amtes wie kein anderer deutscher Politiker verpflichtet, in seine Entscheidungen nicht nur das Wohl von 80 Millionen Bundesbürgern, die heute in Deutschland leben, sondern vorausschauend auch künftiger Generationen mit einzubeziehen, will unser Land zum Biotechnologiestandort Nummer eins machen. Deutschland sei darüber hinaus ein idealer Standort für Hightechmedizin und Pharma, für gentechnisch optimierte Nahrungsmittel wie für Zigaretten - im Kapitel 7 werden wir Bedenkliches wie Unglaubliches über des Kanzlers heimliche Prioritäten erfahren. Erschreckend und alarmierend zugleich ist vor allem seine pauschale Begründung, wonach hierzulande - im Gegensatz etwa zu den USA - eine Höchstgrenze im Haftungsrecht bestehe. Mit anderen Worten: Für Schäden, die über bestimmte Haftungsgrenzen hinausgehen, kommt der Steuerzahler auf!13 Bedeutet das im Klartext, dass Unternehmen, deren Produkte - wie beispielsweise Arzneimittel oder Zigaretten - ein besonders hohes Risikopotenzial in sich tragen, in Deutschland ihr Eldorado finden?
Ist das nun die Kehrseite des Friedenskanzlers? Könnte es sein, dass Schröder zwar insgeheim mit dem Nobelpreis für seine Bemühungen gegen den Irakkrieg rechnet, gleichzeitig aber eine Hand voll Sargnägel in Form von Glimmstängeln in der Tasche trägt? Solche doppelbödigen Tricks sollten ihm nicht gelingen! Für eine derart zerstörerische Politik ist unser Deutschland zu schade! Es geht mir, wie Millionen anderen Mitbürgern auch, um den Frieden in dieser Welt. Es geht mir aber ebenso um den sozialen Frieden in unserem eigenen Land. Und um Gerechtigkeit für alle. Nicht nur für Wirtschaftsbosse. Und wenn mal wieder ein paar von ihnen drohen sollten, dass sie bei Nichtbefriedigung ihrer Sonderwünsche den Laden dichtmachen oder gar mit Sack und Pack auswandern wollen, dann kann ich nur sagen: Lasst sie Pleite gehen! Und lasst sie hinziehen, wo der Pfeffer wächst! Aber Standort gegen Sicherheit für Leben und Gesundheit - diesen Kuhhandel machen wir nicht länger mit! Eine Gesellschaft, die sich auf diese Weise immer wieder aufs Neue erpressen lässt, setzt letztlich ihre Existenz aufs Spiel.
Die gesetzlichen Bestimmungen, um mit derartigen Gefährdungen fertig zu werden, stammen zum Teil noch aus der Zeit, als Gesundheitspflege und ihre Avantgarde einem entsetzlichen rassehygienischen Ideal anhingen. Dass unsere Gesundheit in Wirklichkeit höchst labil und störanfällig ist, dass sie irreparabel zerstört werden kann und dass - im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung - diese Zerstörung tatsächlich schon erschreckend weit fortgeschritten ist, damit werden wir uns vor allem in Kapitel 1 befassen. Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen noch nicht gezogen. Wir alle haben es noch nicht getan. Das Resultat ist eine schizophrene Gemütsverfassung. Eine Risikoabschätzung von eins zu einer Million, dass ein deutscher Soldat in den Irak einmarschiert, hielt die derzeitige Bundesregierung für zu hoch; mit der Tatsache allerdings, dass jeden Tag etwa 200 Menschen an Lungenkrebs infolge Zigarettenrauchen sterben, sollen wir uns widerstandslos abfinden. Wäre für dieses tägliche Massaker eine fremde Nation verantwortlich, so würde man nicht eine Sekunde zögern, ihr den Krieg zu erklären - selbst der friedliebende Gerhard Schröder hätte dann vermutlich keine Skrupel. Seine Regierung jedoch hat inzwischen ihren eigenen, vermutlich nicht ganz so bedrohlichen Kriegsschauplatz entdeckt: Sie feilschte verbissen um neue Ablass-Millionen bei der pharmazeutischen Großindustrie, wie ausführlich in Kapitel 7 dargelegt wird. Nebenbei: Die Verantwortlichen im »Dritten Reich« haben in punkto Zigarettenrauchen und Krebsgefährdung - wie erstaunlicherweise auch in einigen anderen Bereichen des Gesundheitswesens - deutlich mehr Sorge für die Bevölkerung an den Tag gelegt, als es die heutige Regierung tut; in Kapitel 2 wird dieses Thema näher beleuchtet.
 
Wenn die Gewichtung der potenziellen Gefährdungsmöglichkeiten künftig nicht noch mehr aus dem Ruder laufen soll und wenn wir die hier auf uns zukommende Bedrohung durch weitgehend unkontrollierte Wettbewerbsmechanismen in den Griff bekommen wollen, brauchen wir so bald wie möglich einen neuen Straftatbestand: das »Verbrechen gegen die Gesundheit«. Wir sollten endlich anfangen, uns zu wehren. Wer aus Gewinnsucht oder Machtstreben zur Zerstörung von Gesundheit und Leben der 80 Millionen Bundesbürger beiträgt, muss vom Gesetzgeber - oder dieser von den 80 Millionen - darüber belehrt werden, dass er sich in krimineller Weise gegen die Allgemeinheit vergeht. Noch dürfen wir Menschen, die das tun, was beispielsweise Gerhard Madaus oder der Ehrenpräsident der deutschen Ärzteschaft, Hans-Joachim Sewering, getan hat (mehr darüber im Kapitel 2, »Hitlers lange Schatten«) und zahlreiche andere angesehene Bürger unseres Landes auch heute tun, nicht Rechtsbrecher nennen, ohne eine Beleidigungsklage zu riskieren. Wir müssten Herrn Madaus, einen der Mitbegründer des Pharmaunternehmens Madaus AG, und Herrn Sewering gegen diese Bezeichnung sogar in Schutz nehmen. Noch gibt es kein Gesetz, das unsere Gesellschaft vor solchen Tätern bewahrt: ein Gesetz zum Schutz vor Gesundheitsverbrechern. Wir sollten nicht länger zögern, es zu schaffen!
1. Begrabene Illusionen
Vom Mekka der Medizin zum Schlusslicht
Sie lebten in Maßlosigkeit und Übertreibung - bis zur Selbstvernichtung: die Kwakiutl-Indianer im wilden Nordwesten Amerikas. Ihr höchstes Gesellschaftsideal bestand darin, mehr zu gelten, mehr zu besitzen und mehr zu verschleudern als andere. Um dieses Ziel zu erreichen, war ihnen nahezu jedes Mittel recht. Sie praktizierten einen hemmungslosen Konkurrenzkampf mit ihren Stammesgenossen. Als Krönung ihres Handelns galt der Erfolg. Um die eigene Stellung zu festigen, diffamierten sie bedenkenlos ihre Mitmenschen. Weniger ambitionierte Stammesangehörige wurden von ihnen als verrückt angesehen. Sie ließen sie zwar ungeschoren, wiesen ihnen jedoch eine besondere soziale Rolle zu - die der Dorftrottel. Widersacher indessen, die sich ebenfalls um einen begehrten Rang in der Stammeshierarchie bemühten, wurden, wo immer möglich, für alle Zeiten aus dem Weg geräumt. Erlitten die Karrieristen bei der Umsetzung ihrer Pläne selbst eine Niederlage, verloren sie gar ihr Gesicht und waren dem Gespött ihres Clans preisgegeben, so machten sie auch mit sich selbst kurzen Prozess und überantworteten sich eigenhändig den ewigen Jagdgründen Manitus.
Die Heilkunde der Kwakiutl-Indianer war ein geschickt ausgetüftelter, vorsätzlicher Betrug. Sie glaubten nicht wie andere Naturvölker an mystische, geheimnisvolle Mächte, sondern bezogen ihre Kraft vielmehr aus raffinierten Zaubertricks, genialen Finten und Manipulationen der besonderen Art. Die Kwakiutl-Schamanen beschwindelten ihre Patienten bewusst und in
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3. Auflage Vollständige Taschenbuchausgabe Dezember 2004 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
© der Originalausgabe 2003
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