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Die Zeichen der Natur
Christian Raimann bietet eine umfassende und praxisorientierte Auswahl von Heilpflanzen mit ihren Signaturbezügen, dargestellt in übersichtlichen Monographien. Laut der Signaturenlehre sind die sinnlich erfassbaren Merkmale (Signaturen) einer Pflanze hinweisgebend für ihre spezifische Heilwirkung. Signaturenbilder fördern ein tiefes Erleben, Erfassen und Verinnerlichen der Heilpflanzen.
Heilpflanzensignaturen verstehen und anwenden
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Seitenzahl: 610
Veröffentlichungsjahr: 2018
Christian Raimann
459 Abbildungen
Ich möchte mich sehr herzlich bei allen wundersamen Heilpflanzen bedanken, die ich bisher kennenlernen durfte und noch immer kennenlernen darf. Sie sind meine hochgeachteten Mentoren, die mir immer neue, faszinierende Facetten ihres Seins zeigen.
Ein weiterer Dank gebührt meinen Eltern, die uns, ihren Kindern, die Natur und ihre Schönheiten auf eine tiefe Art und Weise nahegebracht haben. Ebenso meiner Frau Renata für ihr Verständnis während der Zeit der aufwendigen Schreibarbeit an diesem Buch.
Ein tüchtiges Dankeschön auch dem Karl F. Haug Verlag und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre tolle Arbeit!
Christian Raimann
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
als Dozent für Heilpflanzenkunde bringe ich Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern die moderne Phytotherapie näher. Dabei gilt es, verschiedenste chemische Wirkstoffe, galenische Formen, pharmakologische Wirkmechanismen und botanische Detailinformationen zu den besprochenen Pflanzen zu erlernen. Es gibt unzählige, teilweise lateinische oder griechische Fachbegriffe im Zusammenhang mit Heilpflanzen, aber keine Angst, ich werde Sie in diesem Buch so weit wie möglich damit verschonen. Es existieren mittlerweile genügend zeitgemäße, wissenschaftlich fundierte und gut verständliche Fachbücher zu diesem Bereich der Heilpflanzenkunde. Gerade deshalb geht es in diesem Buch nicht um die aktuellen, sondern vor allem um die traditionellen, beinahe vergessenen Aspekte von Heilkräutern.
Wie in vielen Bereichen unseres Lebens wurden in den vergangenen Jahrhunderten auch in der Heilkunde traditionelle Sichtweisen und Erkenntnisse als vermeintliche Altlasten unserer Vorfahren entsorgt. Ein kleiner Teil des „alten“ Wissens landete in Museen und Bibliotheken, der Rest fällt dem Vergessen anheim, um Raum zu schaffen für eine neuzeitliche und wissenschaftlich ausgerichtete Denk-, Arbeits- und Lebensweise. Diese verspricht uns Menschen eine neue, scheinbar bessere Welt, in der alles definierbar, messbar, logisch erklärbar und damit kontrollierbar erscheint. Mit der Zeit verwittert jedoch die glänzende Fassade jeder neuartigen Errungenschaft und es treten unweigerlich Probleme und Fehlleistungen zu Tage. Die anfängliche Begeisterung verblasst und macht einer ernüchternden Realität sowie einem diffusen Gefühl der Unvollkommenheit Platz. Denn auch das immer üppigere Angebot an Wissensinhalten und Lebensformen in unserer heutigen globalisierten Welt vermag den Hunger nach Erkenntnis nicht zu stillen. Die Suche danach führt uns oft auch in ferne Kulturen und verleitet uns zu vielerlei Experimenten, oft genug bleibt trotz der Fülle an Informationen die Sehnsucht nach etwas Unbekanntem zurück. Möglicherweise dämmert uns genau in diesen Momenten die Einsicht, dass wir die Suche nach unserer eigenen Geschichte und damit unseren Wurzeln aufgegeben haben. Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, das Wissen unserer Vorfahren neu zu entdecken, uns damit auseinanderzusetzen und die daraus gewonnene Essenz in unsere Welt zu integrieren. Denn erst die Synthese mit dem heutigen, modernen Wissensstand wird uns bereichern und zu weiteren neuen Erkenntnissen führen.
Um ein umfassendes Verständnis über eine Heilpflanze zu erlangen, reicht das bloße Faktenstudium aus Lehrbüchern nicht. Es bedeutet vielmehr, eine Heilpflanze beim alltäglichen Gedeihen und in ihrer natürlichen Umgebung kennenzulernen und Farben, Formen, Gerüche, Strukturen und viele weitere Aspekte auf sich wirken zu lassen. Neben der kognitiven Annäherung müssen wir Heilpflanzen mit allen unseren Sinnen „in uns aufnehmen“, um eine Art inneres Verständnis für ihr Sein entwickeln zu können. Auf diese Weise erfahren wir Heilpflanzen, lernen sie kennen und können sie in eine zeitgemäße und in sich stimmige Heilkunst integrieren. Erst dadurch erfahren wir eine bereichernde Erweiterung des eng gefassten naturheilkundlichen Wissens über diese wunderbaren Lebewesen.
Dieses Buch möchte Ihnen zunächst in einem ersten theoretischen Teil die altbewährten Wege der Pflanzenbetrachtung, Pflanzenerkenntnis und der Pflanzenverinnerlichung in Erinnerung rufen. Um in die Welt der Pflanzen einzutauchen, lohnt es sich, ihre „Sprache“, ihre Bewegungen, Gesten und Rhythmen näher kennenzulernen. Ein gutes Werkzeug dazu ist die Lehre der Signaturen, die – vereinfacht ausgedrückt – auf folgender Grundannahme beruht: Das Wirkungsvermögen, die inneren Qualitäten von Pflanzen und damit ihr Wesen lassen sich mit Hilfe der durch die menschlichen Sinne erfahrbaren Zeichen wie z.B. Form, Farbe oder Geruch erahnen. Diese bildhafte Denk- und Sichtweise zum Zwecke der Heilmittelerfassung existiert seit vielen Jahrtausenden und ist weltweit ein wichtiger Bestandteil der traditionellen Medizinsysteme, so auch der Traditionellen Europäischen Naturheilkunde. Im zweiten praktischen Teil des Buches werde ich Ihnen Signaturen dann anhand von detaillierten Heilpflanzenmonografien genauer vorstellen.
Der Inhalt dieses Buches möchte jedoch keinen allgemeingültigen Schlüssel oder fixen Leitfaden für den Zugang zu Heilpflanzen und das Erkennen von Signaturen vermitteln. Ich möchte Sie vielmehr dazu anregen, sich neben einer rein intellektuellen Annäherung an die Pflanzenwelt auch mit dem bildhaften Analogiedenken unserer Vorfahren zu beschäftigen. Denn die gründliche Betrachtung der Signaturen von Heilpflanzen kann dazu beitragen, unser Verständnis für die Wunder der Natur zu festigen und eine eigentliche Natursinnigkeit zu entwickeln. Die intensive Auseinandersetzung mit der Pflanzenwelt kann zu sehr persönlichen Beziehungen zu den verschiedenen Heilpflanzen und zu entsprechend individuellen Signaturenbildern führen. Genauso wenig ist es Ziel dieses Buches, die nur ansatzweise oder beispielhaft gestreiften Aspekte von Fachbereichen wie Botanik oder Pharmakologie vollständig zu beleuchten. Fachleute mögen Verständnis für diese Unvollständigkeit haben.
Als Dozent muss ich, um den Lehrplan zur erfüllen, den Unterrichtsschwerpunkt auf die moderne Phytopharmakologie und die zugehörigen chemischen Inhaltsstoffe legen. Die Wunder der Pflanzenwelt bleiben dabei häufig auf der Strecke oder finden nur marginal Erwähnung. Daher widme ich dieses Buch allen Studierenden, Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern, die sich an Fachbegriffen wie Sesquiterpenlactonen, Cholezystokinetika oder Hepatoprotektiva ab und zu aufzureiben drohen.
Rüti (CH), im August 2018Christian Raimann
Heilpflanzensignaturen
Danksagung
Vorwort
Teil I Theorie
1 Einführung
2 Wunder der Pflanzenentwicklung
2.1 Die Pflanze im Vergleich zu Mensch und Tier
2.2 Heilpflanzenkunde
3 Die Signatur von Pflanzen
3.1 Entwicklung und mythische Bedeutung
3.2 Bedeutung der Analogie
3.2.1 Historischer Hintergrund
3.3 Mikrokosmos – Makrokosmos
3.4 Beispiele von Heilpflanzensignaturen
3.4.1 Lungenkraut (Pulmonaria officinalis L.)
3.4.2 Mistel (Viscum album L.)
3.5 Signatur als bildhaftes Analogiedenken
3.6 Signatur als Ausdruck, Bewegung, Geste einer Pflanze
3.6.1 Paracelsus' Lehre von der Signatur der Pflanzen
3.6.2 Entwicklung der Signaturenlehre durch Oswald Croll
3.6.3 Durch Beobachtung Signaturen erkennen lernen
3.6.4 Die Geheimnisse der Natur verstehen lernen
3.7 Erfassen von Signaturen – in Resonanz treten mit der Pflanze
4 Signaturenaspekte
4.1 Signaturen mit Bezug zu Form und Struktur
4.1.1 Kopfsignaturen
4.1.2 Gehirnsignaturen
4.1.3 Haarsignaturen
4.1.4 Augensignaturen
4.1.5 Mund- und Zahnsignaturen
4.1.6 Ohrensignaturen
4.1.7 Nasensignaturen
4.1.8 Halssignaturen
4.1.9 Lungen- und Atemwegssignaturen
4.1.10 Herzsignaturen
4.1.11 Magen- und Darmsignaturen
4.1.12 Leber- und Gallenblasensignaturen
4.1.13 Nieren- und Blasensignaturen
4.1.14 Genitalsignaturen
4.1.15 Hautsignaturen
4.1.16 Bewegungsapparatsignaturen
4.1.17 Nervensignaturen
4.1.18 Lymphsignaturen
4.1.19 Abwehrsignaturen
4.1.20 Weitere Bezüge zu Formen und Strukturen
4.2 Signaturen mit Bezug zu Geschmack und Geruch
4.2.1 Geschmack
4.2.2 Gerüche
4.3 Signaturen mit Bezug zur Farbe
4.3.1 Rot
4.3.2 Blau
4.3.3 Gelb
4.3.4 Orange
4.3.5 Violett
4.3.6 Grün
4.3.7 Weiß
4.3.8 Schwarz
4.4 Signaturen mit Bezug zum Standort
4.4.1 Unwirtliche Standorte
4.4.2 Feuchte Standorte
4.4.3 Trockene Standorte
4.4.4 Gebirgige Standorte
4.4.5 Stark beweidete oder begangene Standorte
4.4.6 Standorte mit erhöhter Reizintensität
4.4.7 Standorte mit saurer oder basischer Bodenqualität
4.4.8 Standorte mit guter Luftqualität
4.5 Signaturen mit Bezug zum Verhalten der Pflanzen
4.5.1 Wetteranzeiger
4.5.2 Richtungsweisende Pflanzen
4.5.3 Uhrzeit anzeigende Pflanzen
4.6 Signaturen mit Bezug zur Elementenlehre
4.6.1 Allgemeine Bezüge der Pflanze zu den Elementen
4.6.2 Feuer
4.6.3 Luft
4.6.4 Wasser
4.6.5 Erde
4.7 Signaturen mit Bezug zur Humoralmedizin
4.7.1 Die humoralen Qualitäten und zugehörige Heilpflanzen
4.8 Signaturen mit Bezug zur Pathologie
4.8.1 Pathologiebezüge zu Form und Struktur
4.8.2 Pathologiebezüge zum Verhalten von Pflanzen
4.8.3 Pathologiebezüge zur Farbe
4.9 Signatur mit Bezug zur botanischen Familienzuordnung
4.9.1 Korbblütler (Asteraceae) – die Familie der Sonnenbräute
4.9.2 Lippenblütler (Lamiaceae) – die luftigen Feuertänzer
4.9.3 Doldenblütler (Apiaceae) – irdische Antennen
4.9.4 Nachtschattengewächse (Solanaceae) – zwischen Teufelsküche, Heil- und Nahrungsmittel
4.9.5 Rosengewächse (Rosaceae) – eine fruchtbare und harmonische Familie
4.9.6 Kreuzblütler (Brassicaceae) – simple Scharfmacher
4.9.7 Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae) – jugendliche Patchwork-Familie
4.9.8 Schmetterlingsblütler (Fabaceae) – Vermittler zwischen Pflanzen-, Tier- und Mineralienreich
4.9.9 Liliengewächse (Liliaceae) – stolze Zurückhaltung
4.9.10 Primelgewächse (Primulaceae) – Begleiter durch das Pflanzenjahr
4.9.11 Mohngewächse (Papaveraceae) – eine schwermütige Familie
4.9.12 Borretschgewächse (Boraginaceae) – liebliche Kratzbürsten
4.10 Signaturen mit Bezug zu chemischen Wirkstoffen
4.10.1 Gerbstoffe
4.10.2 Bitterstoffe
4.10.3 Ätherische Öle
4.10.4 Schleimstoffe
4.10.5 Flavonoide
4.10.6 Saponine
4.10.7 Kieselsäure
4.10.8 Alkaloide
4.11 Signaturen mit Bezug zu Gestirnsprinzipien
4.11.1 Die sieben Gestirnsprinzipien
4.12 Signaturen mit Bezug zum Namen
4.12.1 Tiernamen
4.12.2 Heiligennamen
4.12.3 Teufel
4.12.4 Beispiele weiterer Schutzpatrone
4.12.5 Funktionsnamen
5 Signaturenlehre – ein Ausblick
Teil II Praxis
6 Signaturenmonografien
6.1 Allgemeine Informationen zu den Beschreibungen
6.2 Ackerschachtelhalm – Equisetum arvense L.
6.3 Alant – Inula helenium L.
6.4 Aloe – Aloe vera L. (Syn. Aloe barbadensis)
6.5 Arnika – Arnica montana L.
6.6 Aronstab – Arum maculatum L.
6.7 Artischocke – Cynara scolymus L. (Cynara cardunculus L.)
6.8 Augentrost, Gemeiner – Euphrasia rostkoviana Hayne
6.9 Bachnelkenwurz – Geum rivale L.
6.10 Baldrian, Echter – Valeriana officinalis L.
6.11 Bambusarten – Bambusa spp.
6.12 Bärlapp (Keulenbärlapp) – Lycopodium clavatum L.
6.13 Bartflechte – Usnea barbata
6.14 Beifuß, Gemeiner – Artemisia vulgaris L.
6.15 Beinwell, Echter – Symphytum officinale L.
6.16 Berberitze, Gewöhnliche – Berberis vulgaris L.
6.17 Besenginster, Gewöhnlicher – Cytisus scoparius L.
6.18 Bete, Rote – Beta vulgaris ssp. vulgaris
6.19 Bilsenkraut, Schwarzes – Hyoscyamus niger L.
6.20 Birke (Hängebirke) – Betula pendula Roth
6.21 Blasentang – Fucus vesiculosus L.
6.22 Blutwurz – Potentilla erecta Roth
6.23 Bohne (Gartenbohne) – Phaseolus vulgaris L.
6.24 Borretsch – Borago officinalis L.
6.25 Braunwurz, Knotige – Scrophularia nodosa L.
6.26 Breitwegerich – Plantago major L.
6.27 Brennnessel, Große – Urtica dioica L.
6.28 Buchweizen – Fagopyrum esculentum Moench
6.29 Christrose – Helleborus niger L.
6.30 Efeu – Hedera helix L.
6.31 Eibisch, Echter – Althaea officinalis L.
6.32 Eiche (Stieleiche) – Quercus robur L.
6.33 Einbeere – Paris quadrifolia L.
6.34 Eisenhut, Blauer – Aconitum napellus L.
6.35 Engelwurz (Arzneiengelwurz) – Angelica archangelica L.
6.36 Enzian, Gelber – Gentiana lutea L.
6.37 Erdbeere (Walderdbeere) – Fragaria vesca L.
6.38 Esche, Gemeine – Fraxinus excelsior L.
6.39 Eukalyptus, Blauer – Eucalyptus globulus Labill.
6.40 Faulbaum – Frangula alnus Mill.
6.41 Feige, Echte – Ficus carica L.
6.42 Feigenkaktus – Opuntia ficus-indica Mill.
6.43 Fieberklee – Menyanthes trifoliata L.
6.44 Fingerhut, Purpurner – Digitalis purpurea L.
6.45 Frauenmantel, Gelbgrüner – Alchemilla xanthochlora Rothm.
6.46 Galgant, Echter – Alpinia officinarum Hance
6.47 Gänseblümchen – Bellis perennis L.
6.48 Gelbwurz, Indische (Curcuma) – Curcuma longa L.
6.49 Ginkgo – Ginkgo biloba L.
6.50 Ginseng, Koreanischer – Panax ginseng C.A. Meyer
6.51 Goldrute, Gewöhnliche – Solidago virgaurea L.
6.52 Granatapfel – Punica granatum L.
6.53 Guaraná – Paullinia cupana Kunth.
6.54 Gundelrebe – Glechoma hederacea L.
6.55 Hamamelisstrauch (Virginische Zaubernuss) – Hamamelis virginiana L.
6.56 Haselwurz, Gewöhnliche – Asarum europaeum L.
6.57 Herbstzeitlose – Colchicum autumnale L.
6.58 Herzgespann, Echtes – Leonurus cardiaca L.
6.59 Hexenkraut, Großes – Circea lutetiana L.
6.60 Hirschzungenfarn – Asplenium scolopendrium L.
6.61 Hirtentäschel, Gewöhnliches – Capsella bursa-pastoris (L.) Medik.
6.62 Holunder, Schwarzer – Sambucus nigra L.
6.63 Hopfen, Echter – Humulus lupulus L.
6.64 Immergrün, Kleines – Vinca minor L.
6.65 Ingwer – Zingiber officinale Rosc.
6.66 Isländisches Moos – Cetraria islandica L.
6.67 Johanniskraut, Echtes – Hypericum perforatum L.
6.68 Judenkirsche (Lampionblume) – Physalis alkekengi L.
6.69 Kalmus – Acorus calamus L.
6.70 Kamille, Echte – Matricaria recutita L.
6.71 Kapuzinerkresse, Große – Tropaeolum majus L.
6.72 Karde, Wilde – Dipsacus fullonum L. (Syn. Dipsacus sylvestris Huds.)
6.73 Keimzumpe – Bryophyllum pinnatum (Syn: Kalanchoe pinnata Pers.)
6.74 Klette, Große – Arctium lappa L.
6.75 Klettenlabkraut – Galium aparine L.
6.76 Knabenkrautarten – Dactylorhiza spp.
6.77 Königskerze, Großblütige – Verbascum densiflorum Bertol.
6.78 Kornblume – Centaurea cyanus L.
6.79 Kuhschelle, Gewöhnliche – Pulsatilla vulgaris Mill.
6.80 Kürbis (Gartenkürbis) – Cucurbita pepo L.
6.81 Lebensbaum, Abendländischer – Thuja occidentalis L.
6.82 Leberblümchen – Hepatica nobilis Schreb.
6.83 Linde (Sommerlinde) – Tilia platyphyllos Scop.
6.84 Löwenzahn, Gewöhnlicher – Taraxacum officinale L.
6.85 Lungenflechte, Echte – Lobaria pulmonaria (L.) Hoffm.
6.86 Lungenkraut, Geflecktes – Pulmonaria officinalis L.
6.87 Maiglöckchen – Convallaria majalis L.
6.88 Mariendistel – Silybum marianum Gaertn.
6.89 Meisterwurz – Peucedanum ostruthium L.
6.90 Melisse (Zitronenmelisse) – Melissa officinalis L.
6.91 Mistel, Weißbeerige – Viscum album L.
6.92 Mohn, Kalifornischer – Eschscholzia californica Cham.
6.93 Osterluzei, Gewöhnliche – Aristolochia clematis L.
6.94 Passionsblume – Passiflora incarnata L.
6.95 Pestwurz, Gewöhnliche – Petasites hybridus Gaertn.
6.96 Preiselbeere – Vaccinium vitis-idaea L.
6.97 Ringelblume – Calendula officinalis L.
6.98 Rosskastanie, Gewöhnliche – Aesculus hippocastanum L.
6.99 Safran – Crocus sativus L.
6.100 Salbei, Echter – Salvia officinalis L.
6.101 Salomonssiegel, Echtes – Polygonatum officinale All. (Syn: Polygonatum odoratum [Mill.] Druce)
6.102 Schafgarbe, Gemeine – Achillea millefolium L.
6.103 Scharbockskraut – Ranunculus ficaria L.
6.104 Schöllkraut – Chelidonium majus L.
6.105 Siegwurz – Allium victorialis L.
6.106 Silberweide – Salix alba L.
6.107 Sonnenhut, Purpurner – Echinacea purpurea (L.) Moench
6.108 Stechapfel, Gemeiner – Datura stramonium L.
6.109 Steinsame, Echter – Lithospermum officinale L.
6.110 Storchschnabel, Stinkender – Geranium robertianum L.
6.111 Taigawurz, Borstige – Eleutherococcus senticosus (Rupr. et Maxim.) Maxim.
6.112 Taubnessel, Weiße – Lamium album L.
6.113 Tollkirsche, Schwarze – Atropa belladonna L.
6.114 Traube (Weinrebe) – Vitis vinifera L.
6.115 Traubensilberkerze – Actaea racemosa L. (Syn: Cimicifuga racemosa [L.] Nutt.)
6.116 Walnuss, Echte – Juglans regia L.
6.117 Wasserdost, Gewöhnlicher – Eupatorium cannabinum L.
6.118 Wegwarte, Gemeine – Cichorium intybus L.
6.119 Weidenröschen, Kleinblütiges – Epilobium parviflorum Schreb.
6.120 Wiesenknopf, Großer – Sanguisorba officinalis L.
6.121 Wolfstrapp, Gemeiner (Uferwolfstrapp) – Lycopus europaeus L.
6.122 Wurmfarn, Gemeiner – Dryopteris filix-mas (L.) Schott
Teil III Anhang
7 Firmenverzeichnis
8 Literaturverzeichnis
Autorenvorstellung
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum
1 Einführung
2 Wunder der Pflanzenentwicklung
3 Die Signatur von Pflanzen
4 Signaturenaspekte
5 Signaturenlehre – ein Ausblick
In der modernen Phytotherapie gelten ausschließlich Resultate wissenschaftlicher Laboranalysen aus Tierversuchen und Doppelblindstudien als gesicherte Erkenntnisse. Angesichts der Flut chemischer und pharmakologischer Fachbegriffe stellt sich vielen Menschen, die Heilpflanzenbeschreibungen sichten, jedoch die Frage, ob damit allein das Wesen einer Heilpflanze erfasst und ihre Wirkung umfassend kategorisiert werden kann.
Ein Beispiel dafür ist die folgende Information zu einer allgemein bekannten Heilpflanze, der Wallwurz, auch Beinwell genannt, aus einem pharmazeutischen Fachbuch ▶ [41]:
„Symphytum officinale L.: Fam. Borraginaceae, Beinwell, Schwarzwurz, Wallwurz, Beinheil, Comfrey (Europa). Stpfl. v. Herba Symphyti: Herba Consolidae, Beinwellkraut. Inhaltsst.: Pyrrolizidinalkaloide (in den Blättern bis zu fast 0.2%) wie Echimidin, ferner Symphyto-Cynoglossin, Symphytin u. Glyko-alkaloid Consolidin (in geringen Mengen), Spuren äther. Öls, Schleim, Gerbstoff, Cholin. Anw. Volkst.: gegen Lungenleiden. Radix Symphyti: Radix consolidae, Schwarzwurzel, Beinwellwurzel. Inhaltsst.: 0.6 bis 0.8% Allantoin (Wundheilstoff), ca. 0.3–0.4% Pyrrolizidinalkaloide, Asparagin, Schleimstoffe, Gerbstoffe, Fructose. Anw. volkst.: äuß. Zu Umschlägen bei Knochenverletzungen, schlecht heilenden Wunden, (s. Allantoin), Krampfadern, Sehnenscheidenentzündungen usw.; inn.: bei Blutungen, blut. Diarrhöen sowie auch bei Husten. Wegen der hepatotoxischen u. kanzerogenen Pyrrolizidinalkaloide (siehe dort) sollte auf die (innerliche) Anw. von Symphytum verzichtet werden“ ( ▶ Abb. 1.1).
Abb. 1.1 Molekularstruktur von Allantoin, einem in der Beinwellwurzel enthaltenen Wirkstoff.
Selbstverständlich können aus heutiger Sicht moderne Erkenntnisse zu chemischen Wirkstoffen, pharmakologischen Wirkmechanismen und Anwendungseinschränkungen nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden. Im Gegenteil, diese sollen mit dem historischen Wissen über die Wirksamkeit von Heilpflanzen verbunden werden. Denn um eine Anerkennung für die über Jahrhunderte bewährten, aber nur allzu oft wissenschaftlich nicht ausreichend nachgewiesenen Heilwirkungen von Pflanzen zu erlangen, müssen genau diese zeitgemäßen Aspekte in die traditionelle Heilpflanzenkunde integriert werden.
Andererseits genügen derart abstrakte Beschreibungen alleine bei Weitem nicht, um Interessierten eine Heilpflanze näherzubringen. Für Lernende stellen sie leider allzu oft nur Pflichtstoff dar, den es mühsam auswendig zu lernen gilt, um die Prüfungen absolvieren zu können. Ziel einer natur- und praxisnahen Heilpflanzenkunde sollte jedoch vielmehr die Verinnerlichung von Wissen, Beobachtungen, sensorischen Wahrnehmungen und emotionalen Empfindungen zu jeder einzelnen Pflanze sein. Diese Inhalte gilt es, zusammenfassend in unserem Innersten, in jeder Zelle unseres Wesens abzuspeichern. Denn ob die Auflistung komplizierter chemischer Begriffe dieses Bestreben fördern kann, ist äußerst fraglich.
Ganz anders geschieht es uns, wenn wir versuchen, unser Verständnis einer Heilpflanze mit Erinnerungen, Geschichten, Liedern, Sinnesempfindungen und anderen Erfahrungsinhalten zu erweitern. Diese lassen in unserem Inneren ein vielseitiges Assoziationsbild entstehen, das sich dem eigentlichen Sein der Pflanze zunehmend annähert.
Zum Beispiel bei der Wallwurz bzw. dem Beinwell: Wer in seinem Garten eine Beinwellpflanze hegt, dem werden sicher ein paar hervorstechende Eigenschaften dieser bewährten Heilpflanze auffallen: die rauen Blätter, die beim Jäten eventuell Hautreizungen verursachen können, oder das Brummen der Hummel, die sich an dem in der Blüte verborgenen Nektartropfen laben möchte. Und wie schwer es im Herbst ist, die verwelkten Blätter abzureißen, denn im Innern des Beinwells halten starke Fasern die Blätter am Wurzelstock zurück und es gelingt oft nur, die weiche und zerfallende Blattmasse von diesen abzustreifen – für die Fasern muss eventuell sogar eine Schere zu Hilfe genommen werden ▶ Abb. 1.2. Die Heilkunde unserer Vorfahren bringt den Beinwell deswegen mit den menschlichen „Fasern“, also den Bändern, Sehnen und Nerven, in Zusammenhang. Ein einfaches Entsprechungsdenken führt dabei zu dem Schluss, Beinwell vermöge die damit behandelten menschlichen Bänder, Sehnen oder Nerven ebenso stark wie die eigenen Blattfasern werden lassen (Kap. ▶ 6.15).
Abb. 1.2 Beinwell zeigt sich als äußerst vitale Pflanze.
Aus rationaler Sicht mag diese Denkweise als ein allzu simpler Zugang zu der Welt der Heilpflanzen sein und wird deshalb von Naturwissenschaftlern oft als historischer Irrweg oder esoterischer Unfug abgetan. Sogar von mittelalterlichem Aberglauben oder purer Fantasterei ist manchmal die Rede. Mit Aberglaube – das Wort kann vom ursprünglich wertfreien Wort „Anders-glaube“ abgeleitet werden – ist gemeint, dass das, was die Menschen früher einmal glaubten, heute, da wir uns im Besitz moderner, wissenschaftlicher Weisheiten wähnen, keine Gültigkeit mehr besitzt. In der vorwissenschaftlichen Zeit ohne Laboranalysen waren es aber oft gerade solche Beobachtungen und Hinweise, die Heilkundige auf die Spur der Heilwirkung und des unbekannten Charakters einer Pflanze führten. Auch uns modernen Menschen können solche einfachen, sinnlichen und natürlichen Erfahrungen helfen, eine Heilpflanze näher und besser kennenzulernen.
Der homöopathische Arzt Emil Schlegel (1852–1934) beschrieb die Signatur der Heilpflanzen als Ausdruck der „gestaltbildenden Kraftfelder der Natur“ ▶ [89] und als Werkzeug zu einer vertieften Heilmittelerkenntnis. Er plädierte dafür, die „reiche, schlichte Naturbeobachtung“ als Grundlage der Heilkunde mit einem „tüchtigen wissenschaftlichen Studium“ ▶ [89] und dessen Erkenntnissen zu vereinen. Entsprechend soll dem heute vorhandenen Fachwissen auch das Geheimnisvolle und wissenschaftlich schwer Fassbare zur Seite gestellt werden:
O nimm dir Zeit! An Unbedeutendheiten
Leihst Auge du und Ohr im Lebensstrom,
Die Geistesferne, in sich selbst bescheiden,
Ziehst du in der Verehrung heilgen Dom.
Du staunest an, was dir der Augen Waffen
Enthüllen, deinen Zielen endlos fern,
Die Kräfte, die am Leib der Zelle schaffen,
Du grüßest sie im blassen Nebelstern.
So schaust du rückwärts. Doch des Lebens Kreise,
In deren Ring du wandelst, wirkst und sinnst,
Der zukunftsfrohe Einklang ihrer Weise
Dünkt dir ein meisterloses Hirngespinst?
Verlass des Dünkels eingeschränkte Lehre,
Befrei von allem Kleinen deine Kraft,
Gib dem Geheimnisvollen seine Ehre,
Und Wunder seien deine Wissenschaft! ▶ [89]
Vor der Entstehung von Leben auf der Erde war diese für lange Zeit ein lebensfeindlicher Ort, der erst durch Veränderungen der Grundbedingungen über einen Zeitraum von Jahrmillionen von Jahren einen Übergang zu ersten Lebensformen erlaubte. Vor ca. drei Milliarden Jahren ermöglichte der allmähliche Wandel der Atmosphäre die Entwicklung einfacher Zellkörper, die ihre Nahrungsbedürfnisse nach und nach aus eigener Kraft befriedigen konnten und damit als „Urpflanzen“ selbsternährend waren: Sie bestanden aus einfachen Grundbausteinen – Kohlendioxid und Wasser – und konnten mit Hilfe von Farbstoffen das Licht der Sonne als Energiequelle nutzen. Diese Urpflanzen lernten, vereinfacht ausgedrückt, kosmische Energie aufzunehmen und in ihren Zellen zu speichern. Durch ihre Stoffwechselaktivität wurden dabei zunehmend größere Mengen an Sauerstoff freigesetzt. Dieser bildete viele Millionen Jahre später die unverzichtbare Voraussetzung für die Entstehung der ersten, in Aufbau und Funktion noch äußerst einfachen, tierischen und später menschlichen Lebensformen. Erst dank des pflanzlichen Nahrungsangebots und der an ihre Bedürfnisse angepassten Atemluft fanden wir Menschen in der Natur eine Existenzgrundlage.
Abb. 2.1 Die Evolutionsuhr projiziert die Entwicklung von Leben auf der Erde auf 12 Stunden.
Die Evolutionsuhr projiziert die Entwicklung unseres Planeten auf 12 Stunden ( ▶ Abb. 2.1):
ab 03.00 Uhr erste einfache Lebensformen
ab 10.30 Uhr erste Wasserpflanzen und -tiere
ab 11.00 Uhr erste Landlebewesen
ab 11.25 Dinosaurier
ab 11.50 Säugetiere
ab 11.59 erste menschliche Vorfahren
ab 11.59.58 Homo sapiens
Algen und Moose In der fortschreitenden Entwicklung des irdischen Lebens stellen Algen ein weiteres Stadium dar. Sie sind einfach strukturiert, aufgebaut aus gleichförmigen, beweglichen Bestandteilen und besitzen keine Wurzeln, da diese für ein Leben im Element Wasser unnötig und hinderlich sind. Erst mit ihrer Strandung an den Ufern der Urmeere begann vor ca. 800 Millionen Jahren die Eroberung der Landflächen durch pflanzliches Leben. Diese angeschwemmten Pflanzen vertrockneten und bildeten so den Humus, der den ersten Landbewohnern ein Überleben auf festem Boden erlaubte.
Den Algen folgten die Moose, die fast ausschließlich Feuchtgebiete besiedeln. Sie sind erste, noch schwach differenzierte Landpflanzen: eine Unterteilung in Stängel und Blätter ist bereits vorhanden, echte Wurzeln jedoch fehlen. Erst die Bildung von Wurzeln, die einen Transport von Flüssigkeiten in die Pflanze gewährleistet, ermöglichte eine weitere Inbesitznahme von neuen, trockeneren Landstrichen. Durch eine vermehrte Verfestigung der Pflanzenzellen, z.B. mit Hilfe des Holzstoffs Lignin, wurde zudem eine zunehmende Ausrichtung in die Vertikale möglich. Eine derartige Einlagerung in die Zellwände ermöglicht es Bäumen, in große Höhen vorzustoßen, dadurch Wettbewerbsvorteile zu erringen und für längere Zeit Bestand zu haben. Entsprechend benötigen sie für ihre Entwicklung größere Zeitspannen – eine Eiche erreicht beispielsweise ihre Geschlechtsreife erst nach ca. 40–60 Jahren.
Blütenpflanzen und Insekten Die für uns meist mit der Pflanzenwelt assoziierte Blütenbildung trat vergleichsweise spät zur Zeit der Saurier in Erscheinung und scheint einen regelrechten Evolutionsschub ausgelöst zu haben. Erst nutzten nacktsamige Pflanzen die Windkräfte für ihre Bestäubung. Zeitgleich mit dem Auftreten von Insekten entwickelten sich die „modernen“ für uns typischen Blütenpflanzen vom Typ „Sonnenblume“, die heute mehr als zwei Drittel aller Pflanzenarten ausmachen.
Mittlerweile existiert pflanzliches Leben fast überall auf der Erde. Durch spezifische Fähigkeiten und Schutzmechanismen haben es einzelne Arten geschafft, sich sogar an lebensfeindliche Umweltbedingungen, wie extreme Temperaturen, Trockenheit, salzige Böden oder hochliegende Gebirgsstandorte, anzupassen. Die entwicklungsgeschichtliche Einordnung einer Pflanze erlaubt erste Rückschlüsse auf ihre Bedürfnisse bezüglich Standort, Klima, Bodenverhältnissen, aber auch bezüglich ihrer Wirkung auf den Menschen. So kommen beispielsweise bei „alten“, niedrigen Arten – wie auch im Tierreich – sehr selten Gifte vor. Parallel zur Entwicklung der Blüte im Laufe der Pflanzenevolution steigt auch die Tendenz zur Bildung von toxischen Stoffen. Es erstaunt daher nicht, dass die Tropen, in denen es die größte Zahl und Vielfalt von Blüten gibt, prozentual die höchste Zahl an Giftpflanzen beheimatet.
Neben der entwicklungsgeschichtlichen Einordnung einer Pflanze gilt es jedoch auch, ihre charakteristischen Eigenarten beim Betrachten der Gestaltbildung zu beachten und zu versuchen, deren Bedeutung zu verstehen, denn die botanischen Merkmale sind als ein Teilaspekt der „Pflanzensprache“ zu deuten. So erlaubt beispielsweise die Art der Frucht- und Samenbildung Rückschlüsse auf deren Verbreitung. Winzig kleine Birkensamen können durch den Wind kilometerweit verstreut werden. Der Bau einer Kokosnuss ermöglicht dieser hingegen, ins nahe Wasser zu rollen, von Wellen an weit entfernte Strände getrieben zu werden und dort zu keimen.
Der größte Unterschied zwischen Mensch/Tier und Pflanze stellt sicherlich deren Standortgebundenheit dar. Erstere sind durch die Ausbildung eines spezifischen Bewegungsapparates, eines zentralisierten Nervensystems und von Sinnesorganen zum selbständigen Erkennen, Suchen und Jagen ihrer Nahrung befähigt. Unverzichtbare Voraussetzung für die damit verbundene Unabhängigkeit und Mobilität ist der kompakte Bauplan tierischer und menschlicher Lebewesen, bei dem alle Körperorgane in sie umschließende „Höhlen“ eingefügt und somit geschützt und „transportierbar“ sind. Durch diesen hohen Zentralisationsgrad ist der Körperaufbau in sich geschlossen und nach innen gerichtet. Das Bauprinzip eines Pflanzenkörpers besteht hingegen darin, eine möglichst große Kontaktfläche mit dem Boden und der sie umgebenden Luft herzustellen. Nur so kann die Energieversorgung durch Sonnenlicht und die Wasser- und Nährstoffversorgung durch die Wurzeln gewährleistet werden. Die Entwicklung einer Pflanze ist zentrifugal und nach außen gerichtet: Pflanzen besitzen gewissermaßen keine inneren, sondern nach „außen gestülpte Organe“ ( ▶ Abb. 2.2).
Abb. 2.2 Der Bauplan von tierischem und menschlichem Leben ist kompakt und zentralisiert, um die nötige Mobilität zu gewährleisten. Pflanzliches Leben ist dagegen stationär und nach außen gerichtet, was der Pföanze „Selbsternährung“ ermöglicht.
An einen Standort gebunden Als Krönung eines derartigen Bauplans kann der Baum angesehen werden, dessen Skelett nicht im Inneren, sondern als Rinde außen vorliegt. In diesem Sinne können Pflanzen und ihre Lebensprozesse als integrierter Teil ihrer Umgebung betrachtet werden – sie wirken sozusagen über die materiellen Grenzen ihrer physischen Gestalt hinaus. Durch die Wurzeln fußen sie im Erdboden und über ihre Blätter stehen sie in ständigem Austausch mit der Atmosphäre. Alle von der Pflanze gebildeten Stoffe und alle ihre Lebensfunktionen sind als Resultat dieser Kommunikation mit der äußeren Umgebung anzusehen.
Die allermeisten Pflanzen sind durch diese „Einbettung“ an einen festen Standort gebunden, was - aus menschlicher Sicht - ein Nachteil sein mag. Aus Sicht der Pflanze ermöglicht es ihnen ihre Gebundenheit jedoch erst, anorganisches Material und Sonnenenergie zu nutzen, um sich selbst zu versorgen und weiterzuentwickeln ( ▶ Abb. 2.3). Mensch und Tier sind dagegen gezwungen, die von ihnen benötigte Lebensenergie zu gewinnen, indem sie sich von anderen Lebewesen ernähren – die Fleischfresser von tierischem, die Pflanzenfresser von pflanzlichem Leben. Eine eigene Mobilität wäre bei Pflanzen schon wegen ihres Aufbaus und der starren Zellwände unvorstellbar. Mobilität setzt einen entsprechenden Muskelapparat sowie ein komplexes Nervensystem voraus, das Bewegungen steuert und kontrolliert. Obwohl die moderne Naturwissenschaft der Pflanzenwelt das Vorhandensein eines Nervensystems im eigentlichen Sinne abspricht, muss ihr dennoch zumindest eine Art „innerer Intelligenz“ zugestanden werden. Denn die Pflanze kennt ihre Bedürfnisse und Vorlieben genau und kann diese zielgerichtet verfolgen.
Abb. 2.3 Die Wurzelmasse von einfachen Gräsern ist beachtlich. Sie versorgen die Pflanzen u.a. mit Wasser und Mineralsalzen.
Pflanzen besitzen die Fähigkeit, Reize aufzunehmen, zu verarbeiten und zu beantworten: Eine einfache Wiesenpflanze kann mindestens 20 physikalische und chemische Größen wie Düfte, Licht, Schwerkraft, Schallwellen, klimatische Einflüsse u.v.m. registrieren und gezielt darauf reagieren. Pflanzen kommunizieren über Signalstoffe miteinander und können zwischen eigenen und fremden, zwischen artgleichen und artfremden Stoffen unterscheiden. Viele Blütenpflanzen vermögen durch Nektar, einem honigsüßen Flüssigkeitstropfen, Insekten anzulocken, damit diese sie bestäuben. Andere machen mit spezifischer Farbgebung auf sich aufmerksam oder sind fähig, potenzielle Bestäuber mittels Lockfallen, wie die des Aronstabs, einzufangen oder diese mit „Weibchen-Attrappen“, wie die der Ragwurzarten, zu überlisten.
Die gestalt- und funktionsbezogene „Weiterentwicklung“ von Mensch und Tier kann im Vergleich zur Pflanze auch als entwicklungsmäßiger Rückschritt betrachtet werden, da dabei wichtige Fähigkeiten verloren gegangen sind:
die Fotosynthese, d.h. die Energiegewinnung mit Hilfe von Sonnenlicht
die Autotrophie, d.h. die Selbsternährung (kein Verzehr anderer Lebewesen)
die Bildung starrer Zellwände, die für Stabilität und Größe sorgen
vegetative Vermehrungsmöglichkeiten, d.h. ungeschlechtliche Vermehrung mittels Ablegern, wie bei Erdbeeren oder Stecklingen von Weiden
Die moderne, sogenannte rationale Phytotherapie versteht sich inhaltlich und namentlich in demonstrativer Abgrenzung vom herkömmlichen Heilpflanzenwissen. Dieses entwickelte sich bereits lange vor der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft, die erst im 19. Jahrhundert zu voller Blüte fand und daher entsprechend verhältnismäßig junger Natur ist ( ▶ Abb. 2.4).
Überlieferte Erfahrungen von Heilkundigen Die Tradition der Heilpflanzenkunde basiert auf überlieferten und bewährten Erfahrungen von meist nicht akademisch ausgebildeten Heiltätigen, Kräuterkundigen oder Hebammen, die ihr immenses Wissen um die heilkräftigen Wirkungen von Pflanzen auch in den düsteren Epochen der Geschichte, in denen sie oft wegen ihrer Kenntnisse als Zauberer und Hexen verfolgt wurden, bewahrt, gepflegt und weiterwachsen haben lassen.
Den größten Teil des Daseins auf Erden durchlebte die Menschheit als steinzeitliche Jäger und Sammler – und nicht als in wissenschaftlichen Kategorien denkender "Homo modernicus". Diese Zeitspanne kann entwicklungsgeschichtlich gesehen mit der menschlichen Kindheit verglichen werden. Mit staunenden Augen beobachteten unsere Vorfahren damals ihre Umwelt in beinahe kindlicher, aus heutiger Sicht in vielleicht geradezu naiver Weise, und versuchten dabei, alle irdischen und kosmischen Phänomene zu erfassen und einzuordnen. Was sich ihrem Denken und Fühlen nicht erschloss, nahm übersinnlichen, göttlichen Charakter an. Mit Hilfe dieses zutiefst magisch-religiösen und schamanischen Weltbildes versuchten die Menschen, Sinn und Struktur in diesen Kosmos voller wundersamer, teilweise aber auch furchteinflößender Erscheinungen zu bringen. In diesem Bewusstsein waren die Grenzlinien zwischen Natur und Mensch, zwischen realer Welt und Traumwelt fließend. Unbekanntes und Neues wurde mittels Entsprechungen mit bereits gemachten Erfahrungen verglichen und in die eigene Weltanschauung integriert.
Diese tiefe Auseinandersetzung mit der Natur führte im Bereich der Heilpflanzen auch zu ersten Klassifikationsversuchen, wobei Bezüge zwischen den Kräften von Pflanzen, Tieren, Menschen und Gestirnen erstellt wurden, um ihre jeweiligen Eigenschaften zu qualifizieren. Diese Zuordnungen haben sich in vielen, noch heute erhalten Pflanzennamen wie z.B. Bärlauch niedergeschlagen. Die Pflanze wird durch diese unsichtbare Verbindung zum „vegetabilen Bären“, der so vital und kräftig wirksam ist, wie der Namensgeber selbst. Die Erfassung von Heilpflanzen und ihrem Wirkungsvermögen mittels Analogien blieb seit Urzeiten über alle Epochen hinweg eine der wichtigsten Möglichkeiten, um Eigenschaften einzuordnen und verständlich zu erläutern.
Entwicklung der Humoralmedizin Erst die aufkommende Humoralmedizin, auch Vier-Säfte-Lehre genannt, ermöglichte um 500 v.Chr. allmählich einen Übergang zu einer methodischeren, rational begründeten Medizin, die dennoch auf Erfahrungen basierte. Der Grieche Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v.Chr.) gilt als Begründer dieser Lehre und der Medizin, wie wir sie heute verstehen. Die griechische Medizin entriss die Gewalt über Gesundheit und Krankheit den allmächtigen Göttern und ihren irdischen Gehilfen und legte sie in die Hände geschulter Menschen und der Betroffenen selbst. Einerseits wurden dabei Aspekte der Lebensführung wie Bewegung, Hygiene oder Ernährung zur besseren Erklärung der Entstehung von Krankheiten herangezogen und andererseits zu einem Teil des Therapiekonzepts. So groß Hippokrates' Verdienst um die Medizin auch ist, die Errungenschaften der Heilpflanzenkunde und der Medizin haben wir auch unzähligen anderen Menschen, Kulturen und Generationen zu verdanken, denen Hippokrates symbolhaft vorsteht.
Das vorwissenschaftliche, humoralmedizinische Konzept blieb bis ins 19. Jahrhundert die Basis der traditionellen Medizin. Sie wurde erst im Laufe der wissenschaftlichen Revolution innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne für ungültig erklärt.
Abb. 2.4 Zeitachse der Methoden zur Erfassung der Heilpflanzenwirkungen.
Moderne Arzneistoffe Friedrich Sertürner (1783–1841), deutscher Apotheker, veröffentlichte bereits um 1805 die erste Entdeckung eines pflanzlichen Wirkstoffs: des Morphins, eines Inhaltsstoffs des Schlafmohns. Diesen Stoff hatte er bereits einige Zeit zuvor aus Rohopium, dem eingedickten Milchsaft der Pflanze, isolieren können. Es gab weitere Entdeckungen von heilenden pflanzlichen Inhaltsstoffen, wie z.B. von Chinin, einem natürlich in der Rinde des Chinarindenbaums vorkommenden Arzneistoffs, der teilweise synthetisiert und für Arzneimittel bei Fiebererkrankungen, vor allem zur Bekämpfung der Malaria, verwendet wurde. Ein weiteres bekanntes Beispiel für die historische Bedeutung der Heilpflanzenkunde ist Aspirin®, eines der am häufigsten verkauften Medikamente der Welt. Wegen ihrer schon früh erkannten schmerzlindernden Wirkung wurden die salicylathaltigen Heilpflanzen Mädesüß und Weide im 19. Jahrhundert als Ausgangspunkt für die Herstellung dieses synthetischen Heilmittels genutzt.
Abb. 2.5 Die Gas-Chromatografie ist eine moderne Analysemethode, die die Zusammensetzung eines Stoffgemisches (hier ätherisches Lavendelöl) untersucht. 1 Kamfeen, 2 Myrceen, 3 Limoneen, 4 Cis-beta-ocimeen, 5 3-octanon, 6 Hexylisobutyraat, 7 Hexylbutyraat, 8 1-octeen-3-ol, 9 Linalool
Mit der zunehmenden Entwicklung der naturwissenschaftlichen Disziplinen, vor allem der Chemie und Pharmakologie, im 19. Jahrhundert, geriet die traditionelle Kräuterheilkunde zunehmend in den Hintergrund. Die Bedeutung der naturwissenschaftlichen Errungenschaften führte gar dazu, dass sie aus Universitäten ausgeschlossen und auf einen häufig belächelten Teilaspekt der Volkheilkunde reduziert wurde. Die moderne Wissenschaft beschreibt Pflanzen auf analytische, messbare und quantitative Art und Weise ( ▶ Abb. 2.5). Die heilenden Eigenschaften von Pflanzen beruhen demnach ausschließlich auf Wirksubstanzen und daraus resultierenden, reproduzierbaren Wirkmechanismen. Einzelne pharmakologische Eigenschaften von Pflanzen sind mittlerweile zumindest ansatzweise bekannt und werden mittels Tierversuchen und Doppelblindstudien untersucht. Somit lassen sich gewisse Heilwirkungen und entsprechende Indikationen auf naturwissenschaftlicher Basis nachvollziehen. Ein umfassendes Verständnis der gesundheitlichen Bedeutung der meisten Heilpflanzen zu erlangen, ist der Wissenschaft bis heute jedoch erst ansatzweise gelungen. Dies ist der momentane Stand einer jahrtausendelangen Entwicklung.
Leider sind mit der wissenschaftlichen Revolution nicht nur überholte und unnütze Inhalte, sondern auch immanent wichtige Bestandteile unserer Tradition und Kultur verloren gegangen. Die Auseinandersetzung mit diesen medizinischen und kulturellen Ressourcen ist deshalb sehr wichtig und ermöglicht gleichzeitig eine Aussöhnung mit unserer eigenen Geschichte und unseren Wurzeln.
Vor der Entdeckung chemischer Pflanzenwirkstoffe waren die mit den Sinnen wahrnehmbaren, charakteristischen Merkmale (lat. Signum – Zeichen, Merkmal) und die daraus resultierende Gesamterscheinung einer Heilpflanze von entscheidender Bedeutung für die Erfassung ihres spezifischen Wirkungsvermögens. Diese Signaturen sind mit Hilfe der menschlichen Sinne erfassbare Merkmale, Gesten, Bewegungen und Rhythmen einer Pflanze, die Bezüge zu ihren spezifischen Heilwirkungen ermöglichen, indem sie z.B. Ähnlichkeiten mit bestimmten Geweben oder Zielorganen, Krankheiten oder deren Symptomen aufweisen. Alle traditionellen Medizin- und Heilsysteme kennen derartige Ähnlichkeitsprinzipien und nehmen sie als Richtlinie bei der Heilmittelauswahl zu Hilfe. Die Wurzeln der verschiedenen Entsprechungslehren gehen auf die Anfänge der Menschheit zurück.
Menschen und Tiere vermögen, mit den Sinnen erfassbare Zeichen von Pflanzen, wie Aussehen, Farbe, Geschmack oder Form, zu interpretieren und ihre Erkenntnisse bezüglich Verträglichkeit oder Heilwirkung zu nutzen. Sie lassen sich zum Beispiel durch auffällige Fruchtfarben oder aromatische Blütendüfte anlocken und dienen dadurch ungewollt als potenzielle Bestäuber oder Helfer zur Verbreitung der Samen, beispielsweise indem sie die Früchte verzehren und die Samen mit dem Kot andernorts wieder ausscheiden. Gleichzeitig schützen sich Pflanzen durch den deutlich abschreckenden Geschmack von Bitterstoffen oder durch Stacheln vor Fressfeinden und halten diese damit dauerhaft von sich fern.
Verschiedene Mythen beschäftigen sich mit der Tatsache, dass wir Menschen einen Teil unserer Erfahrungen mit Pflanzen und ihrer Wirksamkeit bereits in der frühen Vorzeit, der Zeit, in der sich die Menschheit erst noch aus der Tierwelt entwickelte, sammelten: Der heilkundige Zentaur Chiron, ein Fabelwesen der griechischen Mythologie, halb Pferd halb Mensch, soll den Menschen sowohl die Schafgarbe als auch das Tausendgüldenkraut gezeigt und sie Heilwirkung gelehrt haben. Derartige Sagen sind Metaphern für die Gewissheit, dass ein Teil unserer Pflanzenerfahrungen aus einer Zeit stammt, als der Mensch noch zur Hälfte mit seinem tierischen Ursprung verbunden war. Beispielsweise wissen Ameisen um die antimikrobielle Wirkung von wildem Thymian (Quendel) und kultivieren diesen in höheren Lagen auf ihren Wohnhügeln, um sich vor schädlichen Keimen zu schützen ( ▶ Abb. 3.1).
Abb. 3.1 Ameisen kultivieren wilden Thymian als Schutz vor pathogenen Keimen.
Die spezifischen Eigenschaften und Besonderheiten einer Pflanze werden als Signaturen bezeichnet und erlauben, eine Entsprechung (Analogie) zu potenziellen Zielorganen oder Krankheitszeichen zu erahnen. So gleicht beispielsweise der segmentäre Aufbau des Acker-Schachtelhalms der Struktur einer Wirbelsäule. Es besteht eine bildliche Entsprechung zwischen dem Erscheinungsbild des Acker-Schachtelhalms und seiner Wirkung auf den menschlichen Organismus. Pflanzenkundige können aus dieser Beobachtung einen Hinweis auf die Wirbelsäule als mögliches Zielorgan herleiten – und verwenden die Pflanze daher seit Jahrhunderten für therapeutische Anwendungen zur Stabilisierung der Wirbelsäule. Mit der heutigen Kenntnis der bindegewebestärkenden Wirkung der im Schachtelhalm enthaltenen Kieselsäure kann diese Indikation gut nachvollzogen werden.
Dieses Analogiedenken wird in der traditionellen Medizin als Signaturenlehre bezeichnet. Sie kann als einfaches, bildhaftes Raster für die Erkenntnis der Heilpflanzenqualität betrachtet werden. Durch den häufig damit verbundenen Wunsch, die Eigenschaften des Heilmittels mögen auf den zu Behandelnden übergehen, wird die suggestive Kraft und Wirkung des Analogiedenkens zusätzlich verstärkt. Außerdem wird den heilsamen Eigenschaften einer Arzneipflanze oft bereits in der volkstümlichen Namensgebung Rechenschaft getragen und Wertschätzung entgegengebracht, z.B. mit der Bezeichnung Augentrost. Obwohl die Signaturenlehre nicht nur in der Heilpflanzenkunde, sondern beispielsweise auch in der qualitativen Erfassung von Menschen oder Landschaften eine wichtige Rolle spielt, stellt sie in der Traditionellen Europäischen Naturheilkunde hauptsächlich ein Werkzeug zur Arzneimittelfindung dar.
Die Signaturenlehre war in der antiken und mittelalterlichen Heilkunde äußerst populär und wurde mit der fortschreitenden Christianisierung auch in die neue Glaubenslehre eingebunden. So schrieb etwa der Schüler von Paracelsus Oswald Croll (1560–1609), Gott habe einem jeden Gewächs seinen Verräter eingepflanzt, damit man die Kräfte und Eigenschaften der Kräuter, so verborgen sie auch sein mögen, durch ihre äußerlichen Signaturen erkennen und erraten könne: „Also hat auch Gott der Herr in der Natur viel Dinge/die nicht einem jeden vor Augen/allein gezeichnet/damit wir sie durch fleißige Nachforschung möchten erlernen“ ▶ [19].
Der deutsche Mystiker Jakob Böhme (1575–1624) integrierte die Signaturenlehre ebenfalls in das christliche Weltbild, indem er sie als „Schrift Gottes“ bezeichnete. Für Böhme war die Signatur, die sich in Sprache und Gestalt der Heilpflanzen äußere, vor allem der Schlüssel zum verborgenen Inneren: So hätten auch Tiere und Kräuter ihren äußerlichen Charakter, indem das Innerliche stets an seiner Offenbarung arbeite. Darum sei in der Signatur der größte Verstand ▶ [10]. In dieser Natursprache eröffne jedes Lebewesen seine Eigenschaften und zeige, wozu es gut sei. In der Natur gebe es keine Erscheinung, welche ihre innere Gestalt und den „darin verborgenen Geist“ nicht offenbare ▶ [10].
Böhme ordnete als Erster Signaturen nach verschiedenen Aspekten in folgende Kategorien:
Gestalt, Form und Bildung
Zeit, Zyklen, Tages-, Jahreszeit, Gestirne
Ort, Länder, Standort, Klimazone
Gesten, Gebärden, Erscheinung
Farbe, Geruch, Geschmack, Elementarqualitäten
Namen
Diese Aspekte verknüpfte er zu einem korrespondierenden System wechselseitiger Verbindungen, die ein vertieftes Naturverständnis ermöglichen sollte. Demnach ist eine Pflanze, in der die saturnischen Qualitäten hervorstechen, von schwarzer oder grauer Farbe, harter und derber Konsistenz, saurem oder salzigem Geschmack.
Analogien wurden früher aber nicht nur zur Erfassung des Heilpflanzencharakters, sondern auch zur Deutung des menschlichen Körpers, vor allem des Gesichtes, herangezogen. Denn der prägende Ersteindruck beim Kennenlernen eines Menschen beruht auf sekundenschneller Abgleichung mit den Eigenschaften bereits bekannter Gesichter. Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493–1541), der sich ab 1529 Paracelsus nannte, schreibt dazu im "Buch von den natürlichen Dingen", dass – so wie wir Menschen an ihrer äußeren Erscheinung erkennen – wir Kräuter an ihren Zeichen erkennen ▶ [75].
Diese Art von Erkenntnis kann auch beim Betrachten einer Landschaft entstehen, wenn man von Merkmalen erste Rückschlüsse auf die Stimmung und Qualität einer Gegend zieht. Analogien finden sich daher auch in der mittelalterlichen Malerei, speziell in Abbildungen von Pflanzen. Interessanterweise erscheinen uns diese nicht im heutigen Sinne naturgetreu. Hier ist die Differenzierung von Naturtreue wichtig, denn im modernen Sinne bedeutet Naturtreue eine exakte Detailtreue bei der Abbildung einer Pflanze, wodurch ihre botanischen Merkmale eindeutig erkennbar sind. Aus diesem Grund werden in vielen modernen Pflanzenbildern nicht nur ganze Pflanzen, sondern auch Einzelteile oder Querschnitte einzelner Organe abgebildet. Für die Künstlerinnen und Künstler des Mittelalters war es hingegen wichtig, die Pflanze in ihrer Gesamtheit einschließlich ihres charakteristischen Ausdrucks und ihres ganzen Wesens gemäß der persönlichen Empfindung der Malerin bzw. des Malers wiederzugeben. Deshalb zeigen Pflanzenbilder dieser Epoche Pflanzen in ganz unterschiedlicher Weise, denn sie bildeten die Signaturen einer Pflanze ab. Oft wurden dabei die für die Heilwirkung bedeutsamen Teile einer Pflanze überdimensional oder bildhaft in Bezug auf ihre Arzneiwirkung dargestellt.
Eine weitere auf analoger Denkweise beruhende Technik in der Malerei finden wir in den phantasievollen Bildkompositionen von Giuseppe Arcimboldo (ca. 1526–1593), der aus Tieren, Pflanzen und anderen Objekten kunstvoll arrangierte Menschenporträts schuf. Seine sinnbildliche Technik kann als Gegenentwurf zur Malerei der Renaissance verstanden werden, denn der äußerst kreative Maler stellte in seinen Werken Beziehungen zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen Pflanzen, Tieren, Objekten und Menschen her und wird deshalb auch als früher Vorläufer der Surrealisten des 20. Jahrhunderts angesehen.
Die Sicht-, Denk- und Lebensweise, in welche die Signaturenlehre eingebettet ist, sieht den Menschen als Teil eines großen kosmischen Weltenreigens. In dieser Welt ist alles auf verborgene Weise miteinander verwoben und alle Lebewesen, Dinge und Vorgänge sind dadurch in einen umfassenden Zusammenhang gesetzt. Der Mensch steht einerseits in Verbindung und Übereinstimmung mit allen äußeren, kosmischen Erscheinungen, der „großen Ordnung“, dem Makrokosmos, andererseits aber auch mit allen Phänomenen der „kleinen Ordnung“, dem Mikrokosmos ( ▶ Abb. 3.2). Dieses kosmische Urgesetz (wie oben so unten, wie unten so oben – wie außen so innen, wie innen so außen) wird in den hermetischen Gesetzen des Hermes Trismegistos, einer sagenumwobenen, gottähnlichen Gestalt, folgendermaßen beschrieben: „Also wurde die kleine Welt nach dem Vorbild der großen Welt erschaffen“ ▶ [84].
Abb. 3.2 Der Mensch (Mikrokosmos) ist in das große Ganze (Makrokosmos) eingebettet. Fludd R. Utriusque cosmi. Oppenheim 1817. Zentralbibliothek Zürich.
Das naturphilosophische Weltbild des Hermes Trismegistos entstammt einer magisch-mystischen Frühzeit der menschlichen Entwicklungsgeschichte, in der die meisten heute geltenden Erklärungsmodelle und Naturgesetze noch weitgehend unbekannt waren. Je nach Kultur- und Zeitepoche mag die Deutung und Auslegung der Kosmologie unterschiedlich ausfallen. Allen traditionellen Erklärungsmodellen ist jedoch die Erkenntnis gemeinsam, dass der Mensch nicht nur ein Teil dieser großen Ordnung ist, sondern gleichzeitig auch denselben Rhythmen und Gesetzmäßigkeiten wie alle anderen Geschöpfe und Erscheinungen unterliegt.
Seit Urzeiten ist der Mensch deshalb bestrebt, alle Grundbegriffe und Phänomene des Lebens zu erfassen und die gewonnenen Erkenntnisse zu deuten. Dabei lassen sich durch ständiges Suchen und Überdenken Grundprinzipien für die Klassifizierung aller Erscheinungen ableiten und komplexe Weltmodelle entwickeln, die ihrerseits die Grundlage der Philosophie, Religion, Medizin und aller übrigen Lebensbereiche bilden. Diese Grundprinzipien dienen als bildhaft erklärendes und strukturierendes Werkzeug, um die erfassten Wahrnehmungen zu ordnen und zu erklären. Dabei werden vielfältige qualitative und quantitative Prinzipien unterschieden:
Qualitative Prinzipien Diese finden ihre Anwendung beispielsweise in der Zuordnung verschiedener Lebensaspekte, wie Lebensalter, Jahreszeiten oder Heilpflanzen, zu den Elementarqualitäten warm/kalt, feucht/trocken, zu den vier Elementen oder zu den Qualitäten der sieben traditionellen Gestirnskräfte. So entspricht z.B. das Herz dem Wärme- und Sonnenprinzip, da es über das Herz-Kreislauf-System alle Lebensfunktionen aufrechterhält.
Quantitative Prinzipien Diese zeigen sich hingegen in der Verknüpfung von Erscheinungen mit Zahlen oder Rhythmen. In der Signaturenlehre wird beispielsweise die Dreizahl von Blättern oder Stacheln mit der Leber in Verbindung gesetzt. Die traditionelle Medizin betrachtete dieses Organ als aus drei Lappen bestehend, einem rechten und einem linken Lappen sowie dem Lobus caudatus. Die Fünfzahl wird mit der Venus assoziiert, deren Umlaufbahn von der Erde aus betrachtet über acht Jahre einen fünfzackigen Stern durchläuft ( ▶ Abb. 3.3).
Abb. 3.3 Die Umlaufbahn der Venus innerhalb von 8 Erden- und 13 Venusjahren.
Diese Art der Naturerfassung dient als verbindendes Erklärungssystem, welches die Zusammenhänge zwischen dem „Großen“ und dem Menschen herstellt. In dieses wundersame Schauspiel ist jedes Lebewesen und jedes Sein als winzig kleines Teilchen eingebunden. Indem der Mensch mit der Melodie und dem Rhythmus dieses großartigen Räderwerks mitschwingt und Teil des kosmischen Tanzes wird, erfährt er Leben und Veränderung. Nur im Rahmen dieser „Natura magica“ ist die Signaturenlehre als Konzept zur Arzneimittelerkenntnis nachvollziehbar. In den Signaturen spiegeln sich die vielfältigen Beziehungen, Wesensverwandschaften und Kräftefelder wider, welche in den Pflanzen wirken.
Nicht umsonst legt uns der mittelalterliche Mystiker und Philosoph Meister Eckhart (ca. 1260–1328) ans Herz, dass „wenn wir ein kleines Blümelein ganz und gar so, wie es in seinem Wesen ist, erkennen könnten, so hätten wir damit die ganze Welt erkannt“ ▶ [93].
Die Blattform des Lungenkrautes besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit der Form der Lungenflügel, sogar die Lungenspitze lässt sich erahnen. Die raue Blattoberfläche hat eine Entsprechung zum Flimmerhaarepithel der Atemwege. Erstaunlich viele Atemwegsheilpflanzen besitzen einen ähnlich flaumigen oder haarigen Blattüberzug, so Königskerze, Salbei, Eibisch, Huflattich u.a. Die weißen Flecken der Blätter zeigen eine Ähnlichkeit mit weißen Flecken, wie sie sich auf Röntgenbildern bei Erkrankungen der Lungen zeigen, z.B. bei Lungentuberkulose, oder können direkt mit den Alveolenbläschen assoziiert werden.
Der schönste Signaturaspekt zeigt sich jedoch im Farbwechsel der Blüten nach der Bestäubung. Die Blütenknospe zeigt sich ursprünglich in roter Farbe und wechselt nach der Bestäubung durch Insekten zu Blau, da die Farbstoffe der Lungenkrautblüte, sogenannte Anthozyane, empfindlich auf Veränderungen des Säure-Basen-Verhältnisses reagieren ( ▶ Abb. 3.4). Der Farbwechsel von Rot zu Blau lässt sich mit demjenigen des Blutes in den Lungenalveolen assoziieren, wo das bläuliche venöse Blut arterialisiert wird und dadurch in ein helles Rot übergeht ( ▶ Abb. 3.5).
Abb. 3.4 Nach der Bestäubung wechselt die Lungenkrautblüte ihre Blütenfarbe von Rot zu Blau.
Abb. 3.5 Der Farbwechsel des Lungenkrautes kann als Analogie zum Farbwechsel im menschlichen Blutkreislauf betrachtet werden.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014)
Das Lungenkraut war lange Zeit ein wichtiges Unterstützungsmittel in der Begleitung der Lungentuberkulose. Es stärkt das Lungengewebe und vermindert oder verlangsamt den weiteren Zerfall im Rahmen der Tuberkulose, regeneriert die angegriffenen und überreizten Schleimhäute und ermöglicht, vorhandenen Schleim einfacher und vermehrt abzuhusten (Kap. ▶ 6.86).
Wie entstand wohl der in einigen Ländern bekannte Brauch, sich an Weihnachten unter einem im Türrahmen hängenden Mistelzweig zu küssen? Was hat es mit dieser eigenartigen Pflanze auf sich?
Im mythologischen Weltbild der Kelten und Germanen entstammen Misteln, die aus den schleimigen Samen ihrer Früchte auf Bäumen wachsen, dem Sperma des kosmischen Stiers, der damit die Erdgöttin befruchtet. Von dieser Entsprechung wird auch die in der Volksheilkunde bekannte fruchtbarkeitsfördernde Wirkung von Misteltee und Auszügen von Misteln in Wein abgeleitet.
Ein unter ihren hängenden Zweigen stehendes Paar ist von den üblichen gesellschaftlichen Zwängen befreit und darf sich küssen. Die Mistel nimmt sich nämlich von vielen, in der Natur üblichen, Normen aus. Anstatt wie andere Pflanzen am Boden in Richtung Sonne zu wachsen, gedeiht sie als Halbschmarotzer nur auf anderen, ihr genehmen (mistelholden) Wirtsbäumen und wächst durch ihre altertümliche Verzweigungsart kugelbuschartig (in alle Richtungen gleichzeitig). Sie ist frei vom Zwang, ihre Stängel und Blätter der Sonne entgegenzurecken (Heliotropismus) und ihre Wurzeln in die Gegenrichtung (Geotropismus) wachsen zu lassen. Letztere sind eigentlich keine echten Wurzelorgane, sondern wurzelähnliche Rindenwurzeln, die Chlorophyll enthalten, und deshalb grün bleiben. Auch die spiralförmige Bildung der „immergrünen“, 2 bis 3 Jahre alt werdenden Blätter in Form von Lemniskaten (Schleifen in Form einer liegenden Acht) und der in Bau und Funktion gleiche Aufbau der Blattoberseite und Blattunterseite ist auffällig. Die Pflanze kennt keine Blattwelke, keine eigene Wundheilungsfähigkeit und bildet keine Borke ( ▶ Abb. 3.6). Ihr Vegetationszyklus verhält sich antizyklisch, indem die Blüte von Februar bis März und die Fruchtbildung 9 Monate später im November bzw. Dezember stattfindet.
Abb. 3.6 Weibliche Tannenmistel.
Die Eigenwilligkeit der Mistel zeigt gewisse Parallelen zum Tumorgeschehen im menschlichen Körper auf. So wie sich die Mistel in ihrer Pflanzengestik nicht an naturgemäße Normen hält, verhalten sich Tumorzellen im Gewebe. Sie kennen bei Berührung mit anderen Zellen keine Wachstumshemmung, sondern wachsen verdrängend oder sogar destruktiv infiltrierend in die betroffenen Gewebe hinein. Die Mistelpflanze besitzt außerdem nicht den gleichen Wasserdruck wie ihr Wirt, wie es zu erwarten wäre, sondern einen erhöhten Wasserdruck. Diese Tatsache kann mit der Anwendung von Mistelzubereitungen in Form von Tee oder Tinkturen bei Bluthochdruck assoziiert werden (Kap. ▶ 6.91).
Eine Analogie oder Entsprechung bezeichnet eine Beziehung zwischen Objekten, Vorstellungen oder Systemen, die eine gewisse Übereinstimmung oder Ähnlichkeit besitzen. Dabei wird auf bildhafte Weise mittels eines verbindenden Prinzips eine Verknüpfung zwischen bekannten und unbekannten Inhalten hergestellt.
Wie in Kap. ▶ 3.2.1 beschrieben vollziehen wir diesen Vorgang täglich, wenn wir andere Menschen kennenlernen. In Sekundenschnelle vergleichen wir eine Person und ihre offensichtlichsten Merkmale, wie z.B. Statur und Stimme, mit den Eigenschaften anderer, uns bekannter Menschen und werten diese nach dem Ähnlichkeitsprinzip aus: So finden wir z.B. eine Person sympathisch, wenn diese einem Menschen ähnlich ist, der uns ebenfalls sympathisch ist.
Gemäß der Signaturenlehre als naturphilosophischem Ordnungssystem gelten folgende Prinzipien:
Ein Heilmittel beeinflusst durch eine Ähnlichkeit mit einer Gewebe- oder Organstruktur diese positiv. Beispiel: Die lungenförmigen Blätter des Lungenkrauts können stärkend auf das Lungengewebe einwirken.
Ein Heilmittel stärkt mit ähnlichen oder dem gewünschten Zustand entsprechenden Merkmalen ein fehlendes oder in seiner Funktion geschwächtes Gewebe oder Organ. Beispiel: Abwehrstärkung durch Einnahme von Sonnenhut, dessen stacheliger Igelkopf stellt den Bezug zur Stärkung der Abwehrfunktion her.
Ein Heilmittel zeigt Merkmale, die einem bestimmten Krankheitssymptom gleichen, und wird darum zu dessen Linderung oder Überwindung herangezogen.
In einem in früheren Zeiten gängigen sympathiemedizinischen Verfahren, das Transplantation genannt wird, wurden sogar Krankheitsprodukte oder -symptome auf Pflanzen übertragen. Zu diesem Zweck wurde beispielsweise der Schmerz oder das Fieber einer Patientin bzw. eines Patienten symbolisch in die Zweige einer Weide geknotet oder der Urin kranker Menschen im Wurzelbereich ausgeschüttet.
Die oben genannten Beweggründe für die Einnahme bzw. Anwendung eines signatorischen Heilmittels sind nur im Sinne einer schamanischen Naturphilosophie nachvollziehbar und werden jedem ausschließlich rational denkenden Menschen höchstens ein Kopfschütteln entlocken. Bei der Verwendung eines signatorischen Heilmittels ist jedoch der Wunsch und damit die suggestive Kraft des Heilenden sowie seines Patienten beteiligt, der Charakter der Arznei möge sich auf Letzteren übertragen und spezifische Krankheitssymptome positiv beeinflussen, diese lindern oder sogar heilen.
Heute wissen nicht nur Naturheilpraktiker, sondern auch moderne Naturwissenschaftler um die potenzielle Kraft von Suggestion und Autosuggestion. Dazu sei stellvertretend Etzel Gysling, Facharzt FMH für Allgemeine Innere Medizin in St. Gallen, erwähnt, der im Magazin des Tagesanzeigers (Zürich: Tamedia 04/2013) zitiert wird: „Ich verschreibe keine Placebos, ich bin ein Placebo.“
Moderne, wissenschaftliche Erkenntnisse sind für die Entwicklung von Medikamenten und Therapien wichtig. Dennoch kommt es trotz vermeintlich abgesicherter Studien immer wieder zu Behandlungsfehlern mit für Betroffene schlimmen gesundheitlichen Folgen. Die Signaturenlehre wird von naturwissenschaftlicher Seite gerne als unwissenschaftlich oder esoterisch bezeichnet. Allerdings ist es unbestritten, dass es kaum einen effizienteren und anschaulicheren Weg als gut gewählte Vergleiche gibt, um unbekannte Inhalte zu erfassen.
Wenn Signaturen an Pflanzen beobachtet und erforscht werden, erlauben diese Rückschlüsse auf die komplexen Beziehungen und Wesensverwandtschaften sowohl zwischen Pflanzen und ihrer Umwelt als auch zwischen Pflanzen- und Menschenwelt. Nach dem deutsch-amerikanischen Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl offenbaren Signaturen die Kräftefelder, mit denen eine Pflanze verbunden ist ▶ [97]. Die Signaturenlehre ermöglicht daher ein bildhaftes Betrachten, Erfassen und Kennenlernen eines Pflanzenwesens.
Schon Paracelsus ( ▶ Abb. 3.7) meinte, dass die Natur jedes Leben zeichne, das aus ihr hervorgehe. Aus diesem Grunde werde anhand dieser äußeren Zeichen die Tugend einer Pflanze erkennbar ▶ [2]. Da der Mensch als Mikrokosmos in die ihn umgebende, makrokosmische Natur eingebettet ist, stehen er und die Pflanzen in Resonanz. Bei dem großen Universalgelehrten fließt die Signaturenlehre in alle Schriften zum Heilmittelverständnis mit ein. Paracelsus forderte alle medizinisch Berufstätigen oder sich in Ausbildung Befindenden auf, sich nicht alleine mit Hilfe von „papiernen Büchern“ und Studien weiterzubilden, sondern sich tief mit der wahren Natur und auch der Entsprechungslehre auseinanderzusetzen. Die Ärztin bzw. der Arzt soll „aus dem Lichte der Natur“ lesen und ihre bzw. seine Arbeit nicht nur nach dem Lehrbuch erfüllen: „Wer die Natur erforschen will, muss mit den Füssen ihre Bücher treten“ ▶ [58].
Paracelsus machte sich mehrfach lustig über die Ärzte, die zwar die Namen der Kräuter aufzuzählen vermögen, aber von den ihnen innewohnenden Kräften keinerlei Ahnung hätten. Der in der Nähe von Einsiedeln, Schweiz, geborene Heilkundige war überzeugt, dass die Natur die göttliche Ordnung widerspiegle und deshalb perfekt sei. Die erfahrbaren Eigenschaften eines Heilmittels gingen mit ihrem Wirkungsvermögen einher. Alles, was die Natur schaffe, forme sie nach dem Bild der Kraft, die darin verborgen sei, ist in seinem Werk „Philosophia sagax“ zu lesen ▶ [2]. Wie das Gemüt und der Charakter eines Menschen sich auch in seinem Körper spiegele, so sei alles in Übereinstimmung. Deshalb sei es möglich, am Äußeren, an der Gestalt, Form und Farbe einer Pflanze Eigenschaften und Wirkungen derselben kennenzulernen. „Denn Gott hat am Anfang alle Dinge fleissig unterschieden, und keinem wie dem andern eine Gestalt und Form gegeben, sondern einem jeden eine Schelle angehängt. Denn man sagt, man erkenne den Narren an den Schellen. Also sollt ihr auch die Kräuter und Wurzeln erkennen an ihren Schellen und Zeichen“ ▶ [2].
Abb. 3.7 Paracelsus (1493–1541).
(Quad M. Aureolus Philippus Theophrastus Paracelsus, Rosenkreuzer-Bildnis, Paracelsus Flugblatt, ca. 1606. Zentralbibliothek Zürich.)
In seinen Schriften erörtert Paracelsus gleichzeitig detaillierte Beispiele für Signaturen einzelner Heilpflanzen: Disteln mit ihren stechenden Blättern gelten als ein gutes Heilmittel gegen stechende Schmerzen und die Siegwurz, welche ein netzartiges Geflecht um ihre Wurzel hat, als ein Schutzmittel gegen Verletzungen. Nach Paracelsus entsprechen die „Krankheitssymptome“ einer Patientin bzw. eines Patienten den „Heilsymptomen“ (Kennzeichen) der Pflanze. Folglich ging er sogar so weit, die Krankheit mit dem Namen des entsprechenden Heilmittels zu versehen. Melisse wurde für Paracelsus somit zum Herzen und seinen Beschwerden: „So heilet Melissa sein Melissam“ ▶ [42].
Sein Anhänger Oswald Croll (1560–1609) studierte Medizin in Marburg, danach in Paris und vielen weiteren Städten Europas. Er postulierte in seinen Schriften die Lehren seines Meisters, dass die mit den menschlichen Sinnen erfassbaren Merkmale die unsichtbaren, inneren Kräfte und Tugenden erkennen ließe. Demnach besteht eine Entsprechung zwischen den Merkmalen und Eigenschaften einer Pflanze und bestimmten menschlichen Körperteilen und Krankheiten. In seiner Zeichenlehre verband er alle Menschen und die sie umgebenden Phänomene. Es gibt demnach keine Erscheinung, deren Eigenschaften nicht auch im menschlichen Leben zu finden sind. So waren für ihn Signaturen Gebärden der Natur, durch die Menschen aller Kulturen und Sprachen die sichtbaren und unsichtbaren Elementarkräfte in sich erfahren können. Er glaubte, dass wenn die Kräuter zu den Menschen in Worten sprächen, so würden sie doch nicht von allen verstanden werden, da die Sprache je nach Region unterschiedlich ist. Darum habe die tiefsinnige Natur ihre Gesten kurz und verständlich gestaltet, damit alle Menschen durch diese Zeichen die heilsamen Eigenschaften der Kräuter erahnen könnten. In Crolls Texten finden sich viele, teilweise sehr detaillierte Beschreibungen seines Verständnisses von Signaturen: Er vergleicht z.B. nicht nur die Walnuss mit dem Gehirn, sondern auch deren einzelne Schalen und Häutchen mit der Hirnschale und den verschiedenen Hirnhäuten.
Wer sich mit Signaturen befasst, lernt durch die genaue Beobachtung einer Pflanze Rückschlüsse auf potenziell in ihr wirksame Kräfte zu ziehen. Oft sind es auffällige, im Vergleich zu anderen Pflanzen andersartige Merkmale oder sonderbare Verhaltensweisen, die als besondere Eigenschaften auffallen. So wie sich ein Mensch durch seinen Charakter und seine Eigenheiten auszeichnet, wird auch die Heilpflanze durch die ihr innewohnenden Qualitäten gezeichnet. Auf der Ebene dieser unsichtbaren Resonanz vermögen die spezifischen Heilkräfte eines Arzneimittels auf den Menschen, seinen Körper, Geist und seine Psyche einzuwirken. Derart stärkt das sonnenhafte Johanniskraut die Sonnenqualitäten im Menschen und seine Herzenswärme.
Die Gesten, Bewegungen und Ausdrucksformen von Bäumen, Stauden und Kräutern sind sehr vielfältig, dabei haben alle Aspekte wie Farbe, Geruch, Geschmack, Form oder Struktur eine wichtige Bedeutung für die Signatur. Ebenso wichtig ist der Standort einer Pflanze, z.B. die Bodenbeschaffenheit und Pflanzengemeinschaft, der Ablauf der Vegetationsphasen oder die Fruchtbildung. Die Summe der Wahrnehmungen bei der Betrachtung einer Pflanze erweitert das persönliche Pflanzenbild unendlich und führt letztlich zu einem facettenreichen Gesamtbild.
Diese Erkenntnisse, die wir durch bewusste Beobachtung gewinnen, können zusätzlich durch Träume bereichert werden, z.B. indem wir unter einem Baum oder mit einer Pflanze unter dem Kopfkissen schlafen, aber auch Pflanzenmeditationen, -imaginationen und Intuition erweitern unsere Wahrnehmung. Eine vertiefte Wahrnehmung entsteht auch durch das Zeichnen von Pflanzen und Landschaften, da sich so ungeahnte Details eröffnen und die umgebende Natur ebenfalls eingebunden wird. Auf diese Weise vertiefen sich unsere inneren Bilder.
Intuitions-Übung
Jeder Same trägt den ganzen Bauplan und die potenziellen Anlagen für eine vollkommene, irgendwann einmal ausgewachsene Pflanze in sich. Eine einzelne Eichel beinhaltet bereits die Gesamtinformation für das Wachstum einer Eiche, die vielleicht bis zu 1000 Jahre alt werden wird.
Lassen Sie sich von einer pflanzenkundigen Person einen unbekannten Pflanzensamen geben und versuchen Sie in Ruhe zu ergründen, was Ihnen dieser kleine Samen zu sagen hat. Beobachten Sie erwartungsfrei, was sich Ihnen eröffnet: Schauen, hören und achten Sie auf innere Bilder, Farben, Töne, Gefühle, Gerüche und vieles mehr. Vielleicht zeigen sich Ihnen der Lebensraum, die Größe, die Konsistenz der unbekannten Pflanze, ihre potenzielle Heilwirkung oder Bezüge zu Beschwerden und Krankheiten. Der Name der Pflanze spielt zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle. Das Ziel ist zunächst, Ihre inneren Bilder bei der Betrachtung des Samens zu erkennen oder Bruchstücke davon zu erhaschen. Schauen Sie, welche Erkenntnisse und Informationen der kleine Samen weitergeben möchte.
Lassen Sie sich später den Namen der unbekannten Pflanze mitteilen. Erkunden Sie erst dann die Pflanze in Büchern, im Internet und wenn möglich in der freien Natur und schauen Sie, ob es Übereinstimmungen mit Ihren inneren Bildern gibt. Dieser intuitive Zugang soll spielerisch sein, seien Sie also nicht enttäuscht, falls nicht alle Elemente „stimmig“ sind.
Alle diese Wege schärfen unsere Empfindsamkeit und lassen uns die Geheimnisse der Natur immer tiefer erleben, denn kein Phänomen in der Natur ist grundlos. Auf diese Weise erschöpft sich die Signaturlehre nicht einfach in Form- und Farbanalogien, deutet nicht einfach auf Anwendungsmöglichkeiten am Menschen hin, sondern eröffnet einen Zugang zum Wesen der Heilpflanze selbst. Roger Kalbermatten, Schweizer Arzneipflanzen- und Signaturenkundiger, beschreibt das beseelende, verbindende Prinzip zwischen der Idee und der Materie einer Pflanze so: „Das Wesen ist die Art und Weise, wie der Plan mit Hilfe der Lebensenergie realisiert wird. Wesen und Lebensenergie sind das beseelende Prinzip, die Seele, die zwischen Idee und Körperlichkeit vermittelt. Das Wesen ist das Kommunizierende zwischen Information und Materie. Über Wesen und Energie fließt die Information in die Verwirklichung“ ▶ [46]. Diese Geisteshaltung entkräftet die Kritik an der Signaturenlehre, die diese als anthropozentrisch bezeichnet und ihr vorwirft, den Menschen allzu wichtig zu nehmen und ihn zu stark ins Zentrum zu stellen. Die Pflanzensignaturen drängen sich weder dem Betrachter auf, noch sind sie ausschließlich an diesen gerichtet. Sie ermöglichen vielmehr ein vertieftes Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen einer Pflanze und damit der Natur als Ganzem. Denn durch ihre Ausdrucksformen und Zyklen eröffnen uns Pflanzen Informationen, die weit über das rein Stoffliche hinausgehen.
In der rationalen Phytotherapie hingegen wird die Heilpflanze als reiner Träger von heilsamen, dem Menschen dienlichen Wirkstoffen betrachtet. Eine Wahrnehmung, die in ihrer ganzen Konsequenz ihrerseits als anthropozentrisch bezeichnet werden könnte. Der alleinige Bezug auf die Signaturen von Pflanzen genügt aber beim heutigen Wissen um Pflanzenwirkstoffe und ihrer Wirkmechanismen nicht zur Heilmittelfindung. Es gilt vielmehr, eine Synthese dieser zwei so unterschiedlichen Bereiche herzustellen. Botanisches und pharmakologisches Wissen ist eine wichtige Voraussetzung für ein umfassendes Verständnis von Heilpflanzen. Daher werden in diesem Buch auch botanische Charakteristiken und erfassbare chemische Wirkstoffe als eine Form moderner Signaturen betrachtet.
Neben den genannten Voraussetzungen sind für die Beschäftigung mit Signaturen außerdem eine gute Auffassungsgabe, spielerische Kreativität und eine tiefe Liebe und Verbundenheit mit der Natur notwendig.
Die Sprache der Pflanzenwelt und ihrer Vertreter will erlernt und geübt werden, wie jede andere Fremdsprache der Welt. Um eine Pflanze zu „begreifen“, müssen wir sie im wahrsten Sinn des Wortes auch ertasten: Dabei gilt es, eine Pflanze insgesamt auf sich wirken zu lassen und alle wahrnehmbaren Facetten aufzunehmen, alle Aspekte, Gesten und Bewegungen, auch Tastempfindungen, sogar Geräusche sind bedeutsam.
Signaturentsprechungen lassen sich einerseits an rein äußerlichen, phänotypischen Merkmalen erkennen: So lässt sich beispielsweise aufgrund der nierenförmigen Samen der Gartenbohne ein Bezug zur menschlichen Niere und damit zur harntreibenden Wirkung der Pflanze herstellen. Daneben existieren jedoch auch signatorische Zeichen, die sich auf den inneren Aufbau der Pflanze, auf ihr Gewebe oder ihre innenliegenden Strukturen beziehen. Um diese zu erkennen, müssen Pflanzen unter Umständen aufgeschlossen oder verarbeitet werden. Ein sorgfältiges Verbrennen des Schachtelhalms erlaubt z.B., dass zu einem beachtlichen Teil aus Kieselsäure bestehende Pflanzenskelett freizulegen. Ebenso kommt der rote Farbstoff des Johanniskrautes und damit der Bezug dieser Pflanze zu Verbrennung und Entzündung erst beim Zubereiten der Blüten zu Rotöl zum Vorschein.