Heimat-Roman Treueband 43 - Traudl Anrainer - E-Book

Heimat-Roman Treueband 43 E-Book

Traudl Anrainer

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 201: Bitterarm, doch stolz und schön
Bergkristall 282: Seine schöne Waldfee
Der Bergdoktor 1759: Knecht aus Liebe
Der Bergdoktor 1760: Das Glück mit Emilia
Das Berghotel 138: Zwei kleine Herzen und das große Glück

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 599

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Traudl Anrainer Lothar Eschbach Andreas Kufsteiner Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 43

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv von © LightField Studios / Shutterstock

ISBN 978-3-7517-2971-0

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 43

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Alpengold 201

Bitterarm, doch stolz und schön

Bergkristall - Folge 282

Seine schöne Waldfee

Der Bergdoktor 1759

Knecht aus Liebe

Der Bergdoktor 1760

Das Glück mit Emilia

Das Berghotel 138

Zwei kleine Herzen und das große Glück

Guide

Start Reading

Contents

Bitterarm, doch stolz und schön

Zu Herzen gehender Roman um die Magd vom Königshof

Von Traudl Anrainer

Daniela Kirchner hat schon viel Schlimmes erlebt in ihrem jungen Leben: den Tod der Mutter, die aus Gram gestorben ist, das Leid des Vaters, der Jahre im Gefängnis verbracht hat und der seine Entlassung nicht lange überlebt hat. Dann ist da das tägliche Ringen um die Anerkennung der Dörfler, für die Daniela nur die Tochter eines Verbrechers ist.

Alles hat das schöne Madel tapfer durchgestanden. Doch in dieser Nacht verlässt sie der Mut. Todesangst erfüllt ihr Herz, als sie von dem kleinen Hügel aus, auf den sie sich gerettet hat, mit ansehen muss, wie das furchtbare Hochwasser ihr winziges Häuschen zerstört.

Die Verzweiflung schnürt Daniela die Kehle zu. Was soll aus ihr werden, nun, da der Gewittersturm ihr den einzigen Besitz vernichtet und ihr somit die Heimat, die Zuflucht genommen hat?

Man konnte nicht behaupten, dass Veit Königshofer ein Banause gewesen wäre, der außer seinen Rindviechern, seinem vielen Geld und dem guten Tiroler Roten nichts im Sinn gehabt hätte. Obwohl er nicht gerade aus einer den schönen Künsten aufgeschlossenen Familie stammte.

Er war vielmehr auf dem Königshof von Winkelberg geboren, einem Nest, das seinem Namen alle Ehre machte, weil es tief hineingerückt war in ein kleines Seitental der herrlichen bayerischen Bergwelt, so tief, dass Touristen es bis auf den heutigen Tag noch nicht entdeckt hatten.

Wenn man aus Winkelberg hinausfahren wollte, war man auf die schmale Zufahrtsstraße angewiesen, die sich neben dem Dorfbach durch eine enge, steilwandige Klamm zwängte und erst weit draußen die Hauptdurchgangsstraße erreichte, über die man in die Kreisstadt und bis nach München gelangen konnte.

Es kam aber auch noch hinzu, dass auf dem stolzen Königshof ein jeder hart mit anpacken musste, damit die viele Arbeit auf dem großen Besitz, die anfiel, auch bewältigt wurde. Das hatten der Großvater und der Vater des heutigen Königshof-Bauern schon getan, und er selber tat es natürlich auch.

Selbstverständlich hatte sich diese harte Arbeit über Generationen hinweg reichlich ausgezahlt. Neben dem großen landwirtschaftlichen Betrieb hier in Winkelberg gehörten dem alten Königshofer heute die Hälfte der Brauerei in der Kreisstadt, außerdem zwei große Sägewerke in der Umgebung und – was kaum jemand wusste – ein Viertel der Landmaschinenfabrik, die der größte Betrieb in der schönen alten Kreisstadt war.

Doch das alles und noch einiges mehr hatten die Königshofer-Bauern damit erkauft, dass sie ihr Lebtag lang nicht nach rechts und nicht nach links geschaut hatten, dass sie nie auf die Idee gekommen waren, ein Buch in die Hand zu nehmen oder gar ins Theater zu gehen oder in die Oper oder sich anderweitig zu zerstreuen.

Doch seit etwa zwei Jahren, seit der Königshofer seinen Sohn Robert wieder bei sich auf dem Hof hatte, nachdem dieser mit seinen agronomischen Studien fertig geworden war und es sogar zum »Doktor der Agrarwissenschaften« gebracht hatte, hatte sich einiges geändert.

Während der Studienzeit war Robert ganz von selbst auf die Idee verfallen, ins Theater zu gehen oder in die Oper. Er hatte auch seinen Vater bei dessen Besuchen in München mitgenommen, und dabei hatte Veit entdeckt, dass die große Kunst gar nicht so schlimm und anstrengend war, wie er immer geglaubt hatte.

Mit dem Ergebnis, dass er auch heute noch gern in sein Auto stieg und hinüber in die Kreisstadt fuhr, wenn die dortige Kulturgemeinde, wie sich die örtliche Vereinigung nannte, wieder einmal ein Theatergastspiel veranstaltete.

Da saß der Königshofer-Veit dann, hineingezwängt in seinen Sessel, und ließ die große Kunst über sich ergehen. Er gab sich alle Mühe, die Dinge zu verstehen, die ihm da präsentiert wurden, zuweilen schaffte er es nicht, aber meistens begriff er es doch, und er war richtig stolz, wenn er nach Ende der Vorstellung heimfahren und dem Robert berichten konnte, was er soeben erlebt hatte.

Kein Wunder also, dass an diesem heutigen Abend der Königshofer-Veit wieder einmal zufrieden mit seinem schweren Wagen aus der Kreisstadt zurückkehrte, trotz des seit dem frühen Vormittag rauschenden Regens, trotz der tiefen Dunkelheit.

In seinen Ohren klangen noch Shakespeares zuweilen schwer verdauliche Verse nach, er sah noch die bunten Bühnenbilder vor sich und die junge Schauspielerin, die ein so hübsches Gesicht gehabt hatte und mit ihrem hochgeschnürten Mieder ein durchaus erfreulicher Anblick gewesen war.

Der Scheibenwischer surrte, die Räder des Wagens rollten durch die Regenpfützen und ließen das schmutzige Wasser nach rechts und links hoch aufspritzen.

Veit hatte die Abzweigung nach Winkelberg schon hinter sich gebracht, die schmale Straße führte über das ebene Vorland der hohen Berge hinweg, nach wenigen Hundert Metern aber zwängte sie sich in die enge Klamm, durch die sie in das Winkelberger Tal führte.

Jetzt hieß es aufpassen, damit man in dem strömenden Regen, in dem man ja kaum die Hand vor Augen sah, nicht von der Straße hinuntergeriet. Der Scheibenwischer schaffte die Wassermassen kaum, die über die Windschutzscheibe rannen, und außerdem beschlugen die Wagenfenster andauernd, weil es draußen während des Regens wieder recht kalt geworden war, kein Wunder eigentlich, jetzt gegen Ende des Winters.

Da war die Klamm. Der Bauer minderte das Tempo noch ein wenig mehr, seine Hände umkrampften das Lenkrad noch fester, und er neigte sich vor, um besser zu sehen. Die scharfe Kurve nach rechts. Da war auch schon die Klamm. Sie sah aus, als wäre sie nicht die Zufahrt nach Winkelberg, sondern eher das Eingangstor zur Hölle.

Noch eine Kurve und noch eine, und ein paar Augenblicke später konnte der Königshofer befreit aufatmen, denn nun hatte er die Klamm schon fast hinter sich gebracht – aber da geschah es!

Dicht vor dem Wagen polterten plötzlich ein paar Gesteinsbrocken auf die Straße herab. Veit schrie unwillkürlich auf und gab Gas, doch da donnerte ein anderer Brocken auf das Wagendach herunter, so laut und krachend, dass dem Königshofer fast das Herz stehen bleiben wollte.

Instinktiv beschleunigte er den Wagen noch mehr, doch das nutzte nichts. Abermals wurde das Auto von Felsbrocken getroffen. Mit einem Ruck blieb der Wagen stehen, noch einmal schrie der alte Königshofer auf, und dann auf einmal gab es ein ohrenbetäubendes Krachen.

Der Wagen wurde förmlich zur Seite geschleudert. Er wurde abermals von einem großen Stein getroffen. Das Dach brach ein, der Königshofer erhielt einen harten Schlag gegen den Kopf und gleich darauf einen ins Kreuz, und dann war nichts mehr. Überhaupt nichts mehr.

***

Erst am nächsten Morgen gegen sechs Uhr, als die Regenwolken sich längst verzogen hatten und die Sonne sich anschickte, sich über die Gipfel der hohen Berge zu erheben, rumpelte der Postbus in die Winkelberger Klamm.

Da entdeckte der Fahrer zu seinem Entsetzen, dass die Straße fast am Ausgang der Klamm halb verschüttet war und dass unter den zum Teil sehr großen Gesteinsbrocken ein demoliertes Auto steckte.

Weil die Straße an dieser Stelle sehr eng war, musste der Fahrer den Bus ein ganzes Stück zurücksetzen, bis er ihn endlich wenden und denselben Weg davonfahren konnte, den er eben gekommen war.

Vom nächsten Dorf aus schlug er Alarm, denn sein Handy hatte in der Klamm keinen Empfang gehabt. Die Rettungsmannschaften rückten an, und irgendjemand entdeckte, dass in dem verschütteten Auto kein anderer als der Königshofer-Veit steckte.

Der reiche Bauer regte sich nicht, gab auch keine Lebenszeichen von sich, als jemand vorsichtig an seiner Schulter rüttelte, und erst einige Zeit später, als der Notarzt eingetroffen war, stellte man fest, dass Veit noch lebte.

Hektische Betriebsamkeit setzte ein. Mit schwerem technischen Gerät legte die Feuerwehr das Auto frei, die Gesteinsbrocken wurden zur Seite gewälzt, und schließlich wurde der Bauer aus seinem Auto regelrecht herausgeschweißt. Er war immer noch bewusstlos, als man ihn in den Rettungswagen schob und in rasender Fahrt zum Spital in der Kreisstadt brachte.

Kurz nach seiner Einlieferung in das Spital erwachte der Königshofer-Veit. Er bewegte sich stöhnend, die Lider flatterten, er stöhnte abermals und versuchte, die Augen zu öffnen. Es gelang ihm mit Mühe, sein Blick war stumpf, aber er schärfte sich rasch, und ein paar Sekunden später entdeckte der Bauer, dass an seinem Bett zwei Ärzte in weißen Kitteln standen – und Robert, sein Sohn.

»Vater, was machst denn du für Geschichten?«, presste Robert erschüttert hervor. »Als ich gehört hab, dass du unter einen Steinschlag geraten bist in der Klamm, da hab ich geglaubt, das Ende aller Zeiten wär gekommen!«

Der Vater wollte antworten, aber Lippen und Zunge gehorchten ihm nicht. Er brachte nur ein paar knurrende Laute zustande. Einer der beiden Ärzte trat zu ihm ans Bett und fühlte nach dem Puls. Er lächelte sein berufsmäßig aufmunterndes Lächeln.

»Da sind wir ja wieder, Herr Königshofer«, erklärte er in einem Tonfall, der verriet, dass er ihn jahrelang für solche Fälle angewendet hatte. »Ich möchte sagen, dass Sie ungeheures Glück hatten. Sie haben sich zwar einen Arm und ein Bein gebrochen, Sie haben einen bösen Schlag gegen den Hinterkopf erhalten, es gibt auch Hautabschürfungen und Prellungen, aber Sie leben noch, und das ist ein richtiges Wunder. Ich bin sicher, dass wir Sie bald wieder zusammengeflickt haben.«

Der Arzt schaute ihn prüfend an und fragte dann: »Können Sie verstehen, was ich sage?«

Der Königshofer wollte nicken, aber er stöhnte auf und verzog schmerzhaft das Gesicht, denn der ganze Kopf tat ihm bei dieser Bewegung weh.

Der Arzt legte beruhigend die Hand auf die Schulter des Bauern.

»Strengen Sie sich nicht an, Herr Königshofer. Ich bin Professor Wallner, und das hier ist mein Oberarzt Dr. Vogel. Wir haben Sie verarztet, so gut es im Moment möglich war, und wir sind voller Zuversicht.«

Der Professor warf Robert einen aufmunternden Blick zu und machte ihm Platz, damit er an das Bett seines Vaters herantreten konnte.

»Keine Bange, Vater, dich schmeißt so schnell nix um.« Seine Stimme war rau vor Erregung und Angst. »Der Herr Professor hat alles getan, was man sich denken kann, und er sagt, dass du eine Natur hast wie ein Stier. So stark, gesund und kräftig. Daher mache ich mir keine Sorgen, dass du bald wieder auf beiden Beinen stehen und weiter ins Theater fahren wirst.«

Der Königshofer bewegte sich abermals. Erneut verzog er schmerzhaft das Gesicht, aber diesmal brachte er sogar schon ein paar Worte heraus.

»Ich … Ich hab immer … geahnt, dass die hohe Kunst dem … dem Menschen nur schadet!«, keuchte er in einem Anflug von grimmigem Galgenhumor. »Aber das … das ist im Moment gar net so wichtig. Du musst dich jetzt allein um den Hof und alles andere kümmern, Bub. Ich … ich fürchte, dass ich dir dabei so rasch net helfen kann.«

Robert musste schlucken. »Mach dir nur darüber keine Sorgen, Vater, das schaff ich schon«, sagte er. »Ich weiß ja genau, was zu tun ist und worauf es ankommt. Sieh du nur zu, dass du so schnell wie möglich wieder gesund wirst, denn wir brauchen dich. Der Hof braucht dich, die Leut brauchen dich, weil sie es gewohnt sind, dass du sie zusammenstauchst.« Er lächelte. »Die Gemeinde braucht dich, denn du bist ja schließlich der Bürgermeister, und sogar der Herr Landrat kann net auf dich verzichten, weil er von dir zur nächsten Jagd eingeladen werden will. Aber bis dahin ist ja noch genug Zeit, und im Herbst, wenn die Jagd wieder losgeht, bist du längst wieder so gut beisammen, dass du die Jagd net ausfallen lassen musst.«

Dieser Meinung schlossen sich die Ärzte an. Sie sprachen noch ein paar aufmunternde Worte mit Veit, und dann verabschiedeten sie sich, weil sie meinten, dass er erst einmal Ruhe haben müsste.

Draußen auf dem Flur reichten sie Robert mitfühlend die Hand.

»Keine Sorge, Herr Dr. Königshofer«, erklärte Professor Wallner, »Ihr Vater ist wie eine alte Eiche oder wie der Adlerberg dort drüben.« Der Professor wies zum Fenster hinaus zum Hausberg hinüber. »Durch nichts zu erschüttern oder zu Fall zu bringen. Wie ich höre, wird die Tatsache, dass Ihr Vater erst einmal auf dem Hof ausfällt, nicht gleich eine Katastrophe bewirken.«

Robert lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nein, Herr Professor, das ganz gewiss net. Seit ich mit meinen Studien fertig bin, habe ich dem Vater bei der Bewirtschaftung des Hofes und der Verwaltung unserer übrigen Besitzungen geholfen, sodass ich jetzt ohne Schwierigkeiten für ihn einspringen kann. Im Übrigen hat er ja eh schon einige Male die Absicht geäußert, sich auf das Altenteil zurückzuziehen und sich ein angenehmeres Leben zu machen, als er es bisher geführt hat.«

»Na, das hört sich ja sehr gut an«, erklärte der Professor gönnerhaft und hätte dem reichen Bauernsohn um ein Haar väterlich auf die Schulter geklopft. »Wir sehen uns ja sicherlich während der nächsten Zeit noch öfter. Sollte irgendetwas sein – Sie können immer auf mich zählen.«

Damit war Robert entlassen. Er blickte noch einmal hinüber zu der Tür, hinter der sein Vater lag, aber weil er dem Professor versprochen hatte, ihn nicht mehr zu stören, ging Robert mit gesenktem Kopf zu seinem Auto, stieg ein und fuhr nach Hause.

Vom Himmel strahlte die Sonne herab, als hätte es nie geregnet. Feiner Dunst stieg von den Weiden auf, und drüben vor dem steil abfallenden Felshang kreiste ein Segelflugzeug. Es roch nach feuchter Erde, und es war deutlich zu spüren, dass der Frühling in der Luft lag.

Robert erreichte die Klamm, durch die sich die Straße nach Winkelberg wand und in der sein Vater verunglückt war.

Die Rettungsmannschaften waren längst abgerückt, an ihre Stelle waren Straßenarbeiter getreten, die die Durchfahrt freilegten. Gerade als Robert die Unfallstelle passierte, wuchteten die Männer mit schwerem Räumgerät die letzten Gesteinsbrocken zur Seite.

Robert stieg aus und sprach mit den Männern ein paar Worte, er drückte dem Baggerführer einen Hunderteuroschein in die Hand, damit er für seine Männer ein Fass Bier und Leberkäs kaufen konnte nach der schweren Arbeit, dann fuhr er weiter.

Der Königshof stand über dem Dorf auf einer kleinen Anhöhe, fast anzusehen wie eine Burg mit seinen massigen Mauern. Seitlich daneben stand seit etwa vier oder fünf Jahren ein schmuckes bayerisches Landhaus mit breiten Balkonen und großen Fenstern, mit einem schrägen Dach und einer herrlichen Aussicht über das ganze liebliche Winkelberg, wo sich die alten schönen Bauernhöfe dicht um die alte Kirche mit dem stolzen Zwiebelturm drängten.

Robert ließ den Wagen bis direkt vor das Wohnhaus rollen, stellte den Motor ab und stieg aus. Er überlegte einen Moment, ob er erst einmal auf dem Hof nach dem Rechten schauen sollte, aber dann entschied er sich, in das Arbeitszimmer des Vaters zu gehen und von dort aus ein paar wichtige Telefongespräche zu führen.

Außerdem war inzwischen die Post gekommen, und da sich wichtige Schreiben darin befinden konnten, musste Robert sie erst einmal durchsehen.

Er war noch nicht ganz fertig damit, als draußen ein knallroter Sportwagen vorfuhr, den Robert nur zu gut kannte und der immer dann auftauchte, wenn Robert ihn lieber nicht gesehen hätte.

Er gehörte der Kalterer-Angela, einem bildhübschen Mädchen von dreiundzwanzig Jahren, mit langen dunklen Locken, das selbst im Dirndlkleid so hübsch und schick anzusehen war, wie ein Madl aus der Stadt.

Mit ausgestreckten Armen eilte sie auf Robert zu und fiel ihm um den Hals.

»Du meine Seele, Roberti, was hab ich da hören müssen? Dein Vater ist so schlimm verunglückt? Hoffentlich ist er noch net tot!«

Robert schob sie wortlos und mit zusammengepressten Lippen von sich. Dann warf er ihr, einen alles andere, als fröhlichen Blick zu.

»Nein, Angi, der Vater ist net tot. Er hat auch net die Absicht, das Zeitliche zu segnen. Er ist zwar angeschlagen, aber net gefällt. Ein paar Wochen höchstens, dann ist er wieder richtig beieinander, und dann wird er wieder hier auf dem Hof seine gewohnte Arbeit aufnehmen.«

Die Angi versuchte, ihm den Blick ihrer braunen Augen sozusagen in die Seele zu senken, so tief, dass er sein Herz erreichte.

»Bist du da ganz sicher, Roberti?«, setzte sie zweifelnd dagegen, näherte sich ihm abermals und schlang erneut ihre weichen Arme um seinen Hals. »Dein Vater ist niemals krank gewesen. Er ist stark wie eine Eiche, nix hat ihn bisher fällen können, aber gerade solche Bäume erholen sich nie mehr so recht, wenn sie einmal vom Blitz getroffen werden. Außerdem hat dein Vater doch des Öfteren schon angedeutet, dass er die Arbeit aus der Hand legen und sich ein gemütliches Leben machen will. Vielleicht ist das jetzt der richtige Moment, dass er den Hof an dich übergibt.«

Robert war befremdet, doch er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.

»Du hast es aber sehr eilig, Angi, den Vater vom Hof zu reden«, knurrte er. »Ob der Vater aufs Altenteil geht oder net, das ist eine Sach, die einzig und allein zwischen ihm und mir auszuhandeln ist. Und wir haben es damit beide net eilig. Erst einmal müssen wir abwarten, bis er wieder auf die Beine kommt. Dass ich inzwischen den Hof und alles andere leite, ist selbstverständlich. Kann ich sonst noch was für dich tun?«

Die Angi lächelte schmelzend und schmiegte sich innig an seinen starken, jungen Körper.

»Ich hab halt alles fallen gelassen, als ich vorhin erfuhr, was mit deinem Vater passiert ist«, erklärte sie hingebungsvoll. »Erst einmal bin ich zu Tode erschrocken, dann habe ich selbstverständlich sofort mein Tennismatch abgesagt und habe mich ins Auto geworfen und bin hierhergekommen. Ich dachte fast schon, dass du net daheim wärst und dass du bei deinem Vater im Spital bist.«

»Da bin ich ja grad erst hergekommen«, erklärte Robert ein wenig ungehalten. »Du darfst net so ungeduldig sein, Angi. Kommt Zeit, kommt Rat.«

Die hübsche Bauerntochter schmolz an seiner Brust förmlich dahin. Sie lachte leise und lockend.

»Das weiß ich ja, Roberti, aber du musst auch meine Situation verstehen. Noch kann ich gut beim Vater auf dem Hof wohnen, doch wenn er ihn erst einmal an den Hubert übergibt, meinen Bruder, dann ist eine Frau zu viel auf dem Hof – ich nämlich! Du weißt, dass der Hubert die Schladerer-Marlies zur Hochzeiterin nehmen will, sobald der Vater ihm den Hof übergeben hat. Und die Marlies ist eine von denen, die sich in ihre Sach net hineinreden lassen, erst recht net von der Schwägerin. Damit es also keinen Streit gibt, werde ich den Hof verlassen müssen. Das wäre kein Problem, wenn wir zwei zur gleichen Zeit heiraten könnten, wie wir es ja ins Auge gefasst hatten, aber wenn dein Vater den Hof noch net an dich übergeben mag … Es geht halt auch um mein Überleben, und weil ich außer dir keine Menschenseele kenne, die ich liebe und der ich vertraue …«

Sie stockte an der richtigen Stelle, brachte einen dramatisch klingenden Schluchzer zustande und produzierte ein paar imponierende Kullertränen.

Robert fiel auf dieses Theater herein. Er umschlang sie mit beiden Armen, er drückte sie sanft und beschützend an sich und streichelte ihr weiches Haar.

»Mach dir nur keine Sorgen, Angi, das wird alles schon werden«, tröstete er sie mit rau gewordener Stimme. »Ich lasse dich schon net im Stich, ich rede mit dem Vater. Er mag dich, deswegen wird er auf deine Situation Rücksicht nehmen, und es wäre ja auch net mehr als recht und billig, dass ich jetzt allmählich den Hof übernehme. Aber du darfst net ungeduldig sein, Angi. Ein bisserl Zeit braucht das alles schon noch.«

***

Eigentlich war es lächerlich, dass die Angi behauptete, ihre zukünftige Schwägerin würde sich von ihr nicht in die Arbeit hineinreden lassen.

Die Angela hatte sich nämlich noch nie um die Dinge, die auf dem väterlichen Hof geschahen, gekümmert. Weder interessierte sie sich für die Landwirtschaft, noch brachte sie ein Interesse für den Haushalt auf. Aber da ihr Vater eine sehr tüchtige Wirtschafterin hatte, seit Angis Mutter vor zehn Jahren verstorben war, wurde die Tochter in der Küche auch gar nicht vermisst.

Viel lieber zog sie auf den Tennisplatz, spielte dort das eine oder andere Match und trank Champagner mit den vermögenden Leuten aus der Kreisstadt.

Immer wieder ließ sie sich gern zu einer Spritztour nach München einladen, und schon mehr als einmal war sie mit der einen oder anderen Freundin, wie sie erzählte, für ein paar Tage verreist gewesen, in Südtirol zum Beispiel, in Venedig oder sogar einmal in London.

Doch davon ahnte Robert nichts, und deswegen war er der festen Überzeugung, dass er mit Angi nicht nur eine ungewöhnlich hübsche, sondern auch eine sehr tüchtige und sachkundige Bäuerin auf den Hof bekommen würde.

Nachdem Angi in ihren Wagen gestiegen war und ihm noch einen schmachtenden, lockenden Blick zugeworfen hatte, setzte sich Robert an den mächtigen alten Schreibtisch seines Vaters, kramte ein paar Papiere zurecht, führte das eine oder andere Telefongespräch und stellte einen Arbeitsplan für die nächste Woche auf. Als er damit fertig war, begab er sich hinüber zu dem jahrhundertealten Königshof.

Er stutzte, als er gerade eben noch den Wagen der Angi um die Ecke verschwinden sah. Sie hätte doch eigentlich längst über alle Berge sein müssen.

Wieso ist sie noch net fort?, überlegte Robert verdutzt. Ob sie mit ihrem Auto Schwierigkeiten hatte, ohne dass ich es gemerkt hab?

Er betrat den Hof und stieß nach wenigen Metern schon auf den Großknecht, den Fischer-Maxl. Er war ein gut aussehender Bursch mit einem mächtigen Brustkorb und bezwingenden schwarzen Augen. Ein jeder, der ihn kannte, wusste, dass er den Madln net gerade aus dem Weg ging, zumal er bei ihnen sehr großen Erfolg hatte.

»Wieso ist die Angi grad noch hier gewesen, Maxl?«, fragte Robert. »Sie hätte doch seit mindestens einer halben Stunde schon weg sein müssen.«

Der Maxl grinste breit und strich sich mit der Hand durch die schwarzen Locken.

»Sie hat mir Löcher in den Bauch gefragt«, lautete seine Antwort. »Wie man einen Hof verwaltet, wie man einen Kuhstall in Ordnung hält und was man tun muss, damit im Hühnerhof die frischen Eier nur so purzeln. Mir ist das ja auch etwas seltsam vorgekommen, aber es schaut ganz so aus, als interessierte die Angi sich doch noch für die Landwirtschaft. Womöglich deswegen, weil sie bald hier die Bäuerin spielen möchte.«

Robert machte eine unbehagliche Bewegung, aber dann grinste er.

»So sind halt die narrischen Weibsbilder manchmal, Maxl, aber das weißt du ja gewiss besser als ich. Die Angi hat bisher kein sehr großes Interesse für die Landwirtschaft und Hausarbeit aufgebracht, aber dass sie sich jetzt auf einmal für diese Dinge interessiert, ist ein gutes Zeichen, denk ich mir.«

Der Maxl knurrte irgendetwas vor sich hin und marschierte zum Gerätehaus hinüber, weil er nachsehen wollte, ob die Heuwendemaschine schon gerichtet war. Er dachte über die Worte nach, die der junge Königshofer eben gesprochen hatte und darüber, was die Angi zu ihm gesagt hatte.

Sie hatte nämlich durchaus nicht nur nach ein paar Dingen gefragt, die die Hofbewirtschaftung betrafen, sondern sie hatte den Maxl auch ganz komisch angesehen mit ihren schönen Augen, sodass es ihm ganz anders geworden war, und sie hatte sich bei ihm erkundigt, ob er auf dem Königshof bleiben würde, auch wenn Robert hier das Sagen haben würde und sie selbst auch, als Bäuerin nämlich.

Maxl hatte tief die Luft eingesogen. »Freilich bleib ich auf dem Hof, Angi. Ich arbeite hier gern, ich bekomme einen guten Lohn, und mit den Königshofern verstehe ich mich sehr gut. Eine solche Stell finde ich so rasch net noch einmal.«

Angis Augen strahlten förmlich. »Zumal es ja hier bald eine Bäuerin geben wird, die dich genauso gern mag wie die Königshofers. Du darfst das nie vergessen, denn das ist wichtig für unsere künftige Zusammenarbeit.«

Sie warf ihm noch einen tief in sein Herz dringenden Blick zu, dann wandte sie sich um und ging mit schwingenden Hüften zu ihrem Wagen hinüber. Sie wusste, dass sie eben einen wichtigen Grundstock für ihr künftiges Schalten und Walten auf dem Königshof geschaffen hatte. In vielfacher Hinsicht.

Der Tag verging ohne besondere Ereignisse. Am Nachmittag, als die Sonne sich schon allmählich dem Horizont näherte, rief Robert im Hospital an. Er ließ sich mit dem Stationsarzt verbinden und fragte ihn, wie es seinem Vater ging.

»Es ist später geworden, als ich dachte, Dr. Meyer, und daher weiß ich net so recht, ob ich noch bei Ihnen auf der Station einfallen darf oder net.«

»Es wäre sicherlich besser, wenn Sie Ihren Vater heute nicht mehr besuchen, denn er ist vor ein paar Minuten eingeschlafen«, meinte der Arzt. »Er war sehr unruhig, deswegen habe ich ihm ein sedierendes Mittel gegeben, und das wirkt jetzt. Morgen früh ist er aber sicherlich voll ansprechbar.«

»Inwiefern ist er unruhig?«, hakte Robert ein.

»Wir haben inzwischen festgestellt, dass er sein linkes Bein nicht mehr so richtig bewegen kann. Da scheint ein Nerv eingeklemmt zu sein. Das bedeutet, dass Ihr Vater, auch wenn seine Verletzungen geheilt sind, in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sein wird. Vielleicht bekommen wir das noch in den Griff, aber im Moment weiß ich es nicht so recht.«

Robert musste schlucken. »Das bedeutet doch net, Dr. Meyer, dass er … dass er in Gefahr ist?«, erkundigte er sich stockend.

»Natürlich nicht, Herr Dr. Königshofer. Ansonsten ist er vollkommen in Ordnung, und ich bin ganz sicher, dass er sich von Tag zu Tag mehr erholen wird. Wenn Sie morgen Vormittag herkommen, können wir Ihnen wahrscheinlich Erfreulicheres sagen.«

Es waren schwere Gedanken, die Robert an diesem Abend mit in seine Schlafkammer nahm. Er machte sich Sorgen um den Vater, und er hörte immer noch Angis Worte. Worte, die ihn bedrängten, die ihm irgendwie zuwiderliefen, weil es ihm schien, dass die Angi ihn zu etwas zwingen wollte, wozu er von sich aus noch nicht bereit war.

Freilich, Robert liebte die Angi, er war richtig stolz auf sie, weil sie eine ungewöhnliche Schönheit war, um die ein jeder andere Bursche ihn beneidete, und er freute sich auch darauf, bald mit ihr vor den Traualtar zu treten. Er freute sich auf ihr gemeinsames Leben und auf ihre gemeinsamen Kinder, die sich hoffentlich rasch einstellen würden, aber da war trotzdem etwas …

Robert konnte sich über dieses Problem, das da hinten in einem verborgenen Winkel seines Herzens auf einmal hockte, nicht ganz schlüssig werden, denn plötzlich schlief er doch ein, und als er am nächsten Morgen erwachte, entdeckte er, dass die Sonne genauso hell und klar über dem Winkelberger Dorf stand wie tags zuvor, und seine Sorgen erschienen ihm geringer.

Der Hahn krähte auf dem Misthaufen, wie es seine Pflicht war. Die Rindviecher muhten in den ausgedehnten Stallungen, und gerade traf der alte grauhaarige Briefträger ein, um die Post abzuliefern.

Pünktlich auf die Minute kam er, etwas wackelig auf seinem Fahrrad, wie man es von ihm gewohnt war, und sicherlich schon begierig auf den Obstler, den er einen jeden Tag auf dem Königshof erhielt, sobald er hier auftauchte und sein amtliches Gesicht aufsetzte.

Robert frühstückte auf der Eckbank unter dem Herrgottswinkel, diesmal ohne den Vater, wie er es sonst gewohnt war. Dann ging er zum Hof hinüber und erklärte dem Maxl, dass er gleich einmal zum Hospital fahren würde, um nach dem Vater zu sehen.

»Du darfst den Alten net zu lange warten lassen, Robert«, meinte Maxl gutmütig. »Du weißt ja, wie schnell er grantig wird, wenn man sich net genügend um ihn kümmert. Richte ihm von mir aus, dass ich hier schon alles in Ordnung halte. Selbstverständlich gemeinsam mit dir. Dein Vater hat jetzt nix anderes zu tun, als so schnell wie möglich wieder gesund zu werden.«

Solche Worte taten dem Robert gut. Er fuhr in die Kreisstadt, und es dauerte nicht lange, bis er am Krankenbett seines Vaters stand.

Der reiche Bauer machte ein Gesicht, als wäre sein letztes Stündlein gekommen. Er beklagte sich darüber, dass man ihm schon um sechs Uhr morgens das Frühstück gebracht habe, dass man an ihm herumzerre und -ziehe, als wollte man ihm sämtliche Knochen im Leibe brechen, dass er seine Tabakspfeife net rauchen dürfe und dass die Schwester Irene ihn behandele wie ein kleines unmündiges Kind.

Robert hörte sich diese Klagen teils ernsthaft, teils amüsiert an. Er versprach, alles zu regeln, damit der Vater sich künftig besser versorgt fühle, solange er hier im Krankenhaus festlag, und schließlich kam er, auf die Angi zu sprechen.

Dass sie sich Sorgen um ihr Schicksal mache, weil sie ja nach der Hochzeit ihres Bruders auf dem Kalterer-Hof überflüssig werde, und sie befürchte, dass sie neben ihrer künftigen Schwägerin schlecht werde leben können. Die sei ja so herrisch und besitzergreifend …

Der Königshofer ließ Robert nicht ausreden. Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Weibergewäsch!«, knurrte er. »Du darfst dich davon net beeindrucken lassen, Bub! Ganz so eilig, wie deine Angi es darstellt, wird’s ja nun auch wieder net sein. Sie hat sich bisher auf dem Kalterer-Hof nie viel um die Wirtschaft und den Haushalt gekümmert, deswegen kann ich mir net vorstellen, dass sie ihrer künftigen Schwägerin, wenn diese erst mal auf den Hof gekommen ist, ins Handwerk pfuscht. Außerdem ist mein Hof keine Versorgungsanstalt für tennisspielende Bauerntöchter.«

»So was darfst du net sagen, Vater«, nahm Robert seine Angi in Schutz. »Ja, es stimmt, sie ist der Arbeit bisher noch net nachgelaufen, aber das darf man ihr net verübeln. Es ist ja genug Personal vorhanden bei ihr auf dem Hof. Ihr Bruder und ihr Vater erledigen alles, was zu erledigen ist, und wenn sie in den Hühnerstall gehen und dort das Zepter übernehmen würde, würde sich die alte Kathrein, die Hühnermagd, bitter beschweren. Also spielt Angi Tennis und genießt das Leben, aber ich bin sicher, dass sich das alles gründlich ändern wird, sobald sie eine Aufgabe bekommt, an meiner Seite als meine Hochzeiterin und als deine Schwiegertochter.«

Veit knurrte etwas vor sich hin, und dann wechselte er das Thema. Er erzählte, dass die Ärzte festgestellt hatten, dass er womöglich wegen eines beschädigten Nervs eine gewisse Gehbehinderung behalten würde, die sich nicht ganz beheben ließ.

»Das hat Dr. Meyer mir auch schon erzählt«, bestätigte Robert und drückte die Hand des Vaters. »Aber er hat gleich hinzugefügt, dass alles noch net sicher sei und er sich durchaus vorstellen könne, dass du bald wieder wie ein Gamsbock droben in den Bergen umherspringst. Mach dir also das Herz net schwer, Vater, bevor es nötig ist, und denke lieber daran, dass wir alle sehnsüchtig darauf warten, dass du zu uns zurückkehrst.«

***

Man konnte schon den Frühling riechen, als der Königshofer-Veit aus dem Hospital entlassen wurde und sein Sohn ihn mit dem Auto heimholte.

Das schöne Bergland hatte bereits den ersten zarten Grünschmuck angelegt. Überall öffneten sich die Knospen, die Sonne stieg höher und höher, und die Vögel sangen in den Bäumen, als würde jemand sie dafür bezahlen. Die ersten sonnenhungrigen Urlauber waren schon in die Ferienorte des Vorberglandes eingefallen, und der Herr Landrat hatte in der Zeitung verkündet, dass er in diesem Jahr mit einer besonders guten Fremdenverkehrssaison rechne. Nun ja, im abgelegenen Winkelberg würde man davon wohl nichts merken.

Angi kam jeden dritten Tag auf den Königshof, um nach Robert zu sehen und sich nach seinem Vater zu erkundigen. Selbstverständlich hatte sie den Veit auch im Spital besucht, sie hatte Blumen mitgenommen, auch ein paar Bücher, und sie hatte ihm einen neuen MP-3-Player gebracht, weil er sich darüber beklagt hatte, dass der seine nur noch krächzende Laute von sich gebe.

Der Königshofer sog tief die Luft ein, als der Wagen den stolzen Hof dort droben auf dem Hügel erreichte und Robert ihn zum Stehen brachte.

»Da sind wir wieder«, erklärte der junge Bauer lächelnd und drückte die Hand seines Vaters. »Herzlich willkommen! Von uns allen! Du siehst ja, da kommen die Leut schon herbei, um dich zu begrüßen! Wir alle freuen uns, dass deine Behinderung sich weitgehend behoben hat und kaum noch zu bemerken ist. Du wirst künftig halt einen Bergstock nehmen müssen, wenn du hinunter ins Wirtshaus spazieren willst, aber sonst ist alles genauso wie früher.«

Veit gab keine Antwort. Er kletterte ins Freie und schnäuzte sich umständlich, um seine innere Bewegung und Rührung zu verbergen. Er sprach ein paar Worte mit den Hofleuten, und dann wandte er sich der Haustür zu. Er stützte sich dabei auf den Stock, den Robert ihm inzwischen besorgt hatte.

Schließlich stand er im großen Wohnzimmer am breiten Fenster und ließ den Blick über das Dorf, das Winkelberger Tal und die hohen, noch immer schneebedeckten Berge schweifen.

»Das ist es, wonach ich mich all die Zeit, die sie mich im Spital gefangen gehalten haben, gesehnt habe«, brummte er. »Unser Tal, unser Hof, unsere Berge und unser blauer hoher Himmel. Robert, du hast schon recht: Dass ich net mehr ganz so stramm gehen kann wie bisher, ist net so wichtig. Die Hauptsache ist, dass ich wieder hier bin, und ich will zuallererst das tun, was ich mir vorgenommen habe. Komm, Robert, reich mir deine Hand!«

Der Sohn trat zu ihm, und Veit nahm seine Rechte, der Druck war kräftig, freundschaftlich und sehr herzlich. Fragend blickte Robert dem Vater in die Augen.

»Hiermit, Robert, übergebe ich den Hof in deine Hände«, erklärte der Königshofer, und vor lauter Bewegung geriet seine Stimme nun doch ein wenig ins Schwanken. »Hiermit erkläre ich dich feierlich zum Hofbauern, der allein schalten und walten kann, ohne dass jemand ihm dreinredet. Noch net einmal ich. Du bist von jetzt an für alles allein verantwortlich, was hier auf dem Hof geschieht, und ich weiß, dass ich den Hof in sehr tüchtige und sachkundige Hände lege, die ihn gut bewirtschaften und vielleicht zu neuer Blüte führen werden. Wenn du meinen Rat brauchst, Bub, steht meine Tür immer für dich offen. Meine Tür, das sag ich ganz bewusst, denn ich werd in den nächsten Tagen schon hinüber ins Austragshäusl ziehen.«

Der reiche Bauer deutete zum Fenster hinaus zu dem schmucken Häuschen, das dort drüben in einem sehr gepflegten kleinen Garten stand und das schon vor ein paar Jahren für ihn errichtet worden war.

»Ich werde mich dort wohlfühlen, genauso wie hier, ich werde mich freuen, wenn du mich besuchen kommst, und selbstverständlich werde ich auch hier an deine Tür klopfen, wenn mir danach zumute ist. Ich glaube net, dass ich noch etwas zu sagen vergessen habe.«

Robert hatte doch tatsächlich Tränen in den Augen. Er schloss den Vater in die Arme und drückte ihn kräftig an seine Brust. Seine Stimme klang bewegt.

»Ich danke dir, Vater. Ich danke dir für deine Worte und für deine gute Absicht, und ich verspreche dir feierlich, dass ich dich nie enttäuschen werde. Ich schwöre es dir bei unseren geliebten Bergen und bei unserem guten Namen!«

Veit löste sich aus seinen Armen, weil er wohl meinte, dass jetzt genug der bewegenden Worte gewechselt worden seien. Er hinkte zu dem Schrank hinüber, in dem die Obstlerflasche stand, und schenkte mit zitternder Hand zwei Gläser voll.

»Auf unser Wohl, Robert! Auf das Wohl unseres Hofes und unserer Heimat! Und auf das Wohl aller Leut, die bei uns in Arbeit und Lohn stehen und für die wir genauso verantwortlich sind wie für unseren Besitz. Vielleicht auch auf das Wohl deiner Angi. Du kannst ihr sagen, dass ich dir den Hof übergeben habe und dass mich aufs Altenteil zurückziehe. Dass ich also für sie das Feld frei mache, damit sie sich um ihren Verbleib keine Sorgen mehr zu machen braucht.«

»Da wird sie sich aber freuen, Vater«, erklärte Robert strahlend, und abermals geriet ihm die Stimme wegen des ans Herz rührenden Augenblicks ein wenig außer Kontrolle. »Wenn es dir recht ist, fahre ich gleich morgen zu ihr hinüber und sage es ihr.«

»Freilich ist’s mir recht«, brummte der Vater gutmütig. »Nur wundert’s mich, dass du es net schon heute tust, wo es doch so wichtig ist für euch zwei.«

Robert lächelte betreten und rückte an seinem prachtvollen Hosengeschirr herum. Der Bauernsohn trug eine zünftige Krachlederne, die schon ordentlich Patina angesetzt hatte, dazu einen Trachtenjanker aus feinstem Tuch, versehen mit wunderbaren Stickereien. Er hatte das Prachtstück nach seinem Doktorexamen in der Münchener Maximilianstraße erstanden. Für sündhaft viel Geld.

»Heute geht’s net, Vater, weil die Angi mit einer Damenmannschaft von ihrem Tennisklub ins Augsburgische gefahren ist. Sie tragen dort ein Turnier aus, und da darf die Angi net fehlen, weil sie eine gute Spielerin ist und ihre Mannschaft sie daher net entbehren kann.«

Der Königshofer-Veit stieß einen knurrenden Laut aus.

»Dass die Angi ein bildhübsches Madl ist und viel Geld im Kreuz hat, spricht für sie. Dass sie aber mit einem roten Sportwagen durch das Land rast und die Bullen auf den Weiden narrisch macht und dass sie lieber nach dem Tennisschläger greift als nach der Heugabel oder dem Spätzlehobel, das gefällt mir sehr viel weniger.«

Robert lachte gutmütig, und es klang nach ein wenig Besitzerstolz.

»Lass die Angi nur, Vater«, setzte er vergnügt dagegen, »denn zum Glück hat sie es ja net nötig, wie eine Magd zu arbeiten, weder daheim auf dem Kalterer-Hof noch später hier bei uns als meine Bäuerin. Außerdem ist die Zeit längst reif dafür, dass wir Hinterwäldler, auf die die Städtischen so verächtlich herabblicken, auch auf anderen Ebenen mitmischen, als es bisher der Fall gewesen ist. Die Zeiten haben sich eben gewandelt, und das geht auch an uns net spurlos vorüber.«

Veit kratzte sich am Hinterkopf.

»Mag ja sein, Bub«, lenkte er ein. »Ich glaub, dass ich mich auf meine alten Tage an all diese neumodischen Narreteien net mehr gewöhnen kann. Aber das ist deine Sach, net meine, denn du willst ja die Angi heiraten und net ich. Du musst nur zusehen, dass du ihr rechtzeitig die Flügel stutzt und dass du ihr klarmachst, dass sie als Bäuerin ganz anders als eine Hoftochter zupacken muss.«

Sie redeten noch ein wenig hin und her, und dann gingen sie zur Tagesordnung über. Robert war hochzufrieden, und es fiel ihm schwer, darauf zu verzichten, sofort zu Angi zu eilen, sie in die Arme zu ziehen und ihr alles zu erzählen. Und ihr vor allem vorzuschlagen, sofort zum Standesamt zu gehen und das Aufgebot zu bestellen. Der Hochzeit stand ja nun nichts mehr im Wege.

Doch das war leider nicht möglich, denn Angi weilte ja im Augsburgischen und spielte Tennis, und außerdem hätte sie gerade in diesen Minuten nur sehr wenig Interesse für das aufgebracht, was Robert ihr zu erzählen hatte.

Man hatte sie nämlich am Vortag nach dem Auftaktspiel mit dem jungen Baron Dürringen bekannt gemacht, einem lang aufgeschossenen jungen Mann, der zwar nicht sehr gut Tennis spielte, der aber für alles, was kurze Tennisröckchen trug, ein äußerst lebhaftes Interesse aufbrachte.

Es schmeichelte Angi, dass der junge Herr Baron sich um sie bemühte. Dass er kaum von ihrer Seite wich, dass er ihr eine Schmeichelei nach der anderen sagte und dass er sie gar schon dazu eingeladen hatte, ihn in seinem Schloss zu besuchen. Leider nicht heute schon, denn seine Eltern seien zugegen, aber sie würden am nächsten Tag zu einer mehrwöchigen Safari nach Ostafrika aufbrechen, und dann werde niemand mit dummen Bemerkungen dazwischenreden können.

»Meine Eltern meinen nämlich manchmal, dass sich unsereins einzig und allein standesgemäß orientieren darf. Selbst heute noch. Ich denke da aber anders, Frau Kalterer, zumal ich ja sehe, was für eine bewundernswerte junge Dame Sie sind.«

Kein Wunder, dass die Angi regelrecht abhob. Sie sah sich fast schon als Schlossherrin, sie sprach im Stillen den Namen vor sich hin, den sie womöglich bald tragen würde, und selbst die warnenden Worte einer Augsburger Tennisspielerin konnten sie aus ihrer Verzückung nicht herausholen. Das Madl hatte ihr nämlich gesagt, dass der junge Baron mit derlei Versprechungen und Andeutungen immer schnell bei der Hand war.

Als die Tennismannschaft aus dem Alpenvorland am nächsten Tage in den Bus stieg, um heimzufahren, war der junge Herr Baron persönlich erschienen. Er blickte Angi tief in die Augen, und er überreichte ihr einen schmalen goldenen Ring, besetzt mit zwei kleinen Brillanten und einem Rubin, ein Prachtstück, das sicherlich nicht nur wegen seines Alters einigen Wert hatte.

»Damit Sie immer an mich denken, Angela«, sagte der Baron beschwörend. »Damit Sie sich immer daran erinnern, wie sehr Sie mich beeindruckt haben und dass ich stets für Sie da bin. Leider kann ich mich im Moment nicht mehr um Sie kümmern, denn ich fliege übermorgen nach Amerika, wo wir eine Farm besitzen, aber sobald ich wieder zurück bin, finde ich mich unter Ihrem Fenster ein und bringe Ihnen das schönste Liebesständchen, das Sie sich vorstellen können.«

Angi schmolz dahin wie ein Stück Eis in der Sommersonne. Ihre Augen leuchteten, und als sie in den Bus stieg, schien sie zu schweben.

Der junge Baron winkte ihr nach, bis sie ihn aus den Augen verloren hatte, und als die Angi wieder den elterlichen Hof betrat, da hatte sie immer noch nicht wieder ganz auf den Boden der Tatsachen zurückgefunden.

Das hatte zur Folge, dass sie nur mit einiger Mühe umschalten konnte, als auf einmal Robert vor ihr stand, sie anstrahlte und sie kurzerhand in die Arme zog. Er küsste sie mit einer stürmischen Freude, dass ihr fast angst und bange wurde, und dann legte er auch schon los mit seiner großen Neuigkeit.

Dass der Vater sich entschlossen habe, aufs Altenteil zu gehen, dass er damit den Weg frei machen wolle für ihn, den Robert, und für sie, die Angi, damit sie heiraten und den Hof in ihre eigenen Hände nehmen könnten.

»Ich hab meinen Ohren net trauen wollen, als der Vater damit herausgerückt ist!«, fügte Robert schließlich voller Freude und Stolz hinzu und zog Angi abermals so eng an sich, dass sie kaum mehr Luft bekam.

»Es schaut ganz so aus, als hätte der Vater während der langen Zeit im Krankenhaus gründlich über alles nachgedacht und als hätte irgendwann einmal der liebe Herrgott persönlich ihm die Augen dafür geöffnet, was zu tun jetzt seine Pflicht ist. Ich meine, Angi, das ist ein Ereignis, das wir unbedingt bei einem guten Tiroler Roten feiern müssen. Hoffentlich rückt dein Vater mit einer Flasche heraus!«

Angi musste sich abwenden, damit er nicht sah, wie verkniffen ihr Gesicht auf einmal wirkte. Wie der Widerwille in ihre Augen stieg und wie sie sich zwingen musste, freudige Überraschung zu heucheln.

»Dass aus euch zweien ein schönes und glückliches Paar werden würde, hab ich mir immer schon gedacht«, erklärte Angis Vater bewegt. »Es freut mich, dass es jetzt endlich so weit ist, und es tät mich noch mehr freuen, wenn ich bald meine Enkelchen auf den Knien schaukeln könnte. Oder darf man so etwas noch net sagen?«

Er lachte in der Meinung, einen guten Witz gemacht zu haben, und er ahnte nicht, wie sich das Herz seiner Tochter zusammenzog bei jedem einzelnen seiner Worte, weil sie ihr ganz und gar gegen den Strich gingen.

Ein paar Minuten später, als Angi und Robert allein waren und über den großen stattlichen Hof schlenderten, um alles in Augenschein zu nehmen, blieb Angi auf einmal stehen. Sie hob den Blick und legte Robert die Hand auf den Arm.

»Jetzt, da du es mir gesagt hast, Roberti«, begann sie, »und jetzt, da ich die große Freude verarbeitet habe, kann ich dir endlich antworten. Das Glück hat mich so sehr überrascht, dass ich im ersten Moment sprachlos gewesen bin. Ich hoffe, dass du Verständnis dafür hast, dass ich eine kleine Bitte äußere. Eine Bitte, die du vielleicht net erwartest.«

»Schon gewährt«, antwortete Robert und lachte glücklich. »Du weißt, dass ich dich auf Händen tragen und dir einen jeden Wunsch erfüllen will. Also, fangen wir gleich einmal damit an! Was hast du auf dem Herzen?«

»Wir haben jetzt so lange darauf gewartet, dass dein Vater dir den Hof übergibt, Roberti, und da wird es auf die eine oder andere Woche auch net mehr ankommen. Es wäre mir lieb, wenn wir mit der Hochzeit warten, bis richtig Frühling ist. Weil dann die Natur geschmückt ist und die Sonne vom Himmel herunterlacht und weil wir dann vielleicht sogar den Hochzeitsschmaus im Freien werden einnehmen können.«

Robert schlang den Arm um Angi und zog sie einmal mehr an sich. Er küsste ihre Wangen, die Nase und die Lider. Er küsste auch ihr seidiges Haar und eine jede ihrer Fingerspitzen.

»Freilich bin ich einverstanden, Angi«, stimmte er ihr ahnungslos zu, »denn du hast natürlich recht. Im Frühjahr heiratet es sich schöner und fröhlicher, und die paar Wochen bis dahin werden wir schon noch überstehen.«

Nachdem Robert sich verabschiedet hatte, wäre Angi am liebsten zum Telefon gegangen und hätte den jungen Baron im Augsburgischen angerufen. Um ihm zu sagen, dass er sich gefälligst um sie kümmern solle, denn sonst käme sie ihm womöglich abhanden, noch bevor er sie zur Gänze gewonnen habe.

Doch das ging nicht, Angi wusste ja, dass der Herr Baron sich anschickte, nach Amerika zu reisen.

Ich muss den Robert also hinhalten, dachte Angi entschlossen. Ich darf ihn net merken lassen, dass ein anderer in meinem Herzen ist, und ich muss so unauffällig wie möglich seinem Drängen widerstehen. Unauffällig selbstverständlich, denn man kann ja nie wissen, was passiert. Womöglich ist der Baron letzten Endes doch ein Luftikus und lässt er mich am End noch sitzen, und da wäre es eine Katastrophe, wenn ich mir vorher den Roberti vergraulen würde.

Wo er doch auch genug Geld und Besitz hat, freilich keinen Freiherrentitel, aber wo er doch immerhin ein gut aussehendes Mannsbild ist. Und ein Herr Doktor ist er obendrein!

***

Fast über Nacht kam der Frühling in das Land.

Gestern und vorgestern hatte es noch geregnet, ausdauernd und zermürbend, und heute auf einmal waren die Wolken wie weggeblasen. Der Himmel hoch über den Bergen war so blau, wie man es sich nur vorstellen konnte. Ein milder Wind wehte von Süden her über die Berge herab, das Thermometer stieg, und die Schneereste schmolzen rasch dahin.

Die Bäume und Sträucher reckten ihre Zweige den wärmenden Strahlen der Sonne entgegen, die Knospen schienen von Minute zu Minute praller und dicker zu werden, und sicherlich dauerte es nur noch wenige Tage, bis die ersten Frühlingsblumen ihre Köpfchen aus der Erde reckten, der Krokus und bald darauf vielleicht auch schon die Narzissen und die Osterglocken.

Das Vieh in den Stallungen wurde unruhig. Die Bienen wagten ihre ersten Ausflüge nach dem langen Winterschlaf, die Vögel zwitscherten ihre hellen, fröhlichen Lieder, und in den Fremdenverkehrsorten in den besser zugänglichen Nachbartälern trafen die Touristen in so großen Mengen ein, dass man dort kaum mehr einen Fuß auf den Boden bringen konnte.

Die schlechte Jahreszeit war vorbei, die Sonne stieg höher und höher, sieghaft und unwiderstehlich, und auf dem Königshof herrschte lebhafter Betrieb, sodass Robert kaum dazu kam, nach rechts und nach links zu sehen.

Nein, bisher waren er und die Kalterer-Angi tatsächlich noch nicht vor den Standesbeamten getreten oder hatten den hochwürdigsten Pfarrer aufgesucht, um ihr Aufgebot zu bestellen, weil sie einfach nicht die Zeit dafür hatten.

Einen jeden Tag wartete die Angi darauf, dass sie etwas von ihrem Baron hörte, aber nichts traf ein, weder ein brieflicher Gruß noch eine E-Mail oder ein Anruf. Mehr als einmal erwog Angi, heimlich ins Augsburgische hinaufzufahren und einfach das Schloss des jungen Herrn Baron aufzusuchen. Aber weil sie fürchtete, dort auf seine Eltern zu treffen und von ihnen kurzerhand verjagt zu werden, scheute sie letzten Endes doch davor zurück.

Das prachtvolle Frühlingswetter hielt genau acht Tage an, dann schoben sich von Westen her tief hängende graue Wolken heran, und es begann abermals zu regnen, in dicken schweren Tropfen, endlos und ohne Unterbrechung.

Die alte Huberin, die immer die Glocken lauter läuten hörte als andere Menschen, behauptete schon, das Ende aller Zeiten sei gekommen, und dieser zermürbende Regen sei die Gottesstrafe dafür, dass die Madln in München, in Augsburg und in Regensburg und sogar manche bei ihnen auf dem Land in immer kürzeren Röcken umherliefen, sodass es einem die Schamesröte ins Gesicht treibe.

Doch das stimmte natürlich nicht, und außerdem kam der Regen den Bauern zu dieser Jahreszeit gerade recht. Er durfte nur nicht gar zu lange dauern, sodass womöglich die Weiden absoffen und es zu Gerölllawinen kam, weil der Boden zu weich und zu glitschig wurde.

Nach acht Tagen Dauerregen verfinsterten sich die Gesichter der Leute. Die Wetterfrösche begannen, von einer denkbaren Katastrophe zu reden, gewisse Politiker, die immer schon alles vorher gewusst haben wollten, suchten nach den Schuldigen an dieser heraufziehenden Gefahr, die selbstverständlich der gegnerischen Partei angehörten, und im Winkelberger Tal hingen die Wolken so tief, dass von den Bergen nichts, aber auch gar nichts zu sehen war und in den Höfen selbst am Tag noch die Lampen brannten, weil es sonst in den Häusern viel zu finster gewesen wäre.

Der Dorfbach schwoll an, mehr und mehr. Er trat über die Ufer, er war nun schon fast zu einem reißenden Fluss geworden, der trübes graues Wasser durch das Winkelberger Tal wälzte und sich schließlich gurgelnd und donnernd durch die enge Klamm zwängte, die Winkelberg mit der Welt da draußen vor der Alpenkette verband.

Während der Nacht zum Donnerstag stieg das Wasser des Dorfbaches abermals um einen halben Meter. Es brauste und rauschte, es überspülte, ohne dass jemand es bemerkte, die kleine Anhöhe im Westen des Dorfes, und es war gegen drei Uhr morgens, als Daniela Kirchner plötzlich aus dem Schlaf emporschreckte, weil ihr Bett erbebte und es im Gebälk des kleinen Hauses, das sie bewohnte, gefährlich knackte und krachte.

Daniela knipste das Licht auf ihrem Nachtkästchen an, und ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass unter der Tür Wasser in die Schlafkammer drang. Graubraunes, kaltes Wasser, das hereinschlich wie ein Gespenst.

»Hilfe! Hilfe!«, schrie Daniela gellend. »Ich ertrinke! Du meine Seele, wie kann denn so was nur passieren?«

Doch es konnte ihr niemand zu Hilfe kommen, denn erstens vernahm kein Mensch ihre angstvollen Schreie, und zweitens ahnte man drüben im Dorf, von dem das Häuschen um etwa hundert Meter abgesetzt war, nichts davon, was in diesen dramatischen Minuten geschah.

Nachdem Daniela ihren ärgsten Schrecken überwunden hatte, patschte sie mit nackten Füßen durch das hereinströmende Wasser, raffte ein paar Kleidungsstücke an sich, die ihr gerade in die Hände gerieten, drückte die Tür auf und watete hinüber in die Wohnstube ihres kleinen Hauses.

Sie war immerhin geistesgegenwärtig genug, einige Papiere an sich zu nehmen, die wichtig waren, und sie dachte auch an die alte Schatulle, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, gefüllt mit vergilbten Briefen, einem getrockneten Blumensträußchen und einem Sparbuch sowie ein paar Hunderteuroscheinen.

Das arme Mädchen zitterte am ganzen Leibe, und ihr Herz flatterte vor Angst und Schreck, als sie schließlich die Haustür aufstieß. Ihr stockte der Atem, weil sie sah, dass rings um die kleine Kate nichts mehr war als Wasser, kaltes, dahinströmendes Wasser, das von Minute zu Minute höher zu steigen schien. Das womöglich gar in kurzer Zeit das Häuschen einreißen und es einfach mit sich fortspülen würde.

»Hilfe!«, rief Daniela abermals in Todesangst. »Hört mich denn niemand? Ich ertrinke! Die Welt geht unter! Das ist die Sintflut! Ich ertrinke!«

Obwohl sie unsinnige Worte von sich gab vor lauter Angst und Entsetzen, war Daniela doch in der Lage, das zu tun, was zu tun ihr übrig blieb. Sie watete durch das Wasser hinüber nach rechts, wo sich eine kleine Anhöhe erhob, die von den Wassermassen noch nicht überspült worden war.

Etwa zur Hälfte war der Hügel schon vom Wasser überspült worden, aber seine Kuppe erhob sich immer noch drei oder vier Meter über die kalte, nasse Gefahr. Daniela zog sich auf die höchste Spitze zurück, sie kleidete sich in aller Hast an, so gut es ihr möglich war. Dabei achtete sie nicht darauf, dass das Zeug, das sie über den zitternden Leib zerrte, längst schon von dem strömenden Regen durchnässt war und schaurig kalt und eklig auf ihrer Haut klebte.

Abermals rief Daniela um Hilfe, lauter und gellender noch. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib, bis endlich dort drüben im Dorf ein paar Lichter aufflammten, weil einige Leute ihre Rufe gehört hatten und aus dem Schlaf emporgeschreckt waren.

Dass die Kirchner-Daniela in diesem kleinen Haus lebte, ein wenig abseits vom Dorf, hatte einen ganz einfachen Grund. Vor vielen Jahren war ihr Vater plötzlich in Winkelberg aufgetaucht und hatte dem alten Bauminger, dem Geizkragen, das Häuschen, das als Altenteil für seinen Hof errichtet worden war, abgekauft.

Er wolle mit den anderen Leuten nichts zu schaffen haben, hatte der Kirchner versichert, er würde keine Schwierigkeiten machen und keine Unruhe ins Dorf bringen, wenn man ihn nur in Ruhe ließe, und er hatte dem hochwürdigsten Herrn Pfarrer unter vier Augen gestanden, dass er vor ein paar Wochen aus dem Gefängnis entlassen worden war, nachdem er dort eine mehrjährige Strafe hatte abbüßen müssen.

Während er hinter Gittern gesessen hatte, war seine Frau aus Gram und Kummer gestorben. Sie hatte sich um die kleine Daniela gekümmert, hingebungsvoll und rührend, sie hatte versucht, dem Madl Mutter und Vater zugleich zu sein. Nachdem sie die Augen für immer geschlossen hatte, war das Kind zu einer Tante gegeben worden, die es mehr schlecht als recht bei sich aufnahm und es lieblos und achtlos abfütterte und nur darauf wartete, dass der Vater endlich aus der Haft entlassen wurde, weil er seine Strafe abgesessen hatte.

Der Kirchner war also ein Gezeichneter gewesen, als er nach Winkelberg kam, und daher war es nachgerade ein Wunder, dass die Dörfler ihn überhaupt aufgenommen hatten.

Zu einem Teil war es wohl die Neugierde gewesen, mehr über sein Schicksal zu erfahren, zu einem anderen Teil hatte es sie auch so schön gegraust, einen ehemaligen Strafgefangenen unter sich zu wissen, und womöglich hatte es sogar einige mitleidige Seelen gegeben, die es gut fanden, dass nicht nur der Kirchner, sondern auch seine kleine Daniela endlich wieder eine Bleibe hatten.

Woher der Kirchner das Geld genommen hatte, um das Häuschen zu kaufen, wusste niemand. Er sprach auch nicht darüber. Er nahm in der Weberei in der Kreisstadt eine Arbeit an, arbeitete fleißig, und es war ihm schon nach kurzer Zeit gelungen, das Wohlwollen seiner Vorgesetzten zu gewinnen. Er stieg sogar zum Vorarbeiter auf.

Die Dörfler hatten sich bald an ihn gewöhnt, sie hatten zwar nach wie vor keinen näheren Kontakt mit ihm, aber sie duldeten ihn, und sie erschraken, als er während des Weges von der Stadt nach Hause nach Winkelberg bei einem Verkehrsunfall plötzlich ums Leben kam. Da war Daniela gerade achtzehn Jahre alt gewesen.

Doch an all das konnte sie jetzt, in dieser Unglücksnacht, nicht denken, weil die Todesangst ihr fast die Sinne raubte. Die Leute im Dorf dachten auch nicht lange über die Vergangenheit nach, als sie erkannten, was da draußen geschehen war. Wenn die Wassermassen, so wurde ihnen bewusst, noch weiter anschwollen, geriet am Ende sogar das ganze Dorf in Gefahr, einfach überschwemmt zu werden.

Menschen stürzten aus ihren Häusern. Die Alarmsirene heulte los, obwohl ohnehin schon alle Dörfler längst aus ihren Betten gesprungen waren.

Der Herr Pfarrer persönlich läutete die Glocken, und die Männer der Freiwilligen Feuerwehr schleppten das Schlauchboot aus dem Spritzenhaus, ließen es zu Wasser und holten die zu Tode geängstigte Daniela von ihrem Zufluchtsinselchen herunter.

Schluchzend und weinend, zitternd und bebend vor Nässe und Kälte, hockte sie zwischen den Männern, und ihr Gesicht war grau und starr, als man sie schließlich aus dem Boot heraushob und auf festen Boden setzte, weil sie zu einer eigenen Bewegung kaum mehr fähig war. Sie war wie erstarrt und bekam es gar nicht so richtig mit, dass man sie schließlich in das Pfarrhaus führte, damit sie erst einmal ein Dach über dem Kopf bekam.

Der Herr Pfarrer hatte sich da draußen während der Rettungsaktion erboten, das Madl erst einmal im Pfarrhaus aufzunehmen, weil, noch während man Daniela in Sicherheit brachte, ihr kleines Haus krachend und berstend in sich zusammenbrach wie ein Kartenhaus.

Es war ein schreckliches Geräusch, die Trümmer wurden von den dahinströmenden Wassermassen einfach fortgerissen, so rasch, dass ein paar Leute im Dorf später behaupteten, der Leibhaftige persönlich habe die Überreste des Kirchner-Hauses einfach verschwinden lassen.

Als hätte die wild gewordene Natur damit ihr Ziel erreicht, ließ fast im gleichen Augenblick der Regen nach und hörte schließlich ganz auf. Das Wasser stieg nur noch wenig an, und als der neue Tag heraufdämmerte, da begann der Pegel schon wieder zu sinken, und gegen neun Uhr am Morgen brach die Sonne zwischen den aufreißenden Wolken hervor.

***

Der Herr Pfarrer persönlich fuhr am nächsten Tag mit der unglücklichen Daniela in die Kreisstadt, damit sie sich dort ein paar Sachen zum Anziehen und die notwendigsten Dinge für ihre persönlichen Bedürfnisse besorgen konnte. Zum Glück hatte sie ja trotz ihrer Panik die geringen Bargeldvorräte, die sie im Haus gehabt hatte, rasch noch an sich gerafft, sodass sie jetzt nicht mit leeren Händen dastand.

Irgendwann traten die beiden den Heimweg an. Der Himmel war wolkenlos blau, die Natur sah aus wie frisch gewaschen, die hohen Berge schienen sich noch stolzer und prachtvoller in die Höhe zu recken, und kaum jemand, der als Fremder in diese Gegend kam, ahnte, was sich vor kurzer Zeit drüben in Winkelberg für ein Drama abgespielt hatte.

»Du darfst dich net unterkriegen lassen, Madl«, sprach Hochwürden unterwegs der armen Daniela Mut zu. »Gewiss, im Moment schaut es net gerade gut für dich aus, aber das wird sich gewiss bald ändern. Vielleicht ist das, was dir widerfahren ist, eine späte Strafe Gottes für die Untaten deines Vaters gewesen.

Dass es net mehr ihn getroffen hat, sondern dich, ist äußerst betrüblich, aber genauso, wie der Herrgott seinen Zorn auf dich hat niederfahren lassen, genauso wird er dir die Hand reichen, um dich auf einen sicheren Weg in die Zukunft zu führen. Es kommt halt im Moment einzig und allein darauf an, dass du net verzweifelst, sondern dass du alles tust, damit du die ärgste Not bald überwunden hast.«

Daniela blickte auf ihre Hände hinunter. Sie hatte sie kraftlos und matt im Schoß gefaltet, und sie hockte wie das sprichwörtliche Häufchen Elend neben dem Herrn Pfarrer auf dem Beifahrersitz.

Sie tat einen abgrundtiefen Seufzer. Ihre Stimme schwankte ein wenig.

»Ich weiß, Hochwürden, Sie haben ja recht«, antwortete sie. »Ich will auch alles hinnehmen und alles tun, was der liebe Herrgott von mir verlangt, aber es ist halt so niederschmetternd und so bestürzend. Ich hab in meinem ganzen Leben keinem Menschen etwas zuleide getan, und trotzdem hat das Unglück mich so schwer heimgesucht.

Ich weiß, dass die Leut im Dorf mir Arbeit geben werden wie bisher, sodass ich Geld verdienen kann. Ich will damit auch zufrieden sein und die Hände net ausstrecken nach Gütern, auf die ich kein Anrecht habe. Ich will ja schon zufrieden sein, wenn ich irgendwo eine neue Bleibe finde, aber damit schaut es halt im Moment gar net gut aus.«

Hochwürden nickte und ließ sich von einem donnernden Lastwagen überholen. »Ja, Madl, damit schaut es wirklich net gut aus, denn du hast mir erzählt, dass dein Häuserl net versichert gewesen ist, weil du dir die teure Prämie net hast leisten können, und weil dein Vater selig keine Versicherung abgeschlossen hatte. Du darfst nur net den Kopf hängen lassen, und du darfst den Glauben an den lieben Gott net verlieren.

Im Moment bist du ja bei mir im Pfarrhaus untergebracht, und ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass der eine oder andere Bauer dich bei sich aufnehmen möchte. Einige Höfe sind ja groß genug, dass immer ein wenig Platz ist für ein so armes Hascherl, wie du eines bist.«

Doch damit sah es lange nicht so günstig aus, wie der geistliche Herr es sich vorstellte. Das sollte sich während der nächsten Tage auf eine schmerzliche Art und Weise ergeben.

Die Anna, die Wirtschafterin des Herrn Pfarrers, ein grauhaariges Weiblein mit zusammengekniffenen Lippen, spitzer Nase und schriller Stimme, machte Daniela sehr bald klar, dass ihr Aufenthalt im Pfarrhaus nur von begrenzter Dauer sein könnte.

»Ich bin auch net mehr die Jüngste, und ich hab mit dem Herrn Pfarrer genug zu schaffen«, zeterte sie noch am gleichen Tag, als der Herr Pfarrer drüben in der Kirche weilte und die Vesperandacht abhielt.