Heimat-Roman Treueband 77 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 77 E-Book

Sissi Merz

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.

Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 239 - Donat Eschingers Tochter

Alpengold 240 - Was am Adlersee geschah

Der Bergdoktor 1827 - Tränen in den Flitterwochen

Der Bergdoktor 1828 - Der alte Wald birgt ein Geheimnis

Das Berghotel 172 - Die schönste Überraschung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 589

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sissi Merz Carola Martin Andreas Kufsteiner Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 77

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2016/2017/2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Shutterstock AI

ISBN: 978-3-7517-8618-8

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 77

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Alpengold 239

Donat Eschingers Tochter

Alpengold 240

Was am Adlersee geschah

Der Bergdoktor 1827

Tränen in den Flitterwochen

Der Bergdoktor 1828

Der alte Wald birgt ein Geheimnis

Das Berghotel 172

Die schönste Überraschung

Guide

Start Reading

Contents

Donat Eschingers Tochter

Ein Heimatroman voller Spannung und Romantik

Von Rosi Wallner

Seit dem viel zu frühen Tod seiner geliebten Frau hütet Donat Eschinger seine einzige Tochter Luzia wie seinen Augapfel. Nicht auszudenken, sie würde ihn und den Eschingerhof eines Tages verlassen! Zum Heiraten ist das Madl doch eh noch viel zu jung. Doch dann schwirren Gerüchte durchs Dorf: Ausgerechnet der Aichner-Martin, der spinnerte Ökobauer mit seinen neumodischen Ideen, soll die Luzia umwerben, sogar zusammen gesehen hat man sie schon.

Die eigene Tochter hat Geheimnisse vor ihm? Für Donat Eschinger bricht eine Welt zusammen – und dann beginnt er, im Verborgenen einen Plan zu schmieden. Schließlich muss er Luzia vor dem nichtsnutzigen Hallodri schützen!

»Ich bin wieder zurück, Vaterl«, rief Luzia Eschinger, als sie ins Haus trat und den Einkaufskorb im Flur absetzte.

Luzia öffnete die Tür der Stube in der Annahme, ihren Vater dort anzutreffen, wie er über seinen Rechnungsbüchern brütete oder mit gerunzelter Stirn in der Bauernrundschau las. Doch der große Raum, dessen altertümliche Möbel Wohlstand und Traditionsbewusstsein verrieten, war leer.

Auch in der Küche war ihr Vater nicht, und es war unwahrscheinlich, dass er sich zu dieser Zeit in seiner Kammer niedergelegt hatte. Luzia verließ das Wohnhaus wieder und überquerte den Hofplatz, der still und friedlich in der Nachmittagssonne dalag. Unwillkürlich wandte sie sich um und ließ ihren Blick über das stattliche Anwesen schweifen.

Balustraden, von denen reich blühende rote Geranien herabhingen, die Lüftlmalerei über Tür und Fenstern und die beidseitig mit großen Blumenkübeln geschmückte holzgeschnitzte Eingangstür wurden oft von Wanderern bestaunt.

Luzia fand ihren Vater schließlich hinter der Scheune, wo er mit düsterem Blick das Hühnerhaus betrachtete.

»Was gibt’s denn, Vaterl?«

»Ich glaub, da hat uns ein ungebetener Gast einen Besuch abstatten wollen. Siehst du die Kratzspuren? Ich werde vorsichtshalber eine neue Latte hinnageln«, sagte Donat Eschinger.

»Wenigstens hat er es net geschafft, der Räuber, und unsere Hühner sind davongekommen.«

»Und du? Bist ja lang im Dorf drunten gewesen«, bemerkte ihr Vater in beiläufigem Tonfall.

»Es war auch allerhand zu besorgen, und beim Dr. Baier hab ich auch etwas verschreiben lassen, das dauert halt«, rechtfertigte sich das Mädchen.

»Und wen hast du sonst noch so getroffen?«

»Ein paar Schulfreundinnen. Die Lehnert-Steffi und die Stettner-Resi mit ihrer Schwester«, gab Luzia arglos Auskunft. »Wir haben uns eine Weile net gesehen und hatten uns allerhand Neuigkeiten zu erzählen. Stell dir vor, die Steffi ist frisch verlobt und wird bald heiraten …«

»Heiraten? Die ist doch net älter als du, noch ein Kind ist die Steffi! Was sagen denn ihre Eltern dazu? Die werden das doch hoffentlich net erlauben«, stieß Donat Eschinger aufgebracht hervor.

»Ich weiß net, was du hast. Die Lehnerts sind froh, dass die Steffi so einen netten Schwiegersohn ins Haus bringt. Die Steffi ist über beide Ohren verliebt, wie umgewandelt ist’s …«

»Verliebt, umgewandelt«, echote ihr Vater grimmig, »das kann net gutgehen!«

Luzia konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, aber sie schwieg dazu. Stattdessen begann sie vom Sängerfest zu berichten, das am Wochenende in Alpbach stattfinden sollte.

»Ein großer Umzug der Gebirgsschützen soll mittags stattfinden. Abends ist dann Tanz im Schwan , alles versammelt sich dort. Meine Schulfreundinnen haben mich gefragt, ob ich net auch kommen will. Ich tät mich ja gar nimmer blicken lassen. Man sagt im Dorf ja überhaupt, dass wir zu Einsiedlern geworden sind. Früher bist du ja gern am Stammtisch …«

»Du weißt ja, dass mir nimmer danach ist zu feiern. Was soll ich denn dort?« Donat Eschinger stockte.

»Mutterl ist schon zwei Jahre nimmer bei uns«, sagte Luzia sanft. »Sie tät net wollen, dass du dich für immer auf dem Hof vergräbst und deine alten Freunde vernachlässigst.«

»Das ist mir einfach zuwider. Weißt du, wie’s kommen wird? Die werden versuchen, mich zu verkuppeln, keinen ruhigen Augenblick werd ich mehr haben.«

»Vater, du übertreibst.«

»Da kennst die Leut drunten im Tal schlecht. Aber für mich gibt’s keine andere als meine Elisabeth, der Herr hab sie selig«, erklärte Donat und bekreuzigte sich rasch.

Luzia hatte den Kopf gesenkt und kämpfte mit den Tränen, auch sie litt noch unter dem Verlust der Mutter. Aber sie wollte wieder zurück ins Leben, in die dörfliche Gemeinschaft.

Donat Eschinger machte sich wieder an dem Hühnerhaus zu schaffen, während Luzia schweigend danebenstand.

»Das kann ich noch später erledigen, es bleibt ja lang genug hell jetzt«, meinte er unvermittelt, und sie gingen gemeinsam auf das Haus zu.

Luzia räumte bedrückt die Einkäufe ein und richtete dann eine Vesperplatte her, die sie in die Stube trug, wo ihr Vater schon den Abendbrottisch gedeckt hatte.

»Was machst du denn für ein Gesicht, Madl? Willst du unbedingt auf das Fest?«, brummte ihr Vater schließlich.

»Ich tät halt so gern wieder amal tanzen.«

»Willst du dich auch so früh einem Burschen an den Hals werfen wie die Lehnert-Steffi?«, fiel er ihr ins Wort.

»Schmarrn, Vater! Ich will tanzen, sonst gar nichts! Außerdem geh ich net ohne dich, wenn du’s genau wissen willst«, rief Luzia zornig aus.

»Mit mir willst du also auf das Fest«, sagte der Bauer etwas besänftigt. »Es soll ja net heißen, ich hätt dich um deine Jugend gebracht. Aber ich werd ein Aug auf dich haben.«

»Das kannst du ruhig, Vaterl«, rief Luzia überglücklich und umarmte ihn spontan.

»Kauf dir noch ein Festtagsdirndl, hast ja schon lang nichts Neues mehr bekommen«, schlug er vor, denn ihre überschwängliche Freude hatte ihn in großzügige Stimmung versetzt.

»Und du könntest auch mal wieder einen neuen Janker vertragen! Früher hast du doch immer auf dich gehalten.«

»Mal schauen.«

Sie beendeten schweigend die kleine Mahlzeit, und während Luzia den Tisch abräumte, hörte sie, wie ihr Vater hinter der Scheune verbissen mit dem Hammer auf die Holzbretter einschlug.

Sie lächelte, doch dann wandten sich ihre Gedanken dem Tanz im Gasthaus Zum goldenen Schwan zu. Wie lange war es schon her, dass sie sich mit den Mädchen und Burschen dort getroffen hatte!

Sie überlegte, welche Farbe das neue Dirndl haben sollte, und beschloss, am nächsten Tag in die Kreisstadt zu fahren, wo die Auswahl größer war.

Luzia wirtschaftete in der Küche herum, und ohne dass es ihr bewusst war, begann sie ein Lied zu singen, das ihre Mutter so geliebt hatte. Ihr Vater hob draußen auf dem Hofplatz lauschend den Kopf.

Es war ihm, als hätte er Elisabeth gehört.

***

»Fesch schaust du aus, Vater. Aber wart amal …«

Luzia stellte sich auf die Zehenspitzen und zupfte den Hemdkragen ihres Vaters zurecht, ehe sie zurücktrat und ihn noch einmal prüfend musterte.

Sie war stolz auf ihren gut aussehenden Vater, der erst Mitte vierzig war, denn er hatte früh geheiratet. Donat Eschinger war hochgewachsen und sehnig, seine markanten Züge und die dunklen Augen wirkten sehr anziehend. Er hatte sich tatsächlich einen neuen Janker mit passendem Hemd zugelegt, was ihn noch jugendlicher erscheinen ließ.

Donat seinerseits ließ seinen Blick liebevoll über seine Tochter gleiten.

»Schön ist das Dirndl, es passt genau zu deinen grünen Augen. Da werden’s alle schauen, wenn ich mit dir in den Saal komme«, lobte er ihr Aussehen.

Und bei sich dachte er, dass Luzia immer mehr ihrer schönen Mutter ähnelte, mit ihren grünen Augen und den üppigen Locken in einem warmen Kupferton.

Sie bestiegen den Geländewagen und gelangten bald auf die Landstraße, die nach Alpbach hineinführte. Etwas außerhalb stiegen sie aus und gingen zu Fuß weiter, denn auf den Straßen und den engen Seitengassen drängten sich die Feiernden.

Die Gebirgsjäger in der Tracht des Alptals standen in Gruppen beisammen, einige von ihnen wirkten schon recht angeheitert. Die Frauen, alle in ihren Festtagsgewändern, steckten erzählend und lachend die Köpfe zusammen.

Als sie Donat Eschinger und seine Tochter durch die Dorfstraße gehen sahen, wandten sich ihnen alle Köpfe zu.

»Ja, da schau her! Der Eschinger hat endlich wieder seine Einsiedlerei verlassen«, sagte Maria Winkler zu ihrer Nachbarin.

»Die Luzia wird ja immer hübscher, sie kommt ganz auf ihre Mutter, die arme Elisabeth«, fand die Krämersfrau.

»Die wird er sicher bald unter die Haube haben wollen. Der Eschinger ist ein fescher Wittiber und wird sicher wieder heiraten wollen. Da ist eine erwachsene Tochter nur im Weg«, meinte Maria in ihrer spitzen Art.

»Das glaub ich net. Der hängt so an dem Madl, und um seine Elisabeth trauert er immer noch«, gab ihre Freundin, die ein mildes Herz hatte, zu bedenken.

»Lehr du mich die Mannsbilder kennen! Manch einer hat sich schon flennend ins Grab seiner Frau gestürzt, und nach einem halben Jahr hat er schon wieder Hochzeit gefeiert.«

»Das kannst du dem Eschinger jedenfalls net nachsagen«, meinte die Krämersfrau etwas spitz.

Damit beendeten sie ihr Gespräch leicht verstimmt und steuerten dem Schwan zu. Doch sie wurden unterwegs mehrmals aufgehalten, denn es gab viel zu sehen und noch mehr zu klatschen.

Donat Eschingers Stimmung hob sich allmählich. Er hatte diesem ersten öffentlichen Auftritt seit dem Tod seiner Frau mit gemischten Gefühlen entgegengesehen und hatte ihn eigentlich nur seiner Tochter zuliebe auf sich genommen.

Doch am Honoratiorentisch wurde er mit einer Selbstverständlichkeit empfangen, als hätte er erst letzte Woche an einem Treffen teilgenommen.

»Ein sauberes Töchterl hast da«, sagte Riedstetter, einer der Großbauern, lachend und bedachte Luzia mit einem Blick, dass diese errötete. »Keine Angst, ich hab eher an meinen Toni gedacht, ich könnt mir vorstellen, dass …«

»Am besten stellst du dir überhaupt nichts vor! Die Luzia ist noch viel zu jung!«, fiel ihm der Eschinger ins Wort.

»Armes Madl, du gehst am besten gleich ins Kloster«, gab Riedstetter, an Luzia gewandt, ungerührt zurück und lachte dröhnend.

»Seid’s stad, da kommt unser Pfarrer«, wurden sie vom Apotheker ermahnt.

»Ach, der versteht schon einen Spaß, er ist ja schließlich einer von uns«, meinte ein anderer Bauer und rückte einen Stuhl zurecht.

Pfarrer Bernd Baumann wurde von allen auf eine Weise begrüßt, die verriet, dass man ihn wirklich mochte.

Der Pfarrer war sichtlich erfreut, Donat Eschinger wieder am Honoratiorentisch zu sehen, und es entwickelte sich sofort ein angeregtes Gespräch zwischen ihnen. Die beiden Männer kannten sich schon lange und schätzten sich, es war der Pfarrer gewesen, der Donat und Luzia über die erste schwere Zeit nach dem Tod von Elisabeth Eschinger hinweggeholfen hatte.

»Und der Luzia geht es auch gut, wie ich seh«, meinte Baumann mit einer Kopfbewegung in Richtung des Mädchens, das sich zu seinen Freundinnen gesellt hatte und von den Dorfburschen aufmerksam gemustert wurde.

»Ja«, meinte Donat Eschinger einsilbig.

»Sie schaut doch glücklich aus«, erwiderte Pfarrer Baumann, der spürte, dass etwas an Donat nagte.

»Mir wär lieber, sie hätt einen anderen Umgang. Die Lehnert-Steffi scheint nichts als Männer im Kopf zu haben.«

Unwillkürlich musste Bernd Baumann lachen.

»Die Steffi hat nur einen im Kopf und mit dem hat sie das Aufgebot bestellt. Ich weiß net, was du willst, die beiden sind sehr glücklich miteinander.«

»So jung«, murrte Eschinger.

»Hat’s net immer geheißen Jung gefreit, nie gereut ?«, mischte sich Riedstetter ein.

»Heutzutag heißt es eher Jung gefreit, lang gereut« , befand der Apotheker und lachte gackernd, bis er unter dem strafenden Blick seiner Frau, die gerade herschaute, verstummte.

Inzwischen hatte die Kapelle, die zu jedem Dorftanz aufspielten, ihre Instrumente gestimmt und stellte sich in Position.

Steffi und ihr Verlobter gingen sofort zur Tanzfläche, wo die Polka aufklang, die die Musiker meist eingangs spielten. Auch die anderen Mädchen wurden aufgefordert, nur Luzia Eschinger stand für einen Augenblick allein da.

»Magst du tanzen?«

Ein großer dunkelhaariger junger Mann stand unvermittelt vor ihr, den sie noch nie im Dorf gesehen hatte. Sie nickte zustimmend und ging an seiner Seite zur Tanzfläche.

Entgegen seiner kräftigen Gestalt tanzte der Unbekannte geschmeidig und wusste sie geschickt zu führen. Trotzdem fiel es Luzia schwer, sich seinen Schritten anzupassen, sie spürte, dass sie aus der Übung war und nicht mit ihrem Tänzer harmonierte. Schließlich bemühte sie sich, wenigstens ein Gespräch mit ihm anzufangen, um so die Situation zu retten.

»Woher kommst du denn eigentlich? Ich hab dich hier noch net gesehen«, fragte sie, während sie seinen Füßen auswich.

»Kann schon sein, dass du mich noch nie gesehen hast. Ich bin der Hofinger-Franz von Waldbach drüben. Und wo kommst du her? So ein sauberes Madl und geht allein zum Tanzen.«

Luzia lächelte gezwungen.

»Ich heiß Luzia und bin mit meinen Freundinnen hier. Da ist in Alpbach nichts dabei«, fügte sie etwas spitz hinzu, und sie wären beinahe mit einem anderen tanzenden Paar zusammengeprallt.

»Ja, Hauptsach, es bleibt net dabei«, sagte er und brach in schallendes Gelächter aus.

Unvermittelt geriet Luzia aus dem Gleichgewicht und taumelte, und wenn Hofinger sie nicht festgehalten und an sich gepresst hätte, wäre sie gestürzt.

»Lass das Madl aus!«

Donat Eschinger war auf die Tanzfläche gestürmt und hatte Franz am Arm gepackt. Hofinger ließ Luzia frei und fuhr erbost zu Eschinger herum.

»Was willst du denn, du Bergschrat! Hast wohl an deiner Alten zu Haus net genug!«

Donat Eschinger wurde bleich vor Zorn und versetzte dem jungen Mann einen heftigen Schlag ins Gesicht. Hofinger taumelte zurück, dann aber schnellte er vor und schlug derart zu, dass Eschinger zu Boden ging.

»Das ist mein Vater, du …«, schrie Luzia auf und kniete sich neben Donat auf den Boden.

Ein paar Burschen von Alpbach fingen an, Franz Hofinger zu bedrängen, und sofort war eine Rauferei im Gange. Der Wirt stieß eine wüste Verwünschung aus und bahnte sich einen Weg durch die Menge, die Musikanten hatten ihre Instrumente sinken lassen, und die tanzenden Paare waren zurückgewichen und beobachteten, wie der stämmige Wirt zulangte, um die Kämpfenden zu trennen.

Währenddessen versuchte Luzia verzweifelt, ihren Vater wieder zur Besinnung zu bringen, wobei Dr. Baier ihr zu Hilfe kam.

»Eine leichte Gehirnerschütterung, nehm ich an«, versuchte der Dorfarzt Luzia, der die Tränen der Verzweiflung über das Gesicht liefen, zu beruhigen.

»Gebt Ruh jetzt!«, dröhnte plötzlich die Stimme des Pfarrers durch den Saal, und unwillkürlich ließen die Burschen voneinander ab und sahen benommen um sich. Bernd Baumann half dem Wirt, die ärgsten Raufbolde aus dem Wirtshaus zu befördern.

Dann streifte er die hochgekrempelten Ärmel wieder glatt, und kehrte schmunzelnd an den Tisch zurück.

»Das nenn ich höhere Gewalt«, meinte Riedstetter anerkennend und prostete dem Pfarrer zu.

»Ein Alptaler von echtem Schrot und Korn, das lässt sich net verleugnen, noch net mal im Priestergewand«, fügte der Lechnerbauer hinzu.

Mittlerweile war Donat Eschinger wieder zu sich gekommen. Man half ihm auf und führte ihn an den Tisch zurück. Er wirkte etwas benommen.

»Da wirst du bald ein schönes Veilchen mit dir herumtragen, Eschinger«, meinte Riedstetter ohne viel Mitgefühl. »Am besten, man lässt die jungen Leut machen, was sie wollen. Eltern ziehen eh immer den Kürzeren.«

»Ich hab gar nichts gemacht«, fuhr ihn Luzia an und wandte sich wieder besorgt ihrem Vater zu.

»Am besten legen Sie sich zwei oder drei Tage ins Bett, und wenn es schlimmer wird, soll mich die Luzia sofort anrufen«, sagte Dr. Baier beruhigend.

»Jemand soll dich nach Hause fahren …«

»Ich kann den Wagen schon fahren. Magst du jetzt gleich aufbrechen, Vater?«, fragte Luzia.

»Net gleich, Madl. Ich will mich erst noch ein wenig ausruhen«, brachte Eschinger hervor. Um ihn drehte sich noch alles, und er verspürte leichte Übelkeit.

Die Gemüter hatten sich wieder beruhigt. Die Burschen fanden, dass die Rauferei eine zünftige Gaudi gewesen war, und die Musikanten griffen zu ihren Instrumenten. Bald tanzten die Paare wieder ausgelassen einen schwungvollen Walzer, der im Repertoire nicht fehlen durfte, und selbst der Wirt bemühte sich um ein etwas angestrengtes Lächeln. Seine Haare waren immer noch zerzaust, und über seine Wange zog sich eine breite Schramme.

Luzia blieb an der Seite ihres Vaters, auch Dr. Baiers Worte hatten sie nicht beruhigen können. Einmal, als ihr Lieblingslied erklang, sah sie sehnsuchtsvoll zur Tanzfläche hinüber, aber dann senkte sie wieder den Kopf und tastete nach der Hand ihres Vaters.

Pfarrer Baumann hatte das beobachtet und entschloss sich, dem Mädchen vielleicht doch noch zu einem schönen Abend zu verhelfen.

»Meinst du nicht auch, Eschinger, dass die Luzia zu den jungen Leut dort drüben hingehört und tanzen sollte?«

Luzia schüttelte abwehrend den Kopf.

»Ich muss beim Vater bleiben, bis es ihm wieder besser geht, ich hab sonst keine Ruh.«

»Ich bin ja da, Luzia. Dein Vater will doch sicher, dass du noch etwas von diesem Abend hast, oder?«, wandte Baumann nachdrücklich ein.

Eschinger bemühte sich um einen freundlichen Ton, aber seine Augen blieben ernst.

»Wenn du magst, Luzia, geh nur zu den anderen, ich komm schon zurecht.«

»Ich wart nur noch drauf, bis du dich gut genug fühlst, dass wir heimfahren können.«

Der vierschrötige Pfarrer enthielt sich jeder weiteren Bemerkung, nahm sich aber vor, die Eschingers im Auge zu behalten. Schließlich erhob sich Donat etwas unsicher und verließ, auf seine Tochter gestützt, das Gasthaus.

Langsam gingen Vater und Tochter die Dorfstraße entlang, und nach einer Weile fasste sich Luzia ein Herz und sagte: »Der Bursche aus Waldbach hat mir doch nichts getan. Ich hab das Gleichgewicht verloren, weil ich halt ganz aus der Übung bin. Er hat mich nur festgehalten, das war alles.«

»Das sah aber ganz anders aus!«

»Mag sein – aus deinem Blickwinkel. Aber da war nichts, Vater, oder glaubst du, das hätt ich zugelassen?«

»Sicher net«, sagte Donat beschämt. »Es tut mir leid, dass ich dir den Abend so verdorben hab.«

Ihr Vater klang so reumütig, dass Luzia unwillkürlich hellauf lachen musste.

»Wenigstens haben’s jetzt wieder was zu klatschen im Dorf. Ich hör schon die Gundl und die Maria im Krämerladen …«

Bei dieser Vorstellung konnte sich auch Eschinger ein Lachen nicht verbeißen, obwohl sein Kopf sofort noch heftiger schmerzte. Nachdem sie vergeblich in einer Sackgasse nach dem Geländewagen gesucht hatten, fanden sie ihn schließlich in einer Straße parallel dazu, und Luzia setzte sich hinter das Steuer.

Als sie durch ein Schlagloch fuhren, stöhnte Eschinger leise auf, und das Mädchen verlangsamte die Geschwindigkeit noch mehr, sodass es einige Zeit dauerte, bis sie ihren Hof erreichten.

»Morgen gehst du in die Kreisstadt zur Untersuchung«, sagte Luzia in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Bei Kopfverletzungen darf nichts versäumt werden.«

Ihr Vater hatte nichts dazu zu sagen, er stieg umständlich aus dem Wagen aus und wehrte sich auch nicht dagegen, dass Luzia ihn fürsorglich stützte. Sie führte ihn zu seiner kleinen Kammer hoch – seit dem Tod seiner Frau benützte er das eheliche Schlafzimmer nicht mehr – wo er aufseufzend auf sein schmales Bett niedersank.

»Versprich mir, dass du morgen zum Arzt gehst«, wiederholte Luzia drängend.

Ihr Vater gab einen unbestimmten Laut von sich, und Luzia blieb nichts anderes übrig, als die Tür hinter ihm zu schließen und zu hoffen, dass er zur Vernunft käme.

***

Doch Donat Eschinger dachte gar nicht daran, den Rat seiner Tochter zu befolgen. Er stand, wie immer, früh am Morgen auf, aß nur ein paar Bissen von seinem Frühstück, denn er hatte überhaupt keinen Hunger, und ging zu den Stallungen hinüber.

Als Luzia ihren Vater beim Mittagessen vermisste, fand sie ihn dort bewusstlos vor, sein Puls schlug nur noch schwach. Er wurde sofort in das Klinikzentrum in München geflogen, und es gelang den Ärzten, ihm in einer langwierigen Operation das Leben zu retten.

»Er hat eine Gehirnblutung erlitten, vermutlich als Folge eines Sturzes. Doch wir konnten ihn noch rechtzeitig operieren, es sind keine Schädigungen entstanden. Ihr Vater wird wieder völlig gesund, machen Sie sich keine Sorgen«, sagte der behandelnde Arzt freundlich zu Luzia Eschinger, die mit den Tränen kämpfte.

Luzia wollte sich bei ihm bedanken, doch sie brachte kein Wort hervor. Der Arzt führte sie behutsam zu einem der Stühle auf dem Krankenhausflur.

»Er wird aber viel Ruhe und auch Pflege brauchen. Dafür müssen Sie sorgen, wenn er wieder zu Hause ist.«

»Das werd ich«, stammelte das Mädchen.

Donat Eschingers Genesung machte, wie vorausgesehen, gute Fortschritte. Bald schon brachte er die Krankenschwestern zur Verzweiflung, weil er mit dem Kopfverband das Bett verlassen hatte und sich lautstark beklagte, dass er hier zu Langeweile und Nichtstun verdammt sei, während auf dem Hof alles drunter und drüber ginge.

Auch über das Essen beschwerte er sich regelmäßig, denn er sehnte sich nach Speckknödeln, Kraut und Geselchtem. Er war ungeduldig, wenn man ihm Blut abnahm, und knurrte unwillig den jungen Psychologen an, der sich in sein Zimmer wagte.

Seine Stimmung heiterte sich erst auf, als er Pfarrer Baumann erblickte, der mit einem großen Blumenstrauß und einer Tüte das Krankenzimmer betrat.

»Ach so, Grünzeug und etwas Gesundes. Ich hab schon gehofft, dass Sie mir ein Flascherl Enzian mitbringen. Hier bekommt man nichts Ordentliches zu essen und schon gar nichts zu trinken. Die Schwestern sind die reinsten Dragoner, einfach ein Graus«, begrüßte er den Dorfpfarrer.

Bernd Baumann zog sich lachend einen Stuhl heran und bat die Schwester, die hereinsah, um eine Vase.

»Ich hab ja gehofft, Eschinger, dass du ein bisserl geläutert bist, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Jedenfalls bin ich froh, dass es dir wieder besser geht.«

»Und die Luzia, wird sie mit der Arbeit fertig? Sie sagt mir ja nichts, um mich net aufzuregen«, erkundigte er sich besorgt.

»Es geht so weit ganz gut. Aber was ich dir noch sagen wollt, wenn du wieder zu Hause bist, kommt eine Schwester vom Pflegedienst. Du wirst dich noch lange schonen müssen. Die Luzia kann nicht alles allein machen, sie ist schließlich noch ein junges Mädchen und hat auch nicht die entsprechenden Kenntnisse. Außerdem hat sie ja auch so genug zu tun, oder?«

Donat Eschinger seufzte übertrieben auf.

»Hoffentlich ist die Schwester net auch so ein arger Drachen wie die hier.«

»Es hat aber sogar hier schon Überlebende gegeben«, erwiderte Pfarrer Baumann ironisch.

Eschinger, der immer noch ganz angegriffen war, auch wenn er es verbergen wollte, zeigte Anzeichen der Erschöpfung, und Bernd Baumann verabschiedete sich. Die Tür hatte sich noch nicht hinter ihm geschlossen, als der Bauer schon in tiefen Schlaf versank.

***

Und so kam Regula Berner auf den Eschingerhof. Sie war eine hochgewachsene, kernige Frau, die Luzia fast ein wenig einschüchterte, als sie ihr zum ersten Mal gegenüberstand. Doch durch ihr herzliches Lächeln gewann sie sofort Luzias Vertrauen.

Schwester Regula trug ein schlichtes, dunkelblaues Dirndl und hatte die haselnussbraunen Haare zu einem üppigen Zopf geflochten, der ihr fast bis auf die Taille hinunterreichte. In der Hand trug sie eine riesige Tasche, in der sie alles aufbewahrte, was sie zur Betreuung ihrer Patienten brauchte.

Es war ausgemacht, dass Regula jeden Tag stundenweise nach Eschinger sah und vor allem darauf achtete, dass er die Anweisungen der Ärzte befolgte. Vorläufig musste er Bettruhe einhalten, doch dann sollte ihm Regula dabei helfen, seine frühere Beweglichkeit und Arbeitskraft zurückzuerlangen.

»Wo ist der Vater denn?«, fragte Schwester Regula das Mädchen, als sie ins Haus trat.

Donat Eschinger war am Vortag aus dem Krankenhaus entlassen worden, und sie nahm an, dass er oben in seiner Schlafkammer lag. Sie machte bereits Anstalten, die Stiege hochzueilen, als Luzia sie zurückhielt.

»Der Vater ist in der Stube.«

Regulas Brauen zogen sich streng zusammen.

»Steht sein Bett in der Stube?«

»Nein, er sitzt in dem tiefen Lehnsessel …«

»Lehnsessel«, wiederholte Regula aufgebracht. »So etwas hat mir Dr. Baier schon vorausgesagt!«

Aber als sie Donat Eschinger gegenüberstand, war ihr erster Gedanke, dass er ein ausnehmend gut aussehender Mann war, obwohl er immer noch krank wirkte und einen Kopfverband trug. Das brachte sie auf, und so ruhte ihr Blick sehr unfreundlich auf dem Bauern.

Regula Berner war einschichtig , wie man hier sagte, und konnte weder den Männern noch der Ehe viel abgewinnen. In ihrer frühen Jugend war sie einmal verlobt gewesen, doch die Verbindung scheiterte schnell.

Nun war Regula Ende dreißig, hatte einen Pflegedienst gegründet und war in Alpbach und Umgebung für ihren unermüdlichen Einsatz hochgeachtet. Zwar fand man, dass sie manchmal ein wenig zu herb sei, aber andererseits wurde ihre Durchsetzungskraft auch durchaus respektiert.

»Warum sind Sie nicht oben in ihrem Bett, wo Sie noch hingehören?«, fuhr sie Eschinger schroff an.

Donat blickte zu ihr auf, mitten in ihre tiefblauen Augen, und wappnete sich sofort gegen sie.

»Hier bin ich gut untergebracht. Ich lieg doch net am helllichten Tag im Bett«, erwiderte er störrisch und zog die Wolldecke, die seine Knie bedeckte, bis ans Kinn hoch.

»Zufällig sind Sie krank, und nach Aussage von Dr. Baier sollen Sie noch ruhen. Ich komm net auf einen Kaffeebesuch hierher. Ich werd jetzt Ihren Blutdruck messen …«

Ohne Umstände ergriff sie seinen Arm, streifte den Hemdsärmel hoch und zog das Blutdruckmessgerät so fest an, dass ihm beinahe ein Schmerzenslaut entfuhr.

»Viel zu hoch«, stellte sie befriedigt fest und fasste nach seinem Handgelenk.

»Und Ihr Pulsschlag ist auch unregelmäßig«, setzte sie noch drauf.

»Das ist gar kein Wunder. Eben noch hab ich hier meine Ruh und meinen Frieden gehabt«, murrte er halblaut.

»Also, nach oben geht’s! Ihre Medizin werd ich Ihnen auch noch geben. Luzia, fass mit an!«

»Medizin? Davon weiß ich ja gar nichts. Aber hoffentlich keine Spritzen.«

»Ein paar Aufbauspritzen täten Ihnen überhaupt nichts schaden. Ich werd mit dem Doktor reden …«

»Ich brauch net aufgebaut zu werden!«, brachte Eschinger erbost hervor, ließ es dann aber zu, dass die Schwester und Luzia ihn die Treppe zu seiner Schlafkammer hinaufführten.

Luzia ging nach unten, um Wasser zum Einnehmen der Medikamente zu holen, während Regula dem Bauern, der sich schwerfällig zurechtlegte, dabei half, sich zuzudecken. Donat atmete dabei den frischen Duft nach Rosen und Lavendel ein, der die Schwester umgab, und auf eigentümliche Art fühlte er sich wie betäubt.

Er schluckte widerspruchslos seine abgezählten Tabletten, ließ Schwester Regula den Kopfverband überprüfen und wünschte, die Tür würde sich endlich wieder hinter ihr schließen. Aber eigentlich wünschte er es doch nicht, und er wusste nicht, was er von all dem eigentlich halten sollte.

»So, jetzt wird geschlafen. Ihre Tochter bringt Ihnen später eine leichte Suppe, kommen Sie nur nicht auf den Gedanken, schwere Hausmannskost zu essen. Keine Knödel, kein fettes Fleisch, dass wir uns verstanden haben.«

In Donat, der sich böhmische Knödel mit Kraut und eine üppige Süßspeise zum Nachtisch gewünscht hatte, stieg wieder die heiße Wut auf.

»Ich weiß schon, dass Sie mir das Leben vergällen wollen«, giftete er die Schwester an.

»So sans, die Mannsleut! Man kümmert sich um sie und tut ihnen Gutes, aber nein, undankbar bis ins Mark. Heirat bloß net, Madl, sonst hast keinen frohen Tag mehr«, sagte sie in halb scherzendem, halb ernstem Ton an Luzia gewandt.

»Das soll sie eh net vor der Zeit«, knurrte Donat und sah Schwester Regula düster an.

»So einen Vater hast also, Luzia«, meinte Regula dazu nur und räumte ihre gewaltig große Tasche wieder ein. »Ich werd noch mal alles mit dem Dr. Baier besprechen, das scheint mir besser. Morgen komm ich wieder, und dann will ich Sie nicht unten in der Stube sehen, sondern hier im Bett«, erklärte die Schwester.

»Keine Spritzen«, murmelte Eschinger.

»Wir werden sehn.«

Donat Eschinger stöhnte erleichtert auf, als Schwester Regula samt seiner Tochter endlich die Kammer verlassen hatte und verfluchte einmal mehr, dass er sich auf diese unsinnige Rauferei mit Franz Hofinger eingelassen hatte, der sich übrigens bei einem Besuch im Krankenhaus bei ihm entschuldigt hatte.

Es hatte keine Anzeige gegeben, Donat hatte sich erst ernstlich bei seinem Sturz im Stall verletzt, als ihm schwindlig geworden war und er mit dem Kopf heftig gegen einen Stützpfeiler prallte. Er hätte auf den Arzt und seine Tochter hören sollen, das hielt er sich jetzt jeden Tag vor …

***

»Schwierig, der Vater«, sagte Luzia kleinlaut. »Aber sonst ist er net so.«

»Glaub ich schon. Aber den Mannsleut fällt es halt schwer einzusehen, dass auch sie amal auf Hilfe angewiesen sind. Da könnt ich dir Geschichten erzählen!«

»Magst einen Kaffee, oder musst gleich wieder weiter?«, bot ihr Luzia an.

»Ja, ein Viertelstünderl kann ich mich hinsetzen, dann muss ich zum alten Ramsauer, der will auch net tun, was man ihm sagt, und bringt seine Familie zur Verzweiflung.«

Regula ließ sich auf der gemütlichen hölzernen Eckbank in der Küche nieder und genoss dann den frisch aufgebrühten Kaffee, den sie ausführlich lobte.

Luzia fühlte sich zu der Älteren hingezogen, obwohl Regula keineswegs von überströmender Freundlichkeit war, und bald schon waren sie in ein angeregtes Gespräch vertieft. Regula aß auch ein Stück von dem selbst gebackenen Mohnstrietzel und fühlte sich immer wohler in der anheimelnden Bauernküche.

»Jessas! Ich bin spät dran! Sicher ist der Ramsauer schon wieder aus dem Bett gekrochen und tappt im ganzen Haus herum. Er wird so unruhig, wenn ich ihm net rechtzeitig seine Medizin geb!«, stieß Schwester Regula hervor und erhob sich hastig.

»Ich hab auch net auf die Zeit geachtet«, gestand Luzia und geleitete Regula zur Tür.

Sie sah ihr nach, bis sie mit ihrem kleinen Wagen verschwunden war, dann ging sie hoch zu ihrem Vater. Donat Eschinger schlief friedlich in seinem Bett, und Luzia zog fürsorglich seine Decke zurecht, ehe sie sich wieder ihren Haushaltspflichten zuwandte.

Regulas Ärger über ihre Verspätung war rasch verflogen, da sie sich auf die schmale, unbefestigte Straße konzentrieren musste, die zu dem abgelegenen Ramsauerhof führte.

Aber Donat Eschinger hatte sie, trotz seiner Unzugänglichkeit, auf eine Weise beeindruckt, die sie innerlich aufwühlte. Sie beschloss, jeden Gedanken an ihn zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht.

Ramsauer, den sie wenig später aus der Scheune ins Haus hinüberführte, beklagte sich zu Recht, dass sie heute nicht richtig da wäre.

Auch die Erinnerung an Luzia löste zwiespältige Empfindungen in ihr aus. Sie hatte es nie bereut, nicht geheiratet zu haben, denn während ihrer Tätigkeit war sie nur allzu oft mit häuslichem Elend in Berührung gekommen. Doch Luzia hatte sie gleich ins Herz geschlossen, und sie bedauerte, nicht eine Tochter wie sie zu haben.

Und Regula erschrak darüber, in welche Richtung sich ihre Gedanken bewegten.

***

»Du schaust schon viel besser aus als damals, als ich dich im Krankenhaus besucht hab«, meinte Pfarrer Baumann, als er Eschinger einen Besuch auf dem Hof abstattete.

Donat ging nicht darauf ein, sondern bewegte sich unruhig in seinem Lehnsessel. Inzwischen hatte die gestrenge Schwester Regula ihm erlaubt, seine Kammer zu verlassen.

»Das soll ich dir von meiner Haushälterin vorbeibringen, ihr berühmtes Nussgebäck.«

Donat griff gierig danach.

»Danke, Hochwürden, das werd ich mir heut noch einverleiben, denn Schwester Regula erlaubt mir ja nichts Süßes. Damit ich net zunehme, weil ich mich noch net richtig bewegen kann, erklärt sie mir dauernd. Wie soll denn ein Mann bei Kräften bleiben, wenn er nur Grünes essen darf«, schimpfte Donat.

Bernd Baumann schüttelte schmunzelnd den Kopf.

»Schaust aber net aus, als wärst du vom Fleisch gefallen. Schwester Regula scheint gute Arbeit zu leisten …«

»Schwester Regula!«, fuhr Donat auf und zerrte die Decke von seinen Beinen. »Sie ist noch schlimmer als alle Oberschwestern in der Klinik, das kann ich Ihnen sagen. Sie gängelt mich fortwährend, weiß alles besser und einen Ton schlägt sie an, den ich einfach net gewöhnt bin. Ich werd fei drei Kreuze schlagen, wenn ich sie los bin.«

»Vielleicht ist sie nur besorgt um dich, das könnt doch sein, oder?«, wandte der Pfarrer ein.

»Meinen Sie, Hochwürden?«

Dieser Gedanke schien Eschinger in tiefe Verwirrung zu stürzen, und Baumann lenkte ihn rasch ab und berichtete, dass es im Dorf einige Unruhe gab, weil der Bürgermeister wieder einmal neue Werbekampagnen zur Belebung des Fremdenverkehrs angeregt hatte.

»Soll er doch selber wegziehen, wenn er am liebsten nur Städter umeinand hat«, murrte Donat, dem jede Veränderung in seinem geliebten Alpbach zutiefst zuwider war.

»Dann sag’s ihm halt auch amal«, meinte Luzia dazu, die den letzten Teil des Gesprächs mit angehört hatte, und stellte das Tablett mit dem Kaffeegeschirr auf den Tisch.

Bernd Baumann fand, dass Luzia etwas abgespannt wirkte, und er hoffte, dass ihr Vater bald völlig wiederhergestellt sein würde. Es lastete einfach zu viel Verantwortung und Arbeit auf ihren jungen Schultern.

»Im Schwan ist am Samstag wieder Tanz. Magst net kommen? Ein wenig Abwechslung würde dir doch guttun«, schlug er vor, als sie den Tisch gedeckt hatte.

Luzias Augen leuchteten auf, doch dann verschlossen sich ihre schönen Züge.

»Der Vater …«

»Deinem Vater geht es wieder gut genug, den kannst doch ruhig einen Abend allein lassen. Vielleicht kommt auch Schwester Regula für ein paar Stunden hoch …«

»Nur das net!«, entfuhr es Eschinger, und er setzte so heftig die Tasse ab, dass der Kaffee überschwappte.

Beinahe hätte Baumann eine ungehaltene Bemerkung über väterlichen Egoismus gemacht, doch mit Rücksicht auf Eschingers Gesundheitszustand schwieg er. Auch Luzia erwähnte diesen Vorschlag mit keinem Wort mehr.

Pfarrer Baumann verabschiedete sich bald, denn er hatte noch mehr Besuche an diesem Nachmittag vor sich. Das gefährlich wechselhafte Wetter hatte einige der älteren Kirchenmitglieder auf das Krankenbett geworfen.

Wenigstens, sagte er sich, als er auf seinen Wagen zuging, war Eschinger auf dem Weg der Besserung. Und so würde auch Luzias Leben bald wieder leichter werden.

Die Haltung des Mädchens nötigte ihm große Bewunderung ab, nie klagte sie über das Leid, das über die Familie gekommen war, stets erfüllte sie ihre Pflichten, ohne eigene Ansprüche zu äußern. Doch Baumann sah auch die Gefahr, die in dieser Einstellung lag, denn er hielt nichts davon, dass eine junge Frau sich selbst aufopferte und auf ein eigenständiges Leben verzichtete.

Luzia hatte es verdient, glücklich zu werden.

***

»Ich kann auch allein gehen«, sagte Donat Eschinger bockig und streifte Schwester Regulas helfende Hand ab.

»Ich weiß, aber trotzdem möchte ich kein Risiko …«

»Unnötiger Aufwand!«

Regula hatte sich mit seiner abweisenden Art inzwischen abgefunden, und falls sie sich doch verletzt fühlen sollte, ließ sie sich nichts anmerken.

»Anschließend machen wir noch die Übungen, damit Sie wieder völlig beweglich werden«, gab sie daher unbeeindruckt zur Antwort und fasste Donats Arm fester.

Eschinger schnaubte, hatte aber ausnahmsweise nichts darauf zu erwidern. Durch Regulas sachkundige und vor allem zähe Pflege hatte sich Donat Eschinger wieder vollständig erholt. Er war blasser als gewöhnlich, weil er noch nicht wieder draußen auf den Feldern arbeiten durfte, so sehr es ihn auch danach verlangte, doch man spürte, dass seine Lebenskraft zurückgekehrt war.

Donat war auch schlanker geworden, weil Regula über seine Ernährung wachte, was ihm ausnehmend gut stand. Er kleidete sich auch ansprechender, als er es gewöhnlich tat, wenn er zu Hause war, worüber seine Tochter allerdings kein Wort verlor.

Regula dachte oft, dass Donat ganz der Vorstellung entsprach, die sie sich von einem Mann machte, der ihr gefallen könnte. Er war tüchtig und umsichtig, hatte inzwischen wieder die geschäftliche Seite des bäuerlichen Betriebs übernommen und hatte klar umrissene Einstellungen, die sie sehr vernünftig fand.

Aber gleichzeitig war er auch von erschreckender Kälte. Immer wenn Regula glaubte, eine gewisse Nähe zu ihm erreicht zu haben, stieß er sie durch eine verletzende Bemerkung zurück und wies sie in ihre Schranken.

Und so hatte sie sich einen Schutzpanzer zugelegt und ging mit ihm in einem sachlich kühlen Ton um, der ihn seinerseits etwas ärgerte.

»Gehen wir hinüber auf das Gartenbankerl, dort ist es sonnig«, schlug Regula vor.

Donat gab nickend seine Zustimmung, und Seite an Seite saßen sie da und genossen den schönen Herbsttag. Von dort hatten sie einen Ausblick auf die große Wiese, hinter der der Bergwald war. Wie rote Fackeln flammten die Laubbäume zwischen den dunklen Bergkiefern auf, hie und da vermischt mit herbstlichem Gelb.

Leichte Dunstschleier wogten über die Wiese, und Donat dachte voller Wehmut an den Almabtrieb in früheren Jahren, der meistens in ein übermütiges Dorffest überging. Vielleicht würde er, wenn es ihm noch besser ging, zur Kanterer-Alm hochsteigen und mit dem Loisl Vollmer, der sie betrieb, über alte Zeiten sprechen.

Alte Zeiten!

Donat Eschinger straffte seine Gestalt. Wie kam er nur auf solche Gedanken – er war doch noch im besten Mannesalter, und nun tat er so, als wäre er schon ein Greis, der nur noch in der Vergangenheit schwelgte.

Und damit kam ihm auch Regulas Nähe zum Bewusstsein, und er sah sie verstohlen von der Seite her an. Sie blickte starr geradeaus, sodass er sie ungestört mustern konnte.

Regula trug ein hochgeschlossenes Dirndl mit eng anliegendem Mieder, sodass er nicht umhinkonnte zu bemerken, dass sie eine ausnehmend wohlgeformte Figur hatte. Ihr Profil war sehr reizvoll, und die Löckchen, die sich aus ihrem streng geflochtenen Zopf gelöst hatten, umschmeichelten es. Regulas Haut leuchtete in einem matten Honigton, und plötzlich wurde er von Vorstellungen übermannt, die ihm, dem reifen Mann, die Röte in das Gesicht trieben.

Als hätte sie seine Gedanken erraten, wandte sie sich ihm unvermittelt zu, und er senkte schnell den Kopf.

»Bald muss ich nicht mehr hochkommen. Dr. Baier wird Sie natürlich weiter behandeln. Und vergessen Sie nicht die Kontrolltermine in der Klinik«, fügte sie sichtlich besorgt hinzu.

»Da sorgt schon die Luzia dafür«, sagte er, aber es klang nicht so ungeduldig wie sonst.

Sie versanken wieder in Schweigen, Donat Eschinger jedoch rang mit sich.

»Ich weiß, was Sie für mich getan haben«, brachte er schließlich hervor.

»Das ist meine Pflicht«, erwiderte Regula kühl und warf ihren langen Zopf zurück.

»Das war weit über Ihre Pflicht hinaus«, fuhr er mit gepresster Stimme fort.

Regula schwieg.

»Ich war nicht immer ein geduldiger Patient …«

Die junge Frau stieß ein kurzes Lachen aus, das Donat zusammenzucken ließ.

»Es war auch net leicht für mich, auf Hilfe angewiesen zu sein«, versuchte er, sich zu verteidigen, und dann gingen ihm irgendwie die Worte aus und er saß steif neben ihr.

»Die Luzia hat Sie gern«, sagte Donat nach einer Weile zusammenhanglos.

Dass er endlich einmal auch an seine Tochter dachte und nicht nur an sich selbst, milderte Regulas Unmut ein wenig, und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

»Ich mag die Luzia auch, Sie können stolz darauf sein, so eine Tochter zu haben. Es wird mir richtig abgehen, wenn ich nimmer ein Momenterl mit ihr in der gemütlichen Kuchel sitzen und plaudern kann. Das waren oft die schönsten Augenblicke am Tag«, gestand Regula ein und bereute ihre Offenheit sofort.

Doch Donat schien diese Offenbarung zu gefallen.

»Es steht doch nichts dagegen, dass Sie weiter auf den Hof kommen, um der Luzia eine Freud zu machen. Das Madl hat eh zu wenig Abwechslung in der letzten Zeit gehabt. Aber jetzt kann ich ja …«

»Nur nichts überstürzen. Sonst haben Sie mich gleich wieder im Nacken«, mahnte Regula.

Das wäre nicht das Schlimmste , ging es ihm durch den Sinn, doch er schüttelte sofort erschrocken diesen Gedanken ab und verlegte sich auf eine nichtssagende Antwort, um Regula zufriedenzustellen.

Schließlich gingen sie wieder ins Haus zurück, und nachdem Donat die Übungen absolviert hatte, verabschiedete sich Regula. Heute bot sich zu ihrer Enttäuschung nicht die Möglichkeit, noch ein wenig mit Luzia zusammenzusitzen, denn das Mädchen hatte einen Termin auf dem Landratsamt.

Donat sah ihr – hinter der Gardine verborgen – von der Stube aus nach und verspürte ein eigenartig hohles Gefühl in sich. Das Haus war leer, und eine quälende Rastlosigkeit überkam ihn. So würde es sein, wenn Luzia erst einmal verheiratet war. Sie würde wegziehen und ihn hier auf das Altenteil abschieben.

Am liebsten hätte er sich an der Kredenz einen ordentlichen Obstler, vielleicht auch zwei, eingegossen, aber das war ihm noch streng untersagt worden.

So setzte er sich auf die Ofenbank und blätterte im Gemeindeblatt, obwohl ihm immer wieder die Buchstaben vor den Augen verschwammen. Aber etwas erfüllte ihn mit Befriedigung, nämlich, dass er Regula dazu eingeladen hatte, auch später noch, wenn er wieder völlig gesund war, seine Tochter zu besuchen.

Luzia fand ihren Vater nach ihrer Rückkehr auf der Ofenbank schlafend vor, die Zeitung war herabgeglitten. Sie strich ihm leicht über den Kopf und empfand ein überwältigendes Gefühl der Zuneigung. Nie, niemals konnte sie sich vorstellen, ihren geliebten Vater einmal allein zu lassen.

***

»Deine Kipferl san wunderbar, Luzia. Ich wünscht, ich hätt mehr Zeit zum Backen, gerade jetzt zu Advent, aber ein paar von meinen alten Leuten geht es wirklich schlecht, und ich muss halt jeden Tag vorbeikommen«, sagte Regula bedauernd und nahm sich noch von dem leckeren Gebäck.

Es war einer der schönen Nachmittage, an dem die beiden ungleichen Frauen wieder die Gelegenheit zu einem ausführlichen Schwatz in der Küche gefunden hatten. Es roch nach Zimt und Nelken, das Haus war adventlich geschmückt, die Wachskerzen verbreiteten ein warmes Licht.

Regula berichtete von den eher heiteren Seiten ihrer Arbeit und erkundigte sich nach dem Befinden Donat Eschingers, den sie nun einige Zeit nicht mehr gesehen hatte.

»Dem Vater geht es gut, ich finde, es geht ihm sogar besser als vorher. Du hast Wunder an ihm gewirkt, Regula. Er spricht übrigens ab und zu von dir«, sagte Luzia.

Regulas Wangen röteten sich leicht.

»Ach so? Bestimmt, dass er froh ist, dass ich ihn endlich nimmer traktiere.«

»Da irrst dich. Er sagt immer, dass er dir dankbar sein kann, weil du nie aufgegeben hast.«

Regula versuchte zu lachen, aber es gelang ihr nicht, etwas schien ihr die Kehl zuzudrücken.

»Späte Einsicht«, brachte sie nur hervor.

»Aber Respekt hat er immer noch vor dir. Ich hab ihm schon mehrmals gesagt, er soll doch zu uns in die Kuchel kommen. Aber er hat immer Ausreden, dass er nur stört, wenn die Weiberleut miteinand reden wollen, oder so etwas in der Art. Weißt, der Vater traut sich einfach net, das ist alles. Die Mannsleut sind halt schon ein bisserl feig, auch wenn sie’s nie zugeben würden.«

Luzia schüttelte den Kopf und lächelte ihre ältere Freundin verschwörerisch an.

»Wenn das halt so ist«, erwiderte Regula mit bemühter Gleichgültigkeit.

»Willst noch ein Glaserl von dem Glühwein?«

Das tiefrote Getränk duftete verführerisch, aber Regula lehnte trotzdem ab.

»Ich muss noch fahren. Der Glühwein, so gut er ist, steigt mir halt immer ein bisserl zu Kopf.«

Luzia wollte etwas darauf erwidern, wurde aber von Stimmen abgelenkt, die aus dem Flur hereinschallten.

»Da ist Besuch, ich hab gar nichts davon gemerkt. Der Vater ist aber inzwischen heimgekommen.«

Beunruhigt stellte sie fest, dass die Stimme ihres Vaters polternd lauter wurde, und sie trat hinaus in den Flur.

»Luzia! Du bist ja doch da, dein Vater hat mir grad gesagt …«

Franz Hofinger, denn er war der Besucher, verstummte, und hielt Luzia stattdessen einen großen Blumenstrauß hin, den er vorher wie einen Schild vor sich gehalten hatte.

Luzia war so überrascht, dass sie die Rosen ohne ein Wort an sich nahm.

»Ich hab gedacht, jetzt, da es deinem Vater wieder besser geht, besuch ich dich amal, wenn du nichts dagegen hast«, setzte der junge Mann, der sich beinahe sonntäglich herausgeputzt hatte, unbeholfen hinzu und wurde rot.

»Ja, komm rein. Ich hab Kipferln gebacken, und Glühwein gibt es auch dazu«, lud sie ihn ein.

»Aber ich hab was dagegen«, fuhr Donat Eschinger dazwischen. »Es ist ja allerhand, dass du es wagst, dich hier blicken zu lassen, so, wie es alleweil steht zwischen uns.«

»Ich hab Ihnen schon im Krankenhaus gesagt, wie leid es mir tut, aber Sie haben ja kein einziges Wort von mir hören wollen. Und eigentlich wollt ich ja auch die Luzia besuchen und net Sie«, fügte er, kühner geworden, hinzu.

»Auch noch frech werden, wie? Wir san hier unter meinem Dach, merk dir das, du herausgeputzter Lackel …«

»Aber Eschingerbauer!«

Regula hatte ebenfalls die Küche verlassen und machte Anstalten, mäßigend in das Geschehen einzugreifen. Als Donat sie erblickte, verfärbte er sich, und sein Zorn schien sich noch zu steigern.

»Ich lass mir net sagen, was ich zu tun hab. Noch bin ich net so weit!«

Die Zornesader klopfte Unheil verkündend an seiner Schläfe.

»Also, nimm dein Grünzeug und scher dich davon. Und lass es dir net einfallen, hier noch ein einziges Mal aufzutauchen, sonst hetz ich den Hund auf dich.«

Wären nicht alle so erregt gewesen, so wäre ihnen aufgefallen, dass die Szene nicht einer gewissen Komik entbehrte, denn es hatte noch nie einen Hund auf dem Eschingerhof gegeben.

Eschinger riss seiner fassungslosen Tochter die Blumen aus der Hand und schleuderte sie wie ein Geschoss dem jungen Mann zu, der erschrocken rückwärts taumelte.

»So geht das doch net …« Regula unternahm erneut einen neuen Versuch, sich Gehör zu verschaffen, doch vergebens, Donat Eschinger war taub gegen die Stimme der Vernunft.

Stattdessen warf er ihr einen wütenden Blick zu und begann, Franz in Richtung Tür zu drängen.

»Franz, halt ein andermal«, rief Luzia.

»Ist recht, wir sehn uns«, gab Franz Hofinger zurück und trat den Rückzug an.

»Da hast dich fei geschnitten«, schrie Eschinger ihm ergrimmt nach, doch Franz hatte schon seinen Wagen bestiegen und fuhr mit aufröhrendem Motor davon.

»Angeber«, knurrte Donat Eschinger verächtlich.

Dann erst wandte er sich den beiden Frauen zu, die schweigend nebeneinander im Flur standen.

»Das haben Sie richtig gut gemacht. Ganz der besorgte Vater«, sagte Regula spöttisch.

»Sagen Sie mir net, was ich tun soll. Ich will meine Luzia vor so einem beschützen, so ist das!«

»Die Luzia ist erwachsen und soll selbst über ihr Leben entscheiden. Oder haben Sie kein Vertrauen in sie?«, gab Regula nicht minder heftig zurück.

»Wie können Sie das verstehen. Sie haben ja keine Kinder«, herrschte er sie an.

Regula zuckte zurück, als wäre sie geschlagen worden, ihre Augen sprühten.

»Vater, was fällt dir ein! Wie kannst du so etwas sagen, schamst dich net?«

Die vorwurfsvolle Stimme seiner Tochter schien Eschinger zur Besinnung zu bringen, und ihm kam zu Bewusstsein, wie sehr er Regula verletzt haben musste.

»Es tut mir leid, ich hab das net so gemeint. Ich war halt außer mir und hab nimmer gewusst …«

Donat Eschinger verstummte reuevoll unter dem kalten Blick der jungen Frau.

»Ich werd dann wohl besser gehen. Und Luzia«, fuhr sie, an das Mädchen gewandt, fort, »wir treffen uns in Zukunft lieber bei mir, oder wir unternehmen etwas miteinander.«

Regula verließ mit harten Schritten das Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

»Da siehst, was du angerichtet hast, Vater!« Luzia brach in ein lautes Weinen aus.

»Der Hofinger taugt fei nichts. Ein Raufbold ist er, ein nichtsnutziger …«

»Mir geht es doch net um den Hofinger, der kann mir gestohlen bleiben. Die Regula hast aus dem Haus gegrault. Was hast dir nur dabei gedacht?«

»Du machst dir also nichts aus dem Hofinger«, stellte Eschinger sichtlich befriedigt fest.

»Nein. Aber trotzdem find ich es net Recht, dass du jemand, der mich besuchen will, im Flur abfertigst, ohne mir Bescheid zu sagen. Und wie du mit ihm umgegangen bist, da hast auch keinen Grund, stolz drauf zu sein, Vater.«

»Ich werd mich bei der Regula entschuldigen«, gab Eschinger klein bei, so erleichtert war er darüber, dass seine Tochter Franz Hofinger nicht mochte.

»Das ist ja wohl das Mindeste.«

Mehr sagte Luzia nicht, ehe sie wieder in der Küche verschwand, wo sie in ihrem Kummer mehr Glühwein trank, als gut für sie war. Eschinger kehrte in die Stube zurück und grübelte düster darüber nach, wie er Regula wieder versöhnlich stimmen konnte. Natürlich nur seiner Tochter zuliebe, die eigenartigerweise so eine große Zuneigung zu der energischen jungen Frau gefasst hatte.

Niemals hätte er zugegeben, dass er Regula vermissen würde, obwohl er sie bei seinen Besuchen kaum zu Gesicht bekam. Aber irgendwie hatte es eine seltsam tröstende Wirkung auf ihn, wenn er sie auf dem Eschingerhof wusste.

***

»Ein schönes Kindl hast du da, Steffi. Darf ich es amal halten?«

»Ja, pass auf das Köpfchen auf, so.«

Luzia nahm vorsichtig das Neugeborene von ihrer Freundin entgegen und hielt es dann nach ihrer Anweisung. Ein Gefühl überwältigender Zärtlichkeit für das rosige kleine Wesen in ihren Armen überkam sie, und sie wiegte den kleinen Jungen liebevoll.

»So ein Buberl hätte ich auch amal gern. Freut sich der Korbinian denn auch?«

»Ganz aus dem Häusl ist er, mein Korbinian. Und seine Eltern erst! Sie waren recht alt, als sie den Korbinian bekommen haben, und hatten schon befürchtet, nimmer zu erleben, dass ein Enkel das Licht der Welt erblickt.«

Steffi Murner, wie sie jetzt hieß, lachte auf.

Sie war noch etwas blass von der anstrengenden Geburt, aber ihre Augen leuchteten, und Luzia fand, dass die Freundin hübscher war als je zuvor.

»So seid’s glücklich miteinand, du und der Korbinian. Der Vater meint immer …«, Luzia verstummte und errötete.

»Ich weiß schon, was manche denken, dass wir zu früh geheiratet haben. Aber wir verstehen uns so gut, dass unsere Ehe das Wichtigste auf der Welt für uns ist. Und das Kindl hat uns noch mehr verbunden.«

Steffis Miene war ernst geworden, sie nahm das Kind wieder entgegen und bettete es behutsam auf die Kissen der alten Familienwiege, wo es selig weiterschlief.

»So soll’s auch sein.«

Die beiden Freundinnen schwiegen und verließen leise die Schlafkammer, um sich in der Stube an den üppig gedeckten Kaffeetisch zu setzen und ausgiebig zu schwatzen. Es war das erste Mal, dass Luzia Steffi nach der Geburt ihres Kindes besuchte, und sie war erleichtert, die junge Mutter so glücklich und ausgeglichen vorzufinden.

»Wann soll der Kleine denn getauft werden? Oder willst noch eine Weile damit warten?«, fragte Luzia, nachdem Steffi den frisch aufgebrühten Kaffee hereingebracht hatte.

»Nein, wir haben schon alles mit Pfarrer Baumann abgesprochen. Er wird unseren kleinen Thomas demnächst taufen. Und jetzt kommst du ins Spiel, Luzia.«

»Was meinst du damit?«

»Das Kindl braucht doch Taufpaten. Und der Korbi und ich haben beschlossen, dass ich meine beste Freundin und er seinen besten Freund dafür aussuchen …«

»Ich darf wirklich Patin für den Kleinen werden?«, fiel Luzia ihr ungläubig ins Wort. »Du kannst dir gar net vorstellen, was für eine Freude du mir damit machst.«

»Keiner hätt das mehr verdient als du«, sagte Steffi mit Wärme. »Du hast immer zu mir gehalten und mich verteidigt. Die anderen haben immer auf mich herabgeschaut, weil es bei uns zu Haus eben ärmlich zugeht. Und als ich den Korbi geheiratet hab, sans alle neidisch gewesen und haben behauptet, ich hätt ihn nur wegen des Geldes genommen. Nur du net, du hast mir mein Glück gegönnt.«

»Von ganzem Herzen, Steffi. Und ich werd dem kleinen Thomas eine gute Patin sein, mit allem, was dazugehört, da kannst dich darauf verlassen.«

»Das glaub ich wohl, so wie ich dich kenn.«

»Wollt ihr die Taufe hier auf dem Reiterhof feiern oder im Gasthof?«

»Hier ist mehr Platz. Wir können im Hof oder bei schlechtem Wetter in der Tenne Tische und Stühle aufstellen und zum Tanz aufspielen. Die Familie vom Korbinian ist weit verzweigt, und sie haben viele Freunde und Bekannte. So können wenigstens auch die Kinder – und davon gibt’s genug, kann ich dir sagen – herumtoben. Es soll ja vor allem ein Familienfest werden.«

»Ich helf dir gern bei den Vorbereitungen, das wird ja bestimmt viel Arbeit«, bot ihr Luzia an.

»Meine Schwiegerleut und der Korbinian haben sich schon darauf gestürzt, was mir ganz recht ist. Und du bist ja zu Haus genug eingespannt durch deinen Vater, oder?«

»Es geht ihm wieder gut, und er wirtschaftet wieder herum, als ob nichts gewesen wär. Du weißt gar net, wie froh ich darüber bin. Und ohne die Regula hätt er sich nie wieder so erholt.«

»Das war eine schwere Zeit für dich«, sagte Steffi voller Mitgefühl und strich ihr kurz über den Arm.

»Und der andere Pate, kenn ich den?«, fragte Luzia, nachdem Steffi noch eine Kanne Kaffee geholt hatte.

Steffi schüttelte den Kopf.

»Das glaub ich kaum. Er ist zwar aus Waldbach, hat aber einige Zeit im Ausland gearbeitet. Aber der Korbi und er haben sich immer geschrieben und die Verbindung nie abreißen lassen. Jetzt ist er wieder hier und hat das Gütl seiner Eltern übernommen. Das organisiert er zu einem modernen Öko-Betrieb um, sehr zum Ärger der hiesigen Bauern, diesen sturen Dickschädeln.«

»Meinem Vater tät das auch net gefallen. Er hält das immer für überspannt.«

Die beiden jungen Frauen rückten näher zusammen, und Steffi sagte mit weicher Stimme, wie glücklich Korbinian sie gemacht habe, und wie erfüllend die Ehe für sie sei.

»Viele sagen, dass ich mich um meine Jugend gebracht hätt. Aber ich vermiss meine Freiheit net und auch net die ganzen oft kindischen Vergnügungen. Wir werden hart arbeiten müssen, der Korbi und ich, und die Kinder werden auch net von allein groß, aber wir haben einander und wissen, wo wir hingehören. Was kann man mehr vom Leben verlangen?«

»Du hast Glück mit dem Korbinian gehabt.«

»Ja. Und wie steht es bei dir? Hast dir immer noch keinen Schatz ausgeschaut? Dem Hofinger-Franz hast doch gut gefallen, oder?«, fragte Steffi.

»Nein, der Franz ist net der Richtige, ganz davon abgesehen, was sich zwischen ihm und meinem Vater abgespielt hat. Die beiden mögen sich halt net, daran ist nichts zu ändern.«

»Dein Vater muss ihn ja net nehmen.«

Luzia lachte hell auf.

Das Gespräch wandte sich nun Alltäglichem zu, zuletzt dem Dorfklatsch, es hieß, dass der Riedstetter-Toni vorhatte, eine Münchnerin zu heiraten.

»Das arme Madl«, meinte Steffi, »die ist doch was ganz anderes gewöhnt als unser Dorf.«

»Warum sollt es ihr net auf dem Land gefallen? Und der Toni ist halt ein fescher Bursch.«

Steffi schnaubte.

»Fesch schon, aber halt auch ein rechter Schürzenjäger. Und ich kann mir net vorstellen, dass die Riedstetters glücklich darüber sind, dass sie eine Städterin zur Schwiegertochter bekommen.

»Es wird sich zeigen«, meinte Luzia unbestimmt und sah auf ihre Armbanduhr.

»Jessas, die Zeit ist vergangen wie im Flug. Aber schön ist’s bei dir, und ich freu mich schon auf das Tauffest.«

Die Freundinnen umarmten sich und vereinbarten ihr nächstes Treffen, um dann Einzelheiten, was Kleidung und Blumenschmuck betraf, zu besprechen.

Luzia war auf dem Heimweg etwas wehmütig zumute. Sie gönnte der Freundin ihr Glück, aber obwohl sie sich nach wie vor so gut verstanden, spürte sie doch, dass Steffi sich irgendwie von ihr entfernt hatte.

Ihr Ehemann, das Kind, sie waren nun an erste Stelle gerückt, das unbeschwerte junge Mädchen von einst, mit dem Luzia all ihre kleinen Geheimnisse ausgetauscht hatte, gehörte nun endgültig der Vergangenheit an.

Aber so musste es wohl sein, ging es Luzia traurig durch den Sinn, wenn ein völlig neuer Lebensabschnitt begann.

***

»Ich bin froh, dass es doch net regnet, wie sie es eigentlich vorhergesagt haben. Es ist viel schöner, heraußen zu sitzen, und mehr Platz zum Tanzen ist auch da. Aber sag amal, Luzia, du hörst mir ja überhaupt net zu …«, brach Steffi leicht gekränkt ab.

Luzia schrak zusammen, fing sich aber rasch wieder.

»Ich war abgelenkt, tut mir leid. Die Kinder sind ja ganz außer Rand und Band.«

»So, die Kinder«, wiederholte Steffi. »Du bist schon seit heut Morgen so abwesend, seit der Taufe, genau genommen. Und sag jetzt net, dass dich das so ergriffen hat.«

»Doch, hat es. Aber ein bisserl durcheinander bin ich heut schon, da hast recht.«

Steffi wollte gerade eine spöttische Bemerkung machen, biss sich aber auf die Lippen. Luzia sah so verletzlich und einsam aus.

»Aber fesch schaust aus heut, Luzia, du wirst einfach immer hübscher«, sagte sie stattdessen neidlos.

Luzia umfasste lachend die Freundin.

»Du kannst dich aber auch net beklagen. Der Korbinian hat dich mit den Augen verschlungen. Dort drüben hält er übrigens schon ganz sehnsüchtig nach dir Ausschau.«

Steffi errötete und eilte mit wehenden Röcken zu ihrem Mann hinüber, dann sah das junge Elternpaar etwas besorgt nach ihrem kleinen Sohn, der gerade herumgereicht und unter glucksenden Lauten begutachtet, geherzt und gekost wurde.

Luzia hätte sich am liebsten in einen stillen Winkel zurückgezogen.

Sie wollte nicht weiterdenken, sich gar nicht richtig darüber klar werden, was mit ihr geschehen war, seit jenem Augenblick, als ihr Martin Aichner, der andere Taufpate, gegenübertrat.

Er hatte sie aus seinen hellgrauen Augen lange angeblickt, und das Lächeln, mit dem er sie begrüßt hatte, war aus seinen regelmäßigen Zügen verschwunden. Ein seltsamer Ernst ergriff von beiden Besitz, und schweigend hatten sie sich die Hände gedrückt.

Luzia sah sich verstohlen nach ihm um und erspähte ihn schließlich am Eingang zur Scheune, wo ein Mädchen kichernd auf ihn einsprach und versuchte, sich bei ihm einzuhängen. Jähe Eifersucht ergriff Luzia, ein Gefühl, von dem sie immer geglaubt hatte, dass es unter ihrer Würde sei.

Wieder sah sie zu Martin hinüber, der vergeblich versuchte, sich von dem aufdringlichen Mädchen zu lösen. Wie gut er aussah mit seinen dunklen, fast schwarzen Haaren, die so einen bestechenden Gegensatz zu seinen hellen Augen bildeten! Seine schlanke Gestalt kam in dem grauen Lodenanzug voll zur Geltung, und er bewegte sich kraftvoll und geschmeidig.

»Was siehst du denn da drüben so Interessantes?«

Luzia zuckte zusammen, als eine Nachbarin sie ansprach.

»Die Steffi und der Korbinian sind doch ein schönes Paar. Und jetzt noch das Kindl«, gab Luzia forsch zurück.

»Ja, ein bisserl jung halt. Ob das auf die Dauer gut geht?«, meinte die Nachbarin säuerlich und setzte schnell hinzu: »Und dein Vater, ist der net eingeladen?«

»Doch, natürlich. In der Kirche war er ja auch mit dabei. Aber dann wollt er doch lieber nach Haus, er braucht halt immer noch Ruhe«, gab Luzia Auskunft.

Das traf nicht ganz zu, ihr Vater hatte einfach keine Neigung verspürt, mit den anderen zu feiern, so wie immer, seitdem er verwitwet war.

»Umso besser für dich«, meinte die Bäuerin, und wenn sich Luzia nicht täuschte, schwang ein klein wenig Gehässigkeit in ihrem Tonfall mit. Zu Luzias Erleichterung erspähte die Frau ein interessanteres Opfer und entfernte sich fast ohne Verabschiedung.

Währenddessen hatte sie Martin Aichner aus den Augen verloren, offenbar war es ihm geglückt, sich den unerwünschten Aufmerksamkeiten des Mädchens zu entziehen. Langsam ging Luzia hinüber zu der Tenne, sie war zu unruhig, um sich zu den Feiernden, die sich inzwischen an den üppig gedeckten Tischen niedergelassen hatten, zu setzen. Es war ihr auch nicht danach, sich mit jemandem zu unterhalten.

Eine kleine Gruppe von Musikern hatte sich inzwischen aufgestellt, spielte versuchsweise Teile einer Melodie, um sich aufeinander einzustimmen, was natürlich sofort die Aufmerksamkeit der Burschen und Mädchen erregte. Schnell fanden sie sich zu Paaren zusammen und warteten lachend und plaudernd darauf, bis die Musiker endlich bereit waren, zum Tanz aufzuspielen.

Luzia fühlte sich ausgeschlossen, denn jetzt war die Freundin nicht mehr an ihrer Seite, und auch neben Resi Stettner stand ein junger Mann, der sie mit schmachtenden Blicken ansah.

»Eigentlich sollten wir miteinand tanzen, denn als Paten gehören wir irgendwie zusammen«, erklang unvermittelt eine warme Stimme an ihrem Ohr, und sie fuhr herum.

Martin Aichner lächelte sie an, und Luzia spürte zu ihrer größten Verlegenheit, wie ihr eine heiße Röte ins Gesicht stieg.

»Warum nicht«, stieß sie ungeschickt hervor.

Er legte leicht den Arm um sie und geleitete sie ein Stück weiter in die Tenne, die bunt geschmückt war. Die Musikanten stimmten einen lebhaften Walzer an, der wunderbar zu der ausgelassenen Stimmung passte.

Martin zog Luzia mit einer selbstverständlichen Geste an sich – und dieses Mal war alles ganz anders. Es war, als ahne sie jeden seiner Schritte voraus und als könne sie sich jeder seiner Bewegungen anpassen. In vollständiger Harmonie glitten sie dahin, und Luzia hätte am liebsten die Augen geschlossen, um sich ganz diesem Schweben zu überlassen.

Martin schien es ähnlich zu ergehen. Anfangs hatte er ein Gespräch mit ihr beginnen wollen, doch dann verstummte er und gab sich ganz dem Tanz hin und zog sie ein wenig, jedoch nicht zu eng, an sich.

»Du tanzt sehr gut«, sagte er schließlich, als der Walzer ausgeklungen war, mit heiserer Stimme. Plötzlich schien er seine Selbstbeherrschung eingebüßt zu haben.

In stillschweigendem Einvernehmen tanzten sie miteinander, bis die Musiker ihre Instrumente niederlegten und nach einer Pause verlangten, um sich mit Bier, Weißwürsten und großen Brezen zu stärken.

»Komm, wir essen und trinken auch etwas, wenn du magst«, schlug Martin vor, und sie setzten sich an einen Tisch, der ein wenig abseits stand. Die Würste, das Geselchte, die Semmeln – alles schmeckte wunderbar, doch Luzia brachte kaum einen Bissen hinunter. Auch Martin zeigte keinen besonderen Appetit, er trank genau wie Luzia nur wenig von seinem Bier, als sei ihm daran gelegen, jeden Augenblick klar und unverfälscht zu erleben.

Schließlich stellte Luzia ihm einige Fragen über seinen Auslandsaufenthalt, und er begann zu erzählen, erst stockend, dann immer anschaulicher. Er berichtete von unglaublichen Weiten der Landschaft in Australien. Auch das karge Leben auf der abgelegenen Farm ließ er lebendig vor ihren Augen erstehen, die glühende Hitze des Sommers, die alles zu versengen und den Menschen das Mark aus den Knochen zu saugen schien.