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Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!
Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 247 - Immer nur an zweiter Stelle
Alpengold 248 - Die heimliche Liebe der jungen Witwe
Der Bergdoktor 1835 - Der letzte Wunsch auf ihrer Liste
Der Bergdoktor 1836 - Amors Pfeil saß viel zu tief
Das Berghotel 176 - Die Sache mit der Liebe
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 601
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2016/2017/2018 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Shutterstock AI
ISBN: 978-3-7517-8622-5
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Alpengold 247
Immer nur an zweiter Stelle
Alpengold 248
Die heimliche Liebe der jungen Witwe
Der Bergdoktor 1835
Der letzte Wunsch auf ihrer Liste
Der Bergdoktor 1836
Amors Pfeil saß viel zu tief
Das Berghotel 176
Die Sache mit der Liebe
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Contents
Immer nur an zweiter Stelle
Ergreifender Heimatroman um ein Madel, das den Glauben an die Liebe verlor
Von Rosi Wallner
Gerührt hört Veronika Urlacher, wie sich ihr Bruder und ihre Schwägerin vor dem Altar ewige Liebe und Treue schwören. Ja, sie gönnt den beiden ihr Glück von Herzen, auch wenn sie selbst nicht mehr an die Liebe glauben kann. Seitdem ihr Verlobter mit einer Urlauberin durchgebrannt ist, zieht sich ein tiefer Riss durch Veronikas Herz. Um ihr Leben dennoch nicht allein zu verbringen, lässt sie sich schließlich auf eine Beziehung mit Jakob Waldegger ein.
Jakob ist ein streng gläubiger Mann, der sein Leben am liebsten in den Dienst der Kirche stellen würde. Doch der Bauer fühlt sich verpflichtet, eine Familie zu gründen, um für den Fortbestand der Waldeggers zu sorgen. Obwohl Veronika und Jakob eher freundschaftliche Zuneigung als Liebe und Leidenschaft verbindet, feiern sie schon bald Verlobung. Aber können diese beiden jungen Menschen wirklich glücklich miteinander werden?
»Jesses! Das Kleid passt ja schon wieder nimmer!«
Rosalia Zirner, ihres Zeichens Schneiderin von Niederrainbach, schüttelte den Kopf und seufzte. Ihre bemerkenswerten Fähigkeiten waren weit über das kleine Bergdorf hinaus bekannt, selbst aus der fernen Kreisstadt kamen Kunden, um sich ein Trachtengewand von ihr nähen zu lassen. Doch an dem Brautkleid der Urlacher-Barbara schien sie zu scheitern.
»Es ist halt viel zu erledigen vor der Hochzeit, eine rechte Hetz. Und daher hab ich wohl auch wieder abgenommen«, sagte Barbara.
Sie war ein bildhübsches Mädchen mit herzförmigem Gesicht, tiefblauen Augen, die immer zu lachen schienen, und ungebärdigen honigblonden Locken. Alles an ihr schien üppig zu sein – ihre Haare, der Mund und nicht zuletzt ihre Gestalt. Doch nun hatte sie an Gewicht verloren, und die Taille des im Dirndlstil geschnittenen Brautkleids saß schon wieder zu lose.
»Wenn das enge Mieder und die Taille net passen, dann schaut das furchtbar aus«, bemerkte Rosalie und begann das Oberteil neu abzustecken, obwohl sie nichts mehr hasste als dauernde Änderungen.
»Aber es schadet ja nichts, wenn ich ein bisserl schlanker bin«, meinte Barbara und betrachtete sich in dem hohen Standspiegel.
»Hinterher erkennt dich dein Bräutigam nimmer und führt eine andere zum Altar«, grummelte Rosalia.
Barbara musste hellauf lachen, ein Lachen, das ihren Liebsten immer wieder in Entzücken versetzte.
»Der Tonerl braucht mir bloß in die Augen zu schauen, dann weiß er, wohin er gehört«, sagte sie dann halb im Ernst.
»Das ist recht so. Die meisten Mannsbilder haben ihre Augen nämlich immer woanders«, erklärte Rosalia.
»So einer ist mein Tonerl net. Er tät mir nie untreu werden. Auf den ist Verlass mein ganzes Leben lang.«
Rosalia nickte. »Und es ist auch gut, dass du dich mit deinen Schwiegereltern und der Schwägerin so gut verstehst. Wie viele Ehen gehen daran zugrunde, weil die Familie net mit der Heirat einverstanden ist. Aber bei euch passt halt alles.«
»Die Veronika war von früh an wie eine Schwester für mich, und bei den Urlachers war ich auch immer wie ein Kind im Haus. Der Tonerl hat lang net bemerkt, dass ich erwachsen geworden bin. Da hab ich sogar ein bisserl nachhelfen müssen …«
Rosalie kicherte so, dass ihr grauer Knoten, der unverrückbar auf ihrem Hinterkopf saß, zu zittern begann.
»Gewirkt hat es jedenfalls.«
»Und es ist auch alles abgesprochen, wie es nach der Hochzeit weitergehen soll. Die Veronika ist froh, sich wieder ganz ihrem Hofladen widmen zu können, und die Schwiegerleut ziehen in den Anbau, helfen aber weiterhin mit, wenn es nötig ist.«
»Ist das jetzt auch net zu eng?«, unterbrach Rosalia Barbaras Ausführungen.
»So ist es grad recht.«
»Schad nur, dass die Veronika keinen Schatz hat. Das war ja eine traurige Geschichte damals, und sie ist wohl immer noch net darüber hinweggekommen«, nahm Rosalia den Gesprächsfaden wieder auf.
»Dabei wäre sie so eine gute Hofbäuerin geworden. Und sie wünscht sich so sehr Kinder. Aber die ordentlichen Burschen sind schon vergeben, und die Veronika ist zu bodenständig, um sich woanders umzuschauen. Sie hat sich seitdem auch sehr verändert, mag sich nirgendwo gern blicken lassen.«
Rosalia seufzte mitfühlend.
»Da hat es auch viel Schadenfreude gegeben, dass ausgerechnet die Tochter vom reichsten Bauern kurz vor der Hochzeit von ihrem Bräutigam sitzen lassen worden ist. Und dann auch noch wegen so einem Flitscherl mit gefärbten Haaren und langen roten Krallen! Mit so einer ist er auf und davon.«
»Eine Schande, wirklich eine Schande. Ich darf gar net dran denken«, sagte die sonst so sanftmütige Barbara ergrimmt.
Xaver Reitmayr, der Sohn des Bürgermeisters, war lange mit Veronika Urlacher verlobt gewesen. Vielleicht zu lange, wie viele gefunden hatten. Schließlich war doch das Aufgebot bestellt worden, wahrscheinlich auf das Betreiben der Eltern hin. Doch kurz vor der Hochzeit war Xaver mit einer Touristin aus München verschwunden, ohne auch nur eine Zeile zu hinterlassen oder sich je wieder zu melden.
Danach hatte sich Veronika grundlegend verändert, sie war nicht mehr wiederzuerkennen. Als wäre sie vor der Zeit verblüht, so kam es Barbara manchmal vor. Trotz ihrer Jugend verblasste ihre Schönheit, und es dauerte lange, bis sie wenigstens einen Teil ihrer früheren Lebhaftigkeit wiedererlangt hatte.
»Dabei war sie früher so ein schönes Madel«, sagte Rosalia, »sie hat immer so auf sich gehalten, und jetzt sieht man sie nur noch in Kitteln und Gummistiefeln. Von ihrem wirren Haar will ich erst gar net reden.«
»Sie lebt nur noch für ihren Hofladen und geht nirgendwo mehr hin. In ihrer freien Zeit verkriecht sie sich in ihrer Kammer unter dem Dach. Die ganzen Freundschaften, die sie früher gehabt hat, sind eingeschlafen«, ergänzte Barbara.
»So, jetzt kannst du das Kleid vorsichtig ausziehen. Aber pass auf die Nadeln auf«, wies Rosalia sie an.
»Autsch«, rief Barbara im selben Augenblick.
»Was hab ich dir gesagt?«
Rosalia und Barbara mussten unwillkürlich lachen, dann aber gelang es dem Mädchen, das Kleid über den Kopf zu streifen.
»Schön ist es geworden. Du bist halt eine Meisterin deines Fachs«, sagte Barbara anerkennend und strich liebkosend über den seidigen Stoff.
»Das hört man gern«, erwiderte Rosalie geschmeichelt. »Aber die Veronika muss noch zur Anprobe kommen, schließlich ist sie deine Brautjungfer.«
»Du machst dir keine Vorstellung, wie mühsam es war, sie dazu zu überreden. Sie mag halt keine Festivitäten, wo es unter Umständen auch mal laut und lebhaft zugehen kann. Aber zuletzt hat sie doch eingesehen, dass sie mir den Wunsch net abschlagen kann«, sagte Barbara, und ihre Augen verdunkelten sich in der Erinnerung.
Rosalia war eine entfernte Verwandte der Waldeggers und für Barbara so etwas wie eine Tante, sodass sie sich nicht scheute, auch allzu Familiäres zu berichten. Außerdem konnte sie sich auf die Verschwiegenheit Rosalias verlassen, die es gewohnt war, dass ihre Kundinnen ihr oft Vertrauliches offenbarten.
»Ich fahr jetzt zum Tonerl, und da werde ich der Veronika gleich Bescheid sagen«, versprach Barbara.
Rosalia hatte die bäuerlich breite Stirn gerunzelt, als ob sie angestrengt über etwas nachdenken müsste.
»Gibt es noch etwas?«, fragte Barbara.
»Deine Brüder …«
»Was ist mit denen?«
»Die sind doch auch noch ledig, oder?«
Barbara lachte auf. »Der Jakob ist halt ein rechter Eigenbrötler, das weiß ja ein jeder. Der geborene Hagestolz, wie man das früher genannt hat. Und der Firmin schweift irgendwo herum, um die Welt zu retten, ich kann mich kaum noch erinnern, wie er eigentlich ausschaut. An denen hat keine Frau eine Freud, das kann ich dir sagen.«
Firmin Waldegger hatte Ökologie studiert und sich einer Umweltschutzorganisation angeschlossen. Seine Familie erhielt nur hin und wieder ein spärliches Lebenszeichen von ihm, seit Jahren war er nicht mehr in seinem Heimatort gewesen.
Rosalia murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und trug ihr dann Grüße an die Urlachers auf. Durch die Fensterscheibe ihres kleinen Schneiderladens beobachtete sie, wie die junge Frau in ihren Kleinwagen stieg und davonfuhr.
Der Urlacherhof war etwas außerhalb von Niederrainbach gelegen, und Barbara hielt kurz auf einer Anhöhe an, von der aus sie das Anwesen, das sich in eine Talsenke schmiegte, überblicken konnte.
Das stattliche Wohnhaus bot mit seinen blumengeschmückten Holzbalustraden und der Lüftlmalerei einen beeindruckenden Anblick. Ein großzügiger Anbau schloss sich an, und rechts befanden sich Stallungen und eine große Scheune.
In einem aufgegebenen Wirtschaftsgebäude war der Hofladen untergebracht, der, umgeben von bepflanzten Terrakottatöpfen und großen Körben mit landwirtschaftlichen Produkten dazwischen, ebenfalls eine Augenweide war. Das war Veronikas Reich, dem man ansah, dass die junge Frau mit ganzem Herzen dabei war.
Hinter dem Haus schloss sich ein Garten an, der ebenfalls von Veronika angelegt worden war. Dahinter erstreckte sich eine weitläufige Streuobstwiese, die bis zu dem dunklen Bergwald ging, hinter dem sich die schroffen Felswände des Gebirgsmassivs erhoben, die das enge Hochtal begrenzten.
Barbara fuhr auf den Hofplatz und ging in das Haus, wie immer in dieser Gegend stand die Tür einladend offen. Und Barbara empfand wie schon so lange das Gefühl des Heimkehrens, wann immer sie den Flur betrat. Bereits als Kind hatte sie den Waldegger-Hof als ihr eigentliches Zuhause betrachtet. Hier wurde sie immer freudig empfangen und genoss die Aufmerksamkeit, die einer jüngeren Hoftochter zukommen sollte.
Denn das unterschied sich bei Weitem davon, wie sie von ihrer leiblichen Familie behandelt wurde. Ihre Mutter, die so früh verwitwet war, dass sich Barbara nicht mehr an ihren Vater erinnern konnte, hatte den Hof allein bewirtschaftet und die drei Kinder aufgezogen. Thekla Waldegger war eine strenge Frau, die keine Zeit für Zärtlichkeiten und liebevolle Worte hatte.
Die älteren Brüder, ganz in ihrer eigenen Welt gefangen, hatten ihr kaum Beachtung geschenkt. Und so war es kein Wunder, dass sich Barbara dorthin wandte, wo man ihr aufrichtige Zuneigung entgegenbrachte.
Und so fiel auch heute die Begrüßung sehr herzlich aus.
Resi Urlacher, die Bäuerin, eine rundliche Frau mit freundlichen Zügen, kam ihr entgegengeeilt, und Barbara umarmte sie ganz selbstverständlich. Sie hatte sich sogar angewöhnt, sie »Mutterl« zu nennen, wie es ihre beiden Kinder taten.
»Wie war denn die Anprobe? War die Rosalia zufrieden?«, fragte Resi und strich sich das Haar, das sich um ihre Stirn lockte, zurück.
»Ach, ich hab schon wieder abgenommen«, sagte Barbara.
»Dann ist es gut, dass du rechtzeitig zum Abendbrot gekommen bist, damit du net ganz vom Fleisch fällst.«
Noch ehe sie in die Stube hineingehen konnte, kam Anton Waldegger auf den Flur heraus, und seine Mutter zog sich in die Küche zurück.
»Schatzerl!«
Wie immer tat Barbaras Herz einen freudigen Sprung, wenn er sie in die Arme nahm und küsste. Tonerl war ein großer, stämmiger Mann mit einem sanften Gemüt, was im Gegensatz zu seiner einschüchternden Erscheinung stand. Schon als Kind hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, und dass er nun ihr Mann werden sollte, entschädigte sie für alles, was sie an mütterlicher Fürsorge hatte entbehren müssen.
Dabei war es nicht leicht gewesen, sein Herz zu gewinnen. Nicht, dass er sie als lästig empfunden hätte, aber irgendwie war sie so etwas wie eine jüngere Schwester für ihn gewesen, allzu vertraut, um sich in sie zu verlieben. Selbst als sie zu einem reizvollen Mädchen erblüht war, hatte er ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt.
Veronika hatte sich nach Kräften bemüht, die Vorzüge ihrer Freundin ins rechte Licht zu rücken, doch jeder Versuch war an ihm abgeprallt. Denn sie wünschte sich nichts mehr, als dass Barbara ihre Schwägerin wurde. Doch Tonerl zog lieber mit seinen Spezln herum, hatte hin und wieder ein Gspusi und kümmerte sich wenig darum, was man zu Hause davon hielt.
Dann entschloss sich Barbara dazu, eine Zeitlang nach Norddeutschland zu gehen, um dort ein Praktikum zu absolvieren. Und da erst begann Anton, sie zu vermissen, und erkundigte sich sogar zuletzt bei seiner Schwester nach ihr.
Als Barbara zurückkehrte, war sie eine Fremde für ihn geworden. Sie war nun eine selbstbewusste junge Frau, nicht länger übergewichtig, sondern mit üppigen Formen gesegnet. Außerdem wusste sie sich inzwischen zu kleiden, und die wilden Locken waren durch einen guten Schnitt gebändigt.
Anton war hingerissen, zögerte jedoch. Aber die beiden Mädchen zögerten keineswegs, einen Verehrer zu erfinden, der angeblich Barbara hartnäckig belagerte, sodass sich Anton endlich überwand und Barbara einen Antrag machte. Und das sollte die beste Entscheidung werden, die er bislang in seinem Leben getroffen hatte. Denn er verliebte sich immer leidenschaftlicher in sie und konnte sich seine Zukunft nicht mehr ohne sie vorstellen.
Und so gab er sie auch jetzt nur widerstrebend frei, und gemeinsam betraten sie die Stube, wo schon sein Vater und Veronika an einem großen, runden Tisch, der liebevoll gedeckt war, auf sie warteten. Resi kam mit einer großen Platte, auf der Würstl und Kraut angenehm dufteten, hinter ihnen her.
Auch Korbinian Urlacher begrüßte sie freundlich, Veronika rang sich ein mattes Lächeln ab. Es versetzte Barbara einen Stich zu sehen, wie sehr sich die Freundin vernachlässigte, die einst als das schönste Madel in Niederrainbach gegolten hatte. Inzwischen trug sie nicht nur bei der Arbeit, sondern grundsätzlich dunkle Kittel, die formlos um ihre magere Gestalt hingen. Ihre Züge waren auf seltsame Weise ausdruckslos geworden, und die kastanienbraunen Haare hingen schlaff auf die knochigen Schultern.
Nachdem der erste Hunger gestillt war, berichtete Barbara von der Anprobe, und Tonerl zog sie damit auf, dass sie von der sogenannten »Brautdürre« befallen worden wäre.
»Das kann net sein, Schatzerl. Früher sind die Ehen halt von den Eltern gestiftet worden, und so ein armes Madel ist vor lauter Angst mager geworden, weil es net gewusst hat, was ihm bevorsteht. Aber ich …«
»Ja, bei dir sieht das anders aus. Das ist ein Fall von selbst verschuldetem Unglück«, neckte Toni sie weiter.
»Wenn du so weiterredest, dann verschuldest du auch selbst ein Unglück«, drohte ihm Barbara, aber ihre blauen Augen lachten ihn an, sodass er sie am liebsten wieder an sich gerissen und geküsst hätte.
Dann wandte sich Barbara ihrer Freundin zu.
»Die Rosalia lässt ausrichten, dass du noch mal zur Anprobe kommen sollst. Hoffentlich hast du net auch abgenommen.«
»Das geht fei nimmer«, ließ sich Tonerl vernehmen, wodurch er strafende Blicke sowohl von seiner Liebsten als auch seiner Mutter erntete.
Doch Veronikas Miene blieb gleichmütig.
»Wenn’s halt sein muss.«
Sie hatte kaum einen Bissen gegessen und den Teller bereits weggeschoben. Ihre Mutter hatte es schon lange aufgegeben, ihr deswegen Vorhaltungen zu machen, und bemühte sich, darüber hinwegzugehen. Doch es war ihr deutlich anzumerken, dass ihr der Zustand, in dem sich ihre Tochter befand, in der Seele wehtat.
Auch an dem lebhaften Gespräch, das sich wie üblich am Abendbrottisch entspann, beteiligte sie sich kaum. Es war, als ob sie sich nicht mehr unter ihnen befinden würde und in ihrer eigenen Welt, zu der niemand Zugang hatte, lebte.
Danach entschloss sich das junge Paar zu einem Gang über die Felder, hinaus in die frühlingshafte Natur.
»Viel Zeit hab ich aber nimmer, ich kann der Mutter net die ganze Arbeit überlassen«, sagte Barbara, als sie den holprigen Weg einschlugen, der bis hin zu dem Bergwald führte.
»Du bist doch eigentlich unentbehrlich auf dem Waldegger-Hof. Wie wird sie überhaupt nach unserer Heirat zurechtkommen?«, fragte Tonerl.
Barbara zuckte die Schultern und seufzte.
»Das weiß der Himmel. Sie weigert sich strikt, jemanden einzustellen. Aber wer könnt es ihr auch schon recht machen.«
Barbara war auf dem Waldegger-Hof für die Hauswirtschaft und den großen Garten zuständig, während die Mutter Jakob bei der Stallarbeit half und sich um die Geflügelzucht, die ebenfalls auf dem Hof betrieben wurde, kümmerte. Eine große Arbeitslast, die ohne fremde Hilfskräfte bewältigt wurde, höchstens im Sommer wurde hin und wieder ein Erntehelfer verpflichtet. Dazu kam, dass Thekla Waldegger der Ruf vorauseilte, eine rechte Giftwurzen zu sein, sodass sich wohl niemand bereitfinden würde, für sie zu arbeiten.
»Dein Bruder müsst endlich heiraten. Er geht doch schon auf die dreißig zu, da ist es wahrhaftig an der Zeit, dass er sich eine Bäuerin sucht. Und er will doch auch sicher Nachkommenschaft haben …«
»Da hast du natürlich völlig recht«, fiel ihm Barbara ins Wort. »Aber du kennst doch den Jakob. Er geht gern in die Kirche, aber ich kann mir einfach net vorstellen, dass er jemals mit einem Madel zum Altar geht. Er ist ja noch jung, und trotzdem hält man ihn schon für einen verschrobenen Sonderling. Und dann die Schwiegermutter dazu, darauf tät jede gern verzichten, da bin ich gewiss.«
»Also, ich komm mit deiner Mutter aus«, wandte Tonerl ein.
»Ja, du Schwiegermuttertraum. Du bist halt so, wie sie sich ihre Söhne gewünscht hat«, erwiderte Barbara etwas spitz.
Tonerl lachte und schlang den Arm um sie.
»Das wirst du mir aber net grad übel nehmen. Schließlich bin ich ja auch dein Jungmädchentraum, oder?«
»Damals muss ich verwirrt gewesen sein«, kicherte sie, und dann küssten sie sich innig.
Später, auf der Heimfahrt, dachte Barbara an ihren älteren Bruder Jakob. Für die Gebirgler musste er versponnen erscheinen, denn er war von geradezu übertriebener Frömmigkeit. Oft hatte sie das Empfinden, dass er vor den Erfordernissen des Alltags geradezu in die Kirche flüchtete.
Außerdem unterhielt Jakob eine enge Freundschaft mit dem Abt des nahe gelegenen Klosters, anstatt am Vereinsleben teilzunehmen oder zum Stammtisch zu gehen. Das hatte dazu geführt, dass er aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen war, obwohl man ihn als tüchtigen Bauern achtete.
Barbara liebte ihren Bruder, denn er war achtsam mit allem, was er tat, und sein Lebenswandel war vorbildlich. Sie hätte ihm gewünscht, dass er eine Frau kennenlernte, in die er sich verliebte, sodass er auch ein irdisches Glück fand.
Aber noch war nicht aller Tage Abend …
***
»Was für ein schöner Tag! So hab ich mir die Hochzeit für meine Veronika gewünscht«, sagte Thekla gefühlvoll zu Resi, was sonst so gar nicht ihre Art war.
Die beiden Frauen hatten sich zusammengefunden und saßen etwas gesondert von den anderen Hochzeitsgästen am Ende der langen Festtafel, die auf dem Hofplatz der Urlachers aufgestellt war.
»Wir haben auch Glück mit dem Wetter gehabt, richtiges Kaiserwetter. Aber am wichtigsten ist, dass die beiden, die Barbara und der Tonerl, so glücklich miteinander sind. Sie passen wirklich gut zueinander«, erwiderte Resi mit Wärme.
Trotz ihrer Wesensunterschiede waren die beiden Frauen immer gut miteinander ausgekommen, denn Resis freundliche, versöhnliche Art erstickte jede Verstimmung sofort im Keim. Und heute schien sich auch Theklas verhärtetes Herz nicht so zu verschließen wie sonst.
»Ich bin auch sehr dankbar, dass die Barbara von euch so gut aufgenommen worden ist. Ich hätt mir keine bessere Familie vorstellen können, in die sie einheiratet. Und der Tonerl ist mir lieb wie ein eigener Sohn.«
Dass so etwas jemals über die spröden Lippen der Waldegger-Bäuerin kommen würde, bewegte Resi zutiefst, und sie griff nach Theklas Hand.
»Genauso lieb war mir immer die Barbara, als hätte ich noch eine Tochter.«
Damit war alles gesagt, und die beiden Frauen beobachteten die Feiernden. Korbinian Urlacher und der Bräutigam schenkten im Wechsel Bier und Wein aus, und selbst Hochwürden, der einen guten Tropfen zu schätzen wusste, wirkte etwas erhitzt. Auch Bürgermeister Reitmayr hatte mit seiner Gattin hergefunden, obwohl sein Sohn bei den Urlachers wie in Niederrainbach überhaupt in Ungnade gefallen war.
Es verstand sich natürlich von selbst, dass die Nachbarn, die Freunde und etliche entfernte Verwandte eingeladen worden waren.
Darunter befand sich auch Rosalia, die zum Erstaunen aller mit einem verwitweten Nachbarn schäkerte und hin und wieder schrill auflachte. Einmal, und das entging den scharfen Augen der Mütter keineswegs, auch wenn sie kein Wort darüber verloren, verschwand das Brautpaar hinter der Scheune und tauchte erst nach geraumer Zeit erhitzt und kichernd wieder auf.
Veronika saß still und mit leerem Blick zwischen Barbaras Freundinnen, die früher auch einmal ihre gewesen waren, und ihre Mutter unterdrückte einen Seufzer. Dabei sah sie in dem zartgrünen Seidendirndl, bei dem sich Rosalia alle Mühe gegeben hatte und das so gut zu ihrem kastanienbraunen Haar passte, reizend aus. Aber mit ihren Gedanken schien Veronika weit weg zu sein.
»Wo ist eigentlich der Jakob?«, unterbrach Resi schließlich das Schweigen und sah sich suchend um.
»Der ist schon früher gegangen«, erwiderte Thekla kurz.
»Ach so.«
»Es ist ein Kreuz mit meinen zwei Buben. Der Firmin reist in der Weltgeschichte umher und hat es net für nötig gehalten, zur Hochzeit seiner Schwester zu kommen. Noch net amal ein Geschenk oder wenigstens eine Karte hat er geschickt. Und der Jakob, der wird immer eigenbrötlerischer, so als wären ihm alle anderen Menschen zutiefst zuwider. Wie hab ich das nur verdient«, brach es unvermittelt aus Thekla hervor.
»So ist es halt – große Kinder, große Sorgen. Schau dir meine Veronika an, mir geht es keinen Deut besser. Vielleicht tät alles anders werden, wenn der Jakob heiraten tät, so etwas hat schon Wunder gewirkt«, erwiderte Resi.
»Heiraten muss er eh, der Hof braucht einen Erben«, sagte Thekla nüchtern. »Nur wie kann er eine finden, wenn er net unter die Leut geht?«
»Weißt du was? In früheren Zeiten haben da auch die Eltern nachgeholfen, und das war fei net das Schlechteste. Was meinst du?«
»Schon. Aber heutzutage lassen sich die jungen Leut halt überhaupt nichts mehr sagen«, wandte Thekla ein.
Das Gespräch der beiden Bäuerinnen wurde dadurch unterbrochen, dass vor der Scheune eine gewisse Unruhe entstand. Die Musikanten, die zum Hochzeitstanz aufspielen sollten, was von den jungen Leuten sehnlichst erwartet wurde, nahmen Aufstellung und stimmten ihre Instrumente.
Die Burschen und Mädchen bildeten einen Kreis um das Brautpaar, auch Veronika war aufgestanden und hatte sich zu ihnen gesellt, vor allem, weil sie nicht als einziges Mädchen am Tisch zurückbleiben wollte. Es gab viel Getuschel und Gelächter, doch als ein langsamer Walzer erklang, verstummten alle.
Anton Urlacher hielt seine schöne Braut, die zu leuchten schien, liebevoll umfangen, und so wie ihre Herzen im Einklang miteinander waren, so waren es auch ihre Bewegungen, als sie tanzten. Zärtlich sahen sie sich an, alles schien um sie zu versinken, und jeder konnte erkennen, dass sich zwei Menschen gefunden hatten, die sich aufrichtig liebten.
Resi waren die Tränen in die Augen gestiegen, denn ihre Gedanken kehrten in die Vergangenheit zurück. So wie ihr Sohn seine Barbara heute hatte einst auch ihr geliebter Korbinian sie beim Brauttanz in den Armen gehalten. Wie glücklich sie damals gewesen war!
Sie sah hinüber zu ihrem Mann, und sie spürte, dass sie ihn immer noch so liebte wie damals, vielleicht sogar noch mehr, auf eine andere, tiefere Weise. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er kam lächelnd auf sie zu und setzte sich neben sie.
»Mögen unsere Kinder miteinander glücklich werden«, sagte er leise und innig.
Theklas Gesicht, das vor Trauer um ihren verstorbenen Mann überschattet war, hellte sich bei seinen Worten auf. Denn auch sie hatte sich Erinnerungen an ihre Ehe hingegeben, der ein grausames Schicksal so früh ein Ende gesetzt hatte. Doch nun standen ihre Kinder im Vordergrund, und wenigstens Barbara stand am Beginn einer Ehe, die glücklich zu werden versprach.
Die Musik verstummte, und erwartungsvolle Stille breitete sich aus. Mit einem Jauchzer warf Barbara den Brautstrauß in hohem Bogen mitten unter die Umstehenden. Und wie es der Zufall wollte, war es Veronika, die das kunstvolle Gebinde auffing. Doch sie sah es nur kurz mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an und schleuderte es dann von sich, als hätte sie etwas Widerwärtiges berührt.
Es gab einen Aufschrei der Empörung, als der Strauß auf dem Hofplatz in den Staub fiel. Keines der Mädchen wollte ihn mehr aufheben, doch Korbinian Urlacher erhob sich rasch und trug ihn ins Haus. Dann sah er sich nach seiner Tochter um, aber Veronika war verschwunden.
Die Musik setzte wieder ein, auch das Brautpaar tanzte wieder und ließ sich keinen Unmut über diesen Zwischenfall anmerken.
Doch ihre Mutter war außer sich.
»Wie hat sie so etwas tun können! Ihrem Bruder so das Hochzeitsfest zu verderben. Das werde ich ihr nie verzeihen!«
Ihr Mann, der sofort wieder zu den beiden Frauen zurückgekehrt war, versuchte Resi zu begütigen.
»Du weißt ja, dass sie immer noch net darüber hinweggekommen ist, dass der Xaver sie so elend hat sitzen lassen …«
»Ja, aber erstens ist das schon einige Zeit her, und zweitens hat sie net das Recht, andere dafür büßen zu lassen«, fiel sie ihm aufgebracht ins Wort.
»Das stimmt schon. Aber jetzt beruhig sich, Reserl, die Barbara und der Tonerl nehmen es ja auch net tragisch, oder?«
Resi sah zu dem Brautpaar hinüber, das den Vorfall tatsächlich schon aus dem Gedächtnis gestrichen zu haben schien. Tonerl flüsterte Barbara etwas ins Ohr, war sie errötend auflachen ließ. Die beiden waren so glücklich, dass ihnen nichts diesen wunderbaren Tag verderben konnte.
Langsam gewann Resi ihre Fassung zurück, auch Thekla, die einen Augenblick wie erstarrt neben ihr gesessen hatte, entspannte sich wieder. Als die Musikanten schließlich eine Pause einlegten, wandte sich Korbinian seinen Gastgeberpflichten zu, und die beiden Frauen blieben sich selbst überlassen.
»Die Veronika sollt heiraten, genau wie mein Jakob«, durchbrach Thekla schließlich das Schweigen.
»Das ist ja das Unglück. Sie wünscht sich nichts mehr als eine große Familie, und als sie und der Xaver sich verlobt haben, hat sie geglaubt, am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Was dann gekommen ist, weißt du ja. Aber sie findet einfach keinen passenden Mann, und sie ist auch so verbittert, dass sie net grad anziehend wirkt. Wer will schon eine haben, die sich schon jetzt wie eine verbiesterte alte Jungfer aufführt?«
»Manche Leut muss man halt zu ihrem Glück zwingen«, meinte Thekla, »da tät ich nichts unversucht lassen.«
»Dein Jakob ist doch ein tüchtiger, gut aussehender Bursch, der nie über die Stränge geschlagen hat«, bemerkte Resi mit gespielter Beiläufigkeit.
»Und eine Schwiegertochter wie deine Veronika wär mir mehr als willkommen. Der Jakob ist weltfern und unerfahren, ich hab immer Angst, dass er eine ins Haus bringt, die es nur auf den Hof abgesehen hat und net zur Bäuerin taugt.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Resi.
Die beiden Frauen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Als Korbinian wieder zu ihnen zurückkehrte, fand er sie mit sehr zufriedenen Mienen vor, und der Zwischenfall mit dem verschmähten Brautstrauß schien zu seiner Erleichterung vergessen.
Und so klang das Hochzeitsfest harmonisch aus. Bis nach Mitternacht wurde getanzt, zarte Bande wurden geknüpft, und manchen sollte dieser bedeutungsvolle Tag für immer in Erinnerung bleiben.
***
Das junge Paar brach zu einer kurzen Hochzeitsreise auf, denn lange wollten die beiden den Hof nicht im Stich lassen.
Resi und Korbinian, nun die Altbauern, obwohl sie sich keineswegs so fühlten, waren damit beschäftigt, Kleidung und Hausrat in den Anbau zu schaffen, einige Schränke waren bereits vor der Hochzeit hinübergetragen worden. Die meisten Möbelstücke aber waren neu erstanden, denn die altehrwürdige Einrichtung der Stube sollte erhalten bleiben und unverändert an die Jungbauern übergeben werden.
Auch Veronika hatte ihre geliebte Dachkammer geräumt, sehr widerwillig, wie sie sich eingestand. Sie verfügte jetzt über einen größeren Raum im rückwärtigen Teil des Anbaus, wie es vereinbart worden war. Doch ihre Kammer war anheimelnder gewesen, außerdem hatte sie vom Fenster aus eine wunderbare Aussicht über das Gebirgstal gehabt. Wenigstens hatte sie hier noch den Blick über die Wiesen, versuchte sie sich zu trösten.
Doch sie verspürte eine wachsende Unzufriedenheit mit ihrem ganzen Leben. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, selbst Hofbäuerin zu werden oder wenigstens eine große Familie zu haben. Obwohl sie weiterhin den Hofladen selbsttätig betreiben würde, sah es so aus, als würde sie für alle Zeit eine Art Anhängsel bleiben. Höchstens gut genug, um später einmal die Nichten und Neffen zu hüten, doch ohne eigene Kinder.
Diese Vorstellung konnte sie nur schwer ertragen.
Veronika ließ sich auf ihr Sofa sinken, für das sie noch keinen rechten Platz gefunden hatte, und grübelte vor sich hin. Sie schrak erst auf, als ihre Mutter nach kurzem Anklopfen ihr Zimmer betrat.
Resi ließ sich neben sie niedersinken und schien nach Worten zu suchen.
»Es tut mit leid, dass ich den Hochzeitsstrauß …«
Veronika wurde von ihrer Mutter mit einer abwehrenden Bewegung unterbrochen.
»Das ist schon vergeben und vergessen. Ich sorg mich um etwas ganz anderes.«
»So?«
»Ja, Veronika. Du warst immer so ein schönes, fröhliches Mädchen, aber jetzt bist du so unglücklich. Irgendwie scheint dir dein Leben aus den Händen zu gleiten, obwohl du so tüchtig bist. Aber der Hofladen genügt dir halt net. Ich weiß ja, dass du dir immer gewünscht hast, Hofbäuerin zu werden und viele Kinder zu haben. Schon als Kind hast du das immer gesagt, das ist mir noch gut in Erinnerung. Und daran hat sich wohl nichts geändert, oder?«
Veronika nickte wortlos, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Deine große Liebe hast du verloren, der Xaver war eh nichts wert. Aber, wie man so sagt, Ehen werden auf Erden geschlossen, net im Himmel. Und wenn du einen zuverlässigen Mann finden tätst, der dich gut behandelt und die Kinder auch, würdest du den dann heiraten? Es kommt halt immer darauf an, was man aus einer Ehe macht. Viele haben schon himmelhoch jauchzend verliebt geheiratet und konnten dann ihr Glück net halten, weil sie sich net drum bemüht haben«, schloss ihre Mutter nachdrücklich.
»Ich tät einen Mann, den ich achten könnt, schon nehmen. Aber wie soll ich hier einen solchen finden?«
»Da hast du dich net richtig umgeschaut. Der Waldegger-Jakob hat sich doch wirklich zu einem gut aussehenden Mannsbild entwickelt. Und tüchtig und zuverlässig ist er auch. Und du könntest Hofbäuerin auf dem Waldegger-Hof werden …«
»Aber er ist ein Frömmler und an Madeln überhaupt net interessiert«, stieß Veronika voller Abwehr hervor.
»Er ist gläubig, warum soll das so unrecht sein? Und man kann ihm net nachsagen, dass er ein Heuchler ist, er lebt seinen Glauben. Und wenn er sich in dich verliebt, kann sich so manches ändern.«
Veronika errötete leicht.
»Und bevor du dich gegen ihn sperrst, solltest du ihn erst mal kennenlernen, dann kannst du ihn beurteilen und dich entscheiden«, schlug Resi vor. »Manchmal hängt man jemandem einen Ruf an, der gar net so stimmt.«
»Besonders gut kenn ich ihn ja net«, gab Veronika zu.
»Also. Bist du damit einverstanden, wenn dich die Waldegger-Thekla zum Kaffee einladen tät, damit du ihren Buben in Augenschein nimmst?«
Unwillkürlich musste Veronika lachen, und ein Abglanz ihrer früheren Schönheit kehrte auf ihre Züge zurück.
»Ihr wollt euch wohl ein Kuppelpelzchen verdienen, du und die Thekla! Streit es nur net ab, Mutterl!«
»Ich denk gar net daran, das abzustreiten. Wir sind halt der Meinung, dass man manche Leut zu ihrem Glück zwingen muss. Und ihr tätet wirklich gut zueinanderpassen, du und der Waldegger-Jakob.«
»Wenigstens hast du mir offen gesagt, was ihr vorhabt.«
»Und, was meinst du, Veronika?«
Das Mädchen zuckte mit den mageren Schultern.
»Gut. Warum soll ich net zu der Waldegger-Thekla zum Kaffee kommen. Wir sind nämlich inzwischen sowieso verwandt. Der Jakob ist ja mein Schwippschwager.«
»Dass ihr sozusagen miteinand verwandt seid, da tät ich net so drauf herumreiten«, meinte Resi trocken.
Sie war sehr erleichtert, dass Veronika Jakob nicht länger als möglichen Heiratskandidaten ausschloss. Nun würde man den jungen Leuten erst einmal Gelegenheit geben, sich näherzukommen, dann würde man sehen.
Resi stand auf und küsste ihre Tochter auf die Stirn. Sie ließ Veronika innerlich aufgewühlt zurück, ihre Gedanken wirbelten nur so durcheinander.
Der Waldegger-Jakob!
Sie hatte in ihm immer nur Barbaras älteren Bruder gesehen, der sich von einem linkischen Jungen zu einem schweigsamen, zurückhaltenden Mann entwickelt hatte. Sie hatte kaum ein Wort mit ihm gewechselt, obwohl er sich nie unfreundlich verhalten hatte.
Er war schon immer ein Außenseiter gewesen, aber war sie das inzwischen nicht auch? Wie Jakob nahm sie am dörflichen Leben nicht mehr teil und mied beharrlich die Nähe anderer Menschen.
Seit damals, als ihre Träume jäh zerronnen waren.
Aber noch war es nicht zu spät. Noch konnte sie eine Familie gründen, und selbst wenn sie in der Ehe nicht so glücklich werden würde, wie sie es sich in ihren Jungmädchenträumen erhofft hatte, so bliebe ihr doch die Freude an ihren Kindern.
Sie hatte sich immer gewünscht, früh Kinder zu bekommen, denn sie wollte eine unternehmungslustige junge Mutter sein, die ihnen Lebensmut und Frohsinn vermittelte. Aber wenn sie noch lange zögerte, zerrann auch diese Hoffnung, und sie würde allein und auf sich selbst gestellt zurückbleiben.
Veronika seufzte und fuhr sich über die erhitzte Stirn. Manchmal kam es ihr so vor, als ob ihr Leben zu einer einzigen Prüfung geworden sei. Dann verbannte sie alle quälenden Gedanken und begann, das Sofa zu verschieben, bis sie glaubte, den richtigen Platz dafür gefunden zu haben. Auch wenn sie ihrer Kammer unter dem Dach nachtrauerte, so wollte sie diese hier doch wohnlich einrichten.
***
»Wie schaust du denn aus, Bub, du bist ja ganz blass! Hast du am End einen Unfall gehabt?«, rief Thekla Waldegger beunruhigt aus, als Jakob in die Stube trat, wo schon der gedeckte Mittagstisch auf ihn wartete.
Jakob Waldegger hatte den Morgen in der Kreisstadt verbracht, um ein paar Dinge zu erledigen. Heute hatte er außerdem vorgehabt, seinen Bankberater aufzusuchen, der einen Großteil des Vermögens der Waldeggers verwaltete.
Der junge Mann, der totenblass war und verwirrt wirkte, ließ sich schwer auf einen Stuhl am Ecktisch fallen.
»Nun red schon!«
Es schien Jakob Schwierigkeiten zu bereiten, der Aufforderung seiner Mutter Folge zu leisten. Vergebens setzte er zum Sprechen an, was Thekla noch mehr beunruhigte.
»Hat’s was gegeben in der Stadt? Man könnt ja meinen, du wärst einem Geist begegnet«, sagte sie und ordnete Brotscheiben in einem Körbchen an.
»Mutter …«
»Oder geht es dir net gut? Du wirst doch net krank werden. Sicher einer der furchtbaren Viren, die alleweil eingeschleppt werden.«
Jakob hatte inzwischen seine Sprache wiedergefunden, und eine fleckige Röte war in sein Gesicht gestiegen.
»Ich bin net krank, und einen Unfall hab ich auch net gehabt.«
»Umso besser. Hast du alles für mich besorgt? Auch die Zierborte und einen neuen Maßbecher?«, fragte sie.
»Ja.«
Schweigen trat ein. Aber irgendetwas hinderte Thekla daran, die köstlich duftende Gemüsesuppe in die Teller zu füllen. Abwartend stand sie da und sah ihren Sohn an, der sich unter ihrem Blick zu winden schien.
»Ich war auch auf der Bank«, brachte er schließlich mühsam hervor.
»Hast du mit dem Waidhofer-Simmerl geredet? Wie gut, dass er uns in allem berät, schließlich ist er der älteste Bub von der Tochter meiner Großtante mütterlicherseits«, sagte Thekla nicht ohne Wärme.
Simon Waidhofer war schon seit geraumer Zeit der Anlageberater der Waldeggers, und bis jetzt hatte es keinen Anlass gegeben, ihm nicht mehr zu vertrauen.
»Der Simmerl ist nimmer in der Bank«, sagte Jakob heiser.
»Ist er befördert worden?«
»Er ist eher hinausbefördert worden«, erwiderte ihr Sohn bitter.
»Das versteh ich fei net.«
Thekla Waldegger verspürte eine plötzliche Schwäche in den Beinen, sodass sie sich hinsetzen musste.
»Ich kann es auch net begreifen, wie es so weit hat kommen müssen. Ich hab es erst net glauben können, dass der Simmerl die Kunden falsch beraten hat. Außerdem hat er sehr geschickt Geld in seine eigene Tasche umgeleitet …«
»Und was bedeutet das jetzt für uns?«, unterbrach ihn Thekla.
Sie war inzwischen ebenso bleich wie ihr Sohn und musste gegen ein Zittern ankämpfen, das ihren ganzen Körper erfassen wollte.
»Wir haben fast alle Rücklagen verloren«, gab Jakob dumpf zur Antwort.
Thekla stieß einen schrillen Schrei aus.
»Jesses! All das schöne Ersparte noch von der Ahndl her. So eine Schand! Und was ist mit dem Hof?«, fügte sie bebend vor Angst hinzu.
»Der Hof ist ja schuldenfrei. Aber wir brauchen dringend neues Gerät, um rentabel zu wirtschaften, und das Geld fehlt jetzt eben.«
»Und haben sie den Haderlump wenigstens eingekastelt? Vielleicht ist noch etwas von dem Geld zu retten«, fragte Thekla, und schwache Hoffnung glomm in ihren Augen auf.
»Der Simmerl ist nach Südamerika geflohen, dorthin, wo es keine Auslieferungsabkommen gibt. Wir – und noch ein paar andere Kunden, die geschädigt sind – werden das abschreiben müssen«, erklärte er.
Thekla stieß eine rüde Verwünschung aus, die ihren Sohn erschrocken zusammenzucken ließ. Dann starrte sie ihren Sohn düster an.
»Ich hab eh mit dir zu reden, Jakob.«
In düsterer Vorahnung wich er vor seiner Mutter zurück, obwohl er wusste, dass es hoffnungslos war, sich ihr zu widersetzen.
»Was ist?«, stieß er rau hervor.
»Ich will, dass du endlich heiratest. Du hast längst das richtige Alter, und der Hof braucht einen Erben. Es ist deine Pflicht, für den Fortbestand der Familie zu sorgen …«
»Der Firmin«, warf er ein, wurde aber sofort unterbrochen.
»Du bist der Hofbauer, net der Firmin. Du gehst fei nimmer so oft ins Kloster, sondern schaust lieber zu, dass bald das Aufgebot im Dorf hängt.«
»Mich will doch eh keine.«
Unter anderen Umständen hätte Thekla diese Äußerung für bemitleidenswert gehalten, doch jetzt verspürte sie nur einen plötzlichen Grimm.
»Daran bist du selber schuld. Sogar von der Hochzeit deiner Schwester bist du gleich wieder weggerannt, anstatt mit den Madeln zu tanzen. Kein Wunder, dass man dich für absonderlich hält.«
So unverblümt hatte sich seine Mutter noch nie ihm gegenüber geäußert, und das zeigte, wie sehr sie dazu entschlossen war, ihn zu einer Heirat zu bewegen. Und im Grunde genommen hatte sie ja recht, das wusste er genau.
»Aber wie soll ich zu einer Frau kommen? Mit einer Anzeige im Landboten oder durch das Internet?«, stammelte er.
Beinahe hätte Thekla aufgelacht.
»Nie und nimmer! Meinst du vielleicht, ich lass irgendein Flitscherl ins Haus, das hier niemand kennt? Na, dafür ist schon gesorgt«, fügte sie befriedigt hinzu.
»Was meinst du jetzt damit?«
»Ich hab schon jemanden für dich ausgeschaut …«
»Darf ich wenigstens erfahren, um wen es sich handelt? Oder werde ich am End zwangsverheiratet?«, fiel er ihr ungehalten ins Wort.
»Bei dir wär das gar net so schlecht. Es geht um die Veronika, ihre Mutter und ich sind uns schon einig.«
»Dann ist ja alles gut, wenn du und die Urlacher-Resi sich einig sind. Dann kann ja die Hochzeit gefeiert werden. Aber ausgerechnet die Veronika …«
»Was gibt es denn an ihr auszusetzen? Sie ist ein gutes Madel und bringt auch eine schöne Mitgift mit. Und das scheinen wir ja im Augenblick nötig zu haben, oder?«
»Seitdem der Reitmayr-Xaver die Veronika verlassen hat, der Schluri, soll sie sich ja sehr verändert haben, net nur äußerlich. Ganz seltsam wär sie geworden.«
»Daher passt ihr ja ganz wunderbar zusammen. Schließlich findet man dich ja auch seltsam«, erwiderte sie nicht eben freundlich.
»Aber das ist doch etwas ganz anderes«, wandte Jakob ein.
»Ach so? Bei den Mannsleut ist es immer etwas ganz anderes. Aber wehe, die Frauen sind net so, wie man es von ihnen erwartet …«
»Mutter!«, unterbrach Jakob gequält die Tirade seiner Mutter, die sich nur zu gerne über die Schwächen des starken Geschlechts ausließ.
»Der langen Rede kurzer Sinn – am Sonntag kommt die Veronika zum Kaffee, und dann könnt ihr euch besser kennenlernen«, sagte Thekla mit großer Entschiedenheit.
»Und das ist also schon alles ausgemacht?«
»So ist es, Bub.«
Dann fuhr sie mit weicherer Stimme fort.
»Schau, Bub, für keinen ist es gut, einschichtig zu leben. Ich wär auch froh, wenn dein Vater – Gott hab ihn selig – noch bei uns wär. Und wär es net schön für dich, nachts ein junges Weiberl im Arm zu halten?«
Jakob errötete peinlich berührt.
»Mutter!«
Thekla erkannte, dass sie zu weit gegangen war, denn Jakob war sehr empfindlich, was diesen Bereich seines Lebens betraf.
G’schamig ist der Bub halt immer gewesen, dachte sie.
»Und am Sonntag ziehst du deinen guten Anzug an, zum Friseur könntest du vorher auch noch gehen. Dann gibst du dir amal Mühe und unterhältst dich richtig mit der Veronika. Und net, dass du wieder verschwindest, wenn dir etwas net passt«, sagte sie laut.
Jakob ergab sich in sein Schicksal.
»Meinst du, ich soll vorher auch noch duschen?«, spottete er.
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
»Und jetzt geh ich in die Kuchel und wärm das Essen wieder auf. So was aber auch«, verkündete sie und nahm die große Suppenterrine in beide Hände, um sie hinauszutragen.
***
Das junge Paar war vorzeitig von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, denn ihnen gefiel weder das übervölkerte Hotel, das sie gebucht hatten, noch vertrugen sie das Essen. Außerdem wurden beide, wie sie später gestanden, von heftigem Heimweh ergriffen und wünschten sich nichts mehr, als ihre geliebten Berge wiederzusehen.
»Daheim ist doch daheim«, murmelte Tonerl, als sie endlich auf dem Urlacherhof angelangt waren, und er fühlte sich sofort wieder besser.
Dann mussten beide lachen.
»Wir sind ja schöne Flitterwöchner! Jetzt werden alle denken, wir hätten uns unterwegs zerstritten und wären schon auf dem Weg zum Scheidungsanwalt«, meinte Barbara.
»Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als das Gegenteil zu beweisen«, sagte er und umfasste sie verliebt.
Natürlich wurden die beiden wegen ihrer überstürzten Heimkehr geneckt, aber im Familienkreis war man doch eher erleichtert, dass sie heil und gesund zurück waren. Dabei erfuhr Barbara auch, dass ihre Schwägerin auf dem Waldegger-Hof eingeladen war, und sie erfasste sofort, was es damit auf sich hatte.
»So, da will man dich und den Jakob verkuppeln«, meinte sie und ließ sich aufseufzend auf das Sofa sinken.
Vorher hatte Barbara Veronikas neues Reich bewundert, das nun fast fertig eingerichtet war. Das Wohnzimmer war hell und geräumig, die Möbel aus Zirbenholz wirkten nicht zu überladen. Die zartgelben Gardinen und die Aquarelle an der Wand, vorwiegend Landschaftsmotive, vervollständigten den freundlichen, anheimelnden Eindruck. Daneben schloss sich ein kleines Schlafzimmer an, der Geschäftsraum befand sich nach wie vor im hinteren Bereich des Hofladens.
»Deine Dachkammer war ja sehr traulich. Meinetwegen hättest du dort net auszuziehen brauchen«, meinte Barbara, die ahnte, dass Veronika der Umzug schwergefallen war.
Veronika schüttelte den Kopf.
»Ich hab mich schon eingelebt, es ist hier heller und geräumiger, das hat auch was für sich. Außerdem war es ja so ausgemacht, dass die Jungbauern nach der Überschreibung den Hof ganz für sich haben. So gehört sich das eben. Und ihr werdet ja auch noch mehr Platz für eure Kinder brauchen.«
Barbara lächelte errötend.
»Ja, wir hoffen, dass es bald so weit ist und die alte Wiege net leer bleibt. Und du wirst natürlich Patentante von unserem Ersten.«
»Das wär eine große Freud für mich.«
Doch nun kam Barbara wieder auf das zurück, was ihr auf der Zunge brannte.
»Und was hältst du davon, ich mein, willst du meinen Bruder heiraten?«
Von Veronikas Miene war nichts abzulesen.
»Das kann ich noch net sagen. Wir müssen uns erst amal richtig kennenlernen. Und wenn wir uns gut verstehen, dann steht ja nichts dagegen.«
Das klang sehr nüchtern, so ganz anders, wie Barbaras Ehe zustande gekommen war. Ernst sah sie die Freundin an.
»Aber du musst ihn auch gernhaben. Was anderes hat der Jakob net verdient und du auch net. Nichts ist schlimmer als eine lieblose Ehe.«
»Wenn man sich gegenseitig respektiert und schätzt, dann ist das schon ein gutes Fundament. Mit der großen Liebe geht es manchmal net immer gut aus.«
»Du kannst den Xaver net mit dem Jakob vergleichen. Die Leut halten den Jakob für verschroben, aber in Wirklichkeit ist er ein gutherziger, zuverlässiger Mensch, der nie jemanden im Stich lassen würde. Das solltest du wissen, und das sag ich net nur, weil er mein Bruder ist«, erwiderte Barbara.
»So schnell bin ich auch net mit meinem Urteil. Aber ich werde Zeit brauchen, mich wieder an Nähe zu gewöhnen.«
»So wird es dem Jakob auch gehen, denn er war ja immer ein Einzelgänger. Es wundert mich überhaupt, dass er eingewilligt hat«, fügte Barbara hinzu.
»Nun, deine Mutter kann sehr überzeugend sein.«
»Deine net weniger.«
Die beiden Freundinnen brachen unwillkürlich in Gelächter aus, dann sprang Barbara wieder vom Sofa auf und strebte auf das kleine Schlafzimmer zu.
»So, jetzt schauen wir amal, was dein Schrank an Schätzen zu bieten hat«, rief sie aus und öffnete die Schranktür mit dem altmodischen ovalen Spiegeleinsatz.
Dort schob sie einen Kleiderbügel nach dem anderen beiseite, wühlte in den Fächern herum und schüttelte den Kopf über die magere Ausbeute.
»Sag amal, wann hast du dir denn zuletzt etwas Ordentliches gekauft? Na ja, du schlappst ja auch den ganzen Tag im Kittel und in Gummistiefeln herum, und sonst gehst du net aus dem Haus«, sagte sie missbilligend.
»Ich kann fei net herausgeputzt im Hofladen stehen«, erwiderte Veronika etwas gereizt.
»Aber wenigstens außerhalb, aber was red ich denn. In so einem Gelump kannst du dich jedenfalls net sehen lassen, da ist ja deine Mutter fescher als du. Und wie deine Haare herumhängen, du schaust wohl gar nimmer in den Spiegel.«
Veronikas Augen füllten sich mit Tränen.
»Er muss mich so mögen, wie ich bin«, brachte sie gekränkt hervor.
»Schmarrn! So bist du net. Du hast dich nur so gehen lassen, bis du zu einer Vogelscheuche geworden bist. Das Weiberleut immer so deppert sind! Der Xaver lebt wahrscheinlich herrlich und in Freuden, und du strafst dich immer noch selber ab. Aber das wird sich ändern, das versprech ich dir.«
Barbara war schon immer ziemlich energisch gewesen, und Veronika fühlte sich plötzlich so hilflos, dass sie ihr nichts entgegenzusetzen hatte.
»Du kommst ja allmählich ganz auf deine Mutter heraus«, beschwerte sie sich mit schwankender Stimme.
Doch Barbara berührte das wenig.
»So arg ist es fei noch net. Aber ganz davon abgesehen kommt man halt damit ganz gut durch, wenn man ein bisserl energisch ist. So, und jetzt schauen wir das ganze Geraffel halt noch amal durch.«
Weder für eine Fahrt in die Kreisstadt und schon gar nicht nach München blieb noch Zeit genug, sodass sie sich mit dem begnügen mussten, was vorhanden war. Leider hatten die Freundinnen so unterschiedliche Kleidergrößen, dass Barbara nicht aushelfen konnte. Und das hübsche Dirndl, das Veronika als Brautjungfer getragen hatte, kam natürlich auch nicht infrage.
Schließlich fanden sie zuunterst einen wunderschönen Trachtenrock aus seidigem Material, der zwar schon sehr alt, aber bestens erhalten war. Barbara strich mit der Hand liebkosend über den kostbaren Stoff.
»Ein edles Stück! So etwas ist wieder ganz in Mode. Dazu vielleicht eine passende Bluse, die kann ruhig schlicht sein.«
Und auch die beförderten sie aus den Tiefen des Schrankes zutage, eine weiße Dirndlbluse mit viereckigem Ausschnitt, die vom Stil her sehr gut zu dem Rock passte.
»Das hätten wir! Ich helf dir dabei, die Haare hochzustecken, dann kannst du dich sehen lassen«, sagte Barbara befriedigt.
Veronika gab keine Antwort darauf, und Barbara stellte mit Bedauern fest, dass ihrer Freundin jegliches Selbstwertgefühl abhandengekommen war. Es war ihr einfach gleichgültig, wie sie aussah, und sie hatte nicht die geringste Freude daran, sich für einen Mann zu schmücken. So, als ob jegliches Empfinden in ihr erloschen sei.
Ob Jakob wirklich der Richtige für sie sein würde?
Barbara unterdrückte das Unbehagen, das plötzlich in ihr aufgekommen war. Es gab viele Formen ehelichen Zusammenlebens, und warum sollten sich Jakob und Veronika, die sich in manchem so ähnlich waren, nicht zu einer glücklichen Gemeinschaft zusammenfinden. Denn für beide stand nicht die romantische Vorstellung der Liebesehe im Mittelpunkt, sondern die Familiengründung und die Elternschaft.
***
Hinter Thekla Waldegger lag eine anstrengende Kaffeestunde. Fast spiegelte sich leichte Verzweiflung in ihrem Blick, als sie die beiden jungen Leute musterte, die stumm am Tisch saßen, als hätten sie eine lästige Pflichtübung zu erfüllen.
Wenigstens hat sich die Veronika zurechtgemacht, dachte sie, auch wenn sie ahnte, dass da wohl Barbara dahintersteckte. In dem weitschwingenden Rock und der weißen Bluse sah Veronika fast wieder jungmädchenhaft aus, und das hochgesteckte Haar stand ihr ausgezeichnet. Doch wenn man näher hinsah, entdeckte man die tiefe Gleichgültigkeit in ihren Augen, die früher immer so fröhlich geleuchtet hatten.
Jakob und sie hatten nur einige nichtssagende Worte miteinander gewechselt und waren schnell wieder verstummt. Veronika hatte sich dann an sie gewandt, wohlerzogen den Kuchen gelobt, den sie gebacken hatte, und kurz ihre neuesten Marmeladensorten, die sie im Hofladen anbieten würde, erläutert.
Glücklicherweise war heute herrliches Frühsommerwetter, und das passte genau in Theklas Pläne. Unvermittelt stand sie auf, dass das Geschirr klirrte – zu Ehren Veronikas hatte sie das beste aus der Kredenz geholt.
»Wie die Salzsäulen sitzt ihr zwei da …«, sagte sie.
»Aber Mutter«, fiel ihr Jakob verlegen ins Wort.
Wenigstens hatte Jakob ihre Ermahnungen beherzigt und trug einen feschen Trachtenanzug, und sein Haar war auch modisch geschnitten. Er war ein ausnehmend schmucker Bursch, kam ganz auf seinen Vater heraus, was Thekla, wie immer, wenn sie das feststellte, einen schmerzlichen Stich versetzte. Doch der war wagemutig und voller Leben gewesen, ganz anders als sein Sohn.
»Lass mich ausreden. Eh ihr euch noch länger anschweigt, solltet ihr lieber hinaus in die schöne Natur gehen. Bei so einem Kaiserwetter wie heut soll man net in der Stube hocken und sich miteinand langweilen. Vielleicht macht es euch gesprächiger, wenn ihr draußen allein und ungestört seid, damit ihr euch endlich amal unterhaltet wie andere Leut auch«, schloss sie grimmig.
»Recht hast du, Thekla Tant«, sagte Veronika und erhob sich.
»Thekla Tant« nannte Veronika die Waldegger-Bäuerin schon von Kind an, denn auch sie war immer wieder ins Haus gekommen, um mit Barbara zu spielen oder sie abzuholen. Sie gab der Bäuerin einen raschen Kuss auf die Wange, was Thekla überraschte, gleichzeitig aber auch ein Gefühl der Wärme in ihr emporsteigen ließ.
Ja, niemand wäre ihr lieber als Schwiegertochter als Veronika. Und an ihr sollte es nicht liegen, dass alles in die richtigen Wege geleitet würde.
»Ich räum das Geschirr schon allein zusammen. Jetzt geht schon aussi«, wehrte sie ab, als Veronika ihre Hilfe anbot.
So, dass man sie nicht entdecken konnte, beobachtete sie durch das Stubenfenster die beiden jungen Leute, die gemächlich über den Hofplatz gingen. Ein wahrhaft schönes Paar, das waren sie. Und dass sie äußerlich so gut zusammenpassten, das empfand Thekla Waldegger fast als ein Zeichen.
Jakob und Veronika hatten einen Weg eingeschlagen, der quer durch die Wiesen führte. Der Almrausch blühte und durchwob das Grün mit roten Sprenkeln, einige der Bauern hatten schon gemäht, und der Duft des Heus umgab sie verführerisch.
Doch in Veronika brandeten keine Sehnsüchte auf, sie verspürte kein Verlangen nach der zärtlichen Umarmung eines Mannes. So gingen sie schweigend nebeneinanderher, bis Jakob es endlich wagte, das Wort zu ergreifen.
»Sicher langweilst du dich furchtbar mit mir. Das tut mir leid«, sagte er leise.
Sie blieb stehen und sah ihn an. Die tiefe Unsicherheit, die sich in seinen Augen spiegelte, rührte sie unerwartet an. Er kam ihr sehr einsam vor, und mit einem Mal fühlte sie sich auf seltsame Weise mit ihm verbunden.
»Es wird genug Sinnloses dahergeredet. Mir gefällt es mehr, still neben jemandem herzugehen«, sagte sie. »Schau nur, wie herrlich alles um uns herum ist. Da braucht es keiner Worte.«
»Ja«, brachte Jakob nur hervor.
Er war von dem, was sie gesagt hatte, tief beeindruckt. Es war ihm, als hätte er endlich einen Menschen gefunden, der seinen Wunsch nach Stille und Zurückgezogenheit nachvollziehen konnte. Und so schritten sie in einvernehmlichem Schweigen durch die Frühlingslandschaft, blieben hin und wieder stehen, um die Aussicht zu bewundern oder den kreisenden Flug eines Raubvogels zu beobachten, dessen sehnsüchtige Schreie die Lüfte erfüllten.
Schließlich unterhielten sie sich doch ein wenig. Veronika schilderte, wie sie den Hofladen begründet und immer weiter ausgebaut hatte.
»Ich verwende nur das, was ich auch im Garten ziehe oder von der Streuobstwiese ernte. Meine Kunden können sicher sein, dass alles streng biologisch ist«, sagte sie.
Es zeigte sich an Jakobs Zwischenfragen, dass er sich auch für den Gartenanbau interessierte, was ihnen neuen Gesprächsstoff lieferte.
»Leider hab ich zu wenig Zeit, um mich richtig um unseren Garten zu kümmern, ich wirtschafte ja mit der Mutter allein. Sie hat nur ein paar Beete für das Notwendigste angelegt, der Rest verwildert. Und die Brombeerhecke hätte ich auch schon längst zurückschneiden müssen«, fügte er bedauernd hinzu.
»Ich kann ja am Wochenende nach Ladenschluss rüberkommen und dir dabei helfen«, schlug Veronika vor.
»Das ist doch nichts für ein Madel.«
Veronika lachte auf.
»Schau dir amal meine Arme an.«
Er gehorchte und stellte fest, dass sich lange Kratzer und Schrunden über die sonst so glatte Haut ihrer Unterarme zogen.
»Die Stachelbeerbüsche schneiden sich auch net von alleine«, meinte sie trocken.
Einen flüchtigen Augenblick lang legte er seine Hand auf einen ihrer Arme, doch dann zuckte er verlegen zurück. Auch Veronika wich zurück, als ob diese sanfte Berührung sie an etwas erinnerte, das schon lange verschüttet war.
Danach kehrten sie um, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Thekla bemühte sich, ihre Neugier zu unterdrücken, als sie die jungen Leute wieder vor sich sah. Sie waren ziemlich lang ausgeblieben, daraus schöpfte sie Hoffnung.
»Du bleibst doch sicher zum Abendessen, Veronika?«, lud sie die junge Frau ein.
Doch diese schüttelte entschlossen den Kopf.
»Ich hab noch so viel Papierkram zu erledigen. Durch den Umzug in den Anbau ist manches liegen geblieben. Aber vielen Dank für die Einladung zum Kaffee«, setzte sie hinzu und umarmte Thekla schnell.
Als Veronika weggefahren war, wandte sich Theklas Aufmerksamkeit ihrem Sohn zu. Er wirkte verschlossen wie immer, doch keineswegs unzufrieden.
»Wie gefällt dir die Veronika denn? Ihr wart ja ziemlich lang unterwegs, das hätt ich net gedacht.«
Jakob stand am Fenster, als ob er dem Mädchen noch nachschauen wollte.
»Sie ist net so schwatzhaft wie die anderen Madeln«, sagte er kurz.
»Ach so. Und wann trefft ihr euch wieder? Sag bloß net, dass du sie net eingeladen hast. Ich kann doch net alles für dich tun …«, begann sie zu lamentieren.
»Nächstes Wochenende kommt sie wieder vorbei. Wir wollen zusammen die Brombeerhecke zurückschneiden.«
»Das ist genau das, wovon junge Mädchen träumen! Am Wochenende die Brombeerhecke zurückschneiden!«
Thekla funkelte ihren Sohn wütend an.
»Sie hat es fei selber vorgeschlagen. Veronika macht das eben gern«, rechtfertigte sich Jakob sofort.
Seine Mutter seufzte schwer auf.
»Besser als gar nichts.«
Jakob löste sich von seinem Platz am Fenster und strebte der Tür zu.
»Wo willst du denn noch hin so kurz vorm Abendbrot?«
»Ich fang schon amal mit der Hecke an. Ruf mich halt, wenn das Essen fertig ist«, sagte er und verließ das Haus durch die Hintertür, die in den Garten führte.
Seine Mutter murmelte etwas vor sich hin, das er glücklicherweise nicht mehr hören konnte, ehe sie sich geräuschvoll in der Küche zu schaffen machte. Jakob kramte indessen lange im Geräteschuppen herum, bis er endlich die alte Rebschere fand, die für den Heckenschnitt geeignet war.
Dann begann er ungeübt die ärgsten Ausläufer der Brombeerhecke zu beseitigen, denn der Gedanke, dass sich Veronika noch mehr verletzen könnte, war ihm unerträglich. Ihre schönen schlanken Arme …
***
Veronika äußerte sich sehr zurückhaltend über ihr erstes Treffen mit Jakob Waldegger, sosehr Barbara auch in sie drang.
»Aber du wirst mir doch sagen können, ob er dir überhaupt gefällt. Mehr will ich ja gar net wissen«, sagte sie schließlich ungeduldig.
»Er scheint ein aufrichtiger Mensch zu sein«, sagte Veronika nach einigem Nachdenken. »Und freundlich ist er auch.«
»Das ist doch schon etwas«, meinte Barbara erfreut. »Habt ihr euch wenigstens ein bisserl unterhalten?«
»Schon«, erwiderte Veronika einsilbig.
»Und wann seht ihr euch wieder?«, setzte Barbara ihr Verhör fort.
»Nächstes Wochenende.«
Barbara verdrehte die Augen.
»Und darf ich noch fragen, was ihr dann vorhabt?«
»Wir schneiden die Brombeerhecke zurück.«
»Wie romantisch!«
»Das ist dringend, romantisch soll das auch gar net sein. Der Jakob hat wenig Zeit für den Garten, aber gemeinsam werden wir das schon schaffen.«
Barbara sagte nun nichts mehr, aber im Insgeheimen dachte sie, dass Veronika doch zu bedauern sei. Als sie mit ihrem Mann darüber sprach, eng aneinandergeschmiegt in der Geborgenheit ihres ausladenden Ehebetts, sah Anton das jedoch weitaus nüchterner.
»Auch wenn der Jakob net verliebt um sie herumbalzt und die Veronika keine rosaroten Träume mehr hat, so seh ich net so schwarz für die beiden. Veronika bringt Jakobs Haus und Hof immerhin Interesse entgegen, und sie packen bereits jetzt etwas gemeinsam an. Das ist doch schon amal ein guter Anfang, oder?«
»Ja, das stimmt schon. Aber fad ist es trotzdem. Kannst du dich noch erinnern, wie wir uns aufgeführt haben ganz am Anfang, als wir uns ineinander verliebt haben? Bestimmt haben das alle nur peinlich gefunden. Aber ich wollt diese Zeit net missen, net um alles in der Welt«, sagte Barbara schwärmerisch.
»Ich auch net. Weißt du noch, wie wir nachts zu der aufgelassenen Jagdhütte hochgestiegen sind, nur endlich mal allein zu sein? Dabei war es bitterkalt, und wir haben fürchterlich gefroren. Und doch war es wunderschön …«
»Dafür musst du jetzt nimmer frieren, Schatzerl.«
Sie biss ihm zart in die Schulter, und Tonerl knurrte. Dann verschwanden Jakob und Barbara völlig aus ihrem Gedächtnis.
***
Thekla Waldegger musste feststellen, dass es durchaus kein Scherz gewesen war, dass Jakob und Veronika ihr nächstes Treffen dazu nutzen würden, den verwilderten Garten in Ordnung zu bringen.
Sie hatte alles so schön hergerichtet und wieder einen Kuchen – ihre berühmte Zitronencremetorte sogar – gebacken, doch die beiden nahmen sich kaum Zeit, um diese viel gepriesene Köstlichkeit zu genießen. Kaum hatte jeder ein Stück gegessen und eine Tasse Kaffee getrunken, als sie auch schon hinter dem Haus verschwanden.
Thekla beobachtete die beiden mit zusammengekniffenen Augen vom Küchenfenster aus. Veronika hatte sich noch oben im Bad rasch umgezogen und trug einen scheußlichen alten Kittel und Gummistiefel. Ihre Hochfrisur hatte sich gelöst und hing ihr in wirren Strähnen um das Gesicht.
Tüchtig war sie ja, aber hatte ihr Sohn nicht auch eine ansehnlichere Frau verdient? Von Veronikas früherer Schönheit war nicht mehr viel übrig geblieben, obwohl sie noch so jung war.
Eben zerrte sie mit gerötetem Gesicht heftig an einer Ranke, die sich unversehens löste, sodass Veronika nach rückwärts stürzte. Jakob half ihr sofort auf, war sehr bemüht um sie. Zuletzt lachten beide.
Und da wurde es Thekla etwas leichter ums Herz. Denn sie konnte sich nicht entsinnen, ihren Sohn jemals so heiter gesehen zu haben.
Die Sonne brannte so heiß herunter, dass Veronika und Jakob sich entschlossen, ihre Arbeit eine Weile zu unterbrechen. Immerhin hatten sie schon ein gutes Stück geschafft, wobei sie allerdings hauptsächlich die Ausläufer entfernt hatten, die sich über die Wege und durch die Beete schlängelten.
»Willst du ins Haus gehen, Veronika?«, fragte Jakob und wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn.
Das Mädchen schüttelte den Kopf und wies auf eine Gartenlaube, die halb versunken in Unkraut und Buschwerk ganz hinten auf der Rückseite stand. Die Überreste von altertümlichen Rosen, die sich emporrankten und die man schon seit Langem vernachlässigt hatte, waren noch zu erkennen. Dazwischen hatten Vögel ihre Nester gebaut.
»Das muss amal ein schönes Platzerl gewesen sein. Kann man darin noch sitzen?«, fragte Veronika.
»Ich glaub schon. Ich hol uns jetzt etwas zu trinken. Einen kühlen Most vielleicht?«
»Da hätt ich nichts dagegen.«
Während Jakob im Haus war, erkundete Veronika die Laube. Der schmale Weg, der zu ihr führte, war zugewuchert, das Dach an der einen Seite eingesunken. Aber die schmale Holzbank darin war noch einigermaßen stabil und lud zum Verweilen ein, davor stand ein angerosteter, kleiner Tisch aus Metall.
Es war ein verwunschener Ort. Lichtstrahlen drangen durch die ineinander verflochtenen Zweige ein und tanzten auf dem Boden. Die Rosen, die hartnäckig der Winterkälte widerstanden hatten und wieder erblüht waren, dufteten betörend. Nur das Zwitschern der Vögel und das Aufrauschen der Baumkronen waren zu hören, wenn der Wind hindurchfuhr.
Eine eigenartige träumerische Stimmung überkam sie. Veronika lehnte sich zurück und schloss die Augen. Und so fand Jakob sie vor, als er mit einem bauchigen Mostkrug und zwei Gläsern in den Garten zurückgekehrt war.
Er blieb unwillkürlich stehen und betrachtete sie.
Trotz der nachlässigen Kleidung und der wirren Haare fand Jakob sie wunderschön. Gleichzeitig aber erkannte er auch ihre Verletzlichkeit, und er wurde von dem Wunsch überwältigt, sie zu beschützen. Denn ihre Seele war tief verwundet worden, und der Schmerz, den ihr ein gewissenloser Mensch zugefügt hatte, war noch immer nicht verheilt.
Er ließ die Gläser aneinanderklirren, sodass es den Eindruck erweckte, als sei er eben erst angelangt. Veronika schlug die Augen auf, sah einen Augenblick verwirrt um sich, dann aber lächelte sie Jakob an.
»So ein Glaserl Most kommt jetzt grad recht«, meinte sie und rückte beiseite, damit sich Jakob auf der schmalen Bank neben ihr niederlassen konnte.
