Heldenstoff - Axel Rabenstein - E-Book
SONDERANGEBOT

Heldenstoff E-Book

Axel Rabenstein

0,0
13,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sport begeistert – durch packende Duelle, sportliche Höchstleistungen und Rekorde. Aber was genau ist das Geheimrezept für den Erfolg jener Athleten, die uns inspirieren, weil sie neue Maßstäbe setzen? In seinem Buch Heldenstoff nimmt Axel Rabenstein den Leser mit auf eine faszinierende Reise – mit exklusiven Zitaten, Geschichten und Geheimtipps aus der Sportwelt. Gemeinsam haben die in dieser einzigartigen Sammlung zu Wort kommenden Athleten 535 Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gewonnen, 89 Weltrekorde aufgestellt sowie unzählige Höchstleistungen erbracht. In den Gesprächen mit Axel Rabenstein verraten sie, wie sie es an die Spitze schafften, was sie im Laufe ihrer Karrieren bewegt hat und wie jeder von uns zum Helden werden kann. Heldenstoff erzählt die Geschichten des Weltklassesprinters Usain Bolt, vom Ironman®-Sieger Jan Frodeno, von Biathletin Laura Dahlmeier, den Skifahrern Felix Neureuther und Marcel Hirscher, sowie vielen weiteren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 305

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Allgemeine Hinweise:

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, durchgängig die männliche (neutrale) Anredeform zu nutzen, die selbstverständlich die weibliche mit einschließt.

Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder der Autor noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch vorgestellten Informationen resultieren, Haftung übernehmen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

AXEL RABENSTEIN

HELDENSTOFF

Inspirierende Geschichten von Olympiasiegern, Weltmeistern und Sportikonen

Heldenstoff

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Details sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2021 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila, Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien

Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)

Print ISBN: 9783840377655

eISBN: 9783840337819

E-Mail: [email protected]

www.dersportverlag.de

INHALT

Warm-up

1 NEULAND – das Verlassen der Komfortzone

1.1 Aufbruch in eine neue Welt

1.2 Magie der Natur

1.3 Neue Orte in uns selbst

1.4 Faszination der Angst

2 POTENZIAL – die Reise zu neuen Möglichkeiten

2.1 Besser werden

2.2 Motiviert statt diszipliniert

2.3 Die richtige Intensität

2.4 Zeit für Erholung

3 HÖCHSTLEISTUNG – das Geheimnis des Erfolgs

3.1 Mit voller Willenskraft

3.2 Vertrauen in die eigene Stärke

3.3 Wenn der Schmerz kommt

3.4 Plötzlich im Flow

4 GRENZEN – der Moment der Schwäche

4.1 Hart am Limit

4.2 Gestürzt und verletzt

4.3 Schicksal der Niederlage

4.4 Hinterm Horizont

5 ERKENNTNIS – das wahre Leben als Ziel

5.1 Glücksmomente

5.2 Selbstbestimmung

5.3 Von hier in die Zukunft

Die Reise des Sporthelden – in zehn Schritten

Anhang

1 Quellenverzeichnis

2 Literaturverzeichnis

3 Bildnachweis

WARM-UP

Als junger Mann wollte ich alles Mögliche. Nur keinen Sportjournalismus betreiben. Das erschien mir nicht wichtig genug. Stattdessen zog es mich in die Politik. Ich war als Parlamentskorrespondent tätig und traf reichlich Politprominenz, von Angela Merkel über Joschka Fischer bis Donald Rumsfeld. Aber das politische Berlin war nicht meine Welt. Ich kündigte meinen Job, ließ mich ein wenig treiben und machte mich schließlich als PR-Berater selbstständig.

In dieser Funktion flog ich im Herbst 2006 nach Lanzarote, um mit dem äthiopischen Läufer Haile Gebrselassie im Auftrag seines Sponsors ein Interview zu führen. Im Sportclub La Santa sprach ich mit einem schmächtigen Mann, der mich schwer beeindruckte. Nicht, weil er Olympiasieger und mehrfacher Weltmeister war; sondern weil ich nie zuvor mit einer Person gesprochen hatte, die so charismatisch war, so stolz und gleichzeitig so bescheiden. Haile Gebrselassie verkörperte für mich das, was ich mir immer unter einem Staatsmann vorgestellt hatte.

Nach dieser Begegnung wollte ich mehr, und so beschloss ich, weitere Sportler zu befragen, um herauszufinden, woher sie kommen und wohin sie wollen; was sie erfolgreich gemacht hat, woran sie gewachsen sind, und was sie wirklich bewegt. Es war der Beginn einer Serie von mehr als 70 Interviews, die ich bis heute geführt habe. Darunter waren Stars wie Usain Bolt, Franziska van Almsick oder Shaun White, aber auch weniger bekannte Athleten wie die Bergläuferin Andrea Mayr oder der Apnoetau- cher Herbert Nitsch, die sich als nicht minder faszinierende Gesprächspartner erwiesen.

Die auf den folgenden Seiten zu Wort kommenden Sportler haben bis heute (Stand: Mai 2021) insgesamt 263 WM-Titel und 111 Medaillen bei Olympischen Spielen gewonnen sowie 89 Weltrekorde aufgestellt. Eine Erfolgsbilanz, die verdeutlicht, dass diese Athleten vieles richtig gemacht haben. Ihre wertvollsten Tipps, emotionalsten Erlebnisse und schönsten Gedanken finden sich nun in diesem Buch.

Es beginnt mit der Frage, warum wir unsere Komfortzone überhaupt verlassen sollten, nimmt uns mit auf den Weg zu neuen Möglichkeiten und bringt uns an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit; es berichtet vom Aufstehen nach der Niederlage und erzählt uns davon, warum wir durch den Sport zu besseren Menschen werden können.

Dabei ist mir eines wichtig zu betonen: Ich habe nicht von langer Hand geplant, dieses Buch zu schreiben. Nach meinem Interview mit dem staatsmännischen Wunderläufer Gebrselassie war ich einfach nur fasziniert, sprach mit mehr und mehr ausgewählten Athleten und kam schließlich auf die Idee, die Gespräche gezielt auszuwerten und den darin enthaltenen Wissensschatz in aufbereiteter Form zur Verfügung zu stellen.

Es hatte vorab keine Struktur gegeben. Keinen Plot und keinen Plan. Es wurden also keine Interviews für ein Buch geführt; sondern es wurde nachträglich ein Rahmen für all die Protagonisten und Begegnungen geschaffen. Deshalb sind die einzelnen Erzählungen und Athletenporträts nicht immer trennscharf in ihren Inhalten, teilweise changieren sie über ihre Kapitel hinaus.

Das vorliegende Buch ist keinem Genre zuzuordnen. Es ist sowohl Sachbuch als auch Ratgeber. Nennen wir es ein multi-biografisches Sportlesebuch. Oder ganz einfach: eine Quelle der Inspiration.

Ich denke, dass jeder von uns eine Menge aus den vorliegenden Gesprächen für sich mitnehmen kann. Für seine sportlichen Ambitionen. Für die Verwirklichung seiner Träume. Und für ein selbstbestimmtes Leben.

Mich persönlich hat der Inhalt dieses Buchs verändert. Weil ich mit Menschen gesprochen habe, die dafür brennen, was sie tun. Menschen, die ihr Leben lieben und es deshalb so sehr leben. Besonders angezogen fühlte ich mich vom Mythos des Ironmans®. Ich erinnere mich noch genau daran, wie unbegreiflich mir die Tatsache erschien, dass ein Mensch nach 3,8 Kilometer Schwimmen im offenen Meer und 180 Kilometer auf dem Fahrrad noch einen Marathon laufen kann.

Im Frühling 2019 bin ich schließlich nach Lanzarote zurückgekehrt. Dorthin, wo ich 13 Jahre zuvor auf Haile Gebrselassie getroffen war. Wieder war ich auf dem Weg in den Club La Santa. Diesmal kam ich allerdings nicht als Journalist, sondern als Athlet; als Teilnehmer des Ironman® Lanzarote, den ich wenige Tage später erfolgreich absolvieren sollte.

Für mich hat sich damit ein Kreis geschlossen: Der in diesem Buch zusammengetragene Heldenstoff hat mich mehr als ein Jahrzehnt lang begleitet. Er hat mich dauerhaft inspiriert. Und bis ins Ziel des härtesten Ironmans® der Welt geführt.

1

NEULAND – DAS VERLASSEN DER KOMFORTZONE

1.1 AUFBRUCH IN EINE NEUE WELT

Mit Anton Krupicka, Kilian Jornet, Rebecca Rusch, Matt Hunter

Wir könnten es so bequem haben. Ausgestreckt auf dem Sofa, ein Kissen unter dem Kopf, die Füße unter einer Decke; vielleicht nehmen wir uns ein Buch zur Hand, vielleicht läuft der Fernseher. Das ist schön. Es ist angenehm. Und dennoch wird die verspürte Behaglichkeit nicht von langer Dauer sein. Früher oder später werden wir uns, trotz des Komforts, merklich unwohl fühlen.

Dabei spielt es keine Rolle, wie lange es dauert, bis wir uns unwohl fühlen. Entscheidend ist die Tatsache, dass wir uns unwohl fühlen werden. Es geht nicht um einen schmerzenden Rücken, einen verspannten Nacken. Es geht darum, dass wir Langeweile empfinden werden. Unsere Seele wird nach Nahrung rufen. Wir können noch eine Weile mit unserem Telefon spielen oder in einer Zeitschrift blättern. Es wird uns Aufschub bringen. Aber keine Befriedigung. Wir möchten etwas erleben, und wir möchten es aus der Tiefe unserer Seele am eigenen Leib erleben.

Um das zu tun, müssen wir aufstehen und unsere Komfortzone verlassen. Nur dort draußen, außerhalb unserer Komfortzone, werden wir das wahre Leben finden und uns wirklich lebendig fühlen.

Wenn du mehrere Stunden am Stück rennst, hat plötzlich jeder Moment die Intensität, für immer bei dir zu sein.

Der US-amerikanische Ultraläufer Anton „Tony“ Krupicka hat das Verlassen der Komfortzone zu seiner Paradedisziplin gemacht. Nicht selten läuft er 100 Kilometer oder länger am Stück. Ausrüstungsgegenstände wie Pulsmesser, iPod® oder GPS-Uhr lässt er gerne zu Hause. Er läuft los. Und rennt, soweit er kann.

Auf die Frage, warum er sich so etwas antue, warum er seinen Körper solchen Strapazen aussetze, antwortet er wie folgt: „Wenn du mehrere Stunden am Stück rennst, auf dem Rad sitzt oder auf einen Gipfel kletterst, dann erfährst du besonders klare Momente. Die eigene Existenz wird auf eine Art Selbsterhaltungstrieb reduziert. Irgendwann ist alles in seine Einzelteile zerlegt, wirkt elementar. Plötzlich hat jeder Moment die Intensität und das Potenzial, für immer bei dir zu sein.“

Anton ist seit mehr als zehn Jahren Profi. Er sagt zwar, er könne noch immer nicht glauben, dass er dafür bezahlt werde, nach Lust und Laune durch die Berge zu rennen, aber das hat durchaus seine Berechtigung: Im Auftrag mehrerer Outdoorbrands ist der Mann mit charakteristischem Rauschebart ein gern gesehener Markenbotschafter. Zudem ist er erfolgreicher Wettkämpfer.

Bis heute gewann er einige der härtesten Ultraläufe der Welt, u. a. das Miwok Trail Race über 100 Kilometer in Kalifornien, den Rocky Raccoon in Texas und den Leadville 100 Trail in Colorado über jeweils 160 Kilometer. Was hat er davon?

„Schwere Beine. Authentische Emotionen. Und das Bewusstsein, mich einer schier unüberwindbaren Herausforderung gestellt zu haben, die ich dank meiner Standhaftigkeit meistern konnte. Das ist erfüllend. Ich denke, dass Ultraläufer deshalb lange Läufe bestreiten, weil sie die Dinge gerne mit sich selbst ausmachen.“

Dass er gerne läuft, zeigte sich beim kleinen Tony, der in der Weite Nebraskas aufwuchs, bereits früh. Seinen ersten Marathon absolvierte er im Alter von 12 Jahren. Warum das? – „Für mich war es das Beste, was ich tun konnte. Ich war wie besessen davon, mich besonderen physischen Herausforderungen zu stellen. Nachdem ich im Training einige Male mehr als 30 Kilometer gelaufen war, wusste ich, dass ich bereit dafür bin. Dieselbe Motivation trieb mich dann auf noch längere Strecken und Ultramarathons.“

Hatten seine Eltern nichts dagegen, dass er als Teenager einen Marathon lief? – „Die nächste Teerstraße war meilenweit entfernt“, erinnert sich Tony, „ich war den ganzen Tag draußen, habe Bisonknochen gesammelt und Hütten gebaut. Mit neun Jahren bekam ich meine erste Axt geschenkt. Ich war ein hochaktives Kind und erinnere mich, dass meine Eltern mal auf mich eingeredet haben, ich solle nicht immer so ‚Kamikaze’ unterwegs sein. Am Ende war es absolut okay für sie, dass meine Energie in meine immer länger werdenden Läufe floss.“

Für uns sollen an dieser Stelle zwei Dinge von Bedeutung sein: dass Anton Krupicka den Drang nach Bewegung in sich hatte; und dass er umso mehr Lebensenergie aus seinen Läufen zu gewinnen scheint, je mehr Energie er in seine Läufe investiert.

Als Kind waren ein paar Tage in einer Stadt wie ein Trip in eine andere Welt für mich.

Ein sportlicher Weggefährte von Tony Krupicka ist der Spanier Kilian Jornet Burgada, der von vielen Experten als bester Ausdauerathlet der Welt bezeichnet wird. Dreimal gewann er den Ultra-Trail du Mont Blanc über 168 Kilometer und 9.000 Höhenmeter, er ist siebenfacher Gesamtsieger des Skyrunning Weltcups, dreifacher Gesamtsieger des Ultrarunning- Weltcups sowie siebenfacher Weltmeister im Skibergsteigen.

Er hält zahlreiche Rekorde bei Speedbegehungen, niemand stieg schneller auf Matterhorn, Montblanc, Aconcagua und Denali (früher Mount McKinley). Im Jahr 2017 bestieg er in Rekordzeit den Mount Everest, vom Basislager auf 5.100 Meter Höhe bis zum Gipfel in 8.848 Meter Höhe benötigte er 26 Stunden; alleine und in einem Zug, ohne Fixseile und künstlichen Sauerstoff.

Natürlich ist Kilian Jornet Profi und als solcher beruflich unterwegs. Extreme Begehungen und erfolgreiche Wettkämpfe sind sein Job. Er tut es, weil seine Sponsoren ihn für den erbrachten Imagegewinn bezahlen. Er tut es aber auch, weil er es gerne tut. Weil es ihn glücklich macht, weil es ihn erfüllt. Wer Kilian getroffen hat, wird spüren, dass ihm Zufriedenheit und Ausgeglichenheit innewohnen, und das nicht nur, weil sein Ruhepuls bei 34 Schlägen in der Minute liegt.

„Ich genieße das Gefühl sportlicher Anstrengung sehr. Es tut gut, seine eigene Leistungsfähigkeit zu spüren. Außerdem weiß ich, dass ich meine Ziele ohne Anstrengung nicht erreichen werde. Wer sich dauerhaft in der Komfortzone aufhält, wird nichts Neues entdecken. Das Verausgaben macht mich besser. Es verschafft mir neue Möglichkeiten, zeigt mir Wege und bringt mich an Orte, die vorher nicht erreichbar für mich waren. Orte, an denen ich etwas erlebe, was ich bis dahin nicht kannte, nicht gespürt oder nicht gesehen habe.“

Wie Tony Krupicka konnte sich Kilians Liebe zur Aktivität früh entfalten, während seiner Kindheit, die er in den katalanischen Pyrenäen verbrachte, wo sein Vater eine Berghütte bewirtschaftete. „Ich bewegte mich jeden Tag dort draußen in der Natur. Im Schnee zu spielen oder durch die Wälder zu streunen, war für mich so normal wie zu essen und zu schlafen. Als Kind waren ein paar Tage in einer Stadt wie ein Trip in eine andere Welt für mich.“

Die Frage ist nun: Konnte sich bei Kilian ein besonderer Bewegungsdrang entwickeln, weil er dort draußen in den Bergen aufwuchs?

Oder hat eine Kindheit ohne TV und Computerspiele dazu beigetragen, dass sein natürlicher Bewegungsdrang in erster Linie nicht verkümmerte?

Viele Menschen sind gelangweilt, weil sie immer das Gleiche tun.

Nicht jeder Mensch ist von Geburt an in gleicher Weise sportlich. Nicht jeder hat die körperlichen Voraussetzungen, um später einmal auf einen Achttausender zu rennen. Aber jedes Kind verfügt über eine ureigene Neugier; es will spielen, lernen, entdecken.

„Als Kind suchen wir das Abenteuer. Dann werden wir erwachsen, wir gehen zur Arbeit, haben viel zu tun, wir sind gestresst, und irgendwann hören wir auf, das Neue zu suchen.“

Das sagte mir Rebecca Rusch, eine US-amerikanische Mountainbikerin, die ich am Rande des Leadville-100-Rennens in Colorado traf, das sie viermal in Serie gewann, zuletzt im Alter von 44 Jahren, was in der Szene für Aufsehen sorgte. Ich erinnere mich daran, dass Rebecca eine unaufdringliche, aber trotzdem zu jeder Zeit spürbare, ansteckende Lebensfreude ausstrahlte, dem sich ihr Umfeld kaum entziehen konnte.

„Viele Menschen sind gelangweilt, weil sie immer das Gleiche tun. Als Kind geht man mit dem Rad auf Entdeckungstour durch die Nachbarschaft, nur zwei Straßen weiter erscheint einem die Umgebung wie eine andere Welt. Wenn man sich diese Abenteuerlust erhält, dann bleibt auch die Lebensfreude. Ich denke, dass man diese Energie von Natur aus hat. Man darf sie nur nicht verlieren.“

Als Kind verlassen wir fortlaufend die Komfortzone, brechen voller Neugier auf in eine neue Welt, holen uns dabei die Kraft, die Entschlossenheit, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen für unsere nächsten Abenteuer und Entdeckungen.

Und dann? Entdecken wir den Konsum, den Status, den Komfort. Nun tauschen wir unsere natürliche Abenteuerlust gegen einen soliden Arbeitsplatz, richten uns in der Geborgenheit des eigenen Wohnzimmers ein, um im Fernsehen davon zu erfahren, was es dort draußen alles zu erleben gäbe. Dabei verlieren wir immer weiter an Selbstsicherheit. Weil wir es schon bald nicht mehr gewohnt sind, uns in ungewohnten Situationen zu befinden.

Die Komfortzone ist bequem, hat aber wenig Erlebnischarakter.

Der kanadische Biker Matt Hunter scheint seinen Entdeckergeist nicht verloren zu haben. Vielmehr hat er das Entdecken zu seinem Beruf gemacht. Sein ganzes Leben lang folgt er bereits konsequent den Spuren, die aus der Komfortzone führen. Matt wurde dafür bekannt, dass er keine Lust aufbringen wollte, an Wettkämpfen teilzunehmen. Statt auf Contests konzentrierte sich der Kanadier lieber auf seine eigenen Strecken, anfangs zu Hause in British Columbia und später in der ganzen Welt, und wurde so zum Vorbild für viele Biker, die sich ihren Lebensunterhalt durch die Produktion von Fotos und Filmen sichern möchten.

„Die Komfortzone ist bequem, hat aber wenig Erlebnischarakter“, sagt Matt: „Also gehen wir auf Entdeckungstour, gehen dabei auch mal ein Risiko ein, erhalten dafür als Belohnung das einmalige Gefühl eines guten Rides.“

Auf die Frage nach dem schönsten Ride seines Lebens hat mir Matt diesen Tag beschrieben: „Vor einigen Jahren war ich mit drei meiner besten Freunde in Peru, an einem Ort namens Puerto de Inca. Vom Meer aus sind wir hoch in die Berge, auf einen stundenlangen Aufstieg folgte eine unglaubliche Abfahrt. Der Trail stammte von Schafherden, deshalb war er relativ breit, sodass sich jeder seine eigene Spur suchen konnte. Es gab viele natürliche Sprünge, der Boden war weich und gut zu driften. Unten haben wir eine wüstenähnliche Landschaft erreicht und sind in den Pazifik gesprungen. Ein wirklich kompletter Tag. Sich seinen eigenen Weg durch die unberührte Natur zu suchen und sich auf diese Weise mit ihr zu verbinden, das ist das pure Leben. Es ist die Nähe zur Natur, die dich erfüllt und glücklich macht.“

Was Matt hier anspricht, ist ein wesentlicher Punkt: Es geht nicht nur darum, die Komfortzone zu verlassen und dabei immer wieder neue Wege zu entdecken. Es geht auch darum, wohin uns diese Wege führen. Und die Natur scheint dabei eine gute Wahl zu sein, wie wir im nächsten Kapitel erfahren werden.

1.2 MAGIE DER NATUR

Mit Michael Weiss, Emelie Forsberg, Gerlinde Kaltenbrunner, Thomas Huber, Bode Miller, Christian Hoffmann, Rebecca Rusch, Garrett McNamara, Bjørn Dunkerbeck

„Die Hälfte der Menschen bekommt doch mittlerweile ihre E-Mails aufs Handy.“ – Das sagte mir der österreichische Triathlet Michi Weiss im Jahr 2009. Ein Satz, der zehn Jahre später bereits erstaunlich antiquiert klingt. Schon damals fühlte sich Michi von der ständigen Erreichbarkeit gestört und versuchte, dieser zu entfliehen.

„Mich beschäftigt die Schnelllebigkeit. Ich bin einer von denen, die sich gerne ablenken lassen. Von technischen Geräten, von all diesen neuen Medien. Dazu kommt das ständige Herumfliegen, einchecken und wieder auschecken. Ich bin so viel unterwegs und lasse mich dann auch schnell von meiner Umwelt stressen. Deshalb ist die Entschleunigung ein ganz wichtiges Stichwort für mich.“

In der Natur finde er die Ruhe und die Zeit zum Nachdenken. „Hier werden mir viele Dinge erst wirklich bewusst. Weil ich alleine für mich sein kann.“

Michi Weiss war U23-Europameister im Mountainbiken und nahm an den Olympischen Spielen in Athen 2004 teil, ehe er zum Triathlon wechselte. 2011 wurde er Weltmeister im Cross-Triathlon, inzwischen zählt er zur Weltelite auf der Langdistanz, hat bis heute acht Ironman®-Rennen gewonnen. Ob er sich dabei in den USA oder Argentinien, in Mexiko oder Österreich aufhielt – es war immer sein spezielles Verhältnis zur Natur, aus dem Michi die Energie für seine stundenlangen Trainingseinheiten und seine beinharten Wettkämpfe gewann.

Im Jahr 2009 zog er nach Colorado Springs, wo er bis 2018 lebte. „Drüben in Colorado war ich viel beim Freeriden. So ein weites Land, kaum Zivilisation, das ist Natur pur. Es kann vorkommen, dass du einen Berglöwen siehst und ein bisschen fester in die Pedale trittst. Aber auch an anderen Orten hat mich die Natur immer wieder in ihren Bann gezogen. Bei der Xterra-WM auf Maui fährst du im Nationalpark am Fuße eines Vulkans. Ein Teil der Laufstrecke führt über einen Sandstrand. Das ist anstrengend, aber du spürst die Natur mit jedem Schritt. Und als ich zum ersten Mal die Ironman®-Strecke vor Big Island abgeschwommen bin, war das Meer so klar, dass ich unter mir die Schildkröten habe tauchen sehen.“

Dabei müsse man gar nicht bis Hawaii fliegen, um die Wunderwelt der Natur zu erleben: „Beim Xterra in Kärnten schwimmst du durch den Klopeiner See, der hat Trinkwasserqualität, das gibt es nicht mehr oft auf dieser Welt. Wer möchte, kann seinen Flüssigkeitsverlust gleich im See wieder ausgleichen. Die Radstrecke ist traumhaft, später läufst du über weichen Waldboden und bemooste Wurzeln, es ist wie in einem Märchenwald.“

Als ich Michi Weiss im Jahr 2018 für ein weiteres Interview kontaktierte, hielt er sich anlässlich der Ironman®-70.3-WM im südafrikanischen Port Elizabeth auf, den Blick bereits auf den Ironman® Hawaii gerichtet, der einen Monat später stattfinden sollte.

„Die Magie dieses legendären Wettkampfs liegt in der Energie der Insel. Ich kenne keinen extremeren Triathlon. Das Schwimmen im Meer mit seinen Strömungen und Wellen, das Radfahren auf einer windigen Strecke, der Lauf über Lavafelder: Du spürst die Elemente hautnah. Sie lassen dich mit Demut ins Rennen gehen. Sie kosten dich extrem viel Kraft, schenken dir aber gleichzeitig eine ganz besondere Stärke.“

Bei seiner achten Teilnahme auf Big Island landete Michi Weiss erstmals in den Top Ten, legte dabei mit 4:11:28 Stunden die zweitschnellste jemals in Hawaii gefahrene Radzeit auf den Asphalt.

Einmal mehr war er an seine Grenzen gegangen. Dennoch gab es keinen Grund, zu pausieren. Im November siegte er beim Ironman® Mexiko, im Dezember gewann er mit dem Ironman® Argentinien in Mar de Plata die Südamerikameisterschaft.

Seit mehr als 15 Jahren auf Achse. Und kein bisschen müde. Vielmehr scheint es, als würden sein Körper, sein Geist und seine Ausdauer gerade erst zu voller Blüte finden.

Es ist die Natur, die ihn antreibt, ihm die Energie schenkt, sich immer und immer wieder zu verausgaben; die Wärme der Sonne, der rastlose Wind, ein tropischer Regenschauer. Am liebsten spürt Michi aber den natürlichen Boden unter seinen Füßen.

Warum das so ist? – „Weil es mich erdet.“

Ich denke, dass alles auf irgendeine Weise miteinander verbunden ist. In den Bergen lässt sich das besonders gut beobachten.

Emelie Forsberg trägt gerne ein Symbol in den Haaren, eine einfache Blume. „Manchmal ist es eine echte, dann wieder eine, die ich mir aus Stoffresten bastle“, erzählte mir die Schwedin, die zu den erfolgreichsten Trailläuferinnen der Welt zählt: „Ich bin sieben Jahre Stunde um Stunde durch die Berge gelaufen, ehe ich an meinem ersten Wettkampf teilnahm. Ich war immer dort draußen, weil ich es wollte. Die Blume erinnert mich daran, warum ich es tue: weil es meine Leidenschaft, weil es mein Leben ist.“

Mit Anfang 20 lief Emelie an einem freien Tag über 50 Kilometer, stundenlang auf und ab, entlang einer Bergkette, bewältigte dabei rund 4.000 Höhenmeter. „Die Strecke war wundervoll, ich konnte und wollte einfach nicht aufhören.“ Auf dem Nachhauseweg traf sie Freunde, die auf dem Weg zu einem Bergrennen waren. Emelie hatte noch Lust zu laufen, sie nahm spontan am Rennen teil und gewann.

Diese erstaunliche Begebenheit war der Start in eine Karriere als professionelle Trailläuferin. Zwar war Emelie immer noch dort draußen, weil sie es liebte, aber der erste Schritt in Richtung Wettkampf war getan, es folgten weitere Rennen und große Erfolge, von 2012 bis 2015 holte sie viermal Gold in der Skyrunner World Series, 2014 gewann sie mit einem Sieg über 80 Kilometer am Mont Blanc den WM-Titel im Ultra SkyMarathon; sie triumphierte beim Ultra Race of Champions (UROC) über 100 Kilometer und beim Transvulcania auf La Palma über 80 Kilometer, zudem holte sie bis heute sechs WM-Medaillen im Skibergsteigen.

Als ich im Januar 2015 ein telefonisches Interview mit Emelie führen sollte, hielt ich mich in Kenia auf, wo ich einen Freund besuchte. Vor dem verabredeten Termin hatte ich eine Kitestunde, die länger dauerte, als geplant. Weil ich mich noch dazu in der Zeitzone vertan hatte, war ich spät dran, und so rannte ich eine gute halbe Stunde in für mich hohem Tempo am Strand von Diani Beach entlang; dank Ebbe und weit zurückgezogenem Meer eine malerische Laufstrecke zwischen Palmen und türkisblau leuchtendem Wasser, aber – ich war im Stress.

Emelie Forsberg war damals schon mit Kilian Jornet liiert, den ich eigentlich als Interviewpartner angefragt hatte. Weil der zu dieser Zeit kein Interesse an einem Interview verspürte, vermittelte mir sein Sponsor den Termin mit Emelie. Nun hatte ich reichlich afrikanische Sonne abbekommen, erreichte das Haus meines Freundes wenige Minuten vor dem verabredeten Gesprächstermin, war erschlagen von der Hitze, müde von der Surfstunde, außer Puste vom Strandlauf und noch dazu nicht unbedingt gut vorbereitet.

Ich rief Emelie über eine wacklige Internetverbindung per Skype® an. Die Umstände für ein Interview mit einer unbekannten Person waren nicht optimal. Ich hatte keinen Bock. Ich hatte Sand in den Shorts. Ich war unentspannt und hatte Bedenken, meine Unruhe könnte sich auf das Interview übertragen, sodass es ein Gespräch würde, das auch Emelie keinen Spaß machte.

Es wählte durch. Plötzlich hatte ich eine so nette, so frische, so lebensfrohe und vergnügte Stimme im Ohr, dass sich meine Verfassung in einem einzigen Augenblick ins Gegenteil verkehrte. Es war ein wunderbares Telefonat. Locker, positiv und inspirierend; vom Äquator ins norwegische Tromsø, inmitten des Polarkreises.

Während über mir hörbar die Affen auf dem Dach herumkletterten, erzählte mir Emelie von der Insel Lyngen, wo sie vorübergehend mit Kilian Jornet gelebt hat, ein Ort, den sie wegen seiner „unglaublich puren, wirklichen Umgebung mit zerklüfteten, arktischen Bergen“ liebte.

Die Kälte schien mir in diesem Augenblick unglaublich weit entfernt. Warum sie nicht lieber am Strand abhänge, ihr Leben stattdessen in den Bergen, in unwirtlichen Regionen verbringe, fragte ich sie. „Ich denke, dass alles auf irgendeine Weise miteinander verbunden ist und zusammengehört“, sagte Emelie: „In den Bergen lässt sich das besonders gut beobachten. Am besten, man verbringt seinen Tag mit einer Kombination aus Laufen und Klettern. Ich bewege mich gerne mit Händen und Füßen gleichzeitig, dabei bin ich extrem fokussiert auf die Umgebung, die sich direkt vor mir befindet. Daraus entstehen besonders echte Momente.“

Es gibt nur die Wolken oder den blauen Himmel, und die riesigen Sechstausender liegen irgendwo dort unten.

Berge sind von Natur aus eine geeignete Kulisse für große Herausforderungen und starke Emotionen. Im Laufe der Jahre habe ich mit vielen professionellen Kletterern und Bergsteigern gesprochen, dabei traf ich ausnahmslos auf Interviewpartner, die viel erlebt, viel nachgedacht und viel zu erzählen hatten.

Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner ist eine der erfolgreichsten Höhenbergsteigerinnen der Welt. Im Jahr 2011 erreichte sie den Gipfel des 8.611 Meter hohen K2 und war damit die dritte Frau, die alle 14 Achttausender der Erde bestiegen hatte, die erste, der dies ohne zusätzlich mitgeführten Sauerstoff gelang.

„Als ich mit 23 Jahren auf dem Vorgipfel des Broad Peaks stand, da wusste ich, dass ich immer wieder kommen würde“, erzählte sie mir über den Moment, in dem ihr klar wurde, dass sie ihr Leben dem Alpinismus widmen wollte.

„Seitdem suche ich die hohen Berge, diese grandiosen Dimensionen, die man im Himalaya und im Karakorum erlebt. Die Berge strahlen so eine Kraft und Wucht aus, das gefällt mir einfach wahnsinnig. Ich weiß nicht, wie intensiv andere leben. Aber ich bin mir sicher, dass ich viele Momente erlebe, die besonders intensiv sind. Sie gehen so tief, dass ich mich voll und ganz erfüllt fühle. Von diesen Momenten kann ich sehr lange zehren.“

Auch, wenn die meisten Bergsteiger immer wieder darauf hinweisen, dass der Gipfel mitnichten das Ziel, sondern erst die Hälfte des Weges markiere, weil darauf in den meisten Fällen ein potenziell ebenso riskanter Abstieg folge, sind es die Momente dort oben, die in besonderem Maße bewegen und in Erinnerung bleiben.

Auf dem Gipfel eines Achttausenders ist Eile geboten. Ein ungünstiger Wetterumschwung kann sich innerhalb weniger Minuten vollziehen. Bei Windstille ist es mal eine Dreiviertelstunde, meistens allerdings deutlich weniger. Umso intensiver wird der Moment ausgekostet.

„Es sind immer zwei oder drei Minuten, in denen gar nicht gesprochen wird“, erzählte mir Gerlinde über die Zeit auf dem Gipfel eines Achttausenders: „Ich fühle dann eine demütige Freude, eine tiefe Erfüllung, dort oben stehen zu dürfen. Es gibt nur die Wolken oder den blauen Himmel, und die riesigen Sechstausender liegen irgendwo dort unten.“

Gerlinde Kaltenbrunner beschrieb mir wunderbare Momente in lebensfeindlichen Regionen. Sie erzählte von knirschendem Schnee, der sich in ihren Worten so behaglich anhörte, als redeten wir über Kaminfeuer. Ich bekam Lust auf von Kälte errötete, eisige Wangen. Und ich bekam ein Gefühl dafür, dass die Natur uns auf viele Weisen ihre Geborgenheit schenken kann. Nicht nur im warmen Sand oder unter einem schattigen Baum; sondern überall dort, wo wir bewusst ihre Nähe suchen und uns auf die ureigene Faszination der Natur einlassen, deren Teil wir sind.

Das Gespräch liegt mehr als zehn Jahre zurück, aber ich erinnere mich noch genau daran, wie Gerlinde mir von ihrem Heiratsantrag erzählte, auf den sie mit Schmelzwasser angestoßen hatte.

Es waren -23 Grad Celsius, als ihr damaliger Lebensgefährte und Kletterpartner während einer Himalayaexpedition um ihre Hand anhielt. „Wir haben im Freien übernachtet. Die Nacht war sternenklar und mondhell, die Berge haben geleuchtet und drüben hat man den Mount Everest gesehen.“

Ich erlebe in den Bergen, wie vergänglich der Mensch ist.

Geht es um aussagekräftige Gesprächspartner in Sachen Bergwelt, führt kaum ein Weg an Thomas Huber vorbei, der mit seinem Bruder Alexander das Duo der „Huberbuam“ bildet. Weltberühmt wurden die beiden Bayern, nachdem sie im Oktober 2007 in der Rekordzeit von 2:45 Stunden die „Nose“ geklettert waren, eine rund 1.000 Meter lange Kletterroute durch eine Granitwand am El Capitan im kalifornischen Yosemite- Nationalpark, für die normale Seilschaften drei bis vier Tage benötigen.

Ich traf Thomas erstmals bei einem Sponsorentermin am österreichischen Mondsee. „Der Weg zu meinem inneren Frieden geht über die Berge. Dort spüre ich, dass ich lebe“, diktierte er mir in den Block. Ich kann mich noch genau an seinen Blick erinnern, funkelnde Augen unter buschigen Brauen, umrahmt von einer Mähne langer Haare, die ihm bis über den Rücken fielen; eine ungezähmte Erscheinung, die erkennen ließ, dass Thomas Huber kein großer Anhänger der Komfortzone mit ihren geordneten Verhältnissen ist. An seinem Händedruck, an seinem Blick, an seiner Gestik war zu spüren, dass er nach Grenzsituationen sucht, nach Wirklichkeit und Intensität.

„Das Einzigartige an den Bergen ist, dass man dort Gebiete findet, die absolut unberührt sind. Der Berg ist wunderschön, er steht für die pure Wildnis. Ich erlebe in den Bergen, wie vergänglich der Mensch ist. Man muss nur mal einen Stein in die Hand nehmen: Ein Stein ist fast unzerstörbar, keiner gleicht dem anderen. Ich finde, dass Berge etwas Göttliches haben. Oben auf dem Gipfel ist man Gott eindeutig näher. Ich bin gläubig, auch wenn ich nicht der klassische Kirchgänger bin. Meine Kirche ist die Natur, und mein Weg zu Gott geht über die Berge.“

Thomas Huber begann in den heimischen Alpen bei Berchtesgaden das Klettern, später bestieg er Berge und Gipfel rund um den Globus, von der Antarktis über Patagonien bis zum Karakorum.

Warum wird er nicht müde, loszuziehen und die Wände hochzugehen?

„Ich möchte immer weiter hinter den Horizont schauen. Deshalb suche ich mir immer wieder neue Ziele. Bei jedem neuen Weg muss man sich fragen, ob man ihn überhaupt gehen kann. Der Berg bietet dir unendlich viele Wege, er gibt dir eine Aufgabe, und du kannst sie lösen. Nur, dass es dem Berg ziemlich egal ist, ob du die Aufgabe am Ende wirklich löst.“

Aber was genau ist der Reiz daran, in einem lebensbedrohlichen Umfeld herauszufinden, ob eine selbstgewählte Tour zu begehen ist, oder ob man sich vielleicht doch verkalkuliert hat und sich plötzlich in einer mehr als misslichen Lage wiederfindet?

„In einer komplett industrialisierten Welt suchen wir Bergsteiger das Elementarste im Leben: das Überleben“, sagte Thomas: „Stell’ dir vor, du stehst nackt im Dschungel. Worum geht es dann noch? Ums Überleben! Wenn jemand einmal in seinem Leben knapp überlebt hat, dann wird er noch 20 Jahre später davon erzählen, als wäre es gestern gewesen.“

Meine Eltern haben mir nie gesagt, was ich tun sollte. Sie haben es mich einfach tun lassen.

Der US-Amerikaner Bode Miller war während seiner aktiven Karriere als Skirennläufer für seinen riskanten Fahrstil und seinen Querkopf bekannt, immer wieder griff er Funktionäre des Weltskiverbandes FIS an und warf ihnen Engstirnigkeit vor, zwischenzeitlich verließ er das US-Skiteam und reiste mit eigenem Betreuerstab durch den Weltcup, einige Winter tat er dies während der Rennen in den Alpen sogar im eigenen Wohnmobil, das er den für die Weltcup-Fahrer reservierten Hotels vorzog.

„Meine Eltern haben mir als Kind sehr viele Freiheiten gegeben“, erzählte mir Bode, als ich ihn im Jahr 2009 nach mehr als 20 Anrufversuchen endlich am Hörer hatte; trotz eines verabredeten Interviewtermins war er zwei Tage lang nicht ans Telefon gegangen, bis es ihm dann irgendwann doch noch in den Kram passte: „Meine Eltern waren der Ansicht, es sei gut, wenn ich die Dinge selbst herausfinde. Sie haben mir nie gesagt, was ich tun sollte, sondern haben es mich einfach tun lassen.“

Bode Miller wurde 2010 Olympiasieger, viermal Weltmeister und ist bis heute der einzige Athlet, der mindestens fünf Weltcup-Siege in allen fünf alpinen Disziplinen einfuhr. Aufgewachsen ist er gemeinsam mit drei Geschwistern in den White Mountains im nördlichen New Hampshire, in einem von seinen Eltern errichteten Holzhaus ohne elektrischen Strom und fließendes Wasser.

„Es gab weit und breit keine Stadt, deshalb war ich in einer sicheren Umgebung, meine Eltern brauchten sich keine Sorgen zu machen. In einer Stadt kann viel passieren, dort draußen in der Natur ist es viel sicherer. Und ich war den ganzen Tag draußen, das ganze Jahr über. Im Sommer und im Winter. Du bist allein, läufst stundenlang durch den Wald und hörst auf deine innere Stimme. Es prasseln nicht die ganze Zeit irgendwelche Sachen auf dich ein, die dich gar nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Ich habe schon als Kind viel nachgedacht und die Unabhängigkeit genossen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Das tut dir gut, weil du lernst, die Konsequenzen deiner Entscheidungen zu tragen. Wenn ich mich dort draußen verlaufen hätte, wäre es meine Schuld gewesen. Das ist die Realität. Und die konnte ich schon sehr früh einschätzen, weil meine Eltern mir nicht immer alles abgenommen haben.“

Im Dunkeln zu fahren, ist ein wundervolles Abenteuer. Wer es noch nicht getan hat, dem lege ich es unbedingt ans Herz.

Über die natürliche Ruhe, über die einzigartige Stille und Klarheit einer Umgebung ohne künstliche Einflüsse habe ich 2014 ein Interview mit dem Skilangläufer Christian Hoffmann geführt.

Das Telefonat ist mir aus zweierlei Gründen gut in Erinnerung; erstens, weil ich noch heute das Gefühl habe, von einem Berggipfel aus den Sonnenaufgang zu betrachten, wenn ich an das Gespräch denke; und zweitens, weil ich das Interview unmittelbar nach seiner Beendigung versehentlich vom Diktiergerät löschte.

Wir hatten ausführlich telefoniert, ich bedankte mich für das inspirierende Gespräch, legte auf, wollte die digitale Datei benennen, und plötzlich war da nichts mehr. Ich weiß nicht, wo genau ich den Fehler begangen hatte, und es war auch nicht von Bedeutung: Von einem Telefonat, das mehr als eine Dreiviertelstunde gedauert hatte, war nichts als Stille übrig geblieben. Ich tippte das Gespräch anhand meiner zuvor notierten Fragen, die ich wenigstens als Struktur verwenden konnte, in ein leeres Dokument.

Erst als Christian das geschriebene Interview einige Tage später autorisiert hatte, berichtete ich ihm von meinem Fauxpas und dankte ihm noch einmal für unser Telefonat, das so einprägsam für mich gewesen war, dass ich es aus meinen Gedanken hatte wiedergeben können.

Christian Hoffmann wurde 1999 Weltmeister mit der 4 x 10-Kilometer- Staffel, 2002 holte er über 30 Kilometer in der Loipe Gold bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City. Später widmete er sich dem Skibergsteigen, gewann 2013 und 2014 den Skitourenklassiker „Mountain Attack“ in Saalbach-Hinterglemm.

Auf die Frage, warum sich das Skibergsteigen in den vergangenen Jahren einer immer größer werdenden Beliebtheit erfreut, antwortete der Österreicher: „Ich denke, dass die Menschen sich nach ein wenig Ruhe sehnen. Unsere heutige Welt ist schon sehr laut und hektisch. Dort draußen in der Natur finden wir eine Stille, die es sonst gar nicht mehr gibt. Die Geräusche der Umgebung sind reduziert, so können wir uns auf Dinge konzentrieren, die wir sonst nicht in ihrer ganzen Klarheit wahrnehmen würden. Und das sind verschiedene Geräusche. Unsere Atmung. Das bloße Knirschen des Schnees. Reine, echte Klänge, die im Lärm einer Skipiste schnell mal untergehen.“

Wer ein noch intensiveres Erlebnis erfahren wolle, der könne sich zusätzlich einer visuellen Stille anvertrauen und sich mit Stirnlampe in die Dunkelheit begeben.

„Eine Stirnlampe ist Pflicht, ersetzt aber nicht eine ausreichende Ortskenntnis. Schließlich bewegt man sich im alpinen Gelände, das darf man nicht unterschätzen. Wenn man die Gegend und die Hänge allerdings kennt, kann es ein unvergessliches Erlebnis sein, auch mal im Dunkeln abzufahren. Ich habe das schon bei Vollmond gemacht. In der Nacht nimmt man die Abfahrt noch viel intensiver wahr. Es ist eine Art Stille für die Augen. Die Natur ist wunderschön. In der Dunkelheit wirst du aber nicht von den optischen Eindrücken abgelenkt, kannst dich vollkommen auf dich selbst konzentrieren. Auf jeden einzelnen Schwung im weichen Schnee, auf das einzigartige Gefühl, einen Hang runterzugleiten. Häufig laufe ich auch in der Dunkelheit los und steige nach oben, während es langsam hell wird. Wenn du dann auf dem Gipfel stehst, die Stille hörst und dabei zusiehst, wie die Sonne über den Bergen aufgeht und die ganze Welt in leuchtende Farben taucht, dann ist das wirklich ein erhebendes Gefühl.“

Ähnliches empfahl mir Rebecca Rusch, die Mountainbikerin, die wir zuvor bereits kennengelernt haben. Auch sie schwärmte von einem nächtlichen Ausflug mit Stirnlampe: „Es ist wie in einem Computerspiel. Du fährst durch einen Tunnel, die Zeit fliegt vorbei, du siehst kaum etwas von der Umgebung, sondern nur die Spur, in der du fährst. Für mich ist das ein extremer Fokus, ich bin total konzentriert. Du wirst hypersensitiv, achtest auf jedes Geräusch, hörst Grillen und Eulen. Das ist wirklich einmalig. Es erinnert mich an meine Kindheit, wenn ich allein im Wald unterwegs war. Im Dunkeln zu fahren, ist ein wundervolles Abenteuer. Wer es noch nicht getan hat, dem lege ich es unbedingt ans Herz.“

Wasser auf allen Seiten, eine eigenartige Ruhe. Es war die beste Welle meines Lebens, mein perfekter Augenblick.

Nachdem wir von der Wucht der Achttausender gelesen haben, durch Wälder gestreunt sind und die Magie der nächtlichen Natur erlebt haben, begeben wir uns hinab bis ans Meer und tauchen in den Ozean ein.