Heliosphere 2265 - Band 12: Omega - Der Jahrhundertplan (Science Fiction) - Andreas Suchanek - E-Book

Heliosphere 2265 - Band 12: Omega - Der Jahrhundertplan (Science Fiction) E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Sarah McCall bricht ihr Schweigen und enthüllt über die Omega-Datei die Geschichte ihres langen Lebens. Die Menschheit wird Zeuge einer Reise durch die Jahrhunderte voller Verrat, Kampf und einem unglaublichen Plan - dem Jahrhundertplan. Im Stillen Sektor kommt es schließlich zum Showdown. Die Rebellenflotte, die Schiffe von Stark und Verbände der Parliden stellen sich dem neuen Feind. Gleichzeitig muss Captain Cross erneut eine Entscheidung treffen, die alles verändern wird. Wählt er den Kampf oder den Pfad des Wissens, mit allen Konsequenzen? Dies ist der zwölfte Roman aus der Serie "Heliosphere 2265" Am 01. November 2265 übernimmt Captain Jayden Cross das Kommando über die Hyperion. Ausgerüstet mit einem neuartigen Antrieb und dem Besten an Offensiv- und Defensivtechnik, wird die Hyperion an den Brennpunkten der Solaren Union eingesetzt.

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Table of Contents

»Omega - Der Jahrhundertplan«

Prolog

Der Jahrhundertplan

Alzir-System, NOVA-Station, 01. November 2316, 08:30 Uhr

Zwischenspiel

Stiller Sektor, 12. Februar 2317, 14:16 Uhr

Zwischenspiel

Zwischenspiel

Sol-System, Terra, 01. Januar 2060

Zwischenspiel

Zwischenspiel

01. Januar 2150, Acrux-System

01. Januar 2173 – 2185

01. Januar 2186 – 2229

2229

2236

2244

2264

01. November 2265 – Das dunkle Fragment

16. Januar 2266 – Zwischen den Welten

24. Januar 2266 – Enthüllungen

26. Februar 2266 – Das Gesicht des Verrats

16. April 2266 – Im Zentrum der Gewalten

Epilog

Omega

Prolog

IL HYPERION, auf dem Weg zum Stillen Sektor, 24. Oktober 2266

Terra, Sicherheitsbunker SEC-01, 01. November 2266

Acrux-System, CORE I, 03. November 2266

Alzir-System, NOVA-Station, 07. November 2266

IL HYPERION, Stiller Sektor, 15. November 2266

TRION-Artefakt, Stiller Sektor, 17. November 2266

TORCH II

HYPERION

TORCH II

HYPERION

TORCH II

HYPERION

Epilog I – Der dunkle Spiegel

Epilog II – Aus der Asche

Epilog III – Der Anfang im Ende

Vorschau

Nachwort VII

Die Charaktere

Impressum

Heliosphere 2265

 

Band 12

 

»Omega - Der Jahrhundertplan«

 

von Andreas Suchanek

 

 

Prolog

 

Als sie die Kommandobrücke erreichten, war längst das gesamte Schiff informiert. Die HYPERION beschleunigte seit wenigen Minuten, um mit Erreichen der üblichen 0,45 LG die Interlink-Blase aufzubauen – was kaum jemandem verborgen geblieben sein konnte. Gleichzeitig hatten die Überwachungskameras überall im Raumschiff die Gesichtssignatur von Sarah McCall ohne Frage längst zugeordnet und an das Sicherheitsbüro gemeldet. Die Verräterin war zurückgekehrt und machte ihrem Ruf alle Ehre.

Jayden hatte noch immer das bleiche und leblose Gesicht von Kristen »Kirby« Belflair vor Augen. Als er sein Privatquartier betreten hatte, lag sie auf dem Bett, ein sündhaft teures Abendkleid am Körper, in dem sie ihn hatte überraschen wollen. Die romantische Musik, das gedimmte Licht: Alles wirkte im Rückblick wie ein Albtraum. Aus dem entspannten Abend war ein Horror-Holo geworden. McCall hatte Kirby ein Armband angelegt, das ihr jederzeit eine tödliche Dosis Gift verabreichen konnte. Um seine Freundin zu retten und ein Attentat auf die NOVA-Station zu verhindern, musste er die Verräterin zum Stillen Sektor bringen. Im Gegenzug erhielt er außerdem Antworten. Und nicht nur er.

Seine Erinnerung verblasste, als sie die Kommandobrücke erreichten. Das Schott fuhr zur Seite und Jayden starrte in die ausgerichteten Mündungen von mehreren Pulsern. Jeder auf der Kommandobrücke war bewaffnet. Alpha 365 hatte es geschafft, mit einem Trupp Sicherheitskräften vor ihnen hier zu sein. Lieutenant Commander Akoskin ballte die Hände zu Fäusten und sah so aus, als würde er im nächsten Augenblick auf McCall zustürzen. Der ehemalige Assassine konnte es noch am ehesten mit der ebenfalls aufgerüsteten McCall aufnehmen. Jayden wollte nicht darauf wetten, wer einen solchen Kampf gewinnen würde.

Im Hintergrund saßen und standen die Primär – und Sekundäroffiziere und starrten alle fassungslos auf die Verräterin, die ihre Fäuste in die Hüfte stemmte und in die Runde blickte. »Ein Empfangskomitee, wie schön.« Sie schwieg einen Moment. »Wir wollen doch nicht, dass sich jemand verletzt. Jetzt senken wir brav die Waffen und benehmen uns wie zivilisierte Wilde.«

Die Scharade machte ihr sichtlich Spaß. Und Jayden konnte es der Frau nicht einmal verdenken, immerhin wusste er mittlerweile, woher sie wirklich kam; sie und der ominöse Captain Stark, die über die vergangenen Jahrzehnte, möglicherweise Jahrhunderte die Menschheit beeinflusst hatten. Von Körper zu Körper waren sie gesprungen, von Generation zu Generation. Hatten gelebt und manipuliert, Menschen getötet und die technische Entwicklung vorangetrieben. Oder in eine bestimmte Richtung gelenkt?

In seinem Kopf fuhren die Namen Victor Stone, Ione Kartess, Björn Sjöberg, Juri Michalew, Yoshio Zhang und die vieler anderer Karussell. Waren sie alle Opfer der großen Puppenspieler im Hintergrund? Und dann natürlich Stark in seinen Identitäten als Melnikow und zuvor Admiral Soul. Aber wer war McCall gewesen?

»Senken Sie die Waffen«, sagte Jayden schließlich. »Wir wissen doch, wie ein Kampf ausgehen würde.« Schon einmal hatte die Verräterin eine kleine Show auf der Kommandobrücke geliefert. Weder Pulserpartikel noch Schläge konnten ihr etwas anhaben. Außerdem war sie schnell, verdammt schnell.

Es sprach für den Sicherheitschef, dass er sofort reagierte und seinen Leuten das entsprechende Zeichen gab. Die Pulser wurden gesenkt. »Sir?«

»Verteilen Sie Ihre Männer und Frauen auf der Kommandobrücke. Ein Eingriff erfolgt nur auf meinen ausdrücklichen Befehl.«

»Aye, Sir.«

McCall ging mit wiegenden Hüften auf den Stuhl des Captains zu.

»Denken Sie nicht einmal daran«, sagte er eisig. »Dieser Sitz ist für Sie tabu!«

Sie lächelte. »Für dieses Mal.« Er schluckte, eine Gänsehaut überzog seine Arme. »Aber gut, ich will nicht so sein.« Wie ein Hai durch Wasser glitt sie auf die Kommunikationskonsole zu. »Du da, Marsianer, raus aus meinem Sessel. Für die Zweitbesetzung ist heute kein Platz.«

Lieutenant Larik atmete scharf ein. Auf einen Blick Jaydens erhob er sich jedoch schweigend und trat zur Seite. Seine Augen blitzten wütend auf, mehr als das war ihm aber nicht anzusehen.

Das Brückenschott zischte erneut. Commander Noriko Ishida kam herbeigeeilt, einen Pulser in der Hand. »Was …?« Ihr Blick fiel auf McCall. »Zum Oni!«

Hinter ihr stürzte Tess Kensington in den Raum. »Wer zum Teufel hat den stillen Alarm …« Sie stockte, als sie ihre ehemalige Freundin aus Akademietagen erkannte. »Du!«

Die Anspannung auf der Brücke war mit den Händen greifbar. Während das Schiff unbeirrt aus dem Alzir-System flog, starrte die Brückenbesatzung auf jene Frau, die in ihrer Mitte gelebt und gearbeitet hatte. Sie war verantwortlich für den Tod Tausender, hatte intrigiert, manipuliert und jeden an Bord überwacht und gelenkt.

Ein Icon auf der Kommunikationskonsole leuchtete auf. »Ah, wir sind also soweit«, sagte das Miststück. »Sie werden verstehen, Captain, dass ich auf die sinnlosen Anfragen der Raumüberwachung nicht antworte. Aber schauen Sie nur: Wir haben noch einen eingehenden Phasenfunkspruch von Sarah McCall. Was ich uns wohl mitteilen werde?« Ihre Finger glitten über die Konsole.

Die Holosphäre erwachte zum Leben. In dem schneekugelartigen Gerät im Zentrum der Brücke wirbelten Photonen umher. Ein Gesicht entstand. Ihr Gesicht. Versonnen blickte die ehemalige Lieutenant auf ihr eigenes Konterfei. »Zeit für die Wahrheit«, sagte sie leise.

Jayden schluckte.

Dann begann Sarah McCall in der Holosphäre zu sprechen.

 

TORCH II

»Ma'am, die HYPERION nimmt Fahrt auf.«

Admiral Santana Pendergast hatte kaum Zeit, das Gehörte zu verarbeiten, da wurde der Interlink-Kreuzer auch bereits in die Holosphäre projiziert. »Tasha, kontaktieren Sie sofort Cross. Ich will wissen, was da los ist!«

In wenigen Stunden wollte sie sich mit dem Captain auf der NOVA-Station treffen, um die Ergebnisse seiner Recherche auf CORE I und dem Zusammentreffen mit Cassandra Bennett zu besprechen. Für die HYPERION war derzeit keine Mission geplant.

Und war Kirby Belflair nicht auch gerade dort drüben? Sie warf Captain Brown einen fragenden Blick zu. »Wissen Sie, was da los ist?«

Ein Kopfschütteln. »Aber es sieht Cross nicht ähnlich, mal eben so draufloszufliegen. Da stimmt etwas nicht.«

»Eingehender Funkspruch von NOVA, Ma'am«, sagte Lieutenant Commander Yost. Die Kommunikationsoffizierin blickte mit aufgerissenen Augen von ihrer Konsole auf. »Eine automatische Übertragung von der Sicherheits-K.I. der HYPERION ist soeben eingegangen. Sarah McCall befindet sich an Bord.«

Santana durchfuhr ein eisiger Schreck. »Captain Brown, geben Sie Nachricht an die Flotte. Wir gehen auf Formation Tango Delta Vier und nehmen sofort die Verfolgung auf. Lieutenant Özenir, berechnen Sie einen Verfolgungskurs und das potenzielle Ziel.« Es tat ihr leid, dem Navigationsoffizier keine Auszeit gönnen zu können. Seine Schwester war eine der wenigen Familienangehörigen gewesen, die es nicht von Terra hierhergeschafft hatten. Sie war dort gestorben, was Czem sehr mitgenommen hatte.

»Aye, Ma'am.«

»Tasha, versuchen Sie, Kontakt mit Cross herzustellen. Besorgen Sie außerdem alle Aufzeichnungen der Systemüberwachung. Diese Frau muss irgendwie auf die HYPERION gelangt sein, ich will wissen, wie!«

Behäbig setzte sich die kleine Flotte in Gang, mit der Santana vorgehabt hatte, zum Stillen Sektor zu fliegen und Björn Sjöberg anzugreifen. Geheimdienstinformationen zufolge war die HYDRA in der Nähe der SILENCE-Station gesichtet worden. Es war anzunehmen, dass der Imperator an Bord war.

»Ma'am, eingehender Funkspruch«, meldete Tasha. »Laut Signatur ist der Absender Sarah McCall.« Sie runzelte die Stirn. »Aber der Absendeort ist nicht die HYPERION, sondern ein Phasenfunkrouter hier im System.«

»In die Holosphäre.«

Augenblicke später starrten sie alle auf das Gesicht der Verräterin Sarah McCall. Wie so oft lag ein Lächeln auf ihren Lippen, das ihre Augen jedoch nicht erreichte. Sie begann zu sprechen – und bereits nach den ersten Worten überlief Santana ein eiskalter Schauer. Fassungslos sank sie in einen der Konturensessel und lauschte, während die Flotte der HYPERION folgte.

 

Nova-Station

Der Blick von Admiral Isa Jansen flog in die Höhe, als der Alarm gellte. Doktor Amon Isaak und die Psychologin Marjella Cruz standen an ihrer Seite und waren nicht minder überrascht. Schlug Sjöberg erneut zu?

Cruz fing im Reflex das Pad auf, das Isa ihr zuwarf. Die von der Erde geflohene Frau gehörte ab sofort als Chefpsychologin der NOVA zum festen Stab der Station. An solch überraschende Ereignisse musste sie sich gewöhnen.

»Meldung«, verlangte Isa.

Im Kommandozentrum brach hektische Betriebsamkeit aus.

»Die Gesichtserkennung auf der HYPERION hat eine Warnung ausgelöst«, sagte Commander Mark Tarses. »Es ist Sarah McCall.«

Isa hatte schon von dieser Frau gehört und eine Menge über sie gelesen. Grund genug, diese Situation als immense Gefahr einzuschätzen. »Wir gehen auf Gefechtsalarm. Melden Sie die Sichtung an Admiral Pendergast auf der TORCH II. Ich will jedes Schiff im System gefechtsbereit haben. Und lösen Sie Sicherheitsalarm für alle Einrichtungen aus.«

»Aye, Ma'am.«

Isaak ballte die Fäuste. Als Arzt auf der HYPERION wusste er zweifellos mehr über die Gefährlichkeit dieser Frau als sie.

»Wie zur Hölle kommt sie auf das Schiff?«, fragte Isa leise.

»Glauben Sie mir«, bemerkte der Doktor, »wenn dieses Monster in Menschengestalt etwas will, dann greift sie einfach zu. Was immer dort drüben gerade vor sich geht: Captain Cross hat nicht länger die Kontrolle.«

Es entging Isa nicht, dass der Arzt diese Bemerkung mit einem Ton der Endgültigkeit machte. Ich hätte diesen Bericht von CORE I doch sofort lesen sollen. Aber wann, verdammt? Die Zeit ist das Problem, immer die Zeit.

»Ma'am, eine eingehende Phasenfunknachricht«, meldete Lieutenant Commander Black. »Der Absender ist … Sarah McCall!«

»Auf die Holosphäre.«

Das Gesicht der Verräterin erschien. Und es sprach Worte, die alles veränderten.

 

CORE I

Lächelnd schlug Cassandra Bennett die Beine übereinander. Es war also soweit. Die HYPERION war auf dem Weg zum Stillen Sektor und Sarah war an Bord. Cassandra musste über sich selbst lachen. Es war der Name einer Toten, den sie in Gedanken immer wieder verwendete. Denn wer im Körper von McCall wirklich wohnte, war jemand völlig anderes.

Viel Glück, alte Freundin. Ich hoffe, du findest die Antworten, die du suchst. Dein Weg zurück beginnt heute. Vielleicht wirst du wieder jene werden, die du einst warst.

Sie beobachtete über einen angezapften Datenstrom der Sensorplattformen im Alzir-System, wie der Interlink-Kreuzer immer schneller wurde. Gleichzeitig konnte sie auf einem zweiten Monitor, grafisch aufbereitet, die Verbreitung der Omega-Datei im Phasenfunknetzwerk verfolgen. Die Aufzeichnung von Sarah, in der sie die Wahrheit enthüllte, war seit Jahren in den Phasenfunk-Routern und -Verstärkern gespeichert. Sie hatte nur auf diesen Moment gewartet. So wie Sjöberg einst seinen Coup d'État auslöste, war es nun an Sarah, die Botschaft zu verbreiten. Aus dem Nichts heraus, als Schock für die Menschheit.

Cassandras Gedanken glitten zum Dunklen Wanderer. Dem Beginn. Dem Ende.

Viel Glück, alte Freundin. Bring die Antworten nach Hause.

 

Terra

»Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, sie zu beseitigen«, sagte Harrison Walker, seines Zeichens Chef der Inner Security Police und damit zweitmächtigster Mann in der Hierarchie des Imperiums.

Imperator Björn Sjöberg benötigte einen Moment, um wieder zu dem Gespräch zurückzufinden. Für einen Augenblick hatte ihn ein Schauer ergriffen, eine Gänsehaut überkommen. Wie ging noch gleich der alte Spruch? Als wäre jemand über mein Grab gelaufen. »Wir können Angelica nicht einfach ausschalten. Das wäre in der jetzigen Situation das falsche Signal.«

Seit Tagen grübelte er darüber, was er wegen seiner Frau unternehmen sollte. Die Jahrzehnte in der Parlidenrüstung, als Sklavin der Sternenköpfe, hatten aus der einstmals stolzen Journalistin ein Wrack gemacht. Ein Wrack, das gegenüber ihrer Psychologin wichtige Informationen ausgeplaudert hatte, weshalb Björn Marjella Cruz hatte beseitigen wollen. Leider war jene mit Bruce Walker geflohen und hatte obendrein Projekt Vergeltung überlebt. »Momentan gärt es an allen Ecken und Enden. Dass die Rebellen mit der Unterstützung dieser dämlichen Hunde das Alzir-System halten und zudem ein Gegenmittel für die dritte Generation von Erios entwickeln konnten, bessert meine Laune auch nicht unbedingt.« Es war ein Schock gewesen, von der Allianz zwischen den Rentalianern und den Rebellen zu erfahren.

»Ich habe meinen Sohn geopfert, um Projekt Vergeltung auszuführen, Björn.« Der Chef der Inner Security Police schnaubte. »Er war ein Nichtsnutz, aber er war mein Blut. Dank dieser Schlampe Pendergast starb er umsonst. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, die Rebellen endgültig auszumerzen. Deine Frau ist momentan noch bedeutungslos. Aber wenn sie zum Problem wird …«

Er nimmt sich viel heraus. Demnächst war es wohl an der Zeit, Harrison Walker eine kleine Lektion zu erteilen. Aber nicht heute. Seine Gedanken weilten bei Captain Stark und dem Stillen Sektor. Würde der Plan jenes Mannes Erfolg haben, der ihn jahrzehntelang belogen hatte? Immerhin, sie hatten gemeinsam den Umsturz geplant, ohne dass Björn die Wahrheit kannte. Erst nachdem McCall Cross im Stillen Sektor eingeweiht hatte, kurz nach dem Staatsstreich, hatte er es erfahren. Die Geschichte, so wie wir sie kennen, ist eine Lüge.

»Sir«, platzte sein Leibwächter herein.

»Ich wollte nicht gestört werden. War daran irgendetwas missverständlich?«

»Alpha Order, Sir. Wir sollen Sie umgehend zur Ausweichbasis bringen. Das SOL-CENTER ist nicht mehr sicher.«

Im gleichen Moment begann sein Hand-Com zu vibrieren. Das Protokoll sah vor, die zentralen Lenker des Solaren Imperiums in einen Sicherheitsbunker zu evakuieren, wenn ihre Unversehrheit im SOL-CENTER nicht länger garantiert werden konnte. Die geheime Garde hatte zudem Order, auch die verbliebenen Mitglieder des Schattennetzwerkes in den zweiten Regierungsbunker zu bringen.

Björn fragte sich, was geschehen war. Zumindest bis er gemeinsam mit seiner Garde und Harrison in SEC-01, dem Hauptbunker, eintraf und auf eine Aufnahme des Stillen Sektors blickte. Sie waren da. Und nicht nur das – ihre Raumschiffe nahmen Fahrt auf. Der Schock nach der Passage war also abgeklungen, sie begannen ihr Werk. Niemand war mehr sicher.

Björn strich durch seinen Vollbart, während er seine Mitverschwörer musterte: Svea, Abigail, Jeff, Harrison und Rene. Seine Frau war natürlich nicht hier. Vielleicht hatte er ja Glück und jemand jagte die Residenz in die Luft, dann wäre dieses Problem erledigt.

Soeben traf auch Doktor Florian von Ardenne ein. Sein Genie durfte nicht verloren gehen, obwohl er beim Design von Erios gepfuscht hatte.

»Sir, wir erhalten eine Phasenfunkübertragung direkt an den stationären Empfänger«, meldete ein Gardist von der Kommunikationskonsole.

»Wie ist das möglich?« Er gab sich selbst die Antwort. »Oh, ich verstehe. Da will wohl jemand seinen Triumph auskosten. Stellen Sie McCall durch.«

Doch es war keine Live-Übertragung, die ihn erwartete. Stattdessen begann eine Aufzeichnung. Diese Wahnsinnige enthüllte die Wahrheit. Die ganze Wahrheit.

Zusammen mit den anderen lauschte er der Offenbarung.

 

Stiller Sektor

Die HYDRA erreichte den Punkt am TRION-Artefakt, den er dem Navigator genannt hatte. Wunderbar. Damit war er seinem Ziel ganz nahe. Ursprünglich hatte er das verdammte Ding früher anfliegen wollen, nämlich nachdem Cross von Johnston erledigt worden war. Stattdessen hatte der Executive Controller versagt. Der Killchip des Captains war immunisiert gewesen und der Interlink-Kreuzer, in den er so viele Jahre der Entwicklung investiert hatte, war ihm unter der Nase weggeschnappt worden.

Doch Geduld zahlte sich stets aus. Seit Kurzem produzierte jede Werft des Solaren Imperiums Interlink-Kreuzer. Mittlerweile konnten sogar in die neueste Generation der Dreadnoughts erste Interlink-Aggregate eingebaut werden. »Was auch immer passiert, Captain: Sie halten diese Position.«

»Aye, Sir.«

Er tippte eine Ziffernfolge in die Konsole seines Biobettes. Sein Körper war nicht mehr als eine zerstörte Hülle. Haut löste sich ab, Organe verfaulten, Zähne fielen ihm aus. Nicht einmal die modernste Medizin konnte ihm helfen – dafür hatte sie gesorgt. Doch ihr ewiger Krieg würde bald enden. Jetzt war er wieder hier, konnte sich jene Hilfe holen, die er benötigte. Ein Knopfdruck – und der Codeschlüssel, den er vor vielen Jahrhunderten erhalten hatte, jagte hinaus.

Er lachte und hustete und lachte.

Sie konnten es nicht wissen, niemand von ihnen, doch in diesem Moment hatte er gewonnen. Er lachte noch immer, als der Captain der HYDRA entsetzt aufkeuchte und vor ihm zurückwich. Er lachte, als sein Körper von goldgelben Funken umlodert wurde und die HYDRA verschwand. Er lachte, als um ihn herum der dunkle Stein, die schwarze Flüssigkeit und der Odem des Todes materialisierten.

»Ich grüße dich«, erklang die Stimme der TRION-K.I. von überall zugleich. »Du benötigst erneut meine Hilfe?«

»So ist es«, sagte Stark.

Und dann stellte er seine Forderung.

 

 

 

 

 

 

 

 

I

 

Der Jahrhundertplan

 

 

 

 

 

 

 

Mein Name ist Sarah McCall. Das ist zumindest jener Name, unter dem mich jeder kennt. Meine Geschichte ist auch die Geschichte der Menschheit – in vielerlei Hinsicht. Wenn ihr mich seht, denkt ihr an Verrat, an Tod, an Mord und Trauer. An Verlust und an den Kampf gegen einen unbekannten Feind. Doch ich versichere euch allen: Die Wahrheit kommt dem nicht einmal nahe. Denn so fremd, wie ihr glaubt, bin ich nicht.

Vermutlich denkt ihr, ich spreche von dieser Hülle, die ich mir gestohlen habe. Ihr irrt. Wer ich bin, was ich war, was ich tat und woher ich komme – ihr werdet es erfahren. Ich habe diese Nachricht vor vielen Jahrzehnten zum ersten Mal aufgezeichnet. Sobald ich meinen Körper wechselte, tat ich es erneut. Und wieder und wieder. Stets war ich dazu bereit, im Falle meines nahenden Todes diese Datei zu versenden, die Lawine in Gang zu setzen, die dafür sorgt, dass andere diesen Kampf weiterführen können. Zweifellos werdet ihr festgestellt haben, dass ich nicht tot bin. Stattdessen ist etwas Schlimmeres geschehen. Ihr wisst es vielleicht nicht, doch das Jahr 2266 wird alles verändern. Der Jahrhundertplan wurde zur Vollendung gebracht und Feinde lauern im Schatten, dazu bereit zu vernichten, was ihr liebt. Wenn das geschieht, muss die Wahrheit bekannt werden.

Denn ihr werdet sterben.

Ihr alle.

Und ich.

Aber was rede ich, ihr glaubt mir sowieso nicht. Ich erzähle euch meine Geschichte. Einst habe ich alles verloren: jene, die ich liebte, meine Welt, meine Heimat. Woher ich stamme? Von der Erde natürlich. Denn ich bin ein Mensch. Der letzte echte Mensch, der existiert – zumindest aus meiner Sicht.

Das alles mag schwer zu glauben sein.

Doch ihr werdet begreifen, werdet erfahren, wie alles begann, welch grausame Gefahr wir beschworen haben und was ein einzelner Mann, gezeichnet vom Wahnsinn, verändern kann. Die Menschheitsgeschichte, so wie ihr sie kennt, ist eine Lüge.

Hört also meine Geschichte und urteilt selbst.

 

*

 

Alzir-System, NOVA-Station, 01. November 2316, 08:30 Uhr

 

Ich musste gähnen, so müde war ich. Mein neuronales Interface schickte mehrere Warnmeldungen auf mein Okularimplantat. Ich solle dringend Koffein zuführen. Ach was, wäre ich selbst nie drauf gekommen.

»Was machst du für eine saure Miene, Anika?«, fragte Cassi. »Freu dich gefälligst. Wir gehören zum Team.« Sie hüpfte fröhlich auf und ab.

Von all den Wissenschaftlern, mit denen ich im Laufe meines Lebens zusammengearbeitet hatte, gehörte Cassandra Bennett zu den begeisterungsfähigsten. Sie besaß noch immer diese kindliche Freude und Leidenschaft, die wir alle am Anfang unserer Karriere in uns trugen. Es war eine Wohltat, ihr bei der Arbeit zuzusehen und sich von ihrem Elan anstecken zu lassen.

»Ich brauche Kaffee. Oder von mir aus auch eine Koffein-Tablette.«

»Habt ihr gestern wieder so lange gefachsimpelt?«

»Du nicht?«

Sie kicherte. »Ach was. Die NOVA-Station hat eine der besten Bars der gesamten Solaren Allianz und die Typen des Space Corps, ich kann dir sagen …« Sie fächelte sich mit den Händen Luft herbei, als wäre ihr heiß. »Du solltest dich wieder mehr entspannen. Schau von mir aus ein paar dieser französischen Uraltschinken, die du so magst.«

»Ich hatte in den letzten Jahren genug Freizeit, glaub mir.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Also, Mrs. Magnus, ich will dir ja nicht zu nahetreten, aber das Leben als Hausfrau und Mutter ist dir nicht gut bekommen«, sagte Cassi. »Du gehörst in ein Labor. Vorzugsweise eines auf einem Raumschiff. Die ganze Zeit den Babydroiden zu programmieren, dass er Windeln wechselt und Essen zubereitet, das ist doch total langweilig. Und dein Mann wirkte auch wie ein Tier im Käfig.«

Bei dieser Bemerkung musste ich prusten. »Jetzt ist es ja vorbei. Der Kleine ist bei seinem Onkel, während ich mich hier draußen herumtreibe.«

Wir schlenderten gemeinsam über die Promenade.

»Und dein Mann ist wieder zurück im Corps?«

Ich nickte. »Sie haben ihm eine neue Verwendung als Captain angeboten. Er soll einen der Experimentalraumer testen – alles noch streng geheim.«

Als wir das Aussichtsdeck erreichten, warteten dort schon die anderen. Wie immer war es Richard Meridian, der im Mittelpunkt stand. Mit ihm hatte ich die ganze vergangene Nacht diskutiert. Er war meist ein arrogantes Arschloch, aber auf dem Gebiet der Raumphysik und Quantenmechanik machte ihm keiner etwas vor – außer mir.

»Ladys«, begrüßte er uns. »Ihr kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Wir wollen ein kleines Erinnerungsholo machen. Wer weiß, vielleicht steht das ja eines Tages in einer Glasvitrine in einem Museum und zeigt unseren Nachfahren, was wir einst geleistet haben. Quasi den Moment des Aufbruchs, als alles begann.«

»Au ja«, begeisterte sich Cassi.

»Wenn es sein muss.« Davon hielt ich eigentlich gar nichts. »Ich bin nicht fotogen.«

»Quatsch, du bist hübsch wie eh und je«, schleimte Richard. Er mochte ja oftmals den Starken markieren, doch einen gewissen Charme konnte ich ihm nicht absprechen.

So stellten wir uns also alle auf. Das Aussichtsdeck der NOVA-Station war atemberaubend. Und wir hatten Glück. Unser Schiff war so angekoppelt, dass wir es durch die Scheibe aus transparentem Kabanit sehen konnten.

Richard spielte ein wenig mit den Einstellungen des Vids. »Ich denke, ich kann den Spiegeleffekt und den Zoom so ausnutzen, dass es aussieht, als stünden wir direkt unter dem Raumschiff. Man wird sogar die Aufschrift lesen können.«

Gesagt, getan.

Wir machten also die Aufnahme.

Als ich mir das Bild am Ende anschaute, war ich beeindruckt. Es zeigte uns sechs unter dem Rumpf der HYPERION IV – Cassandra wie immer breit lächelnd. Ein schöner Anblick, der Aufbruchstimmung in mir weckte. »Gehen wir an Bord. Nicht, dass der Dunkle Wanderer verschwindet.«

Und so betraten wir den neuesten Dreadnought des Space Corps.

 

*

 

Obwohl ich dank meines Ehemanns alles über Raumschiffe, Antriebe, Waffensysteme und Sensoren wusste – ich bekomme noch heute Schlafattacken, wenn ich an die stundenlangen Erklärungen denke –, musste ich die Führung mitmachen. Und ich gebe zu: Das Schiff war beeindruckend.

»Dank der neuen Sprungtechnologie werden wir unser Ziel in wenigen Stunden erreichen«, erklärte Captain Bai Yun.

Ich wusste natürlich, dass es Jahrzehnte gedauert hatte, die Sprungtechnologie zu perfektionieren. Anfangs waren Raumschiffe über das Phasenband geglitten. Ab Phase vier war jedoch Schluss gewesen. Das fünfte Band war nicht passierbar, bis man herausfand, dass es völlig anders funktionierte. Ich musste auflachen. Erst, als es zu einem Unfall gekommen war – einer zufälligen Strahlenfreisetzung –, war aufgefallen, dass sich das fünfte Band für Phasensprünge eignete.

Während einige Wissenschaftler sich darauf gestürzt hatten, untersuchten andere die neue Strahlung, die die Sprünge erst möglich machte. Aus diesem Zweig entstand ein kleines Projekt, das jedoch nach wenigen Jahren wieder eingestellt wurde. Die von den Wissenschaftlern anvisierten Interlink-Kreuzer wurden nie fertiggestellt. Stattdessen konzentrierte man sich auf die Sprungantriebe – mit Erfolg.

Der Captain plapperte munter weiter, während ich endlich einen Getränkeautomaten erspähte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Tatsächlich gab es sogar eine Sorte ViKo. Das Getränk war vor vielen Jahren aus der Mode geraten und niemand trank dieses widerliche Zeug heute noch freiwillig. Dafür gab es reichlich Kaffee und Cucamajun. »Halleluja.« Ich ließ mir eine Tasse von letzterem füllen, roch einige Sekunden daran und nahm einen großen Schluck.

»Du bist so ein Junkie«, sagte Leroy Forest. Er war meist schweigsam, aber durchaus sympathisch. Ich sah grinsend dabei zu, wie er sich eine Riola zog. »Genau wie ich.«

»Hast du schon alles vorbereitet?«

»Klar«, erklärte er nickend. »Das ist die Chance unseres Lebens. Es gleicht einem Wunder, dass die Tiefraumsensoren diesen Dunklen Wanderer angemessen haben. Die Chancen darauf standen verdammt schlecht.« Ein wenig Milchschaum blieb an seinem Ziegenbärtchen hängen. Während ich ihn sonst immer mit so etwas aufzog, verzichtete ich heute darauf, da auch meine Gedanken an unserem Ziel verweilten.

»Ich weiß. Als Admiral Kensington mich bat, an dem Projekt teilzunehmen, war ich total baff.«

»Oha, die Iron Lady hat dich persönlich zurückgeholt?«

Ich musste schmunzeln. Die Admiralin hatte sich über die Jahre einen Hart-aber-fair-Ruf erarbeitet, was einigen Karriereoffizieren nicht gefallen hatte. »Sie eifert eben ihrem Vorbild nach, dieser Pendergast.«

»Ist mir egal«, sagte Leroy. »Ich bin nur froh, dass ich nicht zum Militär gehöre. Mir reicht es, dass die Taxi für uns spielen.«

Ich schaute mich sicherheitshalber um. Flottenangehörige nahmen derlei Gerede meist nicht gut auf und ich hatte keine Lust, dass heute wie durch Geisterhand die Temperaturregulierung meiner Kabine versagte. »Setzen wir uns ab? Das Erholungsdeck soll eine gute Bar haben. Und laut Cassi brauche ich dringend Erholung.« Meiner eigenen Meinung nach übrigens auch. Das ließ ich jedoch unausgesprochen.

Leroy war sofort dabei und so unterhielten wir uns ein wenig, während die anderen sich durch das Schiff führen ließen.

 

*

 

Zu sechst standen wir auf der Kommandobrücke. Überall ragten die typischen Displayröhren in die Höhe, auf denen neuterranische Schriftzeichen aufleuchteten. Neben den Konsolen standen Sicherheitskräfte, ausgerüstet mit Deatomisierern. Seitdem die Piraten immer öfter Schiffe kaperten, hatte das Zentralkommando die Order ausgegeben, keine Betäubung mehr einzusetzen. Ich hatte einmal mit angesehen, wie die Strahlung einer solchen Waffe eine Person zu Sand hatte zerbröseln lassen – es war gespenstisch gewesen. An jenem Tag war sogar ich – die stets taffe und unerschrockene Anika Magnus – so entsetzt gewesen, dass mein Mittagessen auf den Schuhen eines Sicherheitsoffiziers landete.

»Einen derartigen Strahlungsmix haben wir noch nie gesehen«, sagte Kevin Rosenbaum. Sein Zwillingsbruder Jacob nickte bestätigend.

Es war eine Mischung aus Sivorstrahlung, wie sie bei den alten Tortransmittern der Rentalianer eingesetzt wurde. Hinzu kam ein Anteil an Tachyonen-, Röntgen – und Gammastrahlung.

»Ich habe gerade mit meiner L.I. gesprochen«, sagte Captain Bai Yun. »Wir können sie nicht dorthinunter translokieren. Der Wurmlochgenerator wird durch die Strahlung beeinträchtigt, Sie müssen ein Shuttle nehmen.«

Ein Shuttle! Mit einem Mal kam ich mir wieder vor wie im letzten Jahrhundert. Aber schön, was konnten wir schon tun? Irgendwie mussten wir nach dort unten. Denn so gut die Sensoren der HYPERION IV auch waren: Aussagekräftige Messungen waren nur am Boden möglich. Richard, Cassi und ich sollten die Strahlenspektren aufschlüsseln. Kevin und Jacob galten als Fachleute der Interdisziplinären Wissenschaften. Sie verstanden sich zudem auf Xenobiologie und Xenopsychologie. Leroy war Physiker, Mathematiker und ein Ass auf dem Gebiet der Sensortechnologie. Wir bildeten ein schlagkräftiges Sextett.

»Also schön«, sagte Richard. »Fliegen wir hinunter und lösen das Rätsel des Dunklen Wanderers. Deshalb sind wir ja schließlich hier.«

Und so begingen wir den größten Fehler unseres Lebens.

 

*

 

Wir betraten eine tote Welt. Aufgrund der Strahlung hatten wir weit außerhalb des Strahlennexus' landen müssen und stapften nun in unseren Kraftfeldanzügen Richtung Quelle. Ich überprüfte erneut die winzigen Emitter an meinen Gelenken, die das Kraftfeld um meinen Körper erzeugten. Zwar war es in den letzten dreißig Jahren zu keiner einzigen Fehlfunktion gekommen, aber ich war lieber etwas zu vorsichtig.

Obwohl der Planet ohne Sonne durch die Leere reiste und keinerlei Wärme hätte vorherrschen dürfen, war genau das der Fall. Statt vom Himmel kam diese jedoch aus dem Boden. Für das Licht waren kleine Kunstsonnen verantwortlich, die im Orbit kreisten. Bis zum Horizont sah man nichts als Wüste.

»Wie heimelig«, sagte Cassi.

»Dann stellen wir uns mal auf einen langen Fußmarsch ein«, fügte Richard hinzu.

Schweigend trotteten wir weiter. Bai Yun hatte uns drei Sicherheitskräfte zur Seite gestellt, die ihre Deatomisierer gezückt hielten. Was glaubten diese Paranoiker eigentlich? Dass jeden Moment ein riesiger Wüstenwurm durch den Boden brach? Hm. Wenn ich es mir recht überlegte, konnte das tatsächlich geschehen. Mit einem Mal wirkten die Waffen beruhigend.

So stapften wir also drauflos. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir die Stadt erreichten. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass viele Tage vergangen waren, als wir am Horizont die dunklen Türme erblickten.

»Da ist sie«, sagte Richard. Er blickte auf sein Hand-Com. »Wir haben exakt eine Stunde und vierzehn Minuten benötigt.«

Nun gut, ich war vielleicht nicht mehr ganz so in Form wie gedacht. Glücklicherweise keuchten auch die anderen – das beruhigte mich etwas.

Die Stadt dagegen sorgte für das genaue Gegenteil. Mal ehrlich, wer lebte in so einem gruseligen Teil? Dunkle Türme ragten hoch in den Himmel, dazwischen waberten Wolken aus feinem, farbigen Nebel, zwischen denen Blitze hin – und herzuckten. Auf der Außenseite der Gebäude waren Gespinste aus schwarzen Fäden angebracht, über die eine noch schwärzere Flüssigkeit zu Boden rann. Die Straßen fielen zur Mitte hin schräg ab, sodass sich kleine Kanäle bildeten. In diesen sammelte sich die Brühe.

»Es ist Säure«, sagte Cassi nach einem Blick auf ihren Handsensor. »Was auch immer dort hineingerät, es wird sofort zersetzt. Das übersteht nicht einmal Kabanit.«

Das Material galt als eines der stabilsten und strahlenresistentesten in der Solaren Allianz. Findige Molekulardesigner hatten Titan bearbeitet und daraus ein völlig neues Material geschaffen.

Während wir uns dem Stadtzentrum näherten, sah ich mich um. Immer wieder hatte ich das Gefühl, etwas aus den Augenwinkeln wahrzunehmen. Einen Schemen, nicht mehr. Doch ein Blick auf meinen Sensor bestätigte, dass wir neun die einzigen lebenden Wesen in dieser Stadt waren.

»Alles okay mit dir?«, fragte Cassi.

»Klar. Meine Nerven spielen ein wenig verrückt. Ich habe ständig das Gefühl, etwas zu sehen.«

»Geht mir genauso«, gab meine Freundin zu. »Unheimlich. Da kommen mir die ganzen alten Horror-Holos wieder in den Sinn.«

Danke, Cassi. Damit begann auch mein Kopfkino zu arbeiten. Von wegen geteiltes Leid ist halbes Leid. Unsinn!

Endlich erreichten wir die zentrale Kuppel, wo das Zentrum des Strahlenmixes lag. Sie war riesig, glatt und rund – wie ein Dom. Ob sie unter der Erde weiterging?

Wir entdeckten den wabenförmigen Eingang, vor dem zwei Statuen emporragten. Sie waren von Nebel umhüllt, wir konnten ihre Physiognomie nicht ausmachen. Nun, das hatte Zeit. Als wir nähertraten, öffnete sich das Portal wie eine Irisblende. Wie war das möglich? Woher kam die Energie? Diese Welt musste doch seit Äonen verlassen sein.

Schritt für Schritt traten wir in die Kuppel. Licht floss aus den Wänden, sickerte herab und tauchte das Innere in einen düsteren, höllischen Schein. Und dort, exakt im Zentrum, schwebte es. Eindeutig ein Fraktal.

»Ein Menger-Schwamm der vierten Iterationsstufe«, sagte Leroy. Als Mathematiker hatte er das Gebilde sofort erkannt.

Wir gingen näher.

Auf der Oberfläche waren seltsame Glyphen eingebrannt. Ein Würfel, bestehend aus Würfeln. Mir wurde ganz schummrig, als ich das Artefakt anstarrte. Und mit einem Mal, ich kann bis heute nicht erklären warum, hatte ich Angst. Vielleicht war es eine Vorahnung, möglicherweise sehe ich es auch nur im Rückblick so. Ich wollte den anderen sagen, dass wir umkehren sollten, dass die HYPERION eine Fusionsbombe auf diese Welt werfen musste. Doch ich schwieg.

Und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

 

*

 

Zwischenspiel

Ihr könnt euch sicher denken, was wir taten. Das Gleiche wie ihr natürlich. Wir bargen das Fraktal und entdeckten recht schnell, dass es Schnittstellen zu weiteren Elementen gab. Suchschiffe flogen ins All, um die übrigen Artefakte zu suchen. Die Tiefraumsensoren wurden auf exakt diesen Strahlenmix ausgerichtet. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis wir mehr Fraktale fanden.

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Wir erschufen die Maschine, deren wahres Alter nicht festgelegt werden konnte, und leiteten unseren eigenen Untergang ein.

 

*

 

Stiller Sektor, 12. Februar 2317, 14:16 Uhr

 

Während die Selbstreinigungsfunktion meiner Kleidung die Reste des Saftes entfernte, hetzte ich durch die Gänge der Station. Richards Funkspruch hatte mich erschreckt, weshalb jetzt ein orangefarbener Fleck auf meiner Hose glänzte.

Seine Nachricht hatte euphorisch geklungen und das bedeutete eine Menge. War das der Durchbruch?

»Ah, du also auch«, erklang die Stimme von Cassi neben mir. »Er gibt nicht so leicht auf, was?«