Hellebarden - José Saramago - E-Book

Hellebarden E-Book

José Saramago

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Beschreibung

José Saramago, ein so sprachgewaltiger wie politischer Autor, hat in seinen Romanen stets der Gesellschaft den Spiegel vorgehalten. In seinem Romanfragment "Hellebarden", an dem er bis zu seinem Tod gearbeitet hat, setzt sich der Nobelpreisträger ironisch und spielerisch zugleich damit auseinander, welche Folgen der Handel mit Waffen nach sich zieht. Ein hochbrisantes Thema, das heute mehr denn je die ganze Welt bewegt. Mit Beiträgen von Roberto Saviano und Fernando Gómez Aguilera und Illustrationen von Günter Grass.

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Seitenzahl: 95

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José Saramago

Hellebarden

Ein Romanfragment

Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner

Mit Beiträgen von Roberto Saviano und Fernando Gómez Aguilera

Hoffmann und Campe

Hellebarden

1

Der Mann heißt Artur Paz Semedo und arbeitet seit fast zwanzig Jahren in der Rechnungsabteilung für leichte Waffen und Munition einer traditionsreichen Waffenfabrik mit dem Firmennamen Fabrikation Belona S.A., benannt nach der römischen Kriegsgöttin, wie zu erklären sich empfiehlt, denn es gibt nur noch sehr wenige Menschen, denen an derlei nutzlosem Wissen gelegen ist. Passender könnte der Name wahrlich nicht sein. Andere Fabriken, riesengroße, weltweit einflussreiche Imperien der Rüstungsindustrie, mögen sich Krupp oder Thyssen nennen, doch diese Fabrikation Belona S.A. profitiert von einer einzigartigen, aus der Antike stammenden Bedeutung, wozu lediglich gesagt sei, dass nach der maßgeblichen Meinung einiger Fachleute gewisse Teile der militärischen Gerätschaften der Römer – Schilde, Rüstungen, Helme, Lanzenspitzen und Schwerter, wie sie uns in Museen begegnen - in einer bescheidenen Schmiede in Trastevere entstanden, die, wie es seinerzeit allgemein hieß, von der Göttin höchstpersönlich in Rom gegründet wurde. Vor nicht langer Zeit vertrat ein Artikel in einer Zeitschrift für militärische Archäologie die Ansicht, kürzlich entdeckte Reste einer Wurfmaschine stammten aus dieser mythischen Schmiede, eine These, die alsbald von anderen wissenschaftlichen Autoritäten mit dem Argument zurückgewiesen wurde, dass in jener fernen Vergangenheit die furchtbare Waffe, die man Wurfmaschine oder Katapult nannte, noch gar nicht erfunden war. Falls es jemanden interessiert, dieser Artur Paz Semedo ist weder ledig noch verheiratet, auch nicht geschieden oder verwitwet, er lebt einfach nur getrennt von seiner Frau, nicht weil er dies gewollt hätte, sondern weil sie es so entschieden hat, denn als militante Pazifistin konnte sie es nicht länger ertragen, durch das zwangsläufige Zusammenleben und die ehelichen Pflichten an den Buchhalter eines waffenproduzierenden Unternehmens gebunden zu sein. Eine Frage der Konsequenz, ganz einfach, hatte sie erklärt. Der gleichen Konsequenz, die sie bewogen hatte, sich umzubenennen, denn ihren Taufnamen Berta nach der Großmutter mütterlicherseits hatte sie offiziell in Felícia ändern lassen, um nicht ihr Leben lang den direkten Bezug zu der deutschen Kanone mit sich schleppen zu müssen, die im Ersten Weltkrieg berühmt wurde, weil sie aus einer Entfernung von hundertzwanzig Kilometern Paris bombardierte. Um auf Artur Paz Semedo zurückzukommen, ist zu sagen, dass es der große Traum seines Berufslebens ist, zum leitenden Buchhalter einer der Abteilungen für schwere Waffen ernannt zu werden, statt für Kleinkram wie Munition für leichte Waffen zuständig zu sein, was bislang fast ausschließlich sein Arbeitsgebiet ausgemacht hat. Psychisch steigert sich diese übermächtige, jedoch unerfüllte Ambition bis zur Begierde, wenn die Geschäftsleitung neue Modelle vorstellt und die Angestellten den Übungsplatz besichtigen lässt, das Erbe aus einer Ära, in der die Waffen eine wesentlich geringere Reichweite hatten, der nun jedoch für keinerlei Schießübung mehr eingesetzt werden konnte. Der Anblick der glänzenden Artilleriegeschütze unterschiedlichen Kalibers, der Flugabwehrkanonen, der schweren Maschinengewehre, der Mörser mit ihrem gen Himmel gerichteten Rohr, der Torpedos, der Seeminen, der Raketenwerfer vom Typ Stalinorgel war die größte Freude, die das Leben ihm bieten konnte. Noch fehlten Panzer im Katalog der Fabrik, doch war bereits bekannt, dass die Fabrikation Belona S.A. daran arbeitete, mit einem am Merkava der israelischen Streitkräfte inspirierten Modell auf den Markt zu kommen. Eine bessere Wahl hätten sie nicht treffen können, davon dürften die Palästinenser ein Lied singen können. Vor so vielen und so starken Gefühlen schwanden unserem Mann fast die Sinne. Der Ohnmacht nahe, zumindest glaubte er dies, stammelte er, Wasser, man gebe mir bitte Wasser, und immer war Wasser zur Stelle, denn die Kollegen kannten das schon und eilten ihm sofort zu Hilfe. Das Ganze war vor allem eine Nervensache, niemals verlor Artur Paz das Bewusstsein ganz und gar. Wie man sieht, ist der, um den es hier geht, ein interessantes Beispiel für den Widerspruch zwischen Wollen und Können. Obwohl leidenschaftlicher Liebhaber von Schusswaffen, hat er nie auch nur einen einzigen Schuss abgegeben, nicht einmal Freizeitjäger ist er, und angesichts seiner unübersehbaren physischen Mängel hat das Militär ihn nicht in seinen Reihen haben wollen. Arbeitete er nicht in der Waffenfabrik, lebte er höchstwahrscheinlich noch heute mit seiner pazifistischen Felícia, ohne nach anderem zu streben. Doch denke man nun nicht, dass es sich um einen unglücklichen, verbitterten, vom Leben enttäuschten Mann handelt. Im Gegenteil. Die Premiere eines Kriegsfilms versetzt ihn in nahezu kindliche Vorfreude, die jedoch niemals vollkommen befriedigt wird, denn nichts, was er sieht, ist ihm genug, seien es Maschinengewehrsalven, Kämpfe Mann gegen Mann, Bomben, die ganze Straßenzüge ausradieren, Panzer, die um sich schießen und alles niederwalzen, was ihnen im Weg ist, ja sogar eine exemplarische Erschießung von Deserteuren. Tatsächlich ist Artur Paz Semedo angesichts der Tumulte auf der Leinwand bei voll aufgedrehter Lautstärke zumindest im Geiste, falls dieser Widerspruch gestattet ist, die perfekte Verkörperung der Göttin Bellona. Wenn in den Kinos keine Kriegsfilme gezeigt werden, greift er auf seine gutsortierte Videokassettensammlung zurück, die von alten bis zu den neuesten Filmen reicht, darunter als Perle der Sammlung Die große Parade von 1930 mit John Gilbert, dem Galan mit dem Lippenbärtchen, dem der Tonfilm die Karriere ruinierte, denn seine Stimme war schrill, fast kreischend, wie die eines schlechten Operetten-Tenorbuffo, völlig untypisch für einen Helden, von dem erwartet wird, dass er allein mit dem Ruf »Attacke« ein ganzes Bataillon aus den Schützengräben holt. Die meisten Filme seiner Sammlung sind amerikanische Produktionen, doch gibt es auch ein paar französische, japanische und russische, etwa Die große Illusion, Ran und Panzerkreuzer Potemkin. Dennoch, Hollywood-Produktionen stellen die Mehrheit der Sammlung, dabei fallen Titel ins Auge wie zum Beispiel Apocalypse Now, Der längste Tag, Der schmale Grat, Die Kanonen von Navarone, Todeskommando Iwo Jima, Schlacht um Midway, Bestimmung Tokio, Patton – Rebell in Uniform, Pearl Harbour, Ardennen 1944, Der Soldat James Ryan, Full Metal Jacket. Ein wahrer Generalstabslehrgang.

Eines Tages las Artur Paz Semedo in der Zeitung, dass in der städtischen Cinemathek Sierra de Teruel von André Malraux gezeigt würde, ein 1939 gedrehter Film über den Spanischen Bürgerkrieg. Das wäre womöglich eine gute Gelegenheit, sich eingehend darüber zu informieren, was in dem Konflikt geschehen war, in dem die im Nachbarland herrschende Volksfront von einem faschistischen Bündnis besiegt wurde, an dem sich deutsche Braunhemden, italienische Schwarzhemden, berittene Mauren und »Viriatos« beteiligten, wie die freiwilligen oder ebenfalls zum Schießen angeworbenen Portugiesen genannt wurden. Er hatte den Film noch nicht gesehen, wusste nicht einmal, dass es sich um die Verfilmung eines gleichfalls von André Malraux geschriebenen Buches mit dem Titel Die Hoffnung handelte. Von diesem Artur Paz Semedo, einem Mann der Zahlen und Rechnungen, kann man nicht behaupten, er sei jemals ein begeisterter Leser gewesen, allenfalls dürfen wir ihn als einen relativ beflissenen Leser bezeichnen, als einen derer, die es hin und wieder aus diesem oder jenem Grund oder auch ohne besonderen Grund als ihre Bürgerpflicht betrachten, dieses oder jenes Buch zu lesen, und wenn sie sich an die lobenswerte Arbeit gemacht haben, können wir sicher sein, dass sie – ausgenommen, höhere Gewalt hindert sie daran – nicht eine einzige Zeile überspringen werden. Obwohl es zwischen seiner Wesens- und Denkensart und der Geschichte, die im Film erzählt wurde, wie sich aus dem Berichteten schon mehr oder weniger folgern lässt, nicht gerade viele Übereinstimmungen gab, ganz im Gegenteil, hatten ihn die Bilder zu Tränen gerührt, die den Abstieg aus der Sierra de Teruel zeigen, als die Toten und Verletzten von ihren Kameraden über der Schulter getragen werden, vorbei an den geballten Fäusten der Menschen, die zahlreich aus den umliegenden Dörfern zu der Bergungsaktion geeilt waren. Deshalb war es eigentlich logisch, dass er entschied, ein Buch, das vom Krieg handelt, sei für ihn als Liebhaber von Kriegsfilmen und Angestellten der Fabrikation Belona S.A. eine Art Pflichtlektüre. Er suchte in den Buchhandlungen danach, fand es aber nicht. Das Werk sei schon alt, es gebe keine Nachfrage, die neue Bestellungen rechtfertigen würde, sagte man ihm, vielleicht könne er es in einem Antiquariat finden. Artur Paz Semedo befolgte den Rat, und im dritten Geschäft schließlich war seine Suche von Erfolg gekrönt, man zeigte ihm nicht weniger als zwei Exemplare, eins auf Französisch, das andere in der Übersetzung, beide recht sauber und gut erhalten, Welches darf es sein, fragte der Buchhändler. Artur Paz Semedo besaß noch ein paar Kenntnisse der Sprache Molières, ein diffuses Erbe aus seiner Schulzeit, doch fürchtete er, der Stil des Autors übersteige bei weitem seine Verständnisfähigkeiten, weshalb er sich für eine salomonische Lösung entschied, Ich nehme beide. Die Bücher waren nicht teuer, trotzdem gab ihm der Buchhändler einen kleinen Rabatt. Beim Waffenhandel war es auch üblich, Abschläge zu gewähren, auf dem Gebiet kannte er sich aus, eine so große Vielfalt an Provisionen, dass sie in manchen besonderen Fällen gar die Gewinnmarge des Unternehmens bedrohten. Kurz, wie die Volksweisheit zwar nicht sagt, aber durchaus sagen könnte, Wenn du eines Tages ernten möchtest, kremple die Ärmel hoch und säe jetzt. Jedes Geschäft hat seine Regeln. Auch dieser Buchhändler setzte, als er ihm den Nachlass gewährte, darauf, dass der neue Kunde vielleicht abermals die Tür zu seinem Laden öffnen würde. Artur Paz Semedos Idee, beide Exemplare des Buches zu kaufen, war so einleuchtend wie brillant, denn wann immer er auf Schwierigkeiten stieße, das Original zu enträtseln, hätte er als Hilfe die Übersetzung des Buches zur Hand. Noch am selben Abend setzte er sich nach dem Essen in seinen Lieblingssessel, schlug Die Hoffnung