Herausforderung Demenz   Ein Leitfaden - Gertrud Reuter - E-Book

Herausforderung Demenz Ein Leitfaden E-Book

Gertrud Reuter

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Beschreibung

Das Buch wendet sich an diejenigen, die im familiären und im beruflichen Umfeld mit der Betreuung von Menschen mit Demenz zu tun haben. Praxisbeispiele geben Hilfe zum Umgang mit dem Personenkreis. Fachbegriffe und theoretische Ansätze werden erklärt Die Autorin wirbt um Verständnis. Pflegefachkräfte müssen sich in die Lage von pflegenden Angehörigen versetzen können und pflegende Angehörige müssen das Handeln der Fachkräfte verstehen lernen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Formen der Demenz

Kommunikation und Demenz

Theoretische Ansätze

4.1. Feils Theorie der Validation

4.2. Kitwoods „Dementia Care Mapping"

4.3. Heidelberger Instrument

4.4. Kurzbewertung der Methoden

Praktische Ansätze

5.1. Herangehensweise

5.2. Verständigungsschwierigkeiten

5.3. Unterstützung suchen

5.4. Alltag gestalten

Betreuung in stationären Einrichtungen

Grundhaltungen für die Betreuung

Demenz: Eine ständige Herausforderung

Arbeitssituation in stationären Bereichen

Schlussbemerkungen

Literaturliste

1. Vorwort

Die Autorin arbeitet seit vier Jahrzehnten in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz.

Im vorliegenden Band möchte sie in das Thema „Begleitung und Betreuung von Menschen mit einer Demenz" einführen. Schwerpunkte dieser Abhandlung sind: Demente Menschen zu verstehen und den Alltag mit ihnen zu gestalten.

In den letzten 20 Jahren hat sich die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz zu einer gesellschaftlichen Herausforderung entwickelt. Der Anteil der älteren Menschen, die heute unter einer Demenz leiden, hat um ein Vielfaches zugenommen. Mehr und mehr Menschen kennen in ihrer eigenen Familie oder im näheren Umfeld jemanden mit einer Demenz. Dies wirft für sie viele Fragen im Umgang mit diesem Personenkreis auf.

In der folgenden Abhandlung wird der Fokus auf den richtigen oder falschen Umgang gelenkt, wobei man anmerken muss, dass es äußerst schwierig ist, Patentrezepte zu geben. Oft steht man vor der Frage: „Was soll ich tun?" Und häufig gibt es dann keine richtige oder falsche Antwort. Denn alles, was man tut, kann sowohl falsch als auch richtig sein. Man kann die Reaktion von Menschen mit einer Demenz nie genau vorhersehen. Und so wird man sich herantasten müssen. Dies ist für pflegende Angehörige wie auch für die professionellen Pflege- und Betreuungskräfte eine ständige Herausforderung. Wichtig ist, dass man einen eigenen Weg findet, der einem das Gefühl vermittelt, das Richtige für den betroffenen Menschen getan zu haben. Oft sind auch die Reaktionen eines Dementen schwer zu verstehen. Dies kann auf beiden Seiten zu Missverständnissen führen, deren Folge oft ein schlechtes Gewissen ist. Damit haben viele pflegende Angehörige zu kämpfen, aber auch Berufsanfänger, die mit der Pflege und Betreuung von Menschen mit einer Demenz betraut sind. Dieses Buch soll anhand von Beispielen die Möglichkeit des Umgangs verdeutlichen und Hinweise geben, wie man den Alltag mit diesem Personenkreis gestalten kann.

In stationären Einrichtungen gibt es spezifische Hürden für alle, die in Betreuung und Pflege tätig sind. Auf sie soll gesondert eingegangen werden. Ein besonderes Problem stellt zum Beispiel die personelle Ausstattung dar, die sich im Allgemeinen zahlenmäßig gut anhört. Pflegeschlüssel wie etwa 1:2 täuschen aber darüber hinweg, dass es sich dabei um eine 24-Stunden-Aufgabe und um eine 7-Tage- Woche handelt und niemals eine Pflege- oder Betreuungskraft für zwei demente Menschen in ihrer Schicht zuständig ist. Hier müssen drei Tagesschichten, Wochenenddienste, Urlaub und andere Ausfalltage mit eingerechnet werden und so erlebt man in der Praxis meist, dass eine Fachkraft für zehn und mehr Pflegeheimbewohner in ihrer Arbeitsschicht verantwortlich ist.

Das vorliegende Buch richtet sich an pflegende Angehörige, Schüler der Altenpflege sowie an Fachkräfte in der Pflege und Betreuung. Anhand von Beispielen werden konkrete Anregungen zum Umgang mit dementen Menschen gegeben.

Um die von Demenz betroffenen Menschen besser verstehen zu können, befassen sich die ersten Kapitel mit theoretischen Fragestellungen. Hier wird erklärt, was man unter Demenz versteht, und wie Kommunikation funktioniert (Kap.3). Beides ist zum besseren Verständnis notwendig. Danach folgen kurze Abrisse einiger Theorien zum Umgang mit Menschen mit einer Demenz (Kap.4). Sie werden deutlich machen, dass es sich bei der Pflege und Betreuung dieser Personengruppe um eine anspruchsvolle Tätigkeit handelt, die mit entsprechendem Fachwissen leichter zu bewältigen ist.

Kapitel 5 enthält eine Reihe praktischer Hinweise und Anregungen, die sowohl zu Hause als auch in stationären Einrichtungen angewandt werden können.

Das darauffolgende Kapitel 6 diskutiert die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen. Schon hier sei erwähnt, dass die Pflege und Betreuung dementer Menschen auch stationäre Einrichtungen vor größere Probleme stellt. Eine der größten Schwierigkeiten ist die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Arbeit und die damit verbundenen politischen Entscheidungen, die sich in der Praxis stationärer Einrichtungen widerspiegeln. Oft sind die Probleme nicht durch die Einrichtungen verursacht, sondern Auswirkungen politischer Entscheidungen, denen Pflegeeinrichtungen unterliegen. Eine nicht unerhebliche Rolle spielen Pflegesätze, über die alle anfallenden Kosten gedeckt werde n müssen. Die äußere n Rahmenbedingungen beeinträchtigen die Träger und in nicht unerheblichen Maße die Arbeitsbedingungen. Auf dieses Thema wird im Kapitel 9 der Schwerpunkt gelegt.

Im folgenden Text werden Begriffe wie Begleiter und Betreuer verwandt. Unter Begleiter wird hier derjenige verstanden, der einen Menschen mit Demenz im Alltag begleitet und keine professionelle Ausbildung hat. Es kann sich dabei um Familienangehörige, um Nachbarn oder Bekannte handeln. Der Begriff des Betreuers steht für professionelle Pflege-und Betreuungskräfte. Der Begriff wird hier nicht im Sinne von bestellten Berufsbetreuern durch das Amtsgericht verwandt.

Das vorliegende Buch will um Verständnis für alle mit dieser Aufgabe Betrauten werben. Fachkräfte müssen sich in die Lage von pflegenden Angehörigen versetzen können und pflegende Angehörige müssen das Handeln der Fachkräfte verstehen lernen. Aus diesem Grunde werden Beispiele der Betreuung zuhause erörtert und es findet eine Analyse stationärer Betreuung statt.

2. Formen der Demenz

Der Begriff der Demenz lässt sich vom lateinischen „de" und dem Wort „mens" ableiten. Übersetzt würde dies heißen, weg vom Verstand. In dieser Bedeutung wird der Begriff heute allerdings nicht mehr verwandt.1 Eine solche Definition würde Menschen mit einer Demenz zu Personen, die nicht mehr verstandesmäßig handeln können, herabstufen. Demente Menschen können allerdings noch lange ihren Verstand einsetzen. Im Endstadium der Demenz kann man kein verstandesmäßiges Handeln mehr beobachten, in diesem Stadium sind Menschen mit einer Demenz meist bettlägrig und können sich sprachlich nicht mehr äußern.

Mittlerweile versteht man unter Demenz einen fortschreitenden Prozess, mit dem ein organischer Abbau von Gehirnzellen verbunden ist. Man kann sich das so vorstellen, dass Informationen nicht mehr ordnungsgemäß weitergeleitet werden können, so entsteht eine Störung in der Kommunikation zwischen einzelnen Zellen. Diese Störung äußert sich in einem verminderten kognitiven Leistungsvermögen. Die betroffenen Personen zeigen dabei keine Bewusstseinstrübungen, sie sind allerdings nicht mehr in der Lage, alle anfallenden Alltagsaufgaben zu bewältigen.2 Gründe dafür sind, dass „viele höhere Funktionen der Hirnrinde, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen,

Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen"3 betroffen sind. Eine weitere damit verbundene Schwierigkeit ist, dass diese kognitiven Beeinträchtigungen von einer

Verschlechterung der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet werden.4 Menschen mit einer Demenz handeln also durchaus noch immer mit ihrem Verstand, sie verlieren jedoch nach und nach immer mehr kognitive Fähigkeiten. Bes onde rs a uff all end sind hier Erinnerungslücken und das Vergessen aktueller Dinge. Oft merken Betroffene diese Verluste und versuchen sich dann mit bekannten Floskeln und Redewendungen aus der Affäre zu ziehen.

Beispiel:

„Guten Tag Frau M., ich komme vom Medizinischen Dienst und möchte mit Ihnen ein Gespräch führen." Frau M. bittet den Gast sich zusetzen, fragt: "Kann ich Ihnen etwas anbieten?" Sie geht in die Küche und kommt mit einem Teller Plätzchen zurück. Die Frau vom MDK beobachtet Frau M. genau und beginnt ein Gespräch. In diesem Gespräch ist Frau M. sehr freundlich, nickt oft und wenn sie nach irgendwelchen Tätigkeiten aus ihrem Alltag gefragt wird, sagt sie immer: „das mache ich alles allein". Als sie nach ihrem Geburtstag gefragt wird, antwortet sie: „Eine Frau fragt man doch nicht nach ihrem Alter, wichtig ist, wie jung man sich fühlt. "

Das Beispiel zeigt eine bekannte Reaktion von Menschen mit Demenz. Sie versuchen, wie jeder Mensch, sich keine Blöße vor Fremden zu geben. Sie sind schlagfertig und oft Meister in Ausreden.

Demenzen werden in primäre und sekundäre unterteilt. Bei den primären Demenzen handelt es sich um eine zerebral bedingte Demenz, die durch einen Veränderungsprozess des Gehirns verursacht ist. Darunter fallen zum Beispiel die Alzheimer Demenz, die Multi- Infarkt-Demenz und die vaskuläre Demenz.5

Vaskulär entstandene Demenzen sind auf Durchblutungsstörungen des Gehirns zurückzuführen. Sie können an unterschiedlichen Orten des Gehirns auftreten und schädigen Blutgefäße. So werden bestimmte Bereiche des Gehirns nicht mehr ordnungsgemäß versorgt, als Folge können kognitive Störungen entstehen. Die Multi-Infarkt- Demenz hat ihre Ursachen in der Schädigung verschiedener Organe, die ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Gehirns beinträchtigen. Oft sind auch Bereiche des Gehirns direkt geschädigt. Bei der Alzheimer Demenz handelt es sich um einen allmählichen Abbau einiger Bereiche des Gehirns, mit der Folge des zunehmenden Verlusts kognitiver Fähigkeiten.

Sekundären Demenzen liegen innere Erkrankungen, wie zum Beispiel ein Tumor, der die Symptome einer Demenz hervorrufen kann, zugrunde.6

Demenz entsteht organisch vorwiegend bei neurodegenerativen Erkrankungen, das heißt Bereiche des Gehirns werden allmählich zerstört. So kommt es beispielsweise zu einer fehlerhaften Verarbeitung bestimmter Proteine (Eiweiße) in den Nervenzellen, die dann die Zerstörung dieser Nervenzellen auslösen. Eine Demenz kann aber auch durch zerebrovaskuläre Erkrankungen (das sind Erkrankungen des Gehirns mit einer zu geringen Blutversorgung) entstehen, sowie durch Organschädigungen, die eine ungenügende Blutversorgung nach sich ziehen; beide beeinträchtigen die

Informationsverarbeitung im Gehirn.7 Diese so entstandenen Veränderungsprozesse rufen eine schleichend beginnende Demenz hervor. Im Anfangsstadium sind kaum merkbare Verhaltensunterschiede zu Menschen ohne Demenz zu erkennen. Erst ganz langsam erscheinen von Demenz Betroffene auffällig, sie reagieren nicht mehr in dem gewohnten und erwarteten Muster. Durch die beginnende Vergesslichkeit, die sie anfänglich meist nur selbst wahrnehmen, entstehen allmählich ungewohnte Verhaltensweisen.

Man geht beispielsweise zum Einkaufen aus dem Haus, hat aber bereits vor der Haustür vergessen, dass man einkaufen wollte und macht dann einen Spaziergang. Oder man geht Einkaufen und lässt die Einkaufstasche stehen.

Demenz verläuft in verschiedenen Stadien. Man unterscheidet ein Vorstadium, ein leichtes, mittelschweres und ein schweres Demenzstadium.8

Im Vorstadium ist die Erkrankung nicht eindeutig erkennbar. Es existieren noch keine deutlichen Symptome, die sich ausschließlich dem Krankheitsbild Demenz zuordnen lassen würden. Oft beginnt es damit, dass schwierige Aufgaben nicht mehr zu bewältigen sind. Menschen mit einer Demenz entwickeln zum Beispiel Vermeidungstaktiken oder konstruieren sich kleine Hilfen, wie zum Beispiel Notizzettel.9

Im leichten Demenzstadium fallen erste klar zuordenbare Symptome auf. In diesem Stadium ist das Kurzzeitgedächtnis betroffen. Man kann sich neue Inhalte schlecht oder gar nicht mehr merken. Bei bekannten Alltagsabläufen schleichen sich Fehler ein. Zeitliche und räumliche Orientierungsprobleme tauchen auf. Menschen mit einer Demenz nehmen diese Veränderung an sich selbst wahr. Sie bemerken ihre Leistungseinschränkungen und reagieren mitunter sehr emotional. Es treten häufiger Zustände wie depressive Verstimmung, Zorn, Gereiztsein, Wut und Aggression auf.10

Auf das leichte Demenzstadium folgt das mittelschwere. Der Abbauprozess im Gehirn schreitet weiter fort und mehr und mehr Fähigkeiten gehen verloren. Betroffene brauchen nun bei fast allen Tätigkeiten Unterstützung. Die „fortschreitende zeitliche Desorientierung führt zur Vermischung von Gegenwärtigem und Vergangenem. Die räumliche Desorientierung nimmt derart zu, dass sich Betroffene nicht mehr in der eigenen Wohnung zurechtfinden und sich ... verlaufen. Sinneseindrücke werden verkannt."11

Begleitend treten häufig Stimmungsschwankungen auf, demente Menschen reagieren aus externer Sicht mitüberzogenen Emotionen. Sie fühlen sich nicht verstanden und antworten aggressiv und abwehrend auf gut gemeinte Fürsorge. Aus der Sicht eines von Demenz Betroffenen ist seine Reaktion vollkommen verständlich, da er die Intervention von außen als völlig unpassend wahrgenommen hat. In diesem Stadium ist oft auch schon das Sprachverhalten gestört, es treten Wortfindungsstörungen auf, der Betroffene hat unter Umständen einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, ebenso kann eine innere Unruhe, die zum Umherirren und/oder Sammeln von Gegenständen führt, eintreten.12 Dies ist oft der Zeitpunkt, wo eine Betreuung und Pflege zu Hause immer schwerer wird und eine hohe körperliche und psychische Belastung darstellt. Angehörige entscheiden sich in diesem Stadium häufig für eine stationäre, zunächst vielleicht für eine teilstationäre, später eine vollstationäre Unterbringung.

Im schweren Demenzstadium sind die Betroffenen meist bettlägrig oder sitzen im Rollstuhl und können sich nicht mehr alleine bewegen. Kommunikation über Sprache ist kaum noch möglich, eventuell werden einzelne Worte gesprochen oder auch ständig wiederholt. Stereotype Verhaltensweisen können ebenfalls auftauchen. Manche

Menschen rufen ständig, ohne es selbst zu merken oder zu hören. In diesem Stadium ist das Gefühlsempfinden besonders stark ausgeprägt. Diese Menschen sind durchaus in der Lage etwas wahrzunehmen. Oft ist jedoch für Außenstehende nicht genau erkennbar, ob und was wahrgenommen wird.

Dies macht es für Angehörige, Pflege- und Betreuungskräfte sehr schwer, immer eine adäquate Versorgung zu gewährleisten. Bei der Körperpflege sind die Vorgaben klar umrissen. Für die Alltagsbetreuung eines dementen Menschen gibt es im Allgemeinen jedoch keine klaren Vorgaben. So muss oft ausprobiert und genau beobachtet werden, was für den Einzelnen noch Sinn ergibt. Auf biografische Daten zurückzugreifen ist hier ein guter Anhaltspunkt.

Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz ähneln sich stark. Dies lässt aber keinesfalls den Schluss zu, dass sich Demente in etwa gleichen Situationen auch gleich verhalten. Sie sind in ihren Verhaltensäußerungen recht unterschiedlich. Ursache dafür ist ihre spezifische Biografie, die Art der Demenz und das Stadium, in dem sie sich befindet. Menschen mit einer Demenz sind zu Beginn der Erkrankung sehr unauffällig, während sich in fortgeschrittenen Stadien immer auffälligere Verhaltensweisen herauskristallisieren.

Diesen recht verschiedenen Verhaltensauffälligkeiten liegen unterschiedliche Ursachen zugrunde. Die typischen Demenzsymptome beschreibt Hirsch folgendermaßen:

„- kognitive Beeinträchtigungen (...)

Desorientierung

Störung der Sinne

Störung der Sprache, der motorischen Aktivitäten sowie der Fähigkeit, Gegenstände wiederzukennen

Weglauftendenz und planloses Umherirren

emotionale Störungen (....)

Verringerung des Ess- und Trinkbedürfnisses bis zur Verweigerung

mangelndes Hygieneverhalten

Inkontinenz

Bettlägerigkeit

soziale Inkompetenz und Isolation"

13

Alle genannten Symptome können auf einen Menschen mit Demenz zutreffen. Nur in seltenen Fällen tauchen alle gemeinsam auf, einige werden jedoch bei jedem Menschen mit einer Demenz zu finden sein.

Mit diesen Verhaltensauffälligkeiten gehen oft psychiatrische Begleitsymptome einher. Zu nennen sind hier: Angst, depressive Verstimmung, Halluzinationen, Bestehlungs- und Beeinträchtigungswahn und Verkennung von Personen.14

Das Zusammenspiel von kognitiven Beeinträchtigungen und psychiatrischen Begleitsymptomen ruft bei dementen Menschen unterschiedliche Reaktionen hervor. Daher gibt es auch keine allgemeingültigen Regeln zur Betreuung. Es handelt sich bei allen Ansätzen und Vorschlägen immer nur um Möglichkeiten des Herangehens. Was in Einzelfällen tatsächlich angebracht ist, müssen Pflege- und Betreuungspersonen immer aufs Neue herausfinden.

Betreuung eines Menschen mit Demenz heißt für Begleiter und Betreuer immer, sich auf eine Forschungsreise zu begeben; was heute funktioniert, kann morgen schon unangebracht sein. Empathie und großes Einfühlungsvermögen sind die wichtigsten Eigenschaften für alle, die sich auf die Pflege und Betreuung von Menschen mit einer Demenz einlassen.

1 vgl. MDS 2009, S.32

2 vgl. Werheid 2010, S. 23

3 MDS 2009, S.32

4 vgl. MDS 2009, S. 32

5 vgl. Hirsch 1991, S. 112

6 vgl. ebd., 1991, S. 112

7 vgl. Werheid 2010, S. 23

8 vgl. Flatz 2004, S. 18ff

9 vgl. ebd., S. 18

10 vgl. ebd., S. 19

11 ebd., S. 19

12 vgl. ebd., S. 20

13 Hirsch 1991, S. 113

14 vgl.Grond 2009, S. 24

3. Kommunikation und Demenz

Kommunikation ist das wichtigste Element in der Arbeit mit Menschen mit Demenz. Deshalb soll hier kurz auf einige elementare Prozesse in der Kommunikation zwischen Personen eingegangen werden. Sie sind die Grundlage dafür, einige Verhaltensweisen besser verstehen zu können. Kommunikation bedeutet, dass im Allgemeinen mehrere Personen an einem Gespräch beteiligt sind. Die Kommunikation läuft zwischen den Gesprächspartnern hin und her. Würde man dies mit einer geometrischen Figur vergleichen, käme dafür der Kreis vielleicht am ehesten in Frage. So wählt der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick hierfür den Begriff der „Kreisförmigkeit".15 Das heißt Anfang und Ende sind nicht genau zu bestimmen. Ginge man allerdings davon aus, dass ein Gespräch mit dem ersten gesagten Wort begonnen hat und mit den Erwiderungen fortgeführt wird, wäre Anfang und Ende genau bestimmbar. Kommunikationstheoretiker sind allerdings der Meinung, dass die Kommunikation bereits mit nonverbalen Symbolen begonnen hat, die vor der sprachlichen Äußerung gesendet worden sind. An einem Beispiel verdeutlicht: Person A reagiert auf das gefühlte Anschauen von Person B. Person A fühlt sich durch den freundlichen Blick von Person B ermuntert, einen verbalen Austausch in Gang zu setzen. Darauf reagiert A und so entsteht ein kreisförmiger Kommunikationsablauf in verschiedenen nonverbalen und verbalen Sequenzen. Deutlich wird an diesem Beispiel auch, dass Kommunikation nicht allein das Gesagte betrifft, sondern von anderen Erscheinungsformen, wie „paralinguistischen Phänomenen (Tonfall, Schnelligkeit oder Langsamkeit der Sprache, Pausen, Lachen und Seufzen), Körperhaltung, Ausdrucksbewegungen (Körpersprache)"16 mit geprägt wird.

Daraus lässt sich ferner ableiten, dass es keine Situation gibt, in der nicht kommuniziert wird. Watzlawick sagt: „Man kann sich nicht nicht verhalten...Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und kommunizieren damit selbst."17

Dieses Phänomen trifft auch auf Menschen mit einer Demenz zu. Gerade sie nehmen oft wesentlich mehr wahr als Menschen, die nicht von Demenz betroffen sind. Die kognitiven Einschränkungen führen zu einer Konzentration auf Emotionalität. So können demente Personen Gefühlsregungen des Gesprächspartners wesentlich genauer wahrnehmen und reagieren darauf. Der Gesprächspartner B nimmt seine emotional gesendeten Informationen nicht als gesendet wahr. Er geht davon aus, dass sein Gegenüber A seine vorhandenen Gefühle nicht erkannt hat. Er möchte sie ihm auch nicht mitteilen. Leider verrät aber seine Stimmlage und auch seine Körperhaltung etwas über seine Gefühlslage. B denkt, A hat eine sachliche Information bekommen, darauf kann er sachlich antworten. A hingegen hat B sehr genau beobachtet und interpretiert nicht nur das gehörte, sondern auch das gefühlte Wort.

In der Zusammenarbeit mit Menschen mit Demenz stehen Gefühle im Vordergrund. Diese Menschen äußern vieles über Gefühle, sie haben eine ausgeprägte Antenne für Emotionen und können so unbewusste Gefühls- und Verhaltensäußerungen ihres Gegenübers wahrnehmen. Ein Mensch mit Demenz wird sich also wie Person A verhalten. Und die Antwort, die Person B erhält, ist keine sachliche Antwort. B wird sich also fragen: Wie kommt er zu dieser Reaktion. Im Allgemeinen geht man, wie hier auch Person B, davon aus, dass man ohne Zwischentöne etwas vermittelt hat und fragt sich, warum der Gesprächspartner zum Beispiel so überzogen reagiert. Dabei nimmt man nicht wahr, dass der demente Mensch verschiedene emotionale Hinweise erhalten hat. „Menschen unterliegen also Beeinflussungen, die uns nicht bewusst sind und zu denen wir daher keine bewusste Stellung ergreifen können. Noch bedenklicher aber ist, dass wir selbst natürlich nicht nur Empfänger, sondern auch Sender solcher außerbewußter Beeinflussungen sind, wie sehr wir uns auch bemühen mögen, sie zu vermeiden."18 Hinzu kommt ein weiteres Phänomen, nämlich, dass man sein Gegenüber auch interpretiert. Man versucht das Gesagte zu verstehen und versteht es nach seinem eigenen Interpretationsschema. Damit legt man seinem Gegenüber vielleicht etwas in den Mund, was er gar nicht sagen wollte. Schulz von Thun sagt, ich reagiere „auf die Fantasien, die ich mir von ihnen mache".19 Man kann die Fantasien, die man vom anderen hat, nicht ausschalten, oft ist man sich aber auch nicht bewusst, dass man etwas in den anderen hinein interpretiert hat.

Im Umgang mit von Demenz betroffenen Menschen wäre es natürlich sinnvoll und wichtig zu wissen, dass man auch eigene Vorstellungen in den anderen hinein projiziert. Verhindern kann man dies nicht. Man müsste also versuchen, sich seiner Wahrnehmungen und Interpretationen zu vergewissern. Das hieße in der Praxis, sich zu fragen, ob man nicht selbst der Auslöser für eine emotionale Reaktion oder Antwort war. Konkret könnte das bedeuten, dass man sich beispielsweise fragen müsste, ob der Andere die Abneigung gespürt haben könnte und deshalb eher abweisend geantwortet hat.

Wir haben in der Kommunikation drei Empfangsvorgänge, die im allgemeinen miteinander verschmelzen und nach Schulz von Thun zu einem „Knuddelmuddelprodukt"20 werden: Wahrnehmen, Interpretieren und Fühlen.21 Diese drei Vorgänge sind immer subjektiv gefärbt.