Herausforderung Pädophilie - Claudia Schwarze - E-Book

Herausforderung Pädophilie E-Book

Claudia Schwarze

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Beschreibung

Die Beschäftigung mit dem Thema Pädophilie kommt in den Medien meist nur im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch an Kindern zur Sprache. Die meisten pädophilen Männer (und wenigen Frauen) werden aber nicht straffällig. Sie haben eine sexuelle Ausrichtung, die zu akzeptieren schon nicht einfach ist. Noch schwerer ist es, mit diesem - nicht ausgelebten - Schicksal zu leben. Betroffene, die sich um Prävention bemühen, verdienen deshalb großen Respekt und Unterstützung. Die Autoren fassen den aktuellen Wissensstand zusammen. Sie beschreiben die widersprüchlichen Gefühle ihrer Klienten, die Probleme von Coming out bis zur Berufswahl, aber auch die Flucht ins Internet, Risikofaktoren und -situationen und das Leiden der Kinder. Der Mythos der Einvernehmlichkeit wird ebenso hinterfragt wie die These, dass der Gebrauch von Missbrauchsabbildungen Schlimmeres verhindert. Im Zentrum stehen die Hinweise für einen konstruktiven Umgang mit Pädophilie und die Möglichkeiten von Therapie. Jeweils eigene Kapitel widmen sich - Betroffenen mit Anregungen zur Selbsthilfe und Selbstkontrolle - Angehörigen und ihren Scham- und Schuldgefühlen und den Möglichkeiten der sozialen Unterstützung - Angeboten und Arbeitsweisen des Präventionsnetzwerkes »Kein Täter werden«. Die berührenden Erfahrungen von zwei pädophilen Männern erleichtern es, die psychischen Folgen einer Neigung zu verstehen, mit der auseinanderzusetzen für niemanden einfach ist. Downloadmaterialien für Therapie und Selbsthilfe, Adressen von Anlaufstellen sowie Literaturhinweise ermutigen Betroffene, ihre Angehörigen und Fachleute, sich dem Thema Pädophilie zu stellen und sich Hilfe zu holen, wenn man nicht weiter weiß.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 312

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Claudia Schwarze, Gernot Hahn

Herausforderung Pädophilie

Beratung, Selbsthilfe, Prävention

Gernot Hahn, Dr.Dipl. Sozialpädagoge und Dipl. Sozialtherapeut, leitet die Forensische Ambulanz im Klinikum am Europakanal Erlangen. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Begleitung und ambulante Nachsorge vormals im Maßregelvollzug untergebrachter, straffällig gewordener Menschen. Er hat sich in einem längerfristigen Forschungsprojekt mit den Schutzfaktoren rückfallfreier Sexualstraftäter beschäftigt.

Claudia Schwarze, Dipl. Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin, leitet die Psychotherapeutische Fachambulanz in Nürnberg, die auf die therapeutische Behandlung von Menschen, die Sexualstraftaten begangen haben, spezialisiert ist. Daneben ist die Einrichtung eine Anlaufstelle für Menschen, die nach ihrer eigenen Einschätzung gefährdet sind, eine Sexualstraftat zu begehen, und Hilfe suchen.

Claudia Schwarze, Gernot Hahn

Herausforderung Pädophilie

Beratung, Selbsthilfe, Prävention

1. Auflage 2016

ISBN Print 978-3-88414-645-3

ISBN PDF 978-3-88414-881-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Hinweis

Bei den in diesem Buch angegebenen therapeutischen Verfahren, Hinweisen zur medikamentösen Behandlung und bei den einzelnen Übungen und praktischen Anwendungsmöglichkeiten haben die Autoren den aktuellen wissenschaftlichen Stand berücksichtigt. Autoren und Verlag können aber keine Garantie für die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Inhalte geben.

Aus rechtlichen Gründen müssen sie auch Betroffene darauf hinweisen, dass die Verantwortung für einen sicheren Umgang mit einer pädophilen Ausrichtung beim Leser liegt. Wenn bei Ihnen Zweifel oder Unsicherheiten entstehen, Sie nicht sicher abschätzen können, ob es ggf. zu Straftaten kommen könnte, nehmen Sie bitte Kontakt zu einer der Beratungs- bzw. Therapiestellen auf, die am Ende des Buches genannt werden.

Alle Arbeitsmaterialien stehen im Internet zum Download zur Verfügung unter:

http://www.psychiatrie-verlag.de/​buecher/​detail/​book-detail/​

Herausforderung-Paedophilie

© Psychiatrie Verlag GmbH, Köln 2016

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Karin Koch, Köln

Umschlagkonzeption und -gestaltung: GRAFIKSCHMITZ, Köln unter Verwendung eines Fotos von samuelschalch/​photocase.com

Typografiekonzeption und Satz: Iga Bielejec, Nierstein

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

Es ist nicht genug zu wissen – man muss auch anwenden.

Es ist nicht genug zu wollen – man muss auch tun.

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Inhalt

Cover

Titel

Zu den Autoren

Impressum

Zitat

Downloadmaterialien

Geleitwort

Einleitung

Was ist Pädophilie?

Viele Bezeichnungen mit wichtigen Unterschieden

Ist Pädophilie eine Krankheit?

Wie viele Menschen sind betroffen?

Die Frage nach den Ursachen

Sexualität – eine Annäherung

Einige Erklärungsansätze

Verlangen und Verhalten: Was ist strafbar?

Gefühle und Gefühlschaos

Lust und Frust

Verliebtheit, Liebe und Sehnsucht

Traurigkeit und Verzweiflung

Scham und Schuld

Angst und Mut

Einsamkeit und Isolation

Wut und Trotz

Wenn Gefühle krank machen

Mit der Pädophilie leben lernen

Akzeptanz

Von der Ambivalenz zur Entscheidung

Trauer und Abschiednehmen

Grundbedürfnisse und Werte als Wegweiser für das eigene Leben

Commitment – die Selbstverpflichtung

Coming-out: Unterstützung und soziale Netzwerke

Angehörige: Zwischen Schuldgefühlen, Sorge und Unterstützung

Wie so etwas Heikles ansprechen?

Ausweg Internet

Auf der Suche nach Informationen

Auf der Suche nach Austausch mit anderen pädophilen Menschen

Kindesmissbrauchsabbildungen als Ersatzbefriedigung?

Risikofaktoren und -situationen

Vier Vorbedingungen eines sexuellen Missbrauchs

Emotionale Identifikation mit Kindern

Impulsivität

Schwierigkeiten, intime Beziehungen zu führen

Hypersexualität

Schwierigkeiten, Gefühle zu regulieren

Narzisstische Anspruchshaltung und antisoziale Einstellungen

Nutzung von Kindesmissbrauchsabbildungen

Der Glaube an die Einvernehmlichkeit

Berufswahl und Ehrenamt: Wie viel Kontakt zu Kindern ist möglich?

Was passiert mit den Kindern? Die Folgen sexuellen Missbrauchs

Das Erleben der Kinder

Kurzfristige Folgen eines sexuellen Missbrauchs

Langfristige Folgen eines sexuellen Missbrauchs

Sequentielle Traumatisierung

Ist Wiedergutmachung möglich?

Selbsthilfe: Möglichkeiten der Selbsteinschätzung, Selbstkontrolle und Veränderung

Selbsteinschätzung

Selbstkontrolle

Veränderung pädophiler Interessen

Professionelle Hilfe und Therapie

Beratung

Ambulante Psychotherapie

Stationäre Krisenintervention

Medikamentöse Behandlung

»Kein Täter werden« Ein Therapieangebot für Menschen mit pädophilen Neigungen

Matthias Butz, Marion Dörfler, Petya Schuhmann, Michael Osterheider

Therapie pädophiler Personen – eine Lücke im Versorgungssystem

Das Präventionsnetzwerk »Kein Täter werden«

Der Weg zu uns

Erstgespräch und Infogruppe

Die Gruppentherapie

Schlusswort

Adressen

Selbsthilfe

Fachliche Hilfe

Literatur

Für Betroffene und Angehörige

Fachliteratur

Glossar

Weitere Bücher

Downloadmaterialien

Arbeitsblätter für Selbsthilfe und Therapie

Die Tanner-Skala

Das Sexualpräferenz-Männchen

Übung zur Akzeptanz

Umgang mit ambivalenten Gefühlen

Lebensziele und Werte

Selbstverpflichtung

Vertrauenspersonen in Krisen

Selbsttäuschungen und Rechtfertigungen erkennen

Umgang mit Kindern

Selbstbeobachtungsbogen

Skala zur Selbsteinschätzung pädophiler Fantasien

Die sexualpädagogische Pädo-Ampel

Persönliche Warnsignale und Strategien

Exkurse als Infoblätter

Antikes Griechenland: Beziehungen zwischen Männern und Jungen

Die Entwicklung des deutschen Sexualstrafrechts

Kindliche Sexualität

Ehrenkodex für Pädophile

Adressen

Gesetzliche Regelungen im Internet

Alle bundesdeutschen Gesetze sind im Internet auf der Seite des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz zu finden: www.gesetze-im-internet.de

Im Kontext des Buches sind folgende Abschnitte und Paragrafen des Strafgesetzbuches (StGB) relevant:

Abschnitt 13: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§174 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

§176 Sexueller Missbrauch von Kindern

§179 Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen

§180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger

§182 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen

Abschnitt 2: Die Tat

§20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

§21 Verminderte Schuldfähigkeit

Abschnitt 3: Rechtsfolgen der Tat

§63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

§64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Weitere relevante Paragrafen

§203 Verletzung von Privatgeheimnissen (Schweigepflicht für Ärzte, Therapeuten, Berater usw.)

§138 StGB Nichtanzeige geplanter Straftaten (Offenbarungspflicht)

§34 StGB Rechtfertigender Notstand (Offenbarungsbefugnis für Ärzte, Therapeuten, Berater usw.)

Geleitwort

Claudia Schwarze und Gernot Hahn äußern sich zu einem Thema, das in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren eher Abscheu als Interesse ausgelöst hat. Die meisten Menschen wollen mit Pädophilie nichts zu tun haben und möglichst niemandem begegnen, »der sich dafür interessiert«. Pädophilie wird häufig kurzerhand mit sexuellem Missbrauch von Kindern gleichgesetzt, und Menschen, die sich selbst als pädophil bezeichnen, müssen oft damit rechnen, in Zukunft gemieden zu werden.

In diesem Band wird mit einfachen und verständlichen Worten das Phänomen einer sexuellen Vorliebe und ihrer Bedeutung für die Betroffenen, ihre Angehörigen und für die Kinder, die zum Ziel dieser Vorliebe werden, erklärt. Es wird sehr deutlich, dass in den meisten Fällen die Betroffenen sich durchaus bewusst sind, dass sie ihre Vorliebe nicht ohne Schaden für die Kinder ihres Begehrens ausleben können und deshalb in einem deprimierenden Dilemma leben.

Das Buch wendet sich zunächst an die Betroffenen selbst, denen Ratschläge zur Selbsthilfe gegeben, aber auch Möglichkeiten der Therapie aufgezeigt werden. Zum Teil werden sehr pragmatische Hilfen zur Selbsteinschätzung und für die Selbsthilfe angeboten. Immer wieder kommen auch Betroffene selbst zu Wort. Es wendet sich an alle, die bisher nichts Sachliches zu diesem Thema gefunden haben, aber auch an Therapeuten, die bisher nicht direkt mit der Behandlung der mit Pädophilie verbundenen Störungen zu tun hatten. Die Autorin und der Autor können das, weil sie seit Jahren mit Betroffenen arbeiten: sowohl im Kontext von gerichtlichen Auflagen zur Therapie, aber auch mit Menschen, die aus eigener Initiative therapeutische Hilfe suchen. In einem Kapitel des Buches wird außerdem das Projekt, das »Kein Täter werden« heißt, vorgestellt. Es wendet sich an Menschen, die eine pädophile Neigung verspüren, ohne Täter werden zu wollen. Dieses Projekt kann inzwischen an elf Standorten in Deutschland Betroffenen anonym Hilfe anbieten.

In einfacher und für alle lesbarer Form wird Wissen auf dem neuesten Stand der Forschung und der therapeutischen Professionalität vermittelt, aber auch den Betroffenen ermöglicht, sich dazu zu äußern. Ein Buch, das im besten Sinn des Wortes der Aufklärung dient. Ich gratuliere den Autoren zu diesem gelungenen Werk!

Prof. em. Dr.Wolfgang Berner

Ehemaliger Leiter des Instituts für Sexualforschung

Einleitung

»Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?« Vielleicht haben Sie die Anzeigenkampagne des Präventionsnetzwerks »Kein Täter werden« in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen und sich gefragt: Ist das nicht unnormal? Schon die Vorstellung, Kinder als Sexobjekte, das geht gar nicht! Aber vielleicht war da auch die leise Frage: Wie ist das eigentlich bei mir, fühle ich mich von Kindern sexuell angesprochen? Oder mein Vater, mein Bruder, mein Sohn?

Pädophilie ist eines der emotional am stärksten aufgeheizten Themen in unserer Gesellschaft und wird gleichzeitig tabuisiert. Dabei sind diese problematisierten sexuellen Interessen an Kindern gar nicht so selten, schätzungsweise 250.000 Männer (PONSETI 2014) in Deutschland sind betroffen. Die Gesellschaft nahm lange Zeit erst dann pädophile Menschen wahr, wenn diese straffällig geworden waren. Häufig folgten dann ausschließlich rechtliche Sanktionen: Haftstrafen, Therapieweisungen, Berufsverbote. Erst seit wenigen Jahren besteht auch ein Interesse an der Lebenslage, in der sich Menschen mit einer Pädophilie befinden. Was bedeutet es, sich sexuell von Kindern angesprochen zu fühlen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Betroffenen? Welche Unterstützung brauchen sie? Wie kann man ihnen helfen? Wie können Straftaten verhindert werden?

Unser Anliegen ist es, mit diesem Buch erste Antworten auf diese Fragen zu geben. Wir wollen aufklären, pädophilen Menschen Mut machen, sich Hilfe zu suchen, und psychosozial Tätigen zeigen, wie diese Hilfe aussehen kann. Vielleicht arbeiten Sie in einer Beratungs- oder Therapieeinrichtung und möchten sich einen Überblick über dieses Thema verschaffen, da Sie in Ihrer Arbeit immer wieder damit in Berührung kommen. Vielleicht interessieren Sie sich aber auch für das Thema, weil eine nahestehende Person Ihnen anvertraut hat, dass sie »auf Kinder steht«. Es ist ein Buch entstanden, das sich sowohl an Betroffene als auch an Angehörige und Fachleute im psychosozialen Feld wendet. In welcher Rolle Sie sich auch befinden, wir möchten das vorhandene Wissen zusammenfassen, Hintergründe vermitteln, Material für Beratung, Begleitung und Selbsthilfe zur Verfügung stellen und damit konkrete Schritte für einen verantwortlichen Umgang mit dem Thema Pädophilie erleichtern.

Letztlich geht es um die Frage, wie Menschen mit einer pädophilen Ausrichtung umgehen können und wie man sie dabei unterstützen kann, sich und Kinder davor zu schützen, die eigenen Sehnsüchte auszuleben. Neben fachlichen Informationen möchten wir mit diesem Buch aber auch vermitteln, dass

sich niemand seine sexuellen Vorlieben aussucht und somit niemand Schuld trägt an seiner pädophilen Ausrichtung;

»pädophil sein« nicht gleichzusetzen ist mit »Täter sein«;

eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Pädophilie möglich, sinnvoll und wichtig ist, um eine Isolation der Betroffenen zu vermeiden und Präventionsarbeit überhaupt erst möglich zu machen;

es für die Betroffenen und ihre Angehörigen besser ist, mit diesem Thema nicht allein zu bleiben, sondern Scham- und Schuldgefühle zu überwinden;

es auch mit einer pädophilen Ausrichtung möglich ist, ein zufriedenes Leben zu führen.

Wir selbst arbeiten seit Jahrzehnten im Bereich der Behandlung und Begleitung von Menschen, die eine Sexualstraftat begangen haben. Immer wieder kommen aber auch Klienten zu uns, die noch nicht straffällig geworden sind und es auch nicht werden wollen. Wir haben die spezielle Situation dieser Menschen kennengelernt, ihre Ängste, ihre Scham, ihre Verunsicherung, ihre Einsamkeit, aber auch ihre Hoffnung und ihren Lebenswillen. Die Erfahrungen aus diesen Begegnungen haben uns dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben.

Dafür haben wir mit vielen unserer pädophilen Klienten gesprochen und sie nach den wichtigen Punkten für ein solches Buch gefragt. Zudem hat sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Internetseite www.schicksal-und-herausforderung.de entwickelt. Unser besonderer Dank gilt Max und NewMan, die aus Sicht der Betroffenen unsere Beiträge kritisch gelesen, Anregungen gegeben und damit viel zum Gelingen des Buches beigetragen haben. Mit ihren persönlichen Erfahrungen ergänzen sie die einzelnen Kapitel des Buches. Unser Dank gilt auch den Menschen, die uns bei der Konzeption unterstützt haben, uns inhaltliche Anregungen gegeben haben und uns ermutigt haben, dieses Buch zu schreiben: Fritjof von Franqué, Miriam Kolter, Clarissa Leipert, Vanessa Mankus, Manfred Prescher, Eckhart Heidemann, Joachim S. sowie Karin Koch für das geduldige Lektorat und die gute Zusammenarbeit.

So hoffen wir, nicht nur den aktuellen Wissensstand verständlich zusammenzufassen, sondern auf die psychischen Folgen für die Betroffenen hinzuweisen, Anregungen für einen konstruktiven Umgang mit der Pädophilie zu geben und Möglichkeiten der Unterstützung für die Betroffenen aufzuzeigen. Damit wollen wir all denjenigen zur Seite stehen, die – ob als Betroffene, als Angehörige oder als unterstützende Fachleute – sexuelle Übergriffe auf Kinder verhindern wollen. In diesem Sinn ist das Buch eine Anleitung zur Prävention wie zur Selbsthilfe. Es soll unterstützen, verantwortlich mit sich und seinen Mitmenschen umzugehen.

Dieses Buch ist allerdings keine Behandlungsanleitung und ersetzt auch keine Psychotherapie, wie sie z.B. von niedergelassenen Psychotherapeuten oder speziellen Ambulanzen angeboten wird. Es kann aber bei der Klärung der Frage helfen, ob weitere Unterstützung, Hilfe und Therapie notwendig ist. Die Downloadmaterialien können sowohl der eigenen Auseinandersetzung mit den pädophilen Interessen dienen als auch in der Beratungs- und Therapiearbeit eingesetzt werden, um erste Fragen zu beantworten und Bewältigungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Je ein Kapitel haben wir ausschließlich den Angehörigen und den Betroffenen gewidmet, um sie zu ermutigen, diese Auseinandersetzung zu führen.

Der Umgang mit sexuellen Interessen an Kindern ist eine große Herausforderung. Für Berater, Therapeuten und Therapeutinnen heißt das häufig, sich mit den eigenen Vorurteilen und Emotionen auseinanderzusetzen, um sich diesem Thema und den Klienten professionell und wertschätzend zuwenden zu können. Für die Betroffenen heißt das, Mut und Kraft aufzubringen, um sich die pädophile Ausrichtung einzugestehen und damit leben zu lernen, ohne sich permanent schlecht zu fühlen oder als Kinderschänder – auch wenn es niemals zu Handlungen kam. Jede Person, die mit diesem Schicksal lebt, ohne es auszuleben, verdient großen Respekt und Unterstützung durch das unmittelbare Umfeld und die Gesellschaft.

Claudia Schwarze und Gernot Hahn

Was ist Pädophilie?

In der Öffentlichkeit taucht der Begriff der Pädophilie meist nur im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch und Forderungen nach härterer Bestrafung der übergriffigen Männer und Frauen auf. Aber nicht jeder, der ein Kind missbraucht hat, ist pädophil und nicht jeder mit einer pädophilen Ausrichtung missbraucht Kinder. Was also versteht man unter Pädophilie?

Viele Bezeichnungen mit wichtigen Unterschieden

Der Begriff Pädophilie leitet sich aus den griechischen Wörtern »pais« für Kind oder Knabe und »philia« für die freundschaftliche Liebe ab. Erstmals wurde die Bezeichnung von dem deutsch-österreichischen Psychiater Krafft-Ebing (1840–1902) in seinem 1886 erschienenen Standardwerk »Psychopathia Sexualis« verwendet. Mit Pädophilia Erotica beschrieb er damals das sexuelle Interesse an Kindern vor der Pubertät. Dieses Interesse sei zeitlich überdauernd und ausschließlich bzw. überwiegend auf Kinder bezogen. Diese Definition wird in der Sexualwissenschaft noch heute weitgehend so verwendet.

MAX Pädophilie bedeutet für mich, Kinder zu lieben und zu schätzen, ihnen nicht von oben herab, sondern auf ihrer Augenhöhe begegnen zu wollen. So weit, so gut. Aber sie bedeutet auch, verschiedene Mädchen sexuell zu begehren, von intimen oder romantischen Kontakten zu ihnen zu träumen, sie mir zu wünschen. Ich kannte die sexuelle Anziehung Mädchen gegenüber schon lange, bevor ich dies als Pädophilie benennen konnte. Ich fand das störend. Meine gesamte Sexualität empfand ich als »zu viel«. Ich dachte, das wäre bei anderen Männern genauso, es würde nur niemand drüber reden aus Angst, als pädophil abgestempelt zu werden. Als sich meine Neigung immer stärker bemerkbar machte, begann ich diese Gefühle zu fürchten und lehnte sie ab. Ich wollte sie nicht. Am liebsten hätte ich sie irgendwie ausgeschaltet. Wenn ich den Kontakt zu einem Mädchen mal frei von sexueller Erregung und Gedankenflut erlebte, dann rührte mich das sogar zu Tränen vor Freude!

Dann kam die Erkenntnis, dass ich pädophil bin. Und damit kam die Panik. Ich musste mich regelmäßig selbst fragen und überprüfen, mir selbst bestätigen, dass ich keine Kinder schädigen, geschweige denn vergewaltigen wollte. Ich wollte doch nur ein wenig sexuell mit ihnen spielen! Auf der Ebene von Doktorspielen. War das denn so schlimm? Das zerriss mir das Herz, und ich brauchte erst die Therapie und zwei Jahre Zeit, um es wieder zusammenzuflicken. X

NEWMAN Pädophilie ist für mich mittlerweile einfach eine sexuelle Veranlagung und ein wesentlicher Teil meiner sexuellen Identität. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich kann inzwischen erkennen, dass ich an dieser Veranlagung keine Schuld trage. Aber ich muss und kann lernen, mit ihr umzugehen – und das ein Leben lang. X

Es existieren im Zusammenhang mit der Pädophilie viele weitere Begriffe. Wir wollen diese hier kurz erklären.

Pädophilie Hiermit wird eine sexuelle Ausrichtung auf die Altersgruppe der vorpubertären Kinder bezeichnet. Zusätzlich kann die geschlechtliche Orientierung unterschieden werden. Man spricht entweder von homosexueller, heterosexueller oder bisexueller Pädophilie oder man umschreibt dies mit: auf Jungen, Mädchen oder Jungen und Mädchen orientiert.

Ferner wird unterschieden zwischen einem ausschließlichen primären Typus, einer sogenannten Kernpädophilie, bei der sich das sexuelle Interesse ausschließlich auf Kinder richtet, und einem nicht-ausschließlichen sekundären Typus, bei dem sexuelle Gefühle auch durch erwachsene Personen ausgelöst werden können.

Hebephilie Dieser Begriff bezeichnet das sexuelle Interesse an Kindern mit frühpubertären Körpermerkmalen. Damit sind Kinder gemeint, bei denen die beginnende Geschlechtsreifung, z.B. an dem einsetzenden Wachstum von Schambehaarung, Brust, Hoden und Penis zu erkennen ist. Das Interesse an frühpubertären Mädchen wird Parthenophilie, das an Jungen Ephebophilie genannt.

Das sexuelle Interesse an spätpubertären Kindern bzw. Jugendlichen mit bereits fortgeschrittener Geschlechtsreifung fällt unter keinen dieser Begriffe, wir kommen darauf im Zusammenhang mit der »Knabenliebe« im antiken Griechenland zurück (siehe nächste Seite).

Ob jemand eine pädophile oder hebephile Ausrichtung oder beides hat, lässt sich nicht am Alter des Kindes festmachen. Da die körperliche Entwicklung individuell unterschiedlich verläuft, setzt auch die Pubertät eines Kindes zu keinem bestimmten Zeitpunkt ein. Entscheidend ist, welche Körpermerkmale der Jungen oder Mädchen als sexuell erregend empfunden werden. Um dies herauszufinden, kann die Tanner-Skala genutzt werden (siehe Abbildung 1), die Sie auch in den Downloadmaterialien des Buches finden. Das Stadium I entspricht dabei der vorpubertären Entwicklung, die für das pädophile Interesse kennzeichnend ist. Die Stadien II (frühe Pubertät) und III (Peripubertät) geben die hebephilen sexuellen Interessen wider. Die Entwicklungsstadien IV (Spätpubertät) und V werden als sexuelles Interesse an erwachsenen Personen zusammengefasst.

ABBILDUNG 1Die Tanner-Skala (nach MÖNIG u.a. 2012)

Päderastie Manchmal wird noch die historische Bezeichnung »Päderastie« verwendet. Damit wurde im alten Griechenland eine bestimmte Form sexueller Beziehung zwischen einem Mann (Päderast) und einem geschlechtsreifen Jugendlichen beschrieben (siehe Exkurs). Eine solche Beziehung hat nichts mit dem sexuellen Interesse an Kindern vor der Pubertät (Pädophilie) oder mit gerade beginnender Pubertät (Hebephilie) gemein. Die Unterscheidung ist wichtig, weil diese antike Vorstellung zuweilen als Argument für das Ausleben von pädophilen Interessen benutzt wird.

Antikes Griechenland:

Beziehungen zwischen Männern und Jungen

Es existiert seit den 1970er-Jahren eine Pädophilenbewegung, die sich für die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. die Herabsetzung des Schutzalters einsetzt. Diese argumentiert häufig mit der im alten Griechenland praktizierten »Knabenliebe«. Der Autor Hans Licht bemerkt dazu: »Eines vor allem darf man nie vergessen, (…), nämlich dass es sich dabei niemals um Knaben, wie wir das Wort meist gebrauchen, das heißt um unmündige Kinder handelt, sondern stets um geschlechtsreife Knaben, das heißt um solche, die die Pubertät hinter sich haben« (zitiert nach BANGE 2007, S. 11). Auch im alten Griechenland gab es Gesetze gegen Kindesmissbrauch, die sexuelle Handlungen mit nicht geschlechtsreifen Kindern unter Strafe stellten (S. 12).

Die Anbahnung einer päderastischen Beziehung wurde durch den erwachsenen Mann initiiert, indem er mit Geschenken um den Jungen warb. Auch zum Erhalt der Beziehung wurden regelmäßig Geschenke eingesetzt, sodass derartige Beziehungen aufgrund des Geld- und Zeitaufwandes der aristokratischen Schicht vorbehalten waren.

Ein zentraler Aspekt der päderastischen Beziehung bestand in dem pädagogischen Anspruch, den Jungen zu männlicher Tugend und sittlicher Tadellosigkeit zu erziehen und ihn so an gesellschaftliche Ideale heranzuführen (REINSBERG 1989, S.170f.). Sexuelle Handlungen waren zwar in jeder Epoche des antiken Griechenlands Bestandteil päderastischer Beziehungen, jedoch war das akzeptierte Ausmaß einem gesellschaftlichen Wandel unterzogen. Platon beispielsweise sprach sich eher für sexuelle Enthaltsamkeit in päderastischen Beziehungen aus.

Zwischen der gesellschaftlichen Akzeptanz und der Realität der praktizierten sexuellen Kontakte zwischen Mann und Jungen gab es zudem einen großen Unterschied. Akzeptiert waren gelegentliche Kontakte in Form von Schenkelverkehr, die den Jungen nicht demütigen und dem Mann zur Befriedigung dienen sollten. In der Realität fanden vermutlich auch andere Sexualpraktiken statt. Ließ der Junge sich z.B. auf Analverkehr ein, war er gar selbst sexuell erregt oder gelangte zur sexuellen Befriedigung, so verhielt er sich unehrenhaft und galt als Stricherjunge. Die Prostitution war damals zwar legal, jedoch gesellschaftlich geächtet (REINSBERG 1989).

Betrachtet man die historischen Beschreibungen der pädosexuellen Kontakte in der Antike genauer, so wird recht schnell deutlich, dass diese keine gleichberechtigten Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, geschweige denn Kindern waren. Nicht nur das Alter der Jungen wird in der Argumentation der heutigen Pädophilenbewegung ausgespart, sondern auch die Einseitigkeit dieser sexuellen Kontakte zwischen Jungen und Männern.

Pädosexualität Die Bezeichnung »Pädosexualität« wird häufig mit »Pädophilie« gleichgesetzt. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Pädosexualität bezieht sich ausschließlich auf das Verhalten, meint also sexuelle Handlungen mit einem Kind. Die meisten Menschen, die ein Kind missbrauchen, sind jedoch nicht pädophil. Sie stillen ihr Bedürfnis nach Nähe oder sexueller Befriedigung im Kontakt mit Kindern, obwohl sie in ihren sexuellen Fantasien von gleichaltrigen Frauen bzw. Männern träumen. Die pädosexuellen Handlungen entstehen häufig aus Unsicherheit gegenüber Erwachsenen, Frustration oder Einsamkeit.

Umgekehrt verhält sich der größte Teil der pädophil ausgerichteten Menschen nicht pädosexuell. Sie sehnen sich zwar nach sexuellen Beziehungen mit Kindern, aber sie begehen keine sexuellen Übergriffe. Entscheidend für die Einschätzung, ob eine pädophile Ausrichtung vorliegt, sind also die Fantasien, die sexuell erregend sind und bei der Masturbation zum Orgasmus führen. Leider gibt es um den Begriff der Pädosexualität etwas Verwirrung, weil er selbst in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht immer gleich verwendet wird, meistens gilt jedoch die hier beschriebene Bedeutung.

MAX Ich bin hetero-pädophil, nicht ausschließlich. Jungen mag ich als Kinder schon auch, aber sexuell finde ich sie keineswegs attraktiv. Vorpubertäre Mädchen wecken in mir Schutzinstinkte, aber auch das Gefühl sexueller Anziehung. Ich hatte nie die Idee, Macht ausspielen zu wollen oder eine partnerschaftliche Beziehung mit einem Kind einzugehen. Dagegen träumte ich immer von intensiven und dauerhaften Freundschaften. Im sexuellen Bereich sehne ich mich nach eher zärtlichen Kontakten, sexualisierten Spielen, niemals nach hartem Sex. Ich habe mich aber auch schon in gleichaltrige Frauen verliebt und fühlte mich zu ihnen sexuell hingezogen. X

NEWMAN Meine sexuelle Orientierung liegt zu 100% auf dem weiblichen Geschlecht. Bezogen auf das Alter werde ich vorwiegend von sportlichen Mädchen zwischen circa fünf bis zehn Jahren angesprochen. In vielleicht 20% der Fälle finde ich auch erwachsene Frauen, vorzugsweise mit zierlichem Körperbau, sexuell anziehend. Da ich aber ohne chemische Hilfsmittel mit keiner Frau schlafen kann, betrachte ich mich als kernpädophil. X

Die Bezeichnung Pädophilie beschreibt also ein sexuelles Interesse. Pädophile Personen werden durch den Anblick kindlicher Körper sexuell erregt, ihre Wünsche nach Liebe und Sexualität richten sich ausschließlich oder zu einem gewissen Teil auf Kinder. Die sexuelle Ausrichtung sagt jedoch nichts über das sexuelle Verhalten dieser Person aus. Man sieht einem Menschen auch nicht an, ob er pädophil veranlagt ist oder nicht. Nur derjenige selbst kann sagen, was er fühlt und denkt. Begeht jemand einen sexuellen Übergriff auf ein Kind, so kann man daraus noch nicht schließen, dass die Person eine pädophile Ausrichtung hat. In den meisten Fällen spielen andere Gründe eine Rolle, warum sie sich Kindern sexuell genähert hat.

Wie bei heterosexuellen oder homosexuellen Menschen sagt allein die sexuelle Ausrichtung auf Kinder nichts über den Charakter oder die moralischen Werte einer Person aus. Pädophile Menschen haben auch keinen stärkeren Sexualtrieb als andere und interessieren sich nicht wahllos für jedes Kind. Manche unserer Klienten waren unsicher, ob sie wirklich pädophil sind, weil sie nicht – wie es das Klischee erwarten lässt – jedes Kind auf der Straße als potenzielles Sexobjekt begutachten und auch nicht immer beim Spielen mit Kindern eine Erektion haben. Das ist normal und vergleichbar mit dem Erleben nicht pädophiler Personen, die ebenfalls nur bestimmte Frauen bzw. Männer sexuell attraktiv finden.

Es gibt nicht den »typisch Pädophilen«. Die Betroffenen sind ebenso verschieden wie alle anderen Menschen auch. Dementsprechend ist auch die Wertung und Gewichtung von Sexualität und emotionaler Nähe in einer Beziehung zu einem Kind sehr unterschiedlich. Es gibt pädophile Menschen, die sich in das Wesen des Kindes verlieben und ihre sexuellen Gefühle zum Schutz des Kindes nicht ausleben; »einige haben flüchtige Kontakte mit vielen Kindern, andere wollen – mal fürsorgliche, mal manipulative – langfristige Partnerschaften; viele sind rücksichtsvoll gegenüber Kindern, andere üben Zwang, sehr wenige Gewalt aus; einige bedienen sich des mafiös strukturierten freien Markts, der die verbotenen Sexualitäten, nicht nur die mit Kindern, brutalisiert (Kinderpornos, Kindertausch, Kinderprostitution); andere, eine unbekannte Zahl, vielleicht sogar die meisten Pädophilen, sind lebenslang oder über lange Perioden hinweg abstinent, belassen ihre Wünsche in der Phantasie und führen mit großem seelischem Aufwand ein verzichtreiches Leben« (SCHMIDT 1999, S. 133).

Ist Pädophilie eine Krankheit?

In der Wissenschaft wird Pädophilie nur dann als eine psychische Störung angesehen, wenn sie bei der betroffenen Person oder ihrem Umfeld Leiden verursacht. Dementsprechend ist sie als Diagnose in die zwei gängigen Klassifikationssysteme aufgenommen worden. Ziel dieser Klassifikationssysteme ist die Verständigung zwischen Ärzten, Therapeuten und anderen psychosozialen Berufsgruppen. Jeder soll dasselbe unter einem Begriff wie Depression oder Angststörung oder auch Pädophilie verstehen. Dazu bedarf es möglichst genauer Kriterien, um einen psychischen Zustand als Krankheit bezeichnen zu dürfen.

ICD-10 Im ICD-10 ist die Pädophilie unter dem Oberbegriff »Störung der Sexualpräferenz« gefasst. Darunter versteht man von der Norm abweichende Sexualpraktiken oder sexuelle Vorlieben, die entweder bei der Person selbst oder in deren Umfeld Leiden verursachen. Pädophilie beschreibt die »sexuelle Präferenz für Kinder, die sich zumeist vor oder im frühen Stadium der Pubertät befinden. Manche Pädophile haben nur an Mädchen, andere nur an Knaben Interesse. Wieder andere sind sowohl an Mädchen als auch an Knaben interessiert« (DILLING u.a. 2008). Diese Veranlagung muss »anhaltend und vorherrschend« sein, um als psychische Störung bezeichnet zu werden.

DSM-5 Im DSM-5 wurde die Pädophilie unter dem Oberbegriff »Paraphile Störung« eingeordnet. Dieser Begriff ist mit sexueller Präferenzstörung gleichzusetzen. Im DSM-5 wird von einer pädophilen Störung gesprochen, wenn

über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten intensive sexuell erregende Fantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen wiederkehren, die sexuelle Handlungen mit einem präpubertären Kind (i.

d.

R. 13 Jahre oder jünger) beinhalten;

die Person das sexuell dranghafte Bedürfnis auslebt oder die sexuell dranghaften Bedürfnisse oder Fantasien ein deutliches Leiden oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten verursachen;

die Person mindestens 16 Jahre alt und mindestens fünf Jahre älter als das Kind ist.

Eine Unterscheidung zwischen Pädophilie und Hebephilie wird nur im DSM-5 sowie bei den diagnostischen Kriterien für Forschung und Praxis des ICD-10 gemacht (DILLING u.a. 2004). In den klinisch-diagnostischen Leitlinien des ICD-10 wird dagegen auch das sexuelle Interesse an Kindern in der frühen Pubertät (Entwicklungsstadium II nach Tanner) unter dem Begriff Pädophilie gefasst. In beiden Fällen wird aber Pädophilie nur dann als Krankheit oder psychische Störung bewertet, wenn die Person selbst oder andere Personen unter der sexuellen Präferenz leiden. Wenn also jemand durch kindliche Körper sexuell erregt wird, aber selbst kein Problem damit hat, und wenn er seine Sexualität ausschließlich in der Fantasie und Selbstbefriedigung auslebt und niemanden schädigt, dann werden diese abweichenden sexuellen Interessen nicht als Krankheit und auch nicht als behandlungsbedürftig definiert.

MAX Ob Pädophilie für mich eine Krankheit ist? Einerseits nein: Es ist in meinen Augen eine sexuelle Ausrichtung unter vielen, ohne Krankheitswert. Andererseits ja: Sie hat meinen Lebensentwurf ähnlich zerstört, wie es eine Amputation getan hätte. Zwar kann man auch mit einem Arm oder Bein mehr oder weniger glücklich leben, aber es ist schwieriger. Und für viele, insbesondere für ausschließliche Pädos, bedeutet die Neigung tatsächlich eine Amputation eines wichtigen Aspekts des Lebens: entweder alle sexuellen und romantischen Kontakte zu Kindern zu unterlassen oder Kindern wehzutun. X

NEWMAN Pädophilie eine Krankheit? Es kommt darauf an. Pädophilie an sich ist für mich mittlerweile genauso eine sexuelle Ausrichtung wie die auf Erwachsene und somit keine Krankheit. Wenn aber entweder der Betroffene selbst körperlich oder seelisch leidet, z.B. selbstmordgefährdet ist, oder ein Opfer durch sexuellen Missbrauch leidet, dann wird hierdurch diese sexuelle Veranlagung in meinen Augen zur Krankheit. Diese Definition gilt meiner Meinung nach auch für jede andere Paraphilie. X

Ob eine sexuelle Vorliebe als Krankheit oder psychische Störung definiert wird, hängt sehr von gesellschaftlichen Normen ab. Gerade im Bereich Sexualität hat sich die Beurteilung dessen, was »normal« oder »abnormal« ist, stark geändert. Am Beispiel der Homosexualität zeigt sich, wie groß die Unterschiede in der Bewertung zwischen den Kulturen sind. Während in Europa homosexuelle Handlungen legal sind, stehen diese in Afrika und Asien häufig noch unter Strafe. Selbst wenn Homosexualität legal ist, kann sie noch – wie sich in Russland jüngst zeigte – ein derartiges gesellschaftliches Tabu sein, dass Betroffene mit weitreichenden Konsequenzen rechnen müssen. Auch in Deutschland hat die schrittweise Legalisierung erst in jüngster Zeit stattgefunden. Zwar wurde 1973 Homosexualität legalisiert, aber erst 1994 der §175 StGB (Strafbarkeit sexueller Handlungen zwischen männlichen Personen) endgültig abgeschafft und damit das Schutzalter von 18 auf 14 Jahren herabgesetzt, so wie es für heterosexuelle Handlungen schon lange gilt. In Österreich wurde dieser Legalisierungsprozess 1971 eingeleitet, wobei die Angleichung des Schutzalters erst 2002 stattfand. In der Schweiz dagegen stehen homosexuelle Handlungen schon seit 1942 nicht mehr unter Strafe, das Schutzalter wurde aber auch hier erst 1990 dem der heterosexuellen Handlungen angeglichen. Homosexualität wurde außerdem im ICD bis 1992 und im DSM bis 1973 als psychische Störung aufgeführt.

Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass auch im Bereich der Pädophilie die Frage des Krankheitswertes zukünftig anders beantwortet werden wird. Schon jetzt wird dies in der Fachwelt diskutiert. Eine mögliche Aufhebung des Krankheitsbegriffs ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Aufhebung der Strafbarkeit sexueller Handlungen mit Kindern. Das gilt es unbedingt zu trennen! Das Verbot sexueller Handlungen mit Kindern bleibt zu deren Schutz in jedem Fall notwendig, selbst dann, wenn Pädophilie nicht mehr als Krankheit gesehen werden sollte.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Bis heute gibt es keine genauen Angaben über den Prozentsatz der pädophilen Menschen in den deutschsprachigen Ländern. Schätzungen sind aufgrund der Tabuisierung in der Gesellschaft und der z.T. unterschiedlichen Definitionen grob und fehleranfällig. Außerdem wird in den meisten Untersuchungen selten die Unterscheidung zwischen vor- und frühpubertären Körpermerkmalen der Kinder oder zwischen ausschließlichem und nicht-ausschließlichem Pädophilietyp gemacht.

In einer anonymen Umfrage berichteten 0,3–4% der befragten Männer von sexuellen Fantasien mit Kindern und Jugendlichen (MOKROS 2012); in einer anderen Studie dagegen ergaben sich für pädophile Interessen Prävalenzraten von 4–6% (DOMBERT u.a. 2015). Wenn man allerdings den für die Diagnose einer pädophilen Störung notwendigen Leidensdruck oder das pädosexuelle Verhalten mit einbezieht, so leiden nur 0,1% unter einer ausschließlichen und 0,6% unter einer nichtausschließlichen Pädophilie (ebd.).

Schätzungen zu pädophilen Frauen fehlen völlig. Im Rahmen von psychotherapeutischen Behandlungen gibt es immer wieder Männer und Frauen, die davon berichten, als Kind durch Frauen sexuell missbraucht worden zu sein. In den letzten Jahren hat sich der Blick auf pädosexuell handelnde Frauen geschärft. Sexuelle Übergriffe durch Frauen werden in einzelnen Untersuchungen thematisiert, jedoch bleibt dabei bis heute offen, ob diese Missbrauchshandlungen auf eine pädophile Ausrichtung zurückzuführen sind. Abgesehen davon ist die Anzahl der bekannt gewordenen sexuellen Kindesmisshandlungen durch Frauen so gering, dass es bisher noch zu keiner systematischen Untersuchung gekommen ist. Auch in der Forschungsliteratur werden nur wenige Einzelfälle pädophiler Frauen beschrieben. In anonymen Internetforen bekennen einige wenige Frauen, sich von Kindern sexuell angezogen zu fühlen. Vielleicht werden wir in den nächsten Jahren hierzu mehr Informationen und Erfahrungen von pädophilen Frauen sammeln können.

Zusammenfassend ist zu sagen, eine pädophile sexuelle Präferenz lässt sich nicht an den tatsächlichen sexuellen Kontakten festmachen, sondern zeigt sich vor allem in den Fantasien während der Selbstbefriedigung und den Bildern und Videos, die ein Mensch zur sexuellen Erregung bevorzugt.

Therapeuten und ihre Klienten können mithilfe des Sexualpräferenz-Männchens (AHLERS u.a. 2008, siehe Abbildung 2) das sexuelle Erleben hinsichtlich der Fantasien, der bevorzugten Pornografie und der Verhaltensweisen näher betrachten.

ABBILDUNG 2Das Sexualpräferenz-Männchens (nach AHLERS u.a. 2008)

Die prozentualen Einschätzungen werden abschließend zur Übersicht in einen Kreis eingezeichnet (siehe Abbildung 3). So hat beispielsweise ein Klient von uns angegeben, dass er bei der Selbstbefriedigung zu 25% Handlungen mit vorpubertären Jungen und 25% mit männlichen Jugendlichen fantasiert, jedoch auch zur Hälfte mit erwachsenen Frauen, insbesondere mit seiner Partnerin.

ABBILDUNG 3Beispielhafte Einschätzung sexueller Fantasien durch einen Klienten

Die Tanner-Skala (siehe S. 19) wie das Sexualpräferenz-Männchen können nur zur ersten Orientierung dienen und nicht zur abschließenden Diagnose. Sollte Bedarf an einer Diagnose bestehen, ist die fachkundige Abklärung durch einen Arzt oder Psychotherapeuten notwendig.

Die Frage nach den Ursachen

»Warum bin ich so? Wie kommt es, dass ich ausgerechnet auf Kinder stehe?« Diese Frage stellt fast jeder unserer Klienten und nicht wenige fragen weiter: »Ich hatte doch eine gute Kindheit, habe nichts Schlimmes erlebt, wie kommt es, dass ausgerechnet ich pädophil bin?«

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entstehung der Pädophilie sind überschaubar. Das liegt zum einen daran, dass das Interesse an einer solchen Forschung erst in den letzten Jahren aufkam, da Pädophilie lange ein gesellschaftliches Tabuthema war. Zum anderen ist die menschliche Sexualität ein äußerst schwieriges und komplexes Forschungsthema.

Sexualität – eine Annäherung

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Sexualität spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie dient nicht nur der Fortpflanzung, sondern auch zur Darstellung und zum Erhalt der Machtposition, zur Stressreduktion und zum Erhalt von sozialen Bindungen. Sexualität wird daher neben Nahrungsaufnahme, Schlaf und Erhalt der körperlichen Unversehrtheit zu den physiologischen Grundbedürfnissen gezählt, deren Befriedigung das erste Ziel eines jeden Menschen ist. Als zentrale Kraft spielt die Libido, die psychische Energie des Begehrens, in allen Altersstufen eine zentrale Rolle. Sie leitet uns zu sexuellen Lüsten, die Glück und Freude versprechen. Sexualität begleitet uns von der Geburt bis zum Tod.

Es ist also klar, dass Sexualität sich in unserem Leben nicht einfach »wegmachen« oder ignorieren lässt. Sie gehört zum Menschsein dazu, ist Teil einer jeden Persönlichkeit und kann nicht losgelöst vom Rest der Person betrachtet werden. Die Sexualität, die wir im Laufe unseres Lebens entwickeln, ist ein Teil unserer Identität. Die Impulse für die Entwicklung unserer sexuellen Identität kommen – neben den angeborenen Wurzeln – aus der Gesellschaft. Kulturelle Prägungen bestimmen die eigenen sexuellen Normen und Werte, also das, was erlaubt ist und erwartet wird.

Die meisten Menschen orientieren sich in ihren sexuellen Wünschen und ihrem Verhalten an diesem vorgegebenen, durch Erziehung vermittelten Rahmen. Die Wahl des sexuellen »Objekts« des sexuellen Begehrens ist dabei höchst individuell: Ob sich eine Person durch große oder kleine Partner, weibliche oder männliche, ältere, gleichaltrige oder ganz junge Partner angesprochen fühlt, hängt davon ab, was sie in ihrem Leben als akzeptabel und befriedigend erlebt hat. In diesem Sinn ist die sexuelle Identität ein Produkt der genetischen Anteile und der durch die Umwelt vermittelten Erfahrungen und Lernprozesse. Das gilt für pädophile Menschen genauso wie für alle anderen.

Mit Sexualität ist nicht allein das Berühren der Genitalien oder das Erleben eines Orgasmus gemeint, sondern auch Zärtlichkeiten, wie Küsse, Streicheln, Umarmungen, die von erotischen Gefühlen begleitet sind.

Sexuelles Erleben und Verhalten kann in drei Dimensionen beschrieben werden (BEIER & LOEWIT 2008):

Die Lustdimension Ziel ist das Erleben von Erregung und Lust als positivem Gefühlszustand.

Die Fortpflanzungsdimension Ziel ist die Fortpflanzung als Lebewesen.

Die Beziehungsdimension Ziel ist die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, Vertrauen und Angenommensein, auch Dominanz- und Machtaspekte spielen eine Rolle.

Diese drei Funktionen von Sexualität sind eng miteinander verwoben. Die Bedeutung jeder einzelnen Dimension ist jedoch von Person zu Person verschieden und kann sich auch im Laufe des Lebens ändern. So können einzelne Personen Sexualität in erster Linie als Lustgewinn empfinden, es ist ihnen weitgehend egal, mit wem sie diese Lust erleben. Andere wiederum erleben in der Sexualität vorwiegend die Nähe zu einem geliebten Menschen; Zärtlichkeiten befriedigen sie mehr als ein vergleichsweise kurzer Orgasmus. Bei den meisten Menschen ist das sexuelle Erleben das Ergebnis eines relativ ausgewogenen Zusammenspiels aus Lust-, Beziehungs- und – je nach Lebensphase – Fortpflanzungsdimension.

Diese grundsätzliche Bedeutung von Sexualität gilt für pädophile Menschen in gleicher Weise. Eine Reduktion ihrer Sexualität auf die reine Lustdimension und die Vorstellung, sie würden Kinder nur als Objekte zur Befriedigung ihrer sexuellen Begierde sehen, wird ihnen in keiner Weise gerecht. Auch bei pädophilen Menschen bleibt sexuelles Erleben ein Zusammenwirken aus Lust und Beziehungswunsch. Auch bei ihnen sind die jeweiligen Dimensionen unterschiedlich stark ausgeprägt.

Gleichzeitig dürfen sie aber das Bedürfnis nach einer sexuellen Beziehung mit einem Kind nicht ausleben, weil sie ihm damit schaden. Es bleibt ein lebenslanges Dilemma, das ein Betroffener auf www.schicksal-und-herausforderung.de. so beschreibt: »Wenn man einen Menschen liebt, dann möchte man sich auch sexuell mit ihm vereinigen. Sexualität ist somit im Normalfall ein natürlicher Ausdruck von Liebe zwischen zwei Menschen. (…) Bei der Pädophilie funktioniert dies aber so nicht. Es ist genau anders herum: Liebe und Sexualität schließen sich hier aus. Dieses tragische Dilemma wird für immer unlösbar bleiben. Wenn ich ein Kind ernsthaft von ganzem Herzen liebe, dann muss ich auf das Ausleben meiner Sexualität verzichten. Dieser Anspruch ist hoch und nur wenige von uns können ihn konsequent erfüllen. Aber nur so hat man die Chance, trotz seiner pädophilen Ausrichtung ein aufrichtiger Mensch zu bleiben, der von sich behaupten kann, dass er Kinder wirklich liebt. (…) Aber auch der bewusste Verzicht auf Sex kann ein Ausdruck von Liebe sein, vielleicht sogar ein noch höherer, weil er wesentlich schwerer zu erfüllen ist. Wir Pädophilen müssen uns entscheiden: Liebe oder Sex? Wollen wir ein Kind wirklich lieben oder wollen wir nur unsere sexuellen Bedürfnisse an ihm befriedigen? Wenn ich ein Kind aufrichtig liebe, dann muss ich bereit sein, das Wohl des Kindes über meine sexuellen Bedürfnisse zu stellen. (…) Echte Liebe hat nichts mit oberflächlicher und kurzzeitiger Lustbefriedigung zu tun. Eine Liebe, in der ich nur meine eigenen Bedürfnisse sehe, verdient diesen Namen nicht. Wahre Liebe wünscht sich das Beste für den anderen und möchte, dass es ihm gut geht.«

NEWMAN Meine sexuelle Identität ist die eines erwachsenen heterosexuell-kernpädophilen Mannes, der nicht stark genug auf Frauen steht, um damit irgendwas »Sinnvolles« anfangen zu können. Was ich sexuell könnte, das darf und will ich nicht, und was ich dürfte, das kann ich nicht. Sexualität ist für mich daher etwas Belastendes, Traurigmachendes. »Schönste Nebensache der Welt«? Leider nicht für mich. X

Einige Erklärungsansätze