Herkunft von Saša Stanišić - Textanalyse und Interpretation - Saša Stanišić - E-Book

Herkunft von Saša Stanišić - Textanalyse und Interpretation E-Book

Saša Stanišić

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Beschreibung

Spare Zeit und verzichte auf lästige Recherche!

In diesem Band findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Werk komplett gelesen zu haben.

 Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert.


Inhalt:

- Schnellübersicht

- Autor: Leben und Werk

- ausführliche Inhaltsangabe

- Aufbau

- Personenkonstellationen

- Sachliche und sprachliche Erläuterungen

- Stil und Sprache

- Interpretationsansätze

- 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen

NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen

NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung


Layout:

- Randspalten mit Schlüsselbegriffen

- übersichtliche Schaubilder

NEU: vierfarbiges Layout

Im teilweise autobiografischen Roman Herkunft des Autors Saša Stanišić schildert der Ich-Erzähler seine Familiengeschichte und Flucht aus dem von Krieg und Völkermord zerrütteten Jugoslawien.

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KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN

Band 379

Textanalyse und Interpretation zu

Saša Stanišić

Herkunft

Thomas Möbius

Alle erforderlichen Infos zur Analyse und Interpretation plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen

Zitierte Ausgabe: Stanišić, Saša: Herkunft. München: btb, 3. Auflage 2020.

Über den Autor dieser Erläuterung:Prof. Dr. phil. habil. Thomas Möbius, Studium Germanistik/ev. Theologie/Philosophie, Studienrat an einem Gymnasium in Mannheim und an der German European School in Singapur, Akademischer Oberrat an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, nach Professuren in Freiburg, Osnabrück, Greifswald und Aachen Professor für Germanistische Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Für Philipp

1. Auflage 2022

978-3-8044-7065-1

© 2022 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Ortseingang des Heidelberger Stadtteils Emmertsgrund mit Straße, links ARAL-Tankstelle, rechts Hochhäuser © Thomas Möbius Druck und Weiterverarbeitung: Plump Druck & Medien GmbH, Rheinbreitbach

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

Fußnoten Fußnoten sind im Text in eckigen Klammern mit fortlaufender Nummerierung angegeben. Tippen Sie auf eine Fußnote und Sie gelangen zum entsprechenden Fußnotentext. Tippen Sie im aufgerufenen Fußnotentext auf die Ziffer zu Beginn der Zeile, und Sie gelangen wieder zum Ursprung. Sie können auch die Rücksprungfunktion Ihres ePub-Readers verwenden (sofern verfügbar).

 

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Verknüpfungen zu den Online-Aufgaben Im Abschnitt 6 „Prüfungsaufgaben“ finden Sie einen Hinweis zu zwei kostenlosen zusätzlichen Aufgaben. Diese Aufgaben können über die Webseite des Verlages aufgerufen werden. Tippen Sie auf die Verknüpfung und Sie werden direkt zu den Online-Aufgaben geführt. Dazu wird in den Web-Browser Ihres ePub-Readers gewechselt – sofern Ihr ePub-Reader eine Verbindung zum Internet unterstützt und über einen Web-Browser verfügt.

 

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

2. Saša Stanišić: Leben und Werk

2.1 Biografie

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

3. Textanalyse und -Interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

3.2 Inhaltsangabe

Kapitel 1–64

Der Drachenhort

3.3 Aufbau

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Personenkonstellation

Der Ich-Erzähler, Saša Stanišić

Vater und Mutter

Großmutter Kristina und Großvater Petar

Großmutter Mejrema und Großvater Muhamed

Schulkameraden und ARAL-Clique

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

3.6 Stil und Sprache

Gattung/Erzählweise und -struktur

Wortwahl, Stil und Sprache

3.7 Interpretationsansätze

Herkunft als vielschichtiges und vielstimmiges Konstrukt

Gattung

Funktion und Bedeutung von „Herkunft“

Jugoslawien-Bild

Äußerungen Stanišićs zu aktuellen politischen Fragen

Klischeehafte Kritik an Deutschen

Funktion des Erzählens

Funktion von Fiktion

3.8 Schlüsselstellenanalysen

4. Rezeptionsgeschichte

5. Materialien

Definition „Migrantenliteratur“

Definition „Autobiografie“

Definition „Autobiografischer Roman“

Stanišićs Dankesrede zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2019

Integration auf Kosten der Migranten-Identität? Maxim Biller vs. Dirk Knipphals

Rezensionen zum Roman Herkunft

Texte zur Auseinandersetzung zwischen Saša Stanišić und Peter Handke

6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen

Aufgabe 1 *

Aufgabe 2 ***

Aufgabe 3 ***

Aufgabe 4 *

Aufgabe 5 *

Aufgabe 6 ***

Lernskizzen und Schaubilder

Literatur

Zitierte Ausgabe

Weitere Quellen

Sekundärliteratur

Hörbuch

Internetadresse

Kartennachweise

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

Damit sich alle Leserinnen und Leser in unserem Band rasch zurechtfinden und das für sie Interessante gleich entdecken, hier eine Übersicht:

 

Im zweiten Kapitel werden das Leben von Saša Stanišić und der zeitgeschichtliche Hintergrund beschrieben:

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad geboren. Nach der kriegsbedingten Flucht ging er in Heidelberg zur Schule und studierte an der dortigen Universität Slawistik und Deutsch als Fremdsprache, noch während des Studiums im Jahre 2001 publizierte er seine erste Erzählung. Sein erster Roman Wie der Soldat das Grammofon repariert erschien 2006.

Die Zeit war in den 1990er Jahren politisch geprägt durch den Zerfall der Sowjetunion, die Wiedervereinigung Deutschlands, die Asylfrage und die zunehmenden ethnischen Konflikte zwischen den einzelnen Volksgruppen des zerfallenden Jugoslawien, die in einen äußerst brutalen Bürgerkrieg mündeten. Zudem prägte die Diskussion über das ökonomische, politische und kulturelle Zusammenwachsen der alten und der neuen Bundesländer den öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland in den 1990er und den 2000er Jahren.

Der Roman Herkunft wurde 2019 veröffentlicht. Genremäßig handelt es sich um eine Mischung aus autobiografischer Dokumentation und Fiktion, beides handelt von der Vergangenheit des Autors und von dessen Familie in Bosnien.

Im dritten Kapitel bieten wir eine Textanalyse und Interpretation.

Herkunft – Entstehung und Quellen:

Stanišić hat für seinen autobiografischen Roman eigene und fremde Erinnerungen gesammelt und erzählt. Das Leben in Višegrad vor und nach dem Bürgerkrieg ist bereits Gegenstand seines Debütromans Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006).

Inhalt:

Stanišić schreibt auf, was ihm über die Vergangenheit seiner Familie berichtet wird, einen großen Raum nimmt der Rückblick auf die Zeit nach der Flucht der Familie aus Bosnien ein. Im letzten Teil Der Drachenhort wird eine labyrinthartige Handlungsstruktur geschaffen, die eine freie Entscheidung über mögliche Lesewege eröffnet. (Abschnitt 3.2)

Chronologie und Schauplätze:

Die Erzählgegenwart spannt sich vom 7. März 2018, dem 40. Geburtstag des Autors, bis zum 2. November 2018, dem Tag der Beerdigung seiner Großmutter. Die erzählte Zeit reicht weit ins 20. Jahrhundert bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück. Schauplätze sind Heidelberg, Hamburg, Višegrad und Oskoruša in Bosnien. Während der Erzählgegenwart im Jahre 2018 hält sich der Erzähler in Hamburg sowie in Višegrad und Oskoruša in Bosnien auf.

Personen:

Die Hauptpersonen sind:

Autor, Erzähler, Saša Stanišić:

biografische Daten s. Abschnitt 2.1 Biografie

reflektiert über die Funktion von Erinnerung und die Bedeutung von Herkunft

interessiert sich schon als Schüler für Sprache und Literatur

Großmutter Kristina Stanišić

Lebensdaten: 1932–2018, bleibt in Višegrad

Großmutter väterlicherseits, genießt hohe Achtung im Ort

schnell fortschreitende altersbedingte Demenz, verbringt die letzten Lebensmonate in einem Pflegeheim in Rogatica

Beide Figuren dominieren den Text; daneben tritt eine ganze Reihe von weiteren Personen aus dem Familien- und Bekanntenkreis des Ich-Erzählers. Aufgrund der Angaben lassen sich diese Nebenfiguren nur mit einigen wenigen Merkmalen charakterisieren, als Hauptfiguren würden sie sich nicht bezeichnen lassen.

Stil und Sprache:

Der autobiografische Text besteht aus 64 kürzeren und längeren Kapiteln mit jeweils eigenständigen Szenen. Er ist in einer überwiegend nüchternen Alltagssprache geschrieben, zuweilen werden lyrische Texte zitiert. Der letzte Abschnitt Drachenhort ist als eine Art „offene Erzählung“ angelegt, bei der der Rezipient jeweils die Wahl zwischen verschiedenen Fortgängen der Geschichte hat.

Interpretationsansätze:

Der Erzähler, der sich an mehreren Stellen auch namentlich als der historische/reale Autor zu erkennen gibt, unternimmt mit einer Vielzahl von verschiedenen längeren und kürzeren Geschichten den Versuch, sich seine eigene Herkunft bewusst zu machen, ihre Bestandteile zu ergründen und ihre Funktion zu reflektieren; der Fiktionalitätsgrad einer Geschichte spielt für ihn keine Rolle im Hinblick auf ihre Relevanz für die Rekonstruktion von Erinnerung. Erzähltechnisch ist die allmähliche Bewusstwerdung des Erzählers eingebettet in die fortschreitende Demenz der Großmutter Kristina.

2. Saša Stanišić: Leben und Werk

2.1 Biografie

Saša Stanišić

(* 1978)© picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst

JAHR

ORT

EREIGNIS

ALTER

7. März 1978

Višegrad (Bosnien)

Geburt

0

1992

Heidelberg

Flucht mit der Familie nach Heidelberg

14

1997

Heidelberg

Abitur an der Internationalen Gesamtschule

19

1997–2004

Heidelberg

Studium der Slawistik und des Deutschen als Fremdsprache an der Ruprecht-Karls-Universität

19–26

2001

Heidelberg

Beginn der Publikationstätigkeit mit der Erzählung In Silence I Trust

23

2004

Leipzig

Studium am Deutschen Literaturinstitut

26

2005 / 06

München

Stipendienaufenthalt in der Villa Waldberta

27

2006

Ahrenshoop

Stipendienaufenthalt im Künstlerhaus Lukas

28

2006

Leipzig

Debütroman Wie der Soldat das Grammofon repariert

28

2006

Bosnien

Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung (Recherche-Reise)

28

2006 / 2007

Graz

Tätigkeit als Stadtschreiber

28

2007

Iowa City/USA

Max-Kade-Stipendium am International Writing Program der University of Iowa

29

2013

Mannheim

Feuergriffel-Stadtschreiber-Stipendium für Kinder- und Jugendliteratur

35

2014

Hamburg

Vor dem Fest (Roman)

36

2016

Hamburg

Fallensteller (Erzählungen)

38

2019

Hamburg

Herkunft (Roman)

41

2019

Frankfurt

Verleihung des Deutschen Buchpreises

Auseinandersetzung mit Peter Handke

41

2021

Hamburg

Hey, hey, hey, Taxi! (Kinderbuch. Illustriert von Katja Spitzer) sowie Panda-Pand (Kinderbuch. Illustriert von Günther Jakobs)

43

 

Saša Stanišić wurde am 7. März 1978 in Višegrad geboren, das heute zur Republika Srpska, einem mehrheitlich von Serben bewohnten autonomen Gebiet in Bosnien-Herzegowina, gehört, damals aber noch zum Vielvölkerstaat Jugoslawien zählte. Sein Vater ist Serbe, seine Mutter Bosniakin. Stanišić verbrachte seine Kindheit in Jugoslawien. Višegrad liegt nahe an der Grenze zu Serbien. Zu Beginn des Jugoslawienkriegs im Jahre 1992 war es Schauplatz eines ethnisch begründeten Völkermordes: Serbische Einheiten töteten oder vertrieben alle nicht-serbischen Einwohner. Heute beträgt die Bevölkerungszahl nur noch rund die Hälfte des Standes von 1991, es handelt sich überwiegend um Serben. Saša Stanišić floh mit seiner Familie nach Deutschland; in seinem Debütroman Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006) hat der Autor den Krieg in Višegrad literarisch verarbeitet.

Die Familie siedelte sich im Jahre 1992 in Heidelberg an, wo er die „Internationale Gesamtschule“ besuchte und nach dem Abitur an der dortigen Universität studierte. Schon während seiner Schulzeit begann er mit ersten Schreibversuchen, sein Wunsch, Schriftsteller zu werden, entwickelte sich dann während des Studiums in zunehmend konkreten Formen. Nach dem Abitur im Jahre 1997 studierte er Slawistik und Deutsch als Fremdsprache an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg.

Noch während seines Studiums schrieb und veröffentlichte er erste Texte, die Erzählung In Silence I Trust erschien 2001 in dem Literaturmagazin „Krachkultur“ (9/2001). 2006 debütierte er mit dem in Bosnien spielenden Roman Wie der Soldat das Grammofon repariert. 2014 folgte der Roman Vor dem Fest, der sich in Fürstenfelde, einem fiktiven Dorf in Brandenburg, zuträgt. Daneben veröffentlichte er eine Reihe von Erzählungen in dem Band Fallensteller (2014). Sein Roman Herkunft wurde 2019 veröffentlicht. Einige seiner Erzählungen und die drei Romane sind zudem in einer Hörspielversion erschienen.

Stanišić zeichnete 2005 als Gründungsmitglied von OULIPO (Ouvroir de Littérature Potentielle) Deutschland, einer Vereinigung von Autoren, die 1960 in Paris gegründet wurde. Der Autor wurde mehrfach durch Stipendienaufenthalte geehrt, er erhielt zudem zahlreiche angesehene literarische Preise, so beispielsweise den Adelbert-von-Chamisso-Preis (2008)[1], den Preis der Leipziger Buchmesse (2014) und den Rheingau-Literaturpreis (2015). Für Herkunft wurde ihm im Jahre 2019 der Deutsche Buchpreis verliehen.

Heute lebt und arbeitet er in Hamburg.

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird der zeitgeschichtliche Hintergrund von Saša Stanišić beleuchtet, der ab 1991 auch als politischer Hintergrund der Handlung in Herkunft genommen werden kann.

Wichtig für den Zeitraum von den 1970er Jahren bis heute:

Politisierung aller Lebensbereiche in den 1970er und 1980er Jahren

Wiedervereinigung in den 1990er Jahren

Auseinandersetzung mit den ökonomischen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Folgen der Wiedervereinigung seit den 1990er Jahren

Ereignisse im Ausland, vor allem die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien zwischen 1991 und 2001 und die Bedrohung durch islamische Terroranschläge seit 2001 beeinflussen die deutsche Innenpolitik.

Stanišić wurde im ehemaligen Jugoslawien geboren und absolvierte dort in den 1980er Jahren die ersten Schuljahre. Die 1980er Jahre waren geprägt durch die allmähliche Auflösung der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten osteuropäischen Staaten. Das Auseinanderfallen des Vielvölkerstaates Jugoslawien (vgl. Abb. S. 13) in der Folge ökonomischer und ethnischer Konflikte vollzog sich ab 1991 mit großer Brutalität, die Konflikte entluden sich in Kriegen zwischen Kroaten, Serben, Bosniaken und Albanern. Višegrad, das 1991 noch rund 21.000 Einwohner zählte (davon etwas zwei Drittel Bosniaken und ein Drittel Serben), wurde im April 1992 zunächst vom serbischem Militär angegriffen, der Angriff konnte aber durch die Jugoslawische Volksarmee zurückgeschlagen werden; nach dem Rückzug der Armee im Mai 1992 kehrten die serbischen Einheiten zurück und vertrieben oder töteten Angehörige anderer Ethnien, überwiegend Bosniaken. Heute leben in Višegrad noch rund 12.000 Menschen, überwiegend Serben.

© Creative Commons by-nc-nd/3.0/de | Bundeszentrale für politische Bildung 2017 | 

www.bpb.de

Die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien zogen sich über zehn Jahre hin, sie lassen sich unterteilen in den relativen kurzen Krieg in Slowenien (1991), den Krieg in Kroatien und Bosnien (1991–1995), den Kosovokrieg (1999) sowie den Aufstand der Albaner in Mazedonien (2001). Nach und nach erlangten Slowenien (1991), Kroatien (1991), Mazedonien (1991) und Bosnien-Herzegowina (1992) ihre Autonomie (vgl. Abb. S. 14).

© Creative Commons by-nc-nd/3.0/de | Bundeszentrale für politische Bildung 2017 | 

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Die Kriegsverbrechen, die in diesen Jahren begangen wurden, beschäftigten von 1993 bis 2017 den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag: So wurde im Rahmen der zahlreichen Verfahren etwa auch Milan LukiĆ verurteilt, der als Anführer der „White Eagles“, einer paramilitärischen serbischen Einheit, über 60 bosnische Muslime in Višegrad erschoss. Auch in Deutschland, in das Stanišić zu Beginn der 1990er Jahre floh, waren die Auswirkungen des Auseinanderfallens der kommunistischen Staaten zu spüren.

Die 1980er Jahre waren in der Bundesrepublik zunächst durch den Regierungswechsel von der sozial-liberalen zur christlich-liberalen Koalition von CDU und FDP unter Führung von Helmut Kohl gekennzeichnet waren. Die Opposition gegen den sogenannten „Nato-Doppelbeschluss“ 1979 (Erweiterung der nuklearen Mittelstreckenwaffen in Westeuropa) und ein zunehmendes ökologisches Bewusstsein führten zur Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen, Friedens- und Umweltschutzbewegungen sowie alternativer politischer Gruppierungen. Bei der Bundestagswahl 1983 zog erstmals die 1980 gegründete Partei „Die Grünen“ in den Bundestag ein. Die Neuausrichtung der sowjetischen Politik, die der neue Parteichef Michail Gorbatschow mit den Schlagworten „Perestroika“ (Umgestaltung, Umbau) und „Glasnost“ (Transparenz, Offenheit) betrieb, führte zusammen mit dem gewaltlosen Widerstand der DDR-Bürger 1989 zur Öffnung der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten (09.11.1989) und im Jahr darauf zur offiziellen Wiedervereinigung (03.10.1990).

Die 1990er Jahre wurden dann außenpolitisch bestimmt durch die Neudefinition der Rolle, die das wiedervereinigte Deutschland in Europa und der Welt spielen sollte (Beteiligung an Kampfeinsätzen der NATO, Diskussion über einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat). Insbesondere die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder trug durch die Entscheidung für den ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem zweiten Weltkrieg (Kosovo-Einsatz 1999) zu der Neubestimmung der Rolle Deutschlands bei. Diese Politik wurde von der seit 2005 regierenden Großen Koalition unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel fortgesetzt. Innenpolitisch waren die Anstrengungen darauf gerichtet, die kulturelle und materielle Überwindung der Teilung und den Aufbau der neuen Bundesländer voranzutreiben.

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

Zusammenfassung

Saša Stanišić hat neben seinen drei sehr erfolgreichen Romanen Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006), Vor dem Fest (2014) und Herkunft (2019) eine Reihe von Erzählungen und Kinderbücher publiziert. Für viele seiner Werke ist er mit Preisen ausgezeichnet worden.

Werkübersicht

2005

Träum! Traum, Traumata [Erzählung und Hörspiel, Regie: Marlene Breuer]

2005

Doppelpunktnomade [Essay]

2006

Wie der Soldat das Grammofon repariert [Roman und Hörspiel, Regie: Leonhard Koppelmann, Musik: Merima Kljuco]

2014

Vor dem Fest [Roman]

2015

Vor dem Fest [Hörspiel, Regie: Judith Lorentz, Musik: Lutz Glandien]

2016

Fallensteller [Erzählungen]

2017

Georg Horvath ist verstimmt [Hörspiel, Regie: Oliver Sturm, Musik: Andreas Bick]

2019

Herkunft [Roman]

2021

Hey, hey, hey, Taxi! [Kinderbuch, illustriert von Katja Spitzer]

2021

Panda-Pand [Kinderbuch, illustriert von Günther Jakobs]

 

Saša Stanišić hat außerdem eine Reihe von kleineren Erzählungen publiziert: In Silence I Trust (2001), Zinke (2002), get done: strippen, kajal (2002), Wie Selim Hadzihalilovic zurückgekehrt ist, … (2003), Heinz Harald Frentzen hat Schnupfen (2003), Billard Kasatschok (2005), Äcki spielt auf für die Jungs und Petra, den Funker (2005), Was wir im Keller spielen … (2005), Hai Nuun in Veletovo (2005), Zwei Anweisungen für Strukturstabilität, jeweils mit Beispielen, dazu zwei kleinere Erledigungen (2005), George W. mit Mikimaus-Ohren (2007).

Der Blog von Saša Stanišić ist unter http://kuenstlicht.de/kuenstlicht.html erreichbar.

 

Preise und Auszeichnungen

2004

Jürgen Fritzenschaft-Preis der Universität Heidelberg

2005

Kelag-Preis zum Bachmann-Wettbewerb

2005 / 06

Stipendienaufenthalt in der Villa Waldberta/München

2006

Stipendienaufenthalt im Künstlerhaus Lukas/Ahrenshoop

2006

Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung (Recherche-Reise in Bosnien)

2006 / 2007

Stadtschreiber in Graz

2007

Literaturpreis der Stadt Bremer für Wie der Soldat das Grammofon repariert

2007

Max-Kade-Stipendium am International Writing Program der University of Iowa

2006

Preisträger des Heinrich-Vetter-Wettbewerbs

2008

Förderpreis zum Heimito-von-Doderer-Preis

2008

Adelbert-von-Chamisso-Preis

2013

Hohenemser Literaturpreis für deutschsprachige Autoren nichtdeutscher Muttersprache Alfred-Döblin-Preis des Literarischen Colloquiums Berlin

2013

Feuergriffel-Stadtschreiber-Stipendium für Kinder- und Jugendliteratur in Mannheim

2014

Preis der Leipziger Buchmesse

2016

Rheingau-Literaturpreis

2017

Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen für den Erzählband Der Fallensteller

2019

Deutscher Buchpreis für Herkunft

2020

Weilheimer Literaturpreis

2020

Usedomer Literaturpreis für Herkunft

2020

Eichendorff-Literaturpreis für Herkunft

2020

Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster für Herkunft

2021

Schillerpreis der Stadt Marbach am Neckar

2021

Europese Literatuurprijs der Niederlande für Herkunft

 

Erläuterungen zu einzelnen Werken

Wie der Soldat das Grammofon repariert [2006]

Der autobiografisch gefärbte Roman (Saša ist die Kurzform von Aleksandar) erzählt aus der Perspektive des aus einer bosnisch-serbischen Familie stammenden Jungen Aleksandar Krsmanović und am Beispiel des bosnischen Dorfes Višegrad, wie der Jugoslawien-Krieg im Jahre 1992 das friedliche Zusammenleben von Serben, Kroaten und Muslimen zerstört. Stanišić entwickelt aus den Erinnerungen von Aleksandar das Bild einer glücklichen Kindheit, bis der Angriff der serbischen Truppen, die gezielt die muslimischen Einwohner töten wollen, die meisten Dorfbewohner zur Flucht zwingt. Aleksandar, der aus einer serbisch-muslimischen Familie stammt, flieht zunächst nach Belgrad und später nach Essen. 10 Jahre nach dem Krieg besucht Aleksandar Višegrad wieder, um zu ermitteln, was mit seinen Bewohnern geschehen ist.

Vor dem Fest [2014]

Der Roman spielt in dem fiktiven Ort Fürstenfelde in Brandenburg und ist als multiperspektivischer Montagetext konzipiert, der verschiedene Textsorten enthält und verschiedene Handlungsstränge wiedergibt, die in einem Zeitraum von 24 Stunden spielen. Die Handlung der Erzählgegenwart erstreckt sich über einen Tag vor dem jährlichen Annenfest im September, die erzählte Zeit reicht bis in die frühe Neuzeit zurück. Der Roman lässt sich als ein Werk lesen, das am Beispiel eines Dorfes beschreibt, wie Menschen trotz widriger Umstände ihr Leben meistern und an nachfolgende Generationen weitergeben: Die Vorfahren geben den heute Lebenden die Verpflichtung mit, genauso für das Weiterleben zu kämpfen, wie sie es getan haben, trotz aller Widrigkeiten, trotz Gewalt und Tod.

Fallensteller [2016]

Der Band besteht aus einer Sammlung von 12 Kurzgeschichten unterschiedlichen Umfangs, in denen zuweilen dieselben Figuren auftauchen: So ist Georg Horvath beispielsweise der Protagonist, aus dessen Perspektive die Geschichten Georg Horvath ist verstimmt, It’s okay. It’s also not okay, Pica-pau-de-cabeça-amarela erzählt werden. Horvath ist Justitiar einer deutschen Brauerei, der zur Vertragsunterzeichnung im Rahmen der Übernahme einer brasilianischen Brauerei nach Rio reist. In anekdotenhaften Szenen und Rückblenden wird das Bild eines Menschen gezeichnet, der die Eintönigkeit seines Lebens diagnostiziert und den Wunsch nach sprachlicher Präzision artikuliert. Aufgrund einer Namensverwechslung steigt Horvath am Flughafen in das falsche Taxi und wird zu einer Tierbeobachtungsstation im Urwald gefahren. Horvath verzichtet auf die Aufklärung der Verwechslung; die zum Ende der Erzählung hin zunehmende Referenz auf Kafkas Parabel Der Aufbruch macht deutlich, dass es um eine individuelle Sinnsuche geht.In der titelgebenden und umfangreichsten Erzählung des Sammelbandes werden auch Personal und Ort aus dem Roman Vor dem Fest wieder aufgegriffen. Inhaltlich wird der Stoff der Rattenfänger-von-Hameln-Sage adaptiert. Erzählerisch auffällig sind neben den intertextuellen Anspielungen auf den Roman auch die explizite Autoreferenzialität: Der Autor produziert eigene literarische Cameo-Auftritte als „Jugo“ oder „Jugo-Schriftsteller“ (S. 179).

3. Textanalyse und -interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

Zusammenfassung

Stanišić hat für seinen autobiografischen Roman eigene und fremde Erinnerungen gesammelt und erzählt. Das Leben in Višegrad vor und nach dem Bürgerkrieg ist bereits Gegenstand seines Debütromans Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006).

Die eigene Herkunft, die Fluchterfahrung und das Aufwachsen in Deutschland thematisiert Saša Stanišić bereits in seinem Debütroman Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006). Während er dort noch das Genre des autobiografischen Romans wählt, bei dem Autor und Erzählerfigur nicht identisch sind – auch wenn die Parallelen unübersehbar sind und bereits bei der Wahl des Namens Aleksandar, dessen Kurzform Saša ist, beginnen – entscheidet er sich in Herkunft für ein Mischung aus Autobiografie und Fiktion, gewissermaßen für einen „autobiografisch-fiktionalen“ Text. Viel ausführlicher als in seinem Erstling geht der Autor in Herkunft auf die Lebensgeschichten seiner Verwandten, aber auch auf seine eigene Geschichte als Flüchtling in Deutschland ein. Man kann somit sagen, dass er seine eigene Geschichte, die er in Wie der Soldat das Grammofon repariert zu erzählen begonnen hat, nun in Herkunft unter seinem eigenen Namen fortsetzt.

Neben diesem autobiografischen Thema setzt sich Stanišić auch in Herkunft wieder mit dem Motiv der Erinnerung auseinander. Schon in seinem Debütroman besteht für ihn die Funktion des Erzählens darin, Erinnerung zu bewahren. Das Vergessen wird kritisiert (vgl. Wie der Soldat das Grammofon repariert, S. 18), dagegen steht: „niemals aufhören zu erzählen“ (ebd., S. 31). Auch der zweite Teil des Romans, der durch die Kindheitserinnerungen des Erzählers Aleksandar bestimmt wird, folgt ausschließlich dieser Motivation: „Ich schreibe in Omas Buch Geschichten von der Zeit, als alles gut war, damit ich später nicht über das Vergessen klagen kann“ (ebd., S. 141). In Herkunft steht die Großmutter sowohl für die Handlung in der Erzählgegenwart als auch in den Rückblicken; unter anderem an ihrem Beispiel reflektiert Stanišić wie schon in Vor dem Fest über die Funktion von Erinnerung und über die Bedeutung von Herkunft. Aus der Erinnerung lasse sich nur selten objektive Wahrheit destillieren: Der Zweifel an objektiv gültiger Wahrheit ist das Hauptmotiv von Herkunft und von Vor dem Fest; Wahrheit lasse sich nicht von den individuellen Überzeugungen trennen, ein allgemeiner Wahrheitsbegriff existiere nicht: „Meistens geht es ja nicht darum, was stimmt, sondern darum, was die Leute glauben“ (Vor dem Fest, S. 249.). Der kollektive Wir-Erzähler räumt in Vor dem Fest ein, dass auch der Wahrheitsgehalt der erzählten Geschichten relativ ist. Geschichte werde von denen gemacht, die sie erzählen – ungelöst bleibt die Frage, wie vertrauenswürdig diese Erzähler sind und welchen Wahrheitsgehalt solche erinnerten Geschichten prinzipiell haben. In Herkunft „erfindet“ der Autor bewusst und darüber über seine „Erfindung“ reflektierend Geschichten, weil er das Bedürfnis nach einem eigenen autobiografischen Narrativ besitzt.

3.2 Inhaltsangabe

Zusammenfassung

Die Handlung der Erzählgegenwart erstreckt sich vom 7. März 2018, dem 40. Geburtstag des Erzählers, bis zum 2. November 2018, dem Tag der Beerdigung der Großmutter. In dem Zeitraum wird der fortschreitende geistige Verfall der Großmutter beschrieben, bis sie schließlich in ein Pflegeheim kommt, wo sie bald stirbt. In drei Analepsen wird ausführlich die Familiengeschichte im ehemaligen Jugoslawien bis 1991 geschildert, eine zweite Analepse erzählt den Besuch in Oskoruša im Jahre 2009, die dritte Analepse hat das Leben des Erzählers nach der Flucht und nach der Ankunft in Heidelberg zum Thema. In der zu 36 Varianten kombinierbaren Erzählung Der Drachenhort stellt sich der Erzähler vor, dass er mit seiner Großmutter erneut nach Oskoruša reist.

Die folgende Inhaltsangabe orientiert sich an der Chronologie des Romans.

Kapitel 1–64

(1) Großmutter und das Mädchen (S. 5)

Die siebenundachtzigjährige und bereits unter Demenz leidende Großmutter des Ich-Erzählers geht am 7. März 2018 aus ihrem Haus in Višegrad (Bosnien und Herzegowina) auf die Straße, weil sie meint, ein Mädchen gesehen zu haben, dem sie ihren eigenen Namen, Kristina, gibt.

 

(2) An die Ausländerbehörde (S. 6–9)

Der Ich-Erzähler berichtet vom Tag seiner Geburt in Višegrad am 7. März 1978. Im März 2008 soll er im Rahmen der vorgeschriebenen Formalien zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft einen handschriftlichen Lebenslauf verfassen. Bei ihm erwecke das behördlich verlangte nüchterne Aufzählen biografischer Daten den Eindruck, „als hätte das nichts mit mir zu tun“ (S. 7). Daher schreibt er kurze biografische Anekdoten nieder, beispielsweise, dass seine Großmutter ihm Schläge mit einem Nudelholz angedroht und sein Großvater ihm einen Bildband über Drachen geschenkt habe. Eine Freizeitaktivität, das Schlittenfahren, erhält in dem Bericht für die Ausländerbehörde ein eigenes Kapitel:

 

(3) Schlittenfahren (S. 9 f.)

Zunächst beschreibt er den Streckenverlauf der Piste, bevor er schildert, wie ein als Außenseiter in der Stadt lebender Erwachsener namens Huso ebenfalls die Piste mit großer Geschwindigkeit hinabfährt; dieser Huso sei im Jahre 1992 angeschossen und danach nicht mehr gesehen worden.

Am Kapitelende fasst der Erzähler zusammen, dass er Jugoslawe sei, außer Büchern auf der Frankfurter Buchmesse nichts gestohlen habe und mit einem Kanu im Freibad gefahren sei; da er sich der Strafrelevanz der beiden letztgenannten Sachverhalte nicht sicher ist, streicht er beides wieder und beginnt ein neues Kapitel, in dem er über die Dinge schreibt, die er hatte.

 

(4) Spiel, ich und Krieg, 1991 (S. 11–17)