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Die Texte der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo nun in einem Band. Über »Herr Gröttrup setzt sich hin« urteilt die Jury »Ein cooler Text« als die Autorin mit ihrer ersten auf Deutsch geschriebenen Erzählung 2016 den Bachmann-Preis gewann. Vier Jahre später hielt Otoo dort selbst die Eröffnungsrede: »Dürfen Schwarze Menschen Blumen Malen?« Ihre Mischung aus Polemik und Humor, Gesellschaftskritik und Empathie sorgte wieder für Furore. Das neue Buch vereinigt beide Texte mit einem weiteren, bisher unveröffentlichtem, einer imaginären Reise mit den Eltern nach Klagenfurt. Otoo ist die charismatische Sprecherin einer neuen Generation: Schwarz, selbstbewusst, feministisch. Der erste Roman der Autorin »Adas Raum« wurde zu einem fulminanten Erfolg. Ihr Erzählen zeigt: »Die Welt ist jederzeit zu erschüttern«, wie Sandra Kegel sagte, als Otoo den Bachmann-Preis gewann.
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Seitenzahl: 41
Veröffentlichungsjahr: 2022
Sharon Dodua Otoo
Drei Texte
Mit Zeichnungen der Autorin
Sharon Dodua Otoo (*1972 in London) ist Schriftstellerin und politische Aktivistin. Sie schreibt Prosa und Essays und ist Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe „»Witnessed« (edition assemblage). Ihre ersten Novellen »die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle« und »Synchronicity« erschienen zuletzt 2017 beim S. Fischer Verlag. Mit dem Text »Herr Gröttrup setzt sich hin« gewann Otoo 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2020 hielt sie die Klagenfurter Rede zur Literatur »Dürfen Schwarze Blumen Malen?«, die im Verlag Heyn erschien. Politisch aktiv ist Otoo bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., Phoenix e.V. und ist verbunden mit dem Schwarzen queer-feministischen Verein ADEFRA. »Adas Raum«, ihr erster Roman, erschien 2021 im S. Fischer Verlag. Im Sommer 2022 folgt »Herr Gröttrup setzt sich hin. Drei Texte«. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und war im März 2022 Schroeder Writer-in-Residence an der Universität Cambridge.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Für meine Eltern
… täglich
Bitte sorgen Sie dafür, dass Sie bequem auf Ihrem Platz sitzen. Es sollte Ihnen weder zu heiß noch zu kalt sein. Kratzen Sie sich ruhig am linken Ellenbogen, wenn Ihnen danach ist. Wenn Sie husten oder niesen müssen, wäre jetzt die angemessene Zeit dafür. Die Geschichte sollten Sie ausgedruckt in Ihrer rechten Hand halten. Heben Sie langsam Ihre linke Hand, und halten Sie schließlich damit Ihr linkes Auge zu. Nun können Sie anfangen zu lesen.
Er wusste es genau, deswegen war jegliche weitere Diskussion vollkommen unnötig: Er hatte ganz einfach recht. Die Lippen fest zusammengepresst, blieb er neben dem Herd stehen, schaute mit leicht hochgezogenen Augenbrauen weiter selbstgefällig auf die Armbanduhr und beschloss, keinen Unsinn mehr zu dulden.
Also seufzte Frau Gröttrup.
Gleichzeitig nahm sie ein Ei aus dem Topf, dann das zweite und schreckte beide mit ein paar gekonnten Handgriffen ab. Die Stille in der Küche war inzwischen messerscharf. Abgesehen von dem Blubbern des kochenden Wassers war nur noch das Atmen zweier Menschen zu hören. Person Nummer zwei, Frau Gröttrup, stöhnte mehrmals – aber ganz leise und fast unauffällig. Person Nummer eins war Herr Gröttrup. Er nickte, während er durch die Nase atmete: tief ein, tief aus.
Helmut Gröttrup, achtundsiebzig Jahre alt, einundneunzig Kilogramm, ein Meter dreiundachtzig, war deutscher Ingenieur (Raketenspezialist, seit neun Jahren pensioniert), Erfinder und Schachgenie. Die wochenendlichen Radtouren musste er bedauerlicherweise vor zwei Jahren sein lassen, weil er es mit dem Knie hatte. Inzwischen genoss er seinen neuen Status als regelmäßiger Sonntagsfahrer. Gleich nach der Kirche kutschierte er gerne, samt Frau und Wackeldackel, stundenlang die Hauptstraßen entlang, »Im Frühtau zu Berge« singend, während ihre Hand auf seinem Oberschenkel lag. Er freute sich über die Pünktlichkeit der Regionalbahn, die schattigen Stellen in seinem Schrebergarten während des Hochsommers und die kleine, verlässliche Flasche Underberg am Ende des Tages. Er fand bei Rot über die Ampel gehende Jugendliche, das Anglisieren des Genitivs und das Einfach-drauflos-Duzen weniger gut. Wenn jemensch ihn in seiner Gegenwart als »Christ« bezeichnet hätte, hätte er »mit Verlaub« korrigiert: Er war überzeugter Protestant. Wenn jemensch ihn allerdings als »cis Mann« bezeichnet hätte, hätte er vor lauter Irritation bestimmt die Augen zusammengekniffen. Und wenn jemensch ihn als »weiß« bezeichnet hätte, hätte er dies entweder als Synonym für »deutsch« aufgefasst oder sich gefragt, ob dies als Beleidigung zu verstehen war. Oder beides.
Eine Frage der Tagesverfassung.
Seine über die Jahre im Wesentlichen gleich gebliebene Morgenroutine würde heute bald mit Beginn des gemeinsamen Frühstücks – genauer gesagt, mit dem Essen des Eis – enden. Normalerweise war sie, Frau Gröttrup, die Chefin der Küche, und seine Aufgaben waren es, die Post hereinzuholen, die Außentemperatur zu kontrollieren und die Schuhe zu putzen. Die Aufteilung fand er eigentlich passend, doch in letzter Zeit erlaubte sich seine Ehefrau einige kleine Fehltritte, die dazu führten, dass er nun alles haargenau kontrollieren musste. Sie war einfach nicht so konzentriert bei der Sache wie er. Und so kam es, dass er jeden Morgen ungefähr acht Minuten zusätzlich einplante, um auch kurz am Herd stehenzubleiben. Das hatte sich in letzter Zeit als sehr gewinnbringend herausgestellt.
Jetzt konnte er sich aber endlich an den Frühstückstisch setzen, da anscheinend alles in Ordnung war. Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte Herr Gröttrup gefasst und zufrieden aus der Küche zurück ins Esszimmer. Er hatte zwar kurz überlegt, Frau Gröttrup, die gewiss nicht so stark war wie er, auch noch mit dem Tragen des Tabletts zu unterstützen, entschied sich aber dagegen, da er ihr heute Morgen wirklich genug beratend zur Seite gestanden hatte.
Frau Gröttrup ging hinter Herrn Gröttrup her. Auf einem kleinen Tablett balancierte sie dabei die Butter, die Milch, den Gouda, drei Tomaten, den Orangensaft (frisch gepresst), das Besteck, zwei Gläser, zwei Kaffeetassen und eben die Eier. Brot,