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Die Jäger des Helius-Ordens haben eine einzige Aufgabe: Vampire aufzuspüren und sie zu töten. Lyssandra lebte ihr Leben nach diesem Ziel, bis zu dem Tag, an dem ein Vampir sie vor dem sicheren Tod rettete. Jetzt ist sie unfreiwillig mit ihm verbunden, ein Geheimnis, für das sie hingerichtet wird, wenn ihr Orden die Wahrheit erfährt. Wenn sie Asher findet, wird sie ihm das Herz herausschneiden, weil er sie an ihn gefesselt hat, auch wenn es sie selbst umbringt. Doch als ein junges Mädchen tot aufgefunden wird, gerät Lyssandras Mission ins Wanken. In dem klaffenden Loch, in dem einst das Herz des Mädchens war, liegt eine einzelne rote Rose. Lyssandra hat die Signatur schon einmal gesehen, sie stammt von dem Vampir, der ihrem Onkel das Leben genommen hat. Karpov ist einer der Ältesten, und sein Tod ist der einzige, den Lyssandra sich mehr wünscht als den von Asher. Leider ist Karpov auch das einzige Wesen - tot oder untot -, das den Schlüssel zu Ashers Aufenthaltsort besitzt. Wenn Lyssandra ihn jemals finden will, muss sie mit dem Mörder ihres Onkels zusammenarbeiten. Ashers Tod könnte ihr endlich Frieden bringen, aber kann sie ihn akzeptieren, wenn das bedeutet, den Mörder ihres Onkels am Leben zu lassen? Oder wird sie in die wartenden Arme ihres Meisters fallen, unfähig, sich gegen die Anziehungskraft des unzerstörbaren Bandes zwischen ihnen zu wehren? Finde es heraus in "Herrschaft der Nacht", einer epischen Geschichte, voller Mord und Intrigen, mit einer langsam aufflammenden, heißen Enemies to Lovers-Romanze.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
SCHATTENSTUDIEN
BUCH 1
Herrschaft der Nacht: Paranormale Romantasy
Autor : Sara C. Roethle
Verlag : 2 Herzen Verlag (ein Teil von Zweihänder Publishing)
Alle Rechte vorbehalten
Autor : Sara C. Roethle
Verlag : 2 Herzen Verlag (ein Teil von Zweihänder Publishing)
Hedwig-Poschütz Str. 28, 10557, Berlin
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Ich wischte das Blut auf meiner Klinge an dem weißen Hemd des toten Vampirs ab. Vampire haben eine Vorliebe für feine Stoffe und Spitzen, frag mich nicht warum. Ich bin keine Gelehrte, ich habe kein Interesse daran, die Untoten zu studieren. Mein einziges Ziel ist es, sie zu töten.
Ich blieb stehen und betrachtete die steinernen Wände, die größtenteils mit Wandteppichen bedeckt waren, die schweren Holzmöbel und die Laternen, die das Licht des Feuers auf den toten Vampirkörper werfen.
Ich schwang mein Schwert auf meinen Rücken und zuckte, aufgrund der Prellungen entlang meiner Schulterblätter, vor Schmerz zusammen. Selbst durch einen harten Lederharnisch forderte es seinen Tribut, von einem tausend Jahre alten Wesen gegen eine Wand geschleudert zu werden.
Ich erstarrte, als ich Schritte hinter mir hörte, doch als ich seinen Geruch wahrnahm, entspannte ich mich.
"Hallo Steifan, du bist spät dran." Es war erst unsere zweite gemeinsame Jagd, aber ich brauchte nicht lange, um mir einen Geruch einzuprägen.
"Okay Lyssandra, wie machst du das?" Er betrat den Raum und stellte sich neben mich, die Leiche betrachtend. Seine Rüstung glich der meinen und trug das Emblem der brennenden gekreuzten Schwerter des Helius-Ordens. Sein pechschwarzes Haar hing lose bis zu seinem Kinn hinunter und umrahmte seine fragenden, haselnussbraunen Augen.
"Wie mach ich was? Vampire töten?"
"Wissen, dass ich es bin, der sich nähert, wenn ich kein Wort gesprochen habe."
Ich zuckte mit den Schultern, während ich mein feuerrotes Haar aufmachte. "Betriebsgeheimnis." Leider konnte ich ihm nicht sagen, dass ich seinen Geruch erkennen konnte. Das würde zu anderen Fragen führen, deren Beantwortung die Exkommunion aus dem Orden garantieren würde, dem ich Treue geschworen hatte. Das rote Haar, ein ungewöhnliches Merkmal in der Ebon-Provinz, hatte mir bereits genug Ärger innerhalb des Ordens verursacht: Geringere Jäger hielten mich für eine Hexe.
Sie hatten Unrecht, aber die Anschuldigung war besser als die Wahrheit.
"Hast du das Herz herausgeschnitten?"
Ich lächelte. "Nein, das ist deine Strafe dafür, dass du zu spät kommst. Schneide das Herz heraus und verbrenne es. Nur um sicher zu gehen.“ Ich drehte mich um und schritt aus der Kammer, während ich Steifan fluchend hinter mir ließ.
Ich hasste es, Herzen herauszuschneiden, aber es gab einen Vampir, bei dem ich eine Ausnahme machen würde. Ich hatte gehofft, dass mich die Jagd heute Abend zu ihm führen würde, aber anscheinend hatte ich mich geirrt. Jahrelanges Jagen über alle Kontinente und dennoch entkam er mir.
Manchmal könnte ich schwören, dass er mich aus dem Schatten heraus beobachtete und über meine Ungeschicklichkeit lachte. Vielleicht verfolgten mich aber auch nur die Erinnerungen an seine Taten.
Vielleicht interessierte es ihn überhaupt nicht mehr.
Ich schlenderte durch das ruhige Anwesen und fragte mich, was aus den wahren Besitzern geworden war, aber meine Fantasie musste nicht weit ausholen. Der Vampir, den ich gerade erschlagen hatte, hatte sie wahrscheinlich getötet. Die blutüberströmten Leichen wurden wahrscheinlich in den verwelkenden Gärten begraben.
Ich stieß die schwere Tür aus Eichenholz und Eisen auf und atmete tief die kühle Nachtluft ein, die mit dem Geruch von Sumpfwasser versetzt war. Ich rümpfte die Nase über den Nachtgeruch. Ich hasste die Jagd im Moor.
Ich wartete draußen, bis Steifan zu mir kam. Wir banden unsere Pferde los und traten unseren weiten Ritt an. Wir würden Castle Helius erst in der folgenden Nacht erreichen, vorausgesetzt wir hätten Glück und stießen nicht auf irgendwelche Bestien. Oder der Herde des toten Vampirs.
Ich war ein erfahrener Jäger und Steifan hatte es weit genug gebracht, um mein Lehrling zu sein, aber einer ganzen Herde zu begegnen, wäre unser Tod.
Wir ritten durch die Nacht, bis das Licht des Morgens uns beglückte. Die Morgendämmerung war stets ein Zeichen der Erleichterung für einen Jäger. Im Tageslicht konnten wir uns ausruhen.
Steifan stieg als Erster ab. Wir waren nicht weit von der Straße entfernt, aber in dieser Gegend waren Banditen eine geringere Sorge als die Kreaturen, die tief in den Sümpfen lungerten. Noch immer auf meinem Pferd, suchte ich nach einem ebenen Platz, um zum ersten Mal seit drei Nächten zu schlafen. Eine weitere Sache, die ich Steifan nicht erzählen konnte. So lange ohne Schlaf zu sein, war ... unnatürlich.
Als ich einen geeigneten Platz fand, stieg ich ab und entrollte eine grobe Wolldecke aus meiner Satteltasche. Die Decke diente mehr dazu das Licht abzuschirmen, als zu wärmen. Ich hasste es bei Tageslicht zu schlafen.
Wir banden unsere Pferde an einem Baum in der Nähe an und legten uns beide zur Ruhe. Steifan war zu nah an mir, aber ich schimpfte ihn nicht. Immerhin war es erst seine zweite Jagd.
Obwohl die meisten Jäger von Geburt an trainierten, war es doch immer wieder nervenaufreibend, auf die Jagd zu gehen. Wir stammten aus Familienlinien, die gegen die Tricks der Vampire resistent waren, nicht aus solchen, die gegen die emotionalen Auswirkungen des Herzrausschneidens immun waren.
"Lyssandra?"
"Nenn mich Lyss", seufzte ich und hoffte, dass das, was er zu sagen hatte, kurz sein würde. Ich brauchte dringend etwas Schlaf.
"Was ist, wenn sich etwas an uns heranschleicht, während wir uns ausruhen? Sollte nicht einer von uns Wache halten?"
"Ich habe einen leichten Schlaf."
Das schien ihn zu beruhigen, denn bald schnarchte er so laut wie ein Bär.
Ich seufzte und zog meine Decke weit über mein Gesicht, um mich zur Ruhe zu bringen. Ich konzentrierte meine Sinne auf unsere Umgebung. Die sanft grasenden Pferde. Ein Bach fließt irgendwo in der Ferne. Vögel, die sich in den Eichen über uns unterhielten.
Ich war schon fast eingeschlafen, als sich ein neues Geräusch zu dem Rhythmus gesellte. Sanfte Schritte. Ein Mensch.
Mehr als einer.
Wenn ich Steifan aufweckte, würde ich mich verraten. Ich bewegte meine Finger zu dem Schwert an meiner Seite, unter der Decke. Ich hatte den Griff gerade fest umschlossen, als sie angriffen.
Ich sprang vom Boden auf und schlug nach einem Mann, der dabei war, mir einen Dolch in die Brust zu rammen. Er sprang zurück, außer Reichweite. Ich wusste sofort was er war, was sie alle waren. Ich konnte sie spüren, so wie ich Vampire spüren konnte.
"Menschliche Diener!" rief ich und hoffte, dass Steifan hinter mir schon wach war.
Als ich mich umdrehte, sah ich ihn mit gezücktem Schwert stehen. Die drei menschlichen Diener, zwei männliche und ein weiblicher, umkreisten uns. Ihre Kleidung war kaum mehr als Lumpen, ihr Erscheinungsbild dünn, aber der Schein kann trügen. Diener waren fast so stark wie Vampire und fast genauso schnell, auch wenn sie nicht über die Tricks der Vampire und ihren Blutdurst verfügten.
"Halte mir den Rücken frei", knurrte ich Steifan zu. Ich hob mein Schwert und sah den Mann an, der versucht hatte, mich im Schlaf aufzuspießen. "Nun, willst du deinen gefallenen Meister rächen oder werden wir uns den ganzen Tag anstarren?"
Sie griffen an. Der Mann mit dem Dolch fiel leicht durch meine Klinge. Der zweite Mann ging auf Steifan los und ich konnte nur hoffen, dass er es packen würde. Die Frau schwang ihre Klinge, als wüsste sie, wie man damit umgeht und ihre wutentbrannten Augen waren auf mich gerichtet. Ihr braunes Haar hing schlaff und lose bis zur Taille und verstärkte das wilde Aussehen, das durch ihre zerrissene Kleidung entstand.
Wir stürmten als Einheit voran, unsere Klingen trafen mit einem ohrenbetäubenden Klirren aufeinander. Ihre Augen weiteten sich vor Staunen über meine Stärke. Ich spürte, was sie war, aber es war klar, dass sie solche Gaben nicht teilte.
Sie stieß einen gutturalen Schrei aus und griff erneut an. Ich konnte hören, wie Steifan hinter uns gegen den anderen Mann kämpfte, aber ich konnte nicht hinsehen. Ich musste meinen Gegner schnell außer Gefecht setzen, damit ich ihm helfen konnte. Die Frau schlug mit ihrem Schwert in Richtung meines Bauches. Ich drehte mich weg und rammte ihr die Spitze meiner Klinge in den Rücken. Ich stieß die Klinge nach oben und zog sie dann heraus. Noch bevor sie zu Boden fiel, wandte ich mich Steifan zu.
Der Mann hatte ihn auf dem Boden. Steifans Hände tasteten um ihn herum nach seinem Schwert, das irgendwo im gelben Gras steckte. Sie waren zehn Schritte entfernt, zu weit für mich, um ihn rechtzeitig zu erreichen. Aber ich konnte Steifan nicht so jung sterben lassen.
Ich warf mein schweres Schwert, zielte genau und es schlug in den Rücken des anderen Mannes. Er kippte um und war tot.
Menschliche Diener waren nicht annähernd so widerstandsfähig wie ihre Herren, obwohl diese nicht dem Vampir gehörten, den wir getötet hatten. Diener starben mit ihren Meistern. Töte einen Vampir, töte seine Diener. Diese gehörten zu jemand anderem aus der Herde des toten Vampirs.
Mit einem letzten Blick in die Runde, um sicherzugehen, dass sich niemand sonst näherte, ging ich zu Steifan und holte meine Klinge heraus.
Steifan starrte mich an, seine haselnussbraunen Augen waren groß. "Wie hast du das gemacht?", keuchte er.
Ich kniete nieder und wischte meine Klinge an der schmutzigen Kleidung des Mannes ab. "Ich bin schon lange im Orden."
"Nein." Er saß immer noch im Gras und starrte mich entsetzt an. "Nein, ich habe die größten Kämpfer gesehen, aber keiner bewegt sich so schnell wie du. Keiner kann ein schweres Schwert so werfen. Einen Dolch vielleicht, aber kein Schwert.
Ich zog eine Grimasse und stand auf, während ich meine saubere Klinge zurücksteckte. Sie würde später geölt werden müssen, um Rost zu verhindern. "Ich weiß nicht, was du von mir hören willst."
Schließlich stand er auf und suchte mit den Augen das Gras nach seinem Schwert ab. "Ich möchte, dass du mir die Wahrheit sagst."
Ich sah auf die drei toten Diener hinunter und wägte meine Optionen ab. Was würde er sagen, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen würde? Würde er es dem Orden erzählen? Mein Zynismus machte sich breit. Das wäre ein angebrachtes Dankeschön dafür, dass ich sein Leben gerettet habe. Aber wenn ich es ihm nicht sagen würde, würde er dann über das sprechen, was heute hier passiert ist? Würde er anderen erzählen, dass ich mich zu schnell für einen Menschen bewege? Würden sie anfangen zu hinterfragen, was ich war?
Der Potentat hatte mir sehr deutlich gemacht, dass Steifan mein Lehrling sein sollte, bis er bereit war selbst zu jagen. Das würde mindestens ein Jahr dauern. Konnte ich mein Geheimnis wirklich vor ihm verbergen, wenn unser Leben von meinen Fähigkeiten abhängen könnte?
Ich seufzte schwer. Es ist besser ihn damit zu überraschen und seine Reaktion jetzt zu erfahren. Wenn er zu entsetzt schien, konnte ich ihn jederzeit töten. Der Gedanke gefiel mir nicht, aber wenn ich es für nötig hielt, würde ich es tun, um mich zu schützen.
Ich begegnete seinem wartenden Blick. "Ich werde dir das hier verraten und deine Verschwiegenheit wird meine Entlohnung dafür sein, dir das Leben gerettet zu haben."
Mein Magen kribbelte. Vielleicht sollte ich ihn einfach reden lassen, ihn den anderen über seinen Verdacht über mich erzählen lassen. Aber würden sie ihm überhaupt glauben, wenn er ihnen erzählen würde, was ich jetzt preisgebe? Wahrscheinlich nicht, aber ...
"Ich bin der menschliche Diener eines Vampirs", hauchte ich. "Bei jeder Jagd hoffe ich, dass er meine Beute sein würde."
Steifan blinzelte mich einige Herzschläge lang an, dann brach er in ein Lachen aus, das ein wenig schrill und hysterisch klang, wahrscheinlich wegen der drei toten Körper zu unseren Füßen.
Er brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen. "Danke dafür, das habe ich gebraucht und danke, dass du mir das Leben gerettet hast."
Er suchte umher und fand schließlich sein Schwert. Er hob es auf und steckte es weg, dann wandte er sich wieder mir zu. "Vielleicht können wir uns in einem Gasthaus besser ausruhen."
Ich nickte zögernd und achtete darauf, dass mein Gesichtsausdruck nicht zu viel verriet. Es war wahrscheinlich das Beste, dass er mir nicht glaubte. Er schien jetzt meine Schnelligkeit als einen Trick seines panischen Verstandes abgetan zu haben.
Ich warf einen letzten Blick auf die Leichen, bevor wir uns zu unseren kampferprobten Pferden bewegten. Die armen Schlucker. Die meisten menschlichen Diener waren ihren Herren völlig ergeben, sie würden für sie sterben. Aber nicht ich. Ich war mir nicht sicher, ob es daran lag, dass in meinen Adern das Blut eines Jägers floss oder ein anderer Trick des Schicksals, aber ich war nicht von meinem Herrn besessen. Er war derjenige, der in mich verliebt war.
Obwohl keiner von uns für den anderen sterben würde, würden wir schließlich gemeinsam sterben. Sein Leben zu nehmen würde mir letztendlich mein eigenes auch nehmen. Ich konnte buchstäblich nicht ohne ihn leben.
Welchen Preis hat die Freiheit?
Die Burg Helius war eine wahre Augenweide. Die hohen Steinmauern und das schwere Fallgatter bedeuteten Sicherheit. Sie bedeuteten, dass man in der Nacht schlafen konnte, ohne Angst zu haben, sein ganzes Blut zu verlieren. Es bedeutete auch, zu verbergen, was ich wirklich war, aber nichts im Leben ist perfekt.
Das Fallgitter wurde jetzt im sicheren Licht des Tages hochgezogen. Kein Sterblicher würde es wagen, die Burg zu belagern, nicht mit so vielen erfahrenen Kämpfern darin. Und warum sollten sie das auch wollen? Wir schützten sie vor den Monstern.
Als wir uns in die Burgmauern wagten, kam ein junger Stallknecht, um unsere müden Pferde abzuholen. Mit einem Wink an Steifan machte ich mich auf den Weg zu meinen Gemächern. Ich würde dem Potentaten später Bericht erstatten. Jetzt brauchte ich erst einmal Ruhe.
Nun gut, was ich wirklich brauchte, war mich mit meinen Forschungen zu beschäftigen. Meine Stiefel glitten geräuschlos über das Kopfsteinpflaster, als ich die erste der Jägerresidenzen erreichte. Ich war mir so sicher gewesen, dass diese Jagd mich zu demjenigen führen würde, den ich suchte. Asher. Ich hatte die Bewegungen der Vampirschwärme verfolgt und die Reviergrenzen herausgefunden. Das Moor war Ashers Revier. Es hätte er sein müssen.
Aber er war es nicht und ich hatte keine Zeit, den Vampir zu befragen, bevor ich ihn tötete. Wenn man sich Zeit für Fragen ließ, ließ man ihnen Zeit, einen zu beeinflussen. Es war wichtig, Vampire zu überrumpeln. Sonst hatten die Jäger keine Chance.
Als ich meine schwere Eichentür erreichte, nahm ich mir einen Moment Zeit, um die Schlösser auf Anzeichen von Manipulationen zu überprüfen. Nennt mich paranoid, aber wenn andere Jäger meine Forschungen entdeckten, würde ich einen Monat lang im Stall festsitzen. Es war uns verboten, bestimmte Vampire zu jagen. Emotionen durften bei unserer Arbeit keine Rolle spielen. Genauso wenig wie ein langanhaltender Durst nach Rache.
Die Schlösser waren in Ordnung. Das waren sie immer. Niemand hatte einen Grund mich wegen irgendetwas zu verdächtigen. Ich war eine angesehene Jägerin, die ihr Gelübde erfüllte und sonst nichts.
Ich holte einen Satz schwerer Eisenschlüssel aus meiner Gürteltasche, schloss jedes Schloss auf und ging hinein.
Meine Gemächer waren wie die jedes anderen Jägers, karg ausgestattet. Ein Ein-Personen-Bett mit einem schweren Eichenrahmen und einfachem cremefarbenem Bettzeug nahm die Mitte des kalten Steinbodens ein. Links davon befand sich der Kamin, der stets von Asche befreit war, mit frischen Holzscheiten wartend. Auf der rechten Seite befand sich das gefüllte Bücherregal, das an das einzige kleine Fenster des Raumes grenzte. Am Fußende des Bettes befand sich eine Waffentruhe, die mit alten Schutzsymbolen verziert war. Meine Kleidung lag in einem ordentlichen Stapel neben dem Waschbecken.
Ich schloss die Tür hinter mir und warf meine Waffen auf das Bett. Sie mussten gereinigt und geölt werden, bevor ich sie weglegen konnte. Ich kniete mich nieder und verkeilte meine Hände hinter einer Unterkante des Bücherregals, um es nach außen zu schieben, ohne alle Bücher zu verschieben. Hinter dem Regal befand sich eine Vertiefung, die durch einen fehlenden Stein entstanden war, ein praktisches Versteck für meine Recherchen.
Als es an der Tür klopfte, erstarrte ich kurz, schob das Bücherregal wieder an seinen Platz und stand auf.
Die Tür öffnete sich, bevor ich antworten konnte und Tholdri Radran trat ein. Er grinste und zeigte seine geraden, weißen Zähne, dann fuhr er sich mit flinken Fingern durch sein goldenes Haar. "Steifan sagte, ich würde dich hier finden. Du weißt, dass du dem Potentaten Bericht erstatten musst, sobald du von einer Jagd zurückkehrst. Nur weil du aus der illustren Familie Yonvrode stammst, heißt das nicht, dass die Regeln nicht auch für dich gelten."
Ich kniff die Augen zusammen und streckte eine Hand hinter mir in Richtung des Bücherregals aus. "Glaube nicht, dass nur, weil wir zusammen aufgewachsen sind, ich dir kein Buch an den Kopf werfen würde. Was willst du? Ich bin müde."
Ohne eine Aufforderung trat er weiter in den Raum und schloss die Tür hinter sich. "Wie hat sich Steifan geschlagen? Der Potentat hält ihn für zu zimperlich."
Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich auf das Bett. Tholdri würde mich in Ruhe lassen, wenn er so weit war. Im Moment würde es weniger Zeit kosten, ihn einfach bei Laune zu halten. "Der Vampir war schon tot, als er mit dem Anbinden der Pferde fertig war. Allerdings hat er das Herz herausgeschnitten, ohne in Ohnmacht zu fallen." Ich dachte zurück und merkte, dass ich den Raum verlassen hatte, anstatt dafür zu sorgen, dass Steifan seine Aufgabe erledigte. Es war meine Aufgabe, den neuen Jäger auszubilden. Wenn ich nachlässig war, könnte er getötet werden.
Tholdri beobachtete, wie meine Gedanken über mein Gesicht spielten, dann setzte er sich neben mich auf das Bett. "Er wird es nie lernen, wenn du die Vampire tötest bevor er ankommt. Das Herz herauszuschneiden ist der einfache Teil."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich vorausgeeilt war, weil ich glaubte, der Vampir im Anwesen sei Asher. Er hätte mich sofort erkannt und ich wollte nicht, dass Steifan dabei war.
"Du bist zu weich", spottete Tholdri, der meine Sorge falsch interpretierte. "Du kannst ihn nicht ewig beschützen."
"Ich weiß nicht, warum der Potentat überhaupt will, dass ich ihn ausbilde. Andere Jäger sind für diese Aufgabe viel besser geeignet."
Tholdri hob eine goldene Braue. "Du bist die Beste, Lyss. Und Steifan ist ein Syvise. Das Gold seiner Familie hält Schloss Helius am Laufen. Der Potentat will, dass er geschickt genug ist, um Hauptmann zu werden."
Ich runzelte die Stirn. Es war mir völlig egal, dass Steifan aus der reichen Familie der Syvise stammte. Ich stammte aus einer der ältesten Jägerlinien, die es gab. Überlebensfähigkeit war wertvoller als Gold. Man konnte keine Münzen ausgeben, wenn man tot war.
Es sei denn, man war ein Vampir.
"Ich bin müde", seufzte ich. "Wenn Steifan ein Jäger sein will, muss er sich die nötigen Fähigkeiten aneignen. Wenn er Hauptmann werden will ... " Ich schüttelte den Kopf. "Nun, dann wird er noch um einiges gefährlicher werden müssen, als er es jetzt ist. Auf unserer Rückreise wurde er von einem einzigen menschlichen Diener entwaffnet."
"Das hat er erwähnt", lachte Tholdri. "Er schwärmte davon, wie geschickt du bist, wie du ein Großschwert wie einen Dolch schleudertest."
Ich kämpfte gegen den Drang zusammenzuzucken. Tholdri hätte es bemerkt und er hätte meine Reaktion festgehalten. Wenn irgendjemand mein Geheimnis herausfinden könnte, dann wäre es Tholdri. Er war viel zu schlau für sein eigenes Wohl.
"Hat er noch etwas erwähnt?" Warum, bei Licht betrachtet, hatte ich ihm die Wahrheit gesagt? Ich hätte eine andere Ausrede für meine unmenschliche Kraft und Geschwindigkeit finden können.
Tholdri schüttelte den Kopf. "Nein, aber es ist klar, dass er dich verehrt." Er stand auf. "Ich lasse dich jetzt ein wenig ausruhen, aber vergiss nicht dich beim Potentat zu melden. Wenn du das nächste Mal die Ställe ausmisten sollst, werde ich dir nicht dabei helfen."
Ich winkte ihn ab. Er würde mir helfen und das wusste er.
Er ging zur Tür, hielt aber inne, als sie halb angelehnt war. "Oh, das hätte ich fast vergessen. Letzte Nacht gab es einen Mord in Bordtham. Der Potentat hat darum gebeten, dass wir beide reisen, um vor der Jagd mit der Familie zu sprechen."
Ich blinzelte ihn an. "Wir beide? Warum? Wie viele wurden getötet?"
"Nur einer, aber anscheinend sind einige der Details ziemlich seltsam. Du wirst alles erfahren, wenn du dich beim Potentaten meldest." Er zwinkerte mir zu. "Angenehme Träume, Lyss."
Ich starrte die Tür an, als sie sich hinter ihm schloss. Er wusste genau, dass ich mich jetzt nicht ausruhen würde. Was konnte an einem Mord so seltsam sein, dass zwei hochqualifizierte Jäger dabei sein mussten? Und das so nahe in Bordtham? Wenn der Mord in der letzten Nacht geschehen ist, könnte Tholdri bereits die Familie befragt haben und das verantwortliche Monster jagen, sobald die Nacht hereinbricht.
Ich warf einen Blick auf mein Bücherregal, dann auf meine Waffen. Beides konnte warten. Es war an der Zeit, den Potentaten zu sehen.
Die Doppeltüren zu den Gemächern des Potentaten waren dreimal so groß wie ich und ich bin nicht klein. Groß für eine Frau, aber nicht so groß wie viele der Männer auf Schloss Helius. Diejenigen, die das Blut eines Jägers in sich tragen, sind in der Regel groß und kräftig gebaut. Ich hatte keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil die Schwachen jung starben. Ihre kleinere Statur wurde aus den Blutlinien entfernt.
Das bedeutete nicht, dass wir uns nur mit anderen Jägerlinien vermischten, wir konnten jeden heiraten, den wir wollten, aber ich hatte ohnehin nicht die Absicht zu heiraten.
Ich brachte meine Gedanken zum Schweigen, als ich merkte, dass ich zögerte, weil der Potentat wütend sein würde, wenn er wüsste, dass Steifan beinahe von einem menschlichen Diener getötet worden wäre. Er war mein Schützling, in guten wie in schlechten Zeiten und es war meine Aufgabe, ihn am Leben zu erhalten. Ganz zu schweigen davon, dass ich den Vampir getötet hatte, bevor er ankam. Ich sollte ihn ausbilden und er würde es nie lernen, wenn er nie einen Vampir lebendig sah. Obwohl ich annahm, dass lebendig nicht gerade das richtige Wort war, um zu beschreiben, was Vampire waren, bevor Jäger sie für immer töteten.
Ich klopfte an die Tür der Kammer und wartete. Man könnte meinen, vor der Tür eines so wichtigen Mannes stünden Wachen, aber der Potentat war auf seine Art gefährlich. Er ist nicht durch Politik in seinen Rang aufgestiegen. Er hat ihn durch Blutvergießen erreicht.
Eine Seite der Doppeltür öffnete sich scheinbar von selbst und ich betrat den Raum. Ich wusste nicht, wie der Potentat es geschafft hatte, die Tür auf diese Weise zu öffnen - manche behaupteten, er verfüge über Magie -, aber wenn das der Fall war, sahen wir kaum andere Anzeichen dafür.
Der Potentat ruhte sich in einem gepolsterten Stuhl am Feuer aus. Obwohl sein kurzes Haar und sein Bart silbern waren und sein Gesicht tief mit Falten eingezeichnet war, strahlten seine blauen Augen Jugend, Stärke und einen gewitzten Verstand aus. Ein lederner Foliant lag aufgeschlagen auf seinen dünnen, aber kräftigen Beinen, die er in einfache graue Wollhosen gekleidet hatte, welche zwei Nuancen dunkler waren als sein Hemd.
Er hob eine Hand und wies mir einen Platz am Feuer an.
Ich betrat den Raum und setzte mich, begierig darauf, den bevorstehenden Vortrag zu überstehen.
"Steifan hat sich sehr positiv über deine Jagd geäußert. Ich freue mich, dass sie besser gelaufen ist als die erste."
Ich zog die Stirn in Falten, bevor ich es verhindern konnte, aber der Potentat starrte ins Feuer. "Dieser Fall in Bordtham macht mir Sorgen."
Ich setzte mich etwas gerader hin, um meine Erleichterung zu verbergen. Hatte Steifan gelogen, um mich zu schützen oder war es ihm einfach nur peinlich, bei der Jagd so wenig nützlich gewesen zu sein? "Warum?" fragte ich.
Seine Hand streichelte den aufgeschlagenen Folianten in seinem Schoß, als wäre er ein alter Freund oder Liebhaber, dann hob er ihn zu mir.
Ich nahm das Buch und sah auf die aufgeschlagene Seite hinunter. Es war das Tagebuch eines alten Jägers. Da unsere Beute so langlebig war, führten wir Buch über jeden, der uns entkam. Die Informationen könnten für künftige Generationen nützlich sein.
Auf der Seite hatte eine geschickte Hand einen Mord skizziert. Die Bluse der Frau war um ein blutiges Loch in der Nähe ihres Herzens zerrissen. In diesem Loch befand sich eine einzelne Rose.
Die Seite hatte keine Farbe, aber ich wusste, dass die Rose rot war. Ich wusste es, weil ich diese Szene gesehen hatte, als ich noch eine junge und naive Jägerin war und nicht wusste, wie monströs Vampire wirklich waren.
Mein Herz schlug immer langsamer, während ich auf die Seite starrte. Mein Blut wurde zu Eis. Zumindest fühlte es sich so an. "Karpov." Ich hob meinen Blick zu dem Potentaten. "Er ist zurückgekehrt?"
Er nickte leicht. "Ich glaube schon. Die Frau, die letzte Nacht getötet wurde, wurde in einem solchen Zustand zurückgelassen."
Mir wurde ganz mulmig zumute, als ich wieder auf die Szene auf dem Blatt hinunterblickte. Karpov war alt, geradezu uralt. Seine Opfer tauchten im Laufe der Jahre hier und da auf, aber nur wenige hatten es geschafft, ihn aufzuspüren und sich ihm zu stellen. Diejenigen, die es schafften, kehrten nie zurück.
Außer mir.
"Kannst du das tun, Lyssandra?" Er beobachtete mich aufmerksam, suchte nach was, Angst?
Ich spürte Angst, aber sie war nur ein leises Beben im Vergleich zu dem Feuer, das in meinem Herzen brannte. Ich begegnete seinem Blick mit fester Überzeugung. "Ich werde sofort aufbrechen."
Er nickte, ein kleines Lächeln auf den Lippen. "Du wirst Tholdri mitnehmen, um dir den Rücken zu decken und Steifan, um zu lernen."
Mir fiel die Kinnlade herunter. "Steifan ist für so etwas nicht bereit. Er wird eine Ablenkung sein."
"Sein Vater will, dass er geht, also wird er gehen und wenn er stirbt, empfehle ich dir mit ihm zu sterben."
Mein Mund verzog sich vor Abscheu. Karpov war die Jagd, die ich wollte, gleich nach Asher. Oder vielleicht wollte ich sie noch mehr. Mein Vormund, mein geliebter Onkel Isaac, hatte mich ausgebildet, seit ich ein Mädchen war. Als wir Karpov gejagt hatten, musste ich hilflos mit ansehen, wie er Isaac das Herz herausriss. Ich hatte keine Ahnung warum Karpov mich am Leben gelassen hatte, vielleicht hatte Asher zu diesem Zeitpunkt bereits Anspruch auf mich erhoben, obwohl ich ihn erst etwa ein Jahr nach dem Tod meines Onkels kennenlernen würde.
Ich hatte den Tod meines Onkels noch genau vor Augen. Das strömende Blut, die Angst in seinen Augen, kurz bevor seine Gesichtszüge erschlafften.
Ich stand auf. "Wir werden sofort nach Bordtham aufbrechen. Ich werde mit Karpovs Kopf zurückkehren."
Er nickte. "Gut." Sein Blick kroch zurück zum Feuer. Ich war entlassen.
Auf halbem Weg zur Tür drehte ich mich um. "Ich danke Euch, Potentat, dass Ihr mir eine zweite Chance bei dieser Jagd gegeben habt."
"Mach uns nicht wieder Schande."
Seine Worte ließen meine Haut jucken. Ich verließ seine Gemächer und eilte den Flur hinunter. Meine Müdigkeit verschwand mit dem Gedanken an die Vorbereitung. Ich mochte einmal Schande über mich gebracht haben, weil ich nicht mit meinem Onkel gestorben war, aber das würde nicht noch einmal passieren. Ich war erst siebzehn, aber es war meine Pflicht, ihn entweder zu rächen oder bei dem Versuch zu sterben. Mit dem Kopf zurückkehren, als Beweis dafür, dass der gefallene Jäger gerächt wurde. Das war unsere Art und Weise und es war Gesetz.
Ich war nur verschont worden, weil der Potentat eingegriffen hatte. Ich wusste immer noch nicht, warum er mich gerettet hatte, aber jetzt gab er mir die Gelegenheit, es heimzuzahlen.
Ich sehnte mich immer noch danach Asher zu töten, aber das würde warten müssen. Karpov war seit dem Tod meines Onkels tief untergetaucht. Wenn ich ihn jetzt nicht einforderte, würde ich vielleicht nie die Schande von meinen Schultern nehmen können.
Und eine Sache war jetzt anders als bei meiner letzten Begegnung mit ihm. Es war nicht die Tatsache, dass ich ein paar Jahre älter oder weiser war. Es war, dass ich ein menschlicher Diener war. Ich war stark genug und schnell genug, um eine Chance gegen ein so altes Wesen zu haben. Das einzige Problem war, dass Tholdri und Steifan beide dort sein würden und meine wahren Fähigkeiten ans Licht kommen würden. Es ist schwer, zwei Männer, die dasselbe sehen, davon zu überzeugen, dass ihre Augen ihnen einen Streich spielen.
Aber das war ein Problem für später. Ich musste mich auf die Jagd vorbereiten. Wenn ich Erfolg hatte, würde Karpov die Morgendämmerung nicht mehr miterleben.
Metaphorisch gesprochen natürlich, denn er hatte die Morgendämmerung seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt.
Es dämmerte bereits, als wir Bordtham erreichten und ich konnte nur hoffen, dass wir nicht zu spät kommen würden. Wenn Karpov seine Herde bereits in einen neuen Unterschlupf verlegt hatte, würden wir ihn vielleicht nicht finden.
Tholdri ritt zu meiner Linken und Steifan zu meiner Rechten, wobei letzterer sich in dem kleinen Dorf umsah, als könnte Karpov jeden Moment herausspringen.
Das würde er nicht. Einige der Alten konnten zwar bei Tageslicht herumlaufen, aber nicht in der prallen Sonne. Wir hatten noch ein oder zwei Stunden Zeit, bevor wir uns Sorgen machen mussten.
Die wenigen Leute auf der Straße beobachteten uns neugierig. Es war eindeutig, wer wir waren. Wir trugen alle die flammenden Doppelschwertinsignien des Helius-Ordens. Ich erntete mehr lange Blicke als meine beiden männlichen Begleiter. Es war allgemein bekannt, dass Frauen keine Jägerinnen sein konnten und mein rotes Haar erleichterte die Sachen nicht gerade.
Ich starrte jeden an, der mich zu lange ansah. Meistens freute ich mich darüber, dass ich die gängige Meinung widerlegen konnte, aber nicht heute. Heute hatte ich eine kalte Grube der Angst im Magen. Selbstzweifel hatten sich in mir breit gemacht. Würde ich in der Lage sein zu handeln, wenn ich Karpov noch einmal gegenüberstand? Es war ein Alptraum, der mich schon seit Jahren plagte.
"Das Haus müsste da drüben sein." sagte Tholdri. "Sie hatten die Anweisung, die Leiche dort zu lassen, wo sie war."
Steifan beugte sich in seinem Sattel vor und flüsterte: "Haben sie keine Angst, dass sie als Vampir auferstehen könnte?"
Ich rollte mit den Augen. "Karpov hat ihr Herz genommen. Das war ein Mord, keine Verwandlung."
Waldrauch kitzelte meine Sinne, mit dem Geruch von Dung und gebackenem Brot. Darunter lag der Geruch von Blut. Tholdri und Steifan würden es nicht riechen können, aber ich schon. Der Geruch von geronnenem Blut und Angst drehte mir den Magen um.
Wir erreichten das Haus, eine bescheidene Behausung mit einem Strohdach. Die hölzerne Verkleidung brauchte dringend einen neuen Anstrich, aber das Äußere war sauber. Wer auch immer hier lebte, war arm, aber stolz auf sein Haus.
Ich stieg ab, gefolgt von Steifan und Tholdri. Ich streckte Tholdri meine Zügel entgegen.
Er schüttelte den Kopf und warf sein goldenes Haar hin und her. "Oh nein, ich werde nicht derjenige sein, der mit den Pferden wartet." Er hob einen Daumen in Richtung Steifan. "Lass ihn das machen."
Meine Zügel blieben ausgestreckt. "Er muss lernen. Die Szene zu sehen, wird dir nicht gut tun."
Widerstrebend nahm er die Zügel in seine Hand. "Weißt du, vielleicht finde ich etwas, das uns zu Karpov führt. Etwas, das ihr vielleicht überseht."
Ich wandte mich ab. "Dann kannst du es dir danach ansehen, wenn du möchtest." Ich wusste, dass das nicht der Fall war, er wollte nur nicht draußen stehen gelassen werden. "Komm Steifan."
Ein paar Dorfbewohner waren uns gefolgt und hielten Abstand, als sie zusahen wie ich vorging, um an die Tür zu klopfen. Steifan stand zu dicht neben mir, aber ich sagte ihm nicht, er solle sich bewegen. Stelle einen anderen Jäger niemals vor Publikum bloß.
Die Tür öffnete sich und enthüllte eine ältere Frau mit rotgeränderten Augen. Ihre Haut war stark gebräunt - wahrscheinlich eine Feldarbeiterin oder eine Hirtin - mit Falten, die zeigten, dass sie mehr lachte als sie weinte.
"Sind Sie wegen Mela hier?", fragte sie mit brüchiger Stimme.
Mela. Ich hatte den Namen nicht gewusst. Es war immer irgendwie schlimmer, wenn man den Namen kannte. Ich nickte. "Dürfen wir reinkommen?"
Sie trat zurück und öffnete die Tür weiter.
Das Innere des Hauses war dunkel und kalt und nur ein paar halb geschmolzene Kerzen vertrieben die Dunkelheit. Normalerweise würde ein Feuer im Kamin brennen, aber nicht heute Nacht. Wenn man eine Leiche herumliegen lassen musste, war Kälte besser. Steifan schloss die Tür hinter uns, um die Gaffer auszusperren, die nun mutig genug waren, sich Tholdri zu nähern.
Die Frau, Melas Mutter wie ich annahm, zog sich in die Ecke neben einem Schrank zurück, so weit weg vom Bett, wie es ihr nur möglich war.
Ich schaute mich um. Nur ein Bett in einer Einzimmerwohnung. Mutter und Tochter müssen hier allein gelebt haben. Ich fragte mich kurz, wo der Vater war, beschloss dann aber, dass es nicht wichtig war.
Ich ignorierte die Mutter und näherte mich dem Bett. Das Mädchen trug ein weißes Nachthemd, das mit rostbraunem, getrocknetem Blut befleckt war. Die Rose, die aus dem klaffenden Loch in ihrer Brust ragte, war purpurrot. Als der Mord noch frisch war, hätten die Blütenblätter mit dem Blut übereingestimmt.
Ich warf einen Blick auf Steifan, der ein paar Schritte zurücktrat. Er hatte sich die Hand vor den Mund gehalten, seine Augen waren voller Entsetzen. Seine Haut war so blass geworden und sein schwarzes Haar ließ ihn wie ein Gespenst aussehen.
Ich blickte an ihm vorbei zu der hohläugigen Mutter. "Wo warst du, als das passiert ist?"
Ihr Gesicht schien in sich zusammenzufallen, als all der Kummer, der sich unter der Oberfläche verbarg, hervorbrach. Sie streichelte ihren ergrauten Zopf, als wäre er ein tröstendes Haustier. "Ich war hier - ich weiß nicht, was passiert ist. Es ist, als ob meine Erinnerungen ausgelöscht worden wären. Eben noch waren wir nach einem langen Arbeitstag ins Bett gegangen und im nächsten Moment war das Bettzeug warm und mit Blut getränkt."
Ich schaute sie an und sah keine Blutspuren, wobei sie genug Zeit gehabt hatte, sich zu waschen, während sie mit ihrer toten Tochter wartete. Ich fühlte einen kurzen Anflug von Wut darüber, dass der Potentat sie so lange hatte warten lassen - und dann Schuldgefühle, weil sie auf mich gewartet hatte.
"Der Vampir muss dich verzaubert haben", erklärte ich. "Ich bin überrascht, dass er dich nicht getötet hat", fügte ich leise hinzu, obwohl ich das Gefühl hatte, dass ich den Grund dafür kannte.
Ich ging um das Bett herum und sah mir das Mädchen genauer an, und mir fiel etwas Merkwürdiges auf. Sie hatte rotes Haar, so üppig und rubinrot wie meines. In der Dunkelheit des Zimmers hatte ich es zunächst nicht bemerkt. Mein Herz pochte in meiner Brust und ich musste mich zwingen zu atmen.
Das konnte nicht sein.
Mein Blick wanderte zu der Rose in ihrer Brust, Karpovs Unterschrift. Dies war kein gedankenloser Mord und es war nicht einmal eine Botschaft für den Helius-Orden, wie ich zunächst angenommen hatte.
Dies war eine Botschaft an mich. Das rote Haar sagte mir das. Die Mutter war am Leben gelassen worden, damit der Tod schnell gemeldet werden konnte. Sonst hätte es vielleicht Tage gedauert, bis die Leiche entdeckt worden wäre. Karpov wollte, dass ich ihn jage, aber warum?
"Was sollen wir jetzt tun?", flüsterte Steifan.
Ich schritt um das Bett herum und ignorierte ihn, während ich mich wieder der Mutter zuwandte. "Um wie viel Uhr bist du aufgewacht?"
Sie fasste sich an die Kehle, ihr Blick war auf ihre Tochter gerichtet, wenn auch aus der Ferne, als würde sie die neuen Erinnerungen aufrufen. "Kurz vor der Morgendämmerung. Ich erinnere mich, dass die Sonne gerade aufging, als ich auf die Straße rannte, um Hilfe zu holen."
Kurz vor dem Morgengrauen und sie war aufgewacht, als das Blut noch warm war. Das bedeutete, dass seine Ruhestätte nicht weit entfernt sein konnte. Vampire waren schnell, aber sie konnten nur eine bestimmte Strecke zurücklegen, wenn die Sonne sie zu Asche zu verbrennen drohte.
Ich sah am Tatort nichts, was mir hätte sagen können, wo er war. Wir konnten ihn nicht aufspüren, Vampire hinterlassen keine Spuren, wenn er jedoch in der Nähe war, konnte ich ihn vielleicht spüren.
Alle Jäger konnten Vampire bis zu einem gewissen Grad spüren, aber meine Fähigkeiten glichen denen eines Jagdhundes. Ich konnte die Anwesenheit eines Vampirs an einem Ort spüren, lange nachdem er ihn passiert hatte. Aber wie ich das Steifan und Tholdri erklären sollte, weiß ich nicht.
Ich ließ die Leiche zurück und wandte mich an die Mutter. "Ihr könnt sie jetzt auf ihre Riten vorbereiten. Ich habe alles gesehen, was ich brauche."
Sie wischte sich eine frische Träne aus dem Auge, dann begegnete sie meinem Blick mit Bestimmtheit. Die ersten Anzeichen von Wut zeigten sich in ihrem Gesichtsausdruck und in der Art, wie sie stand. Die Trauer kommt zuerst, aber die Wut findet immer einen Weg hinein. Es war schwer, nicht wütend zu sein, wenn ein Monster jemanden entrissen hat, den man liebte. Ich kannte dieses Gefühl besser als die meisten anderen.
"Ich werde ihn finden", versprach ich. "Und ich werde ihm das Herz herausschneiden."
Sie nickte einmal kurz. "Sieh zu, dass du das tust. Ich muss mich jetzt um meine Tochter kümmern."
Ich nickte Steifan zu, dann verließen wir das Haus. Ich wollte nicht dabei sein, wenn die Mutter den Leichnam ihrer Tochter wusch. Würde sie die Rose entfernen, oder würde sie mit ihr verbrannt werden? In der Ebon-Provinz wurden alle Leichen verbrannt, um sicherzustellen, dass sie nicht als Vampire oder eine andere Form von Untoten zurückkehrten.
Tholdri wartete draußen mit unseren drei Pferden und einer Schar junger Mädchen um ihn herum.
"Wie viele Vampire hast du getötet?", fragte eine.
"Jagen Sie auch andere Monster?", fragte eine andere.
"Bist du verheiratet?", fragte eine dritte.
Sie verstummten alle, als Steifan und ich uns näherten.
"Zeit zu gehen", sagte ich und nahm meine Zügel wieder auf. Ich blickte ein junges Mädchen an, das zu nahe bei mir stand.
Ihre Augen weiteten sich, dann huschte sie davon, gefolgt von ihren Freundinnen, die alle aufgeregt plapperten.
"Du musst nicht so unhöflich sein", belehrte mich Tholdri. "War er es?"
Ich nickte. "Die Rose, die aus ihrer Brust ragte, war nicht zu übersehen. Entweder war er es oder jemand, der versucht hat einen seiner Morde zu inszenieren. Wer immer das getan hat, war mächtig genug die Mutter zu beschwören, während er ihre Tochter tötete." Ich kletterte in meinen Sattel.
Tholdri sah zu mir auf. "Es könnte mehr als einer gewesen sein. Einer, um zu beschwören und einer, um zu töten."
Ich hob eine Braue. "Glaubst du das wirklich?"
Er seufzte. "Nein, ich glaube, es war Karpov, so sehr ich mir auch wünsche, dass das nicht der Fall ist."
Immer noch auf den Beinen, aber mit den Zügeln in der Hand, blickte Steifan zwischen uns beiden hin und her. "Ich verstehe das nicht. Warum wollen wir nicht, dass er es ist?"
Tholdri stellte einen Fuß in den Steigbügel, warf dann sein linkes Bein über den Sattel und ließ sich nieder. "Weil wir, wenn er es ist, wahrscheinlich alle heute Nacht sterben werden."
Steifan umklammerte die Zügel so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. "Aber ist das nicht der Grund, warum der Potentat euch beide zusammen geschickt hat? Zu zweit hat er doch sicher keine Chance."
Ich lachte. "Wenn du glaubst, dass der Potentat unser Leben über unsere Aufgabe stellt, hast du noch viel zu lernen." Ich zwinkerte ihm zu. "Ich hoffe, du überlebst die Nacht, um es zu lernen."
Ich trieb mein Pferd an und ließ den Männern keine andere Wahl, als mir zu folgen. Vielleicht konnte ich sie überzeugen, dass ich einen Hinweis gefunden hatte, der mich in die richtige Richtung führte. Denn ich wusste jetzt, in welche ich gehen musste. Gerade als die Dunkelheit hereinbrach, konnte ich es spüren, dieses seltsame, halsbrecherische Gefühl in der Luft, das von einem Vampir kündete. Karpov war in der Nähe, nicht mehr an seinen Ruheplatz gefesselt.
Ich konnte nur vorwärts in die Dunkelheit gehen und hoffen, dass das Schicksal mich lange genug leben lassen wollte, um die Sonne noch zu sehen.
Die Härchen in meinem Nacken sträubten sich, als wir die letzten Lichter von Bordtham hinter uns ließen. Bald würden wir wirklich allein in der Dunkelheit sein. Steifan und Tholdri waren mir bis hierher ohne Einwände gefolgt, aber ich wusste, dass bald Vorschläge kommen würden, wie wir unsere Beute am besten aufspüren konnten.
Der Geruch von Regen wehte in einer warmen Brise aus der Richtung des Sumpfes. Das Sumpfgebiet war nicht weit von Bordtham entfernt. Hatte ich mich in den Gebietsgrenzen geirrt? Gehörte Karpov zu Ashers Herde? Normalerweise würden zwei so mächtige Vampire nicht gemeinsam jagen, aber wenn Ashers Revier die Sümpfe waren, war Karpov viel zu nah dran.
Es sei denn, derjenige, den ich jagte, war gar nicht Karpov, sondern Asher, der mich auf die beste Art und Weise die er kannte herauslockte.
"Wir sollten uns aufteilen", schlug Tholdri vor, dessen Pferd nur wenige Schritte hinter dem meinen war. "So können wir ein größeres Gebiet abdecken. Sonst finden wir ihn vielleicht nicht."
Ich hielt mein Pferd an und atmete tief ein, auf der Suche nach diesem besonderen Geruch eines Vampirs. "Nein", hauchte ich mit meinem Ausatmen. "Wir dürfen uns nicht verwundbar machen, wenn wir einem so alten Mann wie Karpov gegenüberstehen. Ich habe eine Idee wo er sich aufhalten könnte."
Tholdri lenkte sein Pferd neben das meine. "Wie?"
Steifan beobachtete uns von meiner anderen Seite aus, ohne irgendwelche Vorschläge oder Argumente vorzubringen. Der Junge gefiel mir immer besser.
Ich blickte hinaus, zu dem zwischen dicken, schwarzen Wolken sichtbaren Mondfetzen. "Vertrau mir, Tholdri. Ich habe ihm schon einmal gegenübergestanden."
Ich spürte, wie er mich noch einen Moment lang beobachtete. "Gut, aber wenn er uns entkommt, musst du es dem Potentaten sagen."
"Gut", stimmte ich zu. Ich machte mir nicht die Mühe zu erklären, dass wir denjenigen, der uns hierher gelockt hatte, ob es nun Karpov, Asher oder jemand anderes war, finden würden. Sie hatten mir eine Nachricht geschickt und ich war hier, um zu antworten.
Unter meinem Hemd und den Lederkombis bildete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen. Mein Atem blieb mir im Hals stecken und der Geruch der Toten überwältigte meine Sinne. Nicht verfault, Vampire stanken nicht. Es war der Geruch von dunklen, verborgenen Orten, reichhaltig und feucht wie aufgewühlte Erde.
"Lyss?" Tholdri flüsterte. "Was ist?"
Ich legte den Kopf schief und wartete auf das verräterische Zischen der Luft, das einer unmenschlich schnellen Bewegung vorausging.
Ich spürte es nur Sekunden, bevor ich schrie: "Runter!"
Steifan schrie auf, als etwas Dunkles und Großes wie ein Mann auf ihn zusprang und ihn aus dem Sattel warf.
Ich war in Windeseile auf den Beinen und schlug nach dem Ding, das auf Steifan war.
Der Vampir rollte sich ab und wich meiner Klinge mit einem Zischen aus, bevor er in die Dunkelheit huschte.
Tholdri stellte sich hinter mich und wir beide zogen unsere Klingen, als wir über Steifan standen. Ich hatte eine Armbrust an meinen Sattel geschnallt, aber sie würde jetzt in der Dunkelheit wenig nützen.
"Bist du verletzt?" fragte ich, ohne mich zu trauen nach unten zu sehen. Ich richtete meine Augen auf die Nacht und wartete auf den nächsten Angriff.
"Es hat mich gebissen!" Steifan keuchte.
"Es kann gereinigt werden", versicherte ich, "aber nur, wenn wir die Nacht überleben. Kannst du aufstehen?"
Er stand auf, ohne zu antworten und hielt sich die linke Hand an die blutende Kehle, während er die Klinge, die er auf dem Rücken trug, herauszog. Er stellte sich in Formation auf und bildete mit uns ein Dreieck, unsere Schwerter im Anschlag. "Wo ist es hin?"
Ich suchte die Dunkelheit ab. Unsere gut trainierten Pferde schnaubten heiß, aber sie flohen nicht. Sie hatten schon einmal mit Vampiren zu tun gehabt. Meine Haut kribbelte. "Sie sind in der Nähe."
"Sie?" Steifans Stimme klang angestrengt.
"Sie. Der erste hat uns nur getestet."
Vor dem nächsten Angriff gab es keine Warnung. Die Kreatur stürzte sich einfach auf uns und zwang Tholdri, die Formation zu durchbrechen, während er sein Schwert in einem gut geübten Bogen schwang. Er schlitzte der Kreatur den Unterleib auf und erfüllte den Weg mit dem Geruch von frischem Blut, das auf die trockene Erde tropfte.
Ich trat vor Steifan, als sich etwas zu meiner Rechten bewegte. Der Vampir stürzte sich auf uns und bekam meine Klinge in den Bauch. Ich stieß mein Schwert nach oben und suchte nach seinem Herzen, aber die Kreatur wich zurück und floh, bevor ich den tödlichen Hieb ausführen konnte.
Ich blickte zurück und sah, dass der Vampir, dem Tholdri gegenübergestanden hatte, tot war.
"War er einer von ihnen? Karpov?", schnaufte er und das Weiße seiner Augen leuchtete im spärlichen Mondlicht.
Ich schüttelte den Kopf. "Wenn Karpov kommt, werden wir es wissen."
Allerdings war ich mir meiner Schlussfolgerungen nicht mehr sicher. Die Vampire, die bisher angegriffen hatten, waren jung und unerfahren. Warum sollte Karpov uns hierher locken, nur um seine Lakaien auf uns zu hetzen? Das war nicht sein Stil. Er würde uns selbst töten wollen.
Es sei denn, er wollte Tholdri und Steifan vorher aus dem Weg räumen. Selbst junge Vampire sind furchterregende Feinde. Irgendwann würden sie uns zermürben.
"Wir sollten fliehen", sagte ich unmissverständlich. Flüstern war sinnlos. Die Kreaturen, die in der Dunkelheit warten, würden uns auf jeden Fall hören. Dieser Gedanke brachte mich auf eine Idee. Ich erhob meine Stimme: "Wenn Karpov zu feige ist, sich uns zu stellen, dann sollten wir unsere Zeit nicht mit solchen Schwächlingen verschwenden."
Tholdri verstand schnell. "Vielleicht ist er verängstigt. Vielleicht verbringt er so viel Zeit in seinem Versteck, weil er der Schwächling ist. Er tötet nur gerne junge, wehrlose Mädchen in ihren Betten."
Die Nachtluft fühlte sich schwer an. Ich war mir nicht sicher, aber ich spürte eine Macht in der Nähe und es musste Karpov sein oder wer auch immer die jungen Vampire besaß. Es brauchte schon jemand Uraltes, um so viele zu kontrollieren.
"Es ist schon lange her, Lyssandra." Karpovs Stimme war tief und voll wie alter Honig.
Ich drehte mich um und erblickte ihn weiter unten auf dem Pfad, dem wir gefolgt waren. Er war größer als Tholdri, größer als die meisten Männer und schmerzhaft dünn. Aber die Schlankheit täuschte. Er konnte jedes unserer Pferde hochheben und werfen, als wären es kleine Steine.
"Karpov", sagte ich mit fester Stimme. "Ich habe lange auf diese Nacht gewartet."
Das schwache Mondlicht beleuchtete sein hageres Gesicht, als er grinste und seine feinen Reißzähne zeigte. Sein dunkelbraunes Haar war zu einem engen Zopf aus der Stirn gezogen. Seine weite, schwarze Kleidung schien mit der Nacht zu verschmelzen.
"Dies ist keine Nacht zum Töten", erklärte er. "Ich hatte nur gehofft, mit dir zu sprechen. Allein."
Ich schnaubte. "Wenn du etwas zu sagen hättest, hättest du einen Brief schreiben können. Wirst du mir nun mutig gegenübertreten oder versteckst du dich hinter deinen Lakaien?"
Sein kehliges Lachen schien die Nacht um uns herum anzustecken, widerhallt von seinen glucksend kichernden Schützlingen.
"Ergreift sie", befahl er. "Bedient euch an den anderen."
Die uns umgebende Dunkelheit schien sich zu bewegen, nur war es nicht die Dunkelheit, sondern ein ganzer Schwarm von Vampiren, die ihre Beute umkreisten, zu viele, um sie zu zählen. Hätte ich gewusst, dass es so viele sein würden, wäre ich nicht gekommen. Karpov reiste normalerweise allein oder mit nur einem einzigen Begleiter und die meisten Schwärme bestanden nur aus drei oder vier Vampiren und ihren menschlichen Dienern.
Ich drückte meinen Rücken gegen den von Steifan. "Halte uns immer den Rücken zu. Bleib so nah wie möglich. Und schau ihnen nicht in die Augen. Versuch wenigstens ein paar zu töten."
Steifans Worte kamen in panischer Eile heraus. "Wenigstens ein paar?"
"Ja", antwortete Tholdri für mich. "Wenn wir schon sterben müssen, sehen wir wenigstens viele von ihnen mit uns sterben."
Und dann griffen sie an und die Welt bestand nur noch aus Blut, Schreien und Dunkelheit.
Ich erwachte mit einem Hämmern in meinem Schädel, obwohl ich überrascht war, überhaupt aufzuwachen. Tholdri und Steifan müssen mich da rausgezerrt haben. Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war ein Haufen toter Vampire zu meinen Füßen, dann knallte mir etwas von hinten gegen den Kopf.
Ich blinzelte mit den Augen, aber die mich umgebende Dunkelheit war so tief, dass ich nicht erkennen konnte, wo ich war.
Ich versuchte mich aufzusetzen, aber ein seidiges Kissen ragte über mir auf. Was um Himmels willen konnte das sein? Ich streckte meine Arme aus. Kissen auf beiden Seiten, genau wie das Kissen unter mir.
Mein Puls raste. Ich ahnte, wo ich mich befand und es war nicht der Ort, an den Tholdri oder Steifan mich bringen würden.
Die Angst schlängelte sich durch meinen Magen, aber ich schaffte es, meine Knie an meine Brust zu ziehen. Ich drückte meine Stiefel in das weiche Kissen über mir, dann stieß ich zu. Der Sargdeckel ächzte unter dem Druck, dann lösten sich die Riegel aus den Scharnieren und ich wurde mit splitterndem Holz überschüttet, als der Deckel nach außen schwang.
Ich setzte mich auf und versuchte zu hören. Weiße Kerzen flackerten in den Kandelabern, die einen schweren Eichentisch säumten. Das Licht warf tanzende Schatten auf die Steinwände. Drei weitere Särge standen in einer Reihe neben dem meinen. Die übrigen Leichen in der alten Krypta waren in die Wände eingemauert, wahrscheinlich schon lange tot, bevor die Vampire dieses Land heimsuchten. Sofern die anderen sichtbaren Särge nicht Tholdri und Steifan enthielten, waren sie leer. Heutzutage begrub niemand mehr seine Toten. Die Särge enthielten die Leichen während der Todesriten, dann wurden sie verbrannt.
Manche Legenden sprachen von Vampiren, die in Särgen schliefen. Ich hatte es noch nie gesehen, aber es gab für alles ein erstes Mal. Auch wenn es keine Fenster gab, konnte ich spüren, dass es noch Nacht war.
Aus einer dunklen Halle tauchte Karpov auf. Instinktiv griff ich nach meinem Schwert, aber es war nicht da.
Karpov breitete seine Hände nach außen aus. "Willkommen zurück im Land der Lebenden." Er kicherte über seinen Scherz, obwohl ich nicht verstand, warum er lustig war.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, aber soweit ich das beurteilen konnte, waren wir allein. "Wo bin ich? Wo sind die anderen?"
"Ich sagte doch, ich wollte mit dir sprechen. Du hättest einfach freiwillig mitkommen können."
Meine Beine fühlten sich zittrig und schwach an, aber ich kletterte aus dem Sarg. Wenn ich heute Nacht hier sterben sollte, dann wollte ich meinem Feind stehend gegenübertreten. "Du hast das Mädchen ermordet, nur weil du mit mir sprechen wolltest?"
Er neigte sein spitzes Kinn. "Hättest du wirklich geantwortet, wenn ich dir einen Brief geschrieben hätte?"
"Nein."
Er zuckte mit den Schultern. "Dann hast du mir keine andere Wahl gelassen. Ich wusste, dass es dich in die Nacht locken würde, ein Mädchen mit einem solchen Haar wie das deine zu töten. Deine besonderen Gaben machen dich kühn. Du dachtest, ich würde allein sein und du hättest eine Chance mich zu besiegen."
Hätte man mir nicht die Waffen abgenommen, hätte ich ihn herausgefordert. Stattdessen fragte ich: "Wo sind Tholdri und Steifan?"
Er wölbte eine dünne Braue. "Die anderen Jäger? Ich habe sie bei meinen Kindern gelassen. Es wird interessant sein zu sehen, wer als Sieger hervorgeht."
Ich ballte meine Fäuste und fragte mich, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Wütete der Kampf noch oder war er schon vorbei? Seine Kinder waren alle jung und gerade erst gestorben. Tholdri und Steifan könnten noch eine Chance haben. Nun, Tholdri jedenfalls. Steifan könnte durch reines Glück überleben. "Sag mir, was du von mir willst."
Er ging einen Schritt weiter in den Raum hinein und lehnte sich dann gegen den mit Kerzen erleuchteten Tisch. "Wir haben einen gemeinsamen Feind, Lyssandra. Ich habe dich heute Abend hierher gebracht, weil ich annehme, dass du ihn mehr hasst, als du mich hasst."
Ich brauchte nicht zu fragen, wen er damit meinte. Er konnte nur Asher meinen, was bedeutete, dass er wusste, dass er mein Herr war. Hatte Asher es ihm gesagt, oder hatte Karpov ein Auge auf mich geworfen? "Ich hasse euch beide und ich werde euch beide tot sehen, wirklich tot."
"So dreist", lachte er. "Aber du bist nicht in der Lage, Drohungen auszusprechen. Du bist nicht stark genug, um mich zu besiegen und wenn du glaubst, du könntest ihn allein besiegen", sagte er spöttisch, "dann bist du ein Narr."
Ich verengte meine Augen. "Du willst mir also helfen, Asher zu töten?"
Er nickte.
"Warum?"
Er stieß sich vom Tisch ab und ging auf und ab. "Sind dir in letzter Zeit mehr Vampirmorde aufgefallen? Mehr Geschichten über dunkle Kreaturen, die in den Sümpfen lauern?"
Das ist es, aber ich sah keinen Grund, es zu bestätigen. Ich wartete darauf, dass er fortfuhr.
Er rollte mit den Augen. "Ihr Sterblichen habt keinen Sinn für Dramatik. Ihr seid zu kurzlebig, um jemals klug zu sein. Na schön", er setzte sich wieder auf seinen Platz und lehnte sich gegen den Tisch, "ich werde es dir sagen. Die Vampirclans werden bald im Krieg liegen. Einige sind zu schnell gewachsen, die Grenzen des Territoriums haben sich verwischt. Einige von uns würden gerne unsere alten Gesetze umstoßen."
Mein Herz klopfte gegen meine Kehle. Ein Vampir...krieg? Das war unvorstellbar. Sie waren meist Einzelgänger, aber selbst wenn sie in Schwärmen reisten, blieben sie unter sich und verursachten keine allzu große Störung, damit die Jäger des Helius-Ordens sie nicht als Zielscheibe markierten.
Er verschränkte seine Finger vor der Brust. "Ich sehe, du bist dir der Tragweite der Situation bewusst."
"Deshalb hattest du heute Abend auch so viele junge Vampire dabei", bemerkte ich. "Du bringst sie her, um dein Territorium zu sichern?"
Er nickte. "In der Tat. Und Asher hat sich mir schon zu oft in den Weg gestellt."
"Dann töte ihn doch selbst. Du bist älter als er."
"Bin ich das?"
Ich schüttelte langsam den Kopf. Ich war mir wirklich nicht sicher. Karpov hatte einen langen Ruf, also nahm ich an, dass er der Älteste von den beiden war, aber ich wusste wirklich nicht, in welchem Jahr Asher geboren wurde oder wann er starb.
Ich beobachtete Karpov einen langen Moment lang und war froh, dass ich ihm im Gegensatz zu anderen Menschen in die Augen sehen konnte. In den Augen eines Menschen konnte man viele Geheimnisse finden.
Und doch verrieten seine dunklen Augen nichts. Alles, was mir einfiel, war, mich wieder umzudrehen. "Du willst also, dass ich dir helfe Asher zu töten, wohl wissend, dass es auch mich töten wird? Es scheint ein besserer Plan zu sein, wenn ich dich zuerst töte."
Seine Augen verengten sich und zeigten die ersten Anzeichen von Irritation. "Du könntest nie einen von uns allein töten. Du könntest uns nicht einmal finden, wenn wir es nicht wollten. Ihr seid seit Jahren auf der Suche, nicht wahr?"
Ich zögerte, dann nickte ich.
"Ich kann Asher für dich finden. Ich kann euch direkt zu seinem Versteck führen, und ihr könnt eure Rache bekommen. Ich werde sogar dafür sorgen. Das ist besser, als die Ewigkeit mit der Jagd auf uns zu verbringen, nicht wahr?"
War es besser? Ich war mir nicht sicher. Allein der Gedanke, Asher endlich zu finden, ließ meine Handflächen nach einem Schwert greifen. Ich war bereit zu sterben, um ihn zu besiegen, aber konnte ich das tun, wenn ich dafür ein Monster wie Karpov am Leben lassen musste? Konnte ich wirklich in den Tod marschieren, wenn ich wusste, dass mein Onkel Isaac ungerächt bleiben würde? Ich war bereit gewesen, genau das zu tun, aber jetzt, wo Karpov direkt vor mir stand, war ich mir nicht mehr sicher.
Karpov schien meine Gedanken zu lesen. "Du weißt, wenn du mir nicht hilfst, werde ich Asher trotzdem besiegen. Sobald er stirbt, stirbst du. Entweder durch deine Hand oder durch die eines anderen. Du hast weder die Zeit noch die Mittel, mich zu töten, bevor das passiert."
Er hatte Recht und ich musste weg von ihm, um Steifan und Tholdri zu finden, falls sie überhaupt noch lebten.
"Ich werde darüber nachdenken."
"Sieh zu, dass du das tust. Komm in drei Nächten wieder zu diesem Ort, allein und gib mir deine Antwort. Bringst du andere mit, so werden sie getötet." Ich sah kaum, dass er sich bewegte, dann war er plötzlich weg und ich war allein in einer ungewöhnlich eingerichteten Gruft.
Ich würde sein Angebot nicht annehmen, zumindest nicht in vollem Umfang. Ich hatte der Mutter des Mädchens gesagt, dass ich Karpovs Herz herausschneiden würde und das meinte ich auch so. Aber sein Herz konnte warten. Er wusste, wo Asher war. Ich könnte Karpov benutzen, um mich zu Asher zu führen, dann würde ich ihn töten, bevor ich mich meinem Meister stelle. Asher würde der Nächste sein. Sobald beide Vampire tot waren, würde ich endlich frei sein.
Ich ging den Flur entlang, in dem Karpov zum ersten Mal aufgetaucht war, in der Hoffnung eine Tür aus der Gruft zu finden. Wenn er sie hinter sich verschlossen hatte, würde ich wütend werden.
Tholdri und Steifan erwarteten mich bereits mit unseren drei Pferden an dem Weg, der nach Bordtham führte. Obwohl ich nach dem langen Marsch mürrisch war, fühlten sich meine Füße leicht an, als ich die beiden dort sah, jeder mit einer Fackel in der Hand, um die Dunkelheit zu vertreiben.
Sie würden die Fackeln nicht mehr lange brauchen, die Morgendämmerung war nicht weit entfernt. Ich konnte sie wie eine tröstende Hand auf meiner Schulter spüren.
"Ich habe dir gesagt, dass sie es schaffen wird." Tholdri grinste. Blut verklebte sein goldenes Haar auf einer Seite seines Gesichts. Seine hellbraunen Augen schienen im gelben Fackellicht zu glitzern.
Steifan schüttelte den Kopf, sein Kiefer stand leicht offen. "Als Karpov dich mitnahm, dachte ich, du wärst für uns verloren."
Die Bisswunde an seinem Hals hatte begonnen sich blau zu färben. Ein tiefes Violett zog sich an der Seite hinauf bis zu seinem Ohr, aber zumindest hatte es aufgehört zu bluten. Die Wunde musste mit speziellen Kräutern gereinigt werden, bevor es Nacht wurde, was bedeutete, dass wir zur Burg Helius zurückkehren mussten.
Ich rieb mir den schmerzenden Kopf und fühlte mich ohne meine Waffen seltsam leicht und doch verletzlich. "Wer hat mich geschlagen?"
Steifan zuckte zusammen. Seine Augen blickten zu Tholdri, dann zu Boden.
"Sag es ihr", befahl Tholdri.
Steifans Blick blieb auf seinen blutbespritzten Stiefeln haften. "Ich, aus Versehen, das versichere ich dir. Es war der Knauf meiner Klinge. Ich habe versucht, in Formation zu bleiben, aber ich bin wohl zu nahe herangekommen."
Irritation ließ meine Wangen erröten. Dieser Idiot hätte uns alle leicht umbringen können. Was hatte sich der Potentat dabei gedacht, ihn so früh in seiner Ausbildung auf die Jagd zu schicken? Ich war gut, aber ich war nicht gut genug, um mich gegen seine Dummheit zu verteidigen, wenn ich es mit Vampiren zu tun hatte.
Meine nächsten Worte bewiesen große Zurückhaltung und Reife ... oder sie zeigten nur, dass ich hundemüde war und mich mehr über Karpov ärgerte als über Steifan. "Ist schon gut. Lass uns zur Burg Helius zurückkehren."
Tholdri hielt meine Zügel zurück, als ich nach ihnen griff. "Äh, Lyss. Du wurdest von Karpov entführt und nach dem Fehlen deiner Waffen zu urteilen, hast du ihn nicht getötet. Er hat dich gehen lassen. Wir haben die ganze Nacht hier gewartet, um deine Geschichte zu hören."
Ich hob die Brauen. "Und ich dachte, du sorgst dich um mein Wohlergehen."
Er lächelte, rührte sich aber nicht.
"Na schön", seufzte ich. "Gib mir mein verdammtes Pferd, dann erzähle ich dir, was passiert ist. Wir haben einen langen Ritt vor uns. Die kann ich genauso gut mit meiner Erzählung füllen."
Selbstgefällig reichte er mir die Zügel.
Steifan beobachtete uns misstrauisch. "Sollen wir wirklich wieder von Bordtham wegreiten, solange es noch dunkel ist?"