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Beschreibung

Herrschaft von Menschen über Menschen ist in der politischen Philosophie der Gegenwart kaum mehr ein Thema. Alles, was an Herrschaft einmal der Kritik verfiel, scheint durch die Verrechtlichung und Demokratisierung von Verfahren und Institutionen gebannt zu sein, um deren bloße Beschreibung, Optimierung und Effektivierung die Theorie sich nun zu bemühen habe. Auch die heutige akademische »Kritische Theorie« benennt zwar empirische Missstände, nimmt aber die in der Konstitution kapitalistischer Gesellschaften liegenden Prinzipien ebenso wenig noch zur Kenntnis, wie sie materiell herrschaftsfreie Organisationsformen erwägt. Genau dies ist jedoch die Aufgabe genuin kritischer Theorie. Der vorliegende Band widmet sich wesentlichen Aspekten einer solchen Kritik.

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Grundlinien kritischen DenkensPublikationen aus dem Peter Bulthaup Archiv Band 4

Herausgegebenfür das Gesellschaftswissenschaftliche Institut Hannovervon Michael Städtler und Maxi Berger

Michael Städtler und Michael Heidemann (Hg.)

Herrschaft oder Organisation

Zur politischen Form menschlicher Gesellschaft

© 2024 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe

www.zuklampen.de

Umschlaggestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen

und Passionen mbH · Hamburg

Satz: Germano Wallmann · Gronau · www.geisterwort.de

In de Tarpen 42, 22848 Nordersted

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN Printausgabe 978-3-98737-004-5

ISBN E-Book-PDF 978-3-98737-401-2

ISBN E-Book-EPUB 978-3-98737-402-9

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Michael Städtler & Michael Heidemann

Herrschaft oder Organisation.

Zur politischen Form menschlicher Gesellschaft.

Einleitung

Andreas Fisahn

Brahmanen und Kshatriya – Mechanismen der Herrschaft

Christian Iber

Staatliche Herrschaft, Revolution und Kommunismus bei Karl Marx

Alex Demirović

Rätedemokratie oder das Ende der Politik

Ulrich Ruschig

Zum Begriff der Herrschaft in der kritischen Theorie

André Kistner

Die enteignete Öffentlichkeit – ein Ideal der politischen Philosophie

Peter Bulthaup

[Zur logischen Form des Staats der bürgerlichen Gesellschaft]

Autorendaten

Nachwort zur Reihe

Michael Städtler, Hannover / Michael Heidemann, Bremen

Herrschaft oder Organisation

Zur politischen Form menschlicher Gesellschaft

Einleitung

Obwohl eine unübersehbare Vielzahl akademischer Publikationen mit kaum nachlassender Konjunktur das Wort ›Herrschaft‹ im Titel führt, ist von Herrschaft der Sache nach, in einem materiellen, substantiellen Sinn, seit langem kaum mehr die Rede.1 Herrschaft wird stattdessen in Strukturbeschreibungen von Praktiken oder Institutionen gesucht und oft mit Gestalten von Macht oder mit politischen Sachverhalten wie Verwaltung oder Regierung verwechselt. Zudem scheint das, was an Herrschaft einmal der Kritik verfiel, durch die Verrechtlichung und Demokratisierung von Verfahren und Institutionen gebannt zu sein, um deren Beschreibung, Optimierung und Effektivierung die Theorie sich nun zu bemühen habe. Das gilt nicht allein für die ihrem Selbstverständnis nach affirmativen Publikationen in Philosophie, Rechtswissenschaften, Soziologie oder Politischer Wissenschaft, sondern es gilt ebenso für die affirmativen Schwundstufen ›Kritischer Theorie‹. Das Ziel der 4. Tagung des Peter-Bulthaup-Archivs am 25. Juni 2022 war es, in gewohnter interdisziplinärer Arbeit historisch wie systematisch umfassend daran zu erinnern, dass es für eine kritische Theorie der Gesellschaft eine wesentliche Aufgabe ist, zur theoretischen Bestimmung und zur grundsätzlichen Kritik der Gründe und Formen gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise beizutragen. Eine solche kritische Theorie ist ohne das Ziel der Überwindung von Herrschaft als solcher und daher der Abschaffung aller sie gesellschaftlich verankernden Bedingungen nicht zu denken.2 Eine realistische, den ›neoliberalen Kapitalismus‹ zähmen wollende Theorie oder Politik ist mit kritischer Gesellschaftstheorie nicht zu vereinbaren. Der Neoliberalismus ist weder eine Entgleisung des Kapitalismus noch eine substantiell neue Epoche in seiner Geschichte; in ihm drückt sich vielmehr das Wesen des guten alten Kapitalismus genau so aus wie in jeder anderen seiner Erscheinungsformen auch3: Der Zweck kapitalistischer Produktion ist die Verwertung von Wert durch die Produktion akkumulierbaren Mehrwerts, d. h. eines Mehrwerts in Gestalt eines Mehrprodukts, das sich erneut verwerten lässt. Diese Gestalt haben Produktionsmittel, genauer Maschinerie.4 Aus diesem Grund sind Produktion und Handel von Lebensmitteln zur Erhaltung der Arbeitskraft nicht Zweck, sondern Mittel kapitalistischer Verwertung. Lebensmittel werden individuell konsumiert und sind nicht akkumulierbar. Es liegt im Wesen des Kapitals, dass es den Werteinsatz für die bloßen Mittel seiner Verwertung möglichst niedrig hält, und zwar so niedrig, wie es unter den gegebenen politischen Bedingungen möglich ist. Wenn Politik im Sinne eines ideellen Gesamtkapitalisten die Versorgung der Arbeitskräfte normiert, gehört es daher zum Wesen des Kapitals, dass es auf diese politischen Bedingungen Einfluss nimmt und die Normierung zu seinen Gunsten verändert, sobald es möglich ist. Hierbei kann alles zum Argument werden, z. B. die Standortsicherung in Bezug auf den Weltmarkt. Deshalb ist der Neoliberalismus keine neue Herrschaftsform, sondern eine bestimmte Gestalt kapitalistischer Herrschaft.

I. Zum Begriff der Herrschaft

a. Systematisches

Es empfiehlt sich, Herrschaft – wie alle politischen Relationsbegriffe – aus ihrem Zweck heraus zu verstehen, denn Praxis ist zweckgerichtetes Handeln, und die Art der Zwecke bestimmt die Qualität der Praxis. Natürlich gibt es auch – in ›praxistheoretischem‹ Sinn – Praktiken, die ohne bewusst reflektierte Zwecksetzung – z. B. gewohnheitsmäßig, habituell – erfolgen; aus ihnen kann man aber auch dann nicht Herrschaft verstehen, wenn sie von Herrschenden oder in hierarchischen Kontexten ausgeführt werden, denn entweder werden sie dem positivistischen Anspruch der Praxissoziologie entsprechend tatsächlich bloß beschrieben, oder man interpretiert die Beschreibung doch. Bloße Beschreibungen erklären nichts, und aus ihnen versteht man auch nichts. Interpretationen hingegen unterstellen, mindestens unbewusst, Zwecke. Ein wahrer Kern dieser falschen Theorie liegt demnach darin, dass vielen gesellschaftlich situierten Handlungen ihre Zwecke gewohnheitsmäßig inkorporiert sind; die Aufgabe der Theorie ist es dann, sie explizit zu machen, indem ihre Funktion im Zusammenhang gesellschaftlicher Praxis erkannt wird. Die Voraussetzung dafür ist ein theoretischer Begriff der Gesellschaft, ihrer allgemeinen Formen und Funktionen.

Herrschaft ist nie bloße Struktur; wäre sie das, könnte sie nur auf eine anthropologische oder soziale Natur der Menschen zurückgeführt werden. Wäre das Menschsein auf eine solche Natur zu reduzieren, dann könnte die Frage nach Herrschaft gar nicht sinnvoll gestellt werden, kein Mensch könnte über seine unmittelbaren Praktiken hinausdenken. Die Spontaneität des Denkvermögens, die für solche Reflexion vorausgesetzt ist, stellt zugleich die formale Bedingung dafür bereit, in der je eigenen Praxis der Herrschaft zu willfahren oder nicht. Und dieser Unterschied ist eine Zweckunterscheidung in der Praxis. Herrschaft verfolgt daher der Sache nach immer Zwecke, und es kommt für sie alles darauf an, ob es gelingt, diesen Zwecken das Handeln Anderer funktional zu unterwerfen.

Der allgemeine Zweck von Herrschaft ist die Aneignung fremden Mehrprodukts.5 Schon die Anerkennungsdialektik zwischen Herr und Knecht in Hegels Phänomenologie des Geistes läuft konsequent auf den unfreien Arbeitsprozess hinaus, in dem der Knecht gemäß den Zwecken des Herrn und unter dessen Eigentumsvorbehalt für ihn Gebrauchswerte produziert.6 Hegel möchte wohl die Naturbearbeitung als Vergegenständlichung von Selbstständigkeit verstehen; gleichwohl gehört dem Knecht diese vergegenständlichte Selbstständigkeit am Ende nicht. Was für Hegel aus der reflexiven Struktur des Selbstbewusstseins als Form von dessen objektiver Gestaltung notwendig folgt, ist notwendig nur im historischen Rückblick: Menschen konnten sich aus dem Naturzusammenhang emanzipieren, insofern sie unter heteronomen Zwecken kooperativ Mehrprodukt erzeugt haben; je für sich alleine wären sie in der einfachen Subsistenzwirtschaft verblieben. Darum aber gehört die Produktion von Mehrprodukt unter heteronomen Bedingungen doch nicht systematisch notwendig zum Wesen menschlicher Selbstständigkeit. Die Vernunft, deren Entfaltung durch den Genuss fremden Mehrprodukts die nötige Zeit gewinnt, kann erkennen, dass Herrschaft dem menschlichen Wesen widerspricht. Was Hegel aber zeigen kann, ist der systematische Zusammenhang von Herrschaft und Mehrprodukt. Aufgrund dieses Zusammenhangs kann über Politik nicht unabhängig von den gesellschaftlichen Grundlagen gesprochen werden, deren administrative Funktion die Politik jeweils ist. Politik heute ist eine Funktion der kapitalistischen Produktionsweise; sie schützt das Privateigentum an Produktionsmitteln und deren freie Verwendung, sie reguliert den Warentausch und die Geldflüsse, und sie sorgt für eine adäquate Bereitstellung der Ware Arbeitskraft. Dabei überwacht sie zugleich in der Funktion des ideellen Gesamtkapitalisten den Zustand der natürlichen Ressourcen inklusive der menschlichen Arbeitskraft.

Natürlich lassen sich Herrschaftsfunktionen nicht restlos logisch aus dieser Struktur ableiten, denn empirische Personen und empirische Situationen sind kontingent.7 Aber diese Kontingenz entfaltet sich im Rahmen jener Funktion, und die Funktion bleibt auch dort im Prinzip erhalten, wo kontingente Gestalten von Herrschaft dysfunktional werden. Am Modell des Staates der bürgerlichen Gesellschaft lässt sich zeigen, dass dieser Staat seiner Idee nach Institution des allgemeinen Willens sein soll, aber dies real nur sein kann, wenn er mit einer Wirklichkeit abweichender besonderer Willen, konkurrierender Interessen z. B., konfrontiert wird, die er allgemein normiert, um ihre Ausübung überhaupt zu ermöglichen. Dabei tritt das Allgemeine der Willkür der Einzelnen selbst als Willkür gegenüber. Deshalb gehören kontingente Momente als Willkür der Staatsmacht systematisch zu deren Realität, insofern die Idee des Staates als allgemeiner Koordination der Einzelinteressen nicht selbst ihre eigene Wirklichkeit setzt, sondern auf eine von ihm unterschiedene Wirklichkeit angewiesen ist (vgl. den Beitrag von Bulthaup in diesem Band). In dem Begriff des Staates als Funktion der Gesellschaft sind diese beiden Seiten als Momente gedacht. Verabsolutierte man dagegen die kontingenten Momente gegen die Funktion, so führte das zu einem voluntaristischen »Begriff des Politischen«8, einem im Kern faschistoiden Politikverständnis, einer Ontologie der Herrschaft, die gleichsam Schicksal ist.

Auch wenn Herrschaft dysfunktional wird, wenn Ziele nicht erwartungsgemäß erreicht werden, bleibt die funktionale Teleologie kapitalistischer Herrschaft im Prinzip erhalten. Der Kapitalismus hat eine enorme Bandbreite, vom humanistischen Wohlfahrtsstaat bis zum Faschismus. Die Möglichkeit zur Dysfunktion ist nicht die Substanz von Herrschaft, sondern ein Moment, das nur im Zusammenspiel mit dem funktionalen Moment Herrschaft erhält; Herrschaft, die substantiell dysfunktional wäre, ist nicht denkbar und kann nicht existieren, sondern zerstörte ihren eigenen Begriff.9Die Existenzfähigkeit ist dabei ein entscheidendes Kriterium: Das systematisch erste Ziel von Herrschaft ist Selbsterhaltung, und um dieser Selbsterhaltung willen funktionalisiert sie alles, was sie sonst noch erhält. Systematisch perfektioniert liegt dies in der ökonomisch-rechtlichen Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft vor: Die Herrschaft prozediert in der Selbsterhaltungsstruktur dieser Gesellschaft, in der gesetzmäßigen Form kapitalistischer Akkumulation; Politik ist bloß der Schein dieser Herrschaft. Die Aneignung fremden Mehrprodukts wird nicht mehr feudal vom politischen Personal durchgeführt, sondern ist selbst Moment im Akkumulationsprozess geworden, dessen Zweck niemand mehr setzen muss. Das akkumulierende Kapital ist ›automatisches Subjekt‹10 geworden; die einzige Stelle, an der sein Kreislauf offen und daher verletzlich ist, sind die Menschen, die seine Funktionen allemal bedienen müssen.11 Sie müssen den automatischen Zweck sich zu eigen machen und können ihn daher auch ablehnen.

Dem allgemeinen Zweck von Herrschaft – Aneignung fremden Mehrprodukts12 – entspricht also in kapitalistischen Gesellschaften als spezifischer Herrschaftszweck die Aneignung von Mehrprodukt in der Form akkumulierbaren Mehrwerts, also in der Form von stets verbesserter Produktionsmaschinerie, für deren kapitalistische Verwertung das Privateigentum an ihnen vorausgesetzt ist. Mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln ist die Verfügungsgewalt über die Zwecke verbunden, zu denen sie in der Produktion eingesetzt werden; entzogen ist diese Verfügungsgewalt zugleich denen, mit deren Arbeitskraft die Produktionsmittel in Bewegung gesetzt werden. Die Herrschaft in kapitalistischen Gesellschaften läuft daher auf ein systematisch verstandenes Klassenverhältnis hinaus, dessen systematische Differenz das Privateigentum an Produktionsmitteln im Verhältnis zur Ware Arbeitskraft ist.13

b. Herrschaft in der neueren ›Kritischen Theorie‹

Diese Differenz ist nicht nur in der bürgerlichen Ökonomie und Soziologie ignoriert worden, sondern zum Beispiel auch von Hannah Arendt, die in letzter Zeit offenbar der kritischen Theorie zugeordnet wird. Dafür gibt es in der Sache keinen Grund. Vielmehr entwickelt sie eine Vorstellung von Arbeit, die bewusst hinter jede Einsicht der Kritik der politischen Ökonomie zurückgeht und so nicht zufällig das Politikverständnis der antiken Sklavenhaltergesellschaft romantisiert.14 Ihre Herrschaftskritik läuft auf den Totalitarismusbegriff hinaus und formuliert damit eines der Grundmodelle bürgerlicher Herrschaftsapologie; trotz aller Sympathie für Räte (vgl. im Einzelnen die Beiträge von Kistner und Demirović in diesem Band). In der Geschichte der kritischen Theorie hat Jürgen Habermas 1968 mit der Arbeitswertlehre die theoretische Grundlage von Herrschaftskritik aufgegeben und damit den Übergang zur Trademark »Kritische Theorie« moderiert, der es im weiteren auf eine gerechte Gestaltung kapitalistischer Gesellschaften ankam: »So werden Technik und Wissenschaft zur ersten Produktivkraft, womit die Anwendungsbedingungen für Marxens Arbeitswerttheorie entfallen.«15 Diese Behauptung ist ökonomisch falsch, denn Technik und Wissenschaft können Faktoren zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit sein, aber diese nicht ersetzen. Technik oder Wissenschaft, ohne von lebendiger Arbeit angewendet zu werden, produzieren nichts. Für die kritische Theorie bedeutet diese These aber die Abkehr von der theoretischen Erklärung von Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise hin zur empirischen Strukturbeschreibung. Dieser Positivismus, den Habermas mit der These vom ›nachmetaphysischen Denken‹16 epistemologisch zu untermauern und mit der Theorie des kommunikativen Handelns strukturell abzubilden sucht, mündet konsequent in Faktizität und Geltung. In dieser ›Diskurstheorie des Rechts‹ sind sowohl normative Voraussetzungen von Recht als auch deren Korrelate in der materiellen Reproduktion der Gesellschaft in kommunikative Strukturen aufgelöst. Statt von politischer oder gesellschaftlicher Herrschaft ist in deskriptiver Weise von einem »rechtsstaatlich regulierten Machtkreislauf«17 die Rede, in den ein verselbstständigter ›sozialer Machtkreislauf‹ hineinwirke. »Wirtschaftsverbände« sind dann zivilgesellschaftliche ›Aktoren‹ neben anderen wie z. B. »Mieterschutzvereinigungen«18. Recht und Politik sind keine Funktionen gesellschaftlicher Herrschaft mehr, sondern nur mehr Gegenstände mehr oder weniger idealer kommunikativer Interessenaushandlungsprozesse. Das Herrschaftsverhältnis unterschiedlicher Interessen verwischt Habermas zu einem empirischen Machtverhältnis, weil er schon früh den durch das Privateigentum an Produktionsmitteln bestimmten systematischen Klassenbegriff aufgegeben hat zugunsten empirischer Ungleichheiten und Konflikte, die »nicht mehr die Form von Klassenkonflikten annehmen«19 könnten, weil die spätkapitalistische Gesellschaft den Klassenunterschied sozialstaatlich nivelliere.

Diese Behauptung grundiert auch Axel Honneths Ignoranz gesellschaftlicher Herrschaft. Bezeichnenderweise taucht dieser Begriff in seinem Buch über die Idee des Sozialismus20 weder als Wort noch der Sache nach auch nur ein einziges Mal auf; ›der Sache nach‹ bedeutet vor allem, dass im Kontext von Sozialismus nirgends vom Privateigentum an Produktionsmitteln die Rede ist. Dies war aber schon in der Kritik der politischen Ökonomie die systematische Differenz, auf der die Herrschaft zwischen den Klassen beruhte, unabhängig davon, wie und ob überhaupt dieses Privateigentum persönlich repräsentiert ist. Die Probleme der Klassengesellschaft – Herrschaft und Unfreiheit – gibt es deshalb auch dann, wenn es kein empirisches Klassenbewusstsein gibt. Honneth, wie schon Habermas, will Gesellschaft als Resultat bewusster Selbstorganisation verstehen und diese handlungstheoretisch beschreiben. Durch die dezidiert empirischen Methoden entgehen ihm jedoch alle gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die unter der Oberflächenbeschreibung in den sozialen Institutionen, vor allem dem Eigentum und dem mit ihm verbundenen Produktionszweck der privaten Aneignung des kollektiven Mehrprodukts, institutionalisiert sind. Diese Form von Herrschaft erscheint nicht in den Handlungen empirischer Personen, steuert diese aber. Die Mängel, die noch erscheinen, sind die ›Pathologien‹ genannten gesellschaftlichen Schieflagen, die auch auf der empirischen Handlungsebene kuriert werden sollen. Dem widmet sich die Anerkennungstheorie, die sich auf Hegel berufen will, aber diesem schon den kritischen Stachel gezogen hat, den er immerhin noch hatte: Bei Hegel ist der ›Kampf des Anerkennens‹ die Begründung des bürgerlichen Privateigentums, die in der bürgerlichen Gesellschaft bereits abgeschlossen ist.21 Bei Honneth soll der ›Kampf um Anerkennung‹ regelmäßige Neujustierungen der normativen Ordnung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft bewirken;22 dieser Kampf ist die Verlaufsform, in der bürgerliche Herrschaft sich selbst als kontinuierlichen Aushandlungsprozess beweihräuchert. In diesem Tenor deutet Honneth die gesellschaftlichen Widersprüche des Kapitals auch als normative Implikationen oder Versprechungen des Kapitals, bei denen man es bloß beim Wort zu nehmen brauche, um soziale Freiheit auszuhandeln.23

Etwas anders präsentiert sich Stephan Lessenich, der davon spricht, dass der modernen Demokratie von Anbeginn an Widersprüche innewohnten, die eine »strukturelle, alles andere als zufällige Konflikthaftigkeit der demokratischen Entwicklung«24 begründet hätten. Er erklärt die »Institution des Privateigentums«25 verantwortlich dafür, dass alle Nichteigentümer sich den vorgefundenen Bedingungen gesellschaftlicher Reproduktion unterwerfen müssen – noch dazu ohne Erfolgsgarantien. Diesen Gegensatz bezeichnet er sogar als den von »Kapital und Arbeit«26. Auch von Herrschaft ist passim die Rede. Daraus folgert er aber nicht, dass diese in der Gesellschaftsstruktur verankerte Herrschaft durch Überwindung dieser Struktur zu beseitigen wäre. Vielmehr wird der soziale Antagonismus umgehend personalisiert: Es herrschen »die da oben« über »die da unten«, es sind die »oberen Zehntausend«, die ihre Privilegien nicht an »Hinz und Kunz« abgeben wollten.27 Überhaupt beruhten die Widersprüche der Demokratie darauf, dass um Monopolisierung von Chancen gekämpft werde, was sich in einem ständigen Hin-und-Her von Inklusion und Exklusion verschiedener Gruppen darstelle. So wird Demokratie selbst als »Gesellschaftsform«28 missverstanden, anstatt als Verwaltungsform einer Gesellschaftsform erkannt; und das widersprüchliche, ja dialektische Wesen der Demokratie, der Kampf »um Freiheit und Zwang [nicht: Herrschaft!], […] als soziale Verteilungsfrage[]«29 dargestellt, die auf die »Teilhabe aller an der politischen Gestaltung der Lebensverhältnisse«30 zielt. Die politische Gestaltung der Lebensverhältnisse ist aber keine gesellschaftliche Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse. Dieses Ergebnis, das auf den ersten Blick die eingestandene servile Lage der Lohnarbeiter wieder ganz vergessen zu haben scheint, verdankt sich wohl der Personalisierung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit. Erst wenn dieses Verhältnis nicht systematisch im Zweck und in den Institutionen der Produktionsweise erkannt wird, sondern an die Intentionen und empirischen Positionen handelnder Individuen geknüpft wird, erscheint es als Verteilungsverhältnis. Adorno hat bereits vehement gegen diese Sichtweise argumentiert: Von ›denen da oben‹ zu reden, sei ein ideologischer Konkretismus, der sich dem Umstand verdanke, dass die Herrschaft in der kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr erfahrbar sei, sondern nur mehr im Handeln eines kontingenten, austauschbaren Personals erscheine.31 (Zum Herrschaftsbegriff in der kritischen Theorie vgl. den Beitrag von Ruschig in diesem Band). Das ändert an Bestand und Form der gesellschaftlichen Herrschaft nichts Wesentliches: »Der unermeßliche Druck der Herrschaft hat die Massen so dissoziiert, daß noch die negative Einheit des Unterdrücktseins zerrissen wird, die im neunzehnten Jahrhundert sie zur Klasse macht. Dafür werden sie unmittelbar beschlagnahmt von der Einheit des Systems, das es ihnen antut. Die Klassenherrschaft schickt sich an, die anonyme, objektive Form der Klasse zu überleben. Das macht es notwendig, den Begriff Klasse selber so nah zu betrachten, daß er festgehalten wird und verändert zugleich. Festgehalten: weil sein Grund, die Teilung der Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete, nicht bloß ungemindert fortbesteht sondern an Zwang und Festigkeit zunimmt. Verändert: weil die Unterdrückten, heute nach der Voraussage der Theorie die übergroße Mehrheit der Menschen, sich selber nicht als Klasse erfahren können.«32

Zugleich mit der Unmöglichkeit der Selbsterfahrung – der gesellschaftliche Status ›Proletarier‹, d. h. Nichteigentümer von Produktionsmitteln, ist nicht mehr erfahrungsanalog, sondern nur mehr theoretisch darstellbar – wird auch die Konstitution der Gesellschaft der Erfahrung entzogen. Dadurch, dass deren innere Zusammenhänge nicht mehr vorgestellt, sondern durch unmittelbare Erfahrungen ersetzt werden, sei jener Konkretismus zugleich ein Abstraktismus.33 Dem ergibt sich die gesamte akademische und politische Herrschaftsdiskussion, die zu keinem gesellschaftstheoretisch begründeten Begriff politischer Erscheinungen mehr kommen will.

c. Herrschaft in der Soziologie

Die moderne Soziologie hatte sich von Anfang an auf empirische Beschreibungen und generalisierende Schemata konzentriert. Das kulminiert in Luhmanns Behauptung, in der funktional differenzierten Gesellschaft, in der Politik als Teilsystem konkrete Verwaltungsaufgaben habe, sei der Begriff ›Herrschaft‹ gegenstandslos geworden.34 Dies ist die systemtheoretische Variante der verbreiteten Auffassung, Herrschaft sei im modernen Staat vollkommen in eine rechtlich begrenzte Verwaltung oder Regierung übergegangen.35 Dies ist die Konsequenz einer beobachtenden Soziologie, für deren Herrschaftsverständnis Max Weber prägend war: »Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden«36. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass dies eine Definition vormoderner Herrschaft ist, deren verschiedene Typen freilich auch in der modernen Gesellschaft noch anzutreffen sind.37 Aber bestimmend sind in dieser Gesellschaft Gesetzmäßigkeiten, die weder in Gestalt eines inhaltlich konkret formulierten Befehls auftreten, noch an ein im einzelnen angebbares Personal gerichtet sind, sondern die durch strukturelle Zwänge alle Subjekte auf den allgemeinen Zweck der Kapitalverwertung festlegen. Die empirisch personalisierte Bestimmung Webers verliert freilich im zunehmend durchstrukturierten Verwaltungsstaat allmählich ihren Gegenstand. An die Stelle des Herrschaftsbegriffs tritt soziologisch der von Weber noch als ungenau zurückgestellte Begriff der Macht.38 Macht ist zwar unspezifisch, weil sie für beliebige Zwecke eingesetzt werden kann, aber sie hat den Vorteil, dass die Gestalten ihrer Ausübung empirisch beschrieben werden können, während Herrschaft als soziale Form nur mehr theoretisch gedacht werden könnte. Im Grunde ist Webers Bestimmung von Herrschaft schon die Beschreibung eines spezifischen Machtverhältnisses, weil sie nicht vom Zweck der Herrschaft, sondern von ihrer Durchsetzungsweise aus argumentiert; allein das Element der Chance transzendiert den empirischen Rahmen, weil es auf etwas referiert, das der Macht zugrundeliegt.

Ein aktuelles Lehrbuch der Soziologie39 schließt zwar an Webers Herrschaftsverständnis an, identifiziert aber Herrschaft mit der staatlichen Durchsetzung von Recht und Ordnung. Hierfür sei immer wieder Gewalt oder Gewaltdrohung nötig, die in der Demokratie idealerweise jedoch in den Hintergrund träten, weil die Beherrschten sich freiwillig beherrschen ließen. Zu welchem Zweck hier eigentlich geherrscht wird, thematisiert der Artikel über Staat, Herrschaft und Demokratie40 ebenso wenig wie der über Wirtschaft und Arbeit41; und zwar auch nicht in den Abschnitten über Kapitalismus und Karl Marx, obwohl das Privateigentum an Produktionsmitteln als ›Element‹ des Kapitalismus benannt wird. Herrschaft erscheint nur als personalisierte Verwaltungsvorstellung: Beherrscher sind Akteure in staatlichen Positionen, Beherrschte die Bürger.42

Gibt man empiristisch die Differenz von substantiellem Zweck der Herrschaft und ihren akzidentellen Erscheinungsweisen auf, so kommt man entweder wie Luhmann auf den Gedanken, dass es im Verwaltungssystem gar keine Herrschaft mehr gibt, oder man glaubt, in jedem Element hierarchischer Handlungsabläufe neue Herrschaftsformen zu erblicken: z. B. in der Wissenschaft43 oder auch einfach im Leben44 selbst; oder man konzentriert sich gleich auf die Katalogisierung und Strukturalisierung von Formen der Machtausübung. Das muss nicht gegenstandslos sein, aber ohne einen Begriff von Herrschaft erklärt es nichts.

Insofern ist die praxeologische Bestimmung von Herrschaft aus inhaltlich und normativ neutral aufgefassten Strukturen von Praktiken noch ärmer als die auf linguistischen Konstruktivismus zurückgeführte, wie sie bei Lyotard zu finden ist: Sprache sei das Konstituens sozialer Wirklichkeit und damit auch Konstituens von Macht und Herrschaft.45 Sprache wird hier in pragmatistischer Manier als produktives Handeln verstanden. Aber auch die Knüpfung von Herrschaft an Praktiken, wie sie Bourdieu in den Blick nimmt, läuft auf einen Konstruktivismus hinaus, denn erst die Praktiken konsolidieren ihm zufolge Herrschaft; diese gründet nicht schon in materiellen sozialen Institutionen.46 Nicht diese gesellschaftliche Grundlage von Herrschaft thematisiert Bourdieu, sondern erst, wie bestehende Herrschaft habituell verankert wird. Hierfür beobachtet er Praktiken, die mithilfe eines Kapitalbegriffs gedeutet werden, der durch falsche Analogien zustandekommt: So wird von symbolischem Kapital oder kulturellem Kapital gesprochen in Analogie zu dem unverstandenen ökonomischen Kapitalbegriff, denn das, was kulturell oder symbolisch in empirischen Herrschaftsbeziehungen fungiert, hat mit Kapital nichts zu tun. Das Resultat ist im Grunde eine metaphorische Beschreibung hierarchischer Praktiken.47

Die bis heute einflussreiche Theorie Foucaults stellt komplett auf die Analyse empirischer Machtverhältnisse anhand ihrer diskursiven Gestaltungen ab. Damit ist der Begriff sozialer Hierarchie so leer, so indifferent gegen Herrschaft, dass auch jeder Kampf gegen Macht immer nur als eine neue Macht aufgefasst werden kann. Es gibt kein Wissen, das frei von Macht wäre, in der Konsequenz ist die Seele das »Gefängnis des Körpers«48, anstatt das Potential seiner Befreiung. Der Machtbegriff ist dann erstens nicht mehr, wie Herrschaft, auf politische oder ökonomische Verhältnisse bezogen, sondern kann jede beliebige soziale Relation bestimmen, von der Familie über Sexualbeziehungen bis zu Wissenschaft und Technik.49 Zweitens wird der Machtbegriff affirmativ aufgefasst, Macht gilt als produktive Kraft. Drittens registriert Foucault zwar noch die Anonymität bürgerlicher Herrschaft, verflüchtigt sie aber zu einem nicht-subjektiven und doch intentionalen, pluralen Feld von »beweglichen Kräfteverhältnissen«50, aus denen Herrschaft dann entstehe, wenn es einzelnen Kräften gelinge, diese Beweglichkeit zu blockieren, Machtkonstellationen erstarren zu lassen.51

d. Herrschaft in der Politologie

In der Politikwissenschaft wird Herrschaft beispielsweise als verstetigte Macht definiert; Macht ihrerseits sei transformierte, aufgehobene Gewalt.52 Gewalt werde dadurch schon entschärft, dass sie relativ dauerhaft mit einer Machtposition verbunden werde, Herrschaft leiste darüber hinaus die Legitimation der in Macht transformierten Gewalt durch Legitimationserzählungen.53 Die Aufgabe der Politikwissenschaft wird dann z. B. darin gesehen, Herrschaft zu typisieren in Form einer »begrifflich geordnete[n] Inaugenscheinnahme von Modellen der Gewaltzähmung und Herrschaftsbegründung durch Legitimationserzählungen«54. Diese Methode enthält keinen Begriff, keine Zweckbestimmung von Herrschaft; das tertium comparationis der herausgestellten ›Typen‹ ist formal, strukturell: die politisch verfasste soziale Hierarchie.

Mit der anthropologischen Voraussetzung von Gewalt erscheint Herrschaft als Bestandteil der »condition humaine«55. Dann erscheint es so, als existiere »immer schon eine Minderheit […], die, aus welchen Gründen immer, über Mittel und Möglichkeiten verfügt, sich dem harten Los jener Mehrheit erfolgreich zu entziehen«56. Diese Darstellung erweckt den Anschein, als sei das harte Los der Mehrheit von Natur gegeben, und die Minderheit entziehe sich dem nachträglich. Tatsächlich ist das harte Los der Mehrheit unter Herrschaftsverhältnissen eine Folge dieser Verhältnisse, die nicht von Natur, sondern durch einen bewussten Unterwerfungsakt durch die Minderheit verursacht wurde. Nimmt man Herrschaft jedoch als anthropologische Konstante, so ist die politikwissenschaftliche Konsequenz ihre ›demokratische Einhegung‹57, nicht ihre Überwindung.

In der politologischen Betrachtung der Globalisierung wird der Herrschaftsbegriff weitgehend eliminiert.58 Weil Herrschaft fehlerhaft mit staatlicher Gewalt identifiziert wird, scheint mit den souveränen Nationalstaaten das Herrschaftsproblem zu schwinden. Tatsächlich verlagert sich die Funktion des ideellen Gesamtkapitalisten vom Staat auf supranationale oder transnationale Institutionen, das können auch NGOs oder Wirtschaftsverbände sein. Es kann diese Funktion auch vorübergehend oder partiell suspendiert werden in einer Art transnationalen ökonomischen Naturzustands, in dem transnationale Konzerne selbst ihr eigenes Recht erzeugen.59 Aber die Herrschaft, die im Privateigentum an Produktionsmitteln gründet, bleibt erhalten.

Dagegen wird öfters die Überzeugung geäußert, die Globalisierung verändere den Kapitalismus substantiell, so dass keine Rückkehr zur Marxschen Kapitalismuskritik möglich sei.60 Es gehe nunmehr um die Legitimation des globalen Kapitalismus. Legitimationsfähig sei Kapitalismus grundsätzlich nur in Einzelgesellschaften, wo er durch lokale moralische oder rechtliche Ordnungen eingehegt werde.61 Der globale Kapitalismus drohe aber diese Ordnungen zu untergraben und entziehe sich so der Legitimitätsfrage.62 Diese Sichtweise ergibt sich im Rahmen einer Entgrenzung des Legitimitätsbegriffs: (De-)legitimierung wird zum universell anwendbaren politischen Instrument; alles Mögliche kann (de-)legitimiert werden, und alles Mögliche kann Kriterium der (De-)legitimierung sein. In dem Moment, wenn nach »legitimen Legitimitätskriterien«63 gefragt wird, wenn pragmatistisch gestaffelte Legitimationen und Legitimationsbedarfe ermittelt werden, ist der Herrschaftsbegriff politologisch kein Thema mehr, denn mit der Entgrenzung des Legitimitätsbegriffs werden auch die systematischen Unterschiede im Gegenstandsbereich – zwischen Erscheinungen herrschaftlichen Handelns und der sozialen Substanz von Herrschaft – egalisiert. Eine Grenze der Legitimierbarkeit der kapitalistischen Ökonomie ergebe sich dann nur dort, wo ökonomische Interaktionen deshalb nicht demokratisch legitimierbar seien, weil sie spontan seien wie z. B. die Einigung auf einen Kaufpreis.64

e. Herrschaft in der Rechtswissenschaft

In der herrschenden Lehre der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird von Herrschaft nur noch in einem uneigentlichen, formellen Sinn gesprochen: Gemeint sind zum Beispiel die Staatsgewalt, die hoheitlichen Rechte des Staates, die Verwaltungsmacht und ähnliches. Subjektive Freiheit entstehe dann, wenn die Verwaltungsmacht rechtlich und verfassungsmäßig reguliert werde. Nach den Zwecken, zu denen Staatsgewalt, Verwaltungsmacht und Staatshoheit überhaupt bestehen und ausgeübt resp. reguliert werden sollen, wird nicht gefragt; diese inhaltliche Frage wird durch die staatsrechtliche Form vermeintlich funktional ersetzt.65