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Herrscher des Nordens - Odins Blutraben E-Book

Ulf Schiewe

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Beschreibung

Die Saga des Wikinger-Königs Harald Hardrada – seine Abenteuer und Kämpfe, seine Frauen und sein unbezwingbarer Ehrgeiz. Ein neuer Roman vom Erfolgsautor Ulf Schiewe AD 1035: Beim Großfürsten der Rus hat sich Harald den Ruf eines siegreichen Söldnerführers erworben. Doch bei der Verteidigung Kiews gegen den Ansturm der Petschenegen werden seine Fähigkeiten auf eine harte Probe gestellt. Persönliche Verluste treiben ihn rastlos weiter, diesmal nach Konstantinopel, wo er es als Offizier der kaiserlichen Waräger bei jahrelangen Kriegszügen rund ums Mittelmeer zu einem beachtlichen Vermögen bringt. Doch eine Affäre mit der Kaiserin Zoe und der Neid seiner Konkurrenten bringen ihn ins Gefängnis. Der 2. Band der historischen Saga um den Wikinger-König Harald Hardrada. Die große Wikinger-Saga "Herrscher des Nordens" in Reihenfolge der Bände: "Thors Hammer" "Odins Blutraben" "Die letzte Schlacht"

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Ulf Schiewe

Herrscher des Nordens - Odins Blutraben

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

AD 1035: Beim Großfürsten der Rus hat sich Harald den Ruf eines siegreichen Söldnerführers erworben. Doch bei der Verteidigung Kiews gegen den Ansturm der Petschenegen werden seine Fähigkeiten auf eine harte Probe gestellt. Persönliche Verluste treiben ihn rastlos weiter, diesmal nach Konstantinopel, wo er es als Offizier der kaiserlichen Waräger bei jahrelangen Kriegszügen rund ums Mittelmeer zu einem beachtlichen Vermögen bringt. Doch eine Affäre mit der Kaiserin Zoe und der Neid seiner Konkurrenten bringen ihn ins Gefängnis.

Inhaltsübersicht

PrologTEIL IUnerwartetes WiedersehenEine heikle EntscheidungDie rebellische TochterKaukos TraumTEIL IIDer StreitDas SchlangenbollwerkAilas HeimkehrUnter BelagerungKampf um KiewTEIL IIIMiklagarðrPiraten der ÄgäisDie Grabeskirche in JerusalemDer PalastboteDer Triumph des KaisersDer verborgene HortAnhangAnmerkungen des AutorsGlossarPersonenHarald und seine Familie (historisch)Andere historische PersonenFiktive Personen
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Im Reich der Rus, 1035

 

Ich bin Harald, Sigurds Sohn, und dies ist meine Geschichte.

 

Fünf Jahre sind seit der großen Schlacht bei Stikla Stad vergangen, bei der mein Halbbruder Olaf Königreich und Leben verlor. Auch ich, erst fünfzehnjährig, wurde schwer verwundet und musste mich vor meinen Feinden in der Wildnis verstecken. Sie sehen in mir Olafs natürlichen Nachfolger und damit eine Gefahr für sich selbst. Allen voran ein Mann namens Sigurd Erlingsson, der mir Blutrache geschworen hat.

Doch nicht mir gebührt der Thron, sondern Olafs inzwischen elfjährigem Sohn Magnus, den er zur Sicherheit in Garðarike bei Jarisleif, dem Großfürsten der Rus, zurückgelassen hat. Den Jungen zu beschützen und für seine Rechte zukämpfen, habe ich geschworen. Also begab ich mich ebenfalls nach Garðarike auf einem Schiff, das mir mein Schwager, der Schwedenkönig Anund, geschenkt hat, und mit einer Mannschaft, die aus Olafs überlebenden Gefährten besteht. Darunter auch die einstige Sklavin Aila, der ich in Liebe verbunden bin.

Im Norden, unter finnischen Pelzjägern, trafen wir auf Sigurd und seine Männer. Er hatte sich einem abtrünnigen Jarl angeschlossen, um zu plündern und dem Großfürsten die wertvollen, ihm geschuldeten Pelze zu stehlen. Es kam zum Kampf, den wir gewannen. Doch Sigurd konnte entkommen. Fürst Jarisleif zeigte sich erkenntlich und nahm mich und meine Gefährten in seine Dienste auf.

Seitdem kämpfen wir für Jarisleif, um seine Feinde zu besiegen und sein Reich zu schützen. Im Sommer geht es gegen die Polen im Westen oder gegen Bulgaren im Osten. Im Winter ziehen wir über die vereisten Flüsse gen Norden, um bei den Tschuden, Finnen und Ugriern den Tribut an Pelzen einzufordern. Denn dies ist der Reichtum der Rus.

Seit fünf Jahren also lebe ich in diesem Land mit der Frau, die ich liebe, unter Gefährten, denen ich in Freundschaft verbunden bin. Es mangelt mir nicht an Silber oder dem Wohlwollen meines Fürsten. Nur Kinder sind uns verwehrt geblieben. Und ich habe auch nicht vergessen, dass ich von königlichem Blut bin, dass die Heimat auf mich wartet. Und dass es Sigurd Erlingsson immer noch nach meinem Tod dürstet.

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TEIL I

Aus Ymirs Fleisch wurde die Erde geschaffen

und aus dem Blut das Meer,

die Felsen aus den Knochen,

die Bäume aus den Haaren und aus dem Schädel

der Himmel.

 

aus der »Gylfaginning«, dem Ursprung der Welt

Unerwartetes Wiedersehen

Schwere, bleigraue Wolken hängen über dem zugefrorenen Fluss. Durch die kahlen Bäume am Ufer fegt ein eisiger Nordwind und treibt Schneeflocken vor sich her. Es steht uns wieder eine Nacht bevor, in der man vor Kälte kaum schlafen kann.

»Dieser Scheißwinter will nicht aufhören«, flucht Thorberg Arnason, seine Wangen rot vom Biss der scharfen Luft und sein blonder Bart weiß von Eiskristallen. »Langsam hab ich genug davon.«

Er reibt sich die Hände vor den noch spärlichen Flammen des Lagerfeuers, das wir in Gang kriegen konnten. Was bei dem Wind nicht so einfach ist. Wir mussten eine Stelle von Schnee befreien und uns dann alle Rücken an Rücken davorhocken, bis es Bogdan endlich gelang, etwas trockenes Moos und dürre Zweiglein in Brand zu setzen. Und schließlich dickere Zweige und kleine Aststücke nachzulegen, ohne die Flämmchen gleich wieder zu ersticken.

Bogdan hebt den Kopf. Seine Augen tränen vom Qualm des feuchten Holzes. »Ich dachte, du bist Norweger«, lästert er. »Da müsstest du doch ein bisschen Kälte gewohnt sein.«

»Ich schwör dir, bei uns an der Westküste ist es nicht so kalt«, knurrt Thorberg. »Um diese Jahreszeit blühen daheim schon die Wiesen.«

Was er sagt, ist richtig. In Norðvegr sind die Jahreszeiten milder, besonders an der Küste. Aber hier in Garðarike, so weit im nordöstlichen Inland, wo wir uns wochenlang herumgetrieben haben, kommt man im Sommer um vor Hitze, wenn einen die Mücken nicht vorher umbringen, und im Winter ist es so kalt, dass beim Pinkeln die Pisse gefriert, bevor sie auch nur den Boden berührt.

Eigentlich sollte es längst Frühling sein, aber die Götter oder der Teufel selbst haben uns noch einmal einen solchen Kälteeinbruch beschert, dass den Männern das Mark in den Knochen klirrt. Sie sind erschöpft und hungrig. Jagen ist wegen des Wetters nicht möglich, so dass wir seit zehn Tagen nur halbe Rationen zu uns nehmen konnten.

Vor acht oder neun Wochen sind wir mit etwa hundert Mann ausgezogen. Unterwegs mussten wir Verluste hinnehmen. Ein halbes Dutzend guter Kameraden haben ihr Leben verloren. Und dann sind da auch noch Verwundete, um die wir uns kümmern müssen. Einer mit einer eiternden Pfeilwunde am Hals, der andere im Oberschenkel. Beide fiebern und leiden unter Schüttelfrost, obwohl wir sie auf einem der Schlitten dick in Felle gepackt haben. Ein Dritter hat ein Auge verloren, aber der kann wenigstens laufen.

Der Fluss macht hier eine Schlaufe und bildet so etwas wie eine baumfreie Landzunge, wo es unter dem Schnee sogar etwas Wintergras für die Pferde gibt. Man muss es nur freischaufeln. Die meisten von uns sind dabei, Zeltplanen gegen das Schneetreiben zu errichten, die Pferde zu versorgen und wie Bogdan ein Feuer anzuzünden. Andere suchen im Unterholz nach Zweigen und Ästen, die noch einigermaßen trocken sind, oder teilen den mageren Proviant aus und versorgen die beiden Schwerverwundeten.

Thorbergs älterer Bruder Finn hat Männer für die Nachtwache eingeteilt. Jetzt hockt er sich zu uns und reibt sich die vom Frost roten Hände. »Ihr seht aus wie ausgekotzt, wenn ich das sagen darf.« Er lacht, als hätte er einen Scherz gemacht.

Unwillkürlich blicke ich in die Runde. Nein, wie siegreiche væringjar sehen wir nicht gerade aus. Thorkel hat eine blutverkrustete Braue über bleichen, eingefallenen Wangen. Von Thorbergs Nase löst sich die Haut ab, und seine Augen triefen. Snorri hat ein Geschwür an der Lippe, und Thjodolf, der Barde, trägt einen dreckigen Verband um die linke Hand gewickelt. Mürrische, niedergeschlagene Mienen machen sie alle.

»Sprich für dich selbst«, knurrt Ragnar. Er ist in einen Berg von Pelzen gehüllt, so dass er aussieht wie ein zotteliges Urviech. »Du bist so vom Fleisch gefallen, da wundert’s einen, dass du überhaupt noch in der Lage bist, deine klapprigen Knochen durch die Gegend zu schieben.«

»Mach dir keine Sorgen um meine Knochen«, erwidert Finn. »Die halten noch ’ne Weile.«

»Ihr müsst zugeben, das war der verdammt härteste Raubzug, den wir je unternommen haben«, meint Thorberg und spuckt seinen Rotz in die Flammen.

»Das kannst du zweimal sagen«, knurrt Ragnar. Der kalte Wind zerrt an seinem Bart, und er schüttelt sich, verkriecht sich tiefer in seine Pelze.

»Was seid ihr doch für Weicheier!«, knurrt Bogdan verächtlich. »Für uns Rus ist das hier ein Spaziergang!«

»Ach ja? Dann erinnere dich, du Großmaul, dass wir dir die Zehen am Feuer rösten mussten, sonst wären sie dir abgefallen!«, brummt Ragnar, der sich auf einem Schiff wohler fühlt, als durch verschneite Wälder zu stapfen. Trotzdem hat er sich besser gehalten als erwartet. Besser als manch anderer.

»Das war nur, weil ich vergessen hatte, dicke Socken mitzunehmen.«

»Was brauchst du Socken, wenn du so ein harter Kerl bist?«, fragt Thorkel und grinst spöttisch. »Einer wie du läuft barfuß durch den Schnee.«

»Ja, ja, ist ja schon gut. Aber von euch Memmen hat sich jedenfalls keiner getraut, im Eiswasser zu baden.«

»Wir sind ja auch nicht lebensmüde.«

Wenigstens haben sie noch die Kraft, sich gegenseitig aufzuziehen, fährt mir durch den Sinn, während ich mich wie Ragnar fester in mein Bärenfell hülle. Niemand würde mich im Leben dazu bringen, in so ein verdammtes Eisloch zu springen. Ich glaube, mein Herz wäre stehengeblieben, und mit Sicherheit wären mir sofort die Eier abgefallen. Aber genau das hat der verrückte Kerl getan, hat vor ein paar Tagen ein Loch ins Eis gehackt und ist ins eisige Flusswasser gesprungen. Dann hat er auch noch getönt, wie herrlich es wäre, bis wir ihn wenig später blau gefroren rausziehen mussten, sonst wäre er uns verreckt. Bewundern muss man den Kerl dafür trotzdem. Aber Nachahmer hat er nicht gefunden.

Bogdan bricht noch mehr Äste in Stücke und legt sie aufs Feuer, das langsam zu wärmen beginnt. Aber nur halbseitig, denn vorn röstet man, hinten friert man. »Also gut«, sagt er, »ich gebe zu, dieser Raubzug war schlimmer als sonst. Aber eher wegen den wilden Bastarden da in den Wäldern.«

Bis fast zum Ural waren wir vorgestoßen, zum Teil zu Fuß, aber meist auf Skiern, begleitet von drei Pferde- und einem Hundeschlitten. Winter ist im Grunde die beste Jahreszeit dafür, denn auf den zugefrorenen Wasserläufen kommt man gut voran. Die Winterfelle der Pelztiere sind außerdem dichter und wesentlich edler als zu anderen Jahreszeiten. Denn das ist es, hinter was wir her sind. Kostbare Pelze.

Großfürst Jarisleif nennt das »Tribut einfordern«, aber Raubzug wäre das treffendere Wort, denn so weit ins Landesinnere, wie wir vorgedrungen sind, ist bisher selten ein Rus gekommen. Die wenigen Menschen, die in dieser Wildnis in ihren winzigen, weit verstreuten Siedlungen leben, Ugrier oder andere Finnenvölker, sind Jäger und Flussfischer und schulden außer ihren Waldgeistern niemandem Tribut. Tierfelle verwenden sie nur zum eigenen Gebrauch, um sich zu kleiden oder ein wenig mit den Volgabulgaren zu tauschen, die sich gelegentlich bis in den Norden wagen.

Dass wir gekommen sind, um ihnen ihre Pelze zu nehmen, ohne viel dafür zu bieten, hat sie zum Widerstand aufgestachelt. Wie zu erwarten, ist die Sache nicht ohne Blutvergießen abgegangen. Diese Leute sind seltsame Wesen, eins mit ihrer Natur. Sie sind hellhäutig, nicht sehr groß, aber zäh und flink. Einen offenen Kampf scheuen sie. Dafür sind wir zu gut bewaffnet. Wenn man denkt, man kann sie packen, dann verschwinden sie spurlos wie von Geisterhand. Nur, um an unerwarteter Stelle wieder aufzutauchen und uns aus dem Hinterhalt mit Pfeilen zu beschießen. Und so ist es zu den Verlusten gekommen.

Ihnen nachzulaufen ist sinnlos. In den dichten Wäldern, abseits des Weges, wären wir nur noch verwundbarer gewesen. Es hat auch nichts genutzt, dass wir zur Strafe ein paar ihrer Dörfer abgefackelt haben. Die bestehen ohnehin nur aus einfachen, schilfgedeckten Hütten oder mit Tierhaut abgedichteten Unterkünften, oft halb unter der Erde. Nichts, was man nicht schnell ersetzen kann.

»Seid froh, dass nicht mehr von uns draufgegangen sind«, meint Snorri, der selbst Jäger ist und genau weiß, wie schwierig es ist, gegen einen Feind zu kämpfen, der im Wald zu Hause ist und sich praktisch unsichtbar machen kann.

Bogdan nickt. »Nicht umsonst nennt man die Gegend die Eiserne Pforte. Denn weiter als bis zum Pechora-Fluss kommt man nicht. Eine Gruppe hat es vor Jahren versucht. Keiner von denen ist je wieder aufgetaucht.«

»Und wozu die ganze Mühe? Hat es sich etwa gelohnt?«, knurrt Finn.

Nun, es ist nicht besonders viel, was wir erbeutet haben. Nicht mehr als ein Pferdeschlitten und ein Hundegespann mit Fellen. Der zweite Pferdeschlitten ist für die Verwundeten, und den dritten mussten wir zurücklassen, da die Gäule den Pfeilen der Waldmenschen zum Opfer gefallen sind. Wegen der geringen Ausbeute war er ohnehin nutzlos geworden. Auch die Beschaffenheit der Felle, die wir erbeutet haben, ist nicht, wie man es gewohnt ist, denn die Ugrier sind in der Verarbeitung weniger geschickt als die Tschuden vom Ladogasee. Aber immerhin müssen wir nicht mit leeren Händen heimkehren.

Was die Pferde betrifft, die haben uns ehrlich gesagt oft genug behindert, an Stellen, wo der Schnee ihnen bis zum Bauch stand. Ein paarmal mussten wir sie regelrecht ausgraben. Da ist Kaukos leichter Schlitten mit seinen acht starken Zughunden, die wie in Wolle verpackte Wölfe aussehen, nützlicher gewesen. Es ist das erste Mal, dass ich es mit einem Hundegespann zu tun habe, und ich bin erstaunt, wie klug und eifrig die Tiere ihre Arbeit tun. Wir hätten mehr Hundeschlitten mitnehmen und auf die Pferde verzichten sollen.

Ja, unser alter Freund Kauko aus Ailas Tschudendorf am Ladogasee ist wieder bei uns. Einige Zeit nach dem Kampf gegen Sigurd vor vier Jahren war er in seinem Einbaum in Holmgarð aufgetaucht mit der Bitte, sich meinen Männern anschließen zu dürfen. Es sei ihm daheim zu langweilig geworden, hat er gemeint und dazu breit gegrinst, so dass seine Zahnlücke nicht zu übersehen war. Er hatte sich zuvor von seinem goði noch ein paar zusätzliche Tätowierungen machen lassen, als Schutz gegen Feinde und böse Geister. Nun sei er bestens gewappnet, es mit allem aufzunehmen. Ich mag den verdammten Kerl und hätte es ihm nicht abschlagen können. Inzwischen hat er genug von unserer Sprache gelernt, dass er sich gut verständigen kann.

Snorri blickt zu mir herüber. »He, Harald! Du sagst ja nichts. Bist du etwa auch unzufrieden mit dem, was wir eingesammelt haben?«

Ich deute mit dem Kopf zu den Schlitten hinüber, die unter den Uferbäumen stehen, und zu den Hunden, die zusammengerollt im Schnee liegen. Die Viecher scheinen sich bei dem Wetter sauwohl zu fühlen. Ganz im Gegensatz zu uns.

»Ich will nicht klagen«, erwidere ich. »Es hätte schlechter kommen können. Doch wir haben zu viele Männer verloren. Und das bei der mageren Ausbeute. Jeder Tote und jede Verwundung reut mich mehr, als ich sagen kann.«

Ragnar nickt. »Es muss was Besseres geben, als in verschneiten Wäldern herumzutrampeln, Tierfelle zu rauben und sich dabei mit Pfeilen beschießen zu lassen. Noch dazu von Wilden, die in einer Zunge sülzen, dass einem die Ohren abfallen.«

Thorkel grinst belustigt. »Gerade du musst das sagen. Dein rüdes Kauderwelsch versteht ja auch kaum einer.« Ragnar stammt aus einer Gegend im Norden, die ihre eigene, nicht immer leicht verständliche Mundart hat. Außerdem flucht er gern so grässlich, dass einem die Ohren abfallen.

Ragnar funkelt Thorkel an. »Wart’s ab, bis wir wieder segeln«, knurrt er. »Wer dann meint, meine Befehle nicht zu verstehen, der kriegt das Tauende über den faulen Arsch, bis ihm die Eier blau anlaufen.« Das sorgt für Gelächter.

Aber die Verständigung mit den Ugriern ist tatsächlich fast unmöglich. Zum Glück haben wir Kauko dabei. Der kann sich ein wenig verständlich machen, denn seine Sprache und die der Ugrier ähneln sich.

»Und dann will ich euch noch was sagen«, grollt Ragnar in seinem heiseren Bass. »Wir hätten ein paar von ihren Weibern mitnehmen sollen. Von den jungen, meine ich.« Er zeichnet etwas Rundes in die Luft und verdrehte lüstern die Augen. »Aber Harald war ja dagegen.« Er starrt mich herausfordernd an. »Warum eigentlich?«

»Die hätten uns nur aufgehalten«, sage ich. »Und es hätte die Ugrier noch wütender gemacht.«

Das ist eine Ausrede. Jeder andere hätte ein paar hübsche Mädchen mitgenommen. Auch junge, kräftige Kerle. Damit kann man gutes Silber verdienen. Der Handel mit Sklaven ist ein äußerst gewinnbringendes Geschäft. Und das nicht nur bei den Rus. Daheim auf der Wallburg halten wir schließlich auch Sklaven. Die verrichten einen Großteil der Arbeit, die bei uns anfällt. Aber besonders im Süden, bei den Arabern oder in Miklagarðr im Grikaland, sind die weiße Haut und die blonden Haare der Mädchen aus dem hohen Norden äußerst beliebt. Ganz verrückt sind sie danach. Allein schon deshalb reisen ihre Händler oft bis nach Kiew und sogar bis Holmgarð.

Aber der Gedanke will mir nicht behagen, noch halbe Kinder aus ihren Familien und ihrer vertrauten Umgebung zu reißen und in die Fremde zu verschleppen. Wahrscheinlich wegen Aila, die als Kind selbst geraubt worden war. Sie und ihre Zwillingsschwester Impi. Sie hat mir oft genug von dem Schrecken und der Angst und der rauhen Behandlung durch ihre Entführer erzählt. Außerdem bin ich in ihrem Dorf am Ladogasee gewesen, woher auch Kauko stammt, habe die Gastfreundschaft ihrer Tante, ja, des ganzen Dorfes genossen. Menschen wie diese versklaven? Nein, das behagt mir nicht.

Olaf, mein Halbbruder, hätte natürlich über mich gelacht, wenn er noch leben würde, hätte gemeint, ich müsse härter werden, mich nicht so anstellen. Sklaverei wäre schließlich etwas ganz Normales. Die meisten Sklaven würden gut behandelt, gehörten nach einer Weile sogar zur Familie.

Und damit hätte er recht gehabt. So dachten alle. Und auch ich besitze zwei Sklaven daheim, die Aila zur Hand gehen. Aber die sind wenigstens seit langem an ihr Leben gewöhnt. Doch mit dem Verschleppen von Kindern oder Halbwüchsigen kann ich mich nicht anfreunden. Da verzichte ich lieber auf den Gewinn, auch wenn Männer wie Ragnar darüber den Kopf schütteln.

Wir schmelzen Schnee in einem Kessel über dem Feuer und kochen Bohnen darin. Als Würze ein wenig Salz, mehr gibt es nicht. Speck ist uns schon seit langem ausgegangen. Nachdem jeder seinen Anteil hinuntergeschlungen hat, bereiten wir unser Nachtlager. Die meisten besitzen ein wasserdichtes Stück Robbenhaut als Unterlage. Darauf rollen wir uns wie die Hunde in unsere Schafsfelle und Pelze ein. Mein Umhang aus Bärenfell leistet beste Dienste.

Selbst im tiefen Schnee lässt sich so einigermaßen schlafen. Doch in dieser Nacht rüttelt der Wind unermüdlich an den Zeltplanen, dass man Angst hat, sie werden wegfliegen. Meine Füße fühlen sich an wie Eisklumpen. Und dann fangen auch noch Wölfe an zu heulen. Erst einer, noch weit entfernt, dann ein zweiter, schon näher, und noch einer. Man kann ihre Stimmen gut auseinanderhalten. Es hört sich an, als redeten sie miteinander, sprächen sich gegenseitig ab. Ab und zu wiehern die Gäule und zerren ängstlich an den Leinen, mit denen sie angehalftert sind. Die Wölfe haben es zweifellos auf unsere Pferde abgesehen. Aber sie trauen sich nicht näher heran, denn sie riechen zu viele von uns Zweibeinern, um einen Angriff zu wagen. Auch die Feuer halten sie ab, und die Wachen, die mit geschulterten Speeren die Runde machen.

Ich denke an Aila und wünsche mich in ihr warmes Bett, stelle mir vor, wie sie sich an mich schmiegt. Mit einem Mal vermisse ich sie so sehr, dass es weh tut.

***

Als die Männer am Morgen erwachen und die Feuer von neuem schüren, stellen sie fest, das der Kamerad mit der Halswunde in der Nacht verschieden ist. Offensichtlich schon vor Stunden, denn sein lebloser Körper ist steif wie ein Brett gefroren. Wir hüllen ihn in seinen Mantel ein und tragen ihn zum Ufer. Die Leiche in der Erde zu bestatten ist unmöglich. Der Boden ist zu hart. Wir hacken ein Loch ins Eis, um ihm ein Seemannsgrab zu geben. Leider ist kein goði unter uns. Es ist also an mir, ein paar Worte an Allvater Oðin zu richten, ihn zu bitten, unseren Freund in der ewigen Halle der Helden aufzunehmen, wie es ein tapferer Krieger verdient. Ich lege ihm seinen Schwertgriff in die steifen Hände, damit er Valhöll nicht ohne Waffe betreten muss. Dann hüllen wir ihn zusammen mit ein paar schweren Steinen in seine Zeltplane und schieben den Leichnam unter das Eis.

Der Wind hat sich zum Glück gelegt, und es schneit auch nicht mehr. Wir brechen das Lager ab und machen uns wieder auf den Weg. Wir kommen einigermaßen gut voran, und am übernächsten Tag reißt sogar die Wolkendecke endlich auf, die Sonne füllt die kahle weiße Landschaft mit Farben. Es wird warm und beginnt heftig zu tauen. Nach drei weiteren Tagesmärschen über matschige Flussufer erreichen wir ein Dorf verbündeter Wepsen, die uns freundlich empfangen und mit besserer Nahrung versorgen als der karge Fraß der letzten Wochen.

Das Eis des Flüsschens, an dem das Dorf liegt, ist nicht mehr sicher genug, und so setzen wir unseren Weg auf Waldwegen fort, die immer noch schneebedeckt genug sind, dass wir ohne Schwierigkeiten mit den Schlitten durchkommen. Schließlich erreichen wir den breiten Wolchow und erblicken bald darauf Ruriks Festung und den ursprünglichen Handelsposten diesseits des Flusses. Und dann die Stadt selbst auf dem gegenüberliegenden Ufer. Holmgarð in unserer Sprache. Oder Nowgorod, die neue Stadt, wie die Slawen sie nennen.

Der Anblick der Palisaden und Kirchtürme belebt die Männer und erscheint ihnen wie eine Erlösung. Sie wissen, dort gibt es schäumendes Bier und gutes Essen, ein weiches Bett und hoffentlich auch ein dralles Weib darin, an dem ein Kerl sich die müden Knochen wärmen kann.

Auf dem Wolchow sind trotz Treibeis viele Boote unterwegs. Und so finden sich Fährleute, die gegen etwas Silber bereit sind, uns überzusetzen. Ich steige mit der ersten Fähre ans Ufer und werde gleich von Kameraden in Empfang genommen. Allen voran Ivar Kjeldsson, dem Steuermann der Fálki, dem Schiff, das wir Sigurd abgenommen haben. Und Halldor Snorrason, der den Befehl über die etwa achtzig Mann hat, die wir in Holmgarð zurückgelassen haben.

»Bei Thor, ich bin froh, euch zu sehen«, sagt Halldor, nachdem wir uns umarmt haben. »Wir hatten uns Sorgen gemacht. In der Stadt wird geunkt, von der Eisernen Pforte kehrt niemand lebend zurück.«

»Wie du siehst, sind wir die Ausnahme. Aber nochmal möchte ich die Reise nicht machen. Ein verdammt wildes Volk, das dort lebt. Wir haben Verluste gehabt.«

Halldor ist ein isländischer Abenteurer, der sich uns vor zwei Jahren im Kampf gegen die Polen angeschlossen hat. Er ist mittelgroß, schlank und sehnig, aber mit breiten Schultern und eisblauen Augen, denen wenig entgeht. Er hat sich als umsichtig und tapfer erwiesen. Und er ist einer, der nachdenkt, bevor er spricht oder handelt. Die Männer respektieren ihn. Ich habe ihn deshalb neben Finn Arnason zum Unterführer gemacht.

Halldor runzelt die Stirn. »Verluste? Wie viele?«

»Sieben Mann.« Ich nenne ihm die Namen der Gefallenen. »Dazu zwei Verwundete. Und viel erbeutet haben wir auch nicht.«

Inzwischen ist die zweite Fähre angekommen, und die Männer entladen unsere Beute in zwei Karren, die Ivar hat herbeischaffen lassen. Finn ist am anderen Ufer zurückgeblieben, um die Einschiffung der restlichen Mannschaft zu beaufsichtigen. Dafür kommen gerade Thorkel und Ragnar und ein Dutzend anderer Kerle an und springen an Land.

»Ich hoffe, ihr Landratten habt gut auf mein Schiff aufgepasst«, lässt Ragnar als Erstes hören. Er ist der Steuermann meiner stolzen Bloð-hrafn, des Schiffs, das der Schwedenkönig Anund mir geschenkt hat.

»Immer noch auf dem Trockenen und gut aufgebockt, so wie du es verlassen hast«, erwidert Halldor und grinst. Zu mir sagt er: »Eifersüchtiger auf sein Schiff als auf ein Weib.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, knurrt Ragnar. »Weiber gibt’s genug, aber kein Schiff wie meine Bloð-hrafn.« Dann fügt er mit einem Blick auf mich hinzu: »Auch wenn sie Harald gehört.«

»Wenn wir schon von Weibern reden«, sage ich, »ich bin hundemüde und will endlich zu meinem. Kümmere dich um alles, Halldor. Vor allem, dass die Beute sicher zum Palast des Fürsten gelangt.«

»Keine Sorge, wir machen das. Ihr solltet jetzt lieber in eure Quartiere verschwinden und euch erholen. Ihr seht ziemlich mitgenommen aus.«

»So fühlen wir uns auch«, meint Thorberg, der in Bogdans Begleitung herangetreten ist.

Ich wende mich zum Gehen, aber Halldor hält mich auf. »Gestern sind zwei Schiffe aus Norðvegr gekommen. Die ersten, die in diesem Jahr über die Ostsee gesegelt sind. Sieht aus, als hätten sie’s eilig gehabt.«

»Und?«

»Ihr ratet nicht, wer es ist.«

»Nun mach’s nicht so spannend!«, knurrt Thorkel.

Halldor sieht mich bedeutungsvoll an. »Kalfr Arnason.«

»Was sagst du da?«, entfährt es mir.

»Unser Bruder ist hier?«, faucht Thorberg und packt Halldor am Arm. »Was, zum Teufel, hat der hier zu suchen?«

»Ich weiß es nicht«, erwidert Halldor.

Im Streit um die Krone ist ein gewaltiger Riss durch diese Familie gegangen. Finn und Thorberg Arnason sind Olaf treu geblieben und gehören nun zu meiner Gefolgschaft. Ihr ältester Bruder Kalfr aber hatte sich Olafs Feinden angeschlossen und dem Dänenkönig Knut gehuldigt. Mehr als das, er war der Anführer des Heeres der abtrünnigen Jarls und bóndi gewesen, die uns bei Stikla Stad vernichtet haben. Und kein anderer als dieser Kalfr hat den Streich geführt, der meinen Bruder letztendlich das Leben gekostet hat. Ich selbst habe mit ansehen müssen, wie Kalfrs Axt sich in Olafs Nacken grub und ihn fällte.

Ich glaube, ich bin bleich geworden. Für einen Augenblick verschlägt es mir die Sprache, und die Erinnerungen überwältigen mich. Der Mörder meines Bruders hier in Holmgarð? Mein Herz schlägt heftig. Was, zum Teufel, hat der Bastard hier zu suchen? Jedermann weiß doch, dass Jarisleif kein Freund des Dänenkönigs ist und dass er damals Olaf unterstützt und mit Kämpfern und Silber ausgestattet hatte. Gegen die Dänen, die unser Land gestohlen haben.

Halldor mustert mich aufmerksam. Auch Thorkel und Ragnar. Diese beiden waren dabei, als meine Brüder wie Vieh abgeschlachtet wurden. Und sie selbst waren es, die mich schwer verwundet vom Schlachtfeld geschleppt haben. Sie blicken mich an und ahnen, was in mir vorgeht. Ich fühle mich auf einmal entsetzlich müde, will im Grunde mit dieser verdammten Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Zumindest nicht heute.

»Versucht rauszufinden, um was es geht«, sage ich mit müder Stimme. »Aber vor morgen früh soll mich niemand stören, habt ihr verstanden?«

Damit lasse ich sie stehen und marschiere durchs Stadttor, um endlich zu meinem Haus zu gelangen. Und zu Aila.

***

Als ich unser Haus, das in einer ruhigen Gasse liegt, erreiche, ist Aila zu meiner Enttäuschung nicht daheim.

»Die Herrin ist bei Alfhild«, klärt Enni, unsere Sklavin, mich auf. »Soll ich hinüberlaufen und sie holen?«

Magnus’ Mutter Alfhild und ihr Mann, mein Freund Ragnwald, wohnen nicht weit. Ich schüttele den Kopf. »Lass nur. Sie wird sicher bald kommen. Mach mir inzwischen Wasser heiß, damit ich mich waschen kann.«

Enni ist noch jung, aber ein gelehriges Mädchen. Sie ist Tschudin wie Aila. Manchmal sprechen sie in ihrer gemeinsamen Sprache miteinander, obwohl Ennis Wortschatz begrenzt ist, denn sie wurde schon als Sklavin in Holmgarð geboren.

Sie nimmt mir meinen runden Schild ab und hilft mir aus dem Bärenfellumhang. Dann entledige ich mich meines Helms und Schwertgürtels. Mit einiger Mühe ziehe ich mir den hringa-brynja, den Kettenpanzer, über den Kopf und lasse ihn achtlos zu Boden plumpsen. Dann das gefütterte und nach altem Schweiß stinkende Lederwams. Ich stöhne erleichtert auf, endlich das Gewicht von Ringpanzer und Waffen loszuwerden. Fast hätte ich tanzen können. Stattdessen trete ich in unsere Kammer, ziehe mir zum ersten Mal seit Wochen die dreckigen Stiefel aus und lasse mich mit einem wohligen Seufzer auf das breite Lager fallen. Enni bringt mir einen Becher Bier und eilt gleich wieder davon, um einen Kessel mit Wasser aufs Feuer zu stellen.

»Was gibt es zu essen?«, rufe ich hinter ihr her.

»Ein Stück geräucherte Elchschulter«, schallt es aus der Küche. »Aber ich werde dir besser etwas Warmes kochen.«

»Bring mir schon mal von der Elchschulter. Ich komme um vor Hunger.«

Ich nehme einen tiefen Schluck aus dem Becher und schließe die Augen. So ist es schon viel besser. Das Bett ist weich, das Haus warm. Seit vier Jahren leben wir hier. Das Haus ist nicht groß, aber Aila hat es wohnlich eingerichtet und mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet. Es besteht aus einem großen Raum mit einer Feuerstelle, um die man Freunde versammeln kann, einer Küche, mehreren Kammern, auch für das Gesinde, dazu ein Pferdestall hinter dem Haus und ein kleiner Gemüsegarten, um den sich Aila mit Begeisterung kümmert.

Wir sind glücklich hier. Das heißt, wenn ich nicht immer so häufig für den Großfürsten unterwegs sein müsste. Und wenn unsere beiden Kinder nicht so früh, schon im Säuglingsalter, verstorben wären. Ihr Tod hängt wie eine dunkle Wolke über uns, wie ein Fluch der Götter. Es schmerzt, und ich will mich gar nicht an ihre Namen erinnern, obwohl Aila häufig von ihnen spricht. Eine Zeitlang hat sie nicht mehr schwanger werden wollen. Doch das scheint sie inzwischen überwunden zu haben.

Ich bin schon fast dabei, einzuschlafen, als ich höre, wie jemand die Eingangstür aufreißt. Ich öffne die Augen, und da steht sie in der Kammertür und strahlt mich an.

»Ragnwald hatte also recht. Ihr seid zurück!«, ruft Aila, rot vor Freude.

Bevor ich antworten kann, stürzt sie sich mit einem Jubelschrei auf mich und bedeckt mein Gesicht mit so heftigen Küssen, dass es mir den Atem raubt und ich vorgebe, um Hilfe zu rufen. Sie fährt erschrocken hoch, so dass sie rittlings auf mir sitzt, und betastet voller Sorge meinen Oberkörper.

»Du bist doch nicht verwundet, oder?«

»Nein. Mir geht es gut.«

»Aber mager siehst du aus.«

Ich lache. »Die gebratenen Tauben sind uns leider ausgegangen.«

»Mach dich nur lustig über mich«, sagt sie, zieht mit einem Ruck ihr Gewand über den Kopf und wirft es achtlos zur Seite. Dann folgt das leinene Unterkleid. Ich greife nach ihren herrlichen Brüsten, aber sie wehrt ab und beginnt, ungeduldig an meinem kyrtill zu zerren.

»Nun mach schon, zieh das verdammte Ding aus!«

»Willst du, dass Enni uns zusieht?«

»Enni!«, ruft sie über die Schulter. »Mach sofort die Tür zu!«

Kaum gesagt, sehe ich schon Ennis grinsendes Gesicht im Rahmen, dann schließt sich leise die Tür hinter ihr. Hat die Magd etwa gelauscht? Mit Sicherheit.

»Aber ich bin dreckig und stinke wie ein Ziegenbock.«

»Das ist mir gleich«, keucht sie und küsst mich ungestüm. »Ich will dich in mir spüren. Jetzt sofort!«

Sie zerrt wieder an meinen Kleidern, kann es nicht abwarten. Ich helfe ihr, bis ich genauso nackt bin wie sie, schlinge meine Arme um ihre Hüften, küsse ihre Brüste. Sie wirft sich auf den Rücken, spreizt die Beine und zieht mich an sich. Es dauert nicht lange, und wir atmen heftig vor Liebesglut. Bei Freya, wie hatte ich sie vermisst! Ihre Küsse, ihren wollüstigen Leib, das vor Leidenschaft gerötete Gesicht, die halb geöffneten Lippen, ihren stoßweise gehenden Atem, ihr anfeuerndes Stöhnen, ihre halbgeschlossenen Augen, feucht vor Begehren und vor Glück, dass wir wieder vereint sind.

Nachdem wir uns fürs Erste erschöpft haben, liegen wir lange eng umschlungen, ohne etwas zu sagen. Zum Glück fragt sie nicht, wie es mir ergangen ist, denn ich habe noch keine Lust, von meiner Reise zu erzählen. Und auch nicht, dass Kalfr in der Stadt ist. All das soll heute draußen bleiben und uns in Ruhe lassen. Meine Hand streicht über ihr Haar. Einst war es kurz, wie es sich für Sklavinnen gehört, inzwischen ist es aber zu einer rötlich blonden Pracht gewachsen, die ihr bis zu den Hüften fällt. Ihre Haut ist so glatt und weich, kein Wunder, dass meine Hand schon wieder zu wandern beginnt.

Doch sie richtet sich auf und entzieht sich mir. »Schluss jetzt, Harald. Du stinkst wirklich erbärmlich.« Sie zwickt mich in die Nase und lacht. »Ich mag ja ein bisschen Männerschweiß, aber das ist zu viel des Guten. Zeit für dein Bad!«

Nachdem ich mich endlich vom Schmutz der langen Reise gereinigt habe, tischt Enni das Essen auf, nicht ohne ein Grinsen auf ihrem jungen Gesicht. Wahrscheinlich sind wir nicht gerade leise gewesen. Ich weiß nicht, ob es das Bier ist oder meine allgemeine Müdigkeit, aber nach dem Essen schaffe ich es kaum, mich bis in die Kammer zu schleppen, bevor mir die Augen zufallen.

Irgendwann, tief in der Nacht, werde ich plötzlich wach. Da sitzt Aila in ihrem dünnen Unterkleid beim Licht einer Kerze am Bett und hat mir anscheinend beim Schlafen zugesehen. Als sie merkt, dass ich wach bin, beugt sie sich vor und küsst mich sanft.

»Du siehst so friedlich aus, wenn du schläfst. Wie ein kleiner Junge und gar nicht kriegerisch.« Sie lächelt. »Man möchte dich in die Tasche stecken und überallhin mitnehmen.«

Ich muss lachen. »Da hättest du aber was zu schleppen.«

Ich mache ihr Platz, und sie legt sich zu mir. Den Kopf auf meiner Schulter, streichelt sie meine Brust. »Nun erzähl schon. Wie war euer Raubzug? War es schlimm?«

In kurzen Zügen berichte ich, was wir erlebt haben. Die gefährlichsten Ereignisse behalte ich für mich. Kein Grund, sie zu ängstigen.

»Und du? Wie ist es dir ergangen?«

»Ach, wie immer. Ich war viel mit Alfhild zusammen. Die ist ja genauso oft allein wie ich.«

Alfhild war vor Jahren Olafs Sklavin gewesen, Beute eines Raubzugs im Dänenland. Ihren Rang als Nebenfrau verdankt sie der Tatsache, dass sie ihm einen Sohn geboren hat. Während seines dreijährigen Aufenthalts in Garðarike hatte er seine Gemahlin Astrid bei ihrem Bruder in Svearike gelassen, dafür aber Alfhild und den Jungen mit nach Holmgarð genommen, wo später beide geblieben sind, während er erneut aufgebrochen war, um sein Königreich zurückzuerobern.

Nach Olafs Tod hat sie dann meinen Freund Ragnwald geheiratet, der meinem Bruder sein Leben lang treu gedient hatte. Ragnwald ist der Sohn eines Jarls von den Orkney-Inseln. Auch er hat in Stikla Stad gekämpft und mich, zusammen mit Thorkel und Ragnar, hinterher im Wald bei dem Jäger versteckt, wo ich mich von meinen Wunden erholen konnte.

Danach bin auch ich nach Garðarike gekommen, in der Hoffnung, im Dienst des Großfürsten genug Beute zu machen, um irgendwann heimzukehren und Magnus’ Anspruch auf den Thron durchzusetzen. Einen gewissen Silberhort habe ich schon zusammen, aber es ist bei weitem nicht genug. So wie es jetzt aussieht, wird es noch viele Jahre dauern, bis ich in der Lage bin, ein ganzes Heer auszurüsten. Wenn überhaupt jemals. Manchmal denke ich, mein ganzes Leben ist irgendwie nutzlos. Ich versuche, alles zu tun, um Magnus den Thron zu ermöglichen, und mache keine Fortschritte. Oder um selbst den Thron zu erobern, wie ich mir heimlich wünsche. Aber das ist natürlich völlig unmöglich. Und auch nicht denkbar. Es wäre Eidbruch gegenüber Olaf, meinem Bruder.

Ragnwald ist inzwischen Mitglied der Druschina, der besonderen Schutztruppe des Großfürsten. Sie sind die besten Krieger des Reiches und immer an Jarisleifs Seite. Deshalb ist mein Freund ebenfalls häufig abwesend.

»Alfhild ist in letzter Zeit häufig bei Hof«, sagt Aila. »Sie und dein Neffe Magnus. Die Fürstin scheint einen Narren an ihm gefressen zu haben.«

»Und du begleitest sie?«

Sie schüttelt den Kopf. »Du weißt, die Fürstin mag mich nicht.«

»Ach was! Wie kommst du darauf?«

»Ich weiß es einfach. Ich bin eine ehemalige Sklavin. Das passt ihr nicht.«

»Alfhild war auch Sklavin.«

»Ja. Aber Magnus hat Anspruch auf den norwegischen Thron. Und sie ist seine Mutter. Das ist der Unterschied.«

»Aber du bist doch schon öfter im Palast gewesen.«

»In deiner Begleitung. Das ist was anderes. Du bist schließlich der Sohn eines Königs.«

»Nur der Sohn eines Kleinkönigs von Hringaríke.«

»Mach dich nicht kleiner, als du bist. Du bist der Bruder des Königs von Norðvegr. Du darfst mitbringen, wen du möchtest. Aber ich allein …«

»Ich denke, du bildest dir das ein. Ingegerd ist doch sehr freundlich. Warum sollte sie etwas gegen dich haben?«

»Es gibt Dinge, die du nicht weißt.«

Aila setzt sich wieder auf. Ihre Miene ist auf einmal ernst geworden. Ich warte, dass sie sich erklärt, aber sie schweigt nachdenklich, als erwäge sie, wie viel sie mir erzählen soll.

»Nun sag schon. Warum sollte sie etwas gegen dich haben?«

Aila blickt zur Seite und spielt mit der Kerze, die neben dem Bett brennt. »Weil sie eifersüchtig ist«, flüstert sie schließlich und schnippt ein Stückchen Wachs weg, das sie abgebrochen hat.

Wir haben nie über ihre Vergangenheit gesprochen. Ihre und die ihrer verstorbenen Zwillingsschwester Impi. Beide betörende Schönheiten. Einzelheiten aus ihrer Zeit als Sklavin sind einfach nie zur Sprache gekommen, als scheuten wir beide davor zurück. Ist jetzt der Augenblick da, darüber zu reden?

»Eifersüchtig? Aber warum?«

Sie holt tief Luft, wie um sich Mut zu machen. Ihre Unterlippe zittert ein wenig. Ich habe sie noch nie so verunsichert gesehen. »Du weißt doch, Impi und ich waren Olafs Sklavinnen, als er nach Svearíke kam und wir dir begegnet sind.«

»Natürlich.«

Ich sehe die Zwillinge noch vor mir bei unserer ersten Begegnung. Beide in seidene Tuniken gekleidet, feine Sandalen aus dünnen Riemen an den schlanken Füßen, mit Schmuck behängt. Der abschätzende Blick, mit dem sie mich bedachten. Zwei Schönheiten, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen. Außergewöhnlich und begehrenswert.

Aila vermeidet meinen Blick. »Olaf hat uns nicht auf dem Sklavenmarkt gekauft«, sagt sie. »Wir waren ein Geschenk.«

Ich erinnere mich. Er hatte so etwas erwähnt. Damals schien es keine Bedeutung zu haben. Jetzt aber fange ich an zu begreifen. Vielleicht habe ich es schon immer geahnt und nur verdrängt, weil der Gedanke mir unangenehm ist. Ein Geschenk ihres früheren Besitzers. Und wie jeder weiß, sind Sklavinnen nicht nur für die Hausarbeit da. Sie erfüllen auch andere Bedürfnisse, besonders die hübschen. Kein Wunder, dass die Fürstin eifersüchtig ist.

»Ein Geschenk von Jarisleif«, sage ich leise.

Sie sieht mich an und nickt. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie schlägt die Hände vors Gesicht.

Einen Augenblick lang bin ich wie gelähmt. Etwas Kaltes greift nach meinem Herzen. Aber dann erinnere ich mich, dass die Zwillinge dieses Leben nicht gewählt haben, dass man sie als Kinder aus ihrem Tschudendorf verschleppt hat. Und natürlich wusste ich das schon, als ich Aila die Freiheit geschenkt und sie zu meiner Gefährtin gemacht habe. Es hat mich damals nicht gestört, warum also heute? Plötzlich überfällt mich ein Schuldgefühl. Ailas Schwester war ihre Stütze gewesen. Aber Impi ist tot. Nun hat sie niemanden außer mir. Es ist nicht genug, dass sie nur meine Geliebte ist. Ich sollte sie endlich heiraten.

Ich setze mich auf und legte meine Arme um sie. »Ist schon gut, mein Herz«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Ich wusste doch schon alles. Seit langem. Es hat keine Bedeutung für uns. Weder für dich noch für mich. Wir gehören zusammen. Das ist alles, was zählt.«

Sie klammert sich an mich und weint nur noch mehr.

***

Am Vormittag, die Sonne steht schon hoch, werden wir von Enni geweckt, die uns Ragnwalds Besuch ankündigt. Ich ziehe mir eine alte Tunika über und betrete den Hauptraum des Hauses, wo mein Freund mir mit ausgebreiteten Armen entgegenkommt.

»Du bist zurück!« Er packt mich an den Schultern und grinst übers ganze Gesicht. Ragnwald ist kein schöner Mann, man kann ihn eher hässlich nennen mit seinem breiten Schädel, der schiefen Nase und den hohen Wangenknochen. Aber wenn er lacht, dann strahlt die Sonne, und man schließt ihn gleich ins Herz.

Nach der Begrüßung wird er ernst. »Hab gehört, ihr hattet es nicht leicht.«

»Ich sage dir, das ist eine von allen Göttern verfluchte Gegend. Eine Wildnis ohne Ende. Taugt höchstens zum Bären- und Wölfejagen. Und die Ugrier stechen zu wie aufgeschreckte Wespen.«

»Ihr habt Männer verloren. Das tut mir leid. Umso froher bin ich, dich unbeschadet zu sehen.«

»Ich bin immer noch hundemüde, aber sonst geht es mir gut. Möchtest du mit uns essen? Aila würde sich freuen.«

»Keine Zeit. Ich komme vom Palast. Jarisleif verlangt nach dir. Und zwar sofort. Ich vermute, es hat mit Kalfr Arnason zu tun. Du weißt, dass er vor kurzem angekommen ist, oder?« Er wirft mir einen besorgten Blick zu, unsicher, wie ich mich verhalten werde.

»Ich hab’s erfahren.« Beim Gedanken an diesen Kalfr steigt mir das Blut ins Gesicht. »Möchte wissen, was der Bastard hier zu suchen hat. Der Kerl ist ein Verräter. Er hat Olaf auf dem Gewissen. Ich sollte ihn zum Zweikampf fordern, ihn töten und seinen Kopf auf einen Pfahl stecken, damit alle sehen, wie man mit einem Königsmörder umgeht.«

Ragnwald schüttelt den Kopf. »Verdient hätte er es. Aber das wird Jarisleif nicht zulassen. Schließlich genießt der Mann hier Gastrecht. Nein, vergiss deine Rache für heute und mach dich rasch fertig. Ich warte auf dich.«

Zurück in der Kammer, ziehe ich wollene Beinkleider über, eine saubere Tunika und meinen besten kyrtill, dazu kalbslederne Stiefel. Ich versuche, mein Haar mit einer Bürste zu bändigen. Eigentlich gehört mein Bart gestutzt, bevor ich mich im Palast sehen lasse. Aila, die sich noch schläfrig im Bett rekelt, will wissen, warum ich es so eilig habe.

»Jarisleif verlangt nach mir. Stell dir vor, Kalfr Arnason ist vorgestern angekommen.«

Jetzt ist sie hellwach und stützt sich auf einen Ellbogen. »Was sagst du da? Der Mann, der Olaf umgebracht hat? Ist das dein Ernst?«

»Genau der«, erwidere ich grimmig. »Hab gute Lust, ihm die Kehle aufzuschlitzen.«

Aila springt aus dem Bett und streift ihr Unterkleid über. »Sei kein Hitzkopf, Harald. Tu nichts Unüberlegtes, ich bitte dich!«

Sie will ihre Arme um mich legen, aber ich schiebe sie zur Seite und gürte mein Schwert Gunnlogi. Dazu stecke ich Leggbitr in den Gürtel, den Sax meines Vaters. Beide ausgezeichnete Waffen. Nein, ich habe nicht vor, den Kerl herauszufordern. Nicht am Hofe des Großfürsten. Aber man kann nie wissen. Außerdem geht ein Nordmann nicht ohne sein Schwert aus dem Haus.

Aila packt mich am Arm. »Sei vernünftig, Harald.« Sie macht sich Sorgen und sieht mich flehentlich an. »Ich will nicht, dass dir etwas geschieht. Versprich mir, dass du ruhig bleibst. Sonst komme ich mit.« Sie bückt sich nach dem Bündel Kleider am Boden, die sie am Vorabend achtlos hat liegenlassen. »Ja, ich komme mit. Ich lass dich nicht allein gehen.«

Ich halte sie fest und ziehe sie an mich. »Mach dir keine Sorgen. Ich werde nichts Unüberlegtes tun. Ich verspreche es.«

Sie nimmt mein Gesicht zwischen beide Hände und küsst mich auf die Lippen. »Gut. Dann geh. Und nachher erzählst du mir alles.«

Ragnwald wartet schon ungeduldig. Auf dem Weg zum Palast wechseln wir kaum ein Wort. Ich bin immer noch aufgebracht und frage mich, was mich erwartet. Ist es wirklich wegen Kalfr? Vielleicht will Jarisleif nur über unseren Raubzug bei den Ugriern reden. Doch das hätte sicher auch noch später Zeit. Beim Gedanken an Jarisleif fällt mir natürlich wieder ein, was Aila in der Nacht gestanden hat. Der Fürst und die Zwillinge. Bei der Vorstellung dreht sich mir der Magen um, und ich bin versucht, auf der Stelle umzukehren.

Doch dann rede ich mir ein, dass es keine Bedeutung hat. Sklavinnen sind für die meisten Männer, besonders für Fürsten wie Jarisleif, nur Spielzeug, ein vorübergehendes Vergnügen. Darin war auch Olaf keine Ausnahme, dessen Weibergeschichten meine Schwägerin Astrid um den Schlaf gebracht haben. Alfhild war auch eine seiner Geschichten. Und mir hat er damals großzügig eine Nacht mit den Zwillingen geschenkt, einfach so aus Spaß, weil er mich nicht unerfahren in die Schlacht ziehen lassen wollte. Nein, in Wirklichkeit haben die beiden ihm wenig bedeutet. Und umgekehrt noch weniger. Mit Jarisleifs Ausschweifungen ist es sicher nicht anders. Besser, nicht mehr darüber zu grübeln.

Zumindest bin ich jetzt ruhiger, was die Begegnung mit Kalfr angeht. Aila hat recht. Es ist nicht gut, sich von Zorn leiten zu lassen. Als kleiner Junge habe ich einmal auf seinem Schoß gesessen und ihn nach der Narbe gefragt, die seine Wange verunziert. Und dass ich mir ein Schiff wünschen würde mit vielen Kampfgefährten darin. Olaf hat gelacht und gemeint, ich würde bestimmt ein großer Krieger werden. Ja, sie waren Freunde gewesen. Wie konnte es dann sein, dass daraus tödliche Feindschaft geworden war? Mit dreizehn hatte ich Kalfr kurz wiedergesehen, während Olaf auf der Flucht zu den Rus war und sie ihn gesucht hatten. Und dann drei Jahre später im Schlachtgetümmel, blutbespritzt und axtschwingend mit wutverzerrtem Gesicht. Das sind meine Erinnerungen an Kalfr.

Wir marschieren an den Wachen vorbei durchs Tor und in den Innenhof des Palastes. Ein bärtiger Mönch nimmt uns in Empfang, Jarisleifs Schreiber. Ein nicht unwichtiger Mann. Er trägt ein langes Gewand so schwarz wie sein Bart und ein silbernes Kreuz auf der Brust. Ich glaube, er ist Grieche, wie die meisten Christenpriester in Holmgarð, spricht aber fließend die Sprache der Rus und auch die der Slawen. Er führt uns nicht wie erwartet in die große Halle, sondern in ein kleineres Gemach, das der Großfürst für Besprechungen benutzt. Mit einem Kribbeln im Magen betrete ich den Raum.

»Na endlich!«, knurrt Jarisleif. Er wirft mir einen missbilligenden Blick zu. »Man sollte meinen, um diese Tageszeit hat ein Mann ausgeschlafen.«

Der Großfürst spricht in der Mundart der Rus, die aber für uns Nordmänner immer noch verständlich ist. Er zeigt sich gern etwas grob, meint es aber meist nicht so. Er ist ein beeindruckender Mann von Mitte fünfzig mit einem hageren Gesicht, einer scharfen Adlernase und durchdringenden blauen Augen. Der Bart ist grau, aber aus seinem Haar ist noch nicht alles Blond verschwunden. Er ist unverkennbar ein Nordmann und der direkte Nachfahre jenes schwedischen væringjar Rurik, der einst die Flüsse befahren und Holmgarð als Handelsposten gegründet hatte. Auf der anderen Seite des Wolchow steht noch die kleine Festung, an der wir gestern vorbeigekommen sind, die erste Niederlassung der Rus in dieser Gegend.

Ich lasse einen schnellen Blick über die Anwesenden schweifen. Neben Jarisleif sind noch sechs weitere Männer zugegen, darunter zu meiner Überraschung Finn und Thorberg. Obwohl ich es mir natürlich hätte denken können, denn es geht ja wahrscheinlich um ihren Bruder. Thorberg ist rot im Gesicht. Man scheint sich gestritten zu haben. Überhaupt liegt eine gewisse Anspannung über dem Raum. Jetzt aber sind aller Augen auf uns gerichtet. Auf mich, genauer gesagt. Und dann erkenne ich ihn, obwohl Jahre vergangen sind. Kalfr Arnason. Er hat sich erhoben und nickt mir mit ernster Miene zu.

Bei seinem Anblick steigt der Zorn in mir hoch, schnürt mir die Kehle zu, so dass ich keinen Ton hervorbringe, geschweige denn eine Begrüßung. Auch seine beiden Brüder sitzen mit versteinerten Mienen auf ihren Stühlen, ohne Kalfr eines Blickes zu würdigen. Bilder der Schlacht flackern mir durch den Sinn: Olaf blutüberströmt und Kalfr über ihm mit der blutigen Axt in der Faust. Ich wünsche mich sonst wohin, nur nicht in diesen Raum, in Anwesenheit dieses Mannes. Aber ich bezwinge mich.

Kalfr ist immer noch schlank und aufrecht. Auch die weiße Narbe, die von der Schläfe bis in den Bart läuft, ist deutlich sichtbar. Er ist früh ergraut, obwohl ich ihn erst auf Anfang vierzig schätze. So alt, wie Olaf inzwischen wäre. Der aufmerksame, prüfende Blick, der auf mir liegt, ist ruhig und gelassen. Diesen Mann kann wenig aus der Fassung bringen.

»Ich nehme an, ihr beide kennt euch«, sagt Jarisleif in seinem tiefen Bass. »Und dann ist hier auch noch der gute Bischof Grimkell. Er sagt, ihr seid euch ebenfalls schon begegnet.«

Ich reiße mich von Kalfr Arnasons Augen los und hefte meinen Blick auf den dürren Christenpriester mit dem großen Adamsapfel, der neben Finn sitzt. Ich hatte ihn gleich erkannt, obwohl er mir kleiner vorkommt, als ich ihn in Erinnerung habe. Die Furchen um seine Mundwinkel haben sich vertieft, wie mir scheint. Er ist in ein prächtiges Ornat gekleidet. Der Mann war Olafs Bischof, ein verdammter Eiferer, der ihn ständig angestachelt hat, die Norweger zum Glauben an den Weißen Christ zu bekehren. Ganz gleich, ob sie es wollten oder nicht. Wenn nötig mit Gewalt. Was hat der jetzt mit Kalfr zu tun? Ich hätte eher gedacht, dass sie Gegner wären.

»Gott zum Gruß, Harald!«, höre ich ihn sagen. »Ich erinnere mich noch gut an meinen Besuch bei euch in Hringaríke, bei deiner Mutter Åsta. Ich hoffe, es geht ihr gut und sie ist wohlauf.«

»Hab sie seit fünf Jahren nicht gesehen«, knurre ich unwirsch.

»Das tut mir leid«, sagt Grimkell und stellt mir dann einen älteren Mann von Mitte fünfzig vor.

»Das ist Jarl Einar Eindridesson Thambarskelfir. Vielleicht kennst du ihn.«

Der Mann ist groß, aber auch breit wie ein Scheunentor, mit schlohweißem Haar und rotem Gesicht. Und einem umfangreichen Bauch. Daher wahrscheinlich sein Beiname wabbeliger Bauch. Ich weiß, wer der Kerl ist. Ich bin dem Bastard zwar nie begegnet, aber ich habe von ihm gehört. Ein mächtiger Jarl und neben Kalfr hauptsächlich derjenige, der damals die freien Bauern gegen Olaf aufgewiegelt hat, obwohl er in Stikla Stad nicht dabei gewesen ist. Da war er in Englaland bei König Knut.

»Was will der hier?«, frage ich, doch niemand antwortet mir. Einars durchdringende, auffallend blaue Augen mustern mich abschätzend. Er sagt nichts, nickt mir nur unmerklich zu. Seine Miene bleibt dabei ausdruckslos.

Und dann fällt mein Blick auf einen weiteren Fremden, ein gut gekleideter Mann Ende zwanzig mit rotbraunem, sorgfältig gestutztem Bart, mittelgroß, ein wenig untersetzt und stämmig. Er mustert mich aufmerksam. Etwas an ihm kommt mir vertraut vor.

»Das ist Thorer Erlingsson«, stellt der Großfürst den Mann vor. »Er führt jetzt die Familie, nachdem sein älterer Bruder verstorben ist.«

Erlingsson. Natürlich. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Noch einer unserer Erzfeinde. Kalfr, Einar und jetzt auch noch ein Erlingsson! Das wird ja immer schöner.

»Ich grüße dich, Harald«, sagt Thorer ernst, aber nicht unfreundlich. »Ich habe gehört, du hattest eine Auseinandersetzung mit unserem Bruder Sigurd. Das tut mir leid.«

Ich funkele ihn an. »Er hat den Großfürsten bestohlen. Und umbringen wollte er mich. Aber es ist ihm nicht gelungen, wie du siehst. Und seitdem ist er auf der Flucht.«

Thorer lächelt verlegen. »Ja, Sigurd war schon immer ein Hitzkopf. Aber ich kann dir versichern, er spricht nicht für die Familie.«

»Soll mich das jetzt beruhigen? Was, zum Teufel, habt ihr eigentlich hier zu suchen?« Ich deute auf den alten Einar. »Und was will der hier? Was soll diese Versammlung?«

Ich werfe Jarisleif einen vorwurfsvollen Blick zu, warte auf eine Erklärung. Aber der nickt nur Kalfr zu, überlässt es ihm. Der tritt einen Schritt vor und mustert mich aus klugen Augen. Dabei setzt er ein vorsichtig freundliches Lächeln auf. »Es ist gut, dich gesund zu sehen, Harald. Bei Oðin, aus dir ist ja ein richtiger Kerl geworden. Nicht mehr der Junge, den ich noch in Erinnerung habe.«

»Hör zu, Kalfr!«, fauche ich. »Das schöne Gerede verfängt nicht. Ich bin nicht hier, um zu plauschen. Nicht mit dem Mörder meines Bruders.«

Ein schmerzlicher Ausdruck tritt auf sein Gesicht. »Ich bin kein Mörder, Harald. Und du weißt das. Olaf fiel in der Schlacht. Im offenen Kampf.«

»Von deiner Hand!«

»Ja, von meiner Hand. Aber es hätte auch jeder andere sein können. Ihr seid mit einem Heer gekommen, und wir haben uns gewehrt. Ich bin sicher, auch du hast an diesem Tag Männer getötet. Wie es so ist im Krieg. Niemand wird dich dafür zur Rechenschaft ziehen. Verurteile deshalb auch mich nicht.«

Doch ich starrte ihn weiter feindselig an. »Ihr seid alle Verräter an eurem König. Und du bist ihr Anführer. Dabei warst du einmal Olafs Freund. Er hat dir vertraut.«

»Ich kann verstehen, wenn du mich dafür hasst«, erwidert Kalfr ruhig. »Doch es gab gute Gründe, warum dein Bruder und ich getrennte Wege gegangen sind. Ich will sie dir gern erklären.«

»Nicht jetzt!«, fährt Jarisleif dazwischen. »Außerdem sind die Gründe hinlänglich bekannt. Olaf ist tot und wird auch vom vielen Reden nicht wieder lebendig. Beschäftigen wir uns lieber mit dem Hier und Heute. Und ich warne dich, Harald, wage es nicht, meine Gäste zu beleidigen oder gar anzugreifen, solange sie sich in meiner Stadt aufhalten. Sie sind hier, um eine Botschaft zu überbringen und einen Vorschlag zu machen. Den solltest du dir anhören. Und zwar unvoreingenommen. Das gilt auch für dich, Ragnwald.«

Ein Vorschlag? Ragnwald und ich sehen uns an. »Also gut«, sagt schließlich mein Freund, »dann lasst hören, was ihr uns zu sagen habt.«

Kalfr leckt sich kurz über die Lippen, wie um zu überlegen, wie er beginnen soll. »Sobald die Eisschmelze es zuließ, sind wir zu euch hergekommen«, sagt er dann. »Und dies trotz der Gefahren durch treibende Eisschollen. Denn es ist Eile geboten. Ich nehme an, ihr habt die große Neuigkeit noch gar nicht erfahren.«

»Welche Neuigkeit?«

»König Knut ist vor kurzem gestorben.«

»König Knut ist tot?«, fragt Ragnwald. »Aber er war noch jung.«

»Was heißt jung? Etwa so alt wie ich«, erwidert Kalfr achselzuckend. »Niemand ist gegen Krankheit gefeit.«

»Wenn Gott uns zu sich ruft …«, hebt Bischof Grimkell an.

Ich unterbreche den Bischof barsch: »Was geht mich der Tod dieses Dänen an?« Grimkell wirft mir einen gereizten Blick zu. Aber es ist mir gleich, was er von mir denkt. »Ihr habt doch nicht den weiten Weg gemacht, nur um uns das mitzuteilen?«

»Du verstehst vielleicht die Bedeutung nicht«, sagt Kalfr. »Knut hat in seinem Leben ein großes Reich zusammengerafft. Er ist König der Dänen und König von Englaland. Und von Norwegen, wie du weißt.«

»Mit deiner verdammten Hilfe!«

Er nickt. »Das ist richtig. Aber jetzt werden sie sich um sein Erbe prügeln. Die Nachfolge ist nicht eindeutig. Knuts Eheweib musste schon aus Englaland fliehen. Sein Sohn hat sogar mit den Dänen alle Hände voll zu tun, um sich zu behaupten. Jetzt ist die Gelegenheit gekommen, uns vom dänischen Joch zu befreien.«

»Ach, jetzt ist es plötzlich das Dänenjoch?«, rufe ich aufgebracht. »Ihr wolltet doch unbedingt diesem Knut den Arsch küssen und ihm das ganze Land vor die Füße legen. Dafür habt ihr doch gegen uns gekämpft. Gegen euren rechtmäßigen König. Oder hab ich das alles falsch verstanden? Wovon, zum Teufel, redest du?«

»Ganz ruhig, Harald«, ermahnt mich Jarisleif. »Lass sie erklären.«

Zum ersten Mal ergreift Einar Thambarskelfir das Wort. »Lass es mich erklären, Harald«, sagt er. Seine Stimme ist tief und wohlklingend. Beinahe vertrauenerweckend, wenn ich nicht wüsste, dass auch er ein Verräter ist. »Du musst wissen, daheim hat sich einiges verändert. Nachdem dein Bruder den Tod gefunden hatte, entschied Knut, sein erstes Weib Álfífa und ihren gemeinsamen Sohn Svein als Herrscher über Norwegen einzusetzen. Anfänglich war das Volk auf ihrer Seite. Schließlich hatten wir mit Knuts Hilfe gewonnen. Doch bald hat sich das Blatt gewendet, denn Álfífa ist ein gieriges und hartherziges Weib. Wir bekamen ihre Knute zu spüren. Diese Hündin hatte nichts anderes im Sinn, als sich zu bereichern. Die Steuerlast wurde unerträglich. Ihre Strafen mehr als grausam. Wir mussten einsehen, dass wir uns in Knut getäuscht hatten. Er hatte viel versprochen, wenig gehalten. Álfífas Büttel sind mit grausamer Härte vorgegangen. Wenn ein Bauer nicht in Silber zahlen konnte, haben sie gleich sein Vieh weggetrieben. Du kannst dir vorstellen, dass die bóndi sich so was nicht gern gefallen lassen. An vielen Orten ist es zu Widerstand und Aufständen gekommen. Mit einem Wort, das Volk ist unzufrieden.«

»Das Volk oder die Jarls? Hat Knut euch nicht genug vom Kuchen überlassen?«

»Ja, auch die Jarls sind unzufrieden. Es wurden Versprechen gebrochen und Entscheidungen ohne unsere Mitsprache getroffen. Du weißt, das ist nicht, was freie Norweger sich gefallen lassen. Ob Jarls oder bóndi, wir alle haben genug von dänischen Herren. Das ganze Land stand kurz davor, sich zu erheben. Als uns vor einigen Wochen die Kunde von Knuts Tod erreichte, da war kein Halten mehr. Álfífa und ihr Sohn können froh sein, dass wir sie nur verbannt und nicht umgebracht haben.«

»Ihr seid ja geübt darin, eure Herrscher zu vertreiben«, sage ich gehässig. Aber Einar zuckt nur mit den Schultern.

Dafür ergreift Kalfr das Wort. »Du denkst an Stikla Stad, Harald. Und vielleicht wünschst du dir Rache für das, was deine Familie erlitten hat. Ich verstehe das. Aber auch andere Familien haben Männer verloren. Wir sollten jetzt besser an unser Land denken. Mit Knuts Tod ist die Zeit reif für den Wandel. Seine Erben balgen sich um den Thron. In Englaland ist der offene Aufstand ausgebrochen. Auch in Dänemark ist die Lage unklar. Für uns ist die Zeit zum Handeln gekommen.«

»Ich habe es immer gesagt«, mischt Grimkell sich ein, nicht ohne eine gewisse Genugtuung in seiner Miene, »mit Olaf wäre das alles nicht so gekommen. Er war ein Heiliger. Ein König, der die Zeichen der Zeit verstanden hat und nichts anderes wollte, als Christus den Weg zu ebnen. Zum Wohle des Landes.«

Kalfr runzelt ungehalten die Brauen. »Wie dem auch sei, Bischof, hinterher sind alle klüger. Es geht nicht darum, nach Fehlern zu suchen, sondern den besten Weg in die Zukunft zu finden.« Er wendet sich an mich. »Allerorten versammeln sich die Things. Volk und Jarls sind sich so einig wie noch nie. Wir brauchen wieder einen König. Aber einen Norweger, einen, der von unserem Blut ist und das Recht der Nachfolge für sich in Anspruch nehmen kann. Einen, mit dem alle im Land einverstanden wären, hinter dem sie stehen können.«

»Und einer, der Gott ehrt«, kann Grimkell sich nicht verkneifen hinzuzufügen.

Sie sehen mich erwartungsvoll an. Ich bin, ehrlich gesagt, sprachlos. Alles hätte ich erwartet, nur nicht das. Und auch nicht, dass Grimkell es geschafft hat, sich bei den Jarls einzuschmeicheln. Dabei waren die meisten doch immer gegen seinen Christus gewesen. Einen König wollen sie also, von ihrem Blut.

»Ihr denkt doch wohl nicht an mich?«, stammele ich.

Kalfr lächelt verlegen und windet sich ein wenig. »Nein, nicht an dich. In den Köpfen der Leute bist du viel zu sehr mit Olaf verbunden. Du weißt selbst, wie viele Feinde er sich gemacht hat.«

»Ja, an wen dann?«

Kalfr blickt zum alten Einar hinüber, anscheinend zu verlegen, es selbst auszusprechen. Einar räuspert sich umständlich, dann heftet er seine blauen Augen auf mich. »Magnus«, sagt er. »Wir wollen Magnus als König. Das ist der Wille der Things.«

»Was?«, ruft Ragnwald. »Aber Magnus ist noch ein Kind!«

»Er wird bald zwölf, soviel ich weiß«, wirft Thorer Erlingsson ein. »Mit zwölf Jahren können wir ihn krönen.«

Ich schüttele ungläubig den Kopf. »Ist es zu fassen? Olaf habt ihr bekriegt, und nun wollt ihr seinen Sohn zum König machen? Das ist doch verrückt!«

»Nein, ist es nicht!«, sagt Kalfr. »Der Junge besitzt das Erbrecht, und er hat mit der Vergangenheit nichts zu tun. Ebendeshalb werden alle für ihn stimmen und ihm als ihrem König huldigen. Hinter Magnus können sich alle Norweger guten Gewissens vereinen und den Dänen die Stirn bieten, sollte es zum Krieg kommen.«

Ich starre ihn ungläubig an. Irgendwie will mir die Sache nicht in den Kopf. Es kommt mir so unwirklich vor. In Stikla Stad haben wir uns bis zum letzten Blutstropfen bekämpft. Mit Tausenden Toten auf dem Schlachtfeld. Wer weiß, wie viele Weiber immer noch um ihre Männer trauern, Mütter um ihre Söhne. Und nun soll das alles vergessen sein?

»Fürchtet ihr nicht, Magnus könnte sich eines Tages an den Feinden seines Vaters rächen?«

Grimkell hebt die Hand, bevor Kalfr ihn unterbrechen kann. »Ich werde mich um seine Erziehung kümmern, Harald. Ich werde ihn die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes lehren. Liebe deinen Nächsten und vergib denen, die sich schuldig gemacht haben, so spricht der Herr. Wir werden einen ganz neuen Anfang machen. Mit Magnus wird eine Zeit des Friedens anbrechen.«

Ein neuer Anfang? Vergebung? Ist es das, was sie suchen? Doch wohl kaum meine Vergebung. Sie haben einfach vor, den Jungen so zu formen und zu bevormunden, wie es ihren Plänen nach passt. Einen Strohkönig wollen sie aus ihm machen. Und dahinter wird kein anderer als Kalfr die Fäden ziehen. Oder der alte Einar.

»Wie sollen wir das verstehen?«, fragt Ragnwald, der mir schon einen Schritt voraus ist. »Seid ihr etwa gekommen, um ihn mitzunehmen?«

Kalfr nickt. »Ihn und seine Mutter Alfhild. Und wen er sich sonst noch als Begleitung wünscht. Wie gesagt, Eile ist geboten, um das Land hinter seinem neuen König zu einen, bevor die Dänen eingreifen können.«

Jahrelang habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich meinem Neffen sein Recht auf den Thron sichern könnte, ohne aber eine Lösung zu finden. Keine, die nicht Krieg hieße, viel Silber kosten würde und den Tod unzähliger Männer. Und da kommen sie daher und bieten die Krone auf dem Tablett an, ganz ohne Forderungen. Das kann ich nicht glauben. Es muss eine List sein, um seiner habhaft zu werden und ihn am Ende vielleicht sogar umzubringen. Das darf ich auf keinen Fall zulassen.

»Du bist sein Oheim«, mischt sich Fürst Jarisleif ein. »Die Entscheidung liegt also bei dir, Harald. Aber ich würde dir raten, das Angebot anzunehmen. Allen wäre damit geholfen. Dein Neffe wird König. Und sicher wirst auch du mit ihm heimkehren können. Deine Familie wiedersehen.«

Doch da räuspert sich Einar verlegen. »Nein, Fürst, das wird nicht möglich sein.« Es klingt fast wie eine Entschuldigung. Aber dann spricht er in ruhigem Ton weiter. »Harald ist in den Augen der Westnorweger und bóndi zu sehr Olafs Mann. Für sie ist er immer noch ihr Feind. Man würde ihm nicht trauen. Und das würde die ganze Sache erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Vielleicht in einigen Jahren, wenn sich alles beruhigt hat, dann kann er heimkehren und seinen Platz an Magnus’ Seite einnehmen, wenn ihm immer noch der Sinn danach steht.«