Herzbesetzer - T.A. Wegberg - E-Book

Herzbesetzer E-Book

T. A. Wegberg

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Beschreibung

Was, wenn du einen Menschen getötet hast? Was, wenn dieser Mensch dein kleiner Bruder war? Und was, wenn jemand versucht, seine Stelle einzunehmen? Eindringlich, entwaffnend ehrlich und mit schrägem Humor erzählt Julian von sich und Anoki, dem verlassenen Anarchojungen, der als Pflegekind in sein Elternhaus einzieht. Der "Ersatzbruder" sorgt nicht nur durch leer gefressene Kühlschränke, dubiose Einnahmequellen und ein reichlich unkonventionelles Rechtsverständnis für Aufregung in der Familie, sondern reißt Julian auch unbekümmert aus dessen emotionaler Vakuumverpackung, ohne zu ahnen, was er dadurch freisetzt … "Herzbesetzer" ist ein temperamentvoller Roman über Begehren und Bedenken, Verlustangst und Verlobungsfeiern, über familiäre Folter und geschmacklose Grabgestaltung. Und er macht dem Leser deutlich, warum man für einen geliebten Menschen nicht nur alles tun, sondern auch manches lassen sollte.

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Seitenzahl: 701

Veröffentlichungsjahr: 2025

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T. A. Wegberg

Herzbesetzer

Roman

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen

http://www.deadsoft.de

Für Fragen zur Produktsicherheit:

[email protected]

Originalausgabe 2010

© T.A. Wegberg

Lektorat: Maggy Bartscher

Cover: M. Hanke

Bild: Anita Huszti – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-934442-56-6

ISBN 978-3-96089-804-7 (ebook)

Dieser Roman ist Fiktion.

Inhalt:

Was, wenn du einen Menschen getötet hast?

Was, wenn dieser Mensch dein kleiner Bruder war?

Und was, wenn jemand versucht, seine Stelle einzunehmen?

Eindringlich, entwaffnend ehrlich und mit schrägem Humor erzählt Julian von sich und Anoki, dem verlassenen Anarchojungen, der als Pflegekind in sein Elternhaus einzieht. Der „Ersatzbruder“ sorgt nicht nur durch leer gefressene Kühlschränke, dubiose Einnahmequellen und ein reichlich unkonventionelles Rechtsverständnis für Aufregung in der Familie, sondern reißt Julian auch unbekümmert aus dessen emotionaler Vakuumverpackung, ohne zu ahnen, was er dadurch freisetzt …

Prolog

Es ist mir immer schwergefallen, meinem Bruder Benjamin einen Wunsch abzuschlagen. Er hatte diese besondere Art, um etwas zu bitten, die es mir unmöglich machte, einfach nein zu sagen. Als er noch kleiner war, habe ich ihn bei fast jedem Spaziergang auf dem letzten Drittel der Strecke huckepack getragen. Ich machte seine Hausaufgaben, reparierte sein Fahrrad, überließ ihm das letzte Stück Kuchen, wischte den Saft auf, den er verschüttet hatte, und seit ein paar Monaten wimmelte ich die Mädchen ab, die ihn anriefen und von denen er nichts wissen wollte. Er war vierzehn und hatte noch ziemlich überzogene Vorstellungen von der Liebe.

An diesem Freitagabend im Oktober machte ich mich fertig, um ins Nightstar zu fahren. Ich zog ein frisches T-Shirt an, rubbelte mir Gel in die Haare und überprüfte meine Fingernägel – mehr Vorbereitung auf einen Discobesuch hielt ich mit neunzehn Jahren nicht für erforderlich. Benjamin lag mir schon den ganzen Abend in den Ohren. »Nimm mich mit, was soll denn schon passieren, du sagst doch selbst, sie machen keine Kontrollen, wenn sie mich nicht reinlassen, kann ich im Auto auf dich warten« und so weiter.

Unsere Eltern waren an diesem Wochenende zu einer Hochzeit in Dresden eingeladen, und er wollte die Gelegenheit nutzen. Bis jetzt war ich hart geblieben, aber ich spürte, wie meine Festung Risse bekam. Irgendwie konnte ich seinen Wunsch verstehen. Was sprach dagegen, ihn ein einziges Mal mitzunehmen? Er war ja kein kleines Kind mehr. »Also gut«, sagte ich mit einem resignierten Seufzen. »Mach dich fertig, wir fahren.« Im Auto teilte ich ihm sämtliche Regeln mit, an die er sich zu halten hatte: immer in meiner Nähe bleiben; nicht mehr als zwei Flaschen Bier, danach nur noch Cola; wenn ich das Kommando zum Aufbruch gab, keine unnötigen Verzögerungen – und vor allen Dingen: »Kein Wort zu Mama und Papa!« Er versprach, sich an alles zu halten, und drehte den CD-Player lauter. An der Kasse kümmerte sich niemand um sein Alter. Er zahlte drei Euro Eintritt, kriegte einen Stempel auf den Handrücken und war drin.

Ich hatte an diesem Tag bis sechs Uhr gearbeitet und war nicht besonders gut drauf. Wäre ich nicht mit ein paar Freunden verabredet gewesen, hätte ich einen ruhigen Fernsehabend vermutlich vorgezogen. Die Woche war stressig gewesen, und gestern Abend war ich mit Doro im Kino gewesen und erst weit nach Mitternacht schlafen gegangen. Aber die Musik war gut, und da war so eine schwarzhaarige Maus, die mich auf der Tanzfläche die ganze Zeit umkreiste und anlächelte, und außerdem waren Marco, Steffen und Sven in Feierlaune und versuchten dauernd, mich zum Trinken zu animieren. Das ging natürlich nicht, weil ich ja mit dem Auto da war. Ich trank – genau wie ich es auch meinem kleinen Bruder vorgeschrieben hatte – nur zwei Flaschen Bier und wechselte danach zu Cola. Na gut, einmal brachte mir Sven, dieser Scherzkeks, eine Cola mit, die verdächtig nach Rum schmeckte. Die trank ich auch. Aber ich war ganz bestimmt nicht betrunken.

Benni ließ den Coolen raushängen und tat, als sei das hier sein zweites Zuhause. Die dummen Sprüche meiner Freunde wie »Hoffentlich fangen sie bald mit dem Topfschlagen an, was, Benni?« prallten an ihm ab. Stattdessen ließ er auf der Tanzfläche die Sau raus, unterhielt sich lange mit einer niedlichen Brünetten und holte sogar eine Runde Getränke für mich und die Jungs. Ich konnte meinen Stolz nicht leugnen. Es war schön zu sehen, wie gut er sich amüsierte. Aus diesem Grund unterdrückte ich meine Müdigkeit noch ein bisschen und bestellte mir eine weitere Cola. Erst um kurz nach drei gab ich das Signal zum Aufbruch. Zu meiner Erleichterung folgte Benjamin mir bereitwillig.

»Na, wie hat’s dir gefallen?«, fragte ich, als ich die Autotür öffnete.

»Total geil«, sagte Benni erwartungsgemäß. »Also, ich weiß das zu schätzen, dass du mich mitgenommen hast. Echt.«

Das kam einem Dankeschön sehr nahe, und ich freute mich darüber. Ich startete den Wagen, fuhr aber nicht los. Mit einiger Verzögerung fragte Benjamin: »Warum fährst du nicht?« Und ich erwiderte: »Anschallen!«, was er mit Augenverdrehen und genervtem Stöhnen auch tat.

Von Walsleben nach Neuruppin sind es ungefähr sechzehn Kilometer, und man passiert ein paar verschlafene Dörfer, aber die meiste Zeit führt die Straße zwischen Feldern hindurch. Um diese Zeit konnte man fast sicher sein, keinem anderen Fahrzeug zu begegnen, dafür aber möglicherweise einem bunten Sortiment einheimischer Wildtiere wie Füchsen, Rehen, Waschbären, Hasen, Wildschweinen und weiß der Teufel was für Viehzeug. Ich hatte ein wachsames Auge auf den Straßenrand, damit sich nicht irgendso ein armes Biest überraschend vor meinen Kühler warf. Dabei fiel mir auf, wie ungeheuer müde ich mittlerweile war. So müde, dass meine Augen brannten, tränten und eine unwiderstehliche Tendenz zum Zuklappen aufwiesen. So müde, dass sich alles da draußen langsam spiralförmig zu drehen schien. So müde, dass ich am Steuer meines Autos einschlief und nicht mitkriegte, wie es die Fahrbahn verließ und auf eine Kopfweide zuschoss.

Als ich wieder aufwachte, hatte ich vier Tage meines Lebens und meinen kleinen Bruder verloren.

1

»Deine Mutter hat sich mit dem Essen viel Mühe gegeben, Julian«, sagt mein Vater zu mir, »du könntest ihr wenigstens ein bisschen Respekt erweisen, indem du aufhörst, darin rumzustochern.« Woah, ich hasse dieses Todestag-Ritual. Ich finde es unerträglich, pervers und demütigend, aber meine Eltern bestehen darauf. Jedes Jahr am 23. Oktober muss ich zum Essen kommen, und dann steht Benjamins Taufkerze feierlich brennend auf dem Tisch, und meine Mutter hat irgendwas Besonderes gekocht – meist eins von Bennis Lieblingsgerichten, heute Jägerschnitzel mit Pommes frites und Gurkensalat –, und sie zwingen mich zum Essen, obwohl ich am liebsten genau das Gegenteil täte.

Ziemlich bald fängt meine Mutter an zu weinen, schnappt sich eine der gerahmten Fotografien meines Bruders, die überall in diesem Haus verfügbar sind, lässt ihre Tränen darauf tropfen und fängt an, irgendeine rührselige Erinnerung zum Besten zu geben. Warum nehmen sie sich nicht einfach jeder einen Knüppel, schlagen damit auf mich ein und schreien »Mörder, Mörder«? Ja, ich habe meinen Bruder umgebracht. Ich war gewissenlos, leichtsinnig, dumm, ich habe mich überschätzt, ich habe alle Regeln missachtet, ich bin ein Brudermörder. Das ist mein Schicksal, damit lebe ich heute seit genau fünf Jahren, na ja, was man so leben nennt, und ich habe gelernt, diese Tatsache gelegentlich für mehr als drei Minuten aus meinem Bewusstsein auszublenden.

Aber was soll diese Foltershow? Warum zwingen sie mich Jahr für Jahr, diesen gnadenlosen Schmerz und dieses unmenschliche Schuldgefühl auf die Spitze zu treiben? Warum quält meine Mutter mich mit diesen Tränen, warum peinigt mein Vater mich mit diesem hoffnungslosen, leeren Blick? Ich bin doch auch ihr Sohn, ich lebe noch – warum können sie nicht mehr lachen, seit Benjamin tot ist? Es gibt Augenblicke, da entwickle ich einen regelrechten Hass auf Benni, Hass und giftigste Eifersucht, weil er für immer der Wichtigste, der Beste, der Geliebteste, das Opfer sein wird. Während ich nur der erbärmliche Mörder bin. Ich schneide ein kleines Stück Fleisch ab und zwinge mich, es runterzuschlucken, wie eine Buße. Ich habe Benni geliebt, sehr sogar, er war der einzige Mensch, der mich jederzeit zum Lachen bringen konnte, und ich vermisse ihn genauso wie meine Eltern. Aber ich habe kein Recht auf meine Trauer, weil ich die Schuld trage.

»Am Dienstag hab ich einen Termin beim Jugendamt«, sagt meine Mutter, nachdem sie sich die Nase geputzt hat. Ich sehe sie verständnislos an und registriere nebenbei, dass mein Vater irgendwie unbehaglich zur Seite guckt.

»Wieso das denn?«, frage ich.

Meine Mutter lächelt unter Tränen, ganz schwach, aber immerhin, und mein Vater sagt mit einem unterdrückten Seufzen: »Wir wollen vielleicht ein Pflegekind aufnehmen.«

Ich starre die beiden an. Soll das ein Witz sein? Aber sie würden doch an Benjamins Todestag keine blöden Scherze machen. »Wie, ein Pflegekind«, sage ich verständnislos, »was denn für ein Pflegekind?«

»Also, ich kann dieses leere große Haus einfach nicht ertragen«, erklärt meine Mutter. »Wir sind ja schließlich noch keine alten Leute.«

Das stimmt; sie ist sechsundvierzig, mein Vater zwei Jahre älter, beide stehen voll im Berufsleben, haben einen Freundeskreis und ein paar Hobbys – alt ist anders. »Ich möchte wieder Leben hier haben. Was Junges. Ich möchte mal wieder einen Jungen lachen hören …« Dabei entgleisen ihre Mundwinkel, und sie hält sich das Taschentuch vors Gesicht.

Ich gucke gequält weg.

»Man tut damit ja auch einem elternlosen Kind was Gutes«, springt mein Vater ein. Hört sich an wie auswendig gelernt.

»Ihr wollt wirklich ein Kind aufnehmen?«, frage ich noch mal. Ein fremdes Kind in meinem Elternhaus? In Bennis Zimmer womöglich? Irgendso ein verwahrlostes, rotznäsiges Heimkind soll Benjamins Platz einnehmen?

Meine Mutter nickt energisch, sie hat sich wieder im Griff. »Genau. Einen Jungen, der in Bennis Alter ist.«

»Benni wäre jetzt neunzehn«, sage ich, »in dem Alter gibt es keine Pflegekinder mehr.« Aber ich weiß natürlich genau, was sie meint: in Bennis Alter zum Zeitpunkt seines Todes. Mit anderen Worten: ein verwahrlostes, rotznäsiges, pubertierendes Heimkind. Herzlichen Glückwunsch. »Habt ihr euch das wirklich gut überlegt?«, frage ich. »Das ist doch eine Riesenverantwortung! Und wenn es nicht klappt?« Meine Mutter strahlt eine verblüffende Energie aus. Ich habe sie seit fünf Jahren nicht mehr so zuversichtlich gesehen.

»Was soll denn da nicht klappen«, wischt sie meinen Einwand beiseite, »ich hab doch zwei Söhne großgezogen, ich weiß, was mich erwartet. Wir stehen schon seit Januar mit dem Jugendamt in Kontakt, ich seh da keine Probleme.« Klasse, dass ich das auch schon erfahre.

»Beide Seiten ziehen ihren Nutzen daraus. Der Junge bekommt ein vernünftiges Zuhause, und wir haben endlich wieder Leben im Haus.« Sie starrt mich trotzig an, als wolle sie mich mit ihrem Blick bezwingen. Ich gucke noch mal zu meinem Vater rüber, der weniger überzeugt aussieht, deshalb spreche ich ihn direkt an: »Und die Kosten? Ich meine, so ein Vierzehnjähriger lebt doch nicht von Luft und Liebe!« Mein Vater weicht meinem Blick aus, aber er sagt: »Wir kriegen doch dafür einen Zuschuss. Das ist kein Thema.«

Am liebsten würde ich aufstehen und sagen: »Okay, dann bin ich ja jetzt hier endgültig überflüssig geworden. Macht, was ihr wollt, ich hoffe, ihr werdet glücklich.« Leider erlaubt meine Rolle als Brudermörder keine so souveräne Reaktion. Ich muss die kleinsten Brötchen backen, die je ein Familienmitglied gebacken hat. Ich bin ein Mördermördermörder und habe kein Recht auf gar nichts, am allerwenigsten auf Eifersucht. Also sage ich: »Ach so, na ja. Ja, vielleicht ist das ja gar keine schlechte Idee« und würge noch ein Stück Fleisch herunter, das in meiner Speiseröhre Widerhaken entwickelt.

2

»Wir haben heute ein paar Jungs kennengelernt«, erzählt meine Mutter am Telefon. »Also, ich glaub, wir haben uns schon entschieden. Irgendwie war das sofort klar. Als ich den gesehen hatte, konnte ich mich auf die anderen gar nicht mehr richtig konzentrieren.«

Warum muss ich bei diesen Worten an ein Tierheim denken? Ich finde die Vorstellung, dass man sich ein Kind aus einem Heim aussucht, ziemlich abartig.

»Er heißt Anoki Kassek und ist gerade vierzehn geworden.«

»Was? Wie heißt der?«, schreie ich entsetzt in den Hörer.

»Anoki Kassek«, antwortet meine Mutter leicht verunsichert, »er kommt aus Berlin.«

Anoki? Was soll das denn für ein Name sein? So würde ich bestenfalls eine degenerierte Perserkatze nennen, aber doch kein Kind! Meine Skepsis erreicht ein Ausmaß, das an blanke Ablehnung grenzt.

Ich reiße mich mühevoll zusammen. »Aha, und, äh, er hat keine Eltern mehr?«

»Die Einzelheiten kennen wir auch noch nicht. Am Freitag kommt er erst mal fürs Wochenende zu uns. Ich möchte, dass du dann auch hier bist. Und dann kannst du ihn alles selbst fragen, was du wissen willst.«

Ich will gar nichts über ihn wissen, und ich will ihn auch nicht kennenlernen. Aber ich sage: »Dann komm ich Freitag gleich nach der Arbeit nach Hause.« Als ob diese Benjamin-Trojan-Gedächtnisstätte noch mein Zuhause wäre.

Ich stehe endlos im Stau, weil gleichzeitig mit mir noch einige tausend andere Arbeitnehmer Berlin in Richtung Nordwesten verlassen. Man kann die Strecke in fünfzig Minuten schaffen, aber meistens benötige ich gute anderthalb Stunden, weil ich praktisch immer zu den Stoßzeiten fahre. Auf der A 24 hat es kurz vor der Raststätte Linumer Bruch einen Unfall gegeben, die linke Fahrspur ist gesperrt, und in quälender Langsamkeit quetscht sich der Freitagabendverkehr an den beiden zerknautschten Autowracks vorbei. Es gab eine Zeit, da hätte ich die Autobahn verlassen müssen, weil ich nicht in der Lage war, an verunglückten Fahrzeugen vorbeizufahren. So schlimm ist es heute nicht mehr, aber ich muss mich abwenden, als ich die Unfallstelle passiere, und weil mir danach noch kilometerlang das Herz gegen die Rippen hämmert, taste ich kurz vor der Abfahrt Neuruppin in der Reisetasche auf dem Beifahrersitz nach meinen Tabletten und schlucke eine davon trocken runter. Darin habe ich mittlerweile viel Übung.

Ich bin trotzdem nervös, als ich an der Tür meines Elternhauses läute. Mein Vater öffnet und legt mir kurz und wortlos die Hand auf die Schulter. Dann kommt meine Mutter, strahlend wie ein Atommeiler und ebenso energiegeladen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, sie sei frisch verliebt.

»Und? Wo ist er?«, frage ich, um wenigstens den Anschein von Interesse zu erwecken.

»Oben in seinem Zimmer«, sagt meine Mutter aufgeregt. »Er kommt gleich runter.«

Bitte, was? In seinem Zimmer? Das ist immer noch Bennis Zimmer! Ich atme tief durch und überlege, ob ich noch eine zweite Tablette nehmen soll, aber da höre ich bereits Schritte auf der Treppe.

Ich will versuchen, Anoki Kassek so zu schildern, wie ich ihn bei dieser ersten Begegnung sehe: Unter dem Rand seiner Schirmmütze quillt eine Flut unterschiedlich langer schwarzer Dreadlocks hervor, von denen einige bis auf seinen Rücken reichen. Er trägt ein dunkelgrünes Kapuzensweatshirt mit Tribaldruck, ausgefranste Jeans mit Löchern an den Knien und ungeputzte Schnürstiefel. An der Mütze sind eine ganze Menge Buttons befestigt, von denen mir spontan einer mit der unmissverständlichen Aufforderung »Fuck off« ins Auge springt. Die Art, wie er betont gleichgültig die Treppe runterschlurft, seine Aufmachung und seine Haltung kommunizieren sozusagen in Fettdruck »schwer erziehbar«. Er ist die Personifizierung von Protest und Provokation.

Dann steht er unmittelbar vor mir und sieht mich herausfordernd an, und ich stelle fest, dass er es bei aller Bemühung nicht schafft, einen schmerzlichen Ausdruck der Verlorenheit aus seinen großen dunklen Augen zu verbannen (die er, wenn ich mich nicht täusche, mit Kajalstift umrahmt hat). Es ist genau dieser sterbenstraurige, angstvolle Blick, der mich davon abhält, ihm gleich zur Begrüßung in die Fresse zu hauen.

3

Meine Mutter hat den Tisch für ein gemeinsames Abendessen gedeckt. Sie kocht und backt leidenschaftlich gerne, und heute hat sie sich besonders viel Mühe gegeben. Es gibt eine Gemüsesuppe aus frischen Zutaten, an denen sie den ganzen Nachmittag herumgeschnippelt haben muss, außerdem Buletten, Hähnchenflügel, Kartoffelsalat, hart gekochte Eier und zum Abschluss einen noch warmen Apfelkuchen mit Rosinen. Anoki schiebt sich alles systematisch, hungrig und desinteressiert hinter die Kiemen, was man vor ihm aufbaut. Er isst wie jemand, der nicht weiß, wann er das nächste Mal mit einer Mahlzeit rechnen kann, dem das aber gleichzeitig scheißegal ist.

Außerdem hat er keine besonders ausgeprägten Tischmanieren, ich meine, es ist zwar nicht so, dass er rülpst, in den Zähnen bohrt und sich in die Serviette schneuzt, aber er hat mehrfach den Ellbogen auf dem Tisch, und als er ein Stückchen Kuchen mit einem irrtümlich da hineinverirrten Apfelkern erwischt, verzieht er angewidert das Gesicht, stößt einen leisen Ekellaut aus und fischt sich den Kern des Anstoßes mit den bloßen Fingern aus dem Mund, um ihn dann auf dem Tellerrand abzulegen. Ich weiß, wie viel Wert meine Eltern auf ein kniggekonformes Essverhalten legen, deshalb beobachte ich ungläubig, wie bedingungslos meine Mutter Anoki die ganze Zeit anstrahlt, als sei er der Bundespräsident.

Er redet kein Wort, es sei denn, er wird etwas gefragt. Und auch dann zeichnet er sich nicht gerade durch überschäumende Mitteilsamkeit aus. Also ungefähr so:

»Magst du gerne Suppe, Anoki?«

»Mhm. Ganz gerne.«

»Was ist denn dein Lieblingsessen?«

»Pizza.«

»Tatsächlich? Wenn du möchtest, können wir ja morgen Pizza machen.«

»Okay.«

»Hast du schon mal selber Pizza gemacht? Ich meine, den Teig selbst angesetzt und selbst belegt?«

»Nö.«

»Ich kann es dir morgen zeigen, wenn du Lust hast.«

»Mhm.«

Meine Mutter lässt sich ihre Laune durch seine Einsilbigkeit nicht verdrießen, während mein Vater zunehmend gedankenvoller wird. Mir fällt auf, dass er Anoki kaum anschaut, während meine Mutter den Blick nicht von ihm abwenden kann. Echt, sie benimmt sich wie ein verknallter Teenager. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so was Peinliches erlebt habe. Okay, er sieht nicht schlecht aus. Er hat eine klassische, gerade Nase wie eine Statue von Michelangelo und einen verblüffend wohlgeformten Mund mit vollen, sinnlichen Lippen. Aber – na und? Was mich betrifft, so schieße ich ab und zu ein paar scharfe Blicke in seine Richtung ab, die er grundsätzlich erwidert – mit einer Ungerührtheit, die mich ärgert. Wenn er mir in die Augen sieht, dann tut er das nachdenklich, aber gelassen. Ich wünsche mir, dass er Angst vor mir hat. Er soll wissen, dass ich ihn hier nicht haben will. Er weckt in mir allerhand niedere Instinkte, und ich fühle mich ihm haushoch überlegen. Ich habe das Bedürfnis, ihn zu demütigen und aus der Fassung zu bringen.

Bisher habe ich praktisch nicht mit Anoki geredet, außer ein gemurmeltes »Hallo«, aber jetzt kann ich mich nicht länger zurückhalten. Er hat die Mütze abgenommen, und ich starre eine Weile seine chaotischen Dreadlocks an, ehe ich frage: »Wie lange darf man sich die Haare nicht waschen, damit sie so aussehen?«

Darauf sagt er bloß: »Du hast nicht viel Ahnung von Dreads, oder?«

Ich bin geschockt. Was nimmt sich dieser vierzehnjährige Rotzlöffel hier in meinem Elternhaus heraus? Wie redet der mit mir? Noch ehe mir eine vernichtende Antwort einfällt, fährt er fort: »Ich wasch mir die Haare regelmäßig. Also, keine Panik, ich hab kein Ungeziefer auf’m Kopf.«

Hilfesuchend sehe ich zu meiner Mutter rüber, aber die guckt mich nur strafend an: Wie konntest du den armen kleinen Schatz so beleidigen? Okay, ich hab verstanden. Ich bin hier eine Nebenfigur, noch dazu mit einer Schuld, die abzutragen ein einziges Leben nicht ausreicht. Anoki ist ein hilf- und elternloses Mäuslein, das man nur mit Samthandschuhen anzufassen hat, und ich unsensibler Klotzhabe mal wieder voll danebengegriffen. Erst kille ich Benni, und dann attackiere ich noch das Perserkätzchen. Okay! Ich sage kein Wort mehr und kippe stattdessen ein Glas Bier nach dem anderen in mich rein.

4

Das Essen ist beendet, wir gehen rüber ins Wohnzimmer. Die Atmosphäre ist etwas verkrampft und angespannt, weil keiner so richtig weiß, was er sagen soll. Anoki lümmelt in einem Sessel herum, und während meine Mutter den Tisch abräumt, fragt er meinen Vater: »Kann ich hier rauchen?«

Der starrt ihn voller Entsetzen an und räuspert sich ausgiebig. »Ähm, rauchen? Tja, weißt du …« Hilflos wendet er den Kopf in Richtung Esszimmer, aber meine Mutter ist außer Hör- und Sichtweite. »Also, du bist doch erst vierzehn«, versucht er das Problem schließlich allein zu lösen. »Du darfst ja eigentlich noch gar nicht rauchen.«

Anoki zuckt gleichgültig die Achseln. »Ah, okay.« Er unternimmt keinen weiteren Versuch, sich seine Nikotindosis zu verschaffen. Entweder hat er gerade beschlossen, dass er heimlich auf dem Klo rauchen wird, oder er hat die Frage nur gestellt, um meinen Vater zu provozieren.

Der greift jetzt den Faden auf, um überhaupt ein Gespräch in Gang zu bringen. »Wie ist das denn im Heim? Dürft ihr da rauchen?«, erkundigt er sich.

»Nee«, sagt Anoki. Sonst nichts. Er macht das offenbar bewusst und vorsätzlich. Es bereitet ihm vermutlich ein sadistisches Vergnügen, meinen Eltern bei ihren hilflosen Konversationsversuchen zuzusehen.

Ich beschließe, dass ich eingreifen muss, und stelle ihm eine Frage, die hoffentlich zu persönlich ist, um sie mit einem Wort zu beantworten.

»Und deine Eltern sind beide tot?« Tatsächlich geht ein minimaler Ruck durch seinen träge hingegossenen Körper.

»Die sind nicht tot«, sagt er mit einem Hauch von Aggressivität. »Die haben mich bloß vergessen.«

Mein Vater und ich wechseln fragende Blicke, und auch meine Mutter, die gerade reinkommt und ihren Platz auf der Couch einnimmt, macht große Augen.

»Wie meinst du das?«, fragt sie.

Anoki zupft an einem Pflaster an seinem linken Zeigefinger herum. »Na, vergessen eben. Wir waren mit’m Auto unterwegs, weil wir am Umziehen waren, und ich musste pissen. Und als ich vom Klo zurückkam, da waren die weg. Keine Ahnung.« Er hebt vage und etwas unwillig die Schultern und wendet den Blick nicht von seinem Pflaster ab.

Gegen meinen Willen bin ich erschüttert. Was sind denn das für Eltern? Wie kann man denn sein Kind an einem Rastplatz vergessen?

»Und wann war das?«, frage ich mit belegter Stimme.

»So vor vier Jahren ungefähr«, sagt Anoki.

Nach und nach ziehen wir ihm die ganze Geschichte aus der Nase, was mühsam ist und mich viel stärker berührt, als ich möchte. Offenbar hat er zeit seines Lebens mit seinen Eltern in irgendwelchen besetzten Häusern und anarchistischen Wohngemeinschaften gelebt. An diesem Tag vor vier Jahren war gerade mal wieder so ein Haus geräumt worden, und er saß mit seinen Eltern und all ihren Habseligkeiten in einem Auto, auf der Reise zu irgendeinem anderen Ort, wo sie ihre Schlafsäcke ausrollen konnten. Er sagt, es gab keinen Streit oder so was, im Gegenteil, sie haben im Auto Musik gehört und gelacht, und seine Eltern haben Dope geraucht. Da er einen ganzen Liter Cola getrunken hatte, musste er dringend auf die Toilette, also hielten sie an einer Autobahnraststätte an, aber seine Eltern blieben im Wagen, während Anoki die Waschräume aufsuchte. Bei seiner Rückkehr dachte er zuerst, sie hätten das Auto woanders geparkt, und suchte erfolglos die komplette Raststätte ab. Dann stellte er sich an den Platz, wo er sie zuletzt gesehen hatte, und wartete.

Es wurde dunkel. Es fing an zu regnen. Er blieb dort stehen oder hockte sich hin, wenn ihm die Beine wehtaten. Es wurde wieder hell. Gegen Mittag wurde er so hungrig, dass er in die Raststätte reinging und sich was zu essen klaute. Er wurde erwischt, die Polizei kam – und seine Eltern blieben spurlos verschwunden. Also kam er ins Heim. Es ist offensichtlich, dass er glaubt, sie würden ihn irgendwann abholen kommen.

Ich fange an, mich für meine Feindseligkeit zu schämen, obwohl ich ihn immer noch als unerwünschten Fremdkörper empfinde. Diese Story geht mir unter die Haut. Ich habe heftiges Mitleid mit ihm, was es mir unmöglich macht, ihn weiter anzugreifen. Meine Eltern sind völlig aufgelöst. Ich glaube, meine Mutter hat Tränen in den Augen.

»Wie kann man denn so ein zehnjähriges Würmchen einfach stehen lassen«, murmelt sie kopfschüttelnd, »das ist doch unvorstellbar!«

Und mein Vater sieht Anoki jetzt eindringlich an und macht dabei ein trauriges, erschüttertes Gesicht. Ich spüre, dass die Würfel gefallen sind: Nichts kann sie mehr davon abhalten, dieses verlassene Häuflein Mensch in ihr warmes, solides Zuhause aufzunehmen, und am liebsten würden sie ihm infusionsartig all die Liebe und Geborgenheit geben, an der es ihm bisher wohl grundlegend gemangelt hat.

Einen Moment lang überlege ich, ob er die Geschichte nur erfunden hat, um genau diese Wirkung zu erzielen, aber das kommt mir unwahrscheinlich vor. Erstens wird man ja alles in seiner Akte nachlesen können, und zweitens hat er während des Erzählens einiges an Coolness eingebüßt. Er sitzt jetzt mehr zusammengesunken als rüpelhaft in seinem Sessel, und die Hingabe, mit der er die ganze Zeit an seinem Pflaster rumfummelt, sagt einiges über seine innere Bewegtheit aus, dazu muss man kein Menschenkenner sein. Obwohl er mir leidtut, kann ich meine anderen Emotionen wie Eifersucht, Wut und Ablehnung nicht abschalten. Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich zu ihm sagen: »Okay, bist echt ’ne arme Sau, aber jetzt hau ab und lass uns in Ruhe.« Aber die Zeiten sind seit fünf Jahren vorüber. In meinem Elternhaus tue ich nur das, was von mir erwartet wird.

Anoki verdrückt sich aufs Klo, wo er mit Sicherheit seine lang ersehnte Zigarette raucht.

»Ist das nicht grauenhaft?«, sagt meine Mutter zutiefst verstört, als er das Zimmer verlassen hat. »Das arme, arme Kind!«

Mein Vater sieht ihm nachdenklich hinterher und meint: »So eine Geschichte hab ich auch noch nie gehört.« Beider Köpfe drehen sich fast zeitgleich in meine Richtung, und sie sehen mich erwartungsvoll an.

»Ja, echt traurig«, sage ich pflichtgemäß.

5

Nachtmenschen sind meine Eltern nicht gerade. Gegen halb elf können sie ihr Gähnen nicht mehr unterdrücken und signalisieren, dass es Zeit zum Schlafengehen ist. Sie übertragen mir die Aufgabe, Anoki das Bad zu zeigen und ihm Handtücher zu geben. Netter Versuch, das Eis zwischen uns zu brechen. Ich gehe mit ihm hoch und weise ihn kurz in die Gepflogenheiten des Trojan’schen Haushalts ein. Er holt eine kleine Plastiktüte von H&M aus seinem abgeschabten und mit Buttons gepflasterten Rucksack, in der er sein Waschzeug aufbewahrt: Zahnbürste, Aldi-Zahnpasta, einen hellblauen Becher und Duschgel. Irgendwie löst das in mir eine neuerliche Welle von Mitleid aus. Ich hab noch nie jemanden kennengelernt, der nicht wenigstens einen Kulturbeutel besaß – die Dinger kosten doch nur ein paar Euro. Aber für Anoki ist das wahrscheinlich schon ein Vermögen. Aufgrund dieses Anfalls von Mitgefühl gebe ich ihm das flauschigste und dickste Badetuch, das ich im Schrank finde, und er schmiegt ganz kurz seine Wange daran, als sei es ein kostbarer Seidenstoff, was mich abermals unwillentlich rührt. Das wiederum erfüllt mich mit Wut, und ich unterdrücke den Impuls, ihm in den Hintern zu treten.

Natürlich hat meine Mutter ihm Benjamins Bett bezogen. Seit Bennis Tod wurde dieses Zimmer nicht mehr benutzt, nicht mal für Besuch. Es wird regelmäßig sorgfältig sauber gemacht, und wenn ich hier bin, gehe ich rein und bleibe eine Weile drin. Ich setze mich aufs Bett oder an Bennis Schreibtisch, berühre die Dinge, mit denen er sich umgeben hat, bohre die Nase in sein Kissen, betrachte die Fotos an den Wänden, öffne den Kleiderschrank und lasse meine Hand über seine aufgereihten Hemden gleiten. Das ist so etwas wie mein persönlicher Totenkult. Sogar meine Eltern respektieren das und kämen nie auf die Idee, mich dabei zu stören. Und jetzt haben sie diesen wildfremden Bengel hier einquartiert, der vermutlich neugierig in jede Schublade gucken und sich mit seinen dreckigen Stiefeln aufs Bett legen wird.

»Hör mal, das hier ist das Zimmer von meinem Bruder«, warne ich ihn. »Ich möchte nicht, dass du hier irgendwas anfasst oder so, okay?« Anoki konzentriert sich darauf, den Verschluss seines nietenbesetzten Lederarmbands zu öffnen, und antwortet: »Ist es in Ordnung, wenn ich die Nacht über hier stehen bleibe?«

Mir verschlägt es wieder die Sprache.

»Wie ist das denn passiert, dieser Unfall da mit deinem Bruder?«, fragt er dann. Irgendjemand muss ihm schon davon erzählt haben.

Ich schlucke einen Augenblick an meiner Wut herum, dann sage ich: »Ich bin am Steuer eingeschlafen.« Besser, wir machen direkt reinen Tisch. Es hat keinen Sinn, ihm was vorzuspielen oder meine Schuld zu verschweigen; er kriegt es ja sowieso spätestens morgen raus.

Anoki kriegt große Augen. »Du bist gefahren?«, sagt er geschockt.

Ich habe diese Geschichte schon länger niemandem mehr erzählt und merke, dass ich weiche Knie bekomme, weshalb ich mich auf Benjamins Schreibtischstuhl sinken lasse.

»Ja«, sage ich, »und ich hatte sogar was getrunken. Und ich hatte ihn mit in die Disco genommen, obwohl er erst vierzehn war und meine Eltern das ausdrücklich verboten hatten. Ich hab gegen alle Gesetze verstoßen, und deshalb ist er jetzt tot.« Der Schmerz in meiner Kehle ist mir vertraut; ein ständiger Begleiter. Ich sehe Anoki nicht an, daher weiß ich nicht, wie er dieses Bekenntnis aufnimmt, und zunächst gibt er keine Antwort.

Dann sagt er: »Du warst bestimmt so’n großer Bruder, den jeder gern hätte.«

Überrascht hebe ich den Kopf. Er lächelt mich an, ohne Sarkasmus, einfach freundlich. »Wie meinst du das? Ich hab ihn umgebracht«, sage ich. Vielleicht hat er das ja noch nicht kapiert.

Anoki schüttelt leicht den Kopf und antwortet: »’n Scheiß hast du. Du hast den mitgenommen, weil du dem ’ne Freude machen wolltest, oder? Der muss ja total stolz gewesen sein. Mit vierzehn in die Disco – cool!«

So was hat mir noch nie jemand gesagt, in all den Jahren nicht. Eigentlich gab es immer nur zwei mögliche Reaktionen: Mitleid oder Schuldzuweisung. Aber es hat definitiv nie jemand behauptet, ich sei ein vorbildlicher Bruder gewesen. Verunsichert stehe ich auf.

»Ich geh mal rüber in mein Zimmer«, sage ich. »Wenn noch irgendwas sein sollte, kannst du ja klopfen. Ist gleich nebenan.«

Anoki schnürt sich die Stiefel auf und nickt. »Alles klar. Schlaf gut.«

»Ja – du auch«, sage ich und gehe rüber. Ich bin nicht müde, ziehe mich aber trotzdem aus und lege mich aufs Bett, wo ich endlos grüble. Hauptsächlich über Anokis ungewöhnliche Sicht der Dinge.

Es kommt mir so vor, als hätte Benjamins Tod ihn nicht übermäßig betroffen gemacht. Er fand es viel interessanter, was für einen korrekten älteren Bruder er hatte. Damit hat er – auf einer anderen Ebene – so etwas gesagt wie: Na gut, er ist tot, aber er hatte doch ein endgeiles Leben, oder? Das ist irgendwie – tröstlich. Wollte er sich bei mir einschleimen? Aber dazu war er mir gegenüber vorher viel zu gleichgültig. Er scheint keinen Wert darauf zu legen, sich in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. Vielleicht liegt es daran, dass Anoki genau im gleichen Alter ist wie Benni damals, er kann sich also gut in ihn reinversetzen. Sicher wünscht er sich auch manchmal einen großen Bruder, der ihn auf Partys mitnimmt, der ihm Geheimnisse anvertraut, die die Eltern nicht erfahren dürfen, der ihn über das beunruhigende Eigenleben seines Schniepels aufklärt und mit ihm zum Angeln an den See fährt. Während ich das denke, vermisse ich Benjamin mehr als je zuvor. Ich vermisse ihn so sehr, dass mir die Tränen in die Augen schießen.

Kurz bevor ich einschlafe, kommt es mir so vor, als läge ein schwacher Grasgeruch in der Luft.

6

Meine Eltern haben sich für den Samstag ein buntes Entertainment-Programm ausgedacht, damit Anokischätzchen sich nicht langweilt. Zu dessen Durchführung müsste er allerdings allmählich mal aus dem Bett kommen. Um zehn ist von ihm immer noch nichts zu sehen oder zu hören.

»Julian, geh ihn doch mal wecken«, sagt mein Vater zu mir, »sonst ist der Tag ja bald vorbei.«

Gehorsam stiefele ich die Treppe hoch und klopfe an Benjamins Tür. Keine Reaktion. Ich klopfe lauter, im Intervall, ungefähr vier Mal. Dann gehe ich rein.

Anoki liegt auf dem Rücken, hat die Arme hinter dem Kopf verschränkt, guckt zur Decke hoch und raucht. Er würdigt mich keines Blickes.

»Hey, bist du bescheuert?«, schreie ich und entreiße ihm die Zigarette. »Du kannst doch hier drin nicht rauchen, du krankes Arschloch!« Ich drücke sie in dem Aschenbecher auf dem Nachttisch aus, der mindestens zehn weitere Kippen enthält.

»Wieso, Fenster ist doch auf«, meint Anoki, unberührt sowohl von meiner Wortwahl als auch von meinem abrupten Eingriff.

»Das ist nicht der Punkt«, sage ich scharf. »Du bist hier im Zimmer meines Bruders – schon vergessen? Hier drin wird nicht geraucht.«

Anoki mustert mich träge und gibt keine Antwort.

»Los, steh auf«, sage ich, »meine Eltern warten mit dem Frühstück.«

Er guckt wieder hoch an die Decke, als müsse er darüber nachdenken, rappelt sich dann aber mit einem Seufzer hoch und setzt sich auf den Bettrand. Seine Schlafbekleidung ist ein verblichenes schwarzes T-Shirt mit Löchern an den Nähten und ausgeleierte hellgraue Boxershorts.

»Komm runter, wenn du fertig bist«, sage ich im Rausgehen, »und sorg dafür, dass diese Kippen hier verschwinden!«

Eine halbe Stunde später erscheint Anoki im Esszimmer. Er riecht frisch geduscht und ein bisschen nach Rauch, und er isst mit derselben passiven Beharrlichkeit wie gestern Abend. Ich bin fast sicher, wenn man ihm den halbvollen Teller wegzöge, würde er keine Anstalten machen, ihn zurückzuerobern, und wenn man ihm seinen Teller immer wieder nachfüllte, würde er nie aufhören zu essen. Er scheint es gewohnt zu sein, zu funktionieren, ohne viel über sein Tun nachzudenken. Stattdessen geht irgendwas anderes in seinem Köpfchen vor, etwas möglicherweise Beunruhigendes, Subversives oder Gewaltsames, aber davon lässt er nichts nach außen dringen. Na ja. Vielleicht interpretiere ich auch zu viel in ihn rein. Jedenfalls ist er wenig überraschend mit allem einverstanden, was meine Mutter für den Tag geplant hat: als Erstes ein Ausflug zum Kletterturm, danach Pizza backen, anschließend Kino und abends noch ein Bummel über den Martinimarkt. Neidisch frage ich mich im Stillen, wann meine Eltern sich das letzte Mal ein derart pralles Programm für mich ausgedacht haben – vermutlich an meinem fünften Geburtstag. Und dieser verlauste Flegel mit seinem Pussykätzchennamen taucht aus dem Nichts hier auf und …

Beim Klettern erweist sich Anoki als außerordentlich geschickt. Ich komme nicht mal halb so weit wie er. Ohne erkennbare Anstrengung krabbelt er die Wände hoch wie ein Gecko. Pah, er wiegt ja auch höchstens fünfzig Kilo. Trotzdem ärgert es mich. Danach geht es ans Pizzabacken. Ich sehe mir mit meinem Vater ein Fußballspiel im Fernsehen an, während Anoki und meine Mutter in der Küche rumturnen. Sie wird das bestimmt genießen, ihn ganz für sich zu haben.

Nach dem Essen ist die Stimmung ziemlich entspannt, deshalb wage ich, ihn zu fragen: »Deine Eltern, wie sind die denn so?« Ich bin sehr stolz auf die Verwendung des Präsens, das finde ich ungeheuer taktvoll, weil es sich ja sonst so anhören würde, als wären sie tatsächlich tot. Ein paar Atemzüge lang bekomme ich keine Antwort.

Dann sagt Anoki: »Eigentlich ziemlich cool. Als meine Mutter so alt war wie ich, war die schon mit mir schwanger. Und mein Vater war da achtzehn.«

Oha! Da wechselt die gesamte Familie Trojan unbehagliche Blicke. Und mir wird schlagartig klar, warum der Bengel offensichtlich so ein frühreifes Früchtchen ist.

»Ihr findet das abartig, was?«, stellt Anoki mehr oder weniger gefühlsneutral fest. »Hat aber ’ne Menge Vorteile, wenn man so junge Eltern hat. Das sind dann mehr so Geschwister.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe, um die Bemerkung »Ja, und ohne jedes Verantwortungsgefühl« zu unterdrücken.

»Und ihr hattet nie ein richtiges Zuhause?«, fragt meine Mutter mitfühlend.

Anoki zuckt die Achseln. »Home is where the hat is«, sagt er. »Ich hab nichts vermisst.«

»Und jetzt?«, frage ich. »Vermisst du jetzt was?«

Er guckt mich mit einem rätselhaften Blick an und sagt: »Schon mal so’n Heim von innen gesehen?«

Hab ich natürlich nicht. Außerdem fällt mir auf, dass er es mir gegenüber völlig an Respekt fehlen lässt. Egal was ich sage, er geht immer auf Konfrontation. Bei meinen Eltern wagt er das nicht.

Um ihn zu ärgern, wechsle ich das Thema und frage: »Wie sind denn deine Eltern auf die Idee gekommen, dich Anoki zu nennen?«, und ich spreche seinen Namen aus wie etwas Ekliges.

Die Provokation prallt an ihm ab. Stattdessen erklärt er: »Das ist ’n indianischer Name. Bedeutet so viel wie ›Schauspieler‹. Meine Mutter fand Indianer toll.«

»Oh, na ja, das klassische indianische Drama ist ja auch absolute Weltklasse«, sage ich ätzend, wofür ich von meiner Mutter einen Blick wie eine Ohrfeige entgegengeschleudert kriege. Aber ist doch wahr, oder? So eine gequirlte Kacke, als ob die Indianer ein Wort für »Schauspieler« hätten!

»Ich finde den Namen wunderschön«, sagt meine Mutter. »Er klingt so … liebevoll.« Uah, gleich kommt mir die Pizza hoch.

Die Kinovorstellung ist ziemlich entspannend, weil es dunkel ist (ich muss Anoki nicht sehen) und weil er die Klappe hält. Einziger Minuspunkt ist, dass er kontinuierlich geräuschvoll Popcorn mampft, und zwar einen Rieseneimer, ganz alleine. Obwohl er zwischen meinen Eltern sitzt und ich natürlich ganz außen, wie in einer systemischen Familienaufstellung, stört mich das Gekaue. Ich bin allerdings auch ziemlich gereizt, muss ich zugeben. Kurz vor Ende der Vorstellung nehme ich noch mal eine Tablette, immerhin muss ich gleich noch mit dem Bürschchen über den Rummel gehen. Dort verhält er sich dann übrigens erstmals seinem Alter entsprechend. Voller Begeisterung stürzt er sich auf No Limit, Breakdance und wie die übelkeitserregenden Fahrgeschäfte alle heißen, und er ist noch nicht mal ein bisschen blass um die Nase, wenn er nach der dritten Runde strahlend aus dem Sitz springt. Er verschlingt ein Thüringer Rostbratwürstchen, einen kandierten Apfel, drei Kartoffelpuffer und eine Tüte gebrannte Mandeln.

Meine Mutter kauft ihm Lose, und er gewinnt einen riesigen Panther aus Plüsch, zu dem er spontan eine intensive Liebesbeziehung aufbaut. Nur widerwillig überlässt er ihn mir zum Festhalten, während er seine Kreise und Spiralen auf dem Ikarus dreht. Aufs Riesenrad nimmt er ihn mit. Ich klettere ebenfalls mit in die Gondel, während meine Eltern vor dem Kassenhäuschen warten. Von ganz oben hat man einen herrlichen Blick über die nächtliche Stadt und den bunt erleuchteten Martinimarkt.

»Und du bist hier aufgewachsen?«, fragt Anoki, während er die Aussicht genießt.

»Tja. Mit zwanzig bin ich dann zu Hause ausgezogen, nach Berlin«, antworte ich.

»War wahrscheinlich ’n bisschen stressig zu Hause nach dem Unfall«, vermutet Anoki.

Ich nicke nur: tatsächlich war es die reine Hölle. Der leere Platz am Esstisch, die rotgeweinten Augen meiner Mutter, die zusammengesunkene Haltung meines Vaters. Der unausgesprochene Vorwurf. Mörder. Mörder. Mörder. Das verkrampfte Vermeiden jeglicher Themen, die irgendwie im Zusammenhang mit dem Unfall standen. Und mein verzweifeltes Bemühen, es wiedergutzumachen – durch totale Anpassung, durch Kadavergehorsam, durch Unsichtbarmachen. Zu Hause war ich ein Mustersohnroboter, in meinem Freundeskreis dagegen wurde ich zu einem zynischen, gefühlskalten, verbitterten Arschloch. Jedenfalls haben mir das die Ehrlicheren unter ihnen so gesagt, die anderen zogen sich einfach zurück. Meine Freundin Doro hielt es noch drei Monate mit mir aus, ehe sie mich mit den Worten »Du bist ja kein Mensch mehr« in die Wüste schickte.

Natürlich hatte ich gute Gründe, nach Berlin zu ziehen, immerhin arbeitete ich dort, und der lange Fahrweg jeden Tag, und dann war ich inzwischen zwanzig, und es war sowieso an der Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Aber in Wirklichkeit war es bloß eine Flucht. Oder der Versuch einer Flucht, denn auch in Berlin blieb ich der Mörder meines Bruders, nur dass mich nicht mehr so viele Leute umgaben, die das wussten.

»Hast du manchmal Heimweh?«, fragt Anoki.

Heimweh? Nach der Hölle? »Nee. Nie«, sage ich überzeugt.

Er lässt wieder seinen Blick über die Dächer Neuruppins schweifen, und plötzlich wird mir klar, dass er diesen Ort auf seine Tauglichkeit für die eigene Zukunft überprüft. Wenn meine Eltern ihn bei sich aufnehmen – und daran kann schon jetzt kein Zweifel mehr sein –, wird das hier bald seine neue Heimat sein. »Aber so als Kind und Jugendlicher fand ich es hier schon ziemlich geil«, sage ich, obwohl das eigentlich meinen Interessen widerspricht. »Der See so direkt vor der Haustür … im Sommer waren wir fast jeden Tag schwimmen. Man kann bowlen, ins Kino gehen, zum Kletterturm, es gibt eine Skaterbahn, jede Menge Sportvereine … Eigentlich alles da, was man so braucht, außer vielleicht so richtig abgefahrene Klamottenläden, dafür muss man dann doch nach Berlin.«

Anoki hat mir sehr aufmerksam zugehört. »Und die Leute? Wie sind die so?«, fragt er.

»Ich hatte da nie Probleme«, sage ich, obwohl ich bezweifle, dass Anoki dieselbe Erfahrung machen wird. Na ja, ich muss ihm ja nicht direkt Angst einjagen. Er wird es ganz bestimmt schwerer haben als ich, schließlich ist er nicht hier geboren und aufgewachsen, das ist ein entscheidender Nachteil. Aber wenn er sich Mühe gibt – wer weiß, vielleicht werden die Einheimischen seine Enkel oder Urenkel mal als ihresgleichen betrachten. Nachdenklich presst er seinen Plüschpanther an sich, während die Gondel zum letzten Mal abwärts gleitet.

7

Der Abend verläuft ähnlich wie der vorherige, nur dass wir diesmal den Fernseher einschalten. Ab und zu beobachte ich Anoki, der – seinen Panther fest umklammert – im Sessel herumlümmelt. Ich trinke ein paar Flaschen Bier; er hatte die Wahl zwischen Fanta, Sprite und Schweppes und hat sich zielstrebig für Letzteres entschieden, vermutlich weil es deutlich am teuersten ist. Wieder verziehen wir uns so gegen halb elf in unsere Zimmer. Nur wenig später klopft es leise an meine Tür.

»Hast du noch was von dem Bier übrig gelassen?«, fragt Anoki. Er setzt sich unaufgefordert an meinen Schreibtisch, stellt den Aschenbecher dort ab und zündet sich eine Zigarette an. »Holst du mir ’n paar Flaschen rauf?«

Nachdem ich meine Fassung wiedergewonnen habe, sage ich: »Erstens. Mach die Zigarette aus. Zweitens. Alkohol erst ab achtzehn. Drittens. Gute Nacht.«

Er bleibt einfach sitzen und grinst mich liebenswürdig an, so dass ich gezwungen bin aufzustehen, ihm die Zigarette aus der Hand zu nehmen und sie auszudrücken. Dann schleiche ich mich runter und hole zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, von denen ich ihm eine hinstelle, während ich mich mit der anderen aufs Bett setze. Inzwischen hat er sich eine weitere Zigarette angezündet.

»Mit dieser Masche wirst du bei meinen Eltern nicht weit kommen«, sage ich. »Sie haben die Vorstellung, dass ein Kind bescheiden, zuvorkommend, höflich und gut erzogen sein sollte.«

Anoki guckt demonstrativ in jede Ecke meines Zimmers. »Und? Siehst du die hier irgendwo?«

Verdammt, statt ihn zu verprügeln, muss ich lachen. »Ich könnte ihnen ja einen genauen Bericht abliefern«, sage ich.

»Klar. Wirst du aber nicht machen«, entscheidet er selbstbewusst. Nach einer Pause fragt er: »Das mit deinem Bruder, wie lange ist das her?«

»Ziemlich genau fünf Jahre«, antworte ich. »Er war genauso alt wie du jetzt.«

Das lässt Anoki sich eine Weile durch den Kopf gehen, dann sagt er: »Das heißt, ich bin hier der Ersatzmann?«

Ja, so könnte man es wohl nennen. Allerdings fühle ich mich verpflichtet, meine Eltern in Schutz zu nehmen. »Meine Mutter leidet darunter, dass das Haus leer ist«, erkläre ich mit einem Anflug von Strenge. »Sie ist noch ziemlich jung. Sie wollte immer Kinder haben, am liebsten hätte sie vier oder fünf gehabt. Und nun ist gar keiner mehr da.«

Anoki nimmt einen geübten Schluck Bier und fragt dann: »Wie hat der denn ausgesehen? So ähnlich wie ich?«

»Nee, überhaupt nicht«, sage ich. Was bildet der sich ein? Dass meine Eltern sich ein Pflegekind nach der Optik aussuchen? »Benni hat immer viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt«, füge ich bissig hinzu. Anoki lacht nur. Es scheint verflixt schwierig zu sein, ihn zu beleidigen. Aber keine Angst, ich bleibe am Ball. Irgendwann schaff ich’s. Ich nehme das gerahmte Bild von meinem Nachttisch und halte es ihm hin. »Hier. Hätte dir eigentlich schon auffallen müssen. Im ganzen Haus hängen Bilder von ihm.«

Anoki nimmt das Bild entgegen und betrachtet es eine ganze Weile, ehe er es mir wortlos zurückreicht.

In der Zwischenzeit habe ich meinerseits ihn betrachtet, und jetzt frage ich, auf seine Augen deutend: »Sag mal, ist das Kajal?«

Er nickt gleichmütig. »Hat das irgendeinen besonderen Grund, dass du dir das um die Augen schmierst?«, bohre ich weiter. »Ich meine, bist du schwul oder so?«

Er lächelt nachsichtig. »Oder so«, wiederholt er mit mildem Spott. »So’n Quatsch. Das hat doch damit nichts zu tun. Das machen ganz viele, ist dir das noch nie aufgefallen? Bei uns im Heim benutzen manche Jungs sogar Lipgloss. Oder schwarzen Nagellack. Aber das wär nicht so mein Fall.«

Meiner auch nicht. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie es in diesem Tuntenheim wohl zugeht. Aber vielleicht bin ich da auch ein bisschen old-fashioned und das sind alles ganz kernige, knallharte Burschen, die sich lediglich der Segnungen der modernen Kosmetikindustrie bedienen. Anoki macht jedenfalls keinen übermäßig schwuchteligen Eindruck auf mich, wie ich zugeben muss.

Ohne erkennbaren Grund fragt er dann: »Hast du ’ne Freundin?«

Sind solche Gedankensprünge in dem Alter vielleicht normal? Kann mich nicht erinnern. »Jaaa«, sage ich etwas zögerlich, weil ich mir nicht sicher bin, ob man Janine so bezeichnen kann. Eigentlich treffen wir uns nur zum Bumsen, ansonsten haben wir nicht viel gemeinsam – aber das immerhin schon seit fast drei Monaten.

»Wohnst du mit ihr zusammen?«, will Anoki wissen.

»O Gott, nein«, sage ich entsetzt.

Er lächelt und wechselt schon wieder abrupt das Thema: »Was für Sport hast du denn so gemacht, als du noch in Neuruppin gewohnt hast?«

»Alles, was man am Wasser machen kann«, sage ich, »Schwimmen, Segeln, Windsurfen, Rudern.« Er wirkt beeindruckt. »Und du?«, drehe ich jetzt den Spieß um, »was machst du so Sportliches?«

Anoki zuckt die Schultern. »Bisschen Basketball, Volleyball, Fußball und so. Was bei uns eben so angeboten wird. Aber ich würd lieber was anderes machen. Wenn ich Geld hätte, würd ich mir ’n Skateboard kaufen oder wenigstens Inliner. Ja, und Fechten fänd ich toll. Und Kickboxen.«

Anoki hat angefangen, sich eine neue Zigarette zu drehen, und zieht ein kleines Tütchen aus seiner Hosentasche, das eindeutig Dope enthält. Routiniert bröselt er etwas davon in den Tabak, ehe er das Papier zur Rolle formt und zuklebt. Ich wundere mich über seine völlige Hemmungslosigkeit – und sein Vertrauen zu mir. Kaum hat er den Joint angezündet, hält er ihn mir auch schon hin, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, als würden wir seit vielen Jahren jeden Samstag gemeinsam kiffen.

»Wieso glaubst du, dass du damit durchkommst?«, frage ich ihn. »Du trinkst Alkohol und rauchst und konsumierst Drogen und gibst dir nicht mal die Mühe, es zu verbergen. Was macht dich so sicher, dass ich es nicht meinen Eltern sage? Schon einer dieser Punkte würde genügen, dass sie dich augenblicklich zurück ins Heim bringen und sich nie wieder melden.«

Anoki zuckt die Schultern, weil ich seinen Joint nicht entgegennehme, und inhaliert stattdessen selbst tief. »So was würdest du nie tun«, erklärt er mir. »Du bist doch kein spießiger kleiner Verräter.«

»Woher willst du das wissen?«, erkundige ich mich.

»Persönliche Einschätzung«, sagt er, »und weil deine Eltern dir gegenüber ja auch nicht fair sind.«

Ich reiße vor Verblüffung die Augen auf. Dann strecke ich die Hand nach seinem Joint aus.

8

Für den Sonntag steht nicht viel auf dem Programm, aber wieder lässt Anoki die ganze Familie warten. Wecken muss ich ihn heute nicht. Er blockiert bloß das Bad, und zwar weil er inmitten gewaltiger, duftender Schaumberge wohlig in der Wanne döst. Davon kann ich mich selbst überzeugen, denn die Tür hat er nicht abgeschlossen. Ich pralle peinlich berührt zurück, murmele eine Entschuldigung und will in aller Eile den Rückzug antreten, er dagegen lächelt fröhlich und sagt: »Du kannst ja ruhig schon duschen, wenn du willst.« Na ja, so wird das vielleicht im Heim gehandhabt, aber hier bei Trojans haben wir im Bad gerne ein bisschen Privatsphäre.

»Nee, lass mal«, sage ich unbehaglich, »beeil dich lieber. Es ist schon halb zehn.« Um zehn räkelt er sich immer noch im Wasser, das er immer wieder heiß nachfüllt. Vom Schaum ist nicht mehr viel übrig. Mir platzt der Kragen, und ich gehe bei meinen Eltern petzen.

»Ach, lass doch«, sagt meine Mutter weichherzig, »er wird in seinem Leben noch nicht oft so eine Gelegenheit gehabt haben.«

»Na und? Müssen ausgerechnet wir die ihm bieten?«, schnappe ich, muss aber insgeheim zugeben, dass sie recht hat. Eine Kindheit in besetzten Abbruchhäusern, eine Jugend im Heim – vielleicht ist ein Wannenbad für Anoki der Inbegriff von Luxus. Ich kann mir das Leben, das er bisher geführt hat, gar nicht so richtig vorstellen. Leicht beschämt nehme ich meine Klamotten und gehe raus in den Anbau, wo wir noch eine einfache Zweitdusche haben. Für heute wird die auch genügen.

Es ist kalt, aber sonnig, deshalb machen wir nach dem Frühstück einen Spaziergang zum See und bummeln am Bollwerk entlang. Anoki schaut sich alles sehr gründlich an. Ich weiß, was in ihm vorgeht. Er wird die Schule wechseln müssen, seine Kumpels verlieren, muss sich neu positionieren, und noch dazu wird er zum ersten Mal in seinem Leben in einer ganz normalen Familie leben, deren Regeln er erst zu lernen hat.

Ich habe meine Kamera dabei, ohne die ich selten das Haus verlasse, und finde ein paar dankbare Motive: das Glitzern des Wassers, die bogenförmigen Öffnungen der Stadtmauer vor der Klosterkirche. Anoki bleibt mit mir ein bisschen hinter meinen Eltern zurück und beobachtet, wie ich den optimalen Standort wähle. Nachdem ich vier Bilder vom selben Motiv gemacht habe, nur mit unterschiedlichen Brennweiten und Belichtungen, frage ich ihn: »Was meinst du, würde es dir hier gefallen?«

In seinen Augen nimmt die Angst inzwischen einen noch größeren Raum ein. »Keine Ahnung«, sagt er, »ist schon ziemlich anders hier. Ich weiß nicht. So richtig pass ich hier nicht hin, oder?«

»Das ist Quatsch«, sage ich, »man kann sich überall zurechtfinden, wenn’s sein muss.«

Besonders überzeugt wirkt er nicht, und um ihn auf andere Gedanken zu bringen, weise ich ihn an, sich in einen der Mauerbogen zu setzen, und mache ein paar Fotos von ihm. Er setzt sich bereitwillig und sehr professionell in Szene, ohne dabei zu übertreiben: ein Naturtalent.

Meine Eltern fragen ihn allerhand bezüglich der Schule. Anoki ist seit dem Sommer in der siebten Klasse, das heißt, er hat gerade erst von der Grund- auf die Oberschule gewechselt. Seine Noten sind nicht gerade sensationell, wie er zugibt. Seine Lieblingsfächer sind Englisch und Sport, darin ist er ganz gut. Ansonsten – na ja, Deutsch ist eine Katastrophe, und Mathe tendiert auch in diese Richtung. Er hat ein Problem mit Regeln, denke ich bei mir. Meine Eltern sollten sich warm anziehen. Und dann ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es ihnen recht geschieht, wenn er ihr Leben so richtig auf den Kopf stellt, wenn er sie ausnutzt, belügt, betrügt und ins Chaos stürzt, weil sie mir bis heute nicht verziehen haben.

Nach dem Mittagessen packt Anoki seine drei Habseligkeiten in den gammeligen Rucksack, drückt seinen Panther an sich und steigt die Treppe runter, und wie er da so im Wohnzimmer steht, mit diesen ungebändigten Dreads und dem verlorenen Ausdruck seiner Augen, steigt erneut Mitleid in mir hoch wie Fieber. So wie er bei seiner Ankunft ohne Worte Provokation kommuniziert hat, sendet er jetzt Angst aus. Er fürchtet, dass meine Eltern ihn zurückbringen und sagen: »Tja, Anoki, es tut uns leid, aber du passt wohl doch nicht so recht in unsere Familie. Wir werden uns wohl ein anderes Kind aussuchen, nichts für ungut.« Keine Ahnung, warum ich das so genau weiß – es ist, als stünde es in Helvetica fett auf seine Stirn geschrieben.

Ich gehe mit ihm nach draußen und sage: »Hör mal, du hast bestimmt gemerkt, dass meine Eltern ziemlich auf dich abfahren, oder?«

Defensiv presst er den Panther gegen seine Brust, weil er das vermutlich für den Auftakt einer Bedrohung hält. Ihm ist wohl kaum entgangen, dass ich verflucht eifersüchtig bin und eigentlich keinen Wert auf einen neuen kleinen Bruder lege. Aber diesmal irrt er sich: ich will ihn bloß beruhigen, ich will, dass diese Angst aus seinen Augen verschwindet. »Du bist so gut wie gekauft«, sage ich. »Mach dir keine Sorgen. Es sei denn, du findest es hier total scheiße – dann solltest du dir allerdings Sorgen machen.« Zuerst guckt er mich ungläubig an, aber dann heben sich seine Mundwinkel zu einem ganz schüchternen, angedeuteten Lächeln.

9

Noch am selben Abend ruft meine Mutter an. »Und? Was sagst du? Ist er nicht ein Schatz? Wir haben alles klargemacht. Weihnachten wird Anoki schon als neues Familienmitglied mit uns feiern.«

»Ach, schön«, ächze ich bemüht. Jetzt bin ich also nicht nur der Brudermörder, sondern auch noch entthront. Hab ich eigentlich überhaupt noch irgendeine Funktion in der Familie Trojan? Außer der des Sündenbocks? Als hätte meine Mutter meine Gedanken gehört, sagt sie: »Übrigens scheint Anoki dich sehr zu mögen. Er hat auf der Rückfahrt ein paar Mal von dir gesprochen. Es kommt mir so vor, als würde er dich bewundern.« Mich? Wofür denn, für meine Mordmethoden? »Wann zieht er denn bei euch ein?«, frage ich.

»Sobald die Weihnachtsferien angefangen haben«, erklärt meine Mutter. »Dann ist es leichter für ihn mit dem Schulwechsel. Ich melde ihn morgen hier auf der Puschkin-Schule an.« Herrgott, sie lässt wirklich nichts anbrennen. Und das nach einem einzigen Wochenende, an dem Anoki ungefähr hundert Wörter gesprochen hat. Die meisten davon mit mir.

Dieser Gedanke erfüllt mich mit einer gewissen Häme und mit einem merkwürdigen Stolz, und plötzlich sehe ich den Familienzuwachs als Chance. Wer weiß, vielleicht kann ich Anoki zu meinem Verbündeten machen und damit meine Position verbessern! Vielleicht kann ich mich mit ihm gegen meine Eltern zusammenschließen! Es wäre schön, mal wieder nach Hause zu fahren und das Gefühl zu haben, dort willkommen zu sein, ohne Vorwurf, ohne latente Schuldzuweisung, ohne dieses passiv zur Schau getragene Leiden. Anoki hat mit dem Unfall, mit Benjamins Tod nicht das Geringste zu tun. Er ist neutral. Er könnte tatsächlich so etwas wie ein neuer kleiner Bruder werden – jemand, der zu mir aufsieht, der mich bei meinen Eltern verteidigt, der mit mir Dummheiten macht und zu mir hält.

»Das ist wirklich toll«, sage ich mit neu erwachtem Enthusiasmus. »Ich freu mich schon, echt.«

Nach dem Telefonat schalte ich meinen PC ein und schiebe die SD-Karte aus meiner Kamera in den Slot. Ich will die Bilder bearbeiten, die ich am Wochenende gemacht habe. Mein Blick bleibt an den Fotos von Anoki auf der Stadtmauer hängen. Was für ein verflucht fotogener, selbstbewusster kleiner Bengel! Den ganzen Abend bastle ich an diesen vier Bildern herum, ich experimentiere mit Ausschnitten, Helligkeit, Kontrast und weiß der Teufel was. Dann drucke ich das beste davon aus. Ich habe einen wirklich guten, beinahe schon professionellen Fotodrucker – immerhin ist das mehr oder weniger mein einziges Hobby –, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Dieses Kerlchen ist wirklich ein begabtes Model (und ich bin natürlich ein genialer Fotograf). Ich hefte das Bild an meine Pinnwand und nehme mir vor, bei nächster Gelegenheit eine kleine Session mit Anoki zu machen. Dann rufe ich Janine an, und sie ist tatsächlich bereit, noch heute zu mir zu kommen – geil! Vielleicht hat sie’s genauso nötig wie ich.

Die Zeit bis Weihnachten ist eine harte Bewährungsprobe, denn meine Eltern kennen kein anderes Thema mehr als Pussycat Anoki. Sie erzählen mir, wie sie Benjamins Zimmer für ihn herrichten – was mich fast zum Wahnsinn treibt –, dass er jetzt in der Schule angemeldet ist, dass sie ihm zu Weihnachten ein Skateboard schenken wollen, welche Formalitäten mit dem Heim und mit dem Jugendamt zu regeln sind und so weiter, und so fort. Ich rede mit meinem Kumpel Olaf darüber, nachdem wir beide nicht mehr ganz nüchtern sind, aber er sagt bloß: »Mann, stell dich doch nicht so an. Du bist doch längst zu Hause raus, was geht’s dich überhaupt an? Du bist vierundzwanzig, Alter! Irgendwie hab ich das Gefühl, du solltest dich mal ein bisschen von deinen Eltern abnabeln!«

»Na super, vielen Dank«, fauche ich beleidigt, »das mach ich ganz bestimmt, sobald ich endlich das von ihnen bekommen habe, was mir zusteht!«

»Und was soll das sein?«, fragt er etwas gelangweilt.

Ich denke kurz darüber nach. »Wertschätzung«, sage ich dann, »Anerkennung, Zuneigung, Vertrauen, ja, und Absolution. Ich will, dass sie endlich aufhören, mich wie einen Verbrecher zu behandeln.«

Olaf gibt keine Antwort, deshalb hake ich nach einer Pause nach: »Du findest, das ist zu viel verlangt, was?«

Er macht ein verlegenes Gesicht. »Tja, was soll ich sagen … Ich meine, Benni ist ja immer noch tot.«

Diese Worte versetzen mir einen Schock. Ich dachte, Olaf ist mein Freund und steht zu mir. Wenn er schon so was sagt – wie denken dann erst alle anderen? An diesem Abend lasse ich mich so volllaufen, dass ich einen Filmriss habe und nicht mehr weiß, wie ich nach Hause gekommen bin.

Da ich Anoki zwischenzeitlich nicht mehr zu Gesicht kriege und er mich folglich auch nicht mit seinem ängstlichen Blick besänftigen kann, steigere ich mich bis Weihnachten in einen irrwitzigen Hass auf ihn hinein. Ich kann es einfach nicht ertragen, dass er jetzt all das – und noch viel mehr – bekommt, was ich mir fünf Jahre lang erfolglos von meinen Eltern gewünscht habe. Warum? Was hat er dafür geleistet, außer dass er ein bisschen bedröppelt guckt und uns eine zugegeben knallharte Kindheitsgeschichte aufgetischt hat? Qualifiziert ihn das zum verwöhnten Liebling? Er hat doch noch nichts für unsere Familie geleistet! Er hat meinem Vater nicht geholfen, den Anbau zu verputzen, er hat meiner Mutter kein Gedicht zum Geburtstag geschrieben, er hat noch nie den Tisch gedeckt, die Garage aufgeräumt, den Rasen gemäht oder Pfandflaschen weggebracht. Dieses ganze Getue um ihn basiert auf – nichts. Er kriegt es auf Kredit, und ich bezweifle, dass er die Raten bezahlen wird.

Im Gegensatz dazu habe ich mich mein ganzes Leben lang bemüht, ein ordentlicher Trojan zu sein, habe meinen Eltern Liebe und Respekt entgegengebracht, habe mich um alles gekümmert, habe meinen kleinen Bruder durch die Gegend getragen und gehütet – und das ist jetzt der Lohn dafür. Sie holen sich einen Underdog aus dem Heim und geben ihm, was mir zusteht. Also echt, ich kann nicht glauben, dass irgendjemand das in Ordnung findet. Aber ich finde keinen, mit dem ich darüber reden kann.

Eine Woche vor Heiligabend gehe ich Weihnachtseinkäufe machen. Ich besorge ein schönes Seidentuch, einen Radiowecker und einen sündhaft teuren Schirm von Pierre Cardin für meine Mutter, mein Vater bekommt eine funkgesteuerte Wetterstation, seine geliebten dänischen Butterkekse und eine DVD. Zu Hause packe ich die Geschenke in weihnachtliches Papier ein, und dann fällt mir auf, dass ich nichts für Anoki habe. Wut steigt in mir hoch. Nichts liegt mir ferner, als diesem anmaßenden Fratz auch noch Geschenke zu machen, aber ich weiß ganz genau, dass das von mir erwartet wird und dass ich für einen Rieseneklat sorgen würde, wenn ich Heiligabend mit leeren Händen dastünde. Ich sehe die Gesichter meiner Eltern schon vor mir. »Wie kannst du nur so gedankenlos sein, das ist grausam, schau doch, wie enttäuscht er ist, dabei hält er so große Stücke auf dich, blablabla.«

Also ziehe ich am nächsten Tag noch mal los, brodelnd vor Zorn. Am liebsten würde ich ihm ein Briefchen Rasierklingen schenken, dass er sich die Pulsadern damit aufschneiden kann. Ich marschiere lust- und ziellos durch die Fußgängerzone und habe keine Ahnung, was ich für Miezekätzchen holen soll, aber dann komme ich bei Rossmann an einem Regal mit schönen Kulturtaschen vorbei und erinnere mich an seine H&M-Tüte. Okay, das ist es. Ich entscheide mich für eine schwarze Tasche mit großem Reißverschluss und kaufe auch noch ein paar Sachen zum Befüllen: eine elektrische Zahnbürste, Zahnpasta, Wellness-Duschgel, einen Deoroller, Seife mit Lavendelduft in einer passenden Dose und als Investition in die Zukunft Einwegrasierer, Rasierschaum sowie eine Schachtel Kondome. Vielleicht fasst er das Ganze als persönliche Beleidigung auf, so als wollte ich ihm damit ein bisschen Körperpflege nahelegen, dann kann ich es auch nicht ändern. Ich hab’s jedenfalls gut gemeint. Auf dem Rückweg komme ich bei H&M vorbei, und ich denke mir, dass er mit Sicherheit auch was zum Anziehen gebrauchen kann, deshalb suche ich noch eine schwarz-weiß geringelte Sweatjacke mit Reißverschluss und Kapuze für ihn aus. So, jetzt reicht’s aber.