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Der Herzspezialist Umes Arunagirinathan widmet sich in diesem Buch unserem wichtigsten Organ. Auf didaktisch exzellente, zugängliche und persönliche Weise präsentiert er sein Fachwissen und zeigt, was wir tun können, damit unser Herz ein Leben lang im Takt bleibt. 3 Milliarden Schläge, 200 Millionen Liter Blut – so lautet die Bilanz eines Herzens, das 75 Jahre geschlagen hat. Von der vierten embryonalen Woche an ist es aktiv, ein Menschenleben lang. Allein diese wenigen Zahlen zeigen, in welchen Dimensionen wir uns bewegen, wenn wir über das Herz sprechen. Doch obwohl man über die Fähigkeiten dieses Superorgans eigentlich gar nicht genug staunen kann, wissen die meisten Menschen relativ wenig darüber. Sie nehmen es als selbstverständlich hin, dass ihre Pumpe funktioniert. Der Bestsellerautor und Herzspezialist Umes Arunagirinathan erzählt von den erstaunlichen Leistungen unseres wichtigsten Organs – und wie wir es heilen und schützen können. Mit einem Extrakapitel über das weibliche Herz und einem ausführlichen Serviceteil.
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Seitenzahl: 354
Veröffentlichungsjahr: 2024
Dr. med. Umes Arunagirinathan
Die erstaunlichen Leistungen unseres wichtigsten Organs – und wie wir es heilen und schützen können
Der Herzspezialist Umes Arunagirinathan widmet sich in diesem Buch unserem wichtigsten Organ. Auf didaktisch exzellente, zugängliche und persönliche Weise präsentiert er sein Fachwissen und zeigt, was wir tun können, damit unser Herz ein Leben lang im Takt bleibt.
3 Milliarden Schläge, 200 Millionen Liter Blut – so lautet die Bilanz eines Herzens, das 75 Jahre geschlagen hat. Von der vierten embryonalen Woche an ist es aktiv, ein Menschenleben lang. Allein diese wenigen Zahlen zeigen, in welchen Dimensionen wir uns bewegen, wenn wir über das Herz sprechen. Doch obwohl man über die Fähigkeiten dieses Superorgans eigentlich gar nicht genug staunen kann, wissen die meisten Menschen relativ wenig darüber. Sie nehmen es als selbstverständlich hin, dass ihre Pumpe funktioniert. Der Bestsellerautor und Herzspezialist Umes Arunagirinathan erzählt von den erstaunlichen Leistungen unseres wichtigsten Organs – und wie wir es heilen und schützen können.
Mit einem Extrakapitel über das weibliche Herz und einem ausführlichen Serviceteil.
Umes Arunagirinathan wurde 1978 auf Sri Lanka geboren und kam als 13-jähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland. Er studierte in Lübeck Medizin und wurde an der Universität Hamburg promoviert. Nach seiner Assistenzzeit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) arbeitete er in der Klinik für Kardiochirurgie in Bad Neustadt an der Saale sowie an der Charité Berlin. Er ist Facharzt für Herzchirurgie und heute als Funktionsoberarzt im Klinikum Links der Weser in Bremen tätig.
Die Inhalte des vorliegenden Buches geben den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Zeitpunkt der Drucklegung wieder und wurden nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Dennoch kann das Buch keine medizinische Beratung und Diagnose ersetzen.
Mir liegen die Herzen der Männer und der Frauen gleichermaßen am Herzen. Deshalb habe ich auch ein Kapitel zur Gendermedizin und den Unterschieden der Geschlechter in Bezug auf die Herzgesundheit verfasst. Verzichtet habe ich darauf, im Text stets explizit die männliche, die weibliche oder eine diverse Sprachform zur Bezeichnung einer Person zu verwenden. Es wäre sonst einfach zu unübersichtlich geworden. Ich verwende in der Regel das generische Maskulinum. Es ist nicht identisch mit dem biologischen Geschlecht, sondern umfasst alle Geschlechter.
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes habe ich außerdem die Namen der in diesem Buch genannten Patienten geändert.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2024
Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Illustrationen: Melanie Gandyra
Covergestaltung Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Coverabbildung Sughanthy Puvaneswaran
ISBN 978-3-644-01739-9
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Übersichtsgrafik: Das Herz
Übersichtsgrafik: Die Organe des Körpers
1 Mein Herz, mein Traum, mein Leben
2 Im Maschinenraum: So funktioniert das Herz
3 Lebenspartner: das Herz und seine Beziehungen zu anderen Organen
300 Millionen Mal Luft: die Lunge
In doppelter Ausführung, klein und extrem wichtig: die Nieren
Nachwachsender Tausendsassa: die Leber
4 Die wichtigsten Herzerkrankungen
Fast immer mit von der Partie: Bluthochdruck
Der Spitzenreiter: koronare Herzkrankheit
Herzinfarkt: Symptome erkennen – richtig handeln
Scheinbar ohne Vorwarnung: plötzlicher Herztod
Das richtige Maß verloren: Herzrhythmusstörungen
Vielfach unterschätzt: Vorhofflimmern
Ventrikuläre Rhythmusstörung oder: Kammerflimmern
Wenn das Herz zu langsam schlägt
Herzschwäche: wenn die Kraft nachlässt
Herzmuskelentzündung: Gefahr auch für junge Menschen
Herzklappen: im Alter häufig Probleme
Endokarditis: eine tückische Krankheit
Immer ein Notfall: Riss eines Aortenaneurysmas
Entzündungen des Herzbeutels: Perikarditis
5 Heilung, Reparatur, Operation: So treffen Sie eine gute Entscheidung
Diagnostik: die gängigen Verfahren einfach erklärt
Was Sie vor einer Operation wissen sollten
Kunstherz: Wenn das eigene Organ externe Unterstützung braucht
Ultima Ratio: Herztransplantation
6 Herz und Psyche
Auch eine Frage der Hormone: Stress und Angst
Takotsubo oder Wenn das Herz bricht
Psychokardiologie: neue Kombi-Disziplin
7 Die weibliche Perspektive
Der große kleine Unterschied
Frauen und Medikamente
Fazit: Was Frauen tun können
8 Was tut dem Herzen gut?
Die fünf Gesundheitspunkte
Die drei Herzenspunkte
9 Der mündige Patient
Ein hoffentlich gutes Verhältnis: Arzt und Patient
Im Fall des Falles: das richtige Krankenhaus finden
10 Blick in die Zukunft
11 Was ich für mein Herz tue, tue ich für mein Leben
12 Service
Die wichtigsten Medikamente im Überblick
Wer macht was? Berufsgruppen und Berufsfelder kurz beschrieben
Informationsquellen
Anhang
Danksagung
Register
Meinen akademischen Lehrern und meinen Patienten in großer Dankbarkeit gewidmet. Sie haben mich – jeder auf seine Weise – unendlich viel über das Herz gelehrt.
Das menschliche Herz fasziniert mich schon sehr lange, im Grunde seit meinem zehnten Lebensjahr. Ich ging damals in meiner Heimat Sri Lanka in die Schule. Wir lernten die üblichen Dinge wie Schreiben und Rechnen, hatten aber auch ein kreatives Fach, das künstlerisches Gestalten im weiteren Sinne umfasste. Die Note bezog sich seltsamerweise nicht auf die Leistungen des halben Schuljahres, sondern auf ein einziges Werk, das man an einem bestimmten Tag in der Schule anfertigen musste. Die Jungs bastelten meistens einen Drachen, die Mädchen oft Blumen aus Papier. Nun stand dieser Tag der Prüfung wieder bevor, und ich war wild entschlossen, dieses Mal etwas Besonderes zu machen, keinen Drachen, kein Haus im Miniformat, nichts dergleichen. Dieses Mal sollte es etwas ganz Spezielles sein, ein Werk, das nie zuvor jemand an unserer Schule gesehen, geschweige denn angefertigt hatte. Ich wollte ein Herz gestalten, und zwar ein rosafarbenes. Nicht rot, nein, rosa sollte es sein. Ein rosa Herz. Das war mein Plan.
Ich gebe zu, dass meine Idee nicht der Kunst allein diente, sondern dass ich dabei an ein Mädchen aus meiner Klasse dachte. Ich war jedoch nicht in sie verliebt, sondern schlichtweg neidisch auf sie. Sie war die Musterschülerin, und in Kunst bekam sie meist 95 von 100 erreichbaren Punkten, während ich bei 70 oder bestenfalls 80 Punkten herumdümpelte. Ich wollte immer so gut sein wie sie, aber nie hatte ich es geschafft. Jetzt musste es klappen. Ein rosa Herz dürfte nicht zu toppen sein, nicht mal von ihr. Das Material «besorgte» ich mir. Mehl, Puderzucker und ein oder zwei Eier als Bindemittel mopste ich aus der Küche meiner Großmutter, die bei uns für die Versorgung zuständig war. Meinem Vater schwatzte ich ein paar Rupien ab, damit ich in einem kleinen Laden die Lebensmittelfarbe erstehen konnte.
Der Tag kam, ich fühlte mich bestens vorbereitet. Wie man einen Kuchenteig knetete, wusste ich, das hatte ich oft bei meiner Mutter oder meiner Großmutter gesehen. In der Schule breitete ich meine Sachen aus, gab etwas Wasser zu meinem Mehlhäufchen, arbeitete alles gut durch. Doch statt eine klassische runde Torte auszurollen, gab ich meinem Teig eine Herzform, so, wie ich sie in Illustrierten oder auf Glückwunschkarten oft gesehen hatte. Um mich herum entstanden Drachen und Minihäuschen mit Vorgarten – ich formte ein Herz. Von meiner Mission war ich weiterhin absolut überzeugt, obwohl ich genau spürte, dass meine Schulkameraden hin und wieder einen verstohlenen, leicht irritierten Blick zu mir herüberwarfen. Ganz risikolos war mein Unterfangen nicht. Ich musste schon eine ordentliche Portion Mut aufbringen, um so ein außergewöhnliches Projekt durchzuziehen. Wenn es nicht geklappt hätte – das höhnische Gelächter und die gemeinen Bemerkungen über meinen Versuch konnte ich mir lebhaft vorstellen.
Als das Herz die Idealform angenommen hatte, bemalte ich es mit der Farbe aus dem Laden. In Knallrosa, leicht glänzend. Es leuchtete geradezu. Um das Werk vollkommen zu machen, gestaltete ich aus dem restlichen Teig kleine Rosenblüten, die ich ebenfalls rosa bemalte und jeweils in einen Kranz von grünen Blättchen setzte. Diese Wunderwerke drapierte ich um mein Herz herum. Es sah fantastisch aus. Ich war selbst ganz ergriffen von dem, was ich da geschaffen hatte. Und nicht nur ich. Immer mehr Mitschüler versammelten sich um meinen Tisch und beobachteten jeden meiner Handgriffe. Die Lehrerin kam dazu, und sogar die Nachbarn, die an der Schule vorbeigingen, blieben stehen und steckten die Köpfe durch die unverglasten Fenster. Alle staunten über die Idee und über die Kunstfertigkeit, mit der ich sie umgesetzt hatte. Fragen prasselten auf mich ein: «Wie hast du das gemacht?» «Wie bist du auf die Idee gekommen?» «War das nicht unheimlich schwer?» «Hast du vorher geübt?» Kurzum: Mein rosa Herz war eine Sensation! Und ich, ich kam mir vor wie ein Gewinner. Noch nie zuvor hatte ich so gut abgeschnitten wie das Mädchen, das meinen Neid geweckt hatte. Und nun bekam ich sogar eine bessere Bewertung! Doch das Schönste war: Ich hatte erlebt, wie sehr das Herz die Menschen berührt. Die Leute lächelten, wenn sie das Herz sahen. Ich hatte sie erfreut, sie mochten dieses Werk nicht nur, weil es kunstfertig gestaltet war, sondern weil es eben auch ihr eigenes Herz berührte.
Ich glaube, letztlich hatte mich meine Mutter dazu inspiriert, ein Herz anzufertigen. Ich erinnerte mich daran, dass sie ein oder zwei Jahre zuvor für unseren Nachbarn eine Torte in Herzform gebacken hatte. Er wollte damals die Familie seiner Braut besuchen, brauchte ein Geschenk und bat meine Mutter um Hilfe. Im Grunde ging es darum, einen Liebesbeweis anzufertigen. Meine Mutter brachte eine wunderbare mehrschichtige Torte in Herzform zustande, und irgendwie war mir das im Gedächtnis geblieben.
Natürlich dachte ich damals in der Schule noch nicht daran, Herzchirurg zu werden. Aber ich bin überzeugt, dass mein damaliges Erfolgserlebnis Jahre später bei meiner Berufswahl doch eine Rolle spielte. Ich hatte erfahren: Mit dem Herzen eroberst du die Menschen. Heute, in meinem Klinikalltag als Herzchirurg, erlebe ich jeden Tag aufs Neue, dass die Menschen tatsächlich so empfinden. Die Freude und die Dankbarkeit, die mir die Patienten entgegenbringen, wenn ich sie am Herzen operiert habe, sind etwas ganz Besonderes. Sie sind tief empfunden. Zweifellos ist auch jemand, der beispielsweise eine Nierenoperation erfolgreich hinter sich gebracht hat, sehr froh und erleichtert. Aber wenn es sich um das Herz handelt, dann ist etwas anders, die Haltung zu diesem Organ ist viel emotionaler. Es geht um das Leben selbst, auch wenn nur ein Stent gesetzt wurde.
Auf diese Weise auf ein Herzproblem und seine Behebung zu reagieren, ist bemerkenswert, andererseits vollkommen angemessen. Das Herz ist nun mal unser zentrales Organ. Es ist die Pumpe unseres Lebens. Und es ist unabhängig. Das Herz schlägt noch, wenn schon alle anderen Organe gestorben sind. Das Herz braucht nicht einmal das Gehirn. Viele Menschen glauben ja, dass der Herzschlag von irgendeiner Schaltstelle dort initiiert wird. Doch das stimmt nicht. Der Signalgeber befindet sich im Herzen selbst. Es ist also autark oder jedenfalls beinahe.
Der Schrecken, den die Menschen empfinden, wenn sich am Herzen ein Problem bemerkbar macht, und die riesengroße Erleichterung, wenn es «noch mal gut gegangen» ist, zeigen, dass die meisten die Bedeutung dieses Organs intuitiv richtig einschätzen. Dennoch verhält sich die Mehrheit diesem Wunderwerk gegenüber gleichgültig, man kann schon sagen fahrlässig, solange es seine Arbeit ohne zu klagen erledigt. 2022 starben über 358000 Menschen in Deutschland an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das ist mehr als ein Drittel aller Sterbefälle überhaupt. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind damit die Todesursache Nummer eins, nicht wie vielfach angenommen die Krebserkrankungen.[1] Traurig ist, dass so viele Todesfälle «gar nicht nötig» wären. Zum Beispiel ließen sich 80 Prozent aller Herzinfarkte vermeiden, meint der Kardiologe Ulf Landmesser von der Charité in Berlin.[2] Das muss man sich mal klarmachen: Von den jährlich rund 300000 Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden, könnten sich 240000 die Schmerzen, die Angst, die vielleicht bleibenden Beschwerden ersparen. Das Mitleiden der Angehörigen lassen wir dabei mal außen vor, ebenso die gigantischen Kosten, die die Behandlung verursacht. Die meisten Herzinfarkte entstehen durch ungesundes Verhalten, Ignorieren der Warnzeichen und mangelnde Vorsorge – im Umkehrschluss bedeutet das allerdings auch, dass ein Herzinfarkt kein unabwendbares Schicksal sein muss. Das ist die gute Nachricht.
Ich bin Herzchirurg. Ich liebe und bewundere das Herz. Noch nach all den Jahren im Beruf bin ich von seiner Konstruktion und Leistungsfähigkeit begeistert, auch von den Rätseln, die es uns weiterhin aufgibt. Und es tut mir in der Seele weh, wenn ich erleben muss, wie wenig Aufmerksamkeit und Sorgfalt die meisten Menschen ihrem wichtigsten Organ widmen. Mein Ziel besteht darin, den Menschen die Augen zu öffnen und sie dazu zu bewegen, gut zu ihrem Herzen zu sein, herzensgut. Ich finde es absurd, dass wir – Mediziner, Pflegepersonal, die übrigen Beteiligten im Gesundheitswesen und nicht zuletzt die Patienten selbst – so viel Energie und Aufwand in die Reparatur von Schäden stecken, wenn wir doch mit ein bisschen Kümmern einen Großteil der Probleme vermeiden könnten. Das heißt ja nicht, dass wir uns die Freude am guten Leben abtrainieren müssten und nicht mehr über die Stränge schlagen dürften. Im Gegenteil, die Freude am Leben und das Wohlbefinden im Alltag steigern sich, wenn wir halbwegs sicher sein können, dass wir unser Herz gut behandeln und es noch lange seinen Dienst tun kann.
Jeder Patient nimmt vor seiner Operation an einem Aufklärungsgespräch teil. Wenn ich der zuständige Arzt bin, versuche ich immer, das Augenmerk nicht nur auf den bevorstehenden Eingriff zu lenken, sondern auch grundsätzliche Dinge zu besprechen. Was hat die Krankheit verursacht, wie kann man eine Wiederholung oder eine weitere Erkrankung möglichst verhindern? Doch natürlich reicht die Zeit in einem solchen Gespräch meist nicht, um wirklich ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass es sinnvoll ist, das Herz pfleglich zu behandeln und gesund zu erhalten. Außerdem sitzen mir natürlich nur kranke Menschen gegenüber, sonst wären sie ja gar nicht in der Klinik. Sie sind fokussiert auf das Nächstliegende, also den bevorstehenden Eingriff, und vielleicht noch auf die anschließende Reha-Maßnahme. Meine Aufgabe als Arzt sehe ich aber nicht nur darin, für kranke Menschen zu sorgen und beschädigte Herzen so weit wie möglich zu reparieren. Ich möchte vor allem, dass die Menschen gesund bleiben. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Es ist meine Liebeserklärung an das Organ, das mich schon so lange beschäftigt und fasziniert. Ich möchte, dass sich meine Leidenschaft für das Herz überträgt und jeder Einzelne weiß, welchen Schatz er in sich trägt. Damit er gut darauf aufpasst.
Es wäre wunderbar, wenn weniger Menschen herzkrank werden. Das ist möglich, davon bin ich fest überzeugt. Denn sich verantwortungsbewusst zu verhalten ist nicht schwer. Ich liefere hier die Basisinformationen, damit jeder besser versteht, wie das Herz funktioniert und was ihm guttut. Außerdem kläre ich über die wichtigsten bzw. häufigsten Herzkrankheiten und ihre Behandlung auf, für den Fall, dass es doch zu einer Erkrankung kommt oder jemand in der Familie betroffen ist. Ein medizinisches Fachbuch sollte es nicht werden, jedoch die relevanten Informationen enthalten, die dabei helfen, Nachteile für das Herz zu vermeiden. Für den Fall einer Erkrankung soll es dem Leser und der Leserin nützen, um im Gespräch mit den Ärzten die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten einigermaßen sicher einordnen zu können. Denn das ist meine Vorstellung von einem mündigen Patienten: dass er weiß, was auf ihn zukommt und in seinem Körper geschieht, und seine eigene Entscheidung treffen kann.
Ich bemühe mich um eine klare Sprache und vermeide den Medizinerjargon so gut es eben geht. Ganz ohne Fachbegriffe kommt man aber nicht aus. Sie zu benutzen dient der Genauigkeit, außerdem tauchen sie im Gespräch mit den Ärzten ebenfalls immer wieder auf. Es ist also sinnvoll, sie zu kennen. Ich erläutere sie an Ort und Stelle. In den Quellenhinweisen befindet sich tatsächlich nur das: die Quelle eines Zitats oder einer Zahl. Es wird dort nichts weiter vertieft oder debattiert, sondern sie dienen lediglich dem Nachweis, dass ich nichts erfunden habe. Die Quellenhinweise sind also nur von Interesse, wenn man sich selbst einen größeren Zusammenhang erarbeiten und zur Vertiefung dort nachschauen will. In allen anderen Fällen kann man über die Fußnotenziffern einfach hinweglesen, ohne sich stören zu lassen oder Sorge zu haben, etwas zu verpassen.
In vielen, wenn nicht nahezu allen Kulturen steht das Herz sinnbildlich für das Leben, für die Liebe, für Emotionen überhaupt. Ein heißes oder kaltes Herz, ein kleines, zaghaftes, ein brechendes oder vor Freude hüpfendes Herz, ein lachendes, springendes oder strahlendes Herz, wie man in meiner Muttersprache Tamil sagt … Man könnte Seiten füllen mit interessanten Redewendungen aus den Sprachen der Welt, die uns vor allem eins verdeutlichen: Das Herz ist das Zentrum unseres Menschseins, die Mitte unseres eigenen Lebens und das Organ, das uns mit anderen Menschen verbindet. Deshalb sollten wir uns darum kümmern und es so lang wie möglich gesund erhalten. Ich helfe Ihnen dabei. Los geht’s!
Bei aller Emotionalität: Das Herz ist vor allem ein Hochleistungszentrum. Es fängt bereits im Embryonalzustand an zu schlagen, ab dem 22. Tag des Lebens. In der sechsten Schwangerschaftswoche ist das Herz des Embryos schon so weit ausgebildet, dass man es auf einem Ultraschallbild erkennen kann. Bei einem normal gebauten Erwachsenen sorgt das Herz dafür, dass pro Minute sechs Liter Blut durch den Körper gepumpt werden. Wir nennen die Menge, die das Herz in einer bestimmten Zeit pumpen kann, meistens in einer Minute, Herzzeitvolumen. In einer 24-Stunden-Schicht summiert sich die Pumpleistung auf 7000 Liter, in einem durchschnittlichen Menschenleben sind es 250 Millionen Liter – ununterbrochen, Tag und Nacht, ohne auch nur einmal eine Pause einzulegen. Es dürfte nicht viele Erzeugnisse der Ingenieurskunst auf der Welt geben, die so etwas schaffen.
Das Herz ist ein komplexes Organ, seine Beziehungen zu anderen Organen sind äußerst vielfältig. Ich beschreibe hier nur die Dinge, die für einen Laien wichtig sind. Denn wenn Sie die Funktionsweise des Herzens besser verstehen, können Sie besser nachvollziehen, wie Erkrankungen entstehen. Sie können die Symptome möglicherweise früher erkennen und wissen auch, was Sie tun können, um die Herzgesundheit zu fördern, bzw. unterlassen sollten, um dem Herzen nicht zu schaden.
Mein Herz damals in der Schule war die idealisierte, symbolische Form des Herzens. Weltweit identifizieren die Menschen die geschwungene Linie mit der tiefen Einkerbung oben und der Spitze unten. Jeder, der das sieht, weiß: Hier ist das Herz gemeint. In der Realität sieht es natürlich ganz anders als auf Bildchen und Stickern aus. Es hat zwar auch eine Spitze, aber insgesamt ähnelt die Form eher einer aufrecht stehenden, leicht gekippt dargestellten Mango. Das Herz ist um ungefähr 40 Grad geneigt und befindet sich zum größten Teil in der linken Seite des Brustkorbs, etwas gedreht. In sehr seltenen Fällen kann es auch rechts positioniert sein. Das Brustbein, die Rippen, die beiden Lungenflügel und das Zwerchfell umgeben das Herz, sodass es – zumindest im Alltag – gut geschützt ist. Vor allem oben gehen einige große Gefäße ab bzw. führen ins Herz hinein: Hauptschlagader, Lungenschlagader und -vene, obere und untere Hohlvene. Es ist ein komplexes, verzweigtes System von Zu- und Abflüssen. Eine vereinfachte Darstellung finden Sie in der vorderen Umschlagklappe.
Das Herz wiegt rund 300 Gramm, gerade mal etwas mehr als eine kleine Tüte Zucker. Wenn man bedenkt, wie viel Leistung es bringt, erscheint es doch erstaunlich klein, es ist nämlich nur ungefähr faustgroß. Die Leber ist im Vergleich dazu ein anderes Kaliber: dreimal so groß und fünfmal so schwer. Bei Sportlern kann das Herz größer und schwerer sein als im Normalfall, es pumpt dann mit einem Schlag deutlich mehr Blut durch den Körper als das normale Herz, die Pulsfrequenz ist entsprechend niedriger.
Im Wesentlichen ist das Herz ein Muskel, aber anders als beispielsweise die Wade weist die Herzmuskulatur Eigenschaften der glatten und der quer gestreiften Muskulatur auf. Das Herz ist ein Hohlmuskel, ebenso wie die Speiseröhre, die Gebärmutter und der Magen. Das Herz ist quasi eine Fabrik, die nonstop arbeitet. Es umfasst viele Räume, von denen jeder eine bestimmte Aufgabe hat. Wir reden zwar immer von einem Herzen, aber im Grunde sind es zwei, ein linkes und ein rechtes Herz. Eine Scheidewand trennt die beiden Herzhälften. Jede Herzhälfte hat zwei Kammern: eine Hauptkammer und einen kleineren Vorhof. Im Vorhof wird das Blut gesammelt, die Kammer saugt das Blut an und presst es in den Körper- bzw. Lungenkreislauf zurück.
Wir sagen ja in der Regel, dass das Herz «schlägt», aber passender wäre es, die Pumpfunktion in den Vordergrund zu stellen. Das Pumpen scheint mir eine deutlich komplexere Aktivität zu sein als das Schlagen. Die linke Hälfte pumpt sauerstoffreiches Blut durch den Körper, die rechte nimmt sauerstoffarmes, «verbrauchtes» Blut auf und leitet es an den Lungenkreislauf weiter, in dem es wieder mit Sauerstoff angereichert wird. Denn die Hauptaufgabe des Herzens besteht darin, den Körper, auch sich selbst, mit sauerstoffreichem Blut zu versorgen und so kräftig zu pumpen, dass es bis zu der am weitesten entfernten Stelle gelangt, bis zum großen Zeh. Sauerstoff ist die Energie, die jedes Organ, jede Faser unseres Körpers benötigt. Der Sauerstoff wird über das Blut an seinen Bestimmungsort transportiert. Ist er dort abgegeben, wird das Blut wieder zurückgeleitet, um erneut angereichert zu werden. Das alles im Fluss, ohne irgendwo zu stoppen. Es ist eine Art ewiger Kreislauf, der hier stattfindet. Es ist das Leben selbst. Wenn dieser Kreislauf behindert oder gar unterbrochen wird, sind die Folgen massiv.
Wie bei der öffentlichen Trinkwasserversorgung, bei Fahrradreifen und zahllosen anderen Anwendungen, so auch beim Herzen: Ohne Ventile würde es nicht funktionieren. Die Herzklappen, die wie Ventile aufgebaut sind, müssen Gegensätzliches leisten: einerseits etwas gut verschließen, andererseits den Fluss nicht behindern und sich geschmeidig öffnen. Jede Klappe liefert Höchstleistungen, rund 60- bis 90-mal pro Minute öffnet bzw. schließt sie sich, 100000-mal am Tag. Eine extreme Beanspruchung! Herzklappenerkrankungen sind deshalb nicht ungewöhnlich, kein Wunder bei der Belastung. Insbesondere bei älteren Menschen kommen sie vor.
Die Klappen sorgen dafür, dass das Blut in die richtige Richtung fließt und nichts zurückkommt. Wir haben insgesamt vier Klappen, zwei äußere an den Ausgängen des Herzens und zwei innere. Die äußeren sind die Aortenklappe, die den Blutfluss von der linken Herzkammer in die Aorta kontrolliert, und die Pulmonalklappe, die den Zugang von der rechten Herzkammer in die Lungenarterie steuert. Die beiden inneren sind die Mitralklappe, die zwischen dem linken Vorhof und der linken Herzkammer sitzt, und die Trikuspidalklappe, die den rechten Vorhof von der rechten Herzkammer trennt. Wenn der Arzt die Herztöne mit dem Stethoskop abhört, dann handelt es sich um die Geräusche der sich schließenden Klappen und der Muskulatur der Kammern.
Die Bezeichnungen der Klappen behält man anfangs schwer. Das ging mir im Studium auch so. Es hilft, wenn man sich die Herkunft mancher Wörter klarmacht.
Mitralklappe: Sie erinnert in der Form an eine Bischofsmütze, eine Mitra. Daher stammt ihr Name. Sie hat zwei Segel.
Trikuspidalklappe: Hier sind zwei lateinische Wörter enthalten. «Tri» für «drei» und «cuspis» für «Segel».
Dass sich die Herzklappen öffnen und schließen, beruht auf den unterschiedlichen Druckverhältnissen zwischen den Vorhöfen, den Herzkammern und den großen Gefäßen. Sind die Herzkammern mit Blut gefüllt, steigt der Druck, und die beiden Klappen an den Eingängen zur Herzkammer verschließen sich, sodass kein Blut in den Vorhof zurückfließen kann. Nun steigt der Druck in den Kammern weiter, sodass sich die Klappen öffnen, die bis dahin die Lungen- und Hauptschlagader verschlossen haben. Das verbrauchte Blut fließt in den Lungen-, das frische Blut in den Körperkreislauf. Wenn die Kammern nahezu geleert sind, entspannt sich die Muskulatur, und die Klappen fallen zu. Dann geht alles wieder von vorn los. Wie gesagt, 60- bis 90-mal pro Minute. Ich finde den Vorgang für sich genommen schon faszinierend. Aber dass parallel zwei im Grunde verschiedene Abläufe aufrechterhalten werden, die einander nicht behindern dürfen, das ist Technik vom Allerfeinsten. Die Spannungsphase nennt man übrigens Systole, die Entspannungsphase Diastole. Man kennt das vom Blutdruckmessen. Der obere Wert bezeichnet den Druck während der Spannungsphase, der untere Wert den Druck während der Entspannungsphase. Wie wichtig ein guter Blutdruck ist, wie Sie richtig messen und was die Werte aussagen, lesen Sie ab Seite 42.
Das Herz versorgt die Organe und das Gewebe des Körpers, aber um diese Leistung bringen zu können, muss es sich auch selbst versorgen. Es benötigt Sauerstoff und Nährstoffe. Die werden über die Herzkranzgefäße herbeigeschafft. Dabei handelt es sich um zwei große (Koronar-)Arterien, die sich wiederum in viele kleine Gefäße verzweigen und eben wie ein Kranz oder ein Netz das Herz umhüllen. Wird die Versorgung gestört oder gar unterbrochen, etwa weil ein Herzkranzgefäß verstopft ist, kann es zu einem Herzinfarkt kommen. Welche Symptome darauf hindeuten können, lesen Sie ab Seite 76.
Sind die Zuflüsse offen und genügend Nährstoffe vorhanden, dann schlägt das Herz immer weiter, sogar ohne dazugehörigen Körper. Ich hatte schon erwähnt, dass es weitgehend autonom ist. Wir können uns diese Eigenschaft bei den großen Herzoperationen, insbesondere bei den Transplantationen, zunutze machen. Nehmen wir das Herz aus dem Körper und legen es in eine Nährlösung, dann schlägt es weiter – für manchen vielleicht eine befremdliche Erscheinung, für mich eins der vielen Wunder rund ums Herz.
Die Herzkranzgefäße, die sowohl oberflächlich als auch durch den Herzmuskel verlaufen und das Herz mit Sauerstoff versorgen
Ein weiterer Garant der Autonomie ist der Sinusknoten. Er gibt den Takt vor, in dem das Herz schlägt. Das Herz wird nämlich nicht, wie sonst fast alles andere im Körper, vom Gehirn gesteuert, sondern hat seine eigene Schaltzentrale. Der Sinusknoten, eine kleine gelbliche Ansammlung von Muskelzellen oben im rechten Vorhof, setzt eine elektrische Reizung in Gang, die dazu führt, dass sich die Herzmuskelzellen anspannen und entspannen, dass also gepumpt wird. Normalerweise handelt es sich um 60 bis 80 Impulse in der Minute, unsere Herzfrequenz. Bei starker Anstrengung, Fieber oder emotionaler Erregung steigt sie. Bewusst steuern lässt sich die Frequenz nicht, allerdings beeinflusst der Sympathikus, ein Teil unseres vegetativen Nervensystems, die Arbeit des Sinusknotens. Der Sympathikus ist dafür da, dass in bedrohlichen Situationen der Körper in Alarmbereitschaft geht und höhere Anstrengungen bewältigen kann. Das heißt, wenn ich von einem Hund gejagt werde oder wenn ich in einer Prüfung mehr Leistung bringen soll, dann brauche ich sehr viel Energie, und zwar sofort. Das Herz muss schneller schlagen, und deshalb schickt der Sinusknoten mehr Impulse.
Das elektrische Leitungssystem innerhalb des Herzens
Die Weiterleitung der Impulse in die Herzkammern besorgt der AV-Knoten, kurz für «Atrioventrikular-Knoten». Er befindet sich ungefähr in der Mitte des Herzens. Die Impulse des Sinusknotens gibt er über sogenannte His-Bündel weiter. Das sind spezielle Muskelzellen an der Herzscheidewand, die sich in dünne Fasern verzweigen und die Impulse in beide Herzkammern weiterleiten, sodass das Pumpen beginnt bzw. in Gang gehalten wird. Das alles geschieht blitzschnell. Normalerweise dauert es nur 60 Millisekunden, bis ein Impuls vom Sinusknoten den AV-Knoten erreicht.
Anatomisch korrekt beschrieben wurde das Herz bereits im Mittelalter, von dem arabischen Mediziner Ibn an-Nafis. Doch erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Funktion des Sinusknotens richtig erkannt und damit der Beweis für die Theorie geliefert, dass das Herz aus eigener Kraft schlägt. Entscheidend dafür waren im 19. und 20. Jahrhundert die Forschungen von Johann Purkinje, Wilhelm His und Tawara Sunao. Aufgrund ihrer Vorarbeiten entdeckten 1907 Arthur Keith und Martin Flack die Zellsammlung, die den rhythmischen Impuls für die Bewegung des Herzens auslöst, den Sinusknoten. Den Forschern Purkinje, His und Tawara zu Ehren hat man verschiedene Stellen der Stromerzeugung und -weiterleitung im Herzen nach ihnen benannt.
Ohne Strom läuft also nichts, das ganze System des Herzens würde zusammenbrechen. Deshalb gibt es für die Funktion des Sinusknotens sogar mehrere Sicherheitseinrichtungen. Im äußersten Notfall könnte der AV-Knoten selbst elektrische Impulse produzieren, allerdings nicht so viele wie der Sinusknoten, sondern nur rund 50 pro Minute. Und sollte es dort auch ein Problem geben, springt das His-Bündel ein, allerdings mit nur noch 40 Impulsen pro Minute, das reicht gerade eben aus, um das Herz in Gang zu halten.
Wenn der Sinusknoten seine Arbeit tut, bemerkt man nichts davon. Dass das Herz in einem guten, der Situation angemessenen und gleichmäßigen Rhythmus schlägt, halten wir für normal. Wir achten gar nicht darauf. Manche Menschen spüren, wie ihr Herz schlägt, die Mehrheit bekommt es aber nur mit, wenn es Schwierigkeiten gibt. Herzrhythmusprobleme gehören dazu. Denn trotz der mehrfachen Absicherung ist die Elektrik des Herzens störanfällig, etwa wenn die Herzkranzgefäße verengt sind und das Herz nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt wird. Auch ein Herzklappenfehler, beispielsweise eine Undichtigkeit der Mitralklappe, kann zu Rhythmusstörungen führen, weil sich der linke Vorhof vergrößert. Oder wenn Übergewicht die Arbeit des Herzens erschwert. Oft bemerkt man Störungen des Herzrhythmus zunächst nicht.
Sooft ich ein Herz sehe, also beinahe jeden Tag, werde ich ganz ehrfürchtig vor diesem filigranen, trotzdem kräftigen und hochleistungsfähigen Organ. Schon die kurze Skizze der «Hauptbestandteile» zeigt ja, was alles drinsteckt. Und das sind wirklich nur die wenigen Dinge, die man als informierter Laie wissen sollte. Es fällt sicher nicht ganz leicht, sich das alles vorzustellen. Als ich während des Studiums im Anatomiekurs das erste Mal ein echtes Herz in der Hand hielt, hat mich der Anblick total überrascht. Natürlich hatte ich mir die Abbildungen und Schemata im Lehrbuch angeschaut, aber das ist etwas anderes, als das Herz tatsächlich vor sich zu haben. Ich merkte, dass ich immer noch an der Vorstellung der romantischen Herzform (in Rosa) festgehalten hatte. Es dauerte eine Weile, bis ich davon wegkam. Wenn ich heute das Aufklärungsgespräch mit Patienten führe, denke ich stets daran, dass es ihnen wahrscheinlich nicht anders geht als mir damals. Deshalb beginne ich meist mit dem Versprechen, dass ich ihnen dabei helfen werde, Licht in die Kammern ihres Herzens zu bringen. Damit sie sich orientieren und wissen, wo ihr Problem sitzt und wie wir es hoffentlich lösen können. So finden sie den Weg, um die richtige Entscheidung treffen zu können.
«Wenn das Herz krank ist, dann erkrankt der ganze Mensch!» Das ist einer der wichtigsten Lehrsätze aus meinem Studium, jenseits aller fachlichen Erkenntnisse. Es ist eigentlich simple Logik: Wenn das Herz für den Körper eine so zentrale Rolle spielt, weil es über seine Pumpleistung den Sauerstoff und die Nährstoffe mit dem Blut an die richtigen Stellen bringt, dann gerät das System eben auch sofort ins Wanken, wenn das Herz nicht gut funktioniert.
Jedes Organ ist abhängig vom Herzen. Alles braucht Sauerstoff, die Haut, die Haare, die Augen, das Gehirn, die Leber – einfach alles, was unseren Körper ausmacht, hängt von einem funktionierenden Herzen ab. Schwächelt das Herz, dann schwächelt es überall. Man kann nicht klar denken, wenn das Gehirn nicht gut durchblutet ist. Arbeitet die Niere wegen einer mangelhaften Durchblutung nicht gut, dann werden die Schadstoffe nicht ausgeschieden. Und wenn Kalium zum Beispiel nicht entsorgt wird, dann kann es zum Herzstillstand kommen. Es entsteht also ein Teufelskreis: Arbeitet das Herz nicht gut, dann funktionieren die Organe nicht mehr richtig. Und wenn die Organe nicht mehr richtig funktionieren, belasten sie wiederum das Herz. Es ist ein sich selbst beschleunigender Niedergang. Ich werde in diesem Kapitel nicht die 80 Organe und elf Organsysteme behandeln, die wir haben. Obwohl beispielsweise der Darm als größtes Organ und die Bauchspeicheldrüse auch interessante Themen wären. Stattdessen beschränke ich mich auf die drei großen Spieler Lunge, Niere sowie Leber und ihre Beziehung zum Herzen. Ihre Bedeutung erkennt man unter anderem daran, dass rund die Hälfte des Bluts für die Versorgung von Niere und Leber benötigt wird, 20 bis 25 Prozent für die Niere, 25 Prozent für die Leber. Diese drei Organe bzw. ihre Beziehung zum Herzen sind die «Baustellen», die uns im Hinblick auf die Herzgesundheit am meisten beschäftigen. Für unsere Gesundheit ist es essenziell, dass das Zusammenspiel des Herzens mit diesen Organen reibungslos funktioniert. Zur besseren Orientierung finden Sie in der hinteren Umschlagklappe dieses Buches die Abbildung eines gläsernen Menschen. Sie kann Ihnen dabei helfen, einen Überblick über die Organe und deren Zusammenspiel in Ihrem Körper zu gewinnen.
Falls Sie sich wundern, dass ich die Beziehung zum Gehirn nicht thematisiere: Das Gehirn ist natürlich die zentrale Schaltstelle unseres Körpers. Aber für die Aufrechterhaltung des Herz-Kreislauf-Systems nicht so bedeutend. Herz und Gehirn stehen zwar in ständiger Verbindung miteinander, doch die «lebensrelevanten» Beziehungen unterhält das Herz im Wesentlichen mit anderen Organen. Und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Herz und Gehirn ist auch klar: Wenn das Gehirn tot ist, dann stirbt das Herz deshalb nicht unbedingt, wenn die Lunge funktioniert. Wenn aber das Herz nicht mehr schlägt, dann stirbt das Gehirn auf jeden Fall, und zwar schnell: Innerhalb von drei Minuten ohne Blutzufluss beginnen die Gehirnzellen abzusterben. Nach zehn Minuten ist ein Großteil der Gehirnzellen tot.
Dass die Organe miteinander «kommunizieren», leuchtet jedem ein. Dennoch gerät dieser Austausch manchmal aus dem Blick, weil in unserem Gesundheitssystem lauter Spezialisten arbeiten. Und die Spezialisierung nimmt weiter zu, sodass sich Ärzte auf immer kleinere Gebiete ausrichten. Das kann im Einzelfall vorteilhaft sein, aber ich habe doch den Eindruck, dass uns der Mensch und seine Gesundheit als Ganzes, als Zusammenspiel der verschiedenen Organe, Gewebe, Gefäße usw., verloren gehen, wenn wir nur noch die kleinsten Gebiete betrachten.
Der Einzige, der noch einen Überblick haben kann, ist der niedergelassene Allgemeinmediziner, also der Hausarzt. Er betrachtet den Menschen als Einheit, nicht nur als «Bluthochdruck» oder «Nierenstein». Im Idealfall begleitet er seinen Patienten schon länger. Das heißt, er kann Veränderungen und ihre Bedeutung einschätzen, weiß gegebenenfalls auch von sozialen oder familiären Ereignissen, die sich auf die Gesundheit auswirken können, wenn auch vielleicht nur vorübergehend. So eine Gesamtschau ist etwas vollkommen anderes, als nur auf isolierte Werte und Momentaufnahmen zu blicken und sie – oft ohne Kontext – zu interpretieren.
Der Spezialist sollte erst dann ins Spiel kommen, wenn dem Hausarzt etwas auffällt. Ich kann das so unbefangen sagen, weil ich ja selbst Spezialist bin. Wenn Patienten zu mir kommen, fokussiere ich mich auf ihr Herz, der Hausarzt betrachtet das große Ganze. Er hat in seiner internistischen Ausbildung Organlehre studiert, das heißt, er schaut sich das Herz als ein Organ von vielen an und holt bei Bedarf zusätzlich die Meinung von Kardiologen, Neurologen, Lungenfachärzten, vielleicht auch Psychologen oder anderen ein. Daraus zieht er seine Schlüsse, die er mit dem Patienten bespricht, und gegebenenfalls überweist er ihn an einen Facharzt.
Die Wahl des Arztes steht einem Patienten grundsätzlich frei. In diesem Rahmen müssen die gesetzlichen Krankenkassen seit 2004 ihren Mitgliedern spezielle Hausarztmodelle anbieten, auch «hausarztzentrierte Versorgung» genannt. In der Regel stellt Ihre Krankenkasse Informationen über das Modell, die Teilnahmevoraussetzungen und Vorteile auf ihrer Webseite zur Verfügung. Wer sich diesem Modell anschließt, verpflichtet sich dazu, bei Beschwerden oder Fragen immer zuerst den Hausarzt aufzusuchen. Die Versicherten, die eine solche Vereinbarung schließen, erhalten dafür einen besonders günstigen Tarif, einen Bonus, Sachprämien oder Ähnliches. Ein Termin beim Gynäkologen, Augenarzt oder Zahnarzt ist aus dem Modell ausgeklammert. Mit dem Hausarztmodell will man die Versorgung besser koordinieren und Doppeluntersuchungen vermeiden. Fachärzte sollen entlastet und Probleme durch Übermedikation verringert oder ganz ausgeschlossen werden. Erstaunlich viele Menschen wissen nicht, welche Arzneien sie wofür oder wogegen nehmen und wie diese sich möglicherweise gegenseitig behindern oder verstärken. Ihre Ärzte wissen es auch nicht, weil sie nichts von den Kollegen wissen, zu denen ihre Patienten außerdem gehen. Das Problem könnte mit der Hausarztversorgung verringert werden. Wie viele Versicherte einen Vertrag geschlossen haben, ist nicht ganz klar, für 2019 rechnete man mit 5,4 Millionen Teilnehmern. Das könnten noch mehr sein, meine ich. Regional sind die Unterschiede sehr groß, Vorreiter ist Baden-Württemberg.[3] Das Bundesland hat außerdem eine Evaluation auf Basis der Routinedaten der AOK Baden-Württemberg für die Jahre 2011 bis 2018 vorgelegt. Die Ergebnisse sind durchweg erfreulich. Die durchschnittlichen Krankenhausaufnahmen gingen entscheidend zurück.
Viele Patienten sparen sich leider den Termin beim Hausarzt und suchen direkt den Facharzt auf. Der schaut dann aber meist auf «sein» Organ. Und wahrscheinlich findet er etwas, das abweicht von der Norm, einfach weil die meisten Menschen an irgendeiner Stelle von der Norm abweichen. Ob das krankhaft sein muss, ist eine ganz andere Frage. Und selbst wenn ja, ist die eigentliche Ursache damit noch längst nicht geklärt. Deshalb, bevor ich auf die Beziehungen des Herzens zu anderen Organen eingehe, mein eindringlicher Appell: Suchen Sie sich einen guten Hausarzt, sofern Sie noch keinen haben. Das ist eine sehr nützliche und kluge Investition in Ihre Gesundheit. Achten Sie auch darauf, dass er nicht vor Ihnen in Rente gehen wird.
Zwillinge sind Herz und Lunge nicht, aber es besteht die allerengste Verbindung zwischen den beiden. Sie liegen eng nebeneinander, und die Arbeit des einen Organs ist ohne die des anderen nicht denkbar. Gemeinsam gewährleisten sie das Funktionieren aller anderen Körperteile. Zentrales und verbindendes Element ist im Grunde das Blut. Die Lunge hat zwei Blutkreisläufe: einen kleinen Lungenkreislauf und einen großen Körperkreislauf. In dem kleinen findet der Gasaustausch statt, in dem großen geschieht die Blutversorgung des Lungengewebes über die Bronchialarterien. Das Herz treibt beide Kreisläufe an. Im linken Vorhof sammelt sich das aus der Lunge kommende, mit Sauerstoff angereicherte Blut und fließt über die linke Herzkammer in die Hauptschlagader, von wo aus es alle Zellen des Körpers erreichen kann. Ist der Sauerstoff verteilt, kommt das «verbrauchte» Blut über die Venen und den rechten Vorhof zurück. Von der rechten Kammer geht es in den Lungenkreislauf, wo es wieder mit Sauerstoff angereichert wird. Dann fließt es erneut in das linke Herz, und alles geht von vorn los.
Der Lungenkreislauf, auch kleiner Kreislauf genannt. Das sauerstoffarme Blut aus dem rechten Herzen wird in der Lunge mit Sauerstoff angereichert und fließt dann zum linken Herzen.
Die Lunge besteht aus zwei Flügeln im oberen Brustkorb, geschützt von den Rippen. Verzweigte Luftröhren, die Bronchien, durchziehen sie, und an ihrem Ende befinden sich wie Trauben die Alveolen, kleine Bläschen. Es sind sage und schreibe rund 300 Millionen![4] Wer schon mal eine Lunge gesehen oder vielleicht sogar eine Schweinelunge als fränkische Spezialität gegessen hat, kennt die Konsistenz des Lungengewebes. Es ist im wahrsten Sinn des Wortes «luftig», also sehr locker, ein bisschen schwammig, ganz anders als der straffe Muskel des Herzens. Diese Bläschen sind von äußerst feinen Blutgefäßen umhüllt, die sich bei jedem Atemzug mit dem eingeatmeten Sauerstoff füllen. Über den Blutkreislauf gelangt er dann in alle Körperzellen. Das allein finde ich schon staunenerregend, doch es bleibt nicht bei der Aufnahme von Sauerstoff. Das Blut nimmt nämlich in den Alveolen nicht nur auf, sondern gibt auch ab, und zwar Kohlendioxid (CO2), ein Abfallprodukt des Stoffwechsels. Es wird mit dem Ausatmen nach draußen befördert. Das nennt man den Gasaustausch der Lunge.
Zwar steuert das Nervensystem die Atmung, aber sie läuft in der Regel unbewusst ab, im Ruhezustand 14- bis 16-mal pro Minute. Da die Lunge keine Muskeln hat, vollzieht sie die Aufblähbewegung bei der Einatmung sowie das langsame Zusammenfallen beim Ausatmen auch nicht selbst. Das erledigen das Zwerchfell und die Zwischenrippenmuskeln.
«Hier tut’s weh, Herr Doktor!», sagt der Patient und tippt mit dem Finger auf eine Stelle. Das ist in vielen Fällen schon ein guter Hinweis darauf, wo ein Problem sitzt oder eine Verletzung vorhanden ist. Zeigt jemand jedoch auf die Brust, weil er Schmerzen hat oder nur schwer atmen kann, dann ist es wegen der engen Verflechtung von Herz und Lunge oft gar nicht so einfach, herauszufinden, worum genau es sich handelt. Die Symptome ähneln einander oft, und die Wechselwirkung zwischen den beiden Organen ist intensiv.
Bei Atemnot etwa denkt der Laie meist automatisch, dass die Lunge die Ursache sei. Ist möglich. Es könnte aber auch das Herz sein. Bei einer Herzschwäche beispielsweise beginnt eine Kettenreaktion. Weil das Herz nicht genügend Kraft hat, um das Blut richtig durch den Körper zu pumpen, staut es sich in den Lungenvenen, später auch in den feinen Gefäßen der Alveolen. Der Druck ist so stark, dass Flüssigkeit aus den Gefäßen austritt und in die Lungenbläschen gerät. Der Gasaustausch wird dadurch behindert: Es kommt nicht genügend Sauerstoff rein, und das Kohlendioxid als Abfallprodukt des Stoffwechsels geht nicht raus. Der Betroffene bekommt Atemnot, jedoch in einer ganz anderen Dimension als etwa beim Außer-Atem-Sein nach einem schnellen Treppenlauf. Panik entsteht, und der Körper reagiert darauf, indem er die Atemtätigkeit steigert, also schneller und tiefer atmet. Das wiederum kann das Panikempfinden verstärken. Weil sich die Wahrnehmung so stark auf die Atmung konzentriert, denkt man an ein Lungenproblem – was auch nicht ganz falsch ist. Aber die Behandlung der Lunge würde nichts Entscheidendes bringen, weil die Ursache ja in der Schwäche des Herzens liegt.
Umgekehrt kann es die Lunge auch dem Herzen schwer machen, etwa wenn sich Flüssigkeit im Gewebe oder im Rippenfellraum ansammelt. Sie drückt die Lunge zusammen, und das Herz muss gegen den Widerstand der Lungengefäße anarbeiten. Wenn die Lunge sich durch die viele Flüssigkeit nicht entspannen kann, muss das rechte Herz deutlich mehr arbeiten als normal. Dadurch steigt der Druck in der Herzkammer und in der Lungenarterie. Es kann sogar passieren, dass die Trikuspidalklappe dem Druck nicht standhält und undicht wird. Erholt sich der akute Zustand nicht, wird eine Operation nötig.
Ein akuter Fall, in dem die Lunge nicht voll arbeiten kann, ist etwa eine Lungenentzündung. Auch dann nimmt die Lunge zu wenig Sauerstoff auf, was das Herz in seiner Arbeit einschränkt. Wenn die Entzündung der Lungenoberfläche ein sehr großes Areal betrifft, kann die Leistung des Herzens sogar so weit zurückgehen, dass es zum Stillstand kommt.
Oftmals ist den Menschen mit einer Lungenkrankheit nicht klar, dass sie auch sehr auf das Herz aufpassen müssen. Ein Beispiel ist die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD