«Grenzen akzeptieren wir nicht!» - Dr. med. Umes Arunagirinathan - E-Book

«Grenzen akzeptieren wir nicht!» E-Book

Dr. med. Umes Arunagirinathan

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Beschreibung

Umes Arunagirinathan und Peggy Parnass trennten fünfzig Lebensjahre, die Hautfarbe, das Geschlecht und auch sonst eine ganze Menge. Doch entscheidend ist, was sie verband. Beide erlebten die tiefgreifende Erfahrung von Flucht und Vertreibung. Peggy wurde von ihrer Mutter 1939 auf einem Kindertransport nach Schweden geschickt, um sie vor der NS-Verfolgung zu retten. Umes kam als 13-jähriger unbegleiteter Flüchtling aus Sri Lanka nach Deutschland. Bei beiden verursacht dieses Schicksal viel Leid, aber löst auch den tiefen Wunsch aus, die Welt besser zu machen. Statt zu resignieren, widmen sie ihr Leben dem Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung. Aus Peggy Parnass' zahlreichen Texten und den Begegnungen mit Umes Arunagirinathan ist das Porträt zweier außergewöhnlicher Lebenswege entstanden, das Perspektiven beider Generationen auf zentrale Themen wie Freundschaft, Hass, Mut, Fremdsein und Identität eröffnet.

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Seitenzahl: 118

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dr. med. Umes Arunagirinathan • Peggy Parnass • aufgezeichnet von Doris Mendlewitsch

«Grenzen akzeptieren wir nicht!»

Über Migration, Heimat und den Wert der Freiheit

 

 

 

Vita

Dr. med. Umes Arunagirinathan hat nach seiner Flucht eine neue Heimat in Hamburg gefunden. Er studierte Medizin in Lübeck, war Assistenzarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und ist heute Facharzt für Herzchirurgie. Seine Bücher zu gesellschaftspolitischen und medizinischen Themen sind Bestseller. Er ist beliebter Gast in Talkshows und bei Lesungen.

 

 

Peggy Parnass war eine Hamburger Ikone und Weltbürgerin, bekannt für ihre unkonventionelle Lebensweise und ihren unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. Sie arbeitete als Schauspielerin, Kritikerin und Übersetzerin. Legendär sind ihre Gerichtsreportagen, die sie 17 Jahre lang für die Zeitschrift konkret verfasste, unter anderem über die Majdanek-Prozesse.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Die Texte von Peggy Parnass sind in alter Rechtschreibung verfasst.

Abbildungen Innenteil: S. 17 Privatarchiv Umes Arunagirinathan; S. 23 Privatarchiv Peggy Parnass; S. 119 Privatarchiv Umes Arunagirinathan, Foto Sughanthy Puvaneswaran

Covergestaltung Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Coverabbildung Yvonne Schmedemann

ISBN 978-3-644-02430-4

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für meine Seelenfreundin Peggy

1927–2025

«Und ich bin immer noch da, ich kann noch denken, kann noch hilfreich sein. Denn man muss an die Welt denken und nicht an sich. Das ist ein Massel, wenn man das weiß.»

Erika Padan Freeman[1]

Liebe auf den ersten Blick

Uns trennen gut fünfzig Lebensjahre, zwei Kontinente, die Hautfarbe, das Geschlecht und auch sonst eine ganze Menge. Trotzdem verliebe ich mich sofort in Peggy, als ich ihr das erste Mal begegne. Es war auf dem Frühjahrsempfang des Hamburger Abendblatts im Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg. Ein bedeutendes Event im Kosmos der Stadt, sehr wichtig für die Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, Politik und Wirtschaft. Eigentlich bin ich gekommen, um zu netzwerken, mit den richtigen Leuten ins Gespräch zu kommen und damit vielleicht meine Karriere zu fördern. Doch dann sehe ich sie. Mitten unter all den bedeutenden Menschen entdecke ich eine hochbetagte Frau im Rollstuhl, mit einer Mähne von rotem Haar, rotem Lippenstift auf sehr großem Mund, einem wirklich knallroten Lippenstift. Sie als außergewöhnliche, auffallende Erscheinung zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. In ihrem Rollstuhl ist sie einen guten halben Meter kleiner als alle anderen und dennoch das Zentrum einer großen Gruppe von Menschen. Ich kenne sie aus der Presse: Es handelt sich um Peggy Parnass, die Verkörperung des unkonventionellen Lebens, Schauspielerin, Publizistin, Gerichtsreporterin, politische Aktivistin, eine wütende, radikale, zärtliche, chaotische, immer wieder an sich und anderen scheiternde, enorm durchhaltefähige Frau – eine rothaarige Provokation für jeden Menschen, der es gern bequem hat.

Rainer Neumann, ihr Begleiter, steht neben ihr. Wir kennen uns, weil er an meinen Büchern interessiert ist. Er winkt mich heran und stellt mich vor: «Peggy, das ist Dr. Umes, der Herzchirurg, der auch Bücher schreibt.» Sie blickt mich mit ihrem – selbst im hohen Alter noch frechen – Jungmädchenlächeln an, und ich bin von der ersten Sekunde an fasziniert von ihr. Wir reden miteinander, als kennten wir uns schon seit Urzeiten. Sie fragt mich gleich nach meiner Familie, meiner Herkunft – worauf ich sonst manchmal ein bisschen allergisch reagiere. Meistens antworte ich, dass ich Hamburger bin. Darauf beharre ich, insbesondere wenn Menschen nachfragen: «Aber woher denn wirklich?» Mit Peggy ist das ganz anders. Peggy fragt nicht aus einer oberflächlichen Neugier heraus. Sie will genau wissen, was mich geprägt hat, wer ich bin, aus reiner Empathie. Und sie kann sich sofort vorstellen, was alles in meiner kurzen Antwort steckt: «Ich bin auf Sri Lanka geboren und mit dreizehn Jahren hierhergekommen. Allein.» Ich muss es genauer sagen: Sie stellt es sich nicht vor, sie weiß, was das heißt. Sie hat es nämlich selbst erlebt. Mit elf Jahren musste auch sie ihre Heimat und ihre Familie verlassen. 1939 wurde sie mit einem Kindertransport nach Schweden geschickt, ohne Familie, ohne Eltern, nur mit ihrem kleinen Bruder Gerd. Ihre Mutter hielt es für die einzige Möglichkeit, die Kinder vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu retten. Sie hatte recht. Der allergrößte Teil von Peggys jüdischer Familie kam um, auch ihre Eltern.

Peggy hat schreckliche Dinge erlebt, war als junge Frau länger im Ausland, und doch ist sie zurückgekehrt nach Deutschland. Ganz tief in ihr verbirgt sich eine Trauer, die nie vergangen ist. Sie ist ein Teil von ihr, außerdem eine Triebfeder für ihr unermüdliches Engagement. Es gab Phasen in Peggys Leben, da war diese Trauer sehr präsent, drohte sogar die Oberhand zu gewinnen. Doch Peggy war eine Kämpferin, bei aller Verletzlichkeit eine unglaublich starke, lebenslustige Frau.

Die Begegnung mit Peggy hat mich tief berührt. Sie hat mich erkannt, ich habe sie erkannt. Nach unserer ersten Begegnung habe ich sie oft besucht, wir haben stundenlang geredet, ich habe viel über uns beide nachgedacht und eine Menge von ihr gelesen. Peggy hat etliche Bücher geschrieben, zahllose Interviews gegeben und freimütig Einblick in ihr Leben gewährt. Daraus ist die Idee entstanden, ein gemeinsames Buch über unsere Erfahrungen zu verfassen. Es dreht sich um zentrale Themen wie Heimat, Verfolgung, Freundschaft, Schmerz, Trennung oder Fremdsein. Ausgewählte Auszüge aus ihren Publikationen stehen meinen Erlebnissen und Ansichten gegenüber. Sie sind teilweise konträr zu ihren, stammen aus ganz anderen Kontexten, aber: Das Gemeinsame überwiegt. Wir wollen mit diesem Buch ermutigen und anhand unserer Lebensgeschichten über die Grenzen von Hautfarben und Staatsangehörigkeit, Alter und Geschlecht hinausschauen.

Peggy hat das Erscheinen dieses Buchs nicht mehr erlebt. Sie starb am 12. März 2025 in Hamburg-St. Georg, bis zuletzt betreut und umsorgt von lieben Menschen. Die Fertigstellung des Manuskripts hat sie mit wachem Interesse verfolgt. Sie war sehr glücklich darüber, dass sie ein Vermächtnis in dieser gemeinschaftlichen Form hinterlassen konnte. Ich habe nach ihrem Tod nichts mehr am Text verändert. Denn ich kann mir Peggy nicht als Vergangenheit vorstellen. Sie ist für mich gegenwärtig, mit ihrem Humor, ihrer Wut, ihrer Kraft, ihrem Durchhaltevermögen. Sie ist und bleibt ein Gewinn für mein Leben und für das vieler anderer auch.

Trennungen

Was Peggy und mich, jenseits aller politischen oder gesellschaftlichen Überzeugungen, verbindet, sind Trennungen. Wir haben beide auf extreme Weise erfahren, was es heißt, wenn man jemanden verlassen muss. Oder besser gesagt: wenn man weggeschickt wird, weg von der wichtigsten Person im Leben, weg von der Mutter. Als ich von Peggys Kindheitserlebnissen und von ihrer Verschickung nach Schweden erfuhr, hat mich das im Herzen getroffen. Denn diesen Schmerz kenne ich nur zu gut.

 

«Mutti hat uns zur Bahn gebracht, zum Hamburger Hauptbahnhof. Seitdem hasse ich den Bahnhof noch mehr als andere Bahnhöfe. Ich kann auch keine Züge sehen, ohne daß mir schlecht wird. Mutti sagte, sie kommt in einem halben Jahr nach, aber das war natürlich Quatsch. Obwohl sie wußte, daß sie uns nie wiedersieht, stand sie da und hat gelacht, ihr herrliches Lachen mit weit aufgerissenem Mund, und gewunken, solange wir sie sehen konnten. Damit uns der Abschied nicht so schwerfällt. Hat auch nichts genützt.

Ist nicht wahr. Hat es doch.»[2]

 

Dieser sogenannte Kindertransport, mit dem Peggy und ihr jüngerer Bruder 1939 nach Schweden geschickt wurden, wurde über die Kinderabteilung der jüdischen Gemeinde Hamburg organisiert. Federführend war Eva Warburg, Tochter des Bankiers Fritz Warburg. Sie leitete zunächst ein Tagesheim für jüdische Kinder und versuchte, als der antisemitische Druck in Deutschland immer stärker wurde, jüdische Kinder ins Ausland zu evakuieren, um sie in Sicherheit zu bringen. Die Eltern sollten ihre eigene Flucht oder auch möglicherweise die Auswanderung nach Palästina ohne die zusätzliche Sorge um die Kinder bewerkstelligen können. Wahrscheinlich sind rund 500 deutsche und österreichische Kinder durch diese Transporte nach Schweden gerettet worden.

Peggys Name steht als «Ruth Parnass» auf einem Notizblock von Eva Warburg, auf dem sie die für die Verschickung vorgesehenen Kinder notierte. Ruth war damals noch ihr Rufname, den Namen Peggy gab sie sich erst später selbst. Unter ihrem Eintrag befindet sich eine weitere Notiz mit «Parnass», der Vorname ist unleserlich. Wahrscheinlich handelt es sich um Peggys sieben Jahre jüngeren Bruder Gady, damals noch Gerd. Der Notizzettel mit der entschiedenen Handschrift Eva Warburgs ist in seiner Schlichtheit und zugleich Schicksalsbedeutung ein eindrückliches Dokument. Wenn man es anschaut, stellt man sich unwillkürlich die Frage, welche glücklichen und tragischen Geschichten sich hinter all den Namen verbergen. Und was mit denen geschehen ist, deren Namen es nicht auf die Liste geschafft haben. Der Zettel befindet sich im Archiv der zentralen israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.[3]

 

Ohne Vorbereitung, ohne Erklärung, ohne Sicherheit, dass man zurückkehren wird, werden eine Elfjährige und ihr kleiner Bruder allein auf die Reise nach Schweden geschickt, ins Ungewisse. Der sichere Instinkt eines wachen Kindes sagt Peggy, dass es sich um ein Ereignis handelt, das mit nichts zu vergleichen ist und das Leben in ein Vorher und Nachher unterteilt. Mich hat Peggys Beschreibung regelrecht erschüttert, weil dadurch vieles aus meinem Leben wieder in mir aufstieg. Erinnerungen und Gefühle, gut verpackt und sehr tief in einer Schublade verstaut, die ich nur gelegentlich öffnen kann.

Mein Abschied, meine Trennung fand nicht auf einem Bahnhof statt, sondern an der Tür eines VW-Busses von Schleppern, die mich zum Flughafen Colombo auf Sri Lanka bringen sollten. Genau wie bei Peggy war die treibende Kraft hinter diesem Abschied meine Mutter. Sie schickte mich weg. Nicht weil sie mich nicht mehr bei sich haben wollte, sondern weil sie mich liebte und mein Leben retten wollte. Ich war zwölf Jahre alt, einerseits noch ein Kind, das weinen musste, als es begriff, dass ein fundamentaler Abschied bevorstand. Andererseits schon ein Jugendlicher, der mit seiner Arbeit, etwa dem Gemüseverkauf, zum Unterhalt der Familie erheblich beitrug. Und der schon alt genug war, um von den Tamil Tigers zum bewaffneten Kampf eingezogen zu werden. Seit acht Jahren bereits tobte ein Bürgerkrieg auf Sri Lanka. Meine Familie gehört zur Gruppe der Tamilen, einer benachteiligten Minderheit auf Sri Lanka. Die Mehrheit sind Singhalesen. Es gibt große Unterschiede zwischen diesen Ethnien: Wir sind Hindus, sie sind überwiegend Buddhisten, die Sprachen stammen aus unterschiedlichen Familien. Per se müsste das noch nicht zu einem Krieg führen, aber wenn viele andere Faktoren, unter anderem solche wie Besitz und Land, dazukommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Unterschiede die Oberhand gewinnen. Seit 1983 wurde gekämpft, paramilitärische Einheiten wie die Tamil Tigers gegen Regierungstruppen.

Auch wenn man noch so friedlich gesonnen ist: Niemand kann in einem Krieg neutral bleiben, in einem Bürgerkrieg schon gar nicht. Ich wäre mit Sicherheit dazu gezwungen worden, auf der tamilischen Seite mitzukämpfen. Das wollte meine Mutter verhindern, um jeden Preis. Sie hatte bereits ein Kind verloren, meine Schwester Ruji war an einer Nierenkrankheit gestorben. Ich war seitdem das älteste Kind und der älteste Sohn. Ich musste – im wahrsten Sinne des Wortes – aus der Schusslinie gebracht werden. Und außerdem meine Verantwortung für die Familie wahrnehmen, das ist bei uns so. Der älteste Sohn hat eine besonders privilegierte Stellung im Vergleich zu den nachkommenden Geschwistern. Aber er ist auch dafür verantwortlich, dass es der Familie gut geht. Das Wohlergehen der Familie hing nun davon ab, dass ich nach Deutschland emigrierte, bei meinem bereits in Hamburg lebenden Onkel unterkam und möglichst bald von dort aus die Familie in Sri Lanka unterstützte. Eine gigantische Aufgabe, deren Umfang und Schwierigkeiten mir natürlich nicht im Entferntesten klar waren. Meiner Mutter wahrscheinlich auch nicht. Denn zunächst bedeutete das für mich, allein nach Deutschland zu gelangen, illegal selbstverständlich. Für eine legale Einreise erfüllte ich keine einzige Bedingung.

Meine Eltern, meine Schwester Ruji und ich, gerade zweieinhalb Jahre alt

Meine Abreise musste mehr oder weniger geheim vor sich gehen, auch um die Tamil Tigers nicht darauf aufmerksam zu machen, dass ein potenzieller Rekrut die Flucht ergriff. Ich begriff sowieso nicht genau, was mir bevorstand, aber zusätzlich verwirrte und bedrückte mich, dass ich mich von niemandem verabschieden konnte. Nicht von meinen Großeltern, nicht von meinen Klassenkameraden, meinen Freunden, unseren Verwandten, Nachbarn und überhaupt von niemandem, der in meinem kleinen, jungen Leben eine Rolle spielte. Mein Vater wusste natürlich Bescheid, er stand dem Vorhaben jedoch äußerst skeptisch bis ablehnend gegenüber. Er umarmte mich zum Abschied und gab mir ein paar mahnende Worte mit. Ein großes Gespräch führten wir aber nicht mehr. Ich sah ihn erst sechzehn Jahre später wieder, meine Mutter nach fünfzehn Jahren. Doch das weiß man im Moment des Abschiednehmens ja alles nicht. Es hätte für immer sein können. So wie bei Peggy.

 

Peggy sagt: «Jede Trennung hat was von Tod. Sicher nicht nur für mich, aber für mich ganz besonders. Meine Trennungsängste nehmen schon idiotische Formen an. Weil nichts und niemand für mich austauschbar ist.»[4] Sie hat absolut recht. Ungewollte, insbesondere gewaltsame Trennungen fügen entsetzliche Schmerzen zu. Denen, die gehen, genauso wie denen, die bleiben. Als ich am 6. Januar 1991 an der Tür des VW-Busses stand, musste ich weinen, und sogar meiner Mutter kamen die Tränen. Noch nie, außer beim Tod meiner Schwester, hatte ich meine Mutter weinen sehen. Sie war der Inbegriff der Stärke für mich. Viele Jahre später zeigte sie mir einen Zettel, auf den sie an diesem Tag notiert hatte: «Heute wurde Umes abgeholt. Wir haben geweint, und er hat mich getröstet.»

Mütter und Väter