Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Trauer um ein verstorbenes Kind kennt keine Grenzen. Es braucht Orte und Zeit, um die Trauer gemeinsam durchleben zu können. Der Trauerseelsorger Jürgen Kaufmann erlebt in Nürnberg einen stetigen Zuwachs der Besucherzahlen in seinen Herzenskinder-Andachten. Das vorliegende Praxisbuch bietet sowohl fertig ausgearbeitete Andachtsmodelle als auch eine Einführung in die Entstehung der Trauerandachten und deren Beweggründe. Der Rahmen der Andachten, sowohl, was den Raum, die (Tages-) Zeit, sowie auch das heutige kirchliche bzw. gesellschaftliche Umfeld betrifft, werden ebenso beleuchtet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 109
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Christine Maek, Hebamme in Nürnberg, die die Herzenskinder-Andachten von Anfang an mitentwickelte und bis heute dabei ist.
Für Regina Wächter, Kinesiologin in Schwabach, die später dazu kam und heute zum festen Herzenskinder-Team gehört.
Und für Ingeborg Jahreiss, Pädagogin, die wertvolle Ideen und Beiträge lieferte und leider zu früh starb.
Jürgen Kaufmann
Trauerandachtenfür verwaiste Eltern
© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2017Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, StuttgartLayout und Satz: wunderlichundweigandDruck: finidr s.r.o., Český Těšín, Tschechische Republik
www.bibelwerk.deISBN 978-3-460-30035-4eISBN 978-3-460-51033-3
Vorwortvon Ottmar Fuchs
Hinführung
Trauerandachten in der offenen Kirchenarbeit
Erläuterungen zu den Andachten
DIE ANDACHTEN
In der Kälte der Nacht erblüht ein neuer Tag
Andacht für Januar und Februar
Ein Frühling nach der Dunkelheit
Andacht für Januar bis März
Durchkreuzte Hoffnung
Andacht in der Fastenzeit
Scherben in meiner Hand
Andacht in der Fastenzeit
Einen Weg bin ich gegangen
Andacht für Frühjahr nach Ostern
Wer rollt mir den Stein weg?
Andacht für Frühjahr nach Ostern
Und über uns der Himmel
Andacht für Frühjahr und Sommer
Eine Brücke in den Morgen
Andacht für Frühjahr und Sommer
Oasen in der Wüste
Andacht für den Sommer
Erde unter meinen Füßen
Andacht für den Herbst
Wo Türen sich schließen, geht eine neue Tür auf
Andacht in der Adventszeit
Sterne leuchten in der Nacht
Andacht in der Adventszeit
Ankommen – aber wo?
Andacht in der Adventszeit
Lebensbrüche – Herzensbrüche
Andacht für alle Jahreszeiten
Meine Hände sind leer
Andacht für alle Jahreszeiten
In der Trauer lebt die Liebe weiter
Andacht für alle Jahreszeiten
Literatur
Aufhelfende Rituale
Der Bibeltheologe Norbert Lohfink SJ hat vor vielen Jahren eindrucksvoll beschrieben, wie im alten Israel die Begegnungen mit trauernden Menschen gestaltet waren. In diesem Ritual kommt zuerst eine lange Phase der Wahrnehmung, des Hinschauens und Hinhörens von Seiten der Besucher*innen, dann eine auch körperliche Reaktion des Mitgefühls, dann eine Zeit des Schweigens und schließlich ein Mit-Einstimmen in die Klage des trauernden Menschen. Auffällig ist, dass die Besucher*innen erst reden, wenn der trauernde Mensch selbst das Schweigen gebrochen und begonnen hat, seiner Trauer Ausdruck zu geben. Wichtig ist dabei ein Distanz haltendes und gerade darin nahes Mitfühlen, das sich nicht einbildet, den Schmerz des trauernden Menschen zugriffig miterleben zu können. Dazu gehören die Phasen des Miteinander-Schweigens, wenn die Trauer sprachlos geworden ist.
Die hier wiedergegebenen Trauerandachten mit verwaisten Eltern bringen etliche Momente von dem zur Geltung, was dieses alte Begegnungsritual bot, nämlich die Trauer zu schützen und mitzutragen. Die Andachten schenken beides: Distanz und Nähe. Die textliche und musikalische Gestaltung lässt Raum für die unterschiedlichen individuellen Trauererfahrungen. Und gleichzeitig können gleichwohl die eigenen Erfahrungen der Trauer in Freiheit ganz intensiv in die liturgischen Vorgaben eingebracht werden, mit entsprechenden Selbstentdeckungen in den Texten, Liedern und Gebeten. Die Trauernden merken, dass die Art und Weise, wie sie ihr Leid und ihre Trauer erleben, etwas wert ist, indem sie spüren, dass ihre Gefühle und Gedanken wertgeschätzt und geschützt sind. Vor allem das, was nicht so leicht ausgesprochen werden könnte.
Die sensible Offenheit der hier vorgestellten liturgischen Trauerwege zeigt sich auch darin, dass alle, die in einer solchen Trauer leben, zur Teil-Nahme eingeladen sind. Offenheit zeigt sich auch in den beanspruchten und besprochenen Bildern und Texten, Gedichten und Gebeten, die aus der ganzen Bandbreite menschlicher Spiritualität kommen: feingliedrig und klärend, freiheitsatmend und Fassung schenkend; in der Erschließung der Symbole und Geschichten tiefgehend und doch einfach bleibend; anschlussfähig für die verschiedenen Traueranteile bei gleichzeitiger Möglichkeit, sich den Vorgaben auch nicht anschließen zu können; das Schweigen schützend; in den Vorgaben stützend und zugleich damit Phantasie freisetzend. Dazu kommt die unaufdringliche Möglichkeit, vorher und nachher mit den Seelsorger*innen ins Gespräch zu kommen.
So wird das Ritual für die Trauernden zur Hilfe, ihre oft widersprüchlichen und turbulenten Gefühle der Trauer zuzulassen und zu einer Ruhe kommen zu lassen, die Kraft für die nächsten Stunden und Tage gibt. Dies geschieht im Horizont einer im Ritual geschenkten Wirklichkeit, die uns schützt, trägt und letztlich niemals fallen lässt, auch die toten Kinder nicht. Das hat etwas mit der Erfahrung Dietrich Bonhoeffers zu tun, auch in schlimmer Zeit „von guten Mächten wunderbar geborgen“ zu sein.
Ich wünsche, dass dieses Buch in möglichst viele Hände derer gelangt, die als Seelsorgerinnen und Seelsorger, als Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter ebenso sensibel und respektvoll, ebenso mittragend und mitführend mit trauernden Menschen umgehen, wie die Autor*innen dieser Andachten es eindrucksvoll zum Vorschein bringen.
Ottmar Fuchs
Es muss vor gut zwölf Jahren gewesen sein. Wir hatten seit einiger Zeit schon an der Nürnberger Cityseelsorge in der Offenen Kirche St. Klara regelmäßig jeden letzten Freitagabend im Monat eine offene Trauerandacht angeboten. Niederschwellig, wie es so schön heißt: mit klarer, einfacher Struktur, jeweils einem eigenen Thema, kurzen meditativen Texten, viel Musik und Stille sowie einem Kerzenritual, in dessen Mittelpunkt eine Trauerwand stand. Die hatten wir eigens dafür im vorderen Teil des Kirchenraums aus Backsteinen aus dem Baumarkt errichtet. Einige Stunden vor einer dieser Andachten nun, sprachen mich plötzlich zwei jüngere Frauen in der Kirche an, wo ich gerade für den Abend einiges vorzubereiten hatte. Sie sagten, sie seien Hebammen und hätten von den Trauerandachten an St. Klara gehört. Ob derartige Andachten an unserer Kirche nicht auch gezielt für früh verwaiste Eltern möglich seien? Mir war zunächst der Zusammenhang zwischen ihrem Beruf und ihrem Anliegen nicht ganz klar. Da erläuterten sie, dass ein gar nicht mal so geringer Teil der Babys, denen sie auf die Welt halfen, tote Babys waren oder Babys, die kurz nach der Geburt starben. Für die betroffenen Frauen und natürlich auch deren Partner sei dies kaum zu ertragen. Ein regelmäßiges spirituelles Trauerangebot könnte daher eine große Hilfe sein.
Spontan sagte ich damals zu, da dieses Angebot sehr gut in das Profil unserer offenen Kirchenarbeit passen würde. Als „Blaupause“ könnten dabei durchaus die offenen Trauerandachten dienen, die wir bisher schon in der KlaraKirche abgehalten haben. Allerdings war uns schnell bewusst, dass wir diese nicht einfach direkt auf die neue Zielgruppe übertragen konnten. Die Thematik ist zu speziell, Inhalte und Texte unterscheiden sich deutlich.
Nach wenigen Wochen stieß noch eine Pädagogin zu unserem kleinen Kreis. Wir überlegten uns zunächst, in welchem Rhythmus diese neuen, speziellen Andachten stattfinden sollten. Einmal im Monat, wie bei den allgemeinen offenen Trauerandachten? Das war uns zu häufig. Daher entschieden wir uns, diese Andachten jeden zweiten Monat stattfinden zu lassen. Ein eisernes Prinzip für die Angebote an der Offenen Kirche St. Klara (und dazu zählen nicht nur Trauerandachten, sondern auch andere, besondere Feierformen wie z.B. spirituelle Lebensfeiern) ist die Regelmäßigkeit. Das sollte sich auch im Titel niederschlagen, damit sich das Angebot fest einprägen kann. Bei den allgemeinen Trauerandachten steht daher als Zusatz immer: „Jeden letzten Freitag im Monat“. In diesem Fall einigten wir uns auf: „Am ersten Donnerstag eines geraden Monats“. Das klang zunächst kompliziert, hat sich aber nach einiger Zeit eingependelt.
Eine Frage war natürlich auch, welchen Namen wir dem neuen Format geben sollten. „Raum für Trauer“ nannten sich die allgemeinen Trauerandachten. Hier ließen wir es zunächst bei „Andacht für früh verstorbene Kinder“.
In den ersten beiden Andachten verzichteten wir auf konkrete Themen. Aufbau und Ablauf lehnten sich stark an die allgemeinen offenen Klara-Trauerandachten an. Inhaltlich konzentrierten wir uns zunächst an Klagetexten aus der Bibel, wie z.B. dem Buch Ijob oder einigen Klagepsalmen. Erst ab der dritten Andacht wählten wir konkrete Themen, zu denen wir Texte und Methoden entwickelten.
Außerdem nahmen wir eine Änderung im Titel vor. Der bisherige war uns weder markant genug, noch kam die Zielgruppe deutlich zum Ausdruck. Bei dieser handelte es sich natürlich um die Eltern der verstorbenen Kinder. Also nannten wir das Ganze fortan „Andacht für früh verwaiste Eltern“. Und als Haupttitel wählten wir nach einiger Überlegung: Herzenskinder.
Die Zahl der Teilnehmenden war zunächst stark begrenzt und bewegte sich im Schnitt zwischen zehn und zwanzig Personen. Viele von ihnen stammten aus dem Betreuungskreis der Hebammen. Es handelte sich nahezu ausschließlich um jüngere, teils sehr junge betroffene Frauen mit oder ohne deren Partner. Vereinzelt fanden sich im Laufe der Zeit auch ältere Frauen in den Andachten wieder. Das brachte uns zu der Überlegung, inwieweit diese sich durch eine „Andacht für früh verwaiste Eltern“ überhaupt angesprochen fühlten. Nach wenigen Jahren entschieden wir uns deshalb wieder für eine kleine Änderung im (Unter)titel: „Andacht für verwaiste Eltern“ hieß das Angebot nun – das „früh“ hatten wir gestrichen. Die Resonanz darauf gab uns Recht: Zwischen 25 und 40 Betroffene nehmen seither an den regelmäßigen Herzenskinder-Andachten teil, Frauen wie auch Männer. Die Texte haben wir so geändert oder ergänzt, dass sie alle betroffenen Eltern ansprechen. Das wird besonders an jenem Teil der Andacht deutlich, bei dem die Namen der verstorbenen Kinder vorgelesen werden. Dafür haben wir vor wenigen Jahren einen fest formulierten Einstiegs- und Schlusstext entwickelt, der alle möglichen Ursachen des Kindstodes beinhaltet und in seiner Kompaktheit diesen Teil noch stärker ritualisiert.
Überhaupt haben sich Methoden und Texte im Laufe der Jahre stark verändert. Bei den Methoden sind wir schlichter geworden, haben z.B. die optischen Elemente eingeschränkt, um Rituale, Musik, Stillephasen und Texte stärker zur Geltung kommen zu lassen. Die Texte selbst haben wir mehr und mehr verknappt und akzentuiert – am Anfang waren sie manchmal zu umfangreich und vielleicht auch zu „predigerhaft“. Wir trugen dabei auch der Tatsache Rechnung, dass viele der Betroffenen keine tiefe religiöse Prägung oder kirchliche Bindung haben. Entsprechend verstärkten wir in den Texten den existenziellen, persönlichen Akzent. Biblische und kirchlich-christliche Elemente bleiben natürlich dennoch ein fester Bestandteil, allerdings werden sie von der Formulierung her so dargeboten, dass auch Fernstehende sich davon angesprochen fühlen können. Der Zorn über bzw. der Zweifel an Gott, der es zumindest nicht verhindert hat, dass ein Kind stirbt, ist dabei genauso zugelassen wie die Hoffnung, dass dieser Gott, so abwesend er mitunter wirkt, einen davor bewahrt, endgültig ins Bodenlose zu stürzen.
St. Klara hat sich im Laufe der Jahre im Großraum Nürnberg als „Raum für Trauer“ etabliert. Neben der allgemeinen offenen Trauerandacht, jeweils am letzten Freitag im Monat (Ausnahme: im Dezember immer „einen Tag vor Heiligabend“) und der Herzenskinder-Andacht, finden einmal jährlich feste Andachten für vergessene und einsam gestorbene Menschen (Februar) sowie für Drogenopfer (Juli) statt, im Frühjahr und im Herbst (an Allerheiligen) jeweils eine „Nacht der Trauer“. Gut genutzt wird auch außerhalb der Andachtszeiten die Trauerwand: Sie besteht, seit der Generalsanierung der Kirche vor zehn Jahren, nicht mehr aus lose aufeinander gestapelten Backsteinen, sondern ist fester, gestalteter Teil des Kirchenraums. Die Trauerzettel, die regelmäßig die Trauerwand füllen, werden das Jahr über gesammelt und in der Osternacht dem Osterfeuer übergeben, wozu ein eigener Text entwickelt wurde. Der Hinweis auf dieses Osterfeuer-Ritual ist übrigens fester Bestandteil der Trauerandachten, also auch der Herzenskinder-Andacht. Was nicht selten zur Folge hatte, dass betroffene Eltern auch deswegen in die Osternachtfeier kamen.
Danken möchte ich abschließend Barbara Wiesmann, die als eine der beiden zu Beginn erwähnten Hebammen die Herzenskinder mit ins Leben gerufen und mitentwickelt hat. Besonders dankbar bin ich Ingeborg Jahreiss, die als Pädagogin ein prägender Teil dieses wichtigen Anfangsteams war. Sie ist vor einigen Jahren infolge einer Krankheit gestorben. Ihr vor allem widme ich dieses Buch.
Jürgen Kaufmann
Die hier vorliegenden Herzenskinder-Andachten sind das Ergebnis einer Entwicklung und längeren Erprobung. Am Anfang waren die Andachten teilweise deutlich länger und ihr Aufbau variierte, auch wenn auf eine bestimmte Systematik von Beginn an Wert gelegt wurde.
Die nun vorliegende Systematik hat sich bewährt, sie ist vor allem geprägt durch Abwechslung, aber auch durch einen gewissen Spannungsbogen. Dieser Wechsel von Text, Musik, Stille und Ritual spielt eine große Rolle für den Gesamtcharakter der Andachten.
Meistens beginnt die Andacht mit ruhiger Instrumentalmusik. Es folgt ein meditativer Textteil oder ein Gebet. Aus dramaturgischen Gründen hat es sich auch als wirkungsvoll erwiesen, mit einem Text anzufangen und danach Instrumentalmusik zu bringen. Erst dann folgt die Begrüßung – sie ist zugleich inhaltliche Einführung in die Trauerandacht und greift das Thema auf. Lied, kurzer Text, Instrumentalmusik und Textmeditation sind die nächsten Stationen. Die Textmeditation ist der inhaltliche Hauptteil der Andacht. Auch sie ist in einer gewissen Systematik gehalten. Musikteile unterbrechen sie, manchmal untermalt die Musik auch kurze Passagen. Eine kleine Aktion kann bisweilen den Vortrag optisch unterstreichen. Auf die Meditation folgt eine Besinnungsphase: Die Anwesenden können Gedanken auf ein bereit liegendes Blatt Papier schreiben, den Namen des Kindes auf ein weiteres. Das ganze führt zum „Ritual“ – dem Gang zur Trauerwand (bzw. einem ähnlichen Ort), an dem die beschrifteten Zettel abgelegt und Kerzen angezündet werden können. Schließlich werden die Namen der verstorbenen Kinder, die zuvor in einen eigenen Korb nahe der Trauerwand gelegt wurden, vorgelesen: Ein fester Text, der sich bei jeder Andacht wiederholt, eröffnet und beschließt diesen Vorgang. Vaterunser, Segen, Verabschiedung und Schlusslied beenden die Andacht.