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Mit Gummistiefeln und Friesennerz ins Glück
Katharina arbeitet in einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei und verfolgt nur ein Ziel: Sie will zur Junior-Partnerin befördert werden. Dafür beißt sie sogar in den sauren Apfel und übernimmt einen mehr als zweifelhaften Grundstücksverkauf in Greetsiel.
Hier oben an der Nordseeküste trotzt Katharina nicht nur den aufmüpfigen Möwen und dem sprichwörtlichen Schietwetter, sondern trifft auch auf den wortkargen Krabbenfischer Jasper. Mit seinem rauen Charme verdreht er ihr gehörig den Kopf, und sie verliert sich in seinen meerblauen Augen. Doch als sie herausfindet, dass ausgerechnet Jasper der Grundstückseigentümer ist, steht sie vor der bislang schwersten Entscheidung ihres Lebens: Soll sie ihrem Verstand folgen - oder dem Herzen?
Der Auftakt einer zauberhaften neuen Wohlfühl-Roman-Reihe um das idyllische Fischerdorf Greetsiel - voller ostfriesischem Charme und ganz großer Gefühle.
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Seitenzahl: 431
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
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Über dieses Buch
Titel
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Epilog
Über die Autorin
Impressum
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Katharina arbeitet in einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei und verfolgt nur ein Ziel: Sie will zur Junior-Partnerin befördert werden. Dafür beißt sie sogar in den sauren Apfel und übernimmt einen mehr als zweifelhaften Grundstücksverkauf in Greetsiel.
Hier oben an der Nordseeküste trotzt Katharina nicht nur den aufmüpfigen Möwen und dem sprichwörtlichen Schietwetter, sondern trifft auch auf den wortkargen Krabbenfischer Jasper. Mit seinem rauen Charme verdreht er ihr gehörig den Kopf, und sie verliert sich in seinen meerblauen Augen. Doch als sie herausfindet, dass ausgerechnet Jasper der Grundstückseigentümer ist, steht sie vor der bislang schwersten Entscheidung ihres Lebens: Soll sie ihrem Verstand folgen – oder dem Herzen?
Der Auftakt einer zauberhaften neuen Wohlfühl-Roman-Reihe um das idyllische Fischerdorf Greetsiel – voller ostfriesischem Charme und ganz großer Gefühle.
Ich versuchte, dieses leise Prickeln zu ignorieren, das seine zarten Küsse auf meinem Nacken hervorriefen. »Paul, ich muss wirklich aufstehen.«
Kleine Staubpartikel flirrten in den Strahlen der Vormittagssonne, die durch das Schlafzimmerfenster meines Appartements auf mein Gesicht schien. Die Bettdecke raschelte, als Paul sich unter ihr näher an mich heranschob.
»Lass dich nicht aufhalten«, flüsterte er mir ins Ohr. Sein Atem wehte leicht über meine Haut. Er schmiegte sich an meinen Rücken, und seine Lippen wanderten weiter zu meinen Schultern.
Halbherzig versuchte ich, ein wohliges Stöhnen zu unterdrücken, das mein Körper wie von selbst erzeugte. Mit diesem wohlbekannten Kribbeln signalisierte mein Bauchgefühl Einverständnis.
Obwohl sich die feinen Härchen auf der Haut unter Pauls Berührungen aufstellten und mir ein angenehmer Schauer den Rücken hinablief, gelang es meinem Kopf, die Oberhand zu behalten. Ich befreite mich aus Pauls Umarmung und rutschte samt Decke in Richtung Bettkante. »Bitte, hör auf jetzt«, sagte ich lachend. »Meine Eltern erwarten mich zum Mittagessen. Ich darf nicht wieder zu spät kommen.«
Sein frustriertes Schnauben zeigte mir, was er davon hielt. Ich schwang die Beine auf den Boden. Mein Blick glitt über das King-Size-Bett, in dessen Mitte er jetzt bewegungslos und mit eingefrorener Miene lag, wie eine Figur aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Er gab einen lausigen Verlierer ab.
Ich hatte an einem Sonntagvormittag keine Lust auf Streit. Ohne auf Paul einzugehen, warf ich das Oberbett in seine Richtung und tappte barfuß ins Bad nebenan und unter die Regendusche. Eine der Annehmlichkeiten dieses Appartements, vorausgesetzt man wurde gerne nass. Was vermutlich auf die meisten Menschen zutraf, außer eben auf mich. Ich schloss die Glastür hinter mir, drehte den Hebel der Armatur auf eine erträgliche Temperatur und wappnete mich gegen den bevorstehenden Platzregen.
Zuerst hatte ich die Wohnung damals gar nicht anschauen wollen, als mein Vater mir das Hochglanz-Exposé gezeigt hatte. Doch er hatte nicht lockergelassen, wie immer. Die unverbaute Aussicht von der Dachterrasse über die Düsseldorfer Innenstadt und die zentrale und gleichzeitig ruhige Lage hatten ihm dabei in die Karten gespielt. Schließlich übernahm er die Verhandlung mit dem Verkäufer, und ich gab nach, ebenfalls wie immer.
Inzwischen hatte ich diesen komfortablen Rückzugsort am Ende eines anstrengenden Arbeitstages zu schätzen gelernt. Bis auf die Regendusche.
In dem Moment, als ich die Glastür öffnete, um nach dem Badetuch auf dem Handtuchwärmer zu greifen, klingelte im Schlafzimmer mein Handy. Verdammter Mist. Ich hasste es, wenn ich einen Anruf verpasste. Darum übernachtete das Telefon immer auf dem Nachttisch neben dem Bett.
»Hallo?«
Mein Entsetzen wurde noch größer, als ich Paul reden hörte. Was, wenn unser Chef am anderen Ende der Leitung war? Immerhin waren wir in derselben Kanzlei beschäftigt. Für uns beide fast zeitgleich der erste Job nach dem juristischen Staatsexamen. Ich arbeitete daran, mir dort einen Namen zu machen; die Affäre mit einem Kollegen hatte sich außerplanmäßig entwickelt.
Unter Einsatz meines Lebens schlitterte ich auf nassen Füßen über das Parkett zurück ins Schlafzimmer.
»Paul ...«
Ehe er seinen Nachnamen aussprechen konnte, riss ich ihm das Handy aus der Hand. »Katharina König«, meldete ich mich, bemüht, meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. »Äh, hallo, Papa.«
Ich bedachte Paul mit einem Todesblick. Es hatte aber nicht den Anschein, als wollte er tot umfallen. Vielmehr saß er auf der Bettkante und taxierte meinen frisch geduschten Körper mit wachsendem Interesse. In Gedanken erstellte ich nicht zum ersten Mal eine Notiz an mich selbst, unbedingt an meinem Killerinstinkt zu arbeiten.
»Wie schön, dass man von dir auch mal wieder etwas hört, mein Kind«, klang es aus dem Handy.
Ich erschrak. »Warum? Ist was passiert?«
»Muss denn erst etwas passieren, wenn ich mit meiner einzigen Tochter sprechen möchte? Von alleine gibst du ja kein Lebenszeichen von dir. Es geht ja nicht nur um mich. Denk doch mal an deine Mutter. Du weißt doch, wie schnell sie sich sorgt ...«
»Ja, Papa, ich weiß«, fiel ich ihm ins Wort. »Aber ich kann dich beruhigen, es geht mir gut.« Ein weiterer Blick auf Paul zeigte mir, dass sich nicht nur die Pfütze zu meinen Füßen zusehends vergrößerte.
»Wie schön für dich. Daran wird dieser Herr Paul Wie-auch-Immer wohl einen nicht ganz unmaßgeblichen Anteil tragen. Ich hoffe, mein Anruf kommt nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt?«
Gott sei Dank verweigerte mein Vater nach wie vor Videoanrufe. An der seit Jahrzehnten bewährten Verständigung über das Telefon gab es aus seiner Sicht jedoch nichts auszusetzen. »Nein, natürlich nicht, Papa. Was kann ich denn nun für dich tun? Wir sehen uns doch gleich.«
»Eben drum. Ich wollte nur noch mal kurz nachhören, ob du unser Essen heute Mittag nicht wieder vergessen hast?«
Wie könnte ich, wo dieser Termin doch seit meinem Auszug an nahezu jedem Sonntag stattfand? »Wieso ›wieder‹? Ich habe das Essen letzte Woche nicht vergessen, ich war nur zu spät.«
»Du weißt, wie wichtig uns diese Tradition ist«, erinnerte mich mein Vater.
»Natürlich, Papa.« Mein ganzes Leben folgte Traditionen. Bis auf die Affäre mit Paul.
»Und, Katharina ...« Wir näherten uns dem Schlussplädoyer.
»Ja?«
»Bitte bemühe dich, dieses Mal pünktlich zu sein. Nicht, dass das Essen wieder verkocht, für das deine Mutter den ganzen Vormittag in der Küche steht.«
»Versprochen. Bis später, Papa. Und grüß Mama von mir.« Ich ersparte mir den Hinweis, dass nicht Trödelei, sondern eine Autopanne für die letzte Verspätung gesorgt hatte. Mein Vater behielt ohnehin immer recht.
Ich wischte über das Display, beugte mich zum Nachttisch hinunter und legte das Handy zurück.
Paul nutzte die Gelegenheit. Mit beiden Händen umschlang er meine Taille und versuchte, mich auf sich zu ziehen.
»Lass mich.« Flink wie eine Katze entwischte ich seinem Griff. »Erklär mir lieber, seit wann du ungefragt an das Handy anderer Leute gehst?«
»Mache ich ja gar nicht, oder bist du vielleicht ›andere Leute‹?« Er grinste mich an.
»Und wenn die Kanzlei dran gewesen wäre?«
»Ach, daher weht der Wind ... War sie aber nicht. Hast du etwa Angst, das mit uns könnte deiner Karriere schaden? Du bist immer so verdammt vernünftig, Katharina. Für dich gibt es nur Verpflichtungen und Ziele. Ständig willst du perfekt sein. Lass doch mal locker.«
Ich schluckte ein »So wie du« herunter, das mir auf der Zunge lag. »Dann brauche ich ja jetzt nur noch meinem Vater zu erklären, wer hier mit meinem Handy telefoniert«, gab ich schnippisch zurück.
»Die Welt wird weder untergehen, wenn du nicht um Punkt zwölf Uhr auf die königliche Klingel des heimischen Schlosses drückst, noch wenn dein Vater erfährt, dass seine Tochter Männerbesuch hat, obwohl sie doch erst nächstes Jahr dreißig Jahre alt wird. Ich hätte da schon eine Idee, wie wir die Zeit bis dahin nutzen.« Er ließ sich mit einer einladenden Handbewegung zurück aufs Bett fallen.
»Das ist nicht lustig, Paul. Du weißt, dass mir meine Eltern wichtig sind und dass sie nur das Beste für mich wollen.«
»Na bitte, trifft sich doch, das Beste für dich liegt vor dir auf dem Bett«, sagte er.
Ich verdrehte die Augen.
»Schon klar, das Beste ist natürlich, wenn du in die Fußstapfen deines ach so erfolgreichen Vaters trittst. Schließlich ist der auch schon seinem alten Herrn auf den Kanzlei-Thron gefolgt. Und das geht nur, wenn du vierundzwanzig Stunden am Tag in Gesetzestexten blätterst.« Er warf einen schnellen Blick auf einen Stapel Akten am Boden, die ich zu Hause bearbeitet hatte.
»Während du dich vierundzwanzig Stunden am Tag auf deine Ausstrahlung verlässt«, erwiderte ich. Ich versuchte, mit Ehrgeiz und Disziplin zu überzeugen, er mit Charme. Leider musste ich zugeben, dass er damit ebenfalls erfolgreich war, vor Gericht und bei mir.
»Viele Wege führen zum Ziel«, stellte Paul fest. »Und gemeinsam sind wir das perfekte Team.«
»Vorausgesetzt, wir hätten irgendeine ernsthafte Art von Beziehung, Paul. Haben wir aber nicht.«
»Noch nicht ...« Seine Mundwinkel verzogen sich zu seinem typischen Gewinnerlächeln.
Bis zu dem einen abendlichen Treffen unter Kollegen hatte ich seiner Anziehungskraft erfolgreich standgehalten. Dann hatte er mich, ganz Gentleman, nach Hause begleitet und war am Ende über Nacht geblieben. Aus diesem One-Night-Stand hatte sich eine lockere Affäre entwickelt, bei der ich mir ab und an erlaubte, tatsächlich mal loszulassen. Mehr war mit meinem Ziel nicht vereinbar, das hatte ich von Anfang an klargestellt.
Ich ließ die dunkelgraue Schiebetür des begehbaren Kleiderschranks gegenüber dem Bett zur Seite gleiten und suchte nach einem Outfit, das der Kleiderordnung meines Vaters entsprechen würde. Mit einer Hand strich ich über die Bügel, auf denen sich Anzüge und Kostüme in gedeckten Farben und weiße Blusen aneinanderreihten.
Wortlos griff ich zu einem schlichten, dunkelblauen Etui-Kleid und verschwand erneut im Bad. Das Abtrocknen hatte sich inzwischen von selbst erledigt. Ich zog mich an und nahm das Glätteisen, das immer griffbereit auf der Ablage über dem Waschbecken lag. Es brachte nicht nur Ordnung in meine Haare, die sich sonst bei dem leisesten Hauch von Feuchtigkeit um das Gesicht lockten, sondern auch in meine Gedanken.
Ich war nicht auf der Suche nach einem Mann, bei dem ich entweder als Siegerpokal in der Wohnzimmervitrine oder als Kochlöffel in der Küche enden würde. Ich würde die Kanzlei König fortführen. Punkt.
Zurück im Schlafzimmer, wo Paul inzwischen aufgestanden war und missmutig seine Hose anzog, empfand ich mit einem Mal Mitleid mit ihm. Er hatte seine Brille mit dem dunklen Rahmen aufgesetzt, für die er im Büro zu eitel war. Zusammen mit seinen verwuschelten braunen Haaren gab ihm das genau dieses gewisse Etwas, das mich immer wieder anzog.
»Sehen wir uns heute noch?«
Eines musste man ihm lassen, er gab nicht auf.
»Eher nicht«, antwortete ich. »Ich möchte mich heute Abend noch auf das Meeting mit Goldbach morgen früh vorbereiten. Das Mandat, das er einem von uns übertragen will, ist eine einmalige Chance, Paul. Und die muss ich auf jeden Fall nutzen.« Das könnte ihm so passen, ein abendliches Ablenkungsmanöver, um am nächsten Tag in der Kanzlei selbst als Sieger hervorzugehen.
Er zuckte mit den Schultern. »Dann eben nicht. Wer nicht will, der hat schon.« Schmollend schob er die Unterlippe vor, schnappte sich seine restlichen Sachen und verschwand aus dem Schlafzimmer.
Kurze Zeit später hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. »Ich wünsche dir auch noch einen schönen Sonntag«, murmelte ich vor mich hin.
Um exakt drei Minuten vor zwölf bog ich in das Wohnviertel ein, in dem mein Elternhaus stand. Ich würde pünktlich zum optimalen Sonntagsbraten-Garpunkt eintreffen und hatte damit die erste Klippe schon mal umschifft. Blieb bloß noch die Frage, wie ich Pauls Anwesenheit in meiner Wohnung erklären sollte, ohne dass mein Vater für mich Schutzhaft beantragen oder meine Mutter heute noch damit beginnen würde, eine Hochzeitstorte zu backen.
Ich fuhr vorbei an hohen Hecken und Mauern, über die Dächer und Bäume ragten. Dahinter duckten sich die dazugehörigen Einfamilienhäuser, um sich vor unliebsamen Beobachtern zu verstecken. Angermund, die kostbare Idylle inmitten weitläufiger Wiesen und Felder am Stadtrand von Düsseldorf. Gestört nur vom Lärm der startenden und landenden Maschinen des nahe gelegenen Flughafens. Dafür gab es Straßenschilder aus Holz.
Als ich vor dem Haus meiner Eltern ankam, öffnete sich das dunkelgrüne Tor wie von Zauberhand. Natürlich war der Zauberer mein Vater, der mich hinter dem Bildschirm des Kameraauges erwartete.
Die Fassade strahlte schneeweiß, ursprünglich passend zu der Mauer, die nach all den Jahren von Efeu umrankt war. Moosgrüne Fensterläden rahmten die Sprossenfenster ein, so passte das Haus dann doch wieder zur Mauer. Davor leuchteten die letzten Rosenblüten dieses Spätsommers farbenprächtig in ihren frisch geharkten Beeten. Das Werk meiner Mutter. Willkommen im Hause König!
Der Kies auf dem Vorplatz knirschte unter den Reifen meines Firmenwagens, als ich in einer Reihe neben Papas Geländewagen und Mamas Mini parkte. Wir öffneten gleichzeitig die Tür: mein Vater die des Hauses, ich die des Autos.
»Katharina, wie schön, dass du da bist!«
»Hallo, Papa.« Mit den akkuraten Bügelfalten seiner Sonntagshose verleitete er mich dazu, mit den Händen noch mal mein Kleid glatt zu streichen. Er behauptete stets, die grauen Haare hätte ich ihm beschert. Passend zu meinem Auszug hatten sie sich darüber hinaus auch noch gelichtet. Seinem würdevollen Aussehen tat das aber keinen Abbruch.
Er legte die Hände auf meine Schultern und betrachtete mich aus der Entfernung einer Armeslänge. Wie früher, bevor wir zum Weihnachtsgottesdienst aufgebrochen sind. Als hätte die heilige Agnes, Namenspatronin unserer Pfarrkirche, eine schief gebundene Schleife an meinem Samtkleid jemals gestört. Dann nickte er zustimmend. »Gut siehst du aus. Komm rein. Deine Mutter bringt das Essen gleich auf den Tisch.«
Glück gehabt. Und er hat nicht mal nach Paul gefragt.
Ich betrat das Haus, schloss die Tür und folgte ihm geradeaus durch den weitläufigen Flur ins Esszimmer. Meine Absätze klackerten bei jedem Schritt auf den Fliesen, in denen sich das Licht spiegelte, das durch die bodentiefen Fenster in den Raum fiel. Durch die Scheiben hatte ich einen freien Blick in den Garten, in dem kein Halm aus der Reihe tanzte.
Die Wand zu meiner Linken mit seinen überbordenden Bücherregalen vermittelte den Anschein, sich in der Städtischen Bibliothek aufzuhalten. Gegenüber stand das schwarz glänzende Klavier, bei dessen Anblick ich heimlich die Finger bewegte, nur um sicherzugehen, dass sie sich vom jahrelangen Klavierunterricht vollständig erholt hatten.
Mein Vater war das Fundament dieses Hauses, meine Mutter das Herz. Beide hatten sie auf ihre Art stets das Beste für mich gewollt. Privileg und Verpflichtung. Im Gegenzug war ich bemüht, nicht nur meinen Vater, sondern auch meinen Opa mit Stolz zu erfüllen – auch, wenn er es nicht mehr erleben konnte. Trotzdem hätte ich ab und zu gerne mit meiner Freundin getauscht. Der quirligen Jule, bei der zu Hause – neben ihr – die Geschwister, der Hund und das Chaos regiert hatten.
Ich zählte vier Gedecke. »Oh, habt ihr heute noch jemanden eingeladen?« Noch bevor ich die Frage beendet hatte, überfiel mich schlagartig die Erkenntnis, dass ich frontal auf die nächste Klippe zusteuerte. »Ich schaue schnell, ob ich Mama noch was helfen kann«, murmelte ich mehr zu mir selbst als zu meinem Vater. Ohne seine Antwort abzuwarten, rettete ich mich in die Küche, aus der das Klappern von Geschirr und ein einladender Duft drangen.
Meine Mutter wandte mir den Rücken zu und beugte sich über die Töpfe auf dem Herd.
»Hallo, Mama. Das riecht ja wunderbar.«
»Katharina, wie schön!« Mit dem Kochlöffel in der Hand drehte sie sich um, die Wangen vom Dampf gerötet. Sie drückte mich an ihre Brust, die sie unter einer Kochschürze versteckt hatte.
Für einen Augenblick war ich wieder Kind, ihr Kind. Dann rührte sie weiter in der Bratensauce.
»Ich bin gleich fertig, setz dich doch schon rüber. Hoffentlich hast du deinen neuen Freund mitgebracht, damit wir ihn auch mal kennenlernen.« Sie strahlte mich über die Schulter mit ihrem Mama-Lächeln an.
Im Geiste verfluchte ich Paul ... und ein klitzekleines bisschen auch mich selbst, für meine naive Hoffnung, einen Bogen um dieses Thema schlagen zu können. »Nein, Mama, ich habe niemanden mitgebracht. Wie kommst du bloß darauf?«
»Na ja, ich dachte nur wegen des Gesprächs mit deinem Vater«, wiegelte meine Mutter ab, während sie mich zur Seite schob, um freien Zugang zur Arbeitsplatte zu haben. »Aber das war wohl zu kurzfristig. Der junge Mann hatte sicher noch andere Termine.« Sie drückte mir die Kartoffelschüssel in die rechte und die Gemüseschüssel in die linke Hand. Das gute Geschirr mit dem Goldrand, in dem schon meine Oma sonntags das Essen serviert hatte.
»Sicher. Wir waren ja nur zu einem Arbeitsfrühstück verabredet«, stellte ich klar und trat den Rückweg ins Esszimmer an.
Dort saß der Herr des Hauses inzwischen am Kopf des Mahagonitisches, der mit seiner faltenfreien weißen Tischdecke einem Staatsbankett zur Ehre gereicht hätte. Mit der Serviette auf dem Schoß beobachtete er mich.
Geräuschvoller als nötig stellte ich die dampfende Fracht auf dem Tisch ab.
Mein Vater sah mich an und hob die rechte Augenbraue. Wie früher. Hatte er eigentlich jemals die linke Augenbraue bewegt?
Hinter mir balancierte meine Mutter die Bratenplatte herein, und wir setzten uns. Das unbenutzte Gedeck stand zwischen uns wie eine stumme Anklage.
»Mama, das hat wirklich wieder sehr lecker geschmeckt«, versuchte ich nach dem Essen, das Gespräch in belanglose Bahnen zu lenken, und legte mein Besteck auf dem Teller ab.
»Das freut mich. Dein Bekannter wäre sicher auch noch satt geworden, so viel, wie noch von dem Braten übrig ist«, erwiderte sie.
Es hätte ja klappen können ...
»Kein Wunder, dass du immer schmaler wirst. Möchtest du wirklich nichts mehr?« Sie schob die Platte mit dem Fleisch ein Stückchen in meine Richtung.
»Es passt ehrlich nichts mehr rein. Vielleicht möchte Papa noch einen Nachschlag?« Demonstrativ legte ich die Serviette auf dem Teller ab und schob die Bratenplatte näher an meinen
Vater heran.
»Papa hat gesagt, dein Besuch hörte sich sehr nett an. Nicht wahr, Wolfgang?«
»Ob der nett war, konnte ich ja gar nicht feststellen Susanne, so schnell wie deine Tochter ihm den Hörer aus der Hand gerissen hat. Er hatte ja nicht mal Zeit, seinen vollständigen Namen zu nennen«, brummte mein Vater dazwischen. »Und Schluss jetzt mit der Bratenschieberei.«
Mit einem energischen Schubs landete die Fleischplatte wieder bei meiner Mutter.
Jetzt war es an mir, eine Augenbraue in seine Richtung zu heben. Sah aber vermutlich nur halb so beeindruckend aus wie bei ihm.
»Woher kennt ihr euch denn?«, bohrte meine Mutter weiter nach.
Ich rutschte auf der Stuhlkante herum und entwickelte ein spontanes Mitgefühl für die Angeklagten im Gerichtssaal. »Der junge Mann heißt Paul, ist nicht mein Freund, aber tatsächlich nett. Wir kennen uns aus dem Arbeitskreis ›Wirtschaftsrecht‹, und er hat mir heute bei einem Arbeitsfrühstück bei der Recherche für ein komplexes Problem geholfen.« Ich hasste es zutiefst, meine Eltern zu belügen, doch alles andere hätte in diesem Fall nur zu Schwierigkeiten geführt.
»Am Sonntag? Hast du denn dafür in der Woche keine Zeit?«
Mamas »Du-arbeitest-zu-viel«-Ton.
»Aus dem Arbeitskreis? Ist der denn auch kompetent genug?«
Papas »Warum-hast-du-denn-nicht-mich-gefragt«-Ton.
Die Mundwinkel meiner Mutter hoben sich fast unmerklich, bevor sie aufstand, um den Tisch abzuräumen. Gedankenlesen war vermutlich eine der Grunddisziplinen in der Mütterausbildung.
Ich stapelte von meinem Platz aus die Teller übereinander und versuchte erneut, das Gespräch in sicheres Fahrwasser zu lenken. Bei Vaters Lieblingsthema, meiner Karriere, konnte praktisch nichts schieflaufen. Hoffte ich zumindest. »Der Chef hat mich und zwei weitere junge Anwaltskollegen für morgen früh zu einem Meeting in sein Büro eingeladen. Es geht um die Bearbeitung eines neuen internationalen Mandates. Er wird einem von uns die Betreuung übertragen. Derjenige hätte dann gute Chancen auf eine Beförderung zum Junior Partner. In meinem Fall zur Junior Partnerin.« Gespannt warf ich den Köder aus und wartete darauf, dass er anbiss.
»Hm. Und?«
»Und was?«, fragte ich.
»Wie stehen deine Chancen? Der alte Goldbach ist ein harter Hund. Das war er schon damals, als wir noch gemeinsam studiert haben.« Er untermalte seine Worte, indem er mit den Fingern auf die Tischplatte klopfte. »Bei Goldbach werden nur die Besten Partner. Nicht umsonst gilt das als Ritterschlag in der Branche. Also die ideale Ausgangsposition für deinen Wechsel zu mir. Ich gehe davon aus, dass du die Beste für das Mandat bist? Du weißt, was dein Opa immer gesagt hat.«
»›Adel verpflichtet.‹« Ich seufzte. Opa hatte die Anspielung auf unseren Nachnamen geliebt. »Papa, natürlich bin ich perfekt vorbereitet, wie immer. Ich denke, dass ich gute Chancen habe.«
»Claus Goldbach und ich, wir treffen uns nach wie vor einmal im Monat beim Juristen-Stammtisch, aber was der da so erzählt von den Nachwuchsanwälten ...« Er winkte ab. »Lass dir bloß nicht von irgend so einem mittelmäßigen Kollegen die Butter vom Brot nehmen! Hörst du? Hat dir dieser Paul etwa bei genau der Vorbereitung geholfen? Denk an meinen Rat, niemals Berufliches und Privates zu vermischen.« Er hob einen Zeigefinger und heftete den Blick auf mich.
Meine Mutter kehrte mit drei Tassen Kaffee aus der Küche zurück, von denen sie zwei an uns verteilte, bevor sie sich mit der dritten wieder setzte.
»Aber, sag mal ...«, fuhr mein Vater fort. Er pustete kleine Wellen über die Oberfläche der tiefbraunen Flüssigkeit, ehe er an der Tasse nippte. »Um noch mal auf diesen Paul zurückzukommen. Die Stimme kam mir am Telefon irgendwie bekannt vor. Wir hatten da in einer meiner Gastvorlesungen an der Uni diesen Studenten. Paul ... Hofmann ... Hausmann ... oder so ähnlich. Ein Spitzbube, der immer versucht hat, sich durchzumogeln, indem er alle um den Finger gewickelt hat. Und seine Ohren hatte der überall.«
So musste sich ein plötzlicher Herztod anfühlen. Warum hatte Paul mir nicht erzählt, dass er meinen Vater persönlich kannte?
»Also bei mir ist er damit selbstverständlich nicht durchgekommen«, stellte mein Vater sicherheitshalber fest.
»War das nicht auch dieser schreckliche Frauenheld, von dem du immer erzählt hast, dass er hinter jedem Rock her war?« Nun wurde das Gespräch auch für meine Mutter interessant.
Was hätte ich jetzt für ein Loch im Boden gegeben! Da war aber keines. Ich griff erst mal zu meiner Kaffeetasse. Mit vollem Mund brauchte ich nichts zu sagen.
»Genau der, Susanne«, antwortete mein Vater. »Wenn ich mich recht erinnere, hat der sich damals auch für Wirtschaftsrecht entschieden. So wie du, Katharina.«
Die Entscheidung war in meinem Fall nicht sonderlich
schwergefallen, angesichts der wartenden Kronprinzessinnenstellung in der väterlichen Wirtschaftskanzlei.
»Und ich meine mich sogar zu erinnern, dass er ebenfalls zu Goldbach & Partner wollte.« Mein Vater setzte seinen Gerichtsblick auf, mit dem er normalerweise die Zeugen der gegnerischen Partei durchbohrte.
Ich verschluckte mich vor Schreck an dem heißen Kaffee, hustete und schnappte nach Luft.
Meine Mutter sprang auf. Mit einer Hand bearbeitete sie meinen Rücken wie mit einem Teppichklopfer, während sie mich mit der anderen umfasste, als machte sie sich bereit, mir bei Bedarf mit dem Heimlich-Griff das Leben zu retten. Prompt fiel mir die Kaffeetasse aus der Hand. Der Inhalt schwappte wie eine Springflut über den Tisch, sodass mein Vater hastig seinen Stuhl nach hinten rückte. Eine klassische Verkettung unglücklicher Umstände, die einer göttlichen Fügung gleichkam.
»Es tut mir leid. Bleibt sitzen, ich mache das schon.« Ich sprang auf, um einen Lappen aus der Küche zu holen.
In dem Moment, als ich mit dem Tuch zurückkehrte, klingelte es an der Haustür.
»Ach, das ist sicher nur Brigitte von nebenan. Sie wollte sich doch noch die Stecklinge von meinen Rosen abholen, die ich extra für sie vorgezogen habe. Ich bin gleich wieder da.« Meine Mutter sauste hinaus in den Flur.
Ich wischte das Malheur von der Tischdecke auf. Das war vermutlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich froh war, Frau Lichtenbergers schrille Stimme zu hören. Sicher war sie weder zufällig noch wegen der Rosenstecklinge hier.
»Hallo, Susanne. Ich störe doch hoffentlich nicht. Ich habe Katharinas Auto gesehen.« Sie erhöhte den Lautstärkepegel noch ein bisschen mehr, sofern das überhaupt möglich war. »Hallo, Katharina, dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen.«
Genau genommen sah sie mich auch jetzt nicht; das war unmöglich von der Tür aus, an der sie noch stand. »Hallo, Frau Lichtenberger«, rief ich in der gleichen Lautstärke zurück in den Flur, bevor die Haustür unüberhörbar wieder zuklappte.
»Sind denn jetzt hier alle verrückt geworden, oder was? Kann man nicht mal mehr am Sonntag in Ruhe seinen Kaffee trinken?«, polterte mein Vater über den Tisch.
Ich floh mit dem vollgesogenen Lappen in die Küche. Schnell trocknete ich mir die Hände an dem herumliegenden Küchenhandtuch ab und huschte zurück ins Esszimmer. »Also, ich muss dann jetzt auch los. Du weißt ja, das Meeting morgen früh ...«, murmelte ich und drückte meinen Vater zum Abschied.
»Ja, ja, lasst mich jetzt nur alle hier alleine. Und, Katharina ... über diesen Paul reden wir noch mal«, grummelte er, blieb aber sitzen.
»In Ordnung, Papa. Wir sehen uns.« Ich spürte, wie sich seine Blicke in meinen Rücken bohrten. Wenn ich in den letzten neunundzwanzig Jahren eins gelernt hatte, dann war es, dass aufgeschoben für ihn noch lange nicht aufgehoben war.
Vor dem Haus hatte meine Mutter inzwischen ihren Rosenhandel beendet und kam mir entgegen. »Katharina, du gehst schon? Wie schade!«
»Ich muss leider, Mama. Ich will mich noch ein bisschen auf morgen vorbereiten. Wir sehen uns ja bald wieder.« Ich nahm sie in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke für das leckere Essen!« Als ich mit offenem Fenster von der Auffahrt fuhr, hörte ich sie rufen:
»Und bring doch nächstes Mal gern den jungen Mann mit.«
Am Montagmorgen bog ich in die Tiefgarage des Bürogebäudes im Medienhafen ein. Das Auto spiegelte sich bei der Einfahrt in der Glasfront der Fassade. Ich war früh dran. In der letzten Nacht hatten sich die Zweifel an der perfekten Vorbereitung und mein Schlafbedürfnis einen erbitterten Kampf geliefert.
Sobald der Wagen auf dem reservierten Parkplatz stand, schnappte ich mir die Präsentationsunterlagen vom Rücksitz und hastete in Richtung Fahrstuhl. Ich drückte mehrmals nacheinander auf den Knopf mit dem Pfeil nach oben.
In Gedanken schon bei meinem Termin, schob ich mich durch die sich öffnenden Türen. Mit dem Gegenverkehr, der, offenbar ebenso eilig, aus dem Aufzug herausschoss, hatte ich nicht gerechnet. Wir prallten zusammen.
»Entschuldigung, meine Schuld«, murmelte ich und
versuchte, mich an dem Mann vorbeizudrücken. Dabei streifte mein Blick sein Gesicht. »Papa, was um alles in der Welt machst du hier?« Vor Schreck ließ ich meine Unterlagen fallen.
»Katharina, das ... Ja ... Ähm ... Heute schon so früh im Büro?« An seinem Hals krochen hektische Flecken hinauf. Er lockerte den Knoten der Krawatte.
»Ich glaub es ja wohl nicht. Spionierst du mir etwa nach?«
»Nein ... nein, natürlich nicht. Ein geschäftlicher Termin bei dem Kollegen Goldbach. Hatte ich das gestern nicht erwähnt?« Er beugte sich hinunter und reichte mir meine Papiere. Damit gab er die Lichtschranke wieder frei, und die Türen schlossen sich zwischen uns.
Hatte er das? Nachdenklich betrachtete ich mich in der
verspiegelten Rückwand und steckte eine vorwitzige Haarsträhne zurück an ihren Platz, die sich aus dem strengen Knoten befreit hatte. Schon öffneten sich die Türen mit einem hellen »Pling«.
Hinter dem halbrunden Tresen saß unsere Empfangssekretärin wie immer vor ihrem Bildschirm, auf den Lippen ihr eigens antrainiertes Begrüßungslächeln. Eine ihrer Kernkompetenzen. Genau genommen war meine Suche nach weiteren Kompetenzen bislang erfolglos verlaufen. Vor dem Tresen wartete die Sitzgruppe aus dunklem Leder auf Mandanten. Ohne anzuhalten, warf ich der Empfangsdame ein freundliches »Guten Morgen, Frau Schmidt« zu.
Sie säuselte mir hinterher: »Guten Morgen, Frau König. Das Meeting mit Herrn Goldbach findet heute im kleinen Konferenzraum statt.«
Ich winkte mit meiner freien Hand ein Dankeschön und eilte weiter über den dicken Teppich, der alle Geräusche verschluckte. Das Großraumbüro, das wir Nachwuchsanwälte uns zu dritt teilten, war leer. Ich atmete tief ein und wieder aus. Drehte mich einmal um die eigene Achse. Ein ganzes Büro für mich alleine. Nur eines der Privilegien, die einer Junior-Partnerin zustünden.
Bewaffnet mit meinen Aufzeichnungen, erreichte ich den Konferenzraum, in dem meine Kollegin Laura bereits an dem auf Hochglanz polierten Glastisch Platz genommen hatte. Eine kurze Begrüßung, dann setzte ich mich ihr gegenüber und legte meine Unterlagen auf dem Tisch ab. Sie hockte auf der Stuhlkante und knetete die Hände. Wir schwiegen gemeinsam. Was man eben so tat, wenn man auf die Urteilsverkündung des hohen Gerichts wartete.
Paul schneite wie üblich auf die letzte Minute herein und
ließ sich neben Laura nieder. Er lehnte lässig auf dem Stuhl und zwinkerte mir zu.
Ich hielt seinem Blick stand. Heute würde ich mit meiner exzellenten Vorbereitung punkten. Alles andere wäre nicht gerecht.
»Guten Morgen, die Damen, Herr Hartmann! Bitte bleiben Sie sitzen.« Der Chef betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich und steuerte das Kopfende des Tisches an.
»Guten Morgen, Herr Goldbach«, erwiderten wir dreistimmig.
Er beäugte uns über den Rand seiner Lesebrille hinweg.
Täuschte ich mich, oder blieb sein Blick länger als nötig an mir hängen? Ich deutete das als positives Zeichen und witterte die Chance, mit meiner Präsentation die Messlatte gleich zu Beginn hoch anzulegen. Nicht umsonst hatte ich alle Punkte sorgfältig recherchiert und versucht, jede mögliche Gegenfrage vorherzusehen. Ich erhob mich, räusperte mich kurz und setzte mein vor Gericht mehrfach erprobtes Überzeugungsgesicht auf.
Leider verfehlte dessen Wirkung den Chef, wie es schien, denn er hob die Hand, bevor ich ein einziges Wort gesagt hatte.
»Da Sie alle im Bilde sind, warum ich Sie heute zu mir gebeten habe, möchte ich es kurz machen und auf Ihre Präsentationen verzichten.«
Ich klappte den Mund zu und schaute unschlüssig in die Runde. Laura zuckte fast unmerklich mit den Schultern. Paul starrte gebannt auf unseren Chef. Da Goldbach sich seinerseits erhob, um seine Ausführungen fortzusetzen, nahm ich unverrichteter Dinge wieder Platz. Mein Herz hämmerte so laut, dass ich befürchtete, jeder im Raum könne es hören.
»Ich bin sicher, dass Sie alle fundierte Präsentationen vorbereitet haben, aber meine Entscheidung ist bereits gefallen. Aufgrund Ihrer bisherigen Leistungen habe ich mich entschieden, das neue Mandat Herrn Hartmann zu übertragen.«
Er pausierte kurz, bevor er fortfuhr: »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Verantwortung mit der Betreuung der Rechtsgeschäfte eines international agierenden Baukonzerns einhergeht. Und welche Chance das für Sie bedeutet. Aber ich bin mir sicher, dass Sie mit Ihrem unbestrittenen Charisma und Ihrem Händchen für den Umgang mit unseren Mandanten genau die richtige Wahl sind.«
Paul sprang auf. »Herr Goldbach, vielen Dank für Ihr Vertrauen! Ich bin mir sicher, Sie werden es nicht bereuen.«
Sie reichten sich die Hand.
Laura erhob sich ebenfalls und gratulierte Paul. Sie wirkte fast ein bisschen erleichtert und schenkte ihm ein Lächeln, das in meinen Augen auffällig strahlend ausfiel.
Ich hätte auch gerne etwas gesagt, aber ich wusste nicht, was. Stattdessen starrte ich auf meine nutzlosen Unterlagen.
Goldmann richtete das Wort an mich. »Frau König, Sie würde ich bitten, noch kurz hierzubleiben.«
Das kam mir entgegen, verhielten sich mein Stuhl und ich doch in diesem Augenblick wie zwei Magnete, die sich gegenseitig anzogen. Ich war mir sicher, am Tiefpunkt angelangt zu sein.
Paul verließ mit Laura den Konferenzraum, nicht ohne mir noch mal sein Gewinnerlächeln zuzuwerfen.
»Ich hätte da ganz aktuell noch einen Spezialauftrag, und ich denke, dass Sie dafür genau das richtige Fingerspitzengefühl haben.« Mein Chef legte die Hände zur Merkelraute zusammen.
Bei dem Wort »Spezialauftrag« glomm ein Funken Hoffnung in mir auf. Ich räusperte mich. »Und über welche Art von Auftrag sprechen wir hier?«
»Unsere Kanzlei soll für einen Mandanten vor Ort einen Grundstückskauf vorbereiten.«
Ein Grundstückskauf gegen die Betreuung eines internationalen Baukonzerns? Das hörte sich eher nach einem Abstellgleis als nach einem Schnellzug für meine Karriere an. Es sei denn, das Grundstück lag in Dubai.
»Es handelt sich konkret um ein Baugrundstück in Norddeutschland. Unser Mandant möchte dort ein Ferienquartier errichten. Urlaub in der Heimat, wo es am schönsten ist, direkt vor der Haustür und so weiter. Sie wissen schon ...« Goldbach versuchte offenbar, die Stimmung zu heben, indem er über seinen eigenen Witz lachte.
»Vielleicht könnten Sie Norddeutschland noch ein bisschen weiter eingrenzen?«, hakte ich wenig hoffnungsvoll nach.
»Greetsiel, ein kleines Fischerdorf in Ostfriesland. Sehr beliebt bei den Urlaubern.«
Der glimmende Funken in mir erlosch.
»Unser Mandant möchte bei den Kaufverhandlungen namentlich nicht gleich in Erscheinung treten. Außerdem vertraut er auf die fachliche Kompetenz unserer Mitarbeiter in der Abwicklung von Immobiliengeschäften.«
Ich schaute hinüber zu der Glasfront, durch die man einen Ausblick bis auf den Rhein hatte. Ich beabsichtigte nicht, dem Fluss bis zu seiner Mündung in die Nordsee zu folgen. Und nicht mal der Rhein floss bis nach Ostfriesland, sondern bog vorher in Richtung Niederlande ab.
»Ich weiß Ihr Angebot sehr zu schätzen, Herr Goldbach. Allerdings kommt das jetzt ein bisschen plötzlich, und da wären ja dann auch noch meine anderen laufenden Verfahren«, wandte ich ein. Meine eigene Stimme klang fremd in meinen Ohren.
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken.« Er winkte ab. »Selbstverständlich hätte dieser Auftrag absolute Priorität. Das Grundstück gehört wohl einer ortsansässigen Familie namens ... Wo habe ich es gleich notiert ...?« Das Rascheln des Papiers war das einzige Geräusch im Raum. »Da haben wir es: Familie Jensen. Wie mir zugetragen wurde, könnte das Grundstück für die Zwangsversteigerung vorgesehen sein.«
Claus Goldbach senkte die Stimme, obwohl die Glastür zwar durchsichtig, doch absolut schalldicht war. »Finanzielle Probleme, aber das bleibt unter uns. Sie würden das natürlich vorab mit einer Grundbucheinsicht vor Ort verifizieren.« Das Zwinkern sollte womöglich vertraulich wirken, sah jedoch eher aus, als wäre ihm etwas ins Auge geflogen.
»Um Ihre anderen Mandanten kann sich Herr Hartmann während
Ihrer Abwesenheit kümmern«, sagte er.
Das würde Paul gefallen. Und überhaupt, seit wann hatte Goldbach & Partner es denn nötig, Hausmannskost in der ostfriesischen Gerüchteküche zu kochen? Mit einer Grundbucheinsicht vor Ort im Zeitalter der Digitalisierung? Mich beschlich das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Er federte mit der Rückenlehne seines Stuhls nach hinten. »Schlafen Sie eine Nacht darüber, Frau König. Anderenfalls müsste ich Sie leider damit betrauen, dem Kollegen Hartmann mit vorbereitenden Tätigkeiten zur Hand zu gehen.«
Ich raffte meine Unterlagen zusammen, nickte, schob den Stuhl zurück und schritt so hoheitsvoll wie möglich in Richtung Tür. Dabei schlugen die Gedanken in meinem Kopf Purzelbäume.
»Ich höre dann morgen von Ihnen«, tönte es hinter mir.
»Ja. Bis morgen«, murmelte ich, sammelte mich kurz auf dem Flur und kehrte in unser Büro zurück.
Paul saß auf Lauras Schreibtischkante. Er hatte sein Gewinnerlächeln immer noch nicht abgelegt und sonnte sich in ihrer Aufmerksamkeit.
Geräuschvoll knallte ich diese bescheuerte Präsentation, die ich den ganzen Morgen bei mir getragen hatte, auf die Tischplatte. Alles umsonst.
Paul zuckte zusammen und drehte sich zu mir um. »Na, na, wer wird denn da gleich schlechte Laune haben? Mein Reden: Du siehst das viel zu verbissen. Dieses Mal war ich einfach der Bessere.« Sein Lächeln verbreiterte sich zu einem frechen Grinsen. »Lust auf Mittagessen unten am Hafen, die Damen? Ich gebe zur Feier des Tages eine Runde aus.« Mit einem Blick in
meine Richtung fügte er hinzu: »Gutes Essen soll ja
bekanntlich auch die Stimmung heben.«
»Nein danke.« Auf keinen Fall würde ich mich mitten im Büro provozieren lassen. Das könnte ihm so passen! So verlockend die Mittagspause in einem der kleinen Bistros im Medienhafen auch zu sein schien mit ihrem Ausblick auf die Gebäudemischung aus modernem Glas und alten Fabrikgebäuden und die meist spiegelglatte Wasseroberfläche vor der Tür. Heute hatte ich die Nase voll von Wasser – und von Paul sowieso.
Es gab nur einen einzigen Menschen, auf den in solchen ausweglosen Fällen immer Verlass war. Sobald die beiden außer Sichtweite waren, kramte ich mein Handy aus der Tasche hervor und schrieb eine Nachricht an meine Freundin Jule.
Mädelsabend? Heute nach Feierabend?
Die Antwort kam prompt:
Geht klar. Komm vorbei, ich koche uns was :-).
Sollte der Rhein doch fließen, wohin er wollte, aber sicher ohne mich.
Ich drückte auf die Klingel an dem gelb gestrichenen Altbau. Julia Wiedemann, stand auf dem Schild darüber. Sie passte perfekt in dieses Viertel. Bunt, kreativ, unkonventionell – einfach Jule. Der Öffner brummte, und ich lehnte mich gegen die schwere Holztür. Der Flur war unter dem Treppenaufgang wie gewöhnlich vollgestellt mit Fahrrädern und Kinderwagen, auf den Fußmatten sammelten sich Schuhe in allen Größen und Farben.
Ich stieg die Treppe hinauf. Unter meinen Füßen knarzten die Holzstufen. Auf halbem Weg trat ich ans Geländer und richtete den Blick durch die Mitte nach oben, wo ich den roten Lockenkopf meiner Freundin entdeckte.
»Hallo, Kathi, komm rauf! Pizza ist gleich fertig«, rief sie aus dem dritten Stock durch den Flur nach unten. Das störte hier niemanden. Im schlimmsten Fall klingelte es später an ihrer Tür, und ein hungriger Nachbar lud sich selbst ein. Auch das war in diesem Haus normal.
Oben angekommen duftete es schon durch die angelehnte Wohnungstür. Jules Kochkünste waren bisweilen so unkonventionell wie sie selbst, aber ihre Pizza-Kreationen schmeckten himmlisch. Ich schob die Tür auf und trat ein. Im Flur ließ ich meine Tasche auf den Boden gleiten und streifte mir die Pumps von den Füßen. Mit ein bisschen Glück fiel damit gleichzeitig ein Teil der Sorgen von mir ab.
Ein leises Summen drang an mein Ohr. Ich folgte der Melodie in die Küche. Sicher einer der Songs, die Jule im Gospelchor der Kirchengemeinde sang, dem sie seit Kurzem angehörte. Auf meinem Weg durch das bunt zusammengewürfelte Mobiliar umrundete ich einige Kartons. Ein Charaktermerkmal, das alle Wiedemanns einte: Sie sammelten Gegenstände, die man nicht mehr brauchte, aber durchaus in ferner Zukunft mal wieder brauchen könnte.
»Hallo, Jule.« Ich drückte ihr einen Kuss auf die pausbackige Wange. »Wie schön, dass du heute Zeit für mich hast!«
»Immer gerne zu deinen Diensten.« Sie salutierte mit dem dicken Topfhandschuh an ihrer Stirn und balancierte mit der anderen Hand das heiße Blech mit der bereits in Stücke zerteilten Pizza zum wackeligen Holztisch, an dem wir schon so manche vermeintliche Lebenskrise bewältigt hatten.
Halbherzig zog ich meine Mundwinkel nach oben, um ihr Lachen zu erwidern. Es gelang mir offenbar nicht besonders, denn sie nahm mich wortlos in die Arme und drückte mich auf einen der bunten Holzstühle, die um den Tisch standen.
»Es hat nicht geklappt, oder? Du hast das Mandat nicht bekommen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sie setzte sich und griff nach einem Stück Pizza. Als ich mich nicht rührte, um ebenfalls zuzugreifen, verdrehte sie die Augen, stand noch mal auf und reichte mir mit ihrer freien Hand einen Teller und Besteck aus dem Schrank.
Wir waren wie Yin und Yang, grundverschieden und doch wie zwei perfekt ineinandergreifende Puzzle-Teile.
»Was soll das heißen? Nein? Du warst dir so sicher und warst so gut vorbereitet. Was ist schiefgelaufen?« Sie ließ die Hand mit der angebissenen Pizza sinken.
Ich hatte mir inzwischen den Teller gefüllt und zögerte meine Antwort hinaus wie die langen Käsefäden, die ich mit der Gabel produzierte.
»Wer hat dir den Krieg erklärt? Paul, der Schleimer, dein
allwissender Vater oder etwa der alte Goldbach höchstpersönlich? Nun spuck es schon aus.« Ihre Gesichtsfarbe hatte sich mittlerweile dem Ton ihrer Haare angepasst. Sie stopfte sich den Rest ihres Pizzastücks in den Mund.
Bevor sie sich weiter in ihre Empörung hineinsteigerte, erzählte ich ihr die ganze Geschichte. »Der Tag hat schon so merkwürdig begonnen. In der Tiefgarage bin ich vor dem Aufzug mit meinem Vater zusammengestoßen.«
»Nur, dass ich das richtig verstehe ... In der Tiefgarage von deinem Büro? Mit deinem Vater?« Ungläubig richtete sie den Blick auf mich.
Ich ignorierte die Fragen und sprach weiter. Über Goldbachs plötzlichen Verzicht auf die Präsentationen, Pauls unverdienten Sieg und meinen Trostpreis, eine Reise nach Ostfriesland. Und über die Aufgabe, für den großen Unbekannten die finanzielle Notlage irgendeiner Familie aus diesem Dorf auszuspähen. Dann war die Pizza aufgegessen.
»Ach, Jule, irgendwas stimmt doch da nicht. Die ganze Vorbereitung umsonst. Stattdessen zaubert der Chef plötzlich ein Grundstück in Ostfriesland aus dem Hut?« Ein paar Tränen rollten mir die Wangen hinab.
»Und jetzt? Was willst du tun?«, fragte Jule, ergriff über den Tisch meine Hände und drückte sie.
»Eins weiß ich sicher. Ich lasse mich auf keinen Fall an den Arsch der Welt abschieben, während Paul hier die Lorbeeren erntet.«
»Gibt es denn eine Alternative?« Sie ließ mich los und hatte offenbar beschlossen, dass dies ein Fall für den Schokoladen-Notvorrat war. Ihr Allheilmittel. Manchmal half es sogar. Aber ob das heute klappen würde?
»Goldbach kann wen anders nach Ostfriesland schicken, und ich helfe Paul bei dem neuen Mandat. Dann habe ich wenigstens alles unter Kontrolle.« Mit etwas Schokolade schob ich den Kloß in meinem Hals hinunter.
Entrüstet sprang Jule auf und baute sich mit in die Hüfte gestemmten Armen vor mir auf.
Vor Schreck vergaß ich, weiter zu kauen.
»Katharina König. Das. Ist. Nicht. Dein. Ernst.« Sie blitzte mich aus ihren grünen Augen an. »Was ist denn los mit dir? Das ist doch unter Garantie ein abgekartetes Spiel. Glaubst du echt an dieses plötzlich aufgetauchte Grundstück? Vielleicht auch gleich noch an den Weihnachtsmann?«
Ihre Stimme überschlug sich beinahe. Sie sah mich an, atmete einige Male ein und aus und fuhr dann in ruhigerem Ton fort: »Ganz ehrlich, Kathi. Was um alles in der Welt sollte dein Vater denn zufällig bei Goldbach zu tun haben? Und erst dieser schleimige Paul ... Steigt mit dir ins Bett und jetzt hat er die Nase vorn. Der nutzt dich doch nur aus.«
Die Schokolade war inzwischen von alleine in meinem Mund geschmolzen. Ich schluckte. »Das glaube ich nicht, Jule. Mein Vater war doch immer für mich da und hat mich noch nie angelogen. Und Paul ...«, ich dachte an seine verwuschelten braunen Haare gestern Morgen in meinem Schlafzimmer, »... der ist in Wirklichkeit gar nicht so, wie er auf den ersten Blick zu sein scheint«, verteidigte ich die Verdächtigen und irgendwie auch mich selbst.
Jule gab ein verächtliches Grunzen von sich. »Natürlich nicht. Der ist auf den zweiten Blick noch schlimmer.« Sie setzte sich wieder hin. »Dann ist es ja kein Problem, sie zur Rede zu stellen.«
»Wen?«
Jule warf die Arme in die Luft. »Na, Paul? Deinen Vater?«
»Wie soll das gehen?«
»Du setzt dich in dein Auto, fährst hin, klingelst und erhebst Anklage. Wer von uns ist denn hier die Anwältin?«
»Jetzt? Sofort?« Ich schaute Jule an, und mir war klar, sie meinte das ernst.
»Nein, nächste Woche.« Sie schüttelte ihre Locken. »Natürlich jetzt. Ich denke, du musst dich bis morgen entscheiden?«
Das war nicht ganz das, was ich mir von dem Abend erhofft hatte. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass sie mich mit einem freundlichen Tritt in den Allerwertesten auf den richtigen Weg beförderte.
»Wenn du meinst ...«, gab ich nachdenklich zurück. Mit etwas Glück stellte sich das alles bloß als harmloses Missverständnis heraus, und meine Welt wäre wieder in Ordnung.
»Meine ich.«
Damit war die Sache beschlossen.
Keine zehn Minuten später saß ich in meinem Firmenwagen und steuerte diesen in Richtung Paul. Wenn überhaupt, dann steckte er dahinter. An der Ehrlichkeit meines Vaters wollte ich auf keinen Fall zweifeln.
Um diese Zeit herrschte kaum Verkehr. Ich erreichte die Straße, in der Paul wohnte, ehe ich dazu kam, es mir anders zu überlegen. Die Dämmerung wurde nur von den Straßenlaternen und vereinzelt erleuchteten Fenstern durchbrochen. Als ich um die Ecke bog, erspähte ich einen freien Parkplatz fast genau vor seinem Haus. Wenn das kein Zeichen war!
Ich drückte das Gaspedal durch und schoss auf die Lücke zu. Ein kurzer lauter Knall, dann war es still. Nachdem ich den Schock so weit verdaut hatte, dass mein Körper mir wieder gehorchte, öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge und wagte einen Blick durch die Windschutzscheibe.
Der rechte Kotflügel bildete eine Einheit mit der Motorhaube eines anderen Fahrzeuges. Wie ein U-Boot im Meer war es aus einer Tiefgaragenausfahrt aufgetaucht. Ein dunkler Audi, der meinem Wagen verdammt ähnlich sah. Mit zitternden Fingern schnallte ich mich ab. Der Pulsschlag rauschte in meinen Ohren.
Langsam öffnete ich die Fahrertür und stieg aus. Ich schlich auf wackeligen Beinen um die Front meines Autos herum und bückte mich, um einen Blick auf das gegnerische Nummernschild zu werfen. D-GP, Goldbach und Partner. Offenbar hatte das Schicksal die Sache mit dem Treffen wörtlich genommen. Ich richtete mich wieder auf.
Aus dem anderen Fahrzeug stieg niemand Geringerer als Paul Hartmann. »Katharina, um Gottes willen, ist dir was passiert?« Er umrundete unsere Autos mit schnellen Schritten und starrte mich ungläubig an.
»Nein ... nein ... alles in Ordnung«, stotterte ich. Das bezog sich aber genau genommen nur auf mögliche körperliche Schäden, denn ansonsten war gerade gar nichts in Ordnung.
»Was um alles in der Welt machst du hier?«
»Einen Parkplatz suchen.« Bescheuerte Antwort.
»Und warum wolltest du hier parken?« Noch bescheuertere Frage.
»Mensch, Paul, stell dich doch nicht dümmer, als du bist. Ich wollte zu dir.«
»Zu mir? Habe ich irgendetwas verpasst? Also ... nicht, dass du denkst, ich würde mich nicht freuen, aber waren wir denn verabredet?«
Entgegen seiner sonstigen Selbstsicherheit wirkte er merkwürdig nervös auf mich. Ob er den Grund meines Besuches ahnte? Vielleicht hatte ihn auch nur der Unfall geschockt.
»Ich dachte, du bereitest dich auf deine Dienstreise vor? So wie sonst auch immer«, sagte er.
In diesem Augenblick schwappte meine Wut über den Deich, der sie bislang zurückgehalten hatte. Ich funkelte ihn an. »Moment mal, Paul, ich hatte die Reise dir gegenüber mit keinem Wort erwähnt. Woher weißt du überhaupt davon? Steckst du also doch dahinter! Das hätte ich mir ja denken können. Ich hoffe, du hattest deinen Spaß mit mir.« Meine Stimme hallte durch die Häuserfronten der menschenleeren Straße.
»Wohinter stecke ich?«, fragte er, und es klang ehrlich erstaunt. Wenn ich nur nicht schon mehr als einmal Zeuge seiner Schauspielkünste geworden wäre.
»Jetzt tu doch nicht so! Hinter diesem ominösen Immobiliengeschäft natürlich, das unbedingt von mir erledigt werden muss.« Meine Lautstärke hatte sich kein bisschen vermindert.
Über uns erstrahlte ein Lichtschein. Ein Fenster wurde geöffnet. »Hallo, was ist denn da unten los? Brauchen Sie Hilfe? Soll ich die Polizei rufen?«
»Nein, nein. Alles in Ordnung. Wir wickeln das unter uns ab. Vielen Dank.« Paul bemühte sich, den Anwohner zu beschwichtigen, der sein Fenster daraufhin tatsächlich wieder schloss. »Katharina, jetzt beruhige dich doch mal. Du weckst noch die ganze Straße auf.«
»Ich soll mich beruhigen? Nicht, bevor du mir hier und jetzt erklärst, was du mit dieser plötzlichen Dienstreise zu tun hast. Ich höre ...«
Im selben Moment glomm die Innenbeleuchtung seines Fahrzeugs auf. Jemand hatte die Beifahrertür geöffnet und versuchte, sich aus dem Auto zu schleichen. Und dieser Jemand war mir nicht unbekannt.
»Ach, sieh mal einer an, Laura. Da bin ich ja gerade richtig gekommen.« Mein bis dato stetig steigender Wutpegel wich schlagartig der Fassungslosigkeit. Jule hatte mal wieder recht behalten. Ich ärgerte mich über mich selbst. Paul war offenbar doch genauso intrigant, wie er auf den ersten Blick wirkte. Und obendrein ein Frauenheld. Zwei Affären gleichzeitig waren eine zu viel.
Laura steckte nach wie vor halb in der nur einen Spaltbreit geöffneten Beifahrertür und piepste heraus: »Darf ich auch mal was sagen?«
»Bitte, setz dich wieder in den Wagen«, flehte Paul sie an.
»Halt einfach die Klappe.« Ich schluckte. »Haltet beide einfach die Klappe. Weißt du was, Paul?« Inzwischen war Ruhe eingekehrt, und ich rang um Fassung. »Du kannst das Mandat dieses Baukonzerns geschenkt haben und Laura gleich dazu. Ich hoffe, du beißt dir die Zähne aus, an beiden. Ich werde an diese verfluchte Nordseeküste fahren, und was immer mich da erwartet: Ich kriege das hin. Du wirst schon sehen, und dann kannst du dich warm anziehen.«
Würdevoll baute ich mich zu meiner vollen Größe von immerhin einem Meter fünfundsechzig auf. Die Schuhe nicht mitgerechnet.
»Katharina, bitte, so glaub mir doch, ich war genauso überrascht von Goldbachs Entscheidung wie du ...« Ein letzter kläglicher Rettungsversuch.
Eigenwillige Strategie, um mich von einer Beziehung mit ihm zu überzeugen, für die wir aus seiner Sicht erst gestern noch das perfekte Team waren. Ich hatte genug gehört.
»In der Zwischenzeit darfst du dich gerne um die beiden Firmenwagen kümmern. Die Straßenverkehrsordnung dürfte dir bekannt sein, damit wäre die Schuldfrage wohl geklärt.« Ich drehte mich um, räumte ein paar persönliche Dinge aus dem Auto in meine Handtasche, hängte sie mir über die Schulter und warf ihm die Schlüssel vor die Füße.
Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, war keine Spur von einem Gewinnerlächeln in seinem Gesicht zu erkennen. Stattdessen stand er da wie ein begossener Pudel.
Währenddessen erinnerte sich das Universum wohl wieder an seine Bewohnerin Katharina König und schickte ein freies Taxi mit leuchtendem Schild um die Ecke. Ich winkte den Wagen heran und stieg ein, ohne Paul eines weiteren Blickes zu würdigen. Nachdem ich dem Fahrer meine Adresse genannt hatte, zückte ich das Handy. Zwei Nachrichten beendeten diesen furchtbaren Tag.
Eine sandte ich an Jule:
Du hattest recht. Ich fahre.
Die zweite verschickte ich an meinen Chef:
Habe mich entschieden, den Auftrag anzunehmen. Bitte senden Sie mir die erforderlichen Unterlagen per Mail.
Bei dem Wort »Mail« schlug ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Ich hatte meinen Laptop im Auto vergessen. Danke für nichts, Paul! Noch mal umzudrehen und dem Verräter ins Gesicht zu sehen kam auf keinen Fall infrage. Ich hatte das Handy, alles Weitere würde sich schon finden. Ändern ließ es sich ohnehin nicht mehr.
Zaghaft stahl sich bei dem Gedanken an die bevorstehende Herausforderung ein kleines Lächeln in meine Mundwinkel.
Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper und trat von einem Bein auf das andere. Wie lange war es her, dass ich zum letzten Mal auf einem Bahnsteig gefroren hatte, noch dazu so früh am Morgen? Damals hatten die Zahlenplättchen der Anzeigetafel über meinem Kopf im Minutentakt geklackert. Heute verursachte die Digitalanzeige keine Geräusche mehr. Die Verspätungen waren trotzdem geblieben.
Kurz überlegte ich, ob mich ein Coffee-to-go aufwärmen würde. Angesichts meines Misstrauens gegenüber den hygienischen Bedingungen der Bahnhofsumgebung sah ich dann aber doch lieber davon ab. Für einen Aufenthalt in einem Café reichte die Zeit nicht, da ich vor der Taxifahrt zum Bahnhof dringend die Haare hatte glätten müssen. Prioritäten waren das A und O im Leben.
In diesem Moment hätte ich ein Königreich für meinen Audi gegeben. Die Sitzheizung hochdrehen, mich in die Polster fallen lassen und dem Klang der Musikanlage lauschen ...
Stattdessen schepperte eine Durchsage aus dem Lautsprecher und riss mich aus meinen Gedanken: »Meine Damen und Herren, auf Gleis siebzehn fährt ein der ICE nach Emden-Hauptbahnhof über Münster und Rheine. Abfahrt 8:02 Uhr. Heute zwanzig Minuten später. Grund dafür ist eine Verspätung aus vorheriger Fahrt. Achtung, Zugbetrieb. Halten Sie Abstand von der Bahnsteigkante und betreten Sie den gekennzeichneten Bereich erst nach Halt des Zuges.«
Das Bremsgeräusch des einfahrenden Zuges schmerzte in meinen Ohren. Kaum hatten sich die Türen geöffnet, rannten die Menschen um mich herum los, als hätten sich bei einem Pferderennen die Startboxen entriegelt. Ich zerrte meinen wenig kooperativen Trolley hinter mir her. Mehrfach drohte ich diesem eigenwilligen Gepäckstück lautlos die Kündigung unserer Freundschaft an.
Eingekeilt in einem Bienenstock voller Menschen ignorierte ich die Informationen des Wagenstandanzeigers und flüchtete in den nächstbesten Waggon. Offenbar ein verbreitetes Phänomen, denn der Mittelgang war verstopft mit Fahrgästen, die in entgegengesetzte Richtungen unterwegs waren. Alle murmelten Entschuldigungsfloskeln und bemühten sich, Frontalzusammenstöße zu vermeiden.