Herzsprechstunde - Sandra Eifert - E-Book

Herzsprechstunde E-Book

Sandra Eifert

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Beschreibung

Die unterschätze Gefahr: Herz-Kreislauferkrankungen sind mittlerweile die Todesursache Nr. 1 bei Frauen in der westlichen Welt

Die Herzchirurgin und Gendermedizinerin Prof. Dr. med. Sandra Eifert, Leiterin einer der größten europäischen Frauenherzsprechstunden, und die Medizinerin und Wissenschaftsjournalistin Dr. med. Suzann Kirschner-Brouns haben mit viel Empathie und leicht verständlich die wichtigsten Erkenntnisse aus Forschung und Praxis über das weibliche Herz zusammengestellt. Welche Ursachen haben Herz-Kreislauferkrankungen gerade bei Frauen? Wie können Frauen sie vermeiden und was braucht das Herz, um gesund zu bleiben oder zu heilen?

Denn das Frauenherz ist kein kleines Männerherz. Es gibt anatomische Unterschiede und gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen diese eine große Rolle. Obwohl zwei Drittel der Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der westlichen Welt Männer sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen an der Krankheit sterben, doppelt so hoch. Bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr sind Herzkreislauferkrankungen die Todesursache Nummer eins.

Das weibliche Herz reagiert stark auf große Gefühle wie Liebe und Trauer, auf Ansprüche und Werte in unserer Kultur. In der Herzkrankheit oder der Herzgesundheit bildet sich die individuelle Lebensgeschichte ab.

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Seitenzahl: 328

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ZUMBUCH:

Die Herzchirurgin und Gendermedizinerin Prof. Dr. med. Sandra Eifert, Leiterin einer der größten europäischen Frauenherzsprechstunden, und die Medizinerin und Wissenschaftsjournalistin Dr. med. Suzann Kirschner-Brouns haben mit viel Empathie und leicht verständlich die wichtigsten Erkenntnisse aus Forschung und Praxis über das weibliche Herz zusammengestellt. Welche Ursachen haben Herz-Kreislauf-Erkrankungen gerade bei Frauen? Wie können Frauen sie vermeiden, und was braucht das Herz, um gesund zu bleiben oder zu heilen?

Denn das Frauenherz ist kein kleines Männerherz. Es gibt anatomische Unterschiede, und gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen diese eine große Rolle. Obwohl zwei Drittel der Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der westlichen Welt Männer sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen an der Krankheit sterben, doppelt so hoch. Bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nummer eins.

Das weibliche Herz reagiert stark auf große Gefühle wie Liebe und Trauer, auf Ansprüche und Werte in unserer Kultur. In der Herzkrankheit oder der Herzgesundheit bildet sich die individuelle Lebensgeschichte ab.

ZUDENAUTORINNEN:

Dr. med Suzann Kirschner-Brouns ist Ärztin, Medizinjournalistin und Autorin zahlreicher Patientenratgeber. Sie war Chefredakteurin einer gynäkologischen Fachzeitschrift und der Gesundheitsbeilage »wohl« in DERSPIEGEL. Sie gilt als etablierte Autorin für Gesundheitsthemen und hat einen YouTube-Kanal für Frauengesundheit.

Sandra Eifert, Oberärztin am Herzzentrum Leipzig, ist seit 16 Jahren Herzchirurgin und hat in ihren Jahren in der Transplantationsmedizin das Leben vieler Menschen gerettet. Persönliche Erlebnisse und die Konzentration auf die Gendermedizin haben ihre Sichtweise auf das Herz vertieft. Heute kennt sie die Bedürfnisse der Frauen mit Herzerkrankungen in all ihren Facetten. Aus vielfältigen Patientengesprächen weiß sie, welche Anliegen und Bedürfnisse die Frauen mit Herzerkrankungen haben und wie immens wichtig es ist, den Patientinnen gut zuzuhören. Denn das persönlich Erlebte fließt mit den diagnostischen Untersuchungsergebnissen in die individuelle Krankengeschichte ein und bildet den Schlüssel zur Heilung des weiblichen Herzens.

www.cbertelsmann.de

PROF. DR. MED. SANDRA EIFERT

DR. MED. SUZANN KIRSCHNER-BROUNS

HERZSPRECHSTUNDE

Warum das WEIBLICHE HERZ anders ist und wie es gesund bleibt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Alle Angaben in diesem Buch wurden sorgfältig geprüft. Dennoch können Verlag und Autorinnen keine Gewähr für deren Richtigkeit übernehmen.

Copyright © 2023 C.Bertelsmann

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt

Umschlagabbildung: © Michael Bader

Illustrationen: Sabine Timmann

Grafiken: Leingärtner, Nabburg

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-30592-5V001

www.cbertelsmann.de

INHALT

VORWORT

1  HERZDAME – EINFRAUENHERZISTKEINKLEINESMÄNNERHERZ

Gendermedizin – welchen Einfluss hat das Geschlecht?

Herzrisiken bei Frauen

Risikofaktoren für das Frauenherz

Gendern in der Diagnostik

2  DEINISTMEINGANZESHERZ

Die Power des Herzens – Zahlen und Fakten

Einflüsse auf das Herz – Psyche, Umwelt und Epigenetik

3  DASHERZIMLAUFEINESFRAUENLEBENS – DEREINFLUSSDERHORMONE

Die Geschlechtshormone

Das menstruierende Herz

Das Mutterherz – ein Herz für zwei

Das Herz in den Wechseljahren

Das weise Herz

4  DON’T BREAKMYHEART – HERZERKRANKUNGENUNDHERZSCHMERZ

Herzrhythmusstörungen der Frau

Die Herzkranzgefäßerkrankungen der Frau

Geschlechterunterschiede in der Behandlung der koronaren Herzkrankheit

Stresskardiomyopathie – das Broken-Heart-Syndrom

Das mitfühlende Herz bei (Brust-)Krebs

5  ATEMLOS – WENNDASHERZAUFGIBTUNDWEITEREHERZTHEMEN

Das schwache Herz beim »starken Geschlecht«

Behandlung der Herzschwäche der Frau

Herztransplantation – von Herz zu Herz

Weibliche Herzklappenerkrankungen

(Herz-)Medikamente bei Frauen

6  DASFREUTDASFRAUENHERZ – WIESIEIHRHERZJUNG, GESUNDUNDFITHALTEN

Sport und Bewegung

Ernähren Sie Ihr Herz richtig

Orale Gesundheit und Herz

Das gestresste Frauenherz

Entspannung für das Herz

Herz und Seele

Selbstfürsorge

ABSCHLIESSENDEGEDANKENZUMHERZEN

QUELLENNACHWEIS

REGISTER

VORWORT

Das menschliche Herz ist seit Jahrhunderten das Symbol überhaupt für Leben, Liebe, Empathie und Zuneigung. Glückliche und deprimierende Erlebnisse, freudige und traurige Erfahrungen, leichte und schwere Schicksalsschläge und Herausforderungen jeglicher Art muss jeder Mensch im Lauf seines Lebens bewältigen. Und unser Herz ist immer dabei. Es schlägt und schlägt und schlägt. Es darf sich keine Pause gönnen. Haben Sie Ihrem Herzen schon jemals gedankt? Dafür, dass es Sie tagtäglich durch dick und dünn trägt und jede kleine oder große Eskapade Ihres Lebens mitmacht. Die Natur hat die Frau mit der unglaublichen Fähigkeit ausgestattet, (anderes) Leben zu beschützen. Deshalb haben Frauen zu vielem eine Verbindung, die aus dem tiefsten Herzen kommt.

Herzsprechstunde haben wir für alle Frauen geschrieben: für Frauen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen wollen und bei denen möglicherweise bestimmte weibliche Risikofaktoren vorliegen. Für Frauen, bei denen bereits eine Herzerkrankung diagnostiziert wurde. Für Frauen in den Lebensphasen Schwangerschaft, Menopause sowie für Frauen, die sich wissentlich oder unwissentlich bereits im Alterungsprozess befinden. Das weibliche Herz steht hierbei immer im Fokus.

Unser Ziel mit diesem Buch ist es, die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Gesundheit und Krankheit zu benennen und zu berücksichtigen. Wir wollen ausdrücklich nicht Unterschiede neutralisieren oder nivellieren. Geschlechterunterschiede erstrecken sich über alle Aspekte einer Herzerkrankung; von den Risikofaktoren für ihre Entstehung über die Symptomatik, die Diagnostik, die Therapie bis zum Verlauf und insbesondere bis zum Überleben. Erleiden Frauen einen Herzinfarkt, dann sterben sie öfter als Männer. Der Herzinfarkt ist bei Frauen in westlichen Ländern die Todesursache Nummer 1 (und liegt damit vor Tumorerkrankungen).

Große Auswirkungen auf die Herzgesundheit können die manchmal sehr feinen Unterschiede zwischen Männern und Frauen haben. Das Frauenherz ist schon anatomisch kein kleines Männerherz. Seelische Einflüsse wirken auf die Herzen von Frauen meist stärker als auf die von Männern. Das führt dazu, dass emotional stark belastende Situationen durch Trauma, Verlust und Liebeskummer bei Frauen meist eine große Bedeutung haben und unter Umständen zum Herzinfarkt führen können. Bei Männern spielt hingegen die körperliche Belastung als Auslöser für einen Herzinfarkt eine größere Rolle. Wir setzen uns für die Berücksichtigung dieser geschlechtsspezifischen Unterschiede und besonders der weiblichen Besonderheiten des Herzens ein, um die Medizin auf die jeweilige Patientin passgenau und individuell präzisieren zu können.

Die Bedeutung der Hormone für das Leben der Frau erfährt in diesem Buch deshalb eine besondere Aufmerksamkeit. Ein großer biologischer Vorteil der Frau ist der natürliche, durch die weiblichen Hormone (vor allem durch das Östrogen) bedingte Gefäßschutz. Dieser nimmt ab der Menopause ab. Bei Frauen spielen die hormonellen Umstellungsphasen wie Pubertät, Schwangerschaft und Wechseljahre eine ganz entscheidende Rolle. Die starken hormonellen Veränderungen während dieser Lebensphasen wirken in vielerlei Hinsicht, unter anderem auf das Herz-Kreislauf-System.

Jeder Mensch hat in sich weibliche und männliche Anteile, unabhängig von seinem biologischen Geschlecht. Diese weiblichen Anteile, die für die Herzgesundheit wichtig sind, wollen wir in diesem Buch ansprechen. Wir wollen Frauen in ihrer natürlichen Autorität stärken und sie ermutigen, auf ihr Herz, ihre weibliche Kraft und Intuition zu vertrauen. Diese Eigenschaften wollen wir kultivieren und stärken.

Und noch etwas »Frauenspezifisches«: In vielen Familien sind Frauen die Gesundheitsmanagerinnen und umsorgen ihre Nächsten in Krisensituationen und bei Krankheit. Für sich selbst nehmen sie sich eher wenig Zeit und Raum und treten oft hinter anderen zurück.

Wir möchten Sie, liebe Leserin, in diesem Buch mit wissenschaftlich fundierten Fakten und gleichzeitig allgemeinverständlich aufbereiteten Informationen motivieren, mit Ihrem Herzen vertraut zu werden, es kennenzulernen und Sorge dafür zu tragen. Wir wollen Sie auch darin bestärken, selbstbewusst für Ihre Gesundheit einzutreten und auf Ihre körperlichen Signale zu achten. Aus tiefer Überzeugung beinhaltet das Buch die Kombination von evidenzbasierter Medizin und der ganzheitlichen Betrachtung von Körper, Geist und Seele.

Wie für alle Bücher zu medizinischen Themen, so gilt auch für unseres: Das Buch ersetzt keinen Besuch in der Praxis und kein beratendes Gespräch mit Ihrem Arzt. Achten Sie auf sich und Ihr Herz! Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl! Nehmen Sie auftretende Beschwerden ernst und lassen Sie diese abklären!

Wir Frauen haben heute eine doppelt so hohe Lebenserwartung wie vor hundert Jahren. Wir haben hervorragende Chancen und Möglichkeiten, diese Jahre gesund, glücklich, zufrieden und aktiv für unsere eigenen Träume und Ideen zu nutzen. Mit einem gesunden und glücklichen Herzen!

Über Ihr Herz werden wir, liebe Leserin, mit Ihnen in den Dialog treten.

Noch zwei Hinweise zur Form: Wir haben uns dagegen entschieden, in diesem Buch sprachlich streng zu gendern, weil es nicht dem entspricht, wie wir im täglichen Leben sprechen und schreiben. Unser Quellenverzeichnis ist kapitelweise thematisch geordnet.

1  HERZDAME – EIN FRAUENHERZ IST KEIN KLEINES MÄNNERHERZ

Ich schenke dir mein Herz. Ich bringe es nicht übers Herz. Ich nehme es mir zu Herzen. Wie kein anderes Organ verkörpert das Herz die Liebe und den Schmerz, den Mut und die Verzweiflung, das Leben und den Tod.

Ob Mensch, ob Tier – für alle ist das Herz der unverzichtbare Taktgeber des Lebens. Hört es auf zu schlagen, dann steht der Blutkreislauf still und sämtliche Körperfunktionen kommen zum Erliegen. Alle Organe einschließlich des Herzens, alle Gewebe und Zellen erhalten dann keinen Sauerstoff und keine Nährstoffe mehr. Das Herz ist ein anatomisches und physiologisches Wunderwerk der Natur.

In unserem Buch beschäftigen wir uns mit dem »weiblichen Herzen«, und deshalb möchten wir zunächst erklären, welche riesige und entscheidende Bedeutung das Frausein in der Medizin hat.

Immer noch heißt es in den Kliniken und vielen Arztpraxen ganz selbstverständlich der Patient, wohlgemerkt mit männlichem Artikel. Kein Wunder, dass in unserem Gesundheitssystem Frauen darum wie der Patient behandelt werden. Frauen sind aber keine kleinen Männer, und das Frauenherz ist auch kein kleines Männerherz.

Schauen wir uns die Herzdame genauer an.

GENDERMEDIZIN – WELCHEN EINFLUSS HAT DAS GESCHLECHT?

Keine Angst, liebe Leserin, Sie erleben uns jetzt nicht als radikale Feministinnen, die den Männern den Garaus machen möchten oder dazu auffordern, Männer und Frauen gleich zu behandeln oder gar das eine Geschlecht gegenüber dem anderen zu diskriminieren. Wie langweilig und arm wäre die Welt ohne die Anziehung und Besonderheiten der Geschlechter (wir erklären weiter unten, wie in der Medizin »das Geschlecht« definiert wird).

Wir möchten hier aber ganz explizit die Unterschiede von Männern und Frauen im medizinischen Kontext herausstellen. Diese Unterschiede – individuell bzw. dem jeweiligen Geschlecht und den spezifischen Risikofaktoren entsprechend – müssen unbedingt in die Vorsorge und Behandlung einbezogen werden. Denn ob man als Mann oder Frau ein lebensbedrohliches gesundheitliches Ereignis erleidet, kann für beide unterschiedlich sein in Hinblick auf Leben und Tod!

My take

Suzann Kirschner-Brouns: »Der Informationsbedarf in der Bevölkerung ist groß. Seit einigen Jahren finden vor allem gendermedizinische Themen mehr Beachtung, besonders bei Frauen. Laut einer Umfrage der BKK in 2022 wünschen sich 82 Prozent der 1000 Befragten mehr Informationen darüber, wie sich Symptome bei Erkrankungen wie z. B. einem Herzinfarkt je nach Geschlecht unterscheiden.«

Unzählige Krankheiten wurden und werden bis heute bei Frauen voreilig als »hysterisch« oder psychisch abgetan, darunter nicht selten lebensbedrohliche Herzinfarkte. Werfen wir zunächst einen kurzen Blick in die Geschichte, um zu verstehen, warum das so war (und leider noch häufig so ist).

»Die Hysterie des Weibes«

Schauen wir in die Medizingeschichte, dann stolpern wir unwillkürlich über das Krankheitsbild »Hysterie« als vielleicht eine der ersten Krankheiten, die unter gendermedizinischen Gesichtspunkten beurteilt wurde.

Im vorletzten Jahrhundert befiel junge Mädchen und Frauen (aber niemals Männer!) eine merkwürdige Krankheit: Sie schlugen plötzlich um sich, bekamen keine Luft mehr und litten unter Muskelkrämpfen bis hin zu Lähmungen. Eine körperliche Ursache konnte nicht diagnostiziert werden. Man nannte das neue Krankheitsbild »Hysterie« (nach »Hystera« – dem altgriechischen Wort für Gebärmutter). Die Ärzte vermuteten, dass die Symptome mit der Gebärmutter zusammenhingen.

Für die Behandlung dieser Frauen wurden spezielle Krankenhäuser gebaut: die Geburtsstunde der Nervenheilanstalten. Der Philosoph Otto Weininger kommentierte die Krankheit Hysterie 1903 so: »Die Hysterie ist eine organische Krise der organischen Verlogenheit des Weibes.«

Ja, liebe Leserinnen, da fehlen einem zu Recht die Worte!

Der nächste Mann, der sich mit der Hysterie beschäftigte, war der Arzt und Psychoanalytiker Sigmund Freud. Immerhin sprach er über »die Krankheit des Gegenwillens«. Er betrachtete die Hysterie als Rebellion der Frau gegen ihr vorbestimmtes Leben als Hausfrau und Mutter, die zur damaligen Zeit auf Gedeih und Verderb dem Mann untertan zu sein hatte. Diese Sichtweise erscheint nachvollziehbarer und vermeintlich frauenfreundlicher.

Damit lag Freud auch vermutlich richtig, denn mit Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Emanzipation der Frau auch politisch Fahrt aufnahm und die ersten Frauen studieren konnten, verschwand das Krankheitsbild der Hysterie so plötzlich wieder, wie es aufgetreten war.

Was bedeutet »Geschlecht«?

Heutzutage differenziert man zwischen dem biologischen (sex) und dem sozialen (gender) Geschlecht.

Das biologische Geschlecht umfasst die geschlechtsspezifischen körperlichen Merkmale wie Gene und Chromosomen, Anatomie, Hormone, Immunsystem und Stoffwechsel. Das biologische Geschlecht basiert auf unseren Genen. Die Geschlechtschromosomen der Frau sind XX, also zweimal X, die des Mannes XY. Dem X-Chromosom werden circa 1500 Gene zugeordnet, die Eigenschaften für das Immunsystem, Hirn- und Herzfunktion sowie die Sexualhormone besitzen. Auf dem Y-Chromosom liegen etwa 78 Gene; sie codieren fast ausschließlich die Sexualfunktion beim Mann.

Das soziale Geschlecht ergibt sich aus den gesellschaftlichen Normen und geschlechtstypischen kulturellen und lebensstilbedingten Besonderheiten für Männer und Frauen. Welches Verhalten ist »typisch« männlich oder »typisch« weiblich in der Familie, Schule und Gesellschaft? Hier bestimmen insbesondere Rollenvorbilder und Rollenerwartungen das Selbstverständnis als Mann und Frau. Sie prägen das soziale Geschlecht.

Biologisches und soziales Geschlecht

Biologisches Geschlecht: körperlich geprägt (englisch: sex)

Chromosomen, Gene, Anatomie, Hormone und Sexualfunktion, Immunsystem, Stoffwechsel, Herz- und Hirnfunktion

Soziales Geschlecht: von der Umwelt geprägt (englisch: gender)

Familie, kulturelles Umfeld, gesellschaftliche Norm, Rollenvorbilder und -erwartungen, Schule, Ausbildungsplatz, Arbeitsplatz, Universität, Wahrnehmung, Zugang zum Gesundheitswesen

Beides, biologisches und soziales Geschlecht, beeinflusst unsere Gesundheit. Aber vor allem ist es das soziale Geschlecht, das in großem Maße bestimmt, ob eine Krankheit überhaupt als Krankheit angesehen wird.

In der Folge bestimmt dieser Umstand auch, wie dann mit dieser Krankheit umgegangen wird, siehe oben die »Hysterie«. Das soziale Geschlecht prägt auch den Zugang zum Gesundheitswesen, der in vielen Ländern in Abhängigkeit vom finanziellen Einkommen vor allem den Männern möglich ist, den Frauen hingegen nicht.

Ursprungsfamilie und Umgebung prägen den Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Wächst man z. B. in einer Familie auf, in der es als Schwäche gilt, krank zu sein (»Man fehlt im Betrieb nicht, da reißt man sich zusammen. Was soll das sein: krank sein?«) oder einen Arzt aufzusuchen (»Dafür habe ich keine Zeit. Es hilft einem ja doch keiner. Was soll der schon für mich tun? Ich brauche keine Hilfe.«), wird man als Erwachsene eher geneigt sein, Symptome zu ignorieren oder kleinzureden.

Erfährt man hingegen schon im Kindesalter Aufmerksamkeit für jedes Wehwehchen, so kann sich im besten Fall ein gesundes Verhältnis zu dem eigenen Körper und dessen Bedürfnissen entwickeln. Im übertriebenen Fall wird das Kind, das bei jedem kleinsten Symptom mit Aufmerksamkeit überschüttet wurde, als Erwachsener möglicherweise hypochondrische Züge entwickelt haben.

Medizin unter die Genderlupe genommen

In den 1990er-Jahren hat sich die Gendermedizin oder geschlechtersensible Medizin als medizinische Fachrichtung entwickelt. Sie befasst sich mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten bei Frauen und Männern in Bezug auf Gesundheit und Krankheit. Im Folgenden gehen wir auf die verschiedenen Aspekte ein.

Hier zunächst ein Überblick anhand der Gender Lens Tools, entwickelt von Anna Day von der Universität Toronto. Der Grundgedanke ist: Wenn alle Aspekte, im Großen wie im Kleinen, angeschaut werden, ist es möglich, Frauen in ihrem Gesundheitsverhalten und Krankheitsgeschehen umfassend zu verstehen, zu beschützen und zu therapieren bzw. zu heilen. Die Fragen der Gender Lens Tools mit den dazugehörigen individuellen genderspezifischen Antworten sind von immenser Bedeutung für eine umfassende, gute medizinische Behandlung von Frauen.

Faktoren

FRAGEN

Biologisch

Haben hormonelle Veränderungen einen Einfluss auf die Pharmakokinetik (die Wechselwirkung zwischen Arzneimitteln und Mensch) bei Frauen?

Adressieren Pharmakovigilanzstudien (Überwachung und Meldung von unerwünschten Ereignissen in der Arzneimittelprüfung) diesen Unterschied in adäquater Weise?

Sozial

Welche sind die erwarteten und erlernten Verhaltensregeln von Jungen und Mädchen?

Hat der soziale Status einer Person Einfluss auf ihren Zugang zum Gesundheitswesen, z. B. MRT, Herzchirurgie, Transplantationsmedizin?

Kulturell

Hat der Status Mädchen/Junge in einer bestimmten Kultur Einfluss auf den individuellen Zugang zum Gesundheitswesen?

Welche Auswirkungen haben bestimmte kulturelle Rituale auf die Gesundheit von Frauen und Mädchen in bestimmten Regionen?

Ökonomisch

Bestehen Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit niedrigem ökonomischem Status, was ihren Zugang zum Gesundheitswesen angeht?

Bezieht sich die medizinische Literatur auf den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und schlechter Gesundheit?

Politisch

Bestehen politische Barrieren, die medizinische Studien bei frauenspezifischen Themen verhindern?

Wie hat die Politik die Finanzierung von Forschungsprojekten beeinflusst, z. B. bei Prostata- und Brustkrebs?

Bildungsbedingt

Werden Mädchen und Frauen in der Schule und von ihren Ärzten über die Bedeutung des Pap-Abstriches informiert? Werden Jungen und Männer über Prävention aufgeklärt?

Sind Mädchen mit schlechterer Schulbildung sich bewusst, welche Vorsorgemaßnahmen sie in Anspruch nehmen können?

Tab. 1: Beispielfragen, wie die Anteile des Lebens zum individuellen Geschlecht beitragen können einschließlich biologischer, sozialer, kultureller, ökonomischer, politischer und bildungsbedingter Faktoren

Krankheitsaspekt

Fragen in Abhängigkeit von biologischem/sozialem Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, sozioökonomischem Status

Inzidenz/ Prävalenz

Variieren Inzidenz, neu auftretende Krankheitsfälle, Prävalenz, Gesamtzahl der Krankheitsfälle? Sind Screening-Programme für alle Menschen vorhanden, gleich zugänglich und von gleicher Qualität?

Diagnostik/ Untersuchungen

Unterscheiden sich Symptome und Zeichen einer Erkrankung?

Achtet das medizinische Personal auf die Unterschiede?

Unterscheidet sich die Untersuchung einer bestimmten Erkrankung bei Männern und Frauen?

Risikofaktoren

Variieren Risikofaktoren einer bestimmten Erkrankung?

Unterscheidet sich die Pathogenese einer bestimmten Erkrankung?

Anamnese

Bestehen Unterschiede in der Pathologie?

Ist die Antwort auf ein Pathogen oder einen Trigger unterschiedlich?

Behandlung und Outcome

Unterscheiden sich Behandlungsempfehlungen?

Gibt es unterschiedliche Antworten auf eine Therapie?

Unterscheidet sich das Ergebnis einer bestimmten Therapie von einer anderen?

Hat eine Behandlungsmethode bei allen die gleiche Akzeptanz?

Tab. 2: Erkrankungsaspekte unter geschlechtsspezifischem Gesichtspunkt. Beispielfragen, deren Antworten sich hinsichtlich der vier folgenden Faktoren unterscheiden können: Sex (biologisches Geschlecht), Gender (soziales Geschlecht), Kultur und Gesellschaft, sozioökonomischer Status

Wie Sie sehen, denkt Gendermedizin breit. Es werden im Umgang mit Patientinnen das biologische und das soziale Geschlecht einbezogen. Es werden sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf eine bestimmte Erkrankung bedacht und darüber hinaus der gesamte mögliche Krankheitsverlauf. Geschlechtsspezifische Risikofaktoren hinsichtlich Krankheitsentstehung, Symptomatik, Diagnostik und Therapie bis hin zum Krankheitsverlauf und zur Überlebensrate werden berücksichtigt.

Dazu gehören viele Einzelfaktoren:

Welche Krankheiten treten vornehmlich bei Frauen bzw. Männern auf?

Wie ist die Krankheitshäufigkeit (Inzidenz)?

Wie äußern sich Symptome bei männlichen und weiblichen Patienten im Rahmen einer Erkrankung? Oft ist es nicht dasselbe Krankheitsbild!

Welche diagnostischen Methoden kommen bei Männern und Frauen zum Einsatz?

Welche Therapieformen sind unter geschlechtsspezifischer Sicht erfolgversprechend(er)?

Sollten Medikamente und ihre Dosierung ähnlich oder gegebenenfalls unterschiedlich verordnet werden? Sind die Wirkung und Wirksamkeit von Medikamenten für männliche und weibliche Patienten »gleich« oder anders?

Schmerzempfindung und -kommunikation sind zwischen Männern und Frauen unterschiedlich. Östrogen spielt hier eine große Rolle.

Frauen und Männer nehmen ihre Körper unterschiedlich wahr und behandeln ihren erkrankten Körper auch anders. Thema: Umgang mit Abhängigkeit und Hilflosigkeit.

Männer und Frauen besitzen ein anderes Risikoverhalten und gehen mit potenziell bedrohlichen Situationen unterschiedlich um.

Frauen und Männer kommunizieren anders und pflegen einen unterschiedlichen sozialen Umgang.

In welcher Lebenslage bzw. häuslichen Situation, in der Krankheit bewältigt werden muss, befindet sich der Mann bzw. die Frau (Single, Versorger/-in, Versorgte/r)?

Wie hoch ist das Einkommen, das Vermögen, die Rente, die soziale Absicherung?

Gender Data Gap

Bis heute ist die Erforschung medizinischer Therapien vor allem auf Männer ausgerichtet. Das zieht sich durch die gesamte Landschaft, von männlichen Labormäusen bis zu männlichen Studienteilnehmern. Das Argument lautet: Bei Frauen besteht immer die Möglichkeit, dass sie im Zeitraum einer laufenden Studie schwanger sind oder werden. In diesem Sinne muss ausgeschlossen sein, dass der Embryo geschädigt wird und die Studie aus ethischen Gründen nicht fortgesetzt werden kann. Das verzögert den Prozess und kostet Zeit und Geld. Also forscht man lieber gleich vorzugsweise an gesunden, jungen, normalgewichtigen Männern.

Die Konzeption dieser Studiendesigns ist also verständlich, aber sehr unglücklich, um nicht zu sagen: fatal. Denn sie verzerrt seit Jahrzehnten das Wissen über weibliche Anatomie und Physiologie.

Und damit nicht genug. Auch Diagnostik, Klinik, Therapie einschließlich Operationstechniken und Medikamentenwirkungen sind dann logischerweise nicht auf das weibliche Geschlecht abgestimmt. Sprich: Frauen bekommen Medikamente und Therapien, deren Wirkung nie vorher am weiblichen Organismus getestet wurde. Das kann durchaus heißen, dass die Therapie für die Frau gut sein kann, aber eventuell eben auch nicht.

Auf der ganzen Welt ist die Situation die gleiche: Frauen bekommen fast ausschließlich Medikamente und Medikamentendosen, die für den männlichen Körper und das männliche Gewicht gelten. Viele davon werden aber im weiblichen Verdauungstrakt, in der Leber und vom weiblichen Stoffwechsel ganz anders aufgenommen, verarbeitet und abgebaut. Mitunter bleiben die Stoffwechselprodukte länger im Körper, sie wirken stärker und haben andere oder stärkere Nebenwirkungen. Oder aber – das gibt es auch – Frauen bräuchten eine stärkere Dosis des spezifischen Wirkstoffes, sind also untertherapiert.

Die Frage lautet: Wie kann ein Medikament oder eine Therapie evidenzbasiert für beide Geschlechter gelten, wenn es nur für die eine Hälfte der Patienten erprobt und darum auch nur für diese eine Hälfte der Menschheit safe ist?! Diese Ignoranz ist erstaunlich, vor allem, da die evidenzbasierte Medizin als Nonplusultra bzw. Goldstandard in Medizin, Wissenschaft und Politik gilt.

Wertet man Daten großer Studien nach dem Geschlecht aus, d. h. ob sie von männlichen oder weiblichen Probanden stammen, so wird schnell klar, dass es große Unterschiede in den verschiedensten Bereichen der Medizin gibt. Zum Beispiel Autoimmunerkrankungen haben vornehmlich Frauen und Tumorerkrankungen des Blut- oder Lymphgefäßsystems vorrangig Männer.

Der kleine Unterschied lässt sich biologisch und soziokulturell also nicht leugnen, auch wenn wir Gendergerechtigkeit in vielen anderen Bereichen des Lebens selbstverständlich gutheißen. Ziel der Gendermedizin ist es aber gerade, die spezifischen Unterschiede herauszustellen und sie in Diagnostik und Therapie zum Wohle der Patientin zu berücksichtigen.

Wir betonen das noch einmal (und bestimmt noch öfter):

In der Medizin müssen Männer und Frauen aus unterschiedlichen Perspektiven angeschaut und behandelt werden, damit für beide in der bestmöglichen Art und Weise Prävention, Diagnostik, Therapie angewandt werden und Heilung stattfinden kann.

Auch wenn in der Frauenmedizin mittlerweile viel geforscht wird, ist die Datenlage im Vergleich zur Männermedizin immer noch dünn. Man spricht hier analog zum Gender Pay Gap von einem Gender Data Gap. Vor allem werden Erkenntnisse, die man bei Frauen häufiger beobachtet, heute oft immer noch als unnormal oder atypisch eingeordnet, wenn sie sich nicht mit den gängigen Resultaten aus Studien an Männern decken. Dabei ist das Studienergebnis dann eben nicht unnormal oder atypisch, sondern genau das: frauenspezifisch.

Doch vor der Therapie erfolgt erst einmal der Besuch beim Arzt oder Therapeuten. Schon hier, in der Begegnung zwischen Patientin und Arzt oder Therapeuten, fällt ein kulturell-erzieherischer Aspekt ins Gewicht, der sowohl Diagnosestellung als auch Therapie bei Männern und Frauen beeinflussen kann: die unterschiedliche Kommunikation.

Gender Communication – Warum Ärzte nicht zuhören und Patientinnen nicht auf den Punkt kommen

Wir wissen, dass wir uns in diesem Abschnitt auf das wackelige Feld der Vorurteile begeben, wenn wir »typisch« männliche und »typisch« weibliche Eigenschaften betrachten. Wir tun es dennoch, weil die Verhaltensweisen von Männern und Frauen tagtäglich in der ärztlichen Praxis gravierende Folgen für die Gesundheit haben können. Die im Folgenden überspitzten Darstellungen sind also Absicht.

Männer sind eher sach- und zielorientiert, Frauen reagieren emotionaler und beziehen vieles auf sich persönlich. Männern ist es egal, ob sie mit einem netten oder weniger sympathischen Menschen zusammenarbeiten (müssen), Hauptsache, sie kommen mit ihren Vorstellungen ans Ziel. Testosteron ist an dieser Stelle ein biologischer Vorteil, denn ein hoher Testosteronlevel macht Männer in ihrem beruflichen Umfeld resistenter. Sie machen sich keine Sorgen, wer wie über sie denken könnte oder wer sie vielleicht nicht gut findet. Die Meinung Dritter prallt an Männern eher ab als an Frauen.

Bei Frauen ist das anders. Ihre Sensibilität macht sie vielleicht sympathischer, aber im Job kann die »Empfindlichkeit« unter Umständen zu einem Problem werden. Weil Frauen Konflikte weniger aussitzen, sondern eher ausdiskutieren wollen, gelten sie als weniger resistent und stärker anfällig. Trotz Genderdiskussion, gendergerechter Sprache, Veränderungen in Firmen usw. unterliegt das Kommunikationsverhalten von Männern und Frauen leider immer noch häufig diesen biologischen Parametern.

Frauen arbeiten zudem auch eher in Projekten mit Menschen, die ihnen sympathisch sind und mit denen sie gute soziale Beziehungen eingehen können. Sehr viele Frauen sagen aus, dass sie sich gegen Projekte entscheiden oder diese nicht gut oder erfolgreich verlaufen, wenn die Chemie zwischen den Beteiligten nicht stimmt. Das war auch bei uns beiden Autorinnen so. Wir kannten uns vor diesem Buchprojekt nicht, und die gegenseitige Sympathie spielte eine entscheidende Rolle, sich für so ein großes, langfristiges Projekt aneinander zu binden. Wenn wir nicht von Beginn an das emotionale Vertrauen gehabt hätten, miteinander gut auszukommen, hätten wir dieses Buch nicht gemeinsam schreiben können. Alle anderen Kompetenzen und inhaltliche Aspekte natürlich vorausgesetzt.

Übertragen auf die Beziehung zum Arzt oder Therapeuten bedeutet dies, dass eine Patientin sich mit ihren Beschwerden und Symptomen vielleicht nicht selbstverständlich auf der rein sachlichen Ebene öffnet. Darum ist in der Arztpraxis das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Männern und Frauen in Bezug auf Krankheiten unbedingt zu berücksichtigen. Vor allem hinsichtlich einer Erkrankung am Herzen kann dieser gravierende Unterschied in der Kommunikation eine lebenswichtige Diagnose erschweren oder verzögern. Kurz gefasst könnte man in Anlehnung an das bekannte und die Geschlechter sehr stereotyp darstellende Buch Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken sagen: »Warum Ärzte nicht zuhören und Frauen nicht auf den Punkt kommen.«

Frauen kommunizieren häufig aus sozialem Interesse. Sie möchten sich mit anderen austauschen und eine Bindung aufbauen. Darum sind auch die Themen, über die Frauen sich austauschen, oft sozialer, familiärer, emotionaler oder persönlicher Natur. Es ist für sie nicht so wichtig, ob die Grenzen zwischen dem Ich und dem Wir verschwimmen. Das Gespräch an sich hat einen Wert. Darüber hinaus sind die meisten Frauen in ihrer Wortwahl vorsichtiger, höflicher und einfühlsamer.

Männer kommunizieren hingegen in der Regel, um andere zu informieren, ihren gesellschaftlichen Status aufzubauen oder zu festigen und um ihre Position in einem Machtverhältnis oder in der Beziehung zu demonstrieren. Sie kommunizieren lösungsorientierter (um sich weitere Diskussionen zu ersparen) und geschlossener, d. h. sie stellen weniger offene Fragen. Ein Gespräch ohne Absicht oder Ziel ist in ihren Augen weniger bedeutsam und darum eher »Zeitverschwendung«. Männer haben in dieser Hinsicht einen klaren biologischen Vorteil, zumindest nützt ihnen dieses Verhalten hinsichtlich der Krankheitsbehandlung und in ihrer Karriere.

In der Arztpraxis neigen Frauen dazu, die häusliche oder soziale Situation zu beschreiben: »Meine Freundin war letzte Woche bei mir, wir sind zusammen um den See gegangen. Wir setzten uns auf einen Baumstamm, da war noch alles gut. Als ich dann aufgestanden bin, hat es schon angefangen. Zu Hause konnte ich mich nicht mehr richtig bücken, um die Schuhe auszuziehen. Aber das war noch nicht so schlimm. Ich habe heute Nacht überhaupt nicht geschlafen …«

Der Mann sagt im ersten Satz, dass er Rückenschmerzen hat, die Frau sagt es nicht einmal im sechsten Satz. Im Alltag in der Praxis wird der Arzt dann ungeduldig. Das kann gerade in Bezug auf Herzerkrankungen gefährlich sein. Oft hört man im Anschluss an einen Praxisbesuch von Frauen: »Der Arzt hat mich ja nicht danach gefragt.« Sie meinen ihre Symptome, die wirklichen Beschwerden.

Enorm wichtig ist darum die Beobachtung, dass Patientinnen gefragt bzw. gebeten werden möchten zu sagen, was ihnen fehlt. Kommt Ihnen das aus Ihrem Privatleben bekannt vor? Uns schon …

Wir ahnen, dass Sie, liebe Leserin, jetzt laut aufstöhnen aufgrund der Klischeehaftigkeit. Aber hier weitere Beispiele aus der ärztlichen Praxis:

~

Anamnesegespräche zwischen Arzt/Ärztin und Patientin

Seit wann haben Sie Beschwerden?

Patientin: Es fing am Geburtstag meines Mannes an, da hatte ich viel zu tun, ich musste alles allein vorbereiten, und da fingen die Beschwerden an, noch nicht so schlimm allerdings.

Wann war denn der Geburtstag?

Patientin: Das ist ehrlich gesagt für mich der anstrengendste Tag des Jahres. So viele Gäste, und immer ist es anstrengend. Ich bin danach immer total fertig …

Wie viele Tage haben Sie denn schon die Beschwerden?

Patientin: Na ja, kommt darauf an. Am Anfang waren die ja noch nicht so schlimm …

Oder:

Guten Tag, warum kommen Sie denn heute zu mir?

Patientin: Ich fühle mich insgesamt sehr unwohl, ich kann mich nicht mehr richtig belasten, manchmal ist mir etwas übel, ich arbeite auch immer so viel.

Seit wann haben Sie denn diese Beschwerden? Wann hat das angefangen?

Patientin: Das war, als mein Mann den Gips bekommen hat, als er sich die Hand gebrochen hat. Er hat sich ja schon so oft etwas gebrochen.

Wie lange ist das her?

Patientin: Lassen Sie mich überlegen: Den neuen Ofen haben wir montiert …

Hat Ihr Mann den Gips noch?

Patientin: Ja, aber nächste Woche kommt der runter.

~

Eine unklare oder unglückliche Kommunikation, weil die medizinische Diagnose oder therapeutische Maßnahme nicht verständlich erklärt oder trotz der guten Darstellung nicht ausreichend verstanden wird, kommt im Praxisalltag täglich vor.

My take

Suzann Kirschner-Brouns: »Kranksein und Gesundwerden haben essenziell damit zu tun, dass die Patienten verstehen, was die Ärztin oder der Therapeut erklärt. Doch gerade in der Medizin ist die allgemeinverständliche Wissensvermittlung oft schwierig.

Viele Patienten verlassen die Arztpraxis oder das Krankenhaus und haben nichts von dem, was der Arzt oder Therapeut gesagt hat, verstanden. Das liegt nicht am Unvermögen des Patienten, sondern daran, dass der Behandelnde in seiner Fachsprache zu Hause ist. Es liegt außerhalb seines Vorstellungsvermögens, dass der Patient ihm in den Erläuterungen über seine Gesundheit oder Krankheit in fachmedizinischer Sprache nicht folgen kann. Oder aber die Patienten wünschen sich ausführlichere Informationen und hätten noch viele Fragen, doch dafür ist die Zeit in unserem Gesundheitssystem meist zu knapp. Ehe man noch darüber nachdenkt, was der Fachbegriff bedeutet, und insbesondere, welche Auswirkung die Krankheit, Therapie und/oder Medikation samt Nebenwirkungen auf die individuelle Situation hat, steht man schon wieder auf der Straße.«

Das ist alles menschlich und wäre auch gar nicht weiter schlimm. Doch wenn der Patientin der Mut fehlt, trotz Zeitknappheit nachzufragen, was die ärztliche Aussage oder Anweisung praktisch bedeutet, dann kann es zu Missverständnissen kommen. Das erschwert nicht nur Behandlungen und verschlechtert Prognosen bis hin zur Lebensgefahr, sondern verursacht auch immense Kosten für das Gesundheitssystem. In den USA sind das jährlich 73 Milliarden US-Dollar und in der Schweiz 3 Prozent der Krankenkassenbeiträge.

In den Arztpraxen stellen sich in Deutschland jährlich mehr als eine Milliarde Patientinnen und Patienten vor, während es in den deutschen Krankenhäusern fast 19,8 Millionen sind. Vor diesem Hintergrund liegt die Zahl der durch u. a. die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen festgestellten Behandlungsfehler im Promillebereich. Im Jahr 2021 wurden 5455 vermeintliche Behandlungsfehler zur Anzeige gebracht, von denen nach sachgerechter Prüfung lediglich 1440 Fälle bestehen konnten.

Natürlich lasten wir die Verantwortung für Fehldiagnosen mitnichten den Patientinnen an. Wo kämen wir da hin? Wir möchten aber alle Patientinnen ermutigen, den Ärzten oder Therapeuten lieber eine Frage zu viel als zu wenig zu stellen bzw. lieber ein Symptom zu viel als zu wenig zu schildern. Der Arzt ist kein Hellseher oder Zauberer, er kann nicht erraten, welche oder wie viele Beschwerden einen plagen und wie lange diese schon bestehen.

Frauen sind bekanntermaßen kommunikativer. Diesen Vorteil gilt es zu nutzen. Nun denkt man nicht unbedingt, dass durch mehr Kommunikation eine Erkrankung besser behandelt wird, aber das ist durchaus der Fall, wie eine aktuelle Studie aus 2022 zeigen konnte: Von Ärztinnen, also kommunikativeren Frauen, behandelte Diabetikerinnen folgten den Anweisungen strikter und hatten bessere Zuckerwerte.

Die Gründe:

Ärztinnen hören besser zu und gehen auf die Bedürfnisse der Patientinnen darum zielgenauer ein.Ärztinnen geben weniger Anweisungen, sondern fragen mehr nach. Dadurch ist die Compliance besser, d. h. Patientinnen machen bei der Therapie besser mit bzw. setzen Therapieempfehlungen besser um.Ärztinnen beziehen die Patientin in das Erstellen eines Behandlungsplans (z. B. eines Diätplans oder eines Sportprogramms) öfter mit ein. Durch dieses Einbinden fühlt sich die Patientin sowohl wertgeschätzt als auch verpflichtet, die Maßnahme durchzuführen.

Insbesondere bei Erkrankungen am Herzen möchten wir Sie, liebe Leserin, unbedingt motivieren, im Krankenhaus oder in der Arztpraxis direkt und ganz klar Ihre Symptome aufzuzählen:

Tipp: Vor dem Arzttermin

Ideal ist es, wenn Sie sich schon zu Hause überlegen, was Ihr Arzt vermutlich von Ihnen wissen will:

Welche Symptome haben Sie?Wie lange haben Sie diese schon?Wie fingen die Beschwerden an?Wie stark sind auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 10 (unerträglich) die Schmerzen?Wo genau haben Sie Schmerzen?Welche anderen Symptome bestehen?

Gerade in Bezug auf den weiblichen Herzinfarkt kann jede Angabe wichtig sein, auch solche, die man selbst mit dem Herzen zunächst nicht assoziiert wie Übelkeit oder Rückenschmerzen.

My take

Suzann Kirschner-Brouns: »Ich bin fest davon überzeugt, dass Information und Wissen über die Gesundheit ein Allgemeingut sind, das nicht nur Spezialisten vorbehalten sein darf. Jeder Mensch, dem man erklärt, wie sein Körper warum funktioniert und unter welchen Umständen er Probleme macht, kann sich leichter und überzeugter für eine Therapie oder einen Lebenswandel entscheiden. Denn nur dann eröffnet sich ihm der Sinn der Maßnahme. Wenn ich z. B. nicht nachvollziehen kann, weshalb weniger Fleisch oder Zucker gesünder sind, warum sollte ich dann ohne Not auf etwas verzichten, das mir schmeckt, mir Befriedigung verschafft, mich sättigt oder mein Leben versüßt.«

HERZRISIKEN BEI FRAUEN

Das weibliche Herz besitzt anatomische und physiologische Besonderheiten, diese erfordern zum Teil eine andere Diagnostik. Und auch bezüglich der Risikofaktoren sind wir Frauen sehr eigen.

Das Herz von Männern und Frauen ist zwar grundsätzlich gleich aufgebaut, das weibliche Herz ist aber kleiner als das männliche. An dieser Stelle sei natürlich die Frage erlaubt, ob wir Frauen nicht auch aus anatomischen Gründen ein größeres Herz bräuchten, weil wir als Mütter, Töchter, Partnerinnen, Kolleginnen und Freundinnen doch so oft ein großes Herz haben … Jedenfalls haben auch die weiblichen Herzkranzgefäße einen geringeren Durchmesser, sie sind also dünner. Außerdem gibt es eine Situation, die nur dem weiblichen Herzen vorbehalten ist: Während einer Schwangerschaft versorgt das weibliche Herz noch ein zusätzliches Leben.

Je nach Körpergröße und Muskelmasse pumpt ein Herz vier bis sechs Liter Blut durch den Körper. Dafür benötigt es etwa 100 000 Schläge, d. h. Kontraktionen, am Tag. Männer haben testosteronbedingt mehr Muskelmasse, dementsprechend ist meist auch ihr Herzmuskel kräftiger und kann sich stärker kontrahieren. Das weibliche Herz ist also weniger muskulös als das männliche, es schlägt etwas weniger kräftig und kann darum mit jedem Schlag weniger Blut durch den Körper pumpen. Um trotzdem den Körper bestmöglich mit Energie, Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen, schlägt das weibliche Herz etwa zehn Schläge pro Minute schneller als das männliche.

Wenn Sie also Ihren Puls mit dem Ihres männlichen Partners vergleichen, dann ist es vollkommen normal, dass Ihr Herz schneller schlägt. Sollten Sie nicht gerade frisch verliebt sein, Ihr Herz aber dennoch rasen oder unrund schlagen, also nicht rhythmisch, dann gibt es dafür natürlich Gründe. Diese erklären wir in Kapitel 5. Über die Besonderheiten des schwangeren Herzens schreiben wir in Kapitel 3.

Systemische Gefäßveränderungen

Zu den systemischen Gefäßveränderungen gehören Entzündungen und Arteriosklerose, steifer werdende Gefäße und andere Veränderungen der Gefäßwände. Die Folgen sind Bluthochdruck, Gefäßkomplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Aneurysma, periphere arterielle Gefäßerkrankung (paVK), Dissektion usw. Wir betrachten hier den geschlechtsspezifischen Aspekt bei den Gefäßveränderungen und Krankheitsbildern.

Bei Männern und Frauen verhält sich der Blutdruck unterschiedlich. Bei Frauen bis circa 35 bis 40 Jahre ist er in Ruhe tendenziell niedrig. Mit den Jahren steigt der Blutdruck an, vor allem, wenn sich eine Fettstoffwechselstörung oder ein Diabetes entwickelt. Das liegt daran, dass die Gefäße bei Frauen generell elastischer sind als bei Männern, zumindest in jungen Jahren. Nach der Menopause nimmt die Elastizität ab, und die Gefäßsteifigkeit nimmt schneller zu als bei den Männern gleichen Alters. Frauen entwickelt darum erst ab 65 Jahren Bluthochdruck, Männer oft schon vor dem 45. Lebensjahr.

Des Weiteren haben Frauen bei etwa gleicher Herzleistung eine deutlich höhere Herzfrequenz in Ruhe und eine übermäßige pulsatile Last (Pulsdruck), je älter sie werden. Zum Verständnis des Pulsdrucks: Der Herzschlag löst in den Gefäßen Pulswellen aus, die den Blutdruck (Systole und Diastole) erzeugen.

Mit zunehmendem Alter steigt der Blutdruck. Der diastolische Blutdruck sinkt ab dem 50. Lebensjahr, der systolische Blutdruck bleibt gleich. Man bezeichnet dies als isolierte systolische Hypertonie, die bei über 75 Prozent der über 70-Jährigen auftritt. Dadurch, dass die arteriellen Gefäße mit dem Alter steifer werden, wird die Pulswelle kräftiger zurückgeworfen. Man kann sich das etwa so vorstellen: Wenn Meereswellen gegen eine Mauer schlagen, werden sie härter zurückgeworfen, als wenn sie auf dem Strand im Sand sanft auslaufen. Der systolische Blutdruck bauscht sich an der steiferen Arterienwand auf, ähnlich wie die Meereswellen an der Mauer.

Bei der isolierten systolischen Hypertonie verringert sich die Durchblutung in den Herzkranzgefäßen sowie in den kleinen Gefäßen in Gehirn und Nieren. Verstärkt wird dieser Effekt noch zusätzlich durch Reaktionen des vegetativen Nervensystems, z. B. bei Angst oder Stress, bei einer Frau stärker als bei einem gleichaltrigen Mann.

Alle Gefäßkomplikationen (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) treten bei Frauen seltener auf, das ist die gute Nachricht. Doch wenn sie auftreten, dann sind der Krankheitsverlauf deutlich schlechter und die Mortalität höher als bei Männern. Darum ist es so immens wichtig, Prävention ernst zu nehmen und Risikofaktoren zu kennen und zu kontrollieren.

Aortendissektionen (wir erklären das in Kapitel 4) treten häufiger bei Männern auf; aber auch hier ist die Sterblichkeit bei Frauen bei diesem Ereignis deutlich höher. Abdominelle Aneurysmen treten viel häufiger bei Männern auf, das Risiko jedoch, dass diese Erweiterung der Bauchschlagader platzt, ist bei Frauen höher. An der peripheren arteriellen Gefäßerkrankung (paVK) erkranken Männer und Frauen gleich häufig, bei Frauen sind aber öfter mehrere Gefäße betroffen.

Häufig beobachtet man bei einer Minderdurchblutung am weiblichen Herzen die mikrovaskuläre koronare Dysfunktion (MCDMCD ist die Durchblutung der Kranzgefäße vermindert, allerdings weil nur die kleineren Äste, und nicht die »großen« Herzkranzgefäße selbst, verengt oder verändert sind. Sie wird unterschätzt und nach den Leitlinien noch nicht einmal als richtige Erkrankung eingeschätzt. Darum ist die Therapie bislang auch nicht so effektiv.

Entzündung und Arteriosklerose

In Deutschland leiden acht Millionen Menschen an Arteriosklerose. Bei dieser Erkrankung kommt es zur Verhärtung und Verengung der Arterien durch eine chronische fortschreitende Degeneration der Arterienwände. Prinzipiell kann sich eine Arteriosklerose in allen Arterien des Körpers entwickeln, bevorzugt entsteht sie aber in bestimmten Gefäßregionen im Hals, Gehirn, am Herzen, in den Becken- oder den Beinschlagadern.

Nach neuestem Stand der Wissenschaft kommt der Entzündung oder Inflammation als Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer mehr Gewicht zu. Tatsächlich scheint es so zu sein, dass jedem pathologischen Prozess im Körper eine Entzündung zugrunde liegt, sei es Krebs oder eine Gefäßerkrankung. Betrachten wir Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dann ist auch hier ein Entzündungsgeschehen ursächlich. Man geht heute davon aus, dass der Arteriosklerose eine Entzündung zugrunde liegt und keine mechanische Verstopfung. Herzinfarkt und Schlaganfall werden darum genau wie Colitis oder Rheuma als Entzündungsgeschehen betrachtet und therapiert.

Besonders bei Frauen mit geschlechtsspezifischen Risikofaktoren in der Anamnese stehen die entzündlichen Gefäßprozesse im Vordergrund. Östrogen wirkt wie ein »Gefäßputzer«. Sinkt der Östrogenspiegel nach der Menopause, sind die Gefäße nicht mehr so gut geschützt. Folglich steigt das Risiko für Arteriosklerose. An der Innenschicht der Gefäßwand können sich Plaques, fleckförmige, entzündliche Stellen, bilden. Sie allein können schon zu einer schweren Herzkranzgefäßerkrankung führen. Wenn sich zusätzlich Fett- oder Cholesterinpartikel an den entzündeten Gefäßwänden ablagern, schreitet die Herzkranzgefäßerkrankung fort. Es kommt zum Umbau der Gefäßwand. Bindegewebe wird gebildet, in der Folge verengt sich das Blutgefäß und verliert an Elastizität.

Axel Haverich, ehemaliger Chefarzt an der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), beobachtet wie andere Wissenschaftler, dass die Herzinfarktrate u. a. nach Grippeepidemien oder bei hoher Feinstaubbelastung deutlich ansteigt. Beide Geschehen sind mit Entzündungen vergesellschaftet. Die Beobachtung, dass Infektionen schwere Gefäßentzündungen auslösen, ist schon alt. Auch während der Coronapandemie wurde dieser Zusammenhang in vielen Fällen beschrieben.

Die Entzündungen lösen eine Arteriosklerose-Kaskade aus. Wenn die Gefäße einmal befallen sind, kann eine Arteriosklerose nicht rückgängig gemacht werden. Das Gefäß ist dann unwiderruflich geschädigt und nicht heilbar, sondern muss durch kardiologische und herzchirurgische Eingriffe wie Herzkatheter, Stentimplantation und Bypassoperation behandelt werden. Anlass zur Hoffnung machen experimentelle Laborstudien zur Gefäßregeneration mit Wachstumsfaktoren, die zurzeit an der MHH durchgeführt werden.

Die Vorbeugung von Entzündungen durch gesunde Ernährung, guten Schlaf, Bewegung